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IZ3W/296: Editorial zum Themenschwerpunkt von Ausgabe 335 - Wissenschaft Süd-Nord


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 335 - März/April 2013

Editorial zum Themenschwerpunkt
Wissenschaft Süd-Nord



»Universalität ist erst dann möglich, wenn die Gesprächspartner frei von dem Bedürfnis sind, sich gegenüber den Anderen durchzusetzen.« Diese Worte des afrikanischen Philosophen Paulin J. Hountondjis beschreiben eine Bedingung, die im Bereich der Wissenschaften noch lange nicht erfüllt ist. Denn allen Ansprüchen der Universalität und Transnationalität zum Trotze sind gerade die Geisteswissenschaften bis heute durch und durch eurozentrisch geprägt. Außereuropäisches Wissen, insbesondere wenn es aus Afrika, Asien und Lateinamerika kommt, wird nicht als konstitutiv für die Genese moderner Wissenschaft angesehen (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Die hierarchischen Verhältnisse der globalen Wissenschaftslandschaft lassen sich quantitativ und qualitativ erfassen. Die ungleiche Zahl der Publikationen, die stark differierende Verteilung von Ressourcen für die Forschung, die mangelnde Rezeption außereuropäischer Literatur - mit all diesen Indikatoren lässt sich nachweisen, dass die Zentren der modernen Wissenschaft in der Triade EU, Nordamerika und Japan verortet sind. Zwar holen insbesondere die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) auf, doch noch ist die Dominanz der Triade erdrückend.

Prozesse wie die Abwanderung ausgebildeter WissenschaftlerInnen (Brain Drain) in die Denkfabriken und Labore der Triade oder die Verteilung internationaler Forschungsgelder an nationale Institute werden ebenfalls von ungleichen postkolonialen Verhältnissen bestimmt - bis hin zur Prioritätensetzung bei der Fragestellung oder der Rollenverteilung im transnationalen ForscherInnenteam.

In qualitativer Hinsicht ist die Diagnose noch ernüchternder. Welcher asiatische Philosoph gilt als Begründer einer global verbreiteten Denkschule? Welche lateinamerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin schuf ein weltweit anerkanntes Paradigma? Welcher afrikanische Physiker wurde je mit einem Nobelpreis geehrt? Forschungsleistungen aus Ländern des Südens werden vom wissenschaftlichen Mainstream in postkolonialer Überheblichkeit kaum zur Kenntnis genommen.

Die Idee, die globale Wissenschaftslandschaft in einem iz3w-Themenschwerpunkt kritisch zu betrachten, kommt von einer Arbeitsgruppe der Universität Freiburg. In ihrem Projekt »Universalität und Akzeptanzpotential von Gesellschaftswissen. Zur Zirkulation von Wissensbeständen zwischen Europa und dem globalen Süden« reflektieren WissenschaftlerInnen kritisch das Verhältnis von Europa zum globalen Süden, und zwar vor allem im Spiegel der Gesellschaftswissenschaften.

Im Mittelpunkt der einzelnen Forschungsvorhaben steht das folgende ambivalente Phänomen: »Einerseits genießen der europäische Forschungsraum und seine Errungenschaften zwar ein durchaus hohes Ansehen außerhalb Europas, andererseits aber wird der weltweite Einfluss europäischer Theorietradition zunehmend auch als dominant wahrgenommen und der Universalitätsanspruch europäischen Gesellschaftswissens damit als anmaßend und vermessen zurückgewiesen.«

Es blieb nicht nur bei der Idee zu diesem Themenschwerpunkt, die Projektgruppe hat sämtliche Texte beigetragen. Wir bedanken uns herzlich für die angenehme Zusammenarbeit!

