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GLEICHHEIT/6322: Bewaffnung syrisch-kurdischer Milizen führt zu Spannungen zwischen der Türkei und den USA


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Bewaffnung syrisch-kurdischer Milizen führt zu Spannungen zwischen der Türkei und den USA

Von Bill Van Auken
12. Mai 2017


US-Präsident Donald Trump hat die Ermächtigung erteilt, die syrisch-kurdische Miliz YPG (Volksverteidigungseinheiten) direkt mit amerikanischen Waffen zu versorgen, und hat damit hitzige Protest der türkischen Regierung ausgelöst. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird in der nächsten Woche als Gast im Weißen Haus erwartet.

Aus Sicht des Pentagon ist die YPG die einzige Streitkraft vor Ort, die im Auftrag der USA den Islamischen Staat (IS) aus der nordsyrischen Stadt Rakka vertreiben kann. Die USA wollen nicht zulassen, dass die Stadt von syrischen Regierungskräften zurückerobert wird. Washington will die syrische Regierung stürzen und die Freie Syrische Armee, die von der CIA im Krieg für einen Regimewechsel unterstützt wurde, ist weitgehend besiegt und wird vom syrischen Ableger von Al-Qaida und ähnlichen Gruppen dominiert.

Washington hat bereits zuvor unter der Regierung Obama indirekt Waffen an die kurdischen Milizen geschleust. Dies geschah über die sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte, zu denen die YPG sowie ein viel kleineres syrisch-sunnitisch-arabisches Kontingent zählen. Zudem wurden Hunderte amerikanische Sondereinsatztruppen in Syrien stationiert, um die kurdischen Milizen auszubilden und sie zu unterstützen.

Laut Angaben des Pentagon wird das US-Militär kleine Waffen, Munition, Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge und technische Ausrüstung an die YPG liefern. Der amerikanische Oberst John Dorrian, ein Sprecher des US-Militärs in Bagdad, sagte, die Waffen lägen bereit und könnten der kurdischen Miliz "sehr schnell" geliefert werden.

Die Erdogan-Regierung vertritt die Position, die YPG sei ein Zweig der illegalen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die seit über dreißig Jahren mit Unterbrechungen einen Guerillakrieg in der Türkei führt. Nicht nur Ankara, sondern auch Washington und die EU listen die PKK als "terroristische Organisation".

Die türkische Regierung befürchtet, dass die Krise in Syrien, die sie mit ihrer Unterstützung islamistischer "Rebellen" in dem über sechsjährigen Krieg für einen Regimewechsel mit verursacht hat, der Schaffung eines autonomen kurdischen Territoriums an der südlichen Grenze der Türkei den Weg bereiten werde. Im vergangenen Jahr schickte Erdogan unter dem Vorwand, gegen den IS vorzugehen, Truppen nach Syrien. In sollten sie einen Keil zwischen die kurdischen Verwaltungsbezirke im Osten und Westen Nordsyriens treiben.

Am 25. April haben türkische Kampfflugzeuge Luftschläge gegen YPG-Positionen in Nordsyrien ausgeführt, bei denen mindestens zwanzig kurdische Kämpfer getötet wurden. Washington verurteilte den Angriff und reagierte mit der Entsendung von Hunderten amerikanischen Soldaten, ausgestattet mit Stryker-Radschützenpanzern, die einen Puffer zwischen den türkischen Einheiten und den syrischen Kurden bilden sollen.

Das Ausmaß der Spannungen zwischen Washington und Ankara wurde vergangene Woche deutlich, als der türkische Präsidentenberater Ilnur Çevik in einem Radiointerview warnte, falls die YPG und ihre amerikanischen Berater zu weit gingen, würden sich "unsere Soldaten nicht darum kümmern, ob amerikanische Waffen und gepanzerte Fahrzeuge dort sind. ... Ein paar Raketen könnten sie plötzlich zufällig treffen."

