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GLEICHHEIT/4276: Große Mehrheit für ESM und Fiskalpakt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Große Mehrheit für ESM und Fiskalpakt

Von Christoph Dreier
30. Juni 2012



Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit von 491 zu 111 Stimmen bei sechs Enthaltungen stimmte gestern Abend der deutsche Bundestag dem europäischen Fiskalpakt zu. Für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) stimmten sogar 493 Abgeordnete. Beide Finanzmaßnahmen beinhalten massive Angriffe auf die europäische Bevölkerung.

Die Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP wurde bei der Abstimmung von der Mehrheit der SPD und der Grünen unterstützt. In der Regierungskoalition gab es nur wenige Abweichler. Als einzige Fraktion stimmte die Linkspartei gegen die Vorhaben.

Das klare Ergebnis zeugt von der breiten Zustimmung der wirtschaftlichen und politischen Führungsschicht zur europäischen Fiskalunion. Formulierten Sozialdemokraten und Grüne auch vage Forderungen nach Wachstumsimpulsen, stimmten sie doch mehrheitlich der eisernen Haushaltsdisziplin und der Kontrolle der nationalen Haushalte durch die EU-Institutionen zu.

Fiskalpakt und ESM, die Anfang des Jahres von den Regierungschefs der Euro-Länder beschlossen worden waren, sind die wichtigsten Instrumente, um in ganz Europa eine soziale Konterrevolution nach griechischem Vorbild durchzusetzen. Die deutsche Elite erhofft sich dadurch, nicht nur in Deutschland weitere Sozialkürzungen durchsetzen zu können, sondern ganz Europa in eine billige Werkbank der deutschen Industrie zu verwandeln.

Mit dem Fiskalpakt verpflichten sich die unterzeichnenden Länder dazu, eine Schuldenbremse in der eigenen Verfassung festzuschreiben. Über eine von der Europäischen Kommission festzusetzenden Periode müssen die Länder ihre Haushalte ausgleichen oder einen Überschuss aufweisen, sowie ihre Schulden reduzieren. Zudem muss in die Verfassung ein automatischer Korrekturmechanismus festgeschrieben werden.

Damit ist die staatliche Haushaltssouveränität gerade in den höher verschuldeten Ländern de facto abgeschafft. Denn mit der Unterzeichnung erkennen die Länder die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs an und verpflichten sich, über Verstöße unmittelbar die EU-Kommission sowie dem Europäischen Rat Bericht zu erstatten und Maßnahmen zur Korrektur vorzuschlagen. Deren Umsetzung wird dann durch die EU-Institutionen regelmäßig überwacht.

Anders als bei der in Deutschland schon verabschiedeten nationalen Schuldenbremse im Grundgesetz handelt es sich bei dem Fiskalpakt um einen völkerrechtlichen Vertrag, der nicht ohne weiteres von einem der Unterzeichner, etwa im Falle wechselnder parlamentarischer Mehrheiten, einseitig gekündigt werden kann.

Der ESM soll den bisherigen Euro-Rettungsschirm EFSF ersetzen und dessen Aufgaben übernehmen. Mit einem Grundkapital von 700 Milliarden Euro sollen Euro-Länder, die sich an den Kapitalmärkten kein Geld mehr leihen können, mit Krediten versorgt werden, um ihre Zahlungsunfähigkeit zu verhindern.

Diese Summe, an der Deutschland mit 190 Milliarden Euro beteiligt ist, dient im Wesentlichen dazu, die Einlagen der internationalen Banken zu sichern, die von den betroffenen Ländern ansonsten nicht länger bedient werden könnten. Auf dem gestern zu Ende gegangenen EU-Gipfel wurde zudem beschlossen, die Banken auch direkt mit den nötigen Finanzmitteln aus dem ESM zu versorgen.

Die zentrale Aufgabe des ESM besteht darin, die betroffenen Staaten auf eine strenge Haushaltspolitik zu verpflichten, wie dies bereits in Griechenland, Portugal und Irland geschehen ist und dort zu einer sozialen Katastrophe geführt hat. Dazu werden eigens zwei demokratisch nicht legitimierte Institutionen geschaffen, die das durchsetzen sollen: der Gouverneursrat und das Direktorium.

Berechnungen zufolge muss der deutsche Bundeshaushalt gemäß dem Fiskalpakt im nächsten Jahr um etwa 25 Milliarden Euro gekürzt werden. Das entspricht ungefähr dem Haushaltsposten, der für sämtliche Zahlungen des Arbeitslosengeldes II veranschlagt wird. Sollten Bürgschaften des ESM fällig werden, kann sich diese Zahl schnell vervielfachen.

