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GRASWURZELREVOLUTION/1488: Start writing future - Eindrücke vom BUKO37


graswurzelrevolution 400, Sommer 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Start writing future
Eindrücke vom BUKO37

von Rahel Krückels


Vom 14. bis 17. Mai trafen sich in Münster rund 450 Aktivist*innen aus mehreren Ländern verschiedener Kontinente zum diesjährigen BUKO unter dem Motto: "Stop. Future unwritten. Transnational solidarisch".


In alter Tradition verband der Kongress theoretische Analysen, Berichte von Kämpfen und Bewegungen aus vielen Regionen der Welt mit einer gemeinsamen Demonstration am Samstag sowie Möglichkeiten der Vernetzung. (1)

#transnational

Zum Auftakt des BUKO wurde Raum gegeben, um gemeinsam in den Austausch darüber zu treten, was uns Transnationalismus heute bedeutet, wie er sich in der politischen Praxis auswirkt. Aber auch, was eingeladene Aktivist*innen aus Rojava, Honduras, Myanmar, Kolumbien oder als Geflüchteter in Deutschland lebender Mensch aus Togo an Solidarität erwarten. Bereits da zeigte sich, wie nah die Anknüpfungspunkte von lokal unterschiedlichen Kämpfen sind. Häufig geht es um Fragen des Landraubs, der Ausbeutung und Ausgrenzung.

Es ergab Sinn, dass die BUKO Internationalismus heuer einen BUKO zu "Transnationaler Solidarität" macht. Viele Aktivist*innen verstehen ihre Praxis als eine transnationale, sowohl was die Analyse der Konflikte angeht als auch was die Ausrichtung des Widerstandes betrifft. Fragten wir uns in der Vorbereitungsgruppe noch "Wer, mit wem, wofür?", so war mein Eindruck, dass die Frage während der Tage des BUKO obsolet wurde, einfach dadurch, dass mensch sich begegnete, wechselseitig zuhörte und den Bezug zu den eigenen lokalen Kämpfen zog. Oder den bestehenden Machtstrukturen. Eine Gruppe von Angehörigen der verschleppten 43 Studierenden von Ayotzinapa (Mexiko) informierte über die Situation in Mexiko und ihre konkreten Kampagne gegen das Vertuschen, aber es wurde auch die Frage nach dem Bezug zu Deutschland gestellt: Was geht uns das an? Die deutsche Polizei bietet Hilfe bei der Ausbildung der mexikanischen Polizei an, in Folge werden auch deutsche Waffen von Heckler & Koch geordert. So lassen sich mehrere deutsche Interessen verbinden. Die 43 Vermissten waren in den zentralen Veranstaltungen durch Bilder und leere Stühle präsent, eine Aktionsform, die auch in den öffentlichen Raum übertragen wurde und sich ebenfalls für Vermisste/Tote an den europäischen Außengrenze anbietet. In Tunesien gibt es Solidaritätsarbeit zu den Toten des Mittelmeers mit dem Versuch, Angehörige zu erreichen.

Am Beispiel Indien wurde diskutiert, inwiefern Delegationsreisen aus Europa sinnvoll sind. Entspricht dies dem eigenen Anspruch an transnationale Vernetzung oder forciert es doch die eigene Verstrickung in die globalen Herrschaftsverhältnisse, in denen Reisefreiheit Menschen aus dem globalen Norden vorbehalten ist?

Konkrete transnationale Vernetzung vor Ort fand unter Studierenden unterschiedlicher Länder von Myanmar, Chile, Deutschland, England und weiteren Interessierten statt. Im Bildungsbereich ist der lokale bzw. nationale Bezug aufgrund der national geprägten Ausgestaltung der Bildungsziele besonders eminent. Hier aber zu einer gemeinsamen transnational getragenen Analyse von Verwertbarkeitswahn des Bildungspolitischen und Effizienzsteigerung mittels Bildung/Ausbildung zu kommen und sich aufeinander beziehen zu können, war einer der wertvollen Outputs (hoch effektiv!) des Kongresses.

Alte Bekannte wieder treffen, neue Menschen kennenlernen, Gedanken austauschen, um sich aufeinander beziehen zu können, dies alles hatte seinen Raum auf diesem BUKO und war sicherlich ebenso viel wert wie manch neue Information, ob zur GIZ, zur Situation von Geflüchteten in der Türkei oder der Ausbeutung der Tiefsee.

In über 70 Workshops und darüber hinaus wurde debattiert und sich informiert.

#solidarity

In fünf thematischen Panels*(2) wurde Fragen nachgegangen, wie sich im konkreten Aktionsfeld oder jeweils vor Ort transnationale Solidarität auswirkt, wie sich aufeinander bezogen wird und welche Bedeutung dies für die eigene Praxis hat.

Magdiel Sanchez aus Mexiko beschrieb es als bereichernd, erfahren zu haben, dass im Rahmen des Kohlebergbaus auch in Deutschland Landraub geschieht, sozialökologische Fragen also nicht in jedem Fall trennbar sind nach globalem Norden und Süden. Die Vernetzung für die Aktionen im Rheinland und den Klimagipfel im November 2015 in Paris wurde intensiviert. Menschen aus Ayotzinapa wiederum vernetzten sich mit Aktivist*innen aus Kolumbien, die eine langjährige Tradition in der Arbeit zu Verschleppten/Verschwundenen haben und Anti-Abschiebegruppen aus Madrid und Deutschland tauschten sich aus. Doch befreit dies alles nicht vor der Infragestellung der eigenen Position in der Gesellschaft.

