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IZ3W/341: Interview zum Film "Auf der Suche nach dem besseren Leben"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 344 - September/Oktober 2014

»Auf der Suche nach dem besseren Leben«
Interview mit dem Dokumentarfilmer David Fedele

von Katharina Forster



Film
The Land Between

An der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla: Auf Überwachungskameras ist zu sehen, wie Menschen den mit Stacheldraht gesäumten Zaun überwinden wollen, um nach Europa zu kommen. Von mehr als 2.000 Geflüchteten seit Beginn des Jahres ist die Rede. Der australische Regisseur David Fedele versucht mit seinem Film »The Land Between«, diesen Menschen ein Gesicht zu geben. Gedreht hat er ihn in den Bergen von Gourougou bei Melilla, wo tausende Flüchtlinge auf den richtigen Moment warten, den Zaun zu überwinden und in ein spanisches Auffanglager zu gelangen. Viele haben es schon mehrmals versucht, Wunden und Narben an Armen und Beinen zeugen davon.

So auch Yacou aus Mali, eine der Hauptpersonen des Films. Er ist bereits seit mehr als zwei Jahren in Gourougou und wartet, ermutigt durch die, die es schon geschafft haben, auf seine dritte Chance, nach Europa zu kommen, wo für ihn seiner Meinung nach alles besser wird. Fedele dokumentiert sein Camp, das der Malier, zeigt provisorische Schlafplätze, die mit Gestellen aus Ästen, Plastiktüten und Pappkartons geschützt sind und die immer wieder von Polizei und Militär zerstört werden. Viele Geflüchtete sind Opfer von Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte geworden, wurden teilweise brutal geschlagen, einige sogar zu Tode.

Fedele filmt die malischen Migrierten bei ihren täglichen Aktivitäten, beim Kochen und Essen, Flicken der Kleidung und Schlafplätze, beim Fußballspielen oder Ausharren, bei der Vorbereitung auf die richtige Nacht für den nächsten Versuch, den Zaun zu überqueren. Dabei haben die Menschen die Gelegenheit, ihre Geschichte zu erzählen: Wo sie herkommen, was sie zur Migration bewegte, welche Stationen sie bereits durchlaufen haben und was sie sich von Europa erhoffen.

Die unter anderem auf dem International Environmental Film Festival in Paris preisgekrönte Dokumentation wurde vom Regisseur eigenständig finanziert und produziert. Sie wurde ohne großes Equipment gefilmt, weshalb der Eindruck entsteht, nah am Geschehen dran zu sein, was durch ungeschönte Bilder und Einstellungen noch verdeutlicht wird. Der Film lebt ausschließlich von den Äußerungen der MigrantInnen, von ihren Geschichten und Meinungen. Genau das zeichnet ihn aus und unterscheidet ihn von anderen Filmen zum Thema.

The Land Between 2014, 78 min., Regisseur und Produzent: David Fedele

kf

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»Auf der Suche nach dem besseren Leben«

Interview mit dem Dokumentarfilmer David Fedele


IZ3W: Woher kam die Idee, einen Film über MigrantInnen im marokkanischen Gourougou zu drehen?

DAVID FEDELE: Ich bin in einer Einwandererfamilie aufgewachsen, da meine Großeltern während des Zweiten Weltkrieges von Italien nach Australien auswanderten. Als ich nach Europa kam, habe ich mich zunehmend für die Geschichten von MigrantInnen interessiert, hauptsächlich jener vom afrikanischen Kontinent. Ich wollte sie dokumentieren und dachte, es würde stärker und realer wirken, die Situation der MigrantInnen auf ihrem Weg zu filmen, anstatt ihre Geschichten aus der Retrospektive aufzuzeichnen. Bei der Recherche nach den Hauptmigrationsrouten von Afrika nach Europa stieß ich auf Berichte aus Gourougou. Daher bin ich nach Marokko gereist, mit der Intention, die Berge zu erkunden und zu versuchen, einen Film zu machen. Aber ich hatte keine Vorstellung davon, wie der Film werden würde.

Er behandelt ein politisches Thema, aber ich habe versucht, auch menschliche Geschichten zu erzählen, den Alltag der MigrantInnen zu zeigen, die so würdevoll wie möglich unter diesen extremen und hoffnungslosen Bedingungen leben. Ich wollte ihnen die Möglichkeit geben, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Für mich geht es in dem Film nicht nur um Marokko und Spanien, sondern um eine universelle Geschichte von Migration, die überall auf der Welt geschehen könnte: Um Motive, die Menschen dazu veranlassen, ihre Familien und FreundInnen zu verlassen, ihr Leben zu riskieren auf der Suche nach einem besseren Leben.

