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GRASWURZELREVOLUTION/1920: Wald statt Asphalt - Baumbesetzung im Dannenröder Wald


graswurzelrevolution Nr. 443, November 2019
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Wald statt Asphalt
Baumbesetzung im Dannenröder Wald

von Waschbär


Am 29. September 2019 haben wir Teile des Dannenröder Walds bei Stadtallendorf in Mittelhessen besetzt, um den Bau der A49 und die damit einhergehende Rodung von bis zu 110 ha Waldfläche zu verhindern. Dieser Text spiegelt meine subjektive Wahrnehmung der Besetzung wieder und sollte nicht als Meinung aller Besetzer*innen verstanden werden


Der Dannenröder Wald befindet sich zwischen Kassel und Frankfurt und ist, nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, als FFH-Schutzgebiet ausgewiesen. Dies definiert den besonderen Schutz von Tieren (Fauna), Pflanzen (Flora) und Lebensraumtypen (Habitat), nach Richtlinien der EU.

Außerdem handelt es sich um eine wichtige Trinkwasser-Region mit zahlreichen Trinkwasserentnahmestellen, wo schon jetzt - ohne Flächenversiegelung und Austrocknung des Waldbodens - der Grundwasserspiegel von Jahr zu Jahr weiter sinkt.

Obwohl der A49-Bau unter diesen Umständen eigentlich nie hätte begonnen werden dürfen, soll das Großprojekt durchgeboxt werden.

Begründet wird der Baubeginn vor allem durch die völlig unzureichenden und fragwürdigen Flächenausgleichsmaßnahmen in der Umgebung. So wurden u.a. zahlreiche Eichen gepflanzt, die nach zwei aufeinander folgenden, extrem trockenen und warmen Sommern größtenteils wieder eingegangen sind oder es wurden Nistkästen für die heimischen Fledermäuse installiert, die immer noch leer stehen und vielleicht nie als geeignete Alternative zu den bevorzugten Baumhöhlen angenommen werden, die nur in alten Baumbeständen zu finden sind. Vor ähnlichen Problemen steht auch der heimische Schwarzstorch, der genau wie die Haselmaus und der Kammmolch als selten und bedroht gilt.

Um dem Kammmolch einen "Ausgleichs-" Lebensraum zu bieten, wurden fruchtbare Böden zerfurcht, um langfristig sowas wie ein Feuchtgebiet zu imitieren, welches nach Einschätzungen niemals der Fall sein wird - zumal dieses Feuchtgebiet fast unmittelbar neben der Autobahn gelegen wäre.

Das alles trägt bisher keinerlei Früchte und es ist irrsinnig die Lebensräume dieser Tiere zu zerstören bevor auch nur eine dieser Maßnahmen ansatzweise gegriffen hätte!

Selbst wenn dies der Fall wäre, kann keine noch so tolle Ausgleichsmaßnahme einen rund 200 Jahre alten Mischwald ersetzen, der vorwiegend aus Buchen und Eichen besteht! Noch dazu befindet sich dieses Waldgebiet in vergleichsweise sehr gutem Zustand, wenn man das Wald- bzw. Fichtensterben und die enormen Schäden durch zu wenig Niederschläge und enorme Hitzeperioden betrachtet.

Zwar mag es durchaus einleuchten, die Dörfer vom Verkehrschaos entlasten zu wollen, die in Abgaswolken und Staus ersticken aber eine Autobahn und deren Auffahrten sorgen wohl eher dafür, dass dieses Problem an andere Orte verlagert wird, statt es grundlegend zu bekämpfen.

Sinnvoller wäre beispielsweise der Ausbau des Güterverkehrs auf der Schiene. Mit viel weniger Umweltschäden, ließe sich z.B. die Gütertrasse in Stadtallendorf ausbauen, um weniger LKWs auf die Straßen der Umgebung zu bringen, die einen Großteil des Verkehrsaufkommens ausmachen und enorme Emissionen verursachen. Außerdem könnte die Radweg-Situation verbessert werden, um Pendler*innen im näheren Umkreis den Arbeitsweg per Rad zu vereinfachen.

Die stillgelegten Bahntrassen in der Region könnten wieder reaktiviert und elektrifiziert werden, um den Personennahverkehr auszubauen. Durch Gratis-Nahverkehrsnutzung könnten zusätzliche Anreize geschaffen werden, um aufs Auto zu verzichten. Niemand braucht diese Autobahn, außer vielleicht die ansässigen Konzerne, die sich dadurch billigeren Warenverkehr und mehr Umsatz erhoffen. Uns geht es noch um mehr als um das Verhindern der geplanten Autobahn und den Erhalt des Waldes.

