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GRASWURZELREVOLUTION/1259: Völkermord verjährt nicht


graswurzelrevolution 369, Mai 2012
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Völkermord verjährt nicht

Die Bundesregierung verweigert die Anerkennung des von deutschen Kolonialtruppen begangenen Genozids in Namibia

Von Sebastien Nekyia



Auch hundert Jahre nach Beginn des Massenmords, verweigert sich die deutsche Regierung, den von deutschen Kolonialtruppen von 1904 bis 1908 begangenen Genozid in Namibia als solchen anzuerkennen. Mehrere Anläufe der letzten Jahre scheiterten. Die Debatte wurde zuletzt wieder verstärkt geführt.


Die Zahlen sind wenig strittig und sprechen in bedrückender Weise für sich. Auf bis zu 100.000 beziffert man die Zahl der Opfer, die durch den Vernichtungsbefehl der deutschen Kolonialtruppen zwischen 1904‍ ‍und 1908 im damaligen Kolonialgebiet "Deutsch-Südwestafrika", dem heutigen Namibia, umkamen. Betroffen waren die Herero, Nama, San und Damara. Mindestens zwei Drittel der damaligen Herero fielen den Kolonialherren zum Opfer.

Für ein solches Ausmaß von Tod und Gewalt gibt es einen Begriff: Genozid. Doch seit Jahren weigerten sich deutsche Regierungen, zu diesem Kapitel der Geschichte zu stehen, die Verbrechen als Völkermord anzuerkennen und um Entschuldigung zu bitten.


"Sorry seams to be the hardest Word"

Am 22. März 2012, dem internationalen Tag gegen Rassismus, versammelten sich ca. 100 Personen zu einer Presseaktion vor dem Bundestag. Ihre Botschaft hatten sie klar formuliert: Völkermord verjährt nicht! Der Grund: Einen Tag nach den Feierlichkeiten zur namibischen Unabhängigkeit am 21. März standen im deutschen Bundestag zwei Anträge zur Anerkennung des ersten deutschen Genozids im heutigen Namibia zur Entscheidung, die eine offizielle Entschuldigung und Wiedergutmachung einforderten.

Namibia, welches am 21. März 1990 seine Unabhängigkeit erlangte, war die letzte Kolonie Afrikas und stand unter der Verwaltung des Apartheid-Regimes in Südafrika. (1) Der Antrag der Linkspartei enthielt zusätzlich zum gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen Aspekte von finanzieller Entschädigung für die Nachkommen der Opfer. Christian Kopp von der Initiative Berlin Postkolonial, eine der aufrufenden Gruppen, äußerte Ende März, dass eine erneute verweigerte Anerkennung des Völkermords einer "Leugnung des Genozids" gleich käme.

SPD, Grüne und Linkspartei enthielten sich beim Antrag der jeweils anderen Antragspartei aus parteitaktischen Gründen, CDU und FDP lehnten wie bereits zuvor erwartet ab. Armin Massing vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER) beklagte zuvor schon, dass es "vollkommen inakzeptabel" sei, dass die Bundesrepublik bis heute "zu keiner formellen Bitte um Entschuldigung gegenüber den Nachfahren der Opfer bereit ist".

Auch Opferverbände formulieren diese Kritik. Insbesondere fordern sie direkten Dialog und direkte Zuwendung, Entwicklungshilfen würden keine spezifischen Hilfen für die Herero, welche heute noch unter den Folgen des Genozids und der Vertreibung an Armut leiden, geschweige eine Wiedergutmachung oder Anerkennung darstellen. Die namibische Regierung verweigert gesonderte Zuwendungen an einzelne Bevölkerungsgruppen aus der Entwicklungshilfe, um Konflikte in dem multiethnischen Staat zu vermeiden.


Eine fortwährende Debatte

Dennoch sorgt die Thematik seit Jahren immer wieder für Zündstoff - auf diplomatischer wie sozialgesellschaftlicher Ebene. Zuletzt war dies in Berlin bei der Übergabe von Gebeinen, die während der Kolonialzeit nach Deutschland verschleppt wurden, der Fall.

Der Unmut der namibischen Delegation im September 2011 über die seit Jahren verweigerte Entschuldigung entlud sich dort an exponierter Stelle und hinterließ ein beachtliches Medienecho. Der Druck auf die deutsche Seite wuchs und man kam in den Folgemonaten nicht umhin, sich auch mit Vertretern der Herero an einen Tisch zu setzen und Dialogbereitschaft zu vermitteln. Dennoch blieb es dabei, dass eine Entschuldigung ausgeschlossen sei.

Nachdem beide Anträge der Opposition nun abgelehnt wurden, wurde seitens des Genozid-Dialog-Komitee 1904 (OCD 1904) deutlichere Worte gefunden. Über die Enttäuschung hinaus habe man erwartet, dass die konservative Mehrheit "gegen beide Anträge stimmen werde, gegründet auf den Emotionen ihrer bekannten Bündnisgeschichte mit rassistisch repressiven Regimen" heißt es seitens des OCD 1904.

