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IMI/450: Bis an die Zähne hochgerüstet - Saudi Arabien, Garant der Konterrevolution und mehr


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkt 2012/034 - in: UZ, 29.6.2012

Bis an die Zähne hochgerüstet
Saudi Arabien, Garant der Konterrevolution und mehr

von Arno Neuber, veröffentlicht am 3. Juli 2012



Frage: Schon seit geraumer Zeit zeigt Saudi-Arabiens Regierung Interesse am Kauf von Leopard-2-Panzern. Nun ist von einem Verkauf von 600-800 solcher Panzer die Rede. Wäre ein Verkauf mit dem Grundgesetz vereinbar?

Arno Neuber: Das verstößt eindeutig gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes und gegen die deutschen Rüstungsexportrichtlinien, die Waffenlieferungen in Spannungsgebiete untersagen. Aber er liegt auch ganz auf der Linie, wie die Berliner Republik Außenpolitik betreibt. In den letzten Jahren wurde Saudi-Arabien massiv hochgerüstet. Da wurde eine Fabrik für Sturmgewehre gebaut, Teile für Kampfflugzeuge geliefert, Raketen und Granaten geschickt und Systeme für elektronische Kampfführung verkauft. Auch Pfefferspray und Elektroschockgeräte gehören zum "Stabilitätsexport" made in germany.

Frage: Die Kohl-Regierung hat bestimmte Waffenlieferungen an Saudi-Arabien mit dem Argument abgelehnt, dass davon eine Bedrohung für Israel ausgehen könne. Bundespräsident Gauck hat sich bei seinem letzten Israel-Besuch vorsichtig von der Haltung entfernt, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson. Ist das Voraussetzung für einen Panzerdeal?

Arno Neuber: Waffenlieferungen für Saudi-Arabien und Israel sind aus Berliner Sicht keine Widersprüche mehr. Auch wenn es in der CDU und sogar bei Eigentümern des Panzerbauers Krauss-Maffei diesmal vereinzelt Vorbehalte gegen den Leopard-Deal gibt. Offenbar hat die israelische Regierung sogar ihr Einverständnis mit der Panzerlieferung nach Riad signalisiert. Das kann eigentlich nur im Zusammenhang einer israelisch-saudischen Waffenbrüderschaft gegen den Iran interpretiert werden. Goldene Zeiten für deutsche Waffenfabrikanten. "Verteidigungs"minister de Maizière hat angekündigt, dass die Militärkooperation mit Israel weiter ausgebaut wird und gleichzeitig boomen die Geschäfte mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten.
In Saudi-Arabien wird auch eine besondere Variante der Zusammenarbeit zwischen Rüstungsindustrie und Repressionsapparat erprobt. Während EADS Systeme zur Grenzüberwachung für 900 Millionen Dollar liefert, übernimmt die deutsche Bundespolizei die Schulung ihrer saudischen Partner in Sachen "Terrorismusbekämpfung" und Grenzschutz. Letzteres war offenbar das ausschlaggebende Argument für den Kauf deutscher/europäischer Technologie.

Frage: Saudi-Arabien ist nach Israel die bestgerüstete Macht der Region. Auch atomare Ambitionen werden dem Regime nachgesagt. Wohin zielt diese Rüstung, wenn nicht nach Israel? Wofür braucht man 600-800 Panzer?

Arno Neuber: Saudi-Arabien hat schon heute weit über 1.000 Kampfpanzer, vor allem aus us-amerikanischer und französischer Produktion. Außerdem eine große Zahl von Transportern, um das Kriegsgerät schnell zum gewünschten Einsatzort bewegen zu können. Jetzt geht es wohl um eine Modernisierung dieser Waffengattung. Gefragt sind ausdrücklich neueste Leopard-Panzer mit Zusatzausrüstung für den Einsatz auch in bebautem Umfeld und gegen Demonstrationen. Aus der Bundesregierung ist immer wieder zu hören, Saudi-Arabien sei ein Stabilitätsfaktor in der Region, Waffenlieferungen seien daher vertretbar, wenn nicht gar unbedingt notwendig. Das Königreich ist aber vor allem ein Garant der Konterrevolution. Im Nachbarland Bahrain hat man geholfen, demokratische Bestrebungen blutig zu unterdrücken. Mit anderen Golfstaaten gibt es entsprechende Abkommen. Saudi-Arabien mischt sich zunehmend in die Politik der Nachbarländer ein.

Frage: Was würde eine direkte Konfrontation der stärksten regionalen Mächte Israel, Iran, Saudi-Arabien dort selbst und für den Rest der Welt bedeuten?

