Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/1085: Das bedingungslose Grundeinkommen - Signale aus der Nische


graswurzelrevolution 347, März 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

DISKUSSION
Ein Gespenst geht um:
Das bedingungslose Grundeinkommen - Signale aus der Nische


Ob das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ein Konzept ist, das uns beim Kampf gegen Lohnarbeit und (Selbst-)Ausbeutung weiter bringt, ist eine Frage, die auch in der Graswurzelrevolution heiß diskutiert wurde. Den Anfang machte im Oktober 2007 in der GWR Nr. 322 die Labournet-Redakteurin Mag Wompel. Auf ihren Artikel "Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) - eine unkapitalistische Forderung gegen den Fetisch Lohnarbeit" folgten zahlreiche kontroverse Diskussionsbeiträge. Daran knüpft nun Uwe Kurzbein (geb. 1942) mit seinem neuen "Signale aus der Nische"-Text an. Er arbeitet als Architekt, hat 1980 die anarchistische Kommune Lutter mitgegründet und lebt seit 1998 in der Gemeinschaft Olgashof bei Wismar. (1)
(GWR-Red)


Um eines vorwegzunehmen: Mit einer Kapitalismuskritik hat das ganze Unternehmen nichts zu tun: Ganz im Gegenteil, das Grundeinkommen glättet die Unruhe, die allenthalben durch Hartz IV entstanden ist. Andererseits könnte durch das Grundeinkommen auch die Entstehung von Parallelgesellschaften, die sich vom Staat abgekoppelt haben, möglich werden. Allein diese Aussicht lässt mich zu einem Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens werden.

Es ist mehr ein lästiges Thema, denn Grundeinkommen, so wie es zur Zeit diskutiert wird, dürfte in dieser reinen Form kaum durchsetzbar sein. Von wem denn auch? Und dennoch ist es hartnäckig. Die Forderung nach Grundeinkommen, der sich immer mehr Menschen anschließen, wird auch vom Unternehmer der dm-Märkte Götz Werner formuliert. Mit großformatigen Anzeigen und in Diskussionsrunden im großen HCC wird das Thema vorgestellt. Was schon mal zur Vorsicht mahnt. Wenn Unternehmer das Vorhaben plakatieren, kann sicher davon ausgegangen werden, dass sie am meisten davon profitieren.

Mittlerweile führt auch der ehemalige Ministerpräsident Althaus den Begriff im Munde, ebenso Westerwelle und andere. Während Althaus und Westerwelle die Grundbasis eher absenken wollen, schlägt Werner einen angemessenen, auskömmlichen Satz vor. Er hat sicherlich auch moralische, tugendhafte Motive.

An den Unterschieden der Mittelbeschaffung setzen die Kontroversen an. Werner will alle Produktionsnebenkosten über eine Mehrwertsteuer umlegen, ohne dass sich die Preise erhöhen. Das klingt logisch, weil ohnehin alle Kosten in dem Preis stecken. Allerdings befreit er den gesamten Export von der lästigen Beteiligung an den Sozialkosten. Das Sozialsystem wäre dann ausschließlich von dem Konsum abhängig. Der Konsum sollte jedoch nicht steigen, sondern sinken, denn jeder Konsum bedeutet Ressourcenvernichtung.

Im wahren Begeisterungstrubel der halblinken BefürworterInnen scheinen diese Argumente gar nicht kritisiert zu werden. Die Aussicht auf ständige 1.000 Euro, bedingungslos aufs Bankkonto überwiesen, lässt offensichtlich die träumenden Augen romantisch verklären.

1. Ist das Grundeinkommen ein Verteilungsmittel?

2. Verändert sich die Einkommenssituation der Armen und des Mittelstandes und der Kapitalinhaber?

3. Verschafft es den meisten arbeitenden Menschen eine Erleichterung?

4. Ist es eine Verbesserung der Hartz-EmpfängerInnen? Gibt es überhaupt kritische Denkansätze und würde sich mit der Einführung etwas Grundsätzliches verändern?

5. Sollen alle Menschen das Grundeinkommen bekommen? Mit dem Grundeinkommen ist bei Werner und anderen gemeint, dass alle vom Kind bis zum Alten, vom Millionär bis zum Hartz 4-Empfänger einen gleichen Geldbetrag bekommen sollen, der sich nach dem Lebensnotwendigen richtet. Gleichgültig, ob sie in einer Notlage sind oder im Saft schwelgen. Dahinter steckt der Gedanke, dass in einem reichen Land, wie z.B. der BRD, alle einigermaßen materiell sorgenfrei leben können sollen. Und zwar ohne Bedingungen. Die Frage, woher das Geld kommen soll, lasse ich hier offen. Es gibt viele Wege, die sich kreativ denken lassen.