IZ3W: Wie haben Sie Zugang zu dem Lager und den Menschen dort bekommen?

DAVID FEDELE: Nach ein paar Tagen in Marokko habe ich den jungen marokkanischen Filmemacher Reda Afirah kennen gelernt, der sich ebenfalls für die Thematik interessierte. Er arbeitete mit mir als Assistent und Übersetzer. Ohne ihn hätte ich den Film nicht machen können. Ich spreche kein Französisch, also half er mir sehr bei der Sprache und der Kommunikation mit den MigrantInnen. Wir hatten am Anfang aber keine Kontakte, daher gingen wir im wahrsten Sinne des Wortes in die Berge und suchten nach MigrantInnen.

Die MigrantInnen organisieren sich in Gruppen, die nach unterschiedlichen Nationalitäten und Sprachgruppen separiert sind. Wir haben viel Zeit damit verbracht, uns mit Menschen aller Gruppen zu unterhalten, ihnen zuzuhören, gemeinsam zu essen, Fußball zu spielen... So konnten wir sie als Menschen kennen lernen und verbrachten nicht nur Zeit damit, zu filmen. Wir haben eine eher persönliche Beziehung zu den Gefilmten aufgebaut - ich hoffe, das spiegelt sich im Film wider. Wir hatten großes Glück, Yacou aus der malischen Gemeinschaft zu treffen, eine der Hauptfiguren des Films. Er war seit zwei Jahren in Gourougou und ein respektierter Mann innerhalb der Community. Wir erklärten ihm unser Vorhaben. Er sagte, er würde die Anderen fragen, ob sie uns erlauben würden zu filmen, wir sollten in ein paar Tagen wieder kommen. Glücklicherweise waren sie einverstanden.

IZ3W: Haben Sie während der Dreharbeiten in dem Lager gelebt?

DAVID FEDELE: In Gourougou zu filmen war unglaublich riskant, für mich, für Reda und die MigrantInnen selbst. Während wir drehten, kamen das marokkanische Militär und die Polizei fast jeden Morgen gegen vier Uhr in die Berge, um MigrantInnen festzunehmen und ihre Lagerstätten niederzubrennen. Daher haben wir, so sehr wir es wollten, nie in den Bergen geschlafen, sondern liefen morgens oder, wenn Militär und Polizei da waren, mittags in die Berge. Abends gingen wir zurück in die nächstgelegene größere marokkanische Stadt Nador.

Während eines Zeitraums von zehn Wochen konnten wir drehen, bis wir von der Polizei festgenommen und verhört wurden. Sie hielten uns für viele Stunden fest, erst in den Bergen und dann in der Polizeistation in Nador. Ich wurde dazu gezwungen, jedes Foto auf meiner Kamera zu löschen, auf dem eine »schwarze Person« zu sehen war, aber glücklicherweise entdeckten sie das Filmmaterial nicht. Sie warnten uns eindringlich, nicht mehr nach Gourougou zurückzukehren. Ich blieb dann noch sechs Monate in Marokko, um den Film fertig zu bearbeiten.

IZ3W: Welche weiteren Schwierigkeiten gab es beim Dreh? Und wie reagierten die MigrantInnen auf das Filmen?

DAVID FEDELE: Es war aus verschiedenen Gründen schwer, diesen Film zu machen. Die meisten MigrantInnen sind in eine Art Schmuggelnetzwerk verstrickt, selbst wenn es ihnen nicht bewusst ist. Sei es nur dadurch, dass sie jemanden bezahlen, um über eine Grenze zu kommen. Die gesamte Migrationsroute ist von einer Art »Mafia« kontrolliert, auch in den meisten Gebieten im Norden Marokkos. In vielen Fällen ist es daher unmöglich, einen Film zu drehen, ohne viel Geld dafür zu bezahlen - was selbstverständlich gegen alles spricht, an das ich glaube. Da Gourougou aber nur wenig darin verwickelt ist, hatten wir einfacheren Zugang.

