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IZ3W/233: Rezension - Warum auf die Revolution warten?


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 321 - November/Dezember 2010

Warum auf die Revolution warten?

Von Sophie Mercadé


Der Journalist und Politikwissenschaftler Helge Buttkereit liefert mit dem Buch Utopische Realpolitik eine zusammenfassende Studie über aktuelle soziale Bewegungen Lateinamerikas, die einen revolutionären Anspruch haben. Diesen definiert Buttkereit als »Realpolitische Utopien« von Bewegungen, die versuchen, über das derzeit Mögliche in der aktuellen Politik hinaus eine emanzipatorische und gerechte Gesellschaft zu gründen. Den Schwerpunkt legt der Autor hauptsächlich auf antikapitalistische, antineoliberale und antiimperialistische Bewegungen in Venezuela, Bolivien, Chiapas und Teilen Ecuadors.

Durch seine Darstellung verschiedener Gruppen, Strömungen und Kollektive Lateinamerikas, die basisdemokratisch und selbstorganisiert in sogenannten communidades und sindicatos verwaltet werden, vermittelt Buttkereit einen dezidierten Überblick darüber, wie verankert das Aufbegehren gegen (Fremd-)Herrschaft in der Bevölkerung ist. Diese selbstorganisierte Basis bezeichnet der Autor als das ausschlaggebende »Neue an der Neuen Linken«, die oftmals nur anhand der anti-neoliberalen Politik der Präsidenten Morales, Chávez und Correa definiert werde. Die häufigen Bezüge zu globaler (post-)kolonialer, imperialistischer und linker Geschichte machen das Buch abwechslungsreich. Engagiert, zuweilen sehr kritisch und mit großer Sympathie für die sozialpolitischen Entwicklungen in Lateinamerika nimmt Buttkereit die LeserInnen an die Hand und führt sie durch den Dschungel der verschiedenen sozialen Bewegungen, Netzwerke, Kooperationen und Einzelakteure.

Die von Buttkereit ausgewählten Zitate - zum Beispiel von Rudi Dutschke, Ché Guevara und Subcomandante Marcos - könnten passender nicht sein, lassen aber eine kritikfreie Idealisierung der Genannten erahnen. Etwas unterbelichtet bleibt auch die Rolle der Frauen, selbst wenn sich im Buch einige Beispiele von Arbeiterinnen-Kollektiven finden. Wäre es nicht gerade bei einer Analyse der Neuen Linken interessant zu erfahren, inwieweit in den vom Machismo sehr stark geprägten Ländern die Revolution möglicherweise zur Emanzipation der Frauen beigetragen hat? Aber Vollständigkeit ist bei der Darstellung linker Bewegungen nicht möglich und auch nicht Buttkereits Anspruch. Ihm geht es darum, Denkanstöße zu liefern. Wem »Ya Basta!«, die Zapatisten, MAS und ALBA noch fremde Begriffe sind, dem sei dieses Buch als Einstieg ans Herz gelegt.


Helge Buttkereit:
Utopische Realpolitik. Die Neue Linke in Lateinamerika.
Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2010. 161 Seiten, 16,90 Euro.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 321 - November/Dezember 2010


Dossier:
Corpus delicti - umkämpftes Recht auf Gesundheit

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Sie umfasst sowohl körperliches als auch psychisches und soziales Wohlbefinden. Doch das insbesondere Menschenrecht von Frauen auf Gesundheit ist stetig umkämpft und wird oft verletzt. Der Frauenkörper gilt weithin als Ware, er wird als begehrens- und besitzenswertes Objekt ge- und misshandelt. Spätestens mit Geburt des neuzeitlichen Staates war die Verwaltung und Kontrolle des Frauenkörpers auch ein wichtiges Instrument der Bevölkerungsregulierung.

