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IZ3W/197: Rezension - Die globale Krise verstehen


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 316 - Januar/Februar 2010

Die globale Krise verstehen

Von Jens Benicke


Der Zusammenbruch der Investmentbank »Lehman Brothers« im September 2008 gilt als der Beginn der aktuellen Weltwirtschaftskrise. Die Linke reagiert bis heute auf diese tiefste Krise des Kapitalismus seit 1929 größtenteils überrascht, abwartend und ohne daraus weitere Konsequenzen für ihre Theorie und Praxis zu ziehen. Eine der wenigen Ausnahmen ist Karl Heinz Roth, der im Herbst/ Winter 2008 seine ersten Arbeitsthesen zur Krise zur Diskussion stellte. Aus diesen Debatten ist nun das Buch Die globale Krise entstanden. Der zweite Band, der im Winter 2009/10 erscheinen soll, behandelt dann »Das Multiversum: Globale Proletarisierung - Gegenperspektiven«.

Im ersten Band beschreibt und analysiert Roth die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise, die staatlichen Gegenmaßnahmen und die Grenzen des bisherigen Krisenmanagements. Ausgehend von der Theorie des sowjetischen Ökonomen Nikolai D. Kondratiev, der die Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft in verschiedene Zyklen unterteilt, die durch eine etwa 40 bis 60-jährige Abfolge von Aufschwung, Boom, Krise, Depression, Erholung und neuerlichen Aufschwung gekennzeichnet sind, untersucht Roth die Charakteristik der »langen Welle« von 1966/67 bis 2006/7, um so die spezifischen Gründe der aktuellen Krise heraus zu filtern. Abgeschlossen wird das Buch durch einen Vergleich mit den bisherigen Weltwirtschaftskrisen des industriellen Kapitalismus, also der Krisen von 1857 bis 1859, von 1873 bis 1896 und 1929 bis 1940.

Dieser Vergleich bringt frappierende Parallelen zur heutigen Situation zum Vorschein, sowohl was den Fortgang der Krisen als auch die staatlichen Gegenmaßnahmen betrifft. So sind etwa »bad banks« bereits in der ersten Weltwirtschaftskrise von 1857 installiert worden und staatliche Garantiefonds retteten schon damals »systemrelevante Unternehmen«. Durch seine Herleitung aus dem gerade zu Ende gegangenen Zyklus schafft es Roth, die Tendenzen sichtbar zu machen, die zur aktuellen Krise führen mussten. Im ersten Teil des Buches gelingt es ihm, die bisher detaillierteste und materialreichste Analyse der Krise vorzulegen.

Doch diese große Stärke erweist sich zugleich als größte Schwäche. Zum einen ist die Lektüre der empirischen Darstellung ermüdend, zum anderen gehen die tieferen Ursachen beinahe unter. Roth erwähnt zwar immer wieder den Zusammenhang von Überproduktion, Unterkonsumtion und fallenden Profitraten. Aber es fehlt eine systematische Darstellung, warum die kapitalistische Warenproduktion, auch ohne Immobilienblase und der Finanzialisierung der vergangenen Jahrzehnte, notwendigerweise auf den Crash zusteuern musste. Deshalb bietet sich als ergänzende Lektüre die jüngste Ausgabe der Zeitschrift »Kosmoprolet« an, in der ein Mitglied der Gruppe »Internationalist Perspective« unter der Überschrift »Eine Krise des Werts« eine Analyse der aktuellen Krise aus den Grundkategorien der kapitalistischen Vergesellschaftung, Ware und Wert, entfaltet. Ausgestattet mit diesen beiden Texten, dürfte es kein Problem sein, den falschen und verkürzten Krisendiagnosen in der öffentlichen Diskussion etwas entgegenzusetzen.


Karl Heinz Roth:
Die globale Krise.
Band 1 des Projekts »Globale Krise - Globale Proletarisierung - Gegenperspektiven«.
VSA Verlag, Hamburg 2009. 336 Seiten, 22,80 Euro.