Obwohl die Klimabewegung viel Öffentlichkeit erreicht hat und überall über die immer spürbareren Folgen des Klimawandels (sinkende Grundwasserspiegel, drohendes Wald- & Artensterben, Verkehrswende...) philosophiert wird, drehen sich die kapitalistischen Mühlen weiter wie gehabt - nur werden diese grün gestrichen!

Herrschaftssysteme, die auf Profitmaximierung, Ausbeutung von Mensch und Natur und Spaltung beruhen, sind niemals dazu in der Lage selbst an deren Überwindung mitzuarbeiten, selbst wenn vorgegeben wird an Lösungen arbeiten zu wollen. Der logische Schluss muss sein, sich selbst zu organisieren, statt sich auf leere Versprechen von Regierungen und Konzernen zu verlassen, die Teil des Problems sind.

Ich selbst möchte Teil der Lösung sein und will mein Leben und meine Lebensrealität selbst gestalten, statt zu beten, dass irgendwer doch bitte alles besser machen soll. Genau in diese Richtung bewegt sich unsere Besetzung - als Teil des globalen Kampfes gegen die bestehende Ordnung.

Nach einiger Vorbereitung und Mobilmachung haben wir es geschafft am 29. September drei Baumhaus-Plateaus zu errichten und seitdem dauerhaft zu besetzen. Außerdem gibt es am Rande von Dannenrod eine angemeldete Mahnwache und eine Wiese, die uns zur Verfügung steht und als Anlaufpunkt fungiert.

Bei der Planung und Umsetzung ist eine inhomogene Gruppe gewachsen, die aus unterschiedlichsten Persönlichkeiten besteht und die es geschafft hat einen Freiraum zu kreieren. Einen Ort der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung mit möglichst flachen Hierarchien und dem Anspruch Wissenshierarchien durch Skill-Sharing (Wissensaustausch z.B. durch Workshops) und regelmäßige Plena gering zu halten.

Solche Orte sind Kristallisationspunkte, wo viel aufeinander prallt und viel entstehen kann, was - wie ein Samen im Wind - weitergetragen und an vielen anderen Orten Früchte tragen wird.

Eine solche Aktion ist auch mit viel Arbeit und Zeitaufwand verbunden, weshalb wir uns sehr über weitere Unterstützung und Mitstreiter*innen freuen. Kommt gern vorbei und lernt uns kennen oder kommt als Bezugsgruppe und startet eigene Aktionen vor Ort.

Komm gern vorbei und bleib solange wie es für dich passt! Wir wollen die Besetzung so lange wie nötig am Laufen halten und fänden es daher schön, wenn der Widerstand weiter wächst.

Wichtig ist vor allem auch möglichst viele Leute vor Ort zu haben, wenn geräumt wird, daher checkt gern regelmäßig unseren Blog (1). Eine Liste mit benötigten Materialien und aktuelle Infos findet ihr dort ebenfalls.

Des Weiteren gibt es jeden Sonntag um 14 Uhr die Gelegenheit (ab der Mahnwache) am regelmäßig stattfindenden Waldspaziergang teilzunehmen, den die örtliche Bürger*innen-Initiative organisiert.

Im Wald gibts dann auch - je nach Situation - die Möglichkeit für Kinder ein bisschen Klettern zu lernen und den Lebensraum Wald näher kennenzulernen.


Nachtrag vom 15.10.2019

Nach Redaktionsschluss dieser GWR erreichte uns die Presseerklärung der DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH), in der die Aussetzung der Rodung in dieser Saison 2019/2020 beschrieben wird.

Zwar sehe ich das als Teilerfolg unserer Proteste, aber es ist auch ein Versuch, uns den Wind aus den Segeln zu nehmen. So wird die Autobahn weiter gebaut, Fällungen sind damit keineswegs ausgeschlossen (es bleibt zu befürchten, dass die großen Buchen und Eichen, die gewinnbringend weiterverarbeitet werden, dennoch in dieser Periode gefällt werden könnten) und die ausgesetzte Rodung ändert nichts an der Räumungsgefahr der Baumhaussiedlung!

Wir bleiben und machen weiter!


ANMERKUNG
(1) https://waldstattasphalt.blackblogs.org/
https://twitter.com/keinea49

*

Quelle:
graswurzelrevolution, 48. Jahrgang, Nr. 443, November 2019
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Telefon: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net
 
Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3,80 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2019

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