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GRASWURZELREVOLUTION/1494: Refugees welcome - Reflexionen über eine antirassistische Bewegung


graswurzelrevolution Nr. 400, Sommer 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Refugees welcome
Reflexionen über eine antirassistische Bewegung

von Markus Beinhauer


Nun ziehen sie wieder los, trommeln, schlagen mit Kochlöffeln auf Töpfe, um die Aufmerksamkeit der Menschen für ihr Thema zu bekommen. Sie machen Lärm gegen Abschiebungen von Geflüchteten und fordern andere dazu auf, es ihnen gleich zu tun.


Das ist eine von vielen Aktionsformen, die eine Bewegung in Münster in den letzten Monaten durchgeführt hat, um Abschiebungen zu verhindern und um für das Thema zu sensibilisieren.

Wie fing das alles an?

Im Jahr 2014 initiierte die Antirassistische Initiative Münster, eine kleine Gruppe von antirassistischen Aktivist_innen, die Gründung eines Bündnisses, um aktiv gegen Abschiebungen vorgehen zu können. Vorbild hierzu waren die von der Gruppe "No Lager" aus Osnabrück angestoßenen Aktionen, durch die mehrfach Abschiebungen verhindert werden konnten. Hierbei wurde mittels einer Telefonkette dazu aufgerufen, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt vor einem Wohnhaus oder einer Flüchtlingsunterkunft aufzufinden, um vor Ort durch die reine Anwesenheit eine angekündigte Abschiebung unmöglich zu machen. Zu den ersten, monatlichen Treffen des "Bündnisses gegen Abschiebungen" kamen 50 bis 60 Menschen, vorwiegend junge Student_innen, aber auch in antirassistisch arbeitenden Gruppierungen engagierte Menschen. Dazu kamen mit der Zeit auch unmittelbar betroffene Refugees, die hier ein Forum fanden, um selbst aktiv zu werden und einen Ort zu haben, um über ihre Alltagsprobleme zu berichten. Diese bunte Mischung konnte zwar Strukturen schaffen und verfügte über genügend Motivation, aber kam ihrem Ziel, aktiv gegen Abschiebungen von Geflüchteten eingreifen zu können, nicht näher. Hintergrund hierfür ist, dass in NRW, anders als in Niedersachsen, Abschiebungen nicht zuvor angekündigt werden. Deshalb kam es zu ersten Frustrationen, weil für viele nicht klar war, wohin ihre Energie und Wut über eine unmenschliche Abschiebungsmaschinerie hinfließen könnte. In diesen Zeitraum fielen auch die erschütternden Nachrichten über den Massenexodus von Geflüchteten auf dem Mittelmeer. Die EU, die für absaufende Banken in der Lage und willens war, zweistellige Milliardenbeträge aufzubringen, wollte für ertrinkende Geflüchtete nicht einmal einen Rettungsring bereithalten, sondern verpasste ihnen eher einen Tritt mit dem Frontex-Stiefel, damit sie entweder als abschreckendes Beispiel ersaufen oder zurückkehren in das Elend, aus dem sie kommen, und für das Europa einen großen Teil Verantwortung trägt. Die sich hierin verdeutlichende europäische Asylpolitik war für viele im "Bündnis gegen Abschiebungen" ein zusätzlicher Grund, direkt vor Ort aktiv zu werden, statt dem Grauen aus der Ferne zuzuschauen.

Dann ereignete sich etwas, das alles, was danach an Aktivitäten startete, maßgeblich beeinflusste. Die seit Anfang 2015 in Münster befindliche Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, in der ehemaligen Wartburggrundschule, wurde vom Land NRW in eine Art Abschiebezentrum umfunktioniert. Dort befanden sich folglich seit Anfang März ausschließlich Menschen aus dem Kosovo, für die es auf Empfehlung der Innenminister_innen der Länder, ein beschleunigtes Asylverfahren gibt. Ein derartiges Verfahren bietet keine gewissenhafte Einzelfallprüfung mehr, sondern dient als Instrument, um möglichst rasch die Menschen in ihr Elend im Herkunftsland zu deportieren. Dabei ist bekannt, dass der Kosovo kein sicheres Herkunftsland ist.

