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GLEICHHEIT/4595: Warnstreiks im öffentlichen Dienst


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Warnstreiks im öffentlichen Dienst

Von Dietmar Henning
20. Februar 2013



Die Gewerkschaften Verdi und GEW organisieren derzeit eine Welle von Warnstreiks der Beschäftigten der Länder. Sie reagieren damit auf den Druck der Beschäftigten, die von den Berliner Parteien und den Gewerkschaften seit Jahren Reallohnsenkungen verordnet bekommen.

Am Montag demonstrierten in Berlin etwa dreitausend Lehrer und Kita-Beschäftigte. Am Dienstag und Mittwoch legten Beschäftigte in Straßenmeistereien, an Universitäten, Kliniken, Theatern und Behörden in Niedersachsen, Bayern, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Bremen und Sachsen-Anhalt jeweils für einige Stunden oder einen Tag die Arbeit nieder. Die Warnstreiks sollen in den nächsten Tagen fortgesetzt und die Beschäftigten weiterer Länder wie Sachsen, Nordrhein-Westfalen und des Saarlands einbezogen werden.

Verdi (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) und GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) wollen bis zum nächsten Treffen mit den staatlichen Arbeitgebern am 7. und 8. März in Potsdam einigen Druck ablassen, um letztlich einen faulen Kompromiss schließen zu können.

Der Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD), hatte schon vor den Ende Januar begonnenen Verhandlungen erklärt, die Forderungen der Gewerkschaften für die bundesweit 800.000 Beschäftigten der Länder seien unannehmbar. Dies vor allem, weil der Tarifabschluss üblicherweise auf die Landesbeamten und die Pensionäre übertragen wird.

"Verdi fordert 6,5 Prozent bei einer Laufzeit von nur einem Jahr", sagte er dem Handelsblatt. "Das kann man angesichts der Haushalte der Länder niemandem vermitteln." Der Sozialdemokrat fordert eine Laufzeit von zwei Jahren ohne sich auf eine konkrete Lohnerhöhung festzulegen. "Sonst beginnt ja nach dem Abschluss sofort wieder die nächste Runde."

Verdi fordert neben den 6,5 Prozent Gehaltserhöhung auch eine "Übernahmeregelung" für Auszubildende nach ihrer Ausbildung, die Einbeziehung der technischen Theaterbeschäftigten mit künstlerischen Aufgaben in den Tarifvertrag, zwei Tage Zusatzurlaub für Beschäftigte in Psychiatrischen Krankenhäusern und keine Verschlechterung der Urlaubsansprüche bei allen anderen Beschäftigten. Die Landesregierungen haben die Urlaubsregelungen zu Anfang des Jahres gekündigt, so dass neu eingestellte Beschäftigte aktuell nur noch 26 Tage Jahresurlaub erhalten.

Vor allem aber sollen Lehrer und Lehrerinnen endlich eine verbindliche Eingruppierungsregelung erhalten. Da die Landesregierungen seit Jahren Lehrer und Lehrerinnen nicht mehr in den Beamten-Status erheben und auch keine Eingruppierungsregelung existiert, sind insbesondere die jüngeren angestellten Lehrkräfte von den Gehaltssenkungen und den verschlechterten Arbeitsbedingungen der letzen Jahre betroffen. Denn ihre Eingruppierung und damit ihr Gehalt werden von den jeweiligen Landesregierungen festgesetzt.

Die angestellten Lehrer hinken dadurch selbst den anderen Landesbeschäftigten um rund 30 Euro monatlich hinterher - vom Unterschied zum Gehalt ihrer verbeamteten Kollegen ganz zu schweigen. Mehr als jeder vierte der bundesweit rund 700.000 Lehrer ist inzwischen angestellt. Sie verdienen derzeit durchschnittlich 30.000 Euro brutto im Jahr.

Dass vor allem die Lehrer höhere Gehälter fordern, empörte Bullerjahn. "Deutschland hat die bestbezahlten Lehrer auf der ganzen Welt", behauptete er. Der SPD-Politiker gab aber schon einen möglichen Kompromiss vor. So könnten die Kosten für eine Angleichung der Lehrergehälter auf die Lohnerhöhung in anderen Bereichen angerechnet werden.

Verdi und die GEW akzeptieren grundsätzlich das Argument der leeren Kassen und der Notwendigkeit des "Schuldenabbaus". Die jetzige Lage der Landesbeschäftigten geht auf die enge Zusammenarbeit zwischen Verdi, der GEW und den Landesregierungen zurück.

Das von SPD und Linkspartei regierte Berlin spielte bei den Angriffen auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst den Vorreiter. Das Land war in Absprache mit dem Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske schon 2002 aus dem Tarifverbund der Länder ausgeschert, um Lohnsenkungen bis zu 12 Prozent und Arbeitszeiterhöhungen für die Landesbeschäftigten und -beamten beschließen zu können.