Das hierarchische Verhältnis zwischen Nord und Süd kommt beim Zugriff auf Frauenkörper ebenfalls zum Tragen - in allen Aspekten wie race, class, gender, disability und identity. Das Dossier zeichnet die vielfältigen Eingriffe, Angriffe und Übergriffe auf Frauenkörper nach, präsentiert aber auch Ansätze zur Veränderung. Im Mittelpunkt steht dabei das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Themen des Schwerpunkts:
Jungfräulich, nackt, unrein - Eine Reise in die Porno-Tropen + Untergeben und erobert - Der Schwarze Frauenkörper in Südafrika + Gespendet, gehandelt, getauscht - Interview über die Globalisierung der Eizellmärkte + Kinderlos, unfruchtbar, nutzlos - Unerwünschte Kinderlosigkeit in Brasilien + Umkämpft und verteidigt - Streit um (un-)sichere Abtreibungen in Lateinamerika + Symptomatisch verkannt - Gegen Müttersterblichkeit helfen keine einfachen medizinischen Lösungen + "Weg vom Albert-Schweizer-Modell" - Interview über medizinische Entwicklungszusammenarbeit + Verletzt, verstümmelt, verkannt - Genitalverstümmelung im Nordirak + Ausgebeutet oder ausgeschlossen? - Recht auf Gesundheit im Kontext migrantischer Prostitution


INHALTSÜBERSICHT


Hefteditorial: Hurra wir sind erwachsen!


POLITIK UND ÖKONOMIE

Swaziland: Die Tyrannei des Löwen
Ein besonders repressives Patriarchat fördert die Ausbreitung von Aids
von Thomas Schmidinger

Ruanda: Kagame, wer sonst?
Tagebuchnotizen zur Präsidentenwahl in Ruanda
von Stefan Sommer

Namibia: Entlang der Roten Linie
Die Landreform ist mehr als eine Frage der Umverteilung
von Sören Scholvin

Aserbaidschan: Regiert wie geschmiert
Was bedeuten Wahlen im Erdölstaat Aserbaidschan?
von Ismail Küpeli

Zypern: Kalter Krieg im Mittelmeer
Die Lösung des Zypernkonflikts rückt in die Ferne
von Sabine Hagemann-Ünlüsoy

Ausstellung: Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg
Das iz3w präsentiert umfangreiches Begleitprogramm zur Ausstellung in Freiburg
von Jan Keetman


DOSSIER: AFRIKA POSTKOLONIAL

Editorial: "Your body is a battleground"

Was ist neu am Neokolonialismus?
Formelle und informelle Herrschaft im unabhängigen Afrika
von Reinhart Kößler

Jungfräulich, nackt, unrein
Eine Reise in die Porno-Tropen
von Alice Rombach

Untergeben und erobert
Der Schwarze Frauenkörper in Südafrika
von Rita Schäfer

Gespendet - gehandelt - getauscht
Interview mit Erika Feyerabend über die Gobalisierung der Eizellmärkte

Umkämpft und verteidigt
Streit um (un-)sichere Abtreibungen in Lateinamerika
von Kirsten Achtelik

Symptomatisch verkannt
Gegen Müttersterblichkeit helfen keine einfachen medizinischen Lösungen
von Martina Backes

»Weg vom Albert-Schweitzer-Modell«
Interview mit dem Arzt Michael Runge über medizinische Entwicklungszusammenarbeit

Verletzt - verstümmelt - verkannt
Genitalverstümmelung im Nordirak
von Arvid Vormann

Ausgebeutet oder ausgeschlossen?
Gesundheit im Kontext migrantischer Prostitution
von Veronika Ott


KULTUR UND DEBATTE

Sklaverei: Wettstreit der Erinnerungen
Ein neues Buch facht die Debatte über den arabischen Sklavenhandel an
von Simon Brüggemann

Medien: »Wir sind offen für Kontroversen«
Interview mit Tidiane Kassé über die panafrikanische Internetplattform Pambazuka News

Kunst: Die Versprechen der Moderne
Lateinamerikas abstrakte Kunst
von Katja Behrens

Film: Das »Coca-Cola der Fruchtsäfte«
Eine Doku über Jaffa-Orangen zeichnet palästinensisch-israelische Geschichte nach
von Ulrike Mattern

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 321 - November/Dezember 2010
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
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Förderabonnement ab 52,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2010