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GLEICHHEIT/4770: Frankreich - Unruhen nach Polizeifestnahme von verschleierter Frau und ihrer Familie


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Frankreich:
Unruhen im französischen Trappes nach Polizeifestnahme von verschleierter Frau und ihrer Familie

Von Alex Lantier
24. Juli 2013



Im der südwestlich gelegenen Pariser Vorstadt Trappes brachen Freitag- und Samstagnacht Aufstände aus, nachdem die Polizei auf brutale Weise eine muslimische Familie verhaftet hatte, darunter eine Frau, die eine den ganzen Körper verschleiernde Bekleidung trug.

Das reaktionäre Gesetz aus dem Jahr 2011, welches das Tragen von Ganzkörperschleiern - wie Burkas, Niqabs oder Balaklavas - in der Öffentlichkeit verbietet, hat die rassistischen und religiösen Vorurteile in Frankreich verstärkt und zu zahlreichen Konfrontationen zwischen Polizei und Muslimen geführt. Am Donnerstag letzter Woche forderte die Polizei eine Frau auf, ihren Schleier abzunehmen und nahm anschließend ihren Mann mit der Behauptung fest, dieser habe während der Kontrolle versucht, einen Polizeibeamten zu würgen.

Hunderte Demonstranten griffen Freitagnacht die Polizeistation an und versuchten, den Mann zu befreien, wobei Bushaltstellen und Autos in Brand aufgingen. Sechs Menschen wurden verhaftet und zahlreiche verletzt. Unter den Verletzten befinden sich vier Polizisten und ein 14-jähriger Junge, den ein Gummigeschoß im Gesicht traf und dem der Verlust eines Auges droht.

Nachdem die Zeugenaussage seiner Frau, die der Schilderung der Polizei komplett widerspricht, veröffentlicht worden ist, wurde der Mann am Samstag aus der Haft entlassen. Im September erwartet ihn dennoch ein Prozess.

Sie sagte dem Collectif contre l'Islamophobie en France (CCIF) [Kollektiv gegen die Islamfeindlichkeit in Frankreich]: "Sie wollten uns wegen meines Gesichtsschleiers anhalten. Wie immer, ging ich darauf ein. Als ich meinen Schleier herab nehmen wollte, sah ich, wie einer der Polizisten meine Mutter mit Gewalt stieß."

Als ihr Mann die Polizisten bat, damit aufzuhören, bedrohten sie ihn. Die Frau sagte weiter: "Als der Polizist mit meiner Mutter fertig geworden war, kam er auf mich zu, gestikulierte heftig vor meinem Gesicht und sprach aggressiv. Erschrocken bat ich ihn, ruhig zu sein. Er packte mich dann an meinem Schleier, auf Höhe des Kopfes, schleifte mich mit ungeheurer Gewalt und warf mich dann auf den Boden des Autos. Er schrie: 'Sprichst du mit mir? Sprichst du mit mir?'

Als ich mich umdrehte, sah ich, dass zwei Polizisten meinen Mann auf den Boden drückten und ihm Handschellen umlegten. Als wir im Auto saßen, schrien sie uns an, als seien wir Hunde. Sie bedrohten meinen Mann mit geballten Fäusten, sagten 'Was wirst du jetzt machen, du kleine Schwuchtel' und schlugen ihn im Auto. Auf der Polizeistation beschimpften die Polizisten mich und nannten mich ein Gespenst."

Die Unruhen weiteten sich von Samstagnacht auf Sonntag auf nahegelegene Städte aus, darunter Guyancourt, Maurepas und Elancourt. In letztgenannter brannte ein Polizeiwagen, nachdem ihn ein Molotowcocktail getroffen hatte. Zahlreiche Fahrzeuge der Bereitschaftspolizei umstellten das Polizeihauptquartier in Trappes, wo die Polizei erneut mit mehreren Dutzend Einwohnern der Stadt zu tun hatte, die angeblich Feuerwerkskörper auf die Polizisten abschossen.

Vier Jugendliche wurden festgenommen und beschuldigt, an den Ausschreitungen vom Freitag beteiligt gewesen zu sein, als noch über 150 Bereitschaftspolizisten in Trappes stationiert waren.

Innenminister Manuel Valls erklärte: "Bis sich wieder dauerhafte Ruhe einstellt, wird eine größere Präsenz der Sicherheitskräfte vor Ort verbleiben." Außerdem wies er die Aussage der verschleierten Frau aus Trappes zurück und sagte, er sei sicher, die Polizei habe sie respektvoll behandelt.

