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GLEICHHEIT/5085: Türkei - Erdogans AKP gewinnt Kommunalwahlen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Türkei: Erdogans AKP gewinnt Kommunalwahlen

Von Peter Schwarz
1. April 2014



Die islamisch-konservative AKP von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan ist am Sonntag als Sieger aus den Kommunalwahlen in der Türkei hervorgegangen.

Erdogan selbst hatte die Wahlen zu einer Vertrauensabstimmung über seine Regierung erklärt, die in den vergangenen Monaten durch zahlreiche Korruptionsskandale erschüttert worden war und darauf mit zunehmend autoritären Maßnahmen reagiert hatte. Als Maßstab hatte er die 39 Prozent genannt, die die AKP 2009 bei der letzten Kommunalwahlen erhalten hatte.

Mit über 45 Prozent der abgegebenen Stimmen hat die AKP nun ein deutlich besseres Ergebnis erzielt. Sie blieb allerdings hinter dem Ergebnis der Parlamentswahlen von 2011 zurück, bei denen sie fast 50 Prozent bekommen hatte. Auch die beiden größten Städte des Landes, Istanbul und Ankara, konnte die AKP für sich gewinnen, wobei das Ergebnis in Ankara äußerst knapp ausfiel. Hier lag der AKP-Kandidat nur ein Prozent vor seinem Konkurrenten von der kemalistischen CHP.

Die Wahlbeteiligung erreichte in der polarisierten politischen Atmosphäre mit über 90 Prozent einen Rekordwert. Wähler standen teilweise stundenlang an, um ihre Stimme abzugeben. Im Südosten des Landes wurden bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhängern rivalisierender Kandidaten acht Menschen getötet und etwa 60 verletzt.

Es wird nun erwartet, dass Erdogan im August dieses Jahres zur Präsidentenwahl antritt oder bis zur Parlamentswahl 2015 - und möglicherweise auch darüber hinaus - im Amt bleibt. Für eine weitere Amtszeit als Regierungschef wäre allerdings eine Gesetzesänderung notwendig.

Befrieden wird der Wahlsieg der AKP die angespannte politische Lage in der Türkei allerdings nicht. Im Gegenteil, Erdogan wird noch autoritärer gegen seine politischen Gegner und gegen die Arbeiterklasse vorgehen und versuchen, einen Krieg gegen Syrien zu provozieren.

Sonntagnacht trat der Regierungschef in Begleitung seiner Frau Emine, seiner Tochter Sümeyye und seines in eine Korruptionsaffäre verwickelten Sohnes Bilal vor jubelnde Anhänger und drohte Syrien mit Krieg und seinen politischen Gegnern mit Vergeltung.

"Syrien befindet sich im Kriegszustand mit uns", sagte er. "Sie greifen unsere Flugzeuge an. Sie haben unsere Brüder zu Märtyrern gemacht. Können wir angesichts solcher Dinge schweigen?"

Seinen politischen Gegnern drohte er: "Sie werden dafür bezahlen! Ab morgen gibt es vielleicht Leute, die flüchten werden!" Man werde die Reihen der Feinde "durchdringen, und dann werden sie Rechenschaft ablegen müssen".

Diese Drohungen richten sich vor allem gegen die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, denen Erdogan vorwirft, sie hätten den Justiz- und Polizeiapparat durchdrungen, Korruptionsverfahren gegen Regierungsmitglieder veranlasst und kompromittierende Telefongespräche auf Internetplattformen veröffentlicht. Bereits vor den Wahlen hatte er Tausende Polizisten, Richter und Staatsanwälte versetzen lassen, die im Verdacht standen, Gülen-Anhänger zu sein, und die Internet-Dienste Twitter und Youtube blockiert, um weitere Kritik und Enthüllungen zu unterbinden.

Die Gülen-Bewegung hatte Erdogan ursprünglich unterstützt, sich dann aber mit ihm überworfen, als er auf Konfliktkurs zur israelischen Regierung ging, die Gezi-Park-Proteste unterdrückte, in Ägypten die Muslimbrüder und in Syrien islamistische Milizen unterstützte und darüber in Konflikt mit der US-Regierung geriet. Fethullah Gülen, der seit langem im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania lebt, unterhält enge Verbindungen zum außenpolitischen Establishment der USA.

