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IMI/828: Konflikte und Konfliktpotenziale in der zentralasiatischen post-sowjetischen Peripherie


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Studie 2017/14 vom 7. November 2017

Kirgisistan und Tadschikistan
Konflikte und Konfliktpotenziale in der zentralasiatischen post-sowjetischen Peripherie

von David X. Noack


INHALTSVERZEICHNIS
  • Einleitung
  • Komplexe Gemengelage
  • Tadschikistan: Vom Bürgerkrieg zur Diktatur des Sicherheitsapparates
  • Kirgisistan: Neoliberales Vorzeigeland im Chaos von Farbrevolutionen
  • Grenzkonflikte, der "Islamische Staat" und Separatismus in Mittelturkestan
  • Kirgisistan und Tadschikistan in der EaU und auf dem Weg in die EaU
  • Schlussbetrachtung
  • Anmerkungen
  • Kasten: Nicht nur Moskau oder der Westen: Nicht-westliche Akteure

Einführung

Die beiden zentralasiatischen Staaten Kirgisistan und Tadschikistan sind heute die ärmsten Republiken, die aus der früheren Sowjetunion hervorgingen. Gelegen zwischen Kasachstan im Norden, China im Osten, Afghanistan im Süden und Usbekistan im Westen spielen die beiden Länder aufgrund ihrer geopolitischen Lage eine besondere Rolle bei russischen Versuchen, den Einfluss in Zentralasien wiederherzustellen und den Vormarsch der USA (und - mit Abstrichen - anderer westlicher Akteure) zurückzudrängen. Einflussofferten Chinas, Indiens, des Irans, Pakistans, der Türkei verkomplizieren die Lage zusätzlich (siehe Kasten). All diese Faktoren verschärfen die vorhandenen Konflikte in der Region und bergen ein erhebliches Eskalationspotenzial, wie im Folgenden dargestellt werden soll. Aufgrund des zwischenstaatlichen Konfliktpotenzials ist es umso notwendiger, dass unter Vermittlung internationaler Akteure Lösungen für die akutesten Streitfragen in der Region gefunden werden.


Komplexe Gemengelage

Die Voraussetzungen beider Staaten sind höchst unterschiedlich. Kirgisistan beispielsweise ist ein multikultureller Staat - circa 71 % der Bevölkerung gehören dabei der Titularnation an und 14 % sind Usbeken. Mit 8 % ist die russische Minderheit für zentralasiatische Verhältnisse ziemlich stark und ungefähr ein Prozent der Bevölkerung sind Dunganen, gehören also zu einer chinesisch-muslimischen Bevölkerungsgruppe. Unter den restlichen sechs Prozent der Bevölkerung sind unter anderem eine deutsche Minderheit sowie Uighuren - die Minderheit der großen chinesischen Nachbarprovinz Xinjiang. Die ethnischen Minoritäten des Landes werden immer wieder zum internationalen Politikum, da sich die Regierungen Deutschlands, Russlands und Usbekistans als Schutzherren ihrer ethnischen Minderheiten sehen und die uighurisch geprägte Nachbarprovinz Xinjiang ein Unruheherd innerhalb der VR Chinas ist. Drei Viertel der kirgisischen Bevölkerung hängen dem sunnitischen Islam an und etwa 20 % wiederum der christlich-orthodoxen Kirche.

Weitaus verworrener ist jedoch die Lage im südlichen Nachbarland. Durch die äußerst gebirgige Beschaffenheit Tadschikistans entstanden in den vielen verschiedenen Tälern des Landes höchst unterschiedliche regionale Identitäten.[1] Hinzu kommen ethnische Trennlinien: Im dünn besiedelten Osten des Landes leben hauptsächlich Paschmiris und Kirgisen und im dichter besiedelten Westen wiederum ethnische Tadschiken und Usbeken. Darüber hinaus trennen auch linguistische Merkmale die Einwohner Tadschikistans: Die Paschmiris und das Titularvolk des Landes auf der einen Seite sprechen eine persische Sprache und auf der anderen Seite Kirgisen sowie Usbeken eine Turksprache. Als eines der wenigen einigenden Elemente dient die Religion: Die große Mehrheit der Bevölkerung hängt dem sunnitischen Islam als Glauben an.

Über Jahrhunderte war das Ferganatal das wirtschaftliche Zentrum Zentralasiens. Zerschnitten wurde es durch die Grenzziehungen in der Sowjetunion in den 1920er Jahren. Die Wirtschaft Tadschikistans und Kirgisistans im Ferganatal verband zunächst eine lange gemeinsame Geschichte innerhalb der Sowjetunion. Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates konzentrierten sich Minen, Energiefirmen und diverse Leichtindustriebetriebe auf den kirgisischen Teil des Gebiets. Tadschikistan wiederum beherbergt Textilverarbeitungsbetriebe und eigene Minen.[2] Die ungleiche Verteilung von wirtschaftlichen Ressourcen führte zu vielen Problemen in den Staaten der zentralasiatischen postsowjetischen Peripherie.


Tadschikistan: Vom Bürgerkrieg zur Diktatur des Sicherheitsapparates

Die Geschichte Tadschikistans als zusammenhängendem Gebiet in der heutigen Form ist nicht einmal hundert Jahre alt. Die Tadschikische Republik entstand im Oktober 1924 zunächst als eine Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) innerhalb des Verbundes der Usbekischen SSR. Erst 1929 verließ die Tadschikische ASSR Usbekistan und wurde zu einer innerhalb der Sowjetunion eigenständigen SSR. Die Behörden im Land forcierten in den 1920er und 1930er Jahren die Umsiedlung ethnischer Tadschiken von den dichtbesiedelten Tälern im Norden und Zentrum des Landes hin zu den weitestgehend entvölkerten Gebieten im Süden nahe der afghanischen Grenze.[3] Eine von ethnischen Tadschiken dominierte Teilrepublik sollte dann als Einflusshebel auf die Tadschiken in Afghanistan sowie auf Persien dienen.[4] Die Titularnation der 1929 entstandenen SSR hatte damals für die Sowjets den Vorteil, nicht in Clans organisiert zu sein, wie es zu dieser Zeit die meisten Usbeken und Kirgisen waren.[5] Umsiedlung, Zersiedlung und Krankheiten sowie viele Todesfälle veränderten die ethnische Komposition des Landes und haben somit Auswirkungen bis heute.

Die Sowjetmacht versuchte, die verschiedenen Clans und unterschiedlichen Gruppierungen des Landes auszubalancieren. Trotz alledem hat sich die nördliche Stadt Leninabad (heute: Chudschand) zum ökonomischen Zentrum des Landes entwickelt und deswegen kamen die meisten höheren politischen und wirtschaftlichen Funktionäre in der realsozialistischen Epoche aus dieser Gegend.[6] Chudschand wiederum liegt im landwirtschaftlich enorm wichtigen Ferganatal, in welchem seit eineinhalb Jahrhunderten intensiv Baumwolle angebaut wird. In diesem Gebiet wohnen viele Tadschiken und Usbeken sowie auch eine bedeutende russische Minderheit. Aus der südlich gelegenen Kulob-Region wiederum stammten viele Sicherheitsbeamte aus der Zeit der Tadschikischen SSR (1929-1991).[7] Diese regionale Verteilung von Verantwortung führte mit dem Ende der Sowjetunion zu massiven Problemen in dem Land.

In den zentralasiatischen Ländern gab es in den 1980er Jahren keine starken Massenbewegungen, die sich für die Unabhängigkeit ihrer Länder einsetzten. Zur Zeit der Sowjetunion hatten massive Investitionen das zuvor russisch-koloniale Gebiet grundlegend verändert. In vielen Sowjetrepubliken gab es Ende der 1980er Jahre Industriebetriebe, eine entwickelte Landwirtschaft und eine funktionierende Infrastruktur. Viele Betriebe überlebten ohne den Ressourcentransfer innerhalb der UdSSR nicht lange. Der Übergang in den Kapitalismus stürzte große Teile der Bevölkerung Zentralasiens in bittere Armut. Die lokalen Eliten der jeweiligen Länder konkurrierten um die einheimischen Ressourcen und fünf verschiedene politische Systeme entstanden. In Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan - den drei postsowjetischen Staaten der Region mit der meisten Industrie und den größten Rohstoffvorkommen - konnten die Landesparteichefs der KPdSU ihre Staaten weiterregieren und autoritäre Staaten mit Quasi-Einparteiensystemen entstanden. Die auch ökonomisch peripheren und rohstoffarmen Republiken Kirgisistan und Tadschikistan wiederum glitten in ein soziales und politisches Chaos ab.