Das ist das Programm, dem alle Parlamentsparteien im Wesentlichen zugestimmt haben. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier signalisierte schon in der Debatte am Mittwoch die Zustimmung seiner Fraktion. Der Fiskalpakt sei "lohnenswert" sagte er, weil seine Partei zusammen mit den Grünen dessen Ergänzung durch einen Wachstumspakt sowie eine Börsentransaktionssteuer durchgesetzt habe.

Auch der Vorstand der Grünen hatte der Fraktion aus diesen Gründen eine Zustimmung nahegelegt. Am Sonntag hatte er dafür knapp die Unterstützung des Länderrats der Partei erhalten. Fraktionschef Jürgen Trittin verteidigte die Zustimmung zu dem Paket damit, dass ansonsten die EU auseinanderbrechen werde. "Was glaubt ihr denn, was dann auf den internationalen Finanzmärkten los ist?", fragte er die Delegierten.

Die Gegner in der Grünen Fraktion sprachen sich keineswegs prinzipiell gegen den Fiskalpakt aus, sondern wollten ihn nur um einen "Altschuldentilgungsfonds" ergänzt wissen, mit dem die verschuldeten Länder etwas entlastet werden sollten.

Ein solcher Fonds wäre ebenso ein Betrug, wie der Wachstumspakt oder die Finanztransaktionssteuer. Denn der Wachstumspakt, der auch vom EU- Gipfel prinzipiell befürwortet wurde, umfasst keinerlei zusätzliche Finanzmittel, sondern lediglich die Umwidmung schon längst geplanter Ausgaben. Sein Umfang ist mit maximal 130 Milliarden Euro um ein vielfaches kleiner als die Summen, die mit dem Fiskalpakt zusätzlich eingespart werden müssen.

Die Finanztransaktionssteuer soll längst nicht alle Finanzgeschäfte erfassen. Die Einnahmen werden entsprechend gering sein. Ihre Umsetzung steht gleichzeitig noch völlig in den Sternen, da sie unter anderem von einer nochmaligen wirtschaftlichen Bewertung und der Zustimmung weiterer EU-Länder abhängt.

Neben Gegenstimmen bei den Oppositionsparteien gab es auch einige Vertreter der Regierungskoalition, die sich einer Zustimmung verweigerten. Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler hat bereits Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen das neue Gesetz eingereicht, weil die "Eurorettung" "uferlose" Ausmaße annehme. Er sprach sich für den Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aus.

Ebenfalls Klage eingereicht hat die Bundestagsfraktion der Linkspartei. Sie hielt zusammen mit der SPD und den Grünen nahestehenden Gruppen wie attac und der Naturfreundejugend sowie einzelnen Vertretern dieser Parteien eine Protestkundgebung gegen den Fiskalpakt ab. Auf der Wiese vor dem Reichstag versammelten sich zu diesem Zweck weniger als 100 Menschen.

Die Demo diente ebenso wie die Ablehnung des Gesetzes durch die Linkspartei lediglich dazu, die verbreitete Opposition gegen Fiskalunion und Bankenrettung in harmlose Kanäle zu lenken und die EU gegen den Widerstand der Bevölkerung zu verteidigen. Mit keinem Wort griffen die Sprecher die reaktionären EU-Institutionen an, die das wichtigste Instrument für die Sozialangriffe in ganz Europa sind.

Stattdessen warb etwa Linken-Fraktionschef Gregor Gysi für eine Reformierung der EU durch eine höhere Besteuerung von Einkommen und Vermögen, sowie den Abbau von Subventionen. Die neue Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, brachte die Stoßrichtung dieser Argumente auf den Punkt, indem sie nachdrücklich warnte: "Wenn die Bürger die EU als Institution erleben, die ihnen Sozialleistungen kürzt,agte sie gegenüber der Tageszeitung Neues Deutschland, "wird die ohnehin geringe Begeisterung der Menschen für die Union weiter schwinden.Prinzipielle Einwände gegen die Bankenrettungen und die damit verbundenen Sozialangriffe hat die Linkspartei keineswegs. Wann immer es auf ihre Stimmen ankam, etwa beim Landeshaushalt in Berlin oder den Eilverfahren zur Bankenrettung im Bundestag, hat sie keinen Moment gezögert, den Raubzug der Banken zu unterstützen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.06.2012
Große Mehrheit für ESM und Fiskalpakt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2012