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GLEICHHEIT/5254: Wachsende Wut über Austeritätspolitik bringt französische Regierung zu Fall


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Wachsende Wut über Austeritätspolitik bringt französische Regierung zu Fall

Von Alex Lantier
27. August 2014



Auf Wunsch von Präsident François Hollande entließ Premierminister Valls am Montag die gesamte Regierungsmannschaft, um führende Minister loszuwerden, die die unpopuläre Austeritätspolitik des Sozialistischen Präsidenten kritisiert hatten.

Am Wochenende hatten Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und Bildungsminister Benoit Hamon in Interviews in Le Monde, bzw. Le Parisien, und zusammen auf einem Treffen der PS am Sonntag in Frangy-en-Bresse Hollandes Sparkurs als selbstmörderisch und von Deutschland diktiert verurteilt.

Die beiden Minister sprechen für wachsende Teile der französischen herrschenden Klasse, die mit Hollande unzufrieden sind und eine soziale Explosion fürchten, da sich die europäische Wirtschaft am Rande einer deflationären Abwärtsspirale befindet, die durch Sanktionen gegen Russland als Reaktion auf die Ukraine-Krise noch verschlimmert wird.

Obwohl die französische Wirtschaft stagniert, Umfragen zufolge 80 Prozent der Befragten die PS ablehnen und der Rückhalt der Front National (FN) weiterhin ansteigt, hält Hollande an den unpopulären Sozialkürzungen in zweistelliger Milliardenhöhe fest.

"Der Gewaltmarsch zum Abbau des Haushaltsdefizits ist ein wirtschaftlicher Irrweg, eine finanzielle Absurdität und eine politische Katastrophe," sagte Montebourg in Le Monde und fügte hinzu, der Kurs treibe die französische Bevölkerung extremistischen Parteien in die Arme.

Hamon kritisierte Hollandes Austeritätspolitik in Le Parisien und warf Berlin vor, seine eigenen selbstsüchtigen Interessen in der Europäischen Union zu verfolgen. "Die Nachfrage zu stärken ist die Grundlage für den Erfolg der Angebotspolitik, die wir in den letzten zwei Jahren betrieben haben. Wir können der französischen Bevölkerung nichts verkaufen, wenn sie nicht genug Geld hat", sagte er.

Hamon fügte hinzu: "[Bundeskanzlerin Angela] Merkel darf nicht die einzige sein, die die Agenda der europäischen Politik bestimmt. Deutschland verfolgt nicht die Interessen Europas, sondern seine eigenen."

Montebourg schloss sich in seiner Rede in Frangy-en-Bresse auf dem Treffen der Parteilinken der Sozialistischen Partei Hamons Kritik an Deutschland an. "Frankreich ist die zweitgrößte Wirtschaft der Eurozone, die fünftstärkste Wirtschaftsmacht der Welt, und es beabsichtigt nicht, sich an den exzessiven Obsessionen Deutschlands zu orientieren, meine Damen und Herren", sagte er. "Deshalb ist für Frankreich die Zeit gekommen, im Namen des Überlebens der Europäischen Union gerechten und vernünftigen Widerstand zu leisten."

Montebourg und Hamon bringen ihre Kritik innerhalb der PS vor und akzeptieren den reaktionären Rahmen der EU. Sie drücken die Hoffnung von Teilen des französischen Kapitals aus, dass Paris eine noch lockerere Geldpolitik betreibe, als die Obama-Regierung in den USA. Montebourg hat letzten Monat ein Beratergremium geschaffen, um "nach Wachstum zu suchen," dem Ökonomen wie Joseph Stiglitz, Philippe Martin von der amerikanischen Federal Reserve und Professor Jean-Paul Fitoussi von der Pariser Hochschule Sciences-Po angehören.

Hollande und Valls machten am Montag deutlich, dass solche Äußerungen inakzeptabel seien. Das Büro des Premierministers erklärte, Montebourg habe eine "gelbe Linie" überschritten. Nach dem Rücktritt der Regierung lud Valls die Minister einzeln zu Gesprächen ein. Montebourg, Hamon und Kulturministerin Aurelie Filippetti verzichteten darauf, erneut ins Kabinett einzutreten Die Ernennung neuer Minister wird für Dienstag erwartet.

Montebourg gab nach seinem Rücktritt eine längere Pressekonferenz. Er erklärte, er habe versucht, "den Präsidenten zu überzeugen und zu beschwören," seine Politik zu ändern; weiter erklärte er: "Wir haben eine hohe und gemeinsame Verantwortung, diesen Rückgang der Wirtschaft aufzuhalten." Er bezeichnete die Sparpolitik als unfair, "da sie die Mittelschicht und die breite Masse trifft, die nicht für die Krise verantwortlich ist". Er warnte, sie stelle eine Gefahr für die Demokratie dar. "Diesen Weg stur fortzusetzen, würde die Republik gefährden," sagte er.

In Frankreich und ganz Europa entwickelt sich eine Krise der kapitalistischen Herrschaft. Die EU und die wichtigsten bürgerlichen "linken" Parteien, die an ihrem Aufbau beteiligt waren, wie die französische PS, sind zutiefst diskreditiert.