In Tadschikistan beispielsweise kam es zu dem längsten postsowjetischen Bürgerkrieg, in welchem sich verschiedene lokale Gruppen bekämpften. Verkompliziert wurde die Auseinandersetzung, da Usbekistan und Russland militärisch in den Konflikt auf Regierungsseite eingriffen.[8] Die Vereinigte Tadschikische Opposition (VTO) wiederum konnte auf Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin, wie beispielsweise ab 1994 den Taliban, al-Kaida und Pakistan setzen. Durch die Moskauer Protokolle im Juni 1997 endete der Tadschikische Bürgerkrieg, die innenpolitischen Kräfte, die zu Sowjetzeiten den Sicherheitsapparat dominierten hatten, konnten sich politisch durchsetzen und die aus der VTO hervorgegangene Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans zog im Jahr 2000 ins Parlament ein.

Neben dem Bürgerkrieg in Tadschikistan tobte auch im benachbarten Afghanistan ein interner Konflikt, an welchem sich verschiedene äußere Mächte beteiligten. Die verschiedenen Konfliktparteien beider Bürgerkriege mischten sich auch in die Konflikte in den jeweiligen Nachbarländern ein. Im Herbst 1993 beispielsweise überquerten afghanische Mudschaheddin gemeinsam mit tadschikischen Rebellen die afghanisch-tadschikische Grenze und griffen russische Truppen an. Circa 25 russische Soldaten starben bei diesem Zwischenfall. Die russische Regierung nahm dies zum Anlass, das Engagement der russischen Armee in Tadschikistan sogar noch weiter auszubauen.[9] Obwohl der Afghanistankrieg 1979-1989 zum Niedergang der Sowjetunion beitrug, diente die Fortsetzung der Auseinandersetzungen im Land am Hindukusch der russischen politischen und militärischen Führung als willkommener Anlass, die russische Truppenpräsenz aufrechtzuerhalten und dadurch den russischen Einfluss in Zentralasien zu stärken.

Mit dem ethnisch-usbekischen afghanischen General Dostum hatte Russland sogar noch einen Verbündeten innerhalb der Grenzen Afghanistan nach dem Sturz des alten mit Moskau verbündeten Regimes. Dostum gelang es, einen Einflussbereich um die Stadt Mazar-i-Sharif aufzubauen, welcher in den russischen Medien (halb scherzhaft) auch "Dostumistan" genannt wurde. In Dostumistan hatten Russland, der Iran, Usbekistan und Turkmenistan ihre für Gesamtafghanistan zuständigen Botschaften und Pakistan unterhielt dort ein Konsulat.[10] Dostum kontrollierte auch für lange Zeit Teile der afghanischen Nordgrenze.[11] Von seiner Hauptstadt Mazar-i-Sharif aus betrieb er sogar eine eigene Fluglinie.[12] Mit Dostums Reich ragte der russische Einfluss bis zu den Nordrändern des Hindukusch-Gebirges. Doch der Einfluss blieb nicht dauerhaft - die Taliban eroberten Mazar-i-Sharif im Jahr 1997.

Doch durch den Friedensschluss in Tadschikistan schien der russische Einfluss in diesem zentralasiatischen Staat vorerst gesichert. Hinzu kam, dass das völkerrechtswidrige Vorgehen der NATO auf dem Balkan zu einem Schulterschluss der Staaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten führte.[13] Wie in vielen post-sowjetischen Staaten sorgte die NATO-Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Sommer 1999 für scharfe Reaktionen in Duschanbe. Den Kosovokrieg der NATO gegen Jugoslawien verurteilte die tadschikische Regierung scharf - ähnlich wie die Regierungen von Belarus, Kirgisistan und Russland. [14]

Doch die russische Hegemonie sollte nicht dauerhaft gesichert bleiben. Mit dem verstärkten Engagement der NATO in Zentralasien infolge der Besatzung Afghanistans[15] verbesserte auch Tadschikistan seine Beziehungen mit dem westlichen Militärbündnis sowie westlich dominierten Organisationen. 2001 begann Tadschikistan Beitrittsverhandlungen mit der Welthandelsorganisation WTO. Im Jahr 2002 trat das autoritär regierte Land als letzter der post-sowjetischen zentralasiatischen Staaten dem NATO-PfP-Programm bei.[16] Im gleichen Jahr genehmigte die westlich-dominierte Weltbank ein Armutsreduzierungsprogramm für Tadschikistan - nachdem ein ehemaliger Mitarbeiter der Weltbank dieses Programm für die tadschikische Regierung geschrieben hatte.[17] Der westliche Einfluss - politisch, wirtschaftlich und militärisch - stieg an.


Kirgisistan: Neoliberales Vorzeigeland im Chaos von Farbrevolutionen

Komplett anders verlief die Entwicklung im nördlichen Nachbarland Tadschikistans. Obwohl alle zentralasiatischen Staaten aus der Sowjetunion nahezu ohne Schulden hervorgegangen waren - Russland hatte alle Auslandsschulden der früheren Sowjetunion auf sich genommen[18] - forcierte der erste kirgisische Präsident, Askar Akajew, nach der Unabhängigkeit des Landes eine Liberalisierungspolitik in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft des Landes. Diese hatte katastrophale Folgen für die sozioökonomische Entwicklung Kirgisistans. Im agroindustriellen Sektor wollte Akajew durch Privatisierungen beispielsweise die historisch gewachsene ungleiche Verteilung von Agrarland zwischen ethnischen Russen und Kirgisen neu ordnen.[19] Doch auch im Industriebereich hielt sich Akajew in den 1990er Jahren an die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF). Im September 1993 schrieb die Süddeutsche Zeitung, dass Kirgisistan zu den "Musterknaben" des IWF zählen würde.[20] 1998 wurde das Land dann außerdem noch das erste zentralasiatische Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO), was nochmal einen weiteren Liberalisierungsschub bedeutete.[21]

Die Folgen der neoliberalen Schocktherapie für die kirgisische Wirtschaft und den Staatshaushalt des zentralasiatischen Landes sprechen für sich. 1996 hatte Kirgisistan die zweithöchste Pro-Kopf-Schulden-Rate aller post-sowjetischen Staaten.[22] Die Schulden beliefen sich bereits im ersten Jahrzehnt der Unabhängigkeit auf mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes des Landes.[23] Bereits im Jahr 2002 nahm die kirgisische Regierung Verhandlungen mit dem Pariser Club zur Schuldentilgung auf und Experten schätzten ein, dass das Land in die Kategorie der Hochverschuldeten armen Länder (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) fiel.[24] Die wirtschaftsliberale Politik von Akajew führte unter anderem dazu, dass das Land nach 15 Jahren Unabhängigkeit die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller zentralasiatischen Staaten vorwies.[25] Diese Auswirkungen hatten jedoch weiterhin nicht die Folge, dass auf eine andere Politik umgeschwenkt worden wäre.

Die wirtschaftsliberale Politik des Akajew-Clans führte unter anderem zur ökonomischen Anbindung des Landes an die NATO. Im Jahr 1997 eröffnete die Kumtor-Goldmine im Osten des Landes. Die Minerallagerstätte steht seit dieser Zeit unter der Kontrolle der kanadischen Centerra Gold Inc. Die Kumtor-Mine erwirtschaftete im Jahr 2011 ungefähr ein Achtel des kirgisischen Bruttoinlandsproduktes.[26] Damit stellt die Mine eine der wichtigsten Einnahmequellen des kirgisischen Staatshaushaltes dar.

