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GRASWURZELREVOLUTION/1378: Den Klimawandel aufhalten!


graswurzelrevolution 386, Februar 2014
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Den Klimawandel aufhalten!
Die Schlummerfunktion der Klimathematik

von Zwei Grad zuviel!, Gruppe für angewandte Theorie



Der Zwischenstaatliche Ausschuss über Klimaveränderung (IPCC/Intergovernmental Panel on Climate Change), hierzulande oft als Weltklimarat bezeichnet, wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie "als zwischenstaatliche Institution ins Leben gerufen um für politische Entscheidungsträger den Stand der wissenschaftlichen Forschung zusammenzufassen", so Wikipedia. 2007 wurde der IPCC mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Der IPCC-Bericht wird immer wieder zum Weckruf für die Klimathematik. Danach wird weiter geschlummert. Warum das kein Versehen ist, sondern mit den Rahmen zusammen hängt, aus dem er stammt, soll mit einer kritischen Hinterfragung deutlich werden. Ohne diese wird eine positive Bezugnahme auf seine Ergebnisse problematisch.


Der IPCC hat im September 2013 den Hauptteil seines fünften Berichts zur Lage des Klimawandels heraus gegeben. Der Bericht ist eine Zusammenfassung von Forschungsergebnissen. Aus diesen entwickelt das IPCC Handlungsvorschläge für Regierungen. Leugner_innen des Klimawandels erklären den Bericht als falsch und überzogen. Umweltschutzgruppen übernehmen oft die Ergebnisse, ohne sie kritisch zu hinterfragen.

Wir, ein paar Menschen aus dem Widerstand gegen die Braunkohleverstromung im Rheinland, versuchen mit diesem Artikel die Kritik am IPCC zu schärfen. Bereits in der Graswurzelrevolution Nr. 383 vom November 2013 haben wir eine Kritik am IPCC im Bezug auf seine Wertfixiertheit vorgenommen.

Nun wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Funktion der IPCC-Bericht für die Vereinten Nationen hat. Hintergrund ist die These, dass jedes wissenschaftliche Ergebnis nicht losgelöst vom Kontext verstanden werden kann, für den es produziert wurde.

Wir wollen herausfinden, was wir mit einer kritischen Perspektive aus dem IPCC-Bericht für unsere Kämpfe ziehen können.


Hintergründe

Schauen wir uns also zunächst den Kontext an, in dem dieser Bericht geschrieben wurde: Die Vereinten Nationen. Die Nationalstaaten haben die Funktion, die Bedingungen herzustellen, in denen das kapitalistische System optimal funktionieren kann. Dies geschieht auf der einen Seite materiell durch die Durchsetzung von Vorherrschaft, z.B. durch Krieg. Auf der anderen Seite aber auch ideell, durch die positive Deutung der Vorherrschaft, z.B. durch die Begründung: "Dieser Krieg wird geführt, um die Menschenrechte zu schützen".

Wir verstehen die UNO als Meta-Gesamtkapitalist_in, die die globalen Kapitalverwertungsmöglichkeiten regelt und durch den die Vorherrschaft der "großen Industrienationen" gesichert werden. Aus diesem Grund ist es für die UNO wichtig heraus zu finden, wie sich der Klimawandel entwickelt und welche Gefahr er für diese Vorherrschaft darstellt. Mit der Betrachtungsweise der UNO als Meta-Gesamtkapitalist_in wird auch die starke Wertfixierung verständlich, die wir in unserem Artikel in der GWR 383 dargestellt haben. Die Hauptmotivation der UNO ist nicht die Frage: "Wie können wir den Klimawandel aufhalten, um so viele Lebewesen und Lebensräume wie es irgend geht zu retten?", sondern: "Ab wann geht der Klimawandel den großen Industrienation, durch direkte Auswirkungen von Naturereignissen und den damit einhergehenden ökonomischen Schäden an den Kragen?"