Trotzdem war das Filmen nur schwer möglich. Ich bin nicht die erste Person, die einen Film zu diesem Thema dreht, viele FotografInnen, JournalistInnen und FilmemacherInnen kamen vor mir. In den Augen der MigrantInnen ist die Situation aber immer noch gleich oder sogar schlechter. Daher war die Reaktion der Menschen, mich nach Geld zu fragen, als ich filmte. Sie glaubten, ich würde ihre Geschichten dazu nutzen, reich zu werden, während sie nach wie vor in den Bergen festsitzen. Es gibt eine Szene in dem Film, in der zwei Männer genau darüber sprechen, dass ich sie nur ausnutzen würde. Für mich war es wichtig, diese Szene in den Film zu integrieren. Ich versuche ständig, meine persönlichen Gründe zu hinterfragen, einen solchen Film zu drehen, was, denke ich, sehr wichtig ist. Gleichzeitig möchte ich auch das Publikum dazu anregen, sich diese Frage zu stellen, denn was ändert sich an der Situation dadurch, dass es diesen Film gibt und wir ihn uns anschauen?

IZ3W: Der Film ist von Jurys und Publikum gut aufgenommen worden und wurde sogar ausgezeichnet. Hatten Sie die Möglichkeit, ihn den MigrantInnen zu zeigen?

DAVID FEDELE: Mit einigen Protagonisten aus dem Film bin ich in regelmäßigem Kontakt. Yacou ist jetzt in einem Auffanglager in Melilla. Er überwand den Zaun im Februar erfolgreich, nachdem er insgesamt drei Jahre lang in den Bergen lebte. Ich war in Marokko, als er in Melilla ankam und mich anrief. Ich fuhr sofort hin, um ihn zu treffen. Wir schauten den Film gemeinsam an und ich gab ihm ein paar DVDs davon. Ich rufe ihn alle paar Wochen an.

Ich habe den Film auch anderen MigrantInnen gezeigt, sowohl in Marokko als auch in Europa. Die Reaktionen waren überwältigend positiv. Es ist wichtig für mich, wie MigrantInnen über diesen Film denken, und dass es mir hoffentlich gelungen ist, ihre prekären Situationen auf eine respektvolle Art und Weise darzustellen.

IZ3W: Organisieren sich die MigrantInnen, um ihren Forderungen politisches Gewicht zu verleihen und sie durchsetzen zu können?

DAVID FEDELE: Es gibt viele selbstorganisierte Gruppen von MigrantInnen in Marokko, die eine bessere Behandlung und die Anerkennung ihrer grundlegenden Menschenrechte fordern. Außerdem setzen sich verschiedene Netzwerke und AktivistInnen sowohl auf der marokkanischen als auch der spanischen Seite für die Rechte von MigrantInnen ein. Aber es ist eine sehr schwierige Arbeit unter harten Bedingungen und es ist mühsam, in diesem Bereich voranzukommen. Denn die UnterstützerInnen versuchen Rechte von Menschen zu verteidigen, die nach dem marokkanischen Gesetz gar keine haben. Für die MigrantInnen aus den selbstorganisierten Gruppen ist politische Arbeit riskant. Meist sind sie nicht registriert und laufen immer Gefahr, als illegal erfasst und abgeschoben zu werden - ganz zu schweigen von Misshandlungen und Gewalt durch die Behörden.

Es gibt einige internationale Organisationen, die MigrantInnen unterstützen. Als ich in Marokko war, hat Médecins Sans Frontières wichtige Arbeit geleistet, in dem sie Medikamente, Pflege, Decken und andere notwendige Dinge für die MigrantInnen bereit gestellt haben, die in den Wäldern leben. Unglücklicherweise haben sie Marokko im März 2013 verlassen - oder wurden dazu gezwungen, das ist nicht klar.

David Fedele tourt derzeit weltweit mit seinem Film und wird im November auf dem »Augen Blicke Afrika« Filmfestival in Hamburg zu Gast sein. Der Film ist auf DVD erhältlich (www.thelandbetweenfilm.com). Das Interview wurde von Katharina Forster per Email geführt und aus dem Englischen übersetzt.