Alles in allem entstand in den 1990er Jahren ein "globalisiertes Protektorat" in Kirgisistan, welches das kleine Land hochgradig von Organisationen wie dem Weltwährungsfonds und der Weltbank abhängig machte. Das Staatswesen erodierte an sich und Stiftungen aus anderen Ländern, wie beispielsweise die der türkisch-religiösen Gülen-Bewegung, nahmen einen bedeutenden Platz in der kirgisischen Gesellschaft ein. Saudi-arabische Organisationen beispielsweise finanzierten den Aufbau von Moscheen.[27] Aus Deutschland eröffneten die Friedrich-Ebertund die Konrad-Adenauer-Stiftung Büros in Bischkek. Der deutsche NABU (Naturschutzbund) übernimmt seit dieser Zeit als privater Träger wichtige Naturschutzaufgaben im Land, da der kirgisische Staat nicht die Ressourcen hat, sich um diese Aufgabe zu kümmern. Die deutsche bundeseigene Entwicklungshilfeorganisation Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist seit 1992 in Kirgisistan präsent und beschäftigt dort derzeit über 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Seit 1996 fördert die GIZ das "Deutschtum" in dem Land, unter anderem mit Sozialhilfeprojekten und der "Elitenförderung". Der "Volksrat der Deutschen Kirgistans", die Interessensvertretung der deutschsprachigen Kirgisen, ist seit 1998 Mitglied der "Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen" (FUEV), einer Vorfeldorganisation der deutschen Außenpolitik.

Westliche Medien hatten Kirgisistan in den 1990er Jahren immer wieder als eine "Oase der Demokratie in Zentralasien" bezeichnet.[28] Deutsche Zeitungen betonten sogar gerne, dass Staatspräsident Akajew "ein Verehrer von Goethe und Schiller sowie der deutschen Musiktradition" sei.[29] Das von ihm regierte Land galt manchen sogar als "Schweiz Zentralasiens".[30] Akajew hatte Kirgisistan "zu einer Art Musterstaat unter den Reformländern Mittelasiens gemacht", schrieb die Frankfurter Rundschau im Jahr 1997.[31] Diese angebliche Vorbildfunktion ließ es zum ersten Mal in der deutschen Öffentlichkeit rechtfertigbar erscheinen, den EU-Einfluss bis in diese Region auszudehnen. Deutsche Wirtschaftsvertreter forderten 1997, dass Kirgisistan Teil einer zentralasiatischen Wirtschaftsunion werden solle.[32] Solch eine Union hätte dann - an Russland vorbei - an die EU angebunden werden können. Auf einer Konferenz der Herbert-Quandt-Stiftung der BMW AG im Berliner Hotel Adlon im Jahr 1999 sagte der damals amtierende kirgisische Premierminister Amangeldi Muralijew, "wir träumen davon, Teil Europas zu sein".[33] Das passte ins Konzept - die für die EU "richtigen" Eliten hatten das Land übernommen.

Während Deutschland vor allem wirtschaftlich, kulturell und politisch Präsenz zeigte, drangen die USA auch militärisch in die Region vor. Unter der Schirmherrschaft des US-Militärs entstand 1995 das CentrAsBat-Format, in welchem kasachische, kirgisische und usbekische Soldaten gemeinsam trainierten.[34] 1997, 1998 und 2000 hielt CentrAsBat Manöver ab. Beim ersten dieser Kriegsspiele führten 500 US-Soldaten und 40 zentralasiatische Militärs eine Fallschirmsprungoperation nach einem 12.500-km-Flug durch. Ein US-Vier-Sterne-General erklärte zu dieser Gelegenheit: "Es gibt keine Nation auf dem Antlitz der Erde, die wir nicht erreichen können".[35] Das Manöver diente eindeutig zur US-Machtprojektion in dieses Gebiet. Doch CentrAsBat verschwand schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit.[36] Russland gewann eine stärkere sicherheitspolitische Rolle in der Region. Einer der Gründe dafür war erneut das NATO-Vorgehen auf dem Balkan. Der Kosovokrieg führte auch in Kirgisistan zu einer ablehnenden Haltung. Am 25. März 1999 erklärte der kirgisische Verteidigungsminister, dass sich sein Land in "voller Solidarität" mit der Haltung Russlands befinde und die Positionierung seines Landes im Kontext der GUS gesehen werden müsse.[37] Während die NATO-Einmischungen auf dem Balkan das südosteuropäische Gebiet als westliche Einflusszone sicherten, führte das Vorgehen dazu, dass viele post-sowjetische Politiker auf Distanz zum atlantischen Bündnis gingen.

Das geopolitische Moment des 2001 begonnenen "Kriegs gegen den Terror" wiederum nutzten deswegen die westlichen Staaten, um ihren Einfluss in Zentralasien militärisch, politisch und auch wirtschaftlich auszubauen. So errichtete die US-Armee in Usbekistan und Kirgisistan Militärbasen, die deutsche Bundeswehr wiederum ausschließlich in Usbekistan und die Armeen der NATO-Staaten Frankreich und Spanien sowie des westlichen Verbündeten Südkorea nutzten die Basen in Kirgisistan mit.

Doch Akajew ging trotz der Militärstationierung und des kurzfristigen Aufschwungs der Beziehungen zwischen Kirgisistan und den USA auf zunehmende Distanz zur NATO. 2003 stimmte der kirgisische Präsident einem Militärabkommen mit Russland zu, welches zur damals - laut Experten - "bedeutendsten Stationierung russischen Militärs seit dem Ende der Sowjetunion" führte.[38] Außerdem verwehrte die kirgisische Regierung der NATO, AWACS-Aufklärungsflugzeuge in Kirgisistan zu stationieren. [39] Durch die nicht konsequente Pro-NATO-Politik und die strategisch wichtige Lage Kirgisistans geriet das Land in den Fokus von US-Geheimdienstplänen und den Ambitionen von Vorfeldorganisationen der US-Außenpolitik.

Nachdem so genannte "Farbrevolutionen" bereits 2003 in Georgien und 2004/2005 in der Ukraine pro-atlantische, neoliberale und anti-russische Nationalisten an die Regierung gebracht hatten, konzentrierten sich die Bemühungen diverser westlicher Organisationen auf Kirgisistan. Mithilfe von Demonstrationen und der Besetzung von Regierungsgebäuden gelang es der Opposition, die Regierung zu übernehmen. Mike Stone, Projektleiter der US-Organisation 'Freedom House' erklärte nach dem Regierungsumsturz gegenüber einer britischen Zeitung: "Mission erfüllt!".[40]

Als neuer Präsident zog Kurmanbek Bakijew in das Weiße Haus, den kirgisischen Präsidentenpalast, ein. Der neue Staatschef legte einen Fokus auf verbesserte Beziehungen zum US-Militär im eigenen Land und die Unterstützung des NATO-Engagements in Afghanistan. In internen Depeschen der US-Botschaft in Bischkek bezeichneten die Mitarbeiter der Auslandsvertretung die von Bakijew skizzierte Außenpolitik mit einer größeren Distanz zu Russland als in "Kirgisistans bestem Interesse".[41] Die Farbrevolutionen schienen den US-amerikanischen Einfluss bis in das Herzland Eurasiens vorgeschoben zu haben.

Doch der Sieg des US-amerikanischen Einflusses blieb kein endgültiger. Nachdem die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise der kirgisischen Wirtschaft besonders zusetzten, wandte sich die Regierung von Bakijew verzweifelt an Moskau und erhielt im Frühjahr 2009 finanzielle Zusagen von über zwei Milliarden US-Dollar und einen teilweisen Schuldenschnitt.[42] Eine Neuorientierung der kirgisischen Außenpolitik hatte begonnen. Forciert wurde diese nochmal durch einen weiteren Umsturz im Jahr 2010 hinter welchem Experten auch russische Geheimdienste vermuteten.[43]


Grenzkonflikte, der "Islamische Staat" und Separatismus in Mittelturkestan

Immer wieder kommt es aufgrund der frühsowjetischen und bis heute gültigen Grenzziehung zwischen den zentralasiatischen Staaten zu zwischenstaatlichen Konflikten. Vor allem im Ferganatal führen Auseinandersetzungen beispielsweise um Wasserrechte zu bewaffneten Zwischenfällen. Im Januar 2013 beispielsweise entführten Usbeken in der usbekischen Exklave Soch 16 Kirgisen, nachdem angeblich kirgisische Soldaten auf usbekische Demonstranten geschossen hatten. Die Entführten kamen nach Verhandlungen wieder frei.[44] Soch soll auch als Basis für die Islamische Bewegung Usbekistans (IMU) dienen.[45] Die IMU ist eine islamistische Bewegung, die im Tadschikischen Bürgerkrieg auf der Seite der VTO kämpfte und im Sommer 2015 ISIS, dem so genannten "Islamischen Staat", die Treue schwor.