In den letzten Tagen hat Werner Rätz, bekannt bei vielen Aktionen, hauptamtlich Attaci, in Wismar das Modell vorgestellt, das viele von ATTAC mittragen. Er hat formuliert, dass das Grundeinkommen bedingungslos sein muss, dass es global diskutiert und ausgehandelt werden soll, dass alle Menschen, die in dem Land leben, es bekommen sollen, also auch die MigrantInnen, Illegale oder staatenlose Menschen, und dass das Finanzamt am Jahresende, also nach der Zahlung über die allgemeinen Steuererklärungen, eine Korrektur vornehmen soll, indem alle anderen Einkünfte berücksichtigt werden.


Arm bleibt Arm

Als Verteilungsmittel zwischen Arm und Reich kann Grundeinkommen sicherlich nicht gesehen werden. Wenn alle das Gleiche bekommen, verschiebt sich die ökonomische Ungerechtigkeit um diese Summe für alle nach oben. Aber, ist es gerecht, wenn ein Erbe, der nichts zu seinem Wohlstand getan hat, nun vom Staat auch noch 1.000 Euro jeden Monat bekommt? Während andere, die nicht geerbt haben, oft nicht mehr als 1.000 Euro insgesamt zum Leben haben.

Und: Menschen, die, oft wegen der Raffgier ihrer ehemaligen Arbeitgeber, in die Existenznot getrieben wurden, können von dem Grundeinkommen sicher nicht ihren Verpflichtungen, wie Haus oder sonstige Schulden abbezahlen, nachkommen.

Eines der Hauptargumente ist, dass mit einem garantierten Grundeinkommen jeder seinen wirklichen Interessen nachgehen könne. Wir sollten uns ansehen, aus welcher Ecke diese Meinung kommt. Es sind die gebildeten Privilegierten, die heute im alternativen Szenemilieu zu Hause sind. Nach meiner Beobachtung verwirklichen sie sich schon heute.

Von den Hartzern, die seit 10 Jahren keine Arbeit und auch kaum Aussichten mehr haben, die von Weiterbildung zu Weiterbildung geschickt werden, die 1 Eurojobber,... von denen wird die Forderung nach einem Grundeinkommen in der Regel nicht aufgestellt.

Die wären vor allem froh, wenn die menschenverachtenden Gängeleien der Hartz-Behörden unterbleiben würden. Insofern wäre das Grundeinkommen auch für sie eine Verbesserung. Ihre materielle Lage würde sich dennoch nicht verbessern.

Wenn also das Grundeinkommen etwas nützen soll, dann muss es flankiert werden von freiwilligen Förderprogrammen, von Maßnahmen, die das Selbstbewusstsein stärken und die Emanzipation fördern. So könnten immer mehr Menschen die Verantwortung für sich selbst übernehmen und ihre Wünsche und Interessen leben. Um es kurz zu sagen: Allein ein Grundeinkommen einzuführen - das reicht bei weitem nicht aus. Es gehört viel mehr dazu.


Wie wollen wir leben?

Jede Veränderung, die mit finanziellen Mitteln und zugleich mit moralischen Erwartungen, Fantasien und Romantiken verbunden ist, setzt voraus, dass sich die Situation der Menschen in der Gesellschaft grundlegend ändert. Es müssen Freiräume entstehen, die dann auch von ALLEN genutzt werden können.

Die zentrale Frage jedoch, die jede/r für sich und wir als Gesellschaft dringend klären müssen, ist die, wie wir leben wollen. Was brauchen wir zum Leben? Und worauf wollen wir verzichten?

Mit anderen Worten: Es wäre angebracht, über Visionen zu reden und dann zu überlegen, wie Visionen real werden können.

Als Beispiele führe ich die politischen Kommunen an, die egalitären Lebensgemeinschaften. Hier gehört diese Frage und die Beantwortung zum täglichen Geschäft.

Die Bedingungen in den Kommunen sind andere als die in der Rest-Gesellschaft. Im Grunde gehen finanzielle Sorgen vielen Kommunen am untern vorbei. Die Wirtschaftskrise hat am Tor halt gemacht. Wir haben prinzipiell wenig Geld, können damit jedoch ohne Depressionen und Lebenskrisen umgehen.

In der Kommune oder Gemeinschaft bleibt keine mit ihren Sorgen alleine, keiner gerät in die Not, obdachlos zu werden, und niemand muss Existenzangst haben. Die Gemeinschaften bieten die Freiräume, die ein Leben in Geborgenheit und sozialer Absicherung möglich machen.

Der Einsatz dafür ist jedoch der politische Wille, sich verändern zu wollen. Die Wertigkeiten zu verschieben und die eigenen Verhaltensweisen zur Diskussion zu stellen. Dann können wir unseren Sehnsüchten, Wünschen und Erwartungen gerecht werden.

Das ist der Preis für ein spannendes experimentelles Leben. Nur zu, es lohnt sich.

Uwe vom Olgashof


Anmerkungen:
(1) Siehe auch: Jede Kommune ist anders. Ein Küchentischgespräch mit Uwe Kurzbein (Kommune Olgashof), in: Bernd Drücke (Hg.): ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche, Karin Kramer Verlag. Berlin 2006, S. 247 ff.

Kontakt zu politischen Kommunen:
www.nadir.org/nadir/periodika/contraste/kommunen1.htm


*


Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, GWR 347, März 2010, S. 11
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2010