Letztlich widerspiegelt der scharfe Konflikt zwischen Erdogan und Gülen wachsende Spannungen und Differenzen innerhalb der türkischen Bourgeoisie. Der Militärputsch in Ägypten, der von den imperialistischen Mächten geschürte Bürgerkrieg in Syrien und die scharfen Gegensätze, die über diese Fragen zwischen den Machthabern im Nahen Osten aufbrachen, haben Erdogans außenpolitischen Bemühungen den Boden entzogen, die Türkei "ohne Probleme mit den Nachbarn" zur führenden Regionalmacht aufzubauen.

Da die Gülen-Bewegung im Verborgenen agiert und nicht als politische Partei auftritt, hatte die kemalistische CHP gehofft, von den Problemen der AKP zu profitieren. Das ist ihr nicht gelungen. Sie erhielt nur 28 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die rechte, nationalistische MHP kam auf 15 Prozent. Die Kurdenpartei BDP konnte im Osten und Südosten Anatoliens hinzugewinnen.

Seit das Wahlergebnis bekannt ist, wird viel darüber spekuliert, weshalb die AKP trotz der Gezi-Proteste, der Korruptionsskandale, ihrer verbrecherischen Rolle im syrischen Bürgerkrieg und ihrer zunehmend autoritären Herrschaft die Wahlen gewinnen konnte.

Einige Kommentare verweisen auf Wahlfälschungen, die Knebelung der Presse und die Benachteiligung der Oppositionsparteien in den Medien. Solche Faktoren mögen eine Rolle spielen, können aber das Ergebnis alleine nicht erklären. Viel wichtiger ist das Fehlen jeder glaubwürdigen Opposition.

Die kemalistische CHP, die nationalistische MHP und die Kurdenpartei BHP sind rechte bürgerliche Parteien, die sich in der einen oder anderen Form an den imperialistischen Mächten und dem Finanzkapital orientieren und der Maße der Bevölkerung keine soziale Perspektive bieten. Die zahlreichen pseudolinken Bewegungen, die in der Türkei aktiv sind, ordnen sich alle der einen oder anderen dieser bürgerlichen Parteien unter.

Die elfjährige Herrschaft Erdogans wird von vielen Wählern mit dem wirtschaftlichen Aufschwung seiner Regierungszeit identifiziert. Von den Oppositionsparteien, insbesondere von der kemalistischen CHP, erwarten sie höchstens, dass die Lage schlechter wird.

Die AKP-Regierung hat trotz ihrer unbestreitbaren Korruption auch in soziale und Infrastrukturprojekte investiert. So wuchs der Anteil des Gesundheitssystems am BIP zwischen 2004 und 2009 von 3,9 auf 5,1 Prozent. Über 10 Millionen verfügen inzwischen über die "Grüne Karte", die Mittellosen einen beschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung gibt. 2003 waren es nur 2,5 Millionen. Auch die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser und der öffentliche Nahverkehr hat sich verbessert.

Diese Errungenschaften sind allerdings auf Sand gebaut. Der wirtschaftliche Aufschwung beruhte maßgeblich auf ausländischen Investitionen, die angesichts der Krise in der Region wieder abgezogen werden. Das Wirtschaftswachstum geht deutlich zurück. Bei einer offiziellen Arbeitslosenrate von fast zehn Prozent und enorm niedrigen Löhnen wird dies rasch zu heftigen sozialen Auseinandersetzungen führen und die Arbeiterklasse in Konflikt mit der autoritären Herrschaft Erdogans bringen.

Die entscheidende Aufgabe besteht jetzt darin, eine Partei aufzubauen, die den Arbeitern in diesen Kämpfen eine internationale, sozialistische Perspektive gibt.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.04.2014
Türkei: Erdogans AKP gewinnt Kommunalwahlen
http://www.wsws.org/de/articles/2014/04/01/tuer-a01.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2014