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GRASWURZELREVOLUTION/1104: Alternativen zu Ratlosikgkeit und Vereinzelung


graswurzelrevolution 350, Sommer 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

TRANSNATIONALES
Alternativen zu Ratlosikgkeit und Vereinzelung

Ein Interview mit Ulli Röding (Ya-Basta-Netz)


Ulli Röding wohnt im Projekt "Knotenpunkt" bei Frankfurt/M. Sie ist im zapatistischen Ya-Basta-Netz aktiv. Im Anschluss an das "Rebellische Zusammenkommen von unten links", das vom 1. bis 9. Mai: 2010 in Frankfurt/M. stattfand, bot sich die Gelegenheit für ein Interview mit ihr.
(GWR.-Red.)


GRASWURZELREVOLUTION: Was war die Idee hinter dem Treffen?

ULLI RÖDING: Ausgangspunkte der Überlegungen zu dem Treffen waren die Ratlosigkeit und Vereinzelung, die wir als Teil der radikalen, außerparlamentarischen Linken in Deutschland in den letzten Jahren immer wieder gespürt haben, sowohl im internationalistischen als auch im konkret-praktischen Bereich. Wir haben uns in den Polarisierungen nirgendwo wirklich wiedergefunden. Irgendwann dachten wir, dass es nicht nur uns so geht. Deshalb wollten wir mit diesem Treffen versuchen, Menschen, Gruppen und Initiativen, die sich von links und unten begreifen, zusammenbringen. Dabei ging es uns vor allem darum, Gemeinsamkeiten herauszufinden und Möglichkeiten kennen zu lernen, die der entfremdeten, neoliberalen Wirklichkeit etwas entgegensetzen und Wege zu einer anderen Gesellschaft aufzeigen können.

GRASWURZELREVOLUTION: Wer ist gekommen?

ULLI RÖDING: Das Spektrum reichte von Einkommensgemeinschaften bis zu einem Waldkindergarten, von Wohnprojekten bis zu einer Gruppe zum Aufbau einer Freien Schule, von einem rollenden Autonomen Zentrum bis zu HandwerkerInnen- und Landwirtschaftskooperativen, von InternationalistInnen bis zu unterschiedlichen Projekten der Solidarökonomie und natürlich alle Gruppen aus dem Ya-Basta-Netz.


GRASWURZELREVOLUTION: Welche Gruppen und Projekte habt Ihr vermisst?

ULLI RÖDING: Z.B. die Leute vom Protestcamp am Frankfurter Flughafen, Antifa-Gruppen, Gruppen, die sich eher theoretisch-ideologisch orientieren u.a. internationalistische Gruppen. Allerdings gab es an diesem Wochenende auch viele andere Aktivitäten, wie z.B. die Demo gegen Abschiebungen in Karlsruhe und die Blockade des Naziaufmarsches in Wiesbaden, zu der viele FrankfurterInnen gegangen sind. Vielleicht sehen wir uns ja bei einem nächsten Treffen.

GRASWURZELREVOLUTION: Wie ist das Treffen gelaufen?

ULLI RÖDING: Super. Alle haben angepackt und sich verantwortlich gefühlt. Die Leute, die die Kinderbetreuung machen wollten, kamen irgendwann zum Infozelt und haben sich beschwert, dass nichts zu tun sei, weil die Kinder selbst was machen und alle Anderen auch nach den Kindern gucken. Die Konzerte abends haben Spaß gemacht und die Workshops liefen gut. Die Leute aus der Au, einem seit 27 Jahren besetzten Haus, haben uns herzlich empfangen und waren auch noch offen, als das Treffen vorbei war. Le Sabot hat ausgezeichnet gekocht. Und das Erstaunlichste: Am Schluss wollte die Müllbrigade den Müll aufsammeln - und es gab so gut wie keinen. Es war von Anfang bis Ende DIY (Do It Yourself). Wir haben gemerkt, dass alle in praktischen kollektiven Strukturen zu Hause sind. Obwohl alles auf Spendenbasis lief, gab es einen Überschuss.

GRASWURZELREVOLUTION: Welche Themen und Aktivitäten gab es?

ULLI RÖDING: Die Themen waren breit gefächert: Es gab Workshops u.a. zu den Zapatistas, zum Kampf der zapatistischen Frauen, zu Internationalismus, zu Einkommensgemeinschaften, zum Mietshäuser-Syndikat, zum historischen und internationalen Kontext der Solidarökonomie, zu ökologischer, nichtkapitalistischer Landwirtschaft und Ernährungsautonomie, zu Hartz IV und den rechtlichen und konkreten Möglichkeiten, zur Geschichte und den Möglichkeiten von Freien Schulen, "wie nutze ich Indymedia von unten", es gab einen Sambaworkshop und einen Workshop über die Ausbeutung Illegalisierter in der südspanischen Lebensmittelproduktion, mit der Frage, "wo kommt eigentlich unser Gemüse her?" Wir haben eine Demo gemacht, um unsere Solidarität mit den Antifaschistischen Blockaden, der Demo gegen Abschiebung und mit den Menschen in Griechenland und in Mexiko auszudrücken. Die war ein bisschen verrückt, aber lustig. Abends haben wir gefeiert, sowohl freitags, als New Yok aufgespielt hat und zwei unserer Lieblings-DJs aufgelegt haben, als auch samstags, als Zirkus Bambule und Daddy Longleg sich ins Zeug legten und zwei weitere Lieblings-DJs bis zum frühen Morgen auflegten. Draußen brannte ein großes Feuer, an dem sich viele unterhielten und wärmten.

