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IZ3W/172: Rezension - "Politics of scale"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 311 - März/April 2009

Politics of scale

Von Ingo Stützle


Spätestens mit der globalisierungskritischen Bewegung sind politische Arenen und Organisationen ins Blickfeld gekommen, die jenseits des Nationalstaates liegen. Dabei kommen Fragen auf, die jede emanzipatorische Politik interessieren müsste: Was bedeutet überhaupt »jenseits des Nationalstaates«? Warum werden bestimmte Themen nicht mehr im Rahmen nationalstaatlicher Politik ausgehandelt? Gibt es einen Weg aus dem damit verbundenen Dilemma, auf globaler Ebene nahezu machtlos zu sein und gleichzeitig den Nationalstaat nicht in seine scheinbare Pflicht rufen zu wollen?

Einige SozialwissenschaftlerInnen bemühen sich darum, diese Diskussion durch die Integration geographischer Forschungen zu erweitern. Insbesondere der Verlag Westfälisches Dampfboot stellt mit einer Buchreihe den Anschluss zur kritischen Raumforschung und internationalen, meist englischsprachigen Debatten her. Mit Politics of Scale liegt nun ein Band vor, der sich explizit mit der Frage »skalarer Strategien« beschäftigt, also mit der Frage, wie es politischen Akteuren gelingt, durch »die Produktion und Veränderung räumlicher Maßstabsebenen Machtverhältnisse zu festigen, zu verschieben oder zu bekämpfen versuchen«. Die für den Alltagsverstand etwas sperrigen und ungewohnten Begrifflichkeiten und Gegenstände der Analyse (räumliche Dimensionen der Politik) werden einführend durch Beispiele näher gebracht und in ihrer politischen Relevanz deutlich gemacht.

Nach einer kritischen Rekonstruktion der Debatte folgen vier Teile: (I) Auf raumtheoretische Überlegungen zur politischen Ökonomie des Raums und ungleicher Entwicklung, der Stadt als zentralem Ort des Politischen, sowie skalarer Praxis und feministischen Fragen an die Geographie folgen (II) sozialwissenschaftliche Anschlüsse. Hier werden mit Foucault, Gramsci und der Regulationstheorie den aufgeworfenen raumtheoretischen Fragen nachgegangen. Ebenso wird die räumliche Dimension gesellschaftlicher Naturverhältnisse analysiert. Daran schließt der empirische Teil an (III), der sich zum einen mit Stadt- und Umweltforschung, zum anderen mit der EU beschäftigt. Der abschließende Teil diskutiert politische Perspektiven anhand städtischer sozialer Bewegungen und Problemen gegenwärtiger Gewerkschaftspolitik.

»Politics of Scale« verdeutlicht, wie provinziell der deutsche wissenschaftliche Mainstream und teilweise auch die linke Theorie ist. Es ist also ein Verdienst, die angelsächsischen Debatten mit Nachdruck in die Diskussion zu bringen. Leider wird bei den 14 Beiträgen zwar klar, dass räumliche Dimensionen eine relevante Rolle für politische Auseinandersetzung spielen, aber nicht unbedingt wie. Viele empirische Beispiele haben illustrativen Charakter und zeigen nicht genau, wie bestimmte politische Kräfte versuchen, neue Räume des Politischen für sich zu erschließen oder eben auch zu verschließen. Denn für eine emanzipatorische Politik sind genau jene Prozesse relevant, die als reflektierte Erfahrung in die Formulierung politischer Perspektiven mit eingehen. Aber vielleicht ist das für einen Sammelband zu viel verlangt.


Markus Wissen / Bernd Röttger / Susanne Heeg (Hg.):
Politics of Scale. Räume der Globalisierung und Perspektiven emanzipatorischer Politik.
Verlag Westfälisches Dampfboot. Münster 2008. 317 Seiten, 29,90 Euro.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 311 - März/April 2009


Wenn die Nacht am tiefsten... - Macht und Alltag im Iran

Iran steht derzeit wegen seines Atomprogramms im Mittelpunkt außenpolitischer Debatten. Unser Themenschwerpunkt fragt nach den Herrschaftsverhältnissen im Inneren. Wie mobilisiert das Regime der Mullahs Unterstützung in der Bevölkerung? Was unterscheidet den iranischen Islamismus von anderen Islamismen? Wie verfährt das Regime mit Minderheiten? Und wo gibt es welche Ansätze für Widerstand?

Trotz des verbreiteten Unmuts gibt es im Iran keine starke organisierte Oppositionskraft. Wie auch? Oppositionelle Parteien haben im politisch-religiösen System der Mullah-Republik keine Chance. Politische Bewegungen und Minderheiten sind jedoch trotz aller Repression aktiv. Sie kämpfen vor allem auf der Alltagsebene für Bewusstseinsveränderungen, weil sie noch nicht in der Lage sind, die Machtfrage zu stellen. Ihnen gilt unsere Empathie und Solidarität, und ihnen widmet sich dieser Themenschwerpunkt.


Heft - Editorial: Der Anfang vom Ende

Politik und Ökonomie

Israel - Palästina: Gelegenheit für die US-Regierung
von Ghassan Khatib

Wird Palästina gespalten bleiben?
von Yossir Alpher

Simbabwe: Eine akademische Sünde
Verheerende Zustände an den Universitäten
von Christopher Phiri

Entwicklungspolitik: Alte Freunde
Das Scheitern politischer Konditionalität in Togo
von Björn Gutheil

Nationalsozialismus: »Wir waren nicht mehr als Nummern«
Biografische Notizen von schwarzen Häftlingen im KZ Neuengamme von Rosa Fava


Schwerpunkt: Macht und Alltag im Iran

Editorial zum Themenschwerpunkt

Die Andersdenkenden
Zwischen Hoffnung und Resignation
ein Brief von Soussan Sarkhosh

Bastion der Freiheit
Die Studentenbewegung im Iran
von Ali Schirasi

Die andere Hälfte
Iranische Frauen und ihre Bewegung für Freiheit und Emanzipation
von Chahla Chafiq

Zwangsweise loyal
Iranische Jüdinnen und Juden als Spielball der Politik
von Thomas Schmidinger

Utopie versus Apokalypse
Selbstverständnis und Verfolgung der Bahai im Iran
von Wahied Wahdat-Hagh

Die Republik der Ayatollahs
Vom Auf- und Abstieg der politischen Theologie Khomeinis
von Jörn Schulz

»Die Revolutionsgarden sind das Machtzentrum«
Interview mit Ali Alfoneh über das System der Islamischen Republik Iran


Kultur und Debatte

Debatte: Fersengeld statt »satanische Verse«
Die Fatwa gegen Salman Rushdie hat bis heute Folgen
von Udo Wolter

Kunst: Jeder Blick verrät seinen Standort
Perspektiven auf Kunst aus Afrika
von Sebastian Stein

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 311, März/April 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2009