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GLEICHHEIT/5548: Europäische Elite diktiert Griechenland ihre Bedingungen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europäische Elite diktiert Griechenland ihre Bedingungen

Von Nick Beams
4. Juni 2015


Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone und ein möglicher Zusammenbruch der Syriza-Regierung rücken in greifbare Nähe. Gestern unterbreiteten die Kreditgeber in Brüssel dem Premierminister Alexis Tsipras einen Vorschlag, der als allerletztes Angebot bezeichnet wird und die Bedingungen der Schuldenrückzahlung diktiert.

Im Vorfeld des Treffens zwischen Tsipras und Jean-Claude Juncker, dem Präsident der Europäischen Kommission, hatten sich die Gläubiger bei einem kleinen Gipfel im Berliner Kanzleramt am Montagabend bereits auf ihre Forderungen geeinigt.

Bei dieser Zusammenkunft nahmen Juncker, der französische Präsident Francoise Hollande, der Präsident der europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Christine Lagarde teil. Sie versuchten die Differenzen zwischen dem IWF, der EZB und der Europäischen Kommission - den sogenannten "Institutionen" - über die Forderungen an Griechenland zu glätten. Ihre Bedingungen sind die Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Kredittranchen, die das Land benötigt.

Griechenland hat seit dem vergangenen Sommer keine Rettungsgelder mehr erhalten und stattdessen die Schulden mit den Mitteln der staatlichen Einrichtungen, Krankenhäusern, Schulen und Botschaften bedient.

Am Freitag muss Griechenland an den IWF 300 Millionen Euro zahlen. Nach eigenen Worten kann die Regierung dieser Verpflichtung noch nachkommen. Doch es sei fraglich, ob weitere Zahlungen geleistet werden können, bevor neue Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Bis zum Ende des Monats muss das Land insgesamt 1,6 Milliarden Euro an den IWF auszahlen. Sollten die Gläubiger nicht die 7,2 Milliarden Euro an Kreditzahlungen freigeben, die im laufenden Rettungsprogramm noch ausstehen, dann droht Griechenland der Bankrott. Das könnte den Austritt aus der Eurozone nach sich ziehen.

Vor dem Berliner Treffen hatte Tsipras einen Plan eingereicht, den er als umfassenden Vorschlag bezeichnete. Er kommentierte seinen Plan mit einigen hohlen Phrasen, die charakteristisch für seine öffentlichen Äußerungen sind. "Nachdem wir einen vollständigen Vorschlag für eine Einigung eingereicht haben [...] warten wir darauf, dass sie [die 'Institutionen'] uns ihren eigenen Plan überreichen [...] Griechenland hat einige Vorschläge unterbreitet und Zugeständnisse gemacht. Das ist normal in Verhandlungen, aber unser Plan für einen Ausweg aus der Krise ist realistisch."

Die griechischen Vorschläge wurden jedoch kurzerhand abgewiesen. Einige offizielle Vertreter kritisierten sie als unzureichend und nicht einmal offiziell vorgelegt.

Im Laufe des Berliner Treffens einigten sich die Vertreter der Troika darauf, dass die Bedingungen an Griechenland die Regierung dazu verpflichten muss, die sogenannten umfassenden "Reformen", die vom IWF gefordert werden, durchzusetzen. Gleichzeitig solle keine Schuldenerleichterung für die Verpflichtungen bei der Europäischen Union angeboten werden.

Der IWF hatte eine Art Abschreibung der Schulden befürwortet. Doch er stieß damit auf massiven Widerstand von Merkel, da die EU den Großteil der Schulden tragen muss. Offenbar hat Merkel ihren Willen durchgesetzt.

Nach der Zusammenkunft wurden keine Details bekannt gegeben, doch am nächsten Tag machte Detlef Seif, Obmann und Haupteinpeitscher der CDU/CSU im parlamentarischen Europaausschuss, deutlich, dass keine weiteren Zugeständnisse gemacht werden.

"Die Griechen müssen erkennen, dass in der Europäischen Union keine Bereitschaft besteht, eine Transferunion zu gründen. Alleine Griechenland hat es in der Hand, ob die Voraussetzungen für weitere Hilfen erfüllt werden oder das Land den harten und steinigen Weg über den 'Pariser Club' gehen muss, der für bankrotte Staaten vorgesehen ist."

Mit der Einigung am Montag wurde Tsipras' Versuchen, zwischen den "Institutionen" zu manövrieren und die geringfügigen Differenzen über die Maßnahmen gegen Griechenland auszunutzen, offenbar ein Riegel vorgeschoben.

Die Syriza-Regierung hat einem primären Haushaltsüberschuss - vor der Zahlung der Zinsen und dem Kapital der staatlichen Darlehen - von 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr zugestimmt, der im nächsten Jahr auf 1,5 Prozent ansteigen soll. Syriza argumentiert, dass ein noch höherer Überschuss das Land in eine tiefe Rezession treiben würde.

Doch die "Institutionen" fordern einen mittelfristigen Haushaltsüberschuss von 3,5 Prozent des BIP; in manchen Berichten ist gar von 4,5 Prozent die Rede.

Außerdem besteht der IWF darauf, dass die Renten weiter gekürzt werden und der griechische Rentenfonds nicht ins Defizit abrutscht.