GRASWURZELREVOLUTION: Wo seht Ihr Erfolge, wo Verbesserungsbedarf?

ULLI RÖDING: Erfolge liegen im solidarischen und respektvollen Umgang miteinander, in der Kommunikation zwischen Menschen unterschiedlicher Projekte. Viele sind mit neuen FreundInnen, Ideen und Inputs nach Hause gefahren. Verbessern könnten wir die Struktur z.B. vom Abschlussplenum, das leider in einer generellen Aufbruchstimmung stattfand. So war eine gemeinsame Abschlusserklärung nicht mehr möglich. Es blieb auch bis zum Schluss etwas unklar, was dieses Ya-Basta-Netz, das ja zu dem Treffen aufgerufen hat, eigentlich ist.

GRASWURZELREVOLUTION: Es kommt immer wieder vor, dass größere Treffen gut laufen und die Teilnehmer_innen euphorisch nach Hause fahren, aber danach bleibt nicht viel "Handfestes". Wie wollt Ihr dieses Dilemma der sozialen Bewegungen und außerparlamentarischen Linken besser in den Griff bekommen?

ULLI RÖDING: Tja, die Befürchtung habe ich auch. Allerdings gab es direkt nach dem Treffen zu diesem Punkt viele Gespräche und Ideen, wie wir da kontinuierlicher werden. So sammeln wir z.B. Berichte von den Workshops und Fotos für einen Reader. Darin wird auch die Selbstdarstellung des Ya-Basta-Netzes nachgeholt. Dieser Reader wird dann an alle, deren Adressen wir kriegen können, geschickt, mit der Hoffnung auf längerfristige Kommunikation. In der Frankfurter Au, dem Ort des Rebellischen Zusammentreffens, wollen wir noch eine Nachbereitung machen mit allen, die mitgeholfen haben.

GRASWURZELREVOLUTION: Wird es weitere Treffen dieser Art geben?

ULLI RÖDING: Beschlossen haben wir das noch nicht, aber alle, mit denen ich gesprochen habe, würden sich das wünschen. Dazu gehört die Nachbereitung im Ya-Basta-Netz, und die hat noch nicht stattgefunden.

GRASWURZELREVOLUTION: Das Ya-Basta-Netz bezieht sich solidarisch auf die Zapatistas aus Mexiko. Was ist es, das Euch auch 16 Jahre nach Beginn der Rebellion in Chiapas weiter an dieser Bewegung fasziniert?

ULLI RÖDING: Für die Anderen kann ich nicht wirklich sprechen. Aber ich denke, es ist der basisdemokratische Ansatz, die Ehrlichkeit, die in vielem sichtbar wird, das fragende Vorangehen, die Tatsache, dass nicht die "wichtigen" Parteien oder Organisationen angesprochen werden, sondern die von unten, die oft keine Stimme haben, denen keiner zuhört, die nicht sichtbar sind und ihre Rebellion und Würde dennoch nicht aufgeben - wie die Zapatistas und wie viele andere auf der Welt.
Es ist aber auch, dass die Zapatistas sich immer wieder neue Schritte überlegen, neue Wege machen, sehr reflektiert sind - und der gehörige Schuss Selbstironie. Sie sind gar nicht wie viele Linke hier, die sich und alles, was sie tun und sagen, so fürchterlich bierernst nehmen oder so unglaublich Recht haben und ihre Position auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen. Die Zapatistas hören meist erst einmal zu und ziehen dann ihre Konsequenzen. Das Zuhören und auch, dass es sicherlich nicht unrevolutionär ist, sich über sich selbst kaputtzulachen, das können wir von ihnen lernen.
Ein weiterer Punkt ist, dass die zapatistischen Frauen sich ihr Wort genommen und ihren Interessen in Form von Gesetzen Ausdruck gegeben haben. Dahinter stecken lange Prozesse. Mit Revolutionsromantik hat das nichts zu tun. Auf uns übertragbar ist es auch nicht. Aber wir können lernen. Das Rebellische Zusammenkommen hat mit diesem Lernprozess zu tun.

Danke für das Gespräch.



Interview: Luz Kerkeling


"Die Welt ist so groß wie das Herz, das zuerst schmerzt und danach mit allen gemeinsam kämpft, die von Unten und links sind"
(Subcomandante Marcos und Durito aus dem anderen Puebla 2005)


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, 350, Sommer 2010, S. 6
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2010