Erdogan, dessen Besuch in Washington für den 16. Mai vorgesehen ist, erklärte: "Die Geduld der Türkei hinsichtlich der Bewaffnung der YPG durch die Vereinigten Staaten ist zu Ende. Ich hoffe, dass die Verbündeten der Türkei an unserer Seite stehen, nicht an der Seite terroristischer Organisationen."

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu sagte am Mittwoch während eines Besuches in Montenegro zu Reportern: "Sowohl die PKK als auch die YPG sind terroristische Organisationen und unterscheiden sich nur dem Namen nach. Jede Waffe, die sie erhalten, ist eine Bedrohung für die Türkei."

Inzwischen hat die CHP (Republikanische Volkspartei), die größte bürgerliche Oppositionspartei, Erdogan aufgerufen, seinen Besuch in Washington zu "überdenken". Die amerikanische Entscheidung habe die Türkei, so die CHP, in eine "schwache Position" gebracht.

Die Demütigung der türkischen Regierung durch die Trump-Regierung wurde durch die Anwesenheit einer türkischen Delegation verschärft, die in Washington Erdogans Besuch vorbereitete. Zu ihr gehörten Generalstabschef Hulusi Akar, Präsidentensprecher Ibrahim Kalin und Hakan Fidan, der Leiter des türkischen Inlandsgeheimdienstes Millî Istihbarat Teskilâti (MIT). Die drei trafen sich mit ihren amerikanischen Amtskollegen sowie mit Trumps Nationalem Sicherheitsberater General H.R. McMaster.

Die Washington Post zitierte am Mittwoch einen ungenannten Vertreter der Türkei, der sagte, der Trump-Regierung sei deutlich gemacht worden, "dass sich die Türkei das Recht vorbehalte, militärisch vorzugehen", und dass sie die Luftschläge intensivieren könnte.

Der amerikanische Verteidigungsminister James Mattis, der wenige Tage vor der Entscheidung, die YPG zu bewaffnen, in der Türkei war, wies die Proteste aus Ankara zurück. "Wir werden uns um alle Einwände kümmern", sagte er während eines Besuches in Litauen. "Wir werden sehr eng mit der Türkei zusammenarbeiten, um die Sicherheit ihrer südlichen Grenzen zu unterstützen. Es ist Europas Südgrenze, und wir werden eng verbunden bleiben."

Das Wall Street Journal gab am Mittwoch einen Hinweis darauf, was Mattis mit Unterstützung für die türkische Sicherheit konkret meint. Die Vereinigten Staaten, berichtete das Blatt, erweitern die Ressourcen eines sogenannten Gemeinsamen Geheimdienstzentrums, das die CIA und andere amerikanische Geheimdienste in Ankara betreiben, "um den türkischen Beamten dabei zu helfen, die PKK besser zu identifizieren und aufzuspüren". Berichten zufolge sollen die Kapazitäten des Zentrums verdoppelt und zugleich Drohnen sowie weiteres Gerät der US-Geheimdienste bereitgestellt werden.

Die amerikanischen Geheimdienste werden dem autoritären Regime Erdogans also dabei helfen, kurdische Kämpfer sowohl im benachbarten Irak als auch in der Türkei selbst aufzuspüren und zu töten. Alles deutet darauf hin, dass dieselben Ressourcen gegen die syrischen Kurden eingesetzt werden, sobald die YPG ihren Auftrag in Rakka ausgeführt hat.

Dass sich das Pentagon gegenwärtig im Kampf gegen den IS ( der selbst ein Produkt der amerikanischen Interventionen im Irak und Syrien ist) auf die kurdische Miliz stützt, ist nur eine zeitweilige taktische Initiative. Der US-Imperialismus führt einen langwierigen blutigen Feldzug mit dem Ziel, dem Nahen Osten seine Vorhherrschaft aufzuzwingen. Dabei schreckt er weder vor Invasionen noch vor Bombenabwürfen zurück und erzwingt mit militärischen Mitteln Regimewechsel.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.05.2017
Bewaffnung syrisch-kurdischer Milizen führt zu Spannungen zwischen der Türkei und den USA
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2017

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