Die Bebilderung des Schwerpunkts versucht eine Art symbolische Repräsentanz zu schaffen. Porträtiert werden ganz unterschiedliche WissenschaftlerInnen, die Bemerkenswertes vollbracht haben und dennoch hierzulande kaum bekannt sind. Zu Unrecht, findet

die redaktion

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 335 - März/April 2013


Wissenschaft global
Das Rektorat bleibt im Norden

Dem Anspruch der Wissenschaften auf Universalität zum Trotz: Die Wissensproduktion zwischen Süd und Nord findet nicht egalitär statt. Sie ist von postkolonialen Machtverhältnissen, Ungleichheiten und Dominanzstrukturen durchzogen. Gerade die Geisteswissenschaften sind bis heute eurozentrisch geprägt. Die wissenschaftliche Produktion aus dem Norden wird als »Theorie«, diejenige aus dem Süden als »Praxis« wahrgenommen. WissenschaftlerInnen aus dem Globalen Süden werden an hiesigen Universitäten kaum zur Kenntnis genommen.

Auch rein quantitativ dominiert die Triade EU, USA und Japan bei der Wissensproduktion. Das lässt sich schon anhand der ungleichen Zahl der Fachpublikationen oder der unterschiedlichen Verteilung von Ressourcen für die Forschung belegen. Der Themenschwerpunkt befasst sich mit dieser Asymmetrie und versucht, die Perspektive zugunsten globalen Wissens zu erweitern.


Hefteditorial
Auf der Tiefe der ZEIT

POLITIK UND ÖKONOMIE:

Mexiko: Kämpfend schreiten sie voran
Die Zapatistas melden sich zurück
von Rosa Lehmann

Philippinen: Von Rechts wegen
Mittels illegaler Verhaftungen geht der Staat gegen AktivistInnen vor
von Hannah Wolf

Mali: Wiederherstellung eines Staates
Die Intervention ist Teil einer regionalen Kapitalstrategie
von Olaf Dehler

Ägypten: Die lange Geschichte des Islamismus
Die Konfliktlinien im neuen Ägypten kommen nicht überraschend
von Lutz Boßhammer

Senegal: Y'en a marre
Eine erfolgreiche Jugendrevolte
von Louisa Prause

Klimaanpassung: Agents of Change im Einsatz
Frauen und Klimaanpassung im ländlichen Tansania
von Katja Flockau

Australien: Ab auf die Inseln
Australien setzt gegenüber Bootsflüchtlingen auf Abschreckung
von Till Schmidt


BEITRÄGE ZUM THEMENSCHWERPUNKT:

Editorial zum Themenschwerpunkt

Zentrum versus Peripherie
Hierarchien der Wissenschaft im Weltmaßstab
von Wiebke Keim

Unheilige Allianz
Die westliche Wissensgesellschaft als Entwicklungsparadigma
von Maren Borkert und Nina Witjes

Den Ton angeben oder das Wort abtreten
Asymmetrien in der Genderforschung
von Veronika Wöhrer

Kämpferisch gegen Hegemonie
Gewerkschaftswissen zwischen Nord und Süd
von Ercüment Çelik

Lokalisieren, nicht kopieren
Internationale Beziehungen aus Perspektive der chinesischen Politikwissenschaft
von Christian Ersche


KULTUR UND DEBATTE

Debatte: Falschmünzerei statt Wertkritik
David Graebers Buch »Schulden« ist das Geld dafür kaum wert
von Peter Bierl

Film I: »Den eigenen Ideen treu bleiben«
Interview mit June Giovanni über Süd-Süd-Kooperationen im afrikanischen Film

Film II: Für die Würde
Das Filmfest FrauenWelten präsentierte Filme zum Opfer-Täter-Ausgleich
von Martina Backes

Film III: Märchenhafte Selbstermächtigung
Tarantinos »Django Unchained« ist ein filmischer Rachefeldzug gegen die Sklaverei
von Winfried Rust

Rezensionen

Szene/Tagungen

Impressum

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Quelle:
iz3w Nr. 335 - März/April 2013, S. 22
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2013