Im Juli 2015 kam es zu einer Schießerei in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Die Behörden behaupteten, es habe sich um eine erfolgreiche Operation gegen Terroristen der ISIS-Terrormiliz gehandelt.[46] Circa 350 Kirgisen und 500 Tadschiken sollen auf der Seite von ISIS auf dem irakisch-syrischen Kriegsschauplatz kämpfen. Viele Zentralasiaten, die für diese Terrorgruppe kämpfen, reisen über die Türkei nach Syrien und in den Irak, was zu auch zu diplomatischen Verwerfungen mit Ankara geführt hat.[47] Doch auch im zentralasiatischen Raum steigen die Befürchtungen vor einem wachsenden Einfluss von ISIS.

Auf die steigende Terrorgefahr antwortet die kirgisische Regierung unter anderem mit einem Aufrüstungsprogramm der Armee des Landes. Da der peripher-kapitalistische Staat jedoch wenige eigene Mittel hat, erhält Kirgisistan Hilfe von seinen Partnern in der Eurasischen Union und der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit (OVKS).[48] Im Februar 2016 unterzeichnete der kasachische Präsident ein Abkommen über "freie militärtechnische Hilfe" für Kirgisistan. Das kleine Nachbarland Kasachstans erhält kostenlos Kleinwaffenmunition, Granaten und Ersatzteile für das Flugabwehrraketensystem S-75M3. Als Grund für das Abkommen gab der kasachische Verteidigungsminister Okas Saparow an, dass Kirgisistan Gefahren drohen, die ihren Ursprung in Afghanistan und dem Mittelosten hätten. Mit dem Abkommen werde angeblich der Sicherheit Zentralasiens geholfen.[49] Doch eine Aufrüstung wird keine der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen.

Auch die zwischenstaatlichen Konflikte der post-sowjetischen Staaten Zentralasiens sind kompliziert: Zu einem Scharmützel zwischen kirgisischen und tadschikischen bewaffneten Einheiten, bei welchem auch Mörser eingesetzt wurden, kam es im Januar 2014. Bei dem Zwischenfall gab es zwar keine Toten, aber mehrere Verletzte auf beiden Seiten. Anlass dafür war angeblich ein Bauunternehmen auf einer Straße in einem Gebiet mit umstrittenem Grenzverlauf.[50]

Im März 2016 kam es zu einem weiteren Zwischenfall in den usbekisch-kirgisischen Beziehungen als Usbekistan Truppentransporter in einem umstrittenen Gebiet stationierte. Ein Vertreter Kirgisistans sagte daraufhin, dass Usbekistan beabsichtige, sich das umstrittene Gebiet einzuverleiben und betonte, dass die Stationierung von Militär in umstrittenem Gebiet eine Verletzung internationaler Normen darstelle. Gerüchte machten die Runde, Usbekistan bringe Truppen in Stellung, um die kirgisische Regierung zu stürzen. Diese rief die OVKS um Hilfe an und diese entsandte einen Vertreter in die Region. In den Tagen nach der Eskalation konnten beide Seiten den Konflikt durch Gespräche lösen. Der kirgisische Präsident Atambajew erklärte nach der Lösung der Krise auf einer Pressekonferenz, dass Kirgisistan von seinen OVKS-Verbündeten erwarten würde, dass sie dem kleinen zentralasiatischen Land zur Hilfe kommen würden, sollte es bedroht sein.[51]

Als eine weitere Problemregion in der zentralasiatischen Peripherie gilt Berg-Badachschan (auch genannt Gorno-Badachschan). Die autonome Provinz der iranischen ethnischen Gruppe der Pamiris gilt als Armenhaus von Tadschikistan - mehr als 70 % der Bewohner leben unter der absoluten Armutsgrenze von weniger als umgerechnet 8 Euro im Monat.[52] Aus Mangel an wirtschaftlichen Perspektiven blühen die organisierte Kriminalität, das Warlord-Wesen und der Separatismus in der Region. Im Jahr 2012 wandte sich ein lokaler Warlord gegen die Sicherheitsbehörden des Landes und nach einem Mord an einem tadschikischen Beamten kam es zu kämpfen, bei denen mindestens 42 Menschen starben.[53] Bereits seit den 1990er Jahren ist die Region eine Haupttransitroute für afghanische Drogen auf dem Weg nach Europa.[54]

Ein weiterer "Hotspot", an welchem verschiedene Entwicklungen Zentralasiens zusammenlaufen, ist die Region Batken im Südwesten Kirgisistans. In der Provinz befinden sich infolge der frühsowjetischen Grenzziehung mehrere usbekische und tadschikische Exklaven. Zu einem besonders eigenartigen Konflikt kam es im Jahr 2013, als bei einem Zwischenfall in Batken bewaffnete usbekische Zivilisten 30 bis 40 kirgisische Grenzsoldaten als Geiseln nahmen.[55] Die jeweiligen Staaten haben bis heute keinen Mechanismus gefunden, wie der komplizierte Grenzverlauf sinnvoll kontrolliert werden kann.

Aufgrund der prekären Staatlichkeit fanden auch immer wieder Terroristen in der Region Zuflucht. In den Jahren 1999, 2000 und 2001 gab es Zwischenfälle mit der IMU in den Exklaven in der Batken-Region.[56] 2006 kam es erneut zu einem Angriff auf einen tadschikischen Grenzposten in Batken, wobei Experten dahinter ebenso Islamisten vermuteten.[57]

Ein weiterer Faktor, der immer wieder für zwischenstaatliche Probleme sorgt, ist das Wasser. Nicht nur in Nord- und Westafrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten belasten Streitigkeiten über den Verlauf von Flüssen und die Errichtung von Stauseen die bilateralen Beziehungen von diversen Ländern. Auch in Zentralasien belasten diese Angelegenheiten die Beziehungen der Staaten untereinander. Ein Grund dafür ist der Baumwollanbau, der einerseits viel Wasser benötigt und andererseits ein wichtiger Wirtschaftsfaktor vor allem in Usbekistan ist. Nach einer über 60-jährigen Vorgeschichte begannen im Oktober 2016 die Bauarbeiten am Rogundamm in Mitteltadschikistan. Die zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Tadschikischen Bürgerkrieges standen die bereits begonnen Bauarbeiten still und das Staudammprojekt führte zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Usbekistan und Tadschikistan. Die usbekische Seite befürchtet, dass das verarmte Nachbarland geneigt sein könnte, den Wasserzufluss als politische Waffe einzusetzen.[58] Der Zwist hat schon des Öfteren zur Einstellung von usbekischen Gasexporten nach Tadschikistan geführt. Kurz vor seinem Tod im vergangenen Jahr warnte der usbekische Präsident Islam Karimow sogar vor möglichen "Wasserkriegen" in der Region. Die Mailänder Firma Salini Impregilo erhielt letztendlich den Zuschlag für das 4,9-Milliarden-US-Dollar-Projekt, von dem sich die Regierung in Duschanbe die Energieunabhängigkeit verspricht.[59]

Im Falle Kirgisistans ist der Streit um neue Staudämme vor allem ein Konflikt um die Gestaltung der Energiepolitik des Landes und somit auch um die Beziehungen zwischen Kirgisistan und Russland. So schlossen die Regierung Moskaus und Bischkeks im Jahr 2012 einen Vertrag ab, der die Errichtung eines Staudamms und mehrerer Wasserkraftwerke am Naryn, einem Quellfluss des Sir-Darjas, vorsah. Die Vorhaben sollten rund 2,7 Milliarden Euro kosten. Doch die russische Seite verschleppte die Projekte und Ende 2015 kündigten Vertreter der russischen staatlich kontrollierten Stromkonzerne InterRao und RusHydro an, dass sie aufgrund der Wirtschaftskrise in der Russischen Föderation die Vorhaben nicht umsetzen könnten. Kirgisistan sucht nun nach neuen Investoren für das Staudammprojekt. [60] Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass die russische Vorherrschaft in der Region ihre Grenzen in der Schwäche der russischen Wirtschaft hat.