Der von den Gewerkschaften dann in der Tarifrunde 2005 mit den öffentlichen Arbeitgebern ausgearbeitete Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TvöD) war in den folgenden Jahren für zahlreiche Verschlechterungen bei Löhnen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Arbeitsbedingungen verantwortlich. Gleichzeitig hatten die Vertragspartner die Trennung der Landesbeschäftigten von denen in Bund und Kommunen vereinbart. Die wöchentliche Arbeitszeit der Landesbeschäftigten beträgt aktuell 39 bis 40 Stunden, in Bayern sogar mehr.

Der TvöD, bzw. TV-L für die Landesbeschäftigten, löste den alten Bundes-Angestellten-Tarifvertrag (BAT) ab. Für die Beschäftigten sollte sich rächen, dass die Gewerkschaften keine so genannte Entgeltordnung vereinbart hatten. "Die Gewerkschaften hielten das für unproblematisch, da alle davon ausgingen, das neue Eingruppierungsrecht werde nach kurzer Zeit ebenfalls fertig sein", behauptet die GEW heute tatsächlich auf ihrer Website.

In Wirklichkeit folgten Jahre der relativ willkürlichen Eingruppierung und damit auch der Gehaltsfestlegung. Erst vor zwei Jahren wurde eine entsprechende Regelung abgeschlossen, allerdings immer noch nicht für angestellten Lehrer.

Diese Entwicklung hat die Unzufriedenheit der Beschäftigten massiv wachsen lassen. Dem ist die relativ hohe Forderung Verdis nach 6,5 Prozent Lohnerhöhung geschuldet. Doch Verdi und die GEW werden alles dafür tun, dass am Ende der Verhandlungen ein fauler Kompromiss steht, der den öffentlichen Kassen nicht allzu weh tut.

Schon jetzt unternehmen Verdi und GEW alles, um eine breite Mobilisierung zu vereiteln. Die Warnstreiks organisieren sie bewusst vereinzelt und isoliert. Gewerkschaftsfunktionäre sprechen sich mehr oder weniger offen gegen eine Beteiligung an den Arbeitsniederlegungen aus. Beschäftigte aus anderen Branchen werden erst recht nicht einbezogen.

So hat Verdi die Streiks bei den Beschäftigten der privaten Sicherheitsunternehmen an deutschen Flughäfen zunächst einmal ausgesetzt. Für die 3.000 Beschäftigten des Brandenburger Nahverkehrs hat Verdi letzte Woche schnell eine Tariferhöhung von 7,5 Prozent, verteilt auf zwei Jahre abgeschlossen. Ursprünglich hatte die Gewerkschaft Lohnsteigerungen im Gesamtumfang von 10 Prozent bei einer einjährigen Laufzeit gefordert.

Die Tarifverhandlungen für die Landesbeschäftigten seien in der zweiten Runde am 14. Februar in einer "sachlichen Atmosphäre" verlaufen, berichteten Ilse Schaad und Peter Jonas vom GEW-Hauptvorstand. Auch die dritte Verhandlungsrunde wird so verlaufen. Schließlich sitzen sich alte Bekannte gegenüber. Verdi-Chef Bsirske (Grüne) sitzt die Bremer Senatorin für Finanzen Karoline Linnert (Grüne) als Stellvertreterin Bullerjahns gegenüber. Neben Bsirske sitzt Achim Meerkamp auf der Seite der Verhandlungskommission von Verdi. Meerkamp ist wie Bullerjahn SPD-Mitglied.

Diese vier werden maßgeblich den kommenden Tarifvertrag ausarbeiten. Bullerjahn sagte bereits beim ersten Treffen, je höher der Abschluss ausfalle, desto mehr Personal werde abgebaut und desto weniger auf die Beamten übertragen. Das werden auch die Argumente Verdis und der GEW sein, um den Abschluss gegen die Beschäftigten durchzusetzen.

Ob die Entgeltordnung für Lehrer überhaupt kommen wird, ist unklar. Wenn, dann wird sie, wie Bullerjahn schon angedeutet hat, mit einer geringeren Lohnerhöhung erkauft werden. Die Laufzeit wird vermutlich wie letztes Jahr bei den Beschäftigten von Bund und Kommunen zwei Jahre betragen.

Siehe auch:
Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Ausverkauf sondergleichen (15. März 2011)
http://www.wsws.org/de/articles/2011/mar2011/verd-m15.shtml

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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.02.2013
Warnstreiks im öffentlichen Dienst
http://www.wsws.org/de/articles/2013/feb2013/stre-f20.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2013