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GLEICHHEIT/5596: Griechisches Parlament bewilligt EU-Spardiktat


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechisches Parlament bewilligt EU-Spardiktat

Von Chris Marsden
17. Juli 2015


Am frühen Donnerstagmorgen sprach sich das griechische Parlament für das brutale Sparprogramm aus, auf das sich Ministerpräsident und Syriza-Parteichef Alexis Tsipras am letzten Wochenende mit Vertretern der Eurozone geeinigt hatte.

Es bestand nie ein Zweifel daran, dass das Programm bewilligt würde. Das Gesetz wurde mit einer deutlichen Mehrheit von 229 zu 64 Stimmen angenommen, sechs Abgeordnete enthielten sich. Die drei Parteien, die den Sparkurs offen begrüßen - Nea Dimokratia, Pasok und To Potami - unterstützten den Gesetzentwurf der Regierung. Mit "Nein" stimmten u.a. Abgeordnete der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und die faschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), sowie 32 Syriza-Abgeordnete.

Außerhalb des Parlaments wuchs die Wut über Tsipras verräterisches Abkommen. Die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, Adedy, organisierte am Mittwochmorgen einen vierstündigen Streik. Am Abend fanden mehrere Protestveranstaltungen in Athen und Thessaloniki statt. Der Gewerkschaftsbund Pame, der mit der KKE verbunden ist, führte während der Parlamentsdebatte eine verhältnismäßig große Protestveranstaltung durch. Auch Antarsya und anarchistische Gruppen organisierten Demonstrationen.

Die Regierung mobilisierte die Bereitschaftspolizei gegen die Demonstranten. Diese warfen mit Molotowcocktails. Die Polizei setzte Tränengas ein. Zu den Opfern der Polizei gehörten auch Mitglieder der Jugendorganisation von Syriza.

Doch im Parlamentsgebäude konnte sich Tsipras zusätzlich zu den Stimmen der drei Pro-Austeritäts-Parteien auch die Stimmen seines rechten Koalitionspartners, der Unabhängigen Griechen, sichern. Die Syriza-geführte Koalition hat unter Arbeitern und Jugendlichen zu einem Ausmaß an Leid geführt, dass sogar Griechenlands Peiniger in Berlin davon sprechen, die von ihnen geforderten Sparmaßnahmen mit "humanitärer Hilfe" zu verbinden.

Alle Augen waren auf Syrizas Linke Plattform und auf die Frage gerichtet, ob die erwarteten Abweichungen groß genug wären, um Tsipras zum Rücktritt und zu Neuwahlen zu zwingen. Im Vorfeld hatte Tsipras Berichten zufolge mit Präsident Prokopis Pavlopoulos telefoniert. Zur gleichen Zeit wurde darüber spekuliert, ob eine Rebellion von 40 Abgeordneten als Misstrauensvotum gewertet werden könnte.

Tsipras erklärte seinen Abgeordneten, dass die Ablehnung des Abkommens einen rechten Putsch darstellen würde, der darauf abziele, zu beweisen, dass eine "Anti-Austeritäts-Regierung" nur ein "linkes Zwischenspiel" gewesen sei. Syriza-Sprecher Nikos Filis unterstützte ihn und warnte: "Wenn die Syriza-Regierung scheitert, tut ihr [Bundesfinanzminister] Schäuble und den konservativen Kreisen in Europa einen Gefallen."

Die Absurdität und Scheinheiligkeit dieser Äußerungen lässt sich kaum in Worte fassen. Syriza, die angeblich "linke" "Anti-Austeritäts"-Regierung, die aufgrund ihrer Versprechen gewählt wurde, den Sparkurs der EU zu beenden, setzt Angriffe auf die Arbeitsplätze, Renten und den Lebensstandard der griechischen Arbeiter durch, die weit über alles hinausgehen, was ihre Vorgängerregierungen beschlossen haben. Sie hat außerdem einer de-facto-Diktatur der "Troika" aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank zugestimmt, die totalitärer und umfassender sein wird als das Regime, das sie angeblich beenden wollte. Und außerdem hat sie zugestimmt, Staatseigentum in Höhe von 50 Milliarden Euro einer von Deutschland kontrollierten Treuhandgesellschaft zu übergeben, die es an private Spekulanten verkaufen und von einem Großteil der Erlöse Griechenlands Gläubiger bezahlen wird.