Die weit verbreitete Armut und Perspektivlosigkeit sowie schlechte wirtschaftliche Bedingungen und prekäre Staatlichkeit sind der Nährboden auf welchem in der zentralasiatischen postsowjetischen Peripherie Terrorismus, Separatismus und weitere Probleme gedeihen können. Die komplizierten Grenzverläufe, Wasserprobleme und schwierigen Beziehungen zwischen den einzelnen zentralasiatischen Staaten vermehren darüber hinaus die Probleme, unter denen die Menschen der Region leiden.


Kirgisistan und Tadschikistan in der EaU und auf dem Weg in die EaU

Im Schatten der globalen Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2007 begannen die Regierungen mehrerer GUS-Staaten, ein neues Wirtschaftsbündnis der post-sowjetischen Staaten aus der Taufe zu heben. Zunächst fanden sich 2010 Belarus, Kasachstan und Russland zur Eurasischen Zollunion zusammen. Diese ging dann in die Eurasische Union über, welcher im August 2015 auch Kirgisistan beitrat.

Auf dem Weg in die Eurasische Union (EaU) konnte die Regierung Kirgisistans Russland viele Konzessionen abringen. So erhielt das kleine zentralasiatische Land im Jahr 2009 - als Belarus, Kasachstan und Russland die Grundlagen der Zollunion schufen - einen Zuschuss von 150 Millionen US-Dollar und einen Präferenzkredit im Umfang von 300 Millionen Dollar. Nach seiner Wiederwahl schrieb der russische Präsident Wladimir Putin die 489 Millionen Dollar kirgisischer Staatsschulden ab. Als russische Budgethilfe flossen darüber hinaus in den Jahren 2010 bis 2015 185 Millionen Dollar in den kirgisischen Staatshaushalt. Im Jahr 2014 schufen beide Seiten einen Entwicklungsfonds für das zentralasiatische Land im Umfang von 500 Millionen Dollar. Der russische Gaskonzern Gazprom modernisiert außerdem noch das Pipelinenetz Kirgisistans.[61]

Trotz größerer Investitionen bleibt die kirgisische Wirtschaft hochgradig abhängig von der kasachischen und der russischen. So senden Gastarbeiter aus dem Land in den beiden größeren Bruderstaaten im Norden hunderte Millionen US-Dollar in ihre Heimat. Im Jahr 2014 betrug diese Summe 2,1 Milliarden Dollar, doch nach dem Durchschlagen der russischen Wirtschaftskrise in der ersten Hälfte des Jahres 2015 beliefen sich die Überweisungen auf nur noch 325 Millionen Dollar. Der Handel mit Kasachstan brach in dem Jahr außerdem um die Hälfte ein.[62] Als peripheres Land bleibt Kirgisistan von den Entwicklungen in Russland und Kasachstan abhängig.

Das größte Problem innerhalb der Eurasischen Union für Kirgisistan bleibt der große Nachbar Kasachstan - das einzige EaULand, an welches die Bergrepublik angrenzt. Trotz des eigentlich freien Warenverkehrs haben die Behörden des deutlich größeren und wirtschaftlich stärkeren Kasachstans nicht die Tierseuchenkontrollen an der Grenze aufgegeben, was den Export von landwirtschaftlichen Gütern aus Kirgisistan erschwert.[63] Trotz dieser widrigen Bedingungen stehen die meisten kirgisischen Parteien hinter der Eurasischen Union und wollen diese nicht verlassen. Eine vollkommen andere Grundlage und somit auch eine andere Entwicklung nahm das südliche Nachbarland. Bei der Wirtschaft gibt es durchaus Parallelen, aber politisch bleibt das Land fundamental anders als Kirgisistan. Heute ist Tadschikistan das Land auf der Welt, dessen Wirtschaft am meisten von den Geldsendungen der eigenen Bürger im Ausland abhängt. Laut Angaben aus dem Jahr 2012 entsprachen diese Übermittlungen in etwa 47 % des Bruttoinlandsprodukts des Landes. In etwa die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung befindet sich außer Landes[64], die meisten davon leben in Russland[65], was sich aus der Geschichte des Landes und den Sprachkompetenzen der Arbeiterinnen und Arbeiter erklärt. Das gibt der früheren Kolonialmacht und heutigen Großmacht große Einflussmöglichkeiten.

Doch trotz des großen Einflusses Moskaus in dem Land gelang es der russischen Regierung bisher nicht, Tadschikistan dazu zu bringen, der EaU beizutreten. Durch gemeinsame russischkatarische Projekte und Wirtschaftsverträge zwischen dem russischen Staat und dem britisch-schweizerischen Großkonzern Glencore versucht die Regierung von Ministerpräsident Medwedew derzeit den russischen Einfluss in Tadschikistan noch einmal zu erhöhen. Glencore ist das weltweit größte im Rohstoffhandel tätige Unternehmen und spielt eine entscheidende Rolle in der Aluminiumproduktion Tadschikistans. Durch eine Beteiligung Glencores und der staatlichen katarischen Investitionsbehörde bei der Teilprivatisierung des russischen Öl- und Gasgiganten Rosneft erhoffte sich Moskau, entscheidenden Einfluss auf die Wirtschaft Tadschikistans zu erlangen.[66]

Doch trotz dieser Rolle Russlands in der tadschikischen Wirtschaft konnte die Regierung in Duschanbe bisher die Eigenständigkeit wahren und hat sich noch nicht für einen Beitritt zur Eurasischen Union entschlossen. Die russische Wirtschaftskrise führt dazu, dass der russische Staat derzeit nicht - wie noch im Falle Kirgisistans - Budgethilfen, Schuldenschnitte, Präferenzkredite und einen gemeinsamen Entwicklungsfonds anbieten kann. Außerdem bleiben die Erfolge der bisherigen Wirtschaftsintegration der EaU-Staaten bis dato eher mager - unter anderem auch wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise. Die tadschikische Regierung nimmt wegen all dieser Aspekte aber auch wegen bilateraler Probleme in anderen Fragen eine abwartende Haltung ein.[67]

Trotz alledem ist die Beliebtheit der Eurasischen Union in Tadschikistan sehr hoch. Laut einer im Herbst 2016 durchgeführten repräsentativen Umfrage, die von der Eurasischen Entwicklungsbank in Auftrag gegeben wurde, sprechen sich circa 68 % der tadschikischen Bevölkerung für einen EaU-Beitritt ihres Landes aus.[68] Viele Experten gehen auch davon aus, dass es darauf hinauslaufen wird - doch derzeit verharrt das zentralasiatische Land noch in einer Schwebestellung.


Schlussbetrachtung

Die beiden Länder der zentralasiatischen Peripherie leiden heute unter vielen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen. Nach dem Ende der Sowjetunion stürzten Kirgisistan und Tadschikistan in ein ökonomisches Chaos. In letzterem Land versuchten dabei verschiedene Einflussgruppen und internationale Akteure in einem Bürgerkrieg gewaltsam ihren Einfluss zu sichern beziehungsweise auszubauen. Kirgisistan wiederum entwickelte sich als neoliberales Experiment zum westlichen "Vorzeigeland" in der Region. Die wirtschaftliche Schocktherapie in dem Land führte zu einer weit verbreiteten Armut, einer Deindustrialisierung, dem Abwandern von Arbeitskräften und politischer Instabilität. Ähnlich erging es Tadschikistan durch die Ereignisse des Bürgerkrieges und die Zeit danach.

Heute führen diese Entwicklungen zu verschiedenen innenpolitischen Problemen wie Separatismus, einer starken Organisierten Kriminalität und dem Ausbreiten der Terrormiliz des so genannten "Islamischen Staates". Darüber hinaus führen die komplizierten Grenzverläufe, das Management der zentralasiatischen Gewässer und der Anspruch von diversen Regierungen, Schutzmacht über ethnische Minderheiten zu sein, zu diversen bi- und multilateralen Problemen in der Region.

Durch die geographische Lage im Herzland Eurasiens buhlen verschiedene äußere Mächte um Einfluss in den beiden Ländern. Allen voran dominiert militärisch Russland das Gebiet, wobei die politischen und wirtschaftlichen Spielräume der früheren Kolonialmacht begrenzt sind. Die westlichen Länder sind auch weiterhin militärisch präsent, auch wenn die Rolle der NATO relativ abgenommen hat. Politisch und wirtschaftlich ist der Westen aber weiterhin wichtig, wie die dominante Rolle in Schlüsselindustrien von Konzernen aus Großbritannien, Kanada und der Schweiz in beiden Ländern zeigt. Eine erstarkende politische, wirtschaftliche und auch militärische Präsenz wiederum zeigt die VR China. Weitere kleine geopolitische Akteure sind der Iran, Indien, Pakistan und die Türkei.