Montebourgs Inszenierung als "linker" Retter der Demokratie vor dem Neofaschismus und als Alternative zu Hollande ist ein politischer Betrug. Genau wie die gesamte PS-Regierung ist er Washington und Berlin auf dem Fuße gefolgt, als diese in der Ukraine sich auf faschistische Milizen stützten, um in Kiew einen Putsch zu organisieren und danach jeden Widerstand gegen das prowestliche Marionettenregime in der Ukraine niederzuschlagen. Seine wirtschaftlichen Vorschläge bestehen im wesentlichen daraus, Kredite zu erleichtern und größere Konjunkturpakete und Bankenrettungen aufzulegen.

Durch diese Politik wurden zwar die amerikanischen Banken gerettet und der Lebensstandard des begüterten Kleinbürgertums erhöht, allerdings hat sie zur Senkung von Löhnen und Sozialausgaben geführt, um das Geld einzutreiben, das den Banken überlassen wurde. Solche reaktionären Programme, die von Obamas Demokratischer Partei, Montebourgs Verbündeten in der PS und pseudolinken Gruppen wie der griechischen SYRIA und der französischen Neuen Antikapitalistische Partei (NPA) unterstützt wurden, sind nur ein anderer Weg, um der Arbeiterklasse die finanzielle Last für die Krise des Kapitalismus aufzubürden.

Montebourg spricht nicht als Alternative zum niedergehenden europäischen Kapitalismus, sondern als Vertreter von Teilen des französischen Kapitals, die enttäuscht sind, dass Hollande nach seinem Wahlsieg 2012 nicht mehr dafür getan hat, die Politik der EU in die Richtung von Konjunkturprogrammen und größeren Rettungspaketen für die Banken zu drücken, und von den Kürzungen wegzulenken, die Berlin durchsetzt.

Ein anonymer unzufriedener PS-Funktionär äußerte vor zwei Wochen in der Presse: "Wenn Frankreich die europäische Wirtschaftspolitik verändern will, wird es das nicht erreichen, indem es bei Deutschland bettelt. Das Problem ist, dass wir die Chance nicht genutzt haben, die wir 2012 hatten. Ganz Südeuropa hat auf Frankreich gewartet und war bereit uns zu folgen. Francois Hollande hat es stattdessen vorgezogen, ohne Diskussion den Stabilitätspakt zu unterzeichnen und das Haushaltsdefizit auf drei Prozent zu senken. Frankreich hat seinen ganzen Einfluss verloren. Seither ist Italien seinen eigenen Weg gegangen. Spanien hat sich hinter Deutschland gestellt. Niemand erwartet mehr etwas von Frankreich."

Unter der Oberfläche sind jedoch innerimperialistische Spannungen entstanden. Große Teile der französischen herrschenden Klasse und des politischen Establishments sehen die Stärke Deutschlands als Bedrohung an. Deutschland, Europas wettbewerbsfähigste Wirtschaft, hat von der EU-Politik der Kreditverknappung und Austerität profitiert und konnte sein BIP verteidigen und Arbeitsplätze erhalten, während in Frankreich und Südeuropa Volkswirtschaften zusammengebrochen sind und die Arbeitslosigkeit gestiegen ist.

Im Laufe des letzten Jahres hat sich Berlin außerdem seine Außenpolitik remilitarisiert und sich zusammen mit den USA im Ukraine-Konflikt aggressiv gegen Russland gestellt. Dieser Konflikt droht Europas enge wirtschaftliche Beziehungen mit Russland zu gefährden und sich zu einem offenen Krieg zwischen Atommächten zu entwickeln.

Unter diesen Bedingungen ist eine Koalition aus unterschiedlichen Kräften aus dem ganzen Spektrum der bürgerlichen französischen Politik entstanden, die eine aggressivere und unabhängigere Politik fordert. Bezeichnenderweise hat die neofaschistische Front National eine führende Rolle dabei gespielt. FN-Führerin Marine Le Pen hatte bei einem Besuch in Moskau eine Rede gehalten, in der sie die Feindschaft der EU gegenüber Russland in der Ukraine-Krise kritisierte. Die FN hat ein Wirtschaftsprogramm entwickelt, das den Austritt aus der Eurozone und der EU sowie die Rückkehr zu seiner nationalen Währung fordert.

In der PS und an ihrer politischen Peripherie sind ebenfalls nationalistische Stimmen laut geworden, die verhaltene Kritik an Hollandes Unterstützung für die Austerität der EU und die Konfrontation der Nato mit Russland üben. Montebourg präsentierte sich zynisch als Verteidiger von Made in France und der französischen Industrie, während er Fabriken schließen ließ, Jean-Luc Melenchon von der Linksfront versuchte sich mit verhaltener Kritik an dem faschistischen Putsch in der Ukraine von der PS zu distanzieren.

Bezeichnenderweise kämpfte Hollande trotz der Ukraine-Krise um ein Festhalten an dem 2010 vereinbarten Verkauf der Helikopterträgerschiffe der Mistral-Klasse an Russland. Zu dem Zeitpunkt war der Verkauf als Warnung gedacht, sowohl an die USA, dass Frankreich keinen Krieg mit Russland wolle, und an Deutschland, dass Frankreich nicht zulassen werde, dass es Russland wirtschaftlich dominiert.

Die zunehmende Gefahr von Krieg und wirtschaftlichem Zusammenbruch in ganz Europa hat die bitteren innerimperialistischen Konflikte in der Eurozone wieder in den Vordergrund gerückt und die kurzlebige Regierung von Premierminister Manuel Valls als Opfer gefordert.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.08.2014
Wachsende Wut über Austeritätspolitik bringt französische Regierung zu Fall
http://www.wsws.org/de/articles/2014/08/27/fran-a27.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2014