Ideell wird die erste Motivation vorgegaukelt. Dass es aber um die zweite geht, wird deutlich, wenn wir uns die Entwicklung und Durchsetzung des 2°C Ziels anschauen. 2°C Ziel heißt, dass die Temperatur im Vergleich zur vorindustriellen globalen Mitteltemperatur um nicht mehr als 2°C ansteigt. Die Globale Mitteltemperatur war in den letzten 100.000 Jahren nie höher als die durch diesen Anstieg zu erreichenden 16,1 Grad. Genannt wurde dieses Ziel erstmals 1975 durch den Ökonomen William D. Nordhouse. Er benutzte diese Zahl als gedankliche Grundlage, um daran eine Kosten-Nutzen-Analyse zu gestalten.

Die 2°C Grenze hat also eine ökonomische Herkunft: Zum anderen soll beim Überschreiten dieser Grenzen das Erreichen von Kipppunkten wahrscheinlicher werden, die das Globale Klima völlig aus dem Gleichgewicht bringen würden. Zu diesen Kipppunkten gehört z.B. das Abreißen des Nordatlantikstroms, der einen enormen Temperaturausgleich zwischen Nord- und Südhalbkugel herstellt. Sein Erliegen hätte innerhalb weniger Jahre ein weiteres Aufheizen der Südhalbkugel und eine starke Abkühlung der Nordhalbkugel zur Folge, von der auch die großen Industrienationen betroffen wären.

Das 2°C Ziel wird vor allem durch indigene Gruppen und Inselstaaten massiv kritisiert, weil der Anstieg um 2°C eine völlige Zerstörung ihrer Lebensgrundlage mit sich bringen würde. Das Ziel stellt also keine klare Grenze von "noch tolerierbarem" und gefährlichem Klimawandel dar. Vielmehr ist es ein politisches Ziel der hegemonialen Staaten, die am wenigsten direkt vom Klimawandel betroffen sind.

Das wird deutlich, wenn wir uns anschauen wer das 2°C Ziel wann verabschiedet hat: Als erstes wurde es von der BRD 1994 auf Grundlage eines Berichts des "Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" verabschiedet, danach von der EU 1996, anschließend von den G8-Staaten 2009 und letztlich 2010 durch 194 Staaten der Klimakonvention der Vereinten Nationen. Unterstützt wurde diese Durchsetzung durch den IPCC, der es durch seine "Wissenschaftliche Arbeit" vor allem mit der "burning embers-Grafik" in seinem dritten Sachstandbericht unterfütterte. Das zeigt wie politisch die "Wissenschaftliche Arbeit" des IPCC motiviert ist.

Dies wird auch dadurch befördert, dass die Wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen des IPCC von den Staaten ausgewählt werden, in deren Auftrag der Bericht läuft. Des weiteren kommt der Großteil der Wissenschaftler_innen aus "westlichen" Industrienationen. Der endgültige Wortlaut des Berichts wird zum Schluss mit der Politik abgestimmt, an die der Bericht appellieren soll.

Das führte beim vierten Sachstandbericht dazu, dass einige Staaten (unter anderem die USA und China) eine starke Abschwächung des Berichtentwurfs durchsetzten.

Letztendlich werden die Wissenschaftlichen Bemühungen des IPCC durch den Rahmen erstickt, aus dem sie entstanden sind: den Staaten mit ihrer Funktion als Gesamtkapitalist_innen. In den Handlungsanweisungen und Perspektiven des IPCC zeigt sich sein krampfhaftes Festhalten an der kapitalistischen Wirtschaftsweise, wodurch sie hinten rum eine ungewollte Nähe zu ihren größten Gegner_innen bekommen: Den Klimaleugner_innen, die aus meist turbo-marktliberalen Positionen heraus, die Existenz des Klimawandels pseudowissenschaftlich zu widerlegen versuchen.

Die Nähe besteht im gleichen Ziel, die Kapitalverwertung aufrecht zu erhalten. Die inhaltlich doch nicht irrelevante Differenz besteht in der unterschiedlichen konkreten Interessenlage der Kapitalverwertung. Während die Klimaleugner_innen von jenen Industriezweigen finanziert werden, die ihre Kapitalverwertung nur mit fossilen Energien aufrecht erhalten können, geht es den Vereinten Nationen darum, Kapitalverwertungsmöglichkeiten an sich aufrecht zu erhalten, wozu eben auch eine Rest-Regenerationsfähigkeit der Umweltressourcen gehört. Die Frage wieweit der heutige Kapitalismus von fossilen Energien abhängt, oder ob er von diesen entkoppelt werden kann, ist von Relevanz bei diesem Konflikt.