Die komplizierte Lage durch die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen, verworrene Grenzverläufe und das schwierige Wassermanagement zeigt das Eskalationspotenzial in dem Gebiet. Hinzu kommen die unterschiedlichen äußeren Akteure, die militärisch in dem Gebiet präsent sind und teilweise die Anwesenheit anderer Mächte in dem Territorium ablehnen. Die dringendsten innen- und sozialpolitischen Probleme in beiden Ländern können nur durch einen sozial-ökologischen Wandel gelöst werden, der für die breite Masse Perspektiven im eigenen Land eröffnet. In der Frage der komplizierten Grenzziehung sollten die Regierungen beider Staaten unter Vermittlung von OSZE und SCO Wege finden, wie sie damit umgehen. Eine Entmilitarisierung und Neutralisierung der Gebiete analog zu Konfliktlösungen wie beispielsweise zwischen Ecuador und Peru könnte dabei eine Möglichkeit sein.[69] In der Frage der Wasserkonflikte könnte in Zukunft die Eurasische Union ein geeignetes Forum sein, um Streitfragen zu klären.


David X. Noack (geb. 1988) ist Militärwissenschaftler mit den Schwerpunkten Osteuropa und Zentralasien.


Anmerkungen:

[1] Doug Foster: Cleansing violence in the Tajik Civil War: Framing from the dark Side of Democracy, in: National Identities, Jg. 17 (2015), Nr. 4, S. 353-370 (hier: S. 356).

[2] S. Frederick Starr: Ferghana Valley - The Heart of Central Asia, London 2014, S. 334.

[3] Botakoz Kassymbekova: Humans as territory: forced resettlement and the making of Soviet Tajikistan, 1920-38, in: Central Asian Survey, Jg. 30 (2011), Nr. 3/4, S. 349-370.

[4] Ebenda, S. 352.

[5] Ebenda, S. 355.

[6] Foster: Cleansing violence in the Tajik Civil War: Framing from the dark Side of Democracy, S. 357.

[7] Ebenda.

[8] Monika S. Shepherd: The Effects of Russian and Uzbek Intervention in the Tajik Civil War, in: The Soviet and Post-Soviet Review, Jg. 23 (1996), Nr. 3, S. 285-328.

[9] Michael Collins Dunn: On the Tajik-Afghan Border The Russians Are Coming-Back, in: Washington Report on Middle East Affairs, 09/1993, S. 55.

[10] Igor Rotar: Will 'Dostumistan' Be Established Near Afghanistan's Border With Uzbekistan?, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 11, Nr. 45, 10.03.2014.

[11] Lena Jonson: The Security Dimension of Russia's Policy in South Central Asia, in: Gabriel Gorodetsky (Hg.): Russia between East and West: Russian Foreign Policy on the Threshold of the Twenty-First Century, London/Portland 2008, S. 132-148 (hier: S. 145).

[12] Willem Vogelsang: The Afghans, Oxford 2002, S. 220.

[13] Nach dem Ende der Sowjetunion schlossen sich Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien Kasachstan, Kirgisistan, die Republik Moldau, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan zur GUS zusammen. Die Ukraine ist nur ein teilnehmendes Mitglied und Georgien schied 2009 aus dem Vertragswerk aus.

[14] Milan Milenkovic: The Kosovo Case as ryoshka Doll: Why did Russia withdraw its troops from Kosovo?, in: The South Slav journal, Jg. 31 (2012), Nr. 3/4, S. 18-32 (hier: S. 23).

[15] David X. Noack: West- oder Ostanbindung?, in: junge Welt, 16.12.2016.

[16] Erica Marat: The Military and the State in Central Asia: From Red Army to Independence, London/New York 2010, S. 111.

[17] Jonathan Murphy: The World Bank and Global Managerialism, London 2007, S. 62.

[18] Sergej Mahnovski/Kamil Akramov/Theodore William Karasik: Economic Dimensions of Security in Central Asia, Santa Monica 2007, S. 27.

[19] Leonid Levitin: Liberalization in Kyrgyzstan: 'An Island of Democracy', in: Yaacov Ro'i (Hg.): Democracy and Pluralism in Muslim Eurasia, London/New York 2004, S. 187-213 (hier: S. 196-197).

[20] Helga Einecke: Dschungel der Reform-Hilfen, in: Süddeutsche Zeitung, 25.09.1993.

[21] Pepe Escobar: The Tulip Revolution takes root, atimes.com 26.03.2005.

[22] Kathryn H. Anderson/Richard W. T. Pomfret: Consequences of Creating a Market Economy: Evidence from Household Surveys in Central Asia, Cheltenham 2003, S. 18Fn17.

[23] Pétric: Post-Soviet Kyrgyzstan or the birth of a globalized protectorate, S. 331Fn32.

[24] Anderson/Pomfret: Consequences of Creating a Market Economy, S. 19Fn18.

[25] Pepe Escobar: The Tulip Revolution takes root, atimes.com 26.03.2005.

[26] Robert M. Cutler: Kyrgyzstan's flagship gold mine loses its glitter, atimes.com 20.07.2012.

[27] Boris-Mathieu Pétric: Post-Soviet Kyrgyzstan or the birth of a globalized protectorate, in: Central Asian Survey, Jg. 24 (2005), Nr. 3, S. 319-332 (hier: S. 323).

[28] Birgit Brauer: Musterknabe der Reformen mit Defizit bei Demokratie, in: Handelsblatt 30.01.1998.

[29] Wolfgang Günter Lerch: Der kirgisische Siegfried hält die Nation zusammen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.06.1997.

[30] Deutschland und Kyrgystan unterzeichnen Investitionsabkommen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.08.1997.

[31] Ingrid Scheithauer: Sie träumen davon, Teil Europas zu sein, in: Frankfurter Rundschau 26.11.1999.

[32] Hürdenlauf für deutsche Firmen, in: Handelsblatt 29.08.1997.

[33] Wolfgang Günter Lerch: Der kirgisische Siegfried hält die Nation zusammen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.06.1997.

[34] Martha Brill Olcott: Regional Cooperation in Central Asia and the South Caucasus, in: Robert E. Ebel/Rajan Menon (Hg.): Energy and Conflict in Central Asia and the Caucasus, Lanham (MD) 2000, S. 138.

[35] Bradley Axmith: Denying History - The United States' Policies Toward Russia in the Caspian Sea Region, 1991-2001, Hamburg 2013, S. 111.

[36] Ebenda, S. 117.

[37] Sally N. Cummings: Perceptions in the Commonwealth of Independent States, in: Mary Buckley/Sally N. Cummings (Hg.): Kosovo - Perceptions of War and its Aftermath, New York/London 2001, S. 176-192 (hier: S. 187).

[38] Sergei Blagov: Moscow marches into Kyrgyzstan, atimes.com 24.09.2003.

[39] Gulnoza Saidazimova: Kyrgyzstan: Is Bishkek Moving Toward Russia Ahead Of Elections?, eurasianet.org 14.02.2005.

[40] Richard Spencer: Quiet American behind tulip revolution, telegraph. co.uk 02.04.2005.

[41] Wikileaks-Depesche 10BISHKEK37 vom 12.01.2010. 42 Asyl Osmonalieva: Kyrgyzstan seeks economic lifeline, atimes.com 18.08.2009.

[43] Die Grenzen amerikanischer Einflussnahme, german-foreign-policy. com 26.04.2010.

[44] Daniel Wechlin: Nationalistische Spannungen in Zentralasien, nzz.ch 08.01.2013.

[45] Ebenda.

[46] Uwe Halbach: Reaktionen auf den »Islamischen Staat« in Russland und Nachbarländern, SWP-Aktuell, Nr. 85, Oktober 2015.

[47] Caught in the Middle: Central Asia and the Russia-Turkey Crisis, carnegie. ru 16.12.2015.

[48] Mitglieder der OVKS sind Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Russland und Tadschikistan, Beobachter sind Afghanistan und Serbien.

[49] Zhazira Dyussembekova: Kazakhstan Provides Free Military Armaments, Equipment to Kyrgyzstan, astanatimes.com 10.03.2016.