Jeroen Dijsselbloem, der Vorsitzende der Euro-Finanzminister, machte deutlich, dass "die Institutionen" immer noch Tsipras und seine Syriza-Regierung als beste Option ansehen, um ihr Spardiktat durchzusetzen. Es habe vermehrt Anzeichen gegeben, dass Griechenland an einer Einigung interessiert ist, erklärte er. Doch erfordere dies von der Regierung eine deutliche Erklärung gegenüber den Wählern, dass sie nicht in der Lage ist, ihre Wahlversprechen zu erfüllen.

"Es gibt Anzeichen, dass Griechenland und Tsipras einen Durchbruch erzielen wollen", sagte Dijsselbloem. "Wir sind noch nicht weit gekommen und die Zeit rennt. Das Fazit lautet, dass wir ihnen nicht entgegenkommen werden. Das Paket als Ganzes muss hinsichtlich der Budgetbedingungen Sinn machen."

Auch wenn eine Einigung am Freitag zustande kommen würde, warnte er, könnte sich eine mögliche Entscheidung, die Rettungsgelder auszuzahlen, noch Wochen hinziehen.

In der gegenwärtigen Situation kommt die Frage hinzu, ob Tsipras aufgrund seiner geringfügigen Mehrheit im Parlament in der Lage ist, die Regierung zusammenzuhalten.

"Die wichtigste Frage war immer, ob Tsipras es [das Sparprogramm] im Inland verkaufen und seine Parlamentsmehrheit halten kann", erklärte der Chef der Europaabteilung in der Eurasia Group für Risikoberatung, Mujtaba Rahman, der Financial Times. "Wenn Tsipras zwölf oder mehr Abgeordnete verliert, dann werden Kapitalverkehrskontrolle, Zahlungsverzug und ein Grexit immer wahrscheinlicher."

Syrizas Parlamentssprecher Nikos Filis sagte im griechischen Fernsehen, dass Griechenland kein Ultimatum seiner Gläubiger akzeptieren werde. "Wenn wir über ein Ultimatum sprechen, [...] das nicht dem Mandat der Bevölkerung entspricht, so muss klar sein, dass die Regierung es nicht unterzeichnen und annehmen kann."

Diese Worte sind nichts als Augenwischerei. "Die Institutionen" haben sich niemals auf Verhandlungen eingelassen, sondern von Anfang an eine Reihe von Ultimaten gestellt. Syriza hingegen hatte schon am 20. Februar das Mandat der Bevölkerung gebrochen und eingewilligt, den Forderungen nachzukommen.

Filis erklärte, dass Griechenland Neuwahlen abhalten sollte, wenn zwölf oder mehr Abgeordnete gegen die jüngsten Forderungen stimmen. Doch Neuwahlen oder gar die Durchführung eines Referendums sind bei weitem nicht die einzigen Optionen. Eine politische Krise könnte ebenso zur Bildung einer Koalitionsregierung führen, die sich auf das amtierende Parlament stützt.

Mitglieder der "linken" Fraktion in Syriza, der sogenannten Linken Plattform, die unterschiedliche pseudolinke Tendenzen umfasst, einige Schlüsselpositionen in der Regierung besetzt und mit der Tsipras-Führung zusammenarbeitet, machen sich zusehends Sorgen darüber, dass der Widerstand der griechischen Arbeiter gegen weitere Abkommen auch den Rest ihrer noch vorhandenen Glaubwürdigkeit hinwegfegen könnte.

Folglich versuchen sie, die Opposition zu mimen. Panos Skourletis, Arbeitsminister und Mitglied der Linken Plattform, sagte, dass die Regierung ihr Bestes gegeben hat, um den Forderungen der Gläubiger nachzukommen. "Die griechische Regierung hat so viele Zugeständnisse gemacht, wie ihr möglich ist. Es gibt keinen Spielraum für mehr Zugeständnisse", erklärte er.

Anfang der Woche versuchte die Linke Plattform ihrer Position mit ein paar politischen Gesten mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Eine Gruppe von 40 Abgeordneten zwangen Finanzminister Janis Varoufakis, seine Kandidatin für den Posten als neue griechische Delegierte beim IWF zurückzuziehen. Die Ablehnung der Kandidatin Elena Panaritis wurde damit begründet, dass die Ökonomin und einstige PASOK-Abgeordnete die Sparmaßnahmen der letzten Regierung unterstützt hatte.

In einem Kommentar für die Financial Times analysierte Martin Wolf am Dienstagmorgen die langfristigen Folgen eines griechischen Austritts aus der Eurozone. "Es ist [...] kaum zu überschätzen, welche Bedeutung der Austritt eines Landes - selbst eines so kleinen und lästigen Landes wie Griechenland - für das Europrojekt (egal wie fehlgeleitet) und die europäische Integration der Nachkriegsperiode haben würde. Wenn der Euro einmal als reversibel angesehen wird, dann werden auch die wirtschaftlichen Kräfte, die die Integration vorantreiben, rückläufig. Jede Krise könnte potenziell einen tödlichen Ausgang nehmen.", schrieb Wolf.

Er verwies auf "riesige Fehler", die im Vorfeld und seit Ausbruch der griechischen Krise begangen worden seien. Wolf appellierte an die Beteiligten, diese groben Fehler zu erkennen und aus ihnen zu lernen. Doch weit davon entfernt, dass sich die "sanfte Stimme der Vernunft" durchsetzt, wie Wolf und andere hoffen mögen, deuten die Ereignisse der letzten Tage darauf hin, dass sich die Wirtschaftskrise verschärft und die sozialen und politischen Konflikte zuspitzen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 04.06.2015
Europäische Elite diktiert Griechenland ihre Bedingungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2015

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