Arno Neuber: Vieles spricht dafür, dass die israelische Regierung bereits mit Riad über einen Luftangriff auf Iran gesprochen hat und iranische Gegenmaßnahmen durchkalkuliert werden. Das ist ein glatter Wahnsinn. Alle geschichtliche Erfahrung zeigt, dass die Pläne der Kriegsstrategen und die Realität des Krieges nichts miteinander gemein haben. Wer so etwas ins Kalkül zieht, der geht buchstäblich über Leichenberge. Ein Flächenbrand würde unvermeidlich die Folge sein.

Frage: Wie schätzt Du die Gefahr ein, dass Saudi-Arabien eines Tages auf eigene Faust nach Hegemonie über den Mittleren und Nahen Osten strebt?

Arno Neuber: Es gab in den letzten Jahren viele Signale, dass Saudi-Arabien sich nicht damit begnügt, lediglich den Aufpasser der imperialistischen Mächte in der wichtigsten Ölregion zu spielen. Der sogenannte "Antiterrorkrieg" hat zu Konflikten mit den USA geführt und in Riad betrachtet man mit Unbehagen, wie die USA im Zuge des arabischen Frühlings alte Bundesgenossen fallen lassen. Dass Saudi-Arabien seine Waffen inzwischen nicht nur in den USA beschafft, ist sicher kein Zufall. Es dürfte interessant sein zu beobachten, wie sich die Kontakte zu Israel weiter entwickeln. Riad wird jedenfalls versuchen, seinen Einfluss weiter auszudehnen und nutzt dabei die Umbruchprozesse in der arabischen Welt. Saudi-Arabien lieferte Waffen zum Sturz Gaddafis in Libyen und rüstet Gruppen aus, die militärisch gegen die syrischen Machthaber agieren. Riad hat Ende des letzten Jahres durchgesetzt, dass der Golf-Kooperationsrat beschlossen hat, sich zu einer Staatenunion weiter zu entwickeln. Die ehemaligen zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion dürfen sich der Unterstützung der Saudis gegen Russland sicher sein. Saudi-Arabien erhebt den Anspruch auf religiöse Führerschaft aller Gläubigen des Islam. Das hat natürlich auch politische Auswirkungen.

Frage: Saudi-Arabien ist ein autokratischer Staat. Frauenunterdrückung, Ausbeutung von sechs Mio. Arbeitsmigranten, Folter, Brachialjustiz, 82 vollstreckte Todesurteile im Jahre 2011, öffentliche Auspeitschungen. Trotzdem bezeichnet die Bundesregierung das Regime als Freund. Darf man solche Freunde haben?

Arno Neuber: Sag mir, wer deine Freunde sind und ich sag dir, wer du bist. Wirtschaftsminister Rösler war in Riad und aus seiner Begleittruppe verlautete nur Lob über die saudische Oase der Stabilität. Diese Kumpanei hat schon eine lange Tradition. In den 50ern hat der BND die Palastwache des saudischen Königs ausgerüstet, in den 60ern wurde der saudische Geheimdienst von BND-Experten aufgebaut und ausgebildet und heute liefert Deutschland Hochtechnologie für die Grenzüberwachung und Waffen. Wenn es den eigenen Interessen nützt, ist man in Berlin nicht zimperlich. Das ist ja auch in Usbekistan zu sehen, das für den deutschen Nachschub in Afghanistan eine wichtige Rolle spielt.

Frage: Offensichtlich erhöht jede Aufrüstung im Mittleren und nahen Osten die Kriegsgefahr. Welche kurz-, mittel- und langfristigen Wege muss man gehen, um dieses Pulverfass zu entschärfen?

Arno Neuber: Man muss denjenigen in den Arm fallen, die ständig die Menschenrechte im Mund führen und gleichzeitig internationales Recht mit Füßen treten, Krieg in Afghanistan und im Irak führen, militärisch in die inneren Konflikte missliebiger Staaten eingreifen, Israel mit U-Booten ausrüsten, die als Atomwaffenträger vorgesehen sind, die israelische Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten rechtfertigen und reaktionäre Regime zu militärischen Großmächten hochrüsten. Aktuell geht es darum, einen Krieg gegen den Iran und eine direkte Militärintervention der imperialistischen Mächte in Syrien zu verhindern. Bereits vor zwei Jahren wurde auf einer UNO-Konferenz der Mitgliedsländer des Atomwaffensperrvertrages beschlossen, noch im Jahr 2012 eine Konferenz aller Nahost-Länder zur Realisierung einer atomwaffenfreien Zone in der Region einzuberufen. Offenbar fehlt es aber am politischen Interesse der USA und der EU-Mächte. Auch hier ist öffentlicher Druck notwendig.

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Quelle:
IMI-Standpunkt 2012/034 vom 03.07.2012
Bis an die Zähne hochgerüstet
Saudi Arabien, Garant der Konterrevolution und mehr
URL: http://www.imi-online.de/2012/07/03/bis-an-die-zahne-hochgerustet/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2012