Die Unterstützer_innen aus dem Bündnis standen ab nun in ständigem Kontakt zu den zunächst 130 Geflüchteten der Wartburgschule. Durch eine Pressemitteilung der Aktivist_innen wurde die Stadt auf die Situation aufmerksam gemacht. Hierbei spielte die Stadt Münster eine beschämende Rolle. Die Stadt, die stets bemüht ist, ihr Image zu polieren, u.a. dadurch, dass sie behauptet, dass von hier keine Abschiebungen durchgeführt werden, verhielt sich lavierend. Zunächst reagierten die Spitzen der Kommune überhaupt nicht, auch die Politiker_innen aller Parteien duckten sich vor dem Thema weg. In der Folge konnte durch eine gelungene Mobilisierung, zweimal, mit mehr als hundert Menschen, mittels einer Blockade, die Verlegung und eine darauf folgende Abschiebung erfolgreich verhindert werden. Nun begannen regelmäßige Demonstrationen und eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit dafür zu sorgen, dass das Thema in der Stadt bekannt wurde, die Presse regelmäßig berichtete und sich mehr Menschen mit den Zielen, einem Bleiberecht für die Betroffenen, solidarisierten. Die Unterstützer_innen bauten ein Protestcamp in unmittelbarer Nähe der Schule auf. Nun kamen auch vereinzelt Politker_innen, zunächst kleinlaut und nach Wähler_innenstimmen hechelnd, aus der Deckung und betraten mit gehörigem Respekt die grüne Wiese des Camps.

Was sich nun ereignete, ist wegweisend für die antirassistische Bewegungsarbeit

Gemeinsam mit den Betroffenen wurden alle Aktionen geplant. Es wurde regelmäßig diskutiert, organisiert, gefeiert. Bald tummelten sich viele Refugees aus der Schule in linken Strukturen der Stadt, ob bei Demos oder Partys. Aktiv konnte die von Politik in Stadt und Land behauptete Willkommenskultur, hier realistisch umgesetzt werden. Es gab keine Entscheidung, in die die Geflüchteten nicht mit eingebunden waren. Die, solchen Aktionen ungewollt inne liegende Instrumentalisierung der Betroffenen, durch eine Bewegung, konnte verhindert werden. Als beispielsweise darüber nachgedacht wurde, das an den Kräften zehrende Camp einzustellen, waren es die Geflüchteten, die deutlich machten, dass sie die Gegenwart der Unterstützer_innen weiter wünschten und benötigten. Also wurde weitergemacht. Es wurden Nachbarschaftsfeste organisiert, für die Kinder der Unterkunft fanden kleine Feiern statt. Das Camp wurde zu einem Kristallisationspunkt für Menschen aus dem Stadtteil, für andere Geflüchtete und für viele, die sich solidarisch zeigen wollten. Es fanden regelmäßig Plena statt, in denen das weitere Vorgehen diskutiert und koordiniert wurde. Innerhalb des Camps entstand eine anziehend wirkende Atmosphäre einer Subkultur, in der die subversive Form eines Zusammenlebens nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen phasenweise gelebt werden konnte. Innerhalb der gut organisierten Strukturen, entstanden regelmäßig tagende Arbeitsgruppen, um in den unterschiedlichsten Bereichen Druck auf die Politik und in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Eine Aktion folgte der nächsten: von Petitionen über Demos, Unterschriftenlisten, Nachbarschaftsvernetzung, Straßentheater, von Gesprächen mit Politiker_innen bis zu Infoveranstaltungen oder Blockadetrainings.

"Das Gefühl der Politik die Türen einzurennen prägte die Stimmung im Camp, positive Resonanz kam von allen Seiten - ob lokale Organisationen oder Anwohner_innen. Das Gefühl, den Weg der kleinen Schritte erfolgreich zu gehen, mühsam, aber in der Annahme gegenseitigen Vertrauens."
(Zitat aus Demo-Redebeitrag Maibritt)

Doch dann geschah am Morgen des 20. Mai, nach acht Wochen Unterstützungsarbeit und drei Wochen Widerstandscamp, das Unglaubliche, was in Deutschland leider längst Normalität geworden ist: eine Abschiebung. Während die Stimmung in der Schule, angesichts ungewöhnlicher Aktivitäten seitens der Betreiber der Unterkunft, immer gereizter wurde, wähnten sich die Aktivist_innen im Camp in der Geborgenheit, von eindeutigen Statements der Stadt und der Parteien gegen eine Abschiebung. Die perfide Politik der vermeintlichen Willkommenskultur zeigte auch hier ihr wahres Gesicht. Morgens um drei wurden die Betroffenen von hereinstürmenden Polizist_innen mit Taschenlampen aus dem Schlaf gerissen, zwangsweise in PKWs verfrachtet, ihre Habseligkeiten in Plastiksäcke gepackt, ohne die Möglichkeit sich von anderen verabschieden zu können. Die Nachtwache des Camps schlug Alarm und alle Menschen aus den Zelten kamen auf die Straße. Binnen kürzester Zeit war die Straße von der Polizei abgesperrt, 40 Mannschaftswagen versperrten den Eingang zur Schule. Die Fassungslosigkeit der Unterstützer_innen wirkte lähmend. Die schnell ausgelöste Telefonkette brachte insgesamt 50 Menschen auf die Straße. Behelfsmäßig wurde der Versuch gemacht, Sitzblockaden durchzuführen. Die Machtlosigkeit angesichts der Übermacht der Polizei wurde allerdings schnell deutlich.