[50] David Trilling: Kyrgyzstan & Tajikistan: Border Guards Injured in Shootout, Possibly with Mortars, eurasianet.org 11.01.2014; David Trilling: Kyrgyzstan-Tajikistan: What's Next After Border Shootout?, eurasianet.org 13.01.2014.

[51] Fozil Mashrab: Kyrgyzstan Targets Wrong Enemy in Its Latest Border Crisis with Uzbekistan, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 13, Nr. 63, 31.03.2016.

[52] Edda Schlager: Business im Armenhaus - Marktwirtschaftliche Ansätze im tadschikischen Pamir, in: Zentralasien-Analysen, Nr. 34, 29.10.2010, S. 2-5 (hier: S. 2).

[53] Tajikistan clashes: 'Many dead' in Gorno-Badakhshan, bbc.com 24.07.2012.

[54] Jonathan Goodhand: Bandits, Borderlands and Opium Wars in Afghanistan, in: Thomas M. Wilson/Hastings Donnan (Hgg.): A Companion to Border Studies, Hoboken (NJ) 2012, S. 332-353 (hier: S. 338).

[55] Igor Rotar: Fresh Border Incident Could Provoke New Inter-Ethnic Clashes in the Ferghana Valley, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 10, Nr. 3, 09.01.2013.

[56] Fresh Border Incident Could Provoke New Inter-Ethnic Clashes in the Ferghana Valley, Jamestown Monitor, Jg. 7, Nr. 145, 30.07.2001.

[57] Erica Marat: Kyrgyzstan fights One-Day War with unknown Bandits, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 3, Nr. 100, 23.05.2006.

[58] Alec Forss: Green light for Rogun dam?, atimes.com 16.09.2014.

[59] Tajikistan starts building world's tallest dam for hydro plant, reuters. com 29.10.2016.

[60] Daniel Wechlin: Politischer Zwist um Wasser, nzz.ch 22.01.2016.

[61] George Voloshin: Looming Long-Term Economic Problems Stem From Kyrgyzstan's EEU Membership, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 13, Nr. 28, 10.02.2016.

[62] Ebenda.

[63] Catherine Putz: Eurasian Economic Union: A Customs Code and a Kyrgyz Dilemma, thediplomat.com 28.12.2016.

[64] Remittance man, economist.com 07.09.2013.

[65] Tadschikistan und der Islamismus: Angst vor Radikalisierung, deutschlandfunk. de 22.01.2016.

[66] Nicholas Trickett: How Rosneft's Privatization Deal Affects Russia's Eurasian Economic Union Plans for Tajikistan, thediplomat.com 23.02.2017.

[67] Tajikistan: Feeling the Eurasian Union's Gravitational Pull, eurasianet. org 31.01.2017.

[68] Ebenda.

[69] Monica Herz/João Pontes Nogueira: Ecuador vs. Peru: Peacemaking Amid Rivalry, Boulder 2002.



KASTEN

Nicht nur Moskau oder der Westen: Nicht-westliche Akteure

Das Ringen der Großmächte um Einfluss in Zentralasien als Konfrontation zwischen Russland und dem Westen zu beschreiben wäre eine unzulässige Simplifizierung. Tatsächlich sind die Beziehungen der zentralasiatischen Staaten zu den verschiedenen Regional- und Großmächten deutlich vielschichtiger. Kirgisistan und Tadschikistan haben aufgrund ihrer peripheren Integration in den Weltmarkt und der Lage im geopolitischen Fokus diverser Groß- und Mittelmächte nicht nur einseitig gute Beziehungen zu Russland und phasenweise auch zu den USA und EU-Staaten entwickelt, sondern kultivieren auch seit Jahrzehnten ihre Beziehungen zu anderen nicht-westlichen Staaten wie der VR China, der Türkei, dem Iran, Indien und Pakistan.

Den wohl größten Einfluss dieser Länder hat das Reich der Mitte. Im Jahr 1997 unterzeichneten die Regierungen Chinas und Tadschikistans einen Vertrag über gute Nachbarschaft. Im Jahr 2013 folgte noch eine Erklärung über die "Strategische Partnerschaft" beider Länder. Die Kooperation beider Länder konzentriert sich vor allem auf den wirtschaftlichen Bereich, da ein verarmtes Tadschikistan theoretisch zu einem Sicherheitsrisiko für die Volksrepublik China werden könnte. Die chinesische Regierung ist deswegen darauf aus, die wirtschaftliche Entwicklung des zentralasiatischen Landes voranzubringen. [1] Bei einem Staatsbesuch im Jahr 2012 konnte der tadschikische Präsident Emomalii Rahmon seinem Land in China Hilfen und Kredite im Umfang von einer Milliarde US-Dollar sichern. Chinesische Konzerne beteiligen sich seitdem am Aufbau einer Zementfabrik in Südtadschikistan, helfen tadschikischen Stromkraftwerken bei der Umrüstung von importiertem Gas zur Nutzung von im Land vorhandener Kohle und sind im Kupferabbau engagiert.[2]

Tadschikistan ist das Land, in welchem der chinesische Einfluss in Zentralasien in den vergangenen Jahren am deutlichsten angestiegen ist. Laut Schätzungen arbeiten derzeit circa 150.000 chinesische Arbeiterinnen und Arbeiter in Tadschikistan. Vor allem im ländlichen Bereich pachteten chinesische Farmer Land für langfristige Zeiträume.[3] Auch militärisch zeigt sich Peking in den vergangenen Jahren immer präsenter und im August 2016 gründeten Vertreter der Militärs von Afghanistan, China, Pakistan und Tadschikistan ein vierseitiges Militärbündnis. Der Quadrilaterale Kooperations- und Koordinationsmechanismus soll dazu dienen, dass die vier Staaten sich im Antiterrorkampf und in der Geheimdienstarbeit austauschen.[4] Das starke Engagement Pekings erhöht die Abhängigkeit Tadschikistans gegenüber der benachbarten Volksrepublik, gibt aber Duschanbe auch neuen Spielraum gegenüber Moskau und dem Westen, da das Land nicht von einer Großmacht abhängig ist.

Ein weiterer politischer, wirtschaftlicher und auch militärischer Akteur in Zentralasien ist Indien, das bevölkerungsreichste Land Südasiens. Aufgrund der ständigen Konfrontation Indiens mit Pakistan setzt die pakistanische Regierung auf die muslimischen Staaten Zentralasiens als Verbündete.[5] Doch das wirtschaftliche stärkere Indien hat die post-sowjetischen zentralasiatischen Staaten auch als Aktionsfeld der eigenen Diplomatie, des Militärs und der Wirtschaft ausgewählt. Seit 1995 arbeiten die verschiedenen Regierungen Irans und Indiens beispielsweise am 'International North-South Transport Corridor' (INSTC), welchem Tadschikistan auch beigetreten ist.[6] Im Rahmen dieses indischen Pendants zum chinesischen Seidenstraßenprojekt ('One Belt, One Road', OBOR)[7] sollen Verkehrswege von den südasiatischen Wirtschaftsmetropolen in den europäischen Teil Russlands gefördert werden.

Neben diesem wirtschaftlichen Engagement ist Indien in Zentralasien auch militärisch präsent. Im Jahr 2002 gab die indische Regierung zu, ein Militärhospital auf der tadschikischen Militärbasis Farkhor nahe der afghanischen Grenze zu errichten. Das Armeekrankenhaus sollte dazu dienen, verletzte afghanische Soldaten zu behandeln.[8] Im Laufe der folgenden Jahre baute Indien sein Engagement in Farkhor aus und nutzte die Basis für Versorgungsflüge nach Afghanistan. Die Militärbasis Ayni zwischen der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe und der usbekischen Grenze wird auch mit indischer Hilfe renoviert.[9] Inwieweit die Basis von der indischen Armee genutzt wird, ist unklar.