Aus den im aktuellen Bericht entwickelten Szenarien zur Temperaturentwicklung bis 2100 könnten, anders als vom IPCC selber, eigentlich antikapitalistische Schlussfolgerungen gezogen werden. Im schlechtesten dieser Szenarien wird weiter gemacht wie bisher und die 2°C werden schon um 2050 erreicht. Im besten Szenario mit sehr engagiertem Klimaschutz bleibt der Temperaturanstieg bis 2100 unter 2°C.

Dieses Szenario stimmt uns optimistisch, denn es zeigt, dass es für Klimaschutz noch nicht komplett zu spät ist und wir noch Handlungsmöglichkeiten haben. Vom IPCC wird es als äußerst unwahrscheinlich eingestuft. Das ist aus ihrer Rolle verständlich, da es wohl kaum mit dem kapitalistischen Wachstumswahn vereinbar ist. Die kapitalistischen Staaten nutzen den Klimawandel lediglich zur Schaffung von neuen Märkten mit Erneuerbaren Energien, neuen Geräten mit veränderten Abgasverordnungen etc. So hat die Bundesregierung trotz hoch angepriesener Energiewende in den Jahren 2011, 2012 und 2013 ihren CO2-Ausstoß gesteigert. Sie findet sich damit in einem globalen Trend wieder, der einen weiteren CO2-Anstieg anzeigt. Trotz des falschen Rahmens sowie der Abschwächung der Ergebnisse und Handlungsanweisungen die teilweise passieren, sind die Ergebnisse des letzten Berichts wieder erschreckender als die des vorangegangenen.


Hier die wichtigsten:

Von 1880 bis 2012 gab es eine Erwärmung der Atmosphäre im Mittel von 0.82 C°. Jedes Jahrzehnt war wärmer als das vorangegangene. Im letzten Jahrzehnt war der Anstieg weniger stark als vorausgesagt.

Klimaleugner, wie der ehemalige RWE-Mitarbeiter Fritz Varenholdt, sehen darin ihre These bestätigt, dass der Klimawandel nicht menschengemacht, sondern von der Sonnenaktivität abhängig ist.

Die im IPCC-Bericht genannten Gründe dafür bilden eine gute Argumentationsgrundlage gegen Leugner_innen des Klimawandels. Der IPCC geht davon aus, dass der geringere Anstieg folgende Hauptursachen hat: Zum einen, tatsächlich mit einem Minimum im elfjährigen Sonnenzyklus. Dieser Punkt habe sogar geringeren Einfluss, als bisher angenommen wurde. Viel entscheidender scheinen kurzfristige interne Schwankungen im Klimasystem zu sein, die unter anderen vom sog. El-Nino-Effekt verursacht wurden. Des weiteren spielte die kühlende Wirkung von Aerosolen aus kleineren Vulkanausbrüchen eine Rolle.

Ebenfalls entscheidend für den geringeren Anstieg der Atmosphärentemperatur war der wesentlich stärkere Anstieg der Meerestemperatur. Dies ist wahrscheinlich das erschreckendste Ergebnis des neuen IPCC-Berichts. Im Zeitraum von 1971 bis 2010 speicherten die Ozeane 90% der zusätzlich, von Menschen freigesetzten Energie. In den oberen 75m gab es in diesem Zeitraum einen Temperaturanstieg von 0,11 C°.