Kosmoprolet Nr. 2. Herausgegeben von den Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft, Eiszeit, La Banda Vaga und der Gruppe K-21. 203 Seiten, 4 Euro.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 316 - Januar / Februar 2010


Dossier:
Zwischenstopp am Kap - Südafrika abseits der Fußball-WM

Der Countdown läuft: im kommenden Jahr rückt Südafrika in den Fokus des medialen Interesses. Vorab wirft die iz3w mit dem Themenschwerpunkt Südafrika Schlaglichter auf diejenigen Lebensrealitäten in dem afrikanischen Musterland, die sich im Schatten oder ganz unabhängig von der Fußballweltmeisterschaft täglich abspielen.

Die Fußball-WM wird in Europa Anlass dafür sein, über Südafrika 15 Jahre nach der Apartheid erneut nachzudenken. Die Zeit zwischen damals und heute ist für die vielen SüdafrikanerInnen, die seither ununterbrochen und mitten in den täglichen Kämpfen für den Abbau der Ungleichheit leben, von unerfreulichen Kontinuitäten gezeichnet. Der Themenschwerpunkt geht folgenden zentralen Fragen nach: Wie haben sich die Dominanzverhältnisse seit dem Ende der Apartheid verändert? Welche Formen und AkteurInnen politischer und sozialer Auseinandersetzung haben sich herausgebildet? Welche Parallelwelten gibt es innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft?


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INHALTSÜBERSICHT

Hefteditorial: Ende einer Dienststelle


Politik und Ökonomie

Brasilien: Lula rettet den Regenwald
Die brasilianische Regierung möchte Zuckerrohranbau und Klimaschutz ein bisschen versöhnen
von Kirsten Bredenbeck

Ernährungskrise: Einer hilft dem anderen
Mit Ernährungssouveränität gegen die Agrarkrise in Lateinamerika
von Peter Rosset

Ruanda: Doing Business
Im neuen Ruanda hat sich ein autoritäres Regime konsolidiert
von Johannes Melzer

Schweiz: Topographie der Abwehr
Schweizer Asylpolitik im europäischen Kontext
von Simon Wenger


Kultur und Debatte

Ausstellungen: Neu Erzählen
Kunst in Ausstellungen zu Migration
von Sebastian Stein

Debatte: Mitten im Schulatlas
Eine Kritik der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«
von Lotte Arndt und Chandra-Milena Danielzik

Vergangenheitspolitik: Musterung einer Kollaboration
Muslimische Kriegsgefangene aus der Sowjetunion und die Dresdner SS- Mullah-Schule
von Heike Ehrlich und Kathrin Krahl

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Dossier: Südafrika abseits der Fußball-WM

Editorial

Im Anflug auf Südafrika
Was das Ende der Apartheid und die Fußball-WM miteinander zu tun haben
von Reinhart Kößler

Balintulo gegen Daimler
Die Opferorganisation Khulumani fordert eine umfassende Aufarbeitung der Apartheid
von Rita Kesselring

Spätfolgen mit Langzeitwirkung
Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Südafrika
von Simone Claar und Franziska Müller

Abseits oder mittendrin?
Die südafrikanischen Gewerkschaften suchen nach neuen Positionen
von Ercüment Celik

»I prefer LoversPlus«
Südafrikas Gesundheitspolitik und AIDS
von Verena Porsch

Triple Seven
Politischer Aktivismus für die Rechte von Schwulen und Lesben
von Eva Range

Erlernt, verübt, verschwiegen
Gewalt als Erbe von Apartheid
von Rita Schäfer

»Nothing but the Truth«
Das kulturelle Leben Südafrikas ist Spiegel des raschen Wandels
von Manfred Loimeier

»Make it Happen«
Projekttag über Lebensrealitäten in Südafrika
AG Bildung im iz3w


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Quelle:
iz3w Nr. 316 - Januar / Februar 2010
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
Postfach 5328, Kronenstr. 16a (Hinterhaus)
79020 Freiburg i. Br.
Tel. 0761/740 03, Fax 0761/70 98 66
E-Mail: info@iz3w.org
Internet: www.iz3w.org

iz3w erscheint sechs Mal im Jahr.
Das Jahresabonnement kostet im Inland 31,80 Euro,
für SchülerInnen, StudentInnen, Wehr- und
Zivildienstleistende 25,80 Euro,
Förderabonnement ab 52,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2009