Als eine "Katastrophe" bezeichnete der in Berlin lebende Herero Israel Kaunatjike die Weigerung der Regierung, den Genozid anzuerkennen. Dies sei "ein demütigender Schlag ins Gesicht" so Kaunatjike in einer organisationsübergreifenden Pressemitteilung Ende März.

In Namibia selbst wurde im Zuge der Auseinandersetzungen mit dem Thema bereits im Oktober letzten Jahres die Frage nach einem "Genocide Day" aufgeworfen. Der Geschäftsführer des "Institute for Public Policy Research" Graham Hopwood sprach sich z.B. für einen solchen Tag aus, als die Diskussion von der Königin des Hererostamms der Mbanderu im Oktober letzten Jahres angestoßen wurde.


Kontinuität der Ablehnung

Bereits im Jahr 2008 reichte die Linkspartei einen ähnlichen Antrag ein, der damals zusätzlich mit Stimmen der SPD abgelehnt wurde. Als 2004‍ ‍die damalige Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul (SPD) "um Vergebung" bat, wurde dies im Nachhinein als persönliche und nicht als Regierungsmeinung gerade gerückt. Seit jeher ruht man sich auf dem "Konzept der besonderen Verantwortung", welches 1989 vom Bundestag festgehalten wurde aus.

Obwohl sich die öffentliche Debatte seit Jahren auf die Meinung von Fachleuten bezieht, die den Genozid auch explizit als solchen bezeichnet, blieben die jeweiligen Regierungen in ihrer Haltung - das Wort Völkermord oder gar eine Entschuldigung für diesen kommt nicht in Frage.

Zum Repertoire der Rechtfertigungen gehört dabei auch die UN-Völkermordkonvention, die 1948 verabschiedet wurde. In Deutschland trat diese Konvention erst 1955 in Kraft und dient daher oft als bürokratischer Vorwand, der Völkermorddebatte aus dem Weg zu gehen. Sharon Otoo von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland verweist bei diesem Aspekt auf den früheren namibischen Außenminister Theo-Ben Gurirab.

Auf der Weltkonferenz in Durban 2004 stellte er die sinngemäße Frage, ob die deutsche Regierung die Benennung des Vernichtungskrieges verweigert, "weil hier Schwarze Menschen ermordet, enteignet und vergewaltigt wurden", so Otoo. Er verwies darauf, dass auch andere von Deutschland begangene Völkermorde rückwirkend anerkannt wurden.

Ebenso markant ist in der Debatte die Betonung der hohen Entwicklungshilfe für Namibia. Niema Movassat (Linkspartei) erläuterte hierzu im Bundestag, dass man den "Aspekt Wiedergutmachung" von der Entwicklungshilfe strikt trennen müsse. Das seit Jahren begangene "Fliehen" Deutschlands vor seiner Verantwortung verurteilt Kopp von Berlin Postkolonial "aufs Schärfste", und spricht dabei auch für die 100‍ ‍Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland, die den Aufruf "Völkermord verjährt nicht!" unterzeichneten.

Letztlich ist die Thematik seit Jahren festgefahren. Jede bisherige Regierungspolitik argumentierte ähnlich und hält Entwicklungshilfe und Konventionen als abspeisende "Argumente" entgegen. Entschuldigungen waren im Nachhinein immer nur persönliche Meinungen. Peinlichst vermeidet man eine Entschuldigung für den ersten deutschen Genozid. Solange jedoch keine ernsthafte Entschuldigung mit der damit verbundenen historischen Verantwortung geäußert wird, ist es nur verständlich, wenn die Verbände der Herero weiterhin ihre Forderungen stellen und auch direkte Entschädigungen beanspruchen. Es geht dabei weniger um die Frage, ob man an Regierungen appellieren will, sondern um die schlichte Anerkennung einer Tatsache und das Schaffen von Fakten, denen gegenüber man sich aus fadenscheinigen Gründen entziehen möchte und damit auch die Gräueltaten ihrer Wahrnehmung und Bedeutung beraubt. Dass die Unterstützung der Forderungen aus Namibia dabei auch von von zivilgesellschaftlichen Gruppen in Deutschland weiterhin begleitet wird, würde gerade für eine gesellschaftliche Debatte außerhalb der starren Institutionen von besonderer Bedeutung sein.


Anmerkungen:
(1)‍ ‍Zum Thema siehe auch: Deutscher Kolonialismus. Geschichte und Kontinuität (Teil 1), Artikel von Markus Beinhauer und Bernd Löffler, in: GWR 293, Nov. 2004,
www.graswurzel.net/293/kolonialismus.shtml
Deutscher Kolonialismus. Geschichte und Kontinuität (Teil 2), Artikel von Markus Beinhauer und Bernd Löffler, in: GWR 294, Dez. 2004

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Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 369, Mai 2012, S. 11
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2012