Ein Drittel des zusätzlichen CO2 wurde in den Ozeanen gespeichert. Beides führt zu einem Absterben von einzigartigem Lebensraum wie den Korallenriffen, außerdem wird es nach der "Sättigung" der Ozeane voraussichtlich zu einem schnelleren Temperaturanstieg der Atmosphäre kommen. Des weiteren hat die erhöhte Temperatur der Meere sowie das extrem schnelle Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden einen schnelleren Anstieg der Meere zur Folge. Wurde im letzten Sachstandbericht von 2007 noch von einem Anstieg der Meere bis 2100 im schlechtesten Fall von 18 - 59 cm gesprochen, so wird jetzt von einem Anstieg von 52 - 98 cm ausgegangen. Im besten Szenario könnte der Anstieg auf 26 - 55 cm gemildert werden. Was diese abstrakt wirkenden cm-Zahlen für gravierende Folgen haben, macht das Beispiel Bangladesch deutlich: Bei einem Anstieg von im des Meeresspiegels wäre 1/5 des Landes unter Wasser und mindestens 10 bis 15 Millionen Menschen wären direkt betroffen. Bereits jetzt sind Zigtausende von den Folgen des Klimawandels mit Überschwemmungen, Dürren und Extremwetterereignissen wie dem Super Taifun Haiyan betroffen. Bereits existierende Klimaflüchtlinge, werden jedoch in den wenigsten Fällen als solche anerkannt.

Dieser Abriss aus dem aktuellen Bericht zeigt, dass die Ergebnisse des IPCC eine wichtige Argumentationsgrundlage darstellen können, wenn mit einer Kritik ihres Rahmens ihre Grenzen aufgezeigt werden.

Wir sind Katastrophennachrichten, wie die des Berichts, gewöhnt. Der emotionslose Wissenschaftssprech des IPCC trägt seinen Teil dazu bei, dass wir solche Nachrichten leicht schlucken. Darum bitten wir die Leser_innen dieses Textes einen Augenblick inne zu halten und dieses Faktengebrabbel einen Moment sacken zu lassen, um es mit den eigenen Emotionen verbinden zu können.

Was bedeutet es für dich, dass diese Erde einfach zerstört wird; dass der Lebensraum von Menschen und nichtmenschlichen Wesen wortwörtlich untergeht; dass ein Drittel der bekannten Arten durch den Klimawandel ausgerottet werden sollen? Einfach weg, nie wieder da!

Angesichts des Ausmaßes dieser menschengemachten Katastrophen wirken die Ergebnisse bei den letzten Klimaverhandlungen in Warschau lächerlich. Der Klimagipfel war wieder von fossilen Industriegrößen wie BP und der Autoindustrie, unter anderem von General Motors, finanziert. Das zeigt wie sehr dieses Gremium, an das der IPCC sich hauptsächlich wendet, in den fossilen kapitalistischen Wahnsinn eingebettet ist.

Die Klimaproblematik kann nicht über Staaten gelöst werden. Sie haben als Gesamtkapitalisten historisch eine andere Funktion. Das IPCC wendet seine Handlungsempfehlungen also an die falsche Adresse. Der Klimawandel ist durch die Entwicklung des Kapitalismus entstanden, er kann nicht mit seinen Mechanismen aufgehalten werden, weil auf Wachstum basierter Ausbeutungswahn im kompletten Widerspruch dazu steht, diese Erde zu schützen. Wissenschaft, die aus einer kapitalistischen Logik entstanden ist, kann in Teilen vielleicht seine Folgen skizzieren aber nicht die Handlungsanweisungen formulieren, die notwendig sind um den Klimawandel aufzuhalten.


Den Klimawandel aufzuhalten bleibt Handarbeit!

Wir müssen selber eine Wirtschafts- und Lebensweise durchsetzen, die ohne Ausbeutung der Natur und der Menschen auskommt!

Dass wir uns damit beeilen müssen, machen die oben genannten Ergebnisse und Szenarien des IPCC deutlich, denn sie sind erschreckend, selbst in dem kritisierbaren Rahmen, aus dem sie stammen.

Wir sehen uns also auf den Schienen, der Straße, den Gärten, den Bäumen.


Zwei Grad zuviel!
Gruppe für angewandte Theorie

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Quelle:
graswurzelrevolution, 43. Jahrgang, Nr. 386, Februar 2014, S. 10
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Telefon: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2014