An vielen Stellen wurde deutlich, die Idee der Aktivist*innen ist politisch und nicht karitativ: Eine Zusammenarbeit soll Selbstbestimmung und Autonomie fördern. Dass sich politisches und karitatives Engagement manchmal nicht ausschließt, zeigte sich, wenn z.B. die Aktivist*innen von Afrique-EuropeInteract in Mali wegen ausbleibenden Regens ganz konkret nicht genügend zu essen haben und dann um Getreide bitten, wenn Geflüchtete hier in Deutschland Geld benötigen, um sich etwas für die Rückfahrt zu essen zu besorgen. Das ist wichtig, um eben nicht für Andere zu sprechen, sondern es allen zu ermöglichen, selbst zu sprechen. Dem BUKO ist es in diesem Jahr auf vielfältige Weise gelungen, kritische Stimmen aus mehreren Ländern des globalen Südens Gehör zu verschaffen.

In mehreren Workshops war implizit Thema wie schwierig, aber auch notwendig es ist, das Verhältnis lokaler bzw. nationaler Interessen in Beziehung zu setzen zu den globalen Auswirkungen kapitalistischer Verwertung. Ob in der Analyse der politischen Kräfte in der Ukraine oder der Lebenssituation der Menschen in Griechenland oder Honduras. Seit sich 2011 die Regierung in Honduras an die Macht putschte, wird dort ein konsequent neoliberales Modell vertreten, in dem alles bis hin zu Natur und Luft privatisiert wird. Die Armutsquote steigt, die Menschen wandern aus. "Unsere Länder sind nicht arm, es sind reiche Länder. Unsere Länder wurden arm gemacht. Wir gehen nicht in andere Länder, weil wir die Welt kennen lernen wollen, sondern weil wir gezwungen sind", so Berta Zuniga aus Honduras. Touré, ein Aktivist von CISPM ergänzte: "Afrika braucht Europa nicht!" Diese selbstbewusste, diese andere Sicht auf Migration und Abhängigkeiten konkret zu hören, von Menschen, die gegen Rassismus und Neoliberalismus kämpfen, war für mich einer der bewegendsten Momente des Kongresses.

"Solidarität muss praktisch werden" war dann der Aufruf zu einer bunten lauten Demo durch Münster mit den Schwerpunkten Antirassismus, Queerfeminismus und Antimilitarismus. Münster kommt mit dem 1. Deutsch-Niederländischen Korps eine bedeutende Rolle zu, denn hier sitzt das Kommando der Schnellen Eingreiftruppe der NATO-Streitkräfte, welche u.a. im Ukraine-Konflikt agieren (siehe Redebeitrag von Christoph Marischka in dieser GWR). Im Nieselregen war ein chaotisches Punk-Geschrammel mit orgiastischen Schreien in Anlehnung an Pussy Riot vor dem Dom ein solidarisches Zeichen mit queerfeministischen Bewegungen weltweit und eine perfekte Provokation.

Nicht zuletzt bemisst sich Solidarität auch auf die Praxis während der vier Tage des BUKO. Wo wird Hilfe bei einer Übersetzung, Hilfe beim Gemüse schnippeln, Hilfe bei der Technik gebraucht, ach, es werden noch Schlafsäcke benötigt: Wo bin ich nicht ausschließlich Besucher*in des Kongresses, sondern bringe mich aktiv ein? Auch diese Solidarität macht einen guten Kongress aus.

#revolution

Immer wieder stellte sich die zentrale Frage nach der Verbindung der vielfältigen lokalen Kämpfe und partikularen Auseinandersetzungen. Trotz des großen Interesses aneinander ist die Verbindung nicht immer so leicht zu finden wie zwischen dem Landraub in Oaxaca, Mali oder eben auch im Rheinland. Und worum geht es, wenn wir sagen: "Start writing future"? Ist es die Einführung der Demokratie wie in Tunesien, einer Bewegung wie den Zapatistas in Chiapas oder liegt doch eine Hoffnung auch in den neuen linken Parteien in Spanien? Grigoris Tsilimantos aus Thessaloniki kritisierte diese Hoffnung vehement: die Sozialen Bewegungen in Griechenland seien derzeit so schwach wie seit langem nicht, eine Folge des Wahlsiegs von Syriza.

Mehrere Veranstaltungen beschäftigen sich mit der Situation in Rojava. Anders als in vielen punktuellen Kämpfen z.B. gegen Atomkraft in Indien versucht sich hier eine größere Region an einem solidarischen Gesellschaftsmodell. Die Teilnehmer*innen begegneten mir danach entweder mit großer Euphorie oder großer Skepsis hinsichtlich des emanzipatorischen Charakters der Bewegung. Die Frage der Übertragbarkeit stellte sich ebenfalls. Mir persönlich gefiel die Analyse eines Aktivisten aus Mexiko, dass auch die aus der Ferne partikular wirkenden Projekte genau die notwendigen vielen kleine Schritte zu einer Revolution sind. Auch in Rojava gebe es eine lange Geschichte des Widerstandes ohne den die derzeitige Gesellschaftsbildung nicht möglich sei.

Nicht mit der Revolution, aber doch mit weitergehendem Protest endete der BUKO mit der Auftaktveranstaltung der "Transnationalen Mobilisierungstour für Bewegungsfreiheit, Autonomie und Gutes Leben statt G7" vom 14.05.-08.6.15, bundesweit (von Münster nach München).


Anmerkungen:

(1) Siehe auch: "Kein Che ist nicht in unserer Mitte". Etwas zur Geschichte der BUKO, Artikel von Andreas Schüßler, in: GWR 399, Mai 2015. 
Infos: www.buko.info/buko-kongresse/buko-37

(2) Panels zu Antirassismus, Sozialökologie, Bildung, Queerfeminismus sowie dem übergeordneteten Panel des Internationalismus.

*

Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 400, Sommer 2015, S. 10
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2015

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