Doch indische Militärberater halten sich nicht nur in Tadschikistan auf, sondern auch in Kirgisistan. Dort unterhält die indische Armee ein biomedizinisches Forschungszentrum für die Untersuchung der Bedingungen von Militäreinsätzen in Hochgebirgen.[10] Mit Indien ist somit ein weiterer Akteur im so genannten "Großen Spiel" um Zentralasien militärisch engagiert. Auch Indiens Erzrivale Pakistan engagiert sich in Zentralasien. Vor allem in den 1990er Jahren versuchten die pakistanischen Regierungen, eine "strategische Tiefe" zu erlangen, indem Afghanistan und die post-sowjetische zentralasiatische Peripherie zu wirtschaftlichen und politischen Verbündeten des mehrheitlich muslimischen Landes werden sollten.[11] Wirtschaftlich setzte Islamabad dabei auf die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, in der unter anderem Pakistan und die Staaten Zentralasiens Mitglieder sind.[12] Doch der ständige Krieg in Afghanistan ließ die pakistanischen Pläne in Zentralasien obsolet werden. Die Protektion islamistischer Bewegungen in Afghanistan und Zentralasien führte darüber hinaus dazu, dass die Regierungen in Bischkek und Duschanbe auf Distanz zu Islamabad gingen.

Erst die chinesische Seidenstraßenstrategie und die Wiedereröffnung des chinesischen Karakorum-Highways im Jahr 2015 eröffnen Pakistan die Option, mit dem post-sowjetischen Zentralasien bessere Beziehungen aufzunehmen.[13] Dabei trifft Islamabad auf offene Arme: die tadschikische Regierung setzt auf bessere Beziehungen mit Pakistan, da in letzterem Land circa 1,2 Millionen Tadschiken leben.[14] Doch durch die komplizierten afghanisch-pakistanischen Beziehungen scheint Islamabad auch vermehrt auf eine Umgehung des Nachbarlandes zu setzen und den Bau von Strecken über China zu forcieren.[15] Ein weiterer Faktor in den pakistanischen Beziehungen zu Zentralasien sind die Energiebeziehungen - seit einem Jahr importiert die Islamische Republik Energie über das Projekt CASA-1000 aus Kirgisistan und Tadschikistan. [16] Alles in allem bleibt Pakistan ein kleinerer Akteur in Zentralasien, aber kein unbedeutender.

Eine viel größere Rolle in Tadschikistan spielt dagegen der Iran. Seit dem Ende des Tadschikischen Bürgerkrieges gelang es der Regierung der Islamischen Republik Iran beispielsweise durch große Infrastrukturprojekte, das Ansehen des Landes in Tadschikistan deutlich zu verbessern. [17] Nach China stieg vor 10 Jahren der Iran zum zweitgrößten Investor in Tadschikistan auf.[18] Auch politisch rückten die Staaten für lange Zeit immer näher zusammen: Die tadschikische Regierung setzt sich seit längerer Zeit für einen Beitritt des Irans zur SCO (Shanghai Cooperation Organization) ein.[19]

Noch weiter würden politische Vordenker des Landes gehen: Viktor Dubowitski, der stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Archäologie, Ethnographie und Geschichte an der Akademie der Wissenschaften und Professor für internationale Beziehungen an der Russisch-Tadschikischen Slawischen Universität (RTSU) in Duschanbe, gilt als einer der geopolitischen Vordenker seines Landes - seine Ideen sind weit verbreitet in Tadschikistan. Dubowitski sieht sein Land als Teil eines "Größeren Irans" und würde gerne eine enge Allianz seines Landes mit dem Iran sowie den afghanischen Gebieten der Hazaras und der dortigen Tadschiken bilden.[20]

Die Beziehungen zwischen beiden Staaten verschlechterten sich jedoch seit dem Amtsantritt des iranischen Reformers Hassan Rohani als Präsidenten des Irans. Einen vorläufigen Tiefpunkt stellte die Einladung des tadschikischen Oppositionsführers Muchiddin Kabiri und ein Treffen des früheren Parteiführers der mittlerweile verbotenen Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans mit Rohani im Dezember 2015 dar.[21]

Doch weder Russland und China noch Indien, Pakistan oder der Iran sind der größte Handelspartner Tadschikistans - das ist interessanterweise die Türkei. Das Land am Bosporus nimmt circa 40 % der tadschikischen Exportwaren ab - vor allem exportiert das zentralasiatische Land Aluminium, entkörnte Baumwolle und Trockenfrüchte in die Türkei.[22] Das Verhältnis beider Länder ist somit eine klassische Beziehung zwischen einem peripheren Staat (Tadschikistan) und einem semiperipheren und teilweise industrialisierten Staat (Türkei). Bei einem Besuch in Ankara im Jahr 2012 vereinbarten der tadschikische Präsident Rahmon und der damalige türkische Präsident Gül auch eine Kooperation im Energiebereich, vor allem im Bau von Wasserkraftwerken in Tadschikistan.[23] Die Energieunabhängigkeit Tadschikistans wäre ein wichtiger Schritt bei der wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung des Landes.


Anmerkungen

[1] Jeffrey Reeves: Chinese Foreign Relations with Weak Peripheral States: Asymmetrical Economic Power and Insecurity, London 2015, S. 41-43.

[2] Alexander Sodiqov: Tajikistan Secures New Chinese Loans and Investment, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 9, Nr. 114, 15.06.2012.

[3] Paul Goble: China Quietly Displacing Both Russia and US From Central Asia, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 13, Nr. 140, 02.08.2016.

[4] China Forms Antiterror Alliance With Pakistan, Tajikistan, Afghanistan, rferl.org 05.08.2016.

[5] Die pakistanische Solidarität mit den mehrheitlich muslimischen post-sowjetischen Staaten geht sogar so weit, dass Pakistan bis heute die armenische Staatlichkeit nicht anerkannt hat - aus Solidarität mit Aserbaidschan.

[6] Meena Singh Roy: Iran: India's Gateway to Central Asia, in: Strategic Analysis, Jg. 36 (2012), Nr. 6, S. 957-975 (hier: S. 962).

[7] Das Projekt INSTC begann bereits im Jahr 2002. Die chinesische OBOR-Initiative wiederum wurde erst 2013 initiiert.

[8] Josy Joseph: India to open military hospital in Tajikistan, indiatimes.com 21.11.2011.

[9] Tajik Military Air Base Completed With Indian Help, rferl.org 09.09.2010.

[10] Erica Marat: India Boosts Its Presence in Kyrgyzstan, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 8, Nr. 131, 08.07.2011.

[11] C. Christine Fair: Pakistan's Relations with Central Asia: Is Past Prologue?, in: Journal of Strategic Studies, Jg. 31 (2008), Nr. 2, S. 201-227.

[12] Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Organization, ECO) sind Afghanistan, Aserbaidschan, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Türkei und Usbekistan.

[13] Various road projects connecting Pakistan with Tajikistan approved, dawn.com 13.11.2015.

[14] Aymen Ijaz: Pakistan-Tajikistan relations, ipripak.org 02.12.2015.

[15] Zafar Bhutta: Tajikistan to join Pakistan road link bypassing Afghanistan, tribune. com.pk 24.02.2017.

[16] Catherine Putz: World Bank Tries to Answer CASA-1000 Criticisms, thediplomat. com 11.05.2016.

[17] Kirill Nourzhanov: Omnibalancing in Tajikistan's Foreign Policy: Security-Driven Discourses of Alignment with Iran, in: Journal of Balkan and Near Eastern Studies, Jg. 14 (2012), Nr. 3, S. 363-381 (hier: S. 364).

[18] Wikileaks-Depesche 09DUSHANBE997 vom 25.08.2009.

[19] Nourzhanov: Omnibalancing in Tajikistan's Foreign Policy, S. 367-368. Die SCO ist ein Bündnis, dem aktuell China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Indien und Pakistan angehören.

[20] Ebenda, S. 366-367.

[21] Fozil Mashrab: Iran's Overtures to Tajik Opposition Expose Deep-Seated Grievances, Jamestown Eurasia Daily Monitor, Jg. 13, Nr. 10, 15.01.2016.

[22] China and Turkey become Tajikistan's major trading partners, xinjiang.chinadaily. com.cn 01.08.2011.

[23] Turkey, Tajikistan eye energy cooperation, hurriyetdailynews.com 19.12.2012.


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http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2017-14-Kir-Tad.pdf

*

Quelle:
IMI-Studie 2017/14 vom 7. November 2017
Kirgisistan und Tadschikistan
Konflikte und Konfliktpotenziale in der zentralasiatischen post-sowjetischen Peripherie
http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2017-14-Kir-Tad.pdf
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2017

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