Die Unruhen von Trappes machen den reaktionären und rassistischen Charakter des Verbots der Gesichts- und Ganzkörperverschleierung aus dem Jahr 2011 deutlich. Das vom rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy und von André Gerin von der stalinistischen Kommunistischen Partei (PCF) vorgeschlagene Verbot genießt die Unterstützung des gesamten französischen politischen Establishments.

Dieses Gesetz, das in offener Verletzung der säkularistischen Prinzipien der französischen Verfassung - die die Neutralität des Staates in Fragen der Religion fordert und damit Verbote von Praktiken bestimmter Religionen ausschließt - verabschiedet worden ist, dient als Vorwand, um muslimische Gemeinschaften innerhalb der Arbeiterklasse zu terrorisieren.

Jetzt, da die Sozialistische Partei (PS) von Präsident François Hollande sich anschickt, Rentenkürzungen und weitere Angriffe auf die Rechte der Arbeiter auszuführen, wächst der Zorn und die Polizei beginnt mit starkbewaffneten Operationen, um ein Law-and-Order-Klima zu schüren. Der weitergehende Zweck solcher Operationen besteht darin, die Arbeiterklasse entlang ethnischer und religiöser Grenzen zu spalten und gleichzeitig die Bedingungen für weitere Einschnitte in die Sozialausgaben durchzusetzen.

Dies unterstreicht zugleich die reaktionäre Rolle pseudolinker Gruppen wie Lutte ouvrière (LO) oder der Antikapitalistischen Partei (NPA), die beide das Burkaverbot akzeptiert hatten und im vergangenen Jahr Hollandes Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen als linke Alternative zu Sarkozy unterstützen. Sie haben eine politische Atmosphäre geschaffen, in der die einzige sichtbare Opposition gegen Hollande von rassistischen Kräften der äußersten Rechten kommt. Solche Kräfte profitieren am meisten von dem rassistischen Klima, das die PS und ihre Law-and-Order-Maßnahmen hervorgebracht haben.

Die Hauptprofiteurin der gegenwärtigen Situation ist Marine Le Pen, die Führerin der neofaschistischen Front National (FN). Ihr Beliebtheitsrating hat sich auf 31 Prozent erhöht. Auf die Unruhen von Trappes reagierte sie mit Verunglimpfungen der Einwohner, die sie als "Abschaum außer Kontrolle" bezeichnete. Sie sagte: "Es ist an der Zeit, unsere Fäuste auf den Tisch zu schlagen und mit Recht und Ordnung jeden Quadratmeter unseres nationalen Territoriums wiederzuerobern."

Anfang der Woche wurden zwei Verdächtige verhaftet, weil sie am Nationalfeiertag, dem Bastille-Tag, vermutlich in betrunkenem Zustand, eine verschleierte Frau in Trappes mit einem Messer bedroht hatten. Einigen Berichten zufolge sind die beiden Mitglieder rechtsradikaler Gruppen.

Einwohner von Trappes, die mit den Medien sprachen, machten den tiefgehenden sozialen Unmut deutlich, der sich angesichts der sozialen Bedingungen und der Polizeibrutalität sowohl unter Sarkozy als auch unter Hollande entwickelt hat, und der keinen Ausdruck innerhalb des politischen Establishments findet. Einer sagte: "Wir haben die Nase voll von Polizeibanditen, die beim Spiel 'Wer kann am besten verschleierte Frauen verhaften' wetteifern."

Ein Einwohner von Trappes, dessen Auto während der Unruhen beschädigt worden ist, sagte Le Monde: "Sicherlich wird es wieder von Neuem losgehen. Aber die Chancen stehen Fifty-fifty, dass auch die Polizei versuchen wird Ärger zu machen. Wenn man hundertmal durchsucht worden ist, wird das Ding beim hundertersten Mal in die Luft gehen."

Ein anderer meinte: "Die ganze Stadt ist wütend. Glauben Sie, dass die Leute nur deshalb revoltieren, weil eine Polizeikontrolle schief lief? Es ist die gesamte Atmosphäre in Trappes, die uns dazu bringt, eine Revolution zu wollen."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.07.2013
Frankreich: Unruhen im französischen Trappes nach
Polizeifestnahme von verschleierter Frau und ihrer Familie
http://www.wsws.org/de/articles/2013/07/24/trap-j24.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2013