Der Parteichef der Unabhängigen Griechen, Panos Kammenos, unterstützte Filis' Appell an Syriza-Abgeordnete, "gegen ihr eigenes Gewissen" zu stimmen und erklärte: "Wir müssen gegen unser Gewissen und für das Abkommen stimmen."

Vor der Parlamentssitzung wurden Anzeichen für Widerstand erkennbar. Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou, die letzten Freitag gegen die Regierung gestimmt hatte, wurde auf Tsipras' Anweisung ihres Postens enthoben. Die stellvertretende Finanzministerin Nadia Valavani trat von ihrem Posten zurück und erklärte, es sei ihr "nicht möglich", Mitglied einer Regierung zu sein, die so brutale Sparmaßnahmen durchsetzt. Auch der Generalsekretär des Finanzministeriums, Manos Manousakis, trat zurück. Eine Mehrheit des Zentralkomitees von Syriza, 109 der 201 Mitglieder, darunter fünfzehn Abgeordnete, stimmten gegen das Abkommen.

Dennoch konnte sich Tsipras die Unterstützung eines Großteils seiner Partei sichern. Bei denjenigen, die mit "Nein" gestimmt haben, deutet nichts darauf hin, dass dies mehr war als ein verspäteter Versuch, mit einem symbolischen Protest ihr Gesicht zu wahren. Beispielhaft für die Feigheit und Prinzipienlosigkeit der Linken Plattform, die Tsipras bis zum bitteren Ende unterstützte, war Energieminister Panagiotis Lafazanis. Er erklärte, er werde gegen das Abkommen stimmen, aber nicht versuchen, die Regierung zu stürzen.

Zur Strafe dafür wird er vermutlich im Rahmen einer Kabinettsumbildung abgesetzt. Deren Ziel ist es, selbst die schwächsten Kritiker zu entfernen und das Kabinett mit Personen zu besetzen, die bereit sind, alle Sparmaßnahmen umzusetzen, die von der EU gefordert werden. Vier Minister, die sich gegen die Bedingungen des jüngsten Rettungspakets ausgesprochen haben, werden fast mit Sicherheit ihrer Ämter enthoben. Andere, wie Arbeitsminister Panos Skourletis, werden ihre Plätze einnehmen.

Selbst nach einer Kabinettsumbildung bleibt Tsipras' Stellung prekär. Die Regierung könnte noch immer scheitern, und es könnte schon im Herbst zu Neuwahlen kommen. Nea Dimokratia kündigte an, die Regierung nur solange zu unterstützen, bis die Rettungsmaßnahmen Gesetz geworden sind. To Potami-Chef Stavros Theodorakis erklärte, dass sich seine Partei mit ihren siebzehn Abgeordneten an keiner Koalitionsregierung mit Syriza beteiligen werde.

Die Zustimmung zu dem Abkommen wird Griechenlands Abstieg in die Finanzhölle nicht aufhalten, sondern den Prozess weiter beschleunigen.

Der Internationale Währungsfonds war bei seiner eigenen Analyse der Tragfähigkeit der Schulden zu dem Ergebnis gekommen, dass "Griechenlands Staatsschulden untragbar geworden sind... Der Finanzierungsbedarf bis Ende 2018 wird auf 85 Milliarden Euro geschätzt, und die Verschuldung wird in den nächsten zwei Jahren auf ihrem Höhepunkt fast 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen, sofern nicht vorher eine Einigung für ein Entschuldungsprogramm zustande kommt. Griechenlands Schulden können nur durch Entschuldungsmaßnahmen nachhaltig gemacht werden, die weit über das hinausgehen, was Europa bisher bereit war, in Erwägung zu ziehen." Der IWF schlug ein 30 Jahre dauerndes Moratorium für Griechenlands Schulden vor.

Deutschland wird der Art von Hilfe, wie sie vom IWF vorgeschlagen wird, nicht zustimmen. Der IWF fordert seinerseits, dass die EU die notwendigen Finanzmittel aufbringt.

US-Finanzminister Jack Lew hatte sich am Mittwoch mit EZB-Präsident Mario Draghi getroffen. Am Donnerstag traf er sich auch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Allerdings hat Deutschland Washingtons Appelle für einen Schuldenschnitt bisher abgelehnt.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.07.2015
Griechisches Parlament bewilligt EU-Spardiktat
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2015

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