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 344 - September/Oktober 2014

Globale Geschäfte mit Uran
Angereicherte Gefahr

Uran - ist das ein Thema, das ausreicht für einen Schwerpunkt in der iz3w? Das fragte ein Jahr vor der Veröffentlichung die iz3w-Redaktion. In Kooperation mit der AG uranium-network.org sammelten wir Fragen. Die AG uranium-network.org arbeitet innerhalb des Freiburger Vereins Menschenrechte 3000. In verschiedenen Ländern unterstützt sie KritikerInnen des Uranabbaus in ihrer politischen Arbeit und ermöglicht Betroffenen, ihre Argumente und Fragen in einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess einzubringen. Die Zusammenarbeit mit der AG hat es erleichtert, Perspektiven aus Nord und Süd zusammen zu denken. Das hat auch zum Umfang des Schwerpunktes beigetragen.

Übrigens: weitere Aspekte sind im südnordfunk - der Magazinsendung des iz3w - zu finden. Ob das Thema Uran über nunmehr 24 Heftseiten spannend aufgezogen werden kann, das können die geneigten LeserInnen nach der Lektüre nun selber beantworten.

Über Feedback freut sich
die redaktion


Inhaltsübersicht aus dem Themenschwerpunkt:

Unbeherrschbar
Die Verwertung des Urans geht mit der Vervielfältigung von Gewalt einher
von Martina Backes

In den Händen von Kriegsherren
Die Geschichte einer Mine in der DR Kongo
von Golden Misabiko

Freigesetzte Übel
Der Uranabbau hinterlässt irreversible Langzeitfolgen
von Günter Wippel

»Dem Schweigen verpflichtet«
von Hilma Shindondola-Mote

Nebenan
Tagebau in Sichtweite der Dörfer
von Thomas Bauer und Christian Russau

Geheimniskrämerei
Rund um den internationalen Handel mit Uran
von Benjamin Paaßen

Strahlendes Material auf Reisen
von Dieter Kaufmann

Gefahrenanreicherung
Auf Uranabbau folgen Risiken bis hin zum Atommülldesaster
von Udo Buchholz

Aufgeflogen
Die malische Regierung übergeht lokale Verantwortliche
von Olaf Bernau

Wer gewinnt?
Abbaupläne und Gesetze in der Mongolei
von Eike Seidel

Im Zeichen der Unabhängigkeit
Das Förderverbot in Grönland ist aufgehoben
von Stefan Brocza und Andreas Brocza

»Indien wurde für sein Atomprogramm belohnt«
Interview mit dem Aktivisten Kumar Sundaram

Nur Online:

Rückenwind für die Atombranche?
Zahlreiche Länder bleiben bei der Atompolitik auf
von Harald Möller

Kohle für Urangeschäfte
Sind deutsche Banken beteiligt?
von Regine Richter

Große Spieler
Areva kontrolliert die vollständige Verarbeitungskette
von Benjamin Paaßen


POLITIK UND ÖKONOMIE

Hefteditorial: Geliebt werden wollen

Kolumbien: Schleichkatze auf Hochtouren
Der Friedensprozess stößt weiter auf große Hindernisse
(Langfassung nur im Netz)
von Matthias Schreiber

Migration: Verhängnisvolle Flucht
Im Sinai finden grausame Gewalttaten gegen Flüchtlinge statt
von Eva-Maria Bruchhaus

China: Gratulation zum Armutsgebiet
Die schwierige Rolle von NGOs bei der Armutsbekämpfung
von Dirk Reetlandt

Chile: Nach dem Feuer von Valparaíso
Die sozialen Folgen von Naturkatastrophen
von Jürgen Schübelin

Antiziganismus I: Was heißt denn hier 'Roma'?
Aktuelle Formen des medialen Antiziganismus
von Markus End

Antiziganismus II: Angenommen und abgestempelt
Ein Sinto in Deutschland
von Sebastian Lotto-Kusche


KULTUR UND DEBATTE

Literatur: Dissidenten für die Freiheit
In seinem Roman »Ketzer« lobt Leonardo Paduradie Andersdenkende
von Klaus Jetz

Fotografie I: Aufklärerische Begierde
Auch kritische Bücher sind nicht vor dem kolonialen Blick gefeit
von Heike Kanter und Jörn Hagenloch

Fotografie II: »Wie lesen wir Bilder?«
Interview mit Thomas Allen Harris über fotografische Repräsentationen des Afroamerikanischen

Film I: »Auf der Suche nach dem besseren Leben«
Interview mit dem Dokumentarfilmer David Fedele

Film II: Queer Africa
Ein Schwerpunkt des Kölner Afrika Film Festivals widmet sich LGBTIs
von Karl Rössel

Rezensionen

Szene / Tagungen

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2014