"Unfassbar war nicht nur das enorme Polizeiaufgebot, das uns gegenüberstand, sondern auch die groteske Stimmung der Beamten. (...) Es ist uns (...) unverständlich, wie Menschen, nur weil sie einen Befehl von oben erhalten, solche menschenverachtenden Tätigkeiten durchführen können. Wie sie scheinbar ihr intuitives Moralbewusstsein ausschalten und unter den Scheffel eines Gesetzes stellen. Wie rechtsgläubig ist die Exekutive eines Staates, um nicht zu hinterfragen, mit welchen Grundwerten sich diese Taten legitimieren lassen?"
(Maibritt)

Vier Erwachsene und sechs Kinder, geflohen aus perspektivlosen Elend und Unsicherheit in ihrer Heimat, wurden dahin zwangsweise zurückverfrachtet. Zurück blieben Geflüchtete in der Unterkunft, die diese traumatischen Ereignisse hautnah miterlebten und in der Angst weiterleben, dass ihnen das Gleiche passieren kann, und auf der Straße Menschen, die sich weinend in den Armen lagen, nicht wussten wohin mit ihrer Wut und Trauer. Als im Anschluss eine weitere Abschiebung bevor stand, versammelten sich ca. 300 Unterstützer_innen 13 Stunden lang, verpflegt von Nachbarschaft und Freund_innen, um ein weiteres Mal deutlich zu machen, dass eine solche unmenschliche Politik nicht ohne Widerstand durchzuziehen ist. Dann erreichte uns die Nachricht, dass alle verbliebenen Geflüchteten am nächsten Tag in dezentralen Unterkünften der Stadt untergebracht werden. Damit liegt die Zuständigkeit für das Schicksal dieser Menschen auf Seiten der Stadt. Kurze Zeit später, mit der Verlegung der Geflüchteten, wurde das Camp beendet.

Dies war ein Teilerfolg dieser Bewegung, da eine der zentralen Forderungen, die dezentrale Unterbringung, erfüllt wurde. Ohne den Druck der Straße und des Camps, ohne die großartige Zusammenarbeit der Geflüchteten und der Unterstützer_innen, wäre das nicht möglich gewesen. Ohne die gelebte Solidarität hätte die Stadt nie so reagiert. Doch diese kommunale Zuweisung bedeutet noch keine Lösung. Es ist nur eine Aufschiebung der Abschiebung und die Betroffenen leben weiter mit großer Unsicherheit.

Die Arbeit des Bündnisses gegen Abschiebung geht weiter. Es gibt unterstützend arbeitende Aktive, die unmittelbar die Menschen in den Unterkünften besuchen und ihnen helfend zur Seite stehen. Unermüdlich versuchen sie, durch die Mühlen der Bürokratie hindurch, das Beste für die Geflüchteten zu erreichen. Die Betroffenen bleiben auch selbst aktiv. Es wird weiter daran gearbeitet, ein Bleiberecht zu erkämpfen. Darüber hinaus gehen neue Initiativen vom Bündnis aus, z.B. gegen die geplante neue Verschärfung des Asylrechts oder gegen zum Teil katastrophale Zustände in einzelnen Unterkünften. Performanceaktionen sollen für das Thema sensibilisieren. Im Juni wurde eine Menschenkette quer durch die Innenstadt organisiert, die zum ersten Mal das Thema der Verschärfung des Asylrechts in der Presse erscheinen ließ. In der Folge gab es immer wieder Aktionen zivilen Ungehorsams. So wurden in der Nacht vor dem Internationalen Tag des Flüchtlings symbolische Gräber angelegt, mit dem Verweis auf die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer. Daneben war ein Schild angebracht: "Wegsehen bedeutet Mitmachen". Von Unbekannten wurden die Werbeplakate zur OB-Wahl mit Aufklebern verschönert: "Abschiebungen stoppen!" und "Bleiberecht für alle!". Kurz vor der Verabschiedung zur Verschärfung des Asylrechts im Bundestag, wurde das örtliche SPD-Parteibüro mit einer Steinmauer symbolisch geschlossen, versehen mit der Aufschrift "Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt".

Das sind Beispiele für außerparlamentarische Solidaritätsarbeit von Aktivist_innen, die das Schicksal von Menschen, die von Abschiebung bedroht sind, nicht kalt lässt. Wir brauchen einen langen Atem, um den Widerstand von unten aufrecht zu erhalten.


Weitere Infos:
http://buendnismuenster.blogsport.eu/
http://initiativems.blogsport.de/

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Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 401, September 2015, S. 12
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2015

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