iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 353 - März/April 2016
Editorial zum Dossier
Spiele von oben
Olympia in Rio de Janeiro
"Nein danke" hieß es in Hamburg und München, als die dortige Bevölkerung über die Olympiabewerbungen abstimmte. Die EinwohnerInnen von Rio de Janeiro hätten vielleicht auch dankend abgelehnt, wenn sie denn je gefragt worden wären. Die olympischen Sommerspiele 2016 werden in Rio stattfinden, aber wie schon die Männer-Fußball-WM 2014 nicht auf allgemeine Zustimmung stoßen. Mehr und mehr macht sich auch in Brasilien die Erkenntnis breit, dass die Zeit der euphorisch gefeierten Megaprojekte vorbei sein könnte. Zu viele Nebenwirkungen wie Vertreibung, Verschuldung und Verschwendung wurden bisher ausgeblendet.
Wir nehmen die Olympiade in Rio zum Anlass, um die bei der WM erprobte Kooperation zwischen iz3w und KoBra fortzusetzen (siehe Ausgabe 340). In unserem neuen gemeinsamen Dossier werfen wir einen Blick auf die sozialen Realitäten in Brasilien jenseits des olympischen Glamours. Unser Fokus liegt auf der Megacity Rio de Janeiro und dem, was die sportlichen Megaevents dort an Spuren hinterlassen. Problembereiche wie öffentliche Sicherheit in Favelas, Kommerz, Gentrifizierung sowie Ausgrenzung von marginalisierten Gruppen werden in Rio unter anderem vom olympischen Basiskomitee, einer Gruppe von sozialen Bewegungen in der Stadt, beobachtet und kritisiert. Dass Olympia nicht nur ganz konkret in Rio ein Herrschaftsprojekt "von oben" ist, sondern es damit ganz grundsätzlich im Argen liegt, verdeutlicht ein theoretischer Essay in der Heftmitte.
Die Proteste gegen die Umstrukturierung durch Olympia finden in einem schwierigen politischen Umfeld und in einer Wirtschaftskrise statt. In der Politik dominiert seit der WM ein konservativer Backlash, der sich nicht zuletzt gegen Präsidentin Dilma Rousseff richtet. Die klassische Linke rund um die Arbeiterpartei PT ist um Antworten verlegen, sie ist verstrickt in die Ränkespiele um den politischen Machterhalt. Im Nachbarland Argentinien manifestierte sich der in ganz Lateinamerika grassierende Rechtsruck bei der jüngsten Wahl bereits an den Urnen. Brasiliens Linke hatte im Oktober 2014 die Wahlen noch knapp gewinnen können, ringt aber seither um den Erhalt der politischen Teilhabe.
Die dennoch zahlreichen Proteste auf den Straßen sind kreativer und lustvoller, als wir es hierzulande gewohnt sind. Egal, um welches Thema es geht und egal, ob im städtischen oder ländlichen Raum demonstriert wird, immer scheint die Utopie von einem guten Leben für alle auf. Ein großer Teil der Bilder in diesem Dossier erzählt von diesem bunten Widerstand der sozialen Bewegungen in Brasilien. Einige Fotos stammen vom Medienkollektiv Mídia NINJA. Andere Bilder kommen von der Fotografieschule Escola de Fotógrafos Populares in Rio de Janeiro und sind der Fotoausstellung "Copaparaquem?" (WM für wen?) entnommen, die 2014 von der OXIS-Gruppe in Bonn gezeigt wurde.
Schnelle Lösungen für die tiefe Krise Brasiliens hat zurzeit niemand zur Hand, und das Kalkül mit dem Opium des Volkes ist schon bei der Fußball-WM nicht aufgegangen. Es ist durchaus möglich, dass das olympische Feuer einen politischen Flächenbrand auslöst.
die redaktion
Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des BMZ
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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 353 - März/April 2016
Spiele von oben
Olympia in Rio de Janeiro
"Nein danke" hieß es in Hamburg, als die Bevölkerung über die Olympiabewerbung abstimmte. Die EinwohnerInnen von Rio de Janeiro hätten vielleicht auch dankend abgelehnt, wenn sie gefragt worden wären. Die olympischen Sommerspiele 2016 werden in Rio stattfinden, aber wie schon die Männer-Fußball-WM nicht auf allgemeine Zustimmung stoßen.
Mehr und mehr macht sich auch in Brasilien die Erkenntnis breit, dass die Zeit der euphorisch gefeierten Megaprojekte vorbei sein könnte. Zu viele Nebenwirkungen wie Vertreibung, Verschuldung und Verschwendung wurden bisher ausgeblendet. Jenseits des olympischen Glamours sind die sozialen Realitäten in Rio geprägt von Auseinandersetzungen über öffentliche Sicherheit, Kommerz, Gentrifizierung sowie Ausgrenzung von marginalisierten Gruppen.
In unserem Dossier werfen wir einen Blick auf die politische und soziale Situation in Brasilien, aber auch auf die kreativen und lustvollen Proteste der sozialen Bewegungen. Erstellt wurde das Heft in enger Zusammenarbeit von KoBra (Kooperation Brasilien) und iz3w.
INHALTSÜBERSICHT
Es gibt Lernbedarf - Hefteditorial
Dossier: Olympia in Brasilien
Spiele von oben - Editorial zum Dossier
Was nach dem Abpfiff blieb
Ein kritischer Rückblick auf die Männer-Fußball-WM 2014
von Thomas Fatheuer und Christian Russau
Inszenierte Partystimmung
Eine Exkursion in die Olympiastadt Rio de Janeiro
von Uta Grunert
Löchrige Festung
Sicherheit in Rio vor, während und nach Olympia
von Dennis Pauschinger
Schwarze Gürtel für das Leben
Die brasilianische Judoauswahl trainiert nicht nur für Medaillen
von Nils Brock
Ordnung und Fortschritt
Notizen zu Sport und Ideologie (Langfassung in Kürze hier)
von Roger Behrens
Wer gewinnt, wer verliert?
Rios Zivilgesellschaft debattiert über die Stadt von morgen
von Itamar Silva
Baía de Guanabara: Das stinkt zum Himmel!
von Fabian Kern
Städte ohne Identität
Brasiliens Regierungen pushen urbane Fehlentwicklungen
von Daniel Santini
Demokratisierung versus Militarisierung
Politiken der Sexualität im Kontext von Gentrifizierung und
Megaevents
von Jan Hutta
Wer oder was sind die Linken?
Die Lähmung der Progressiven und die Stärke der Konservativen
von Verena Glass
Zeitschriften - Bücher - Multimedia
POLITIK UND ÖKONOMIE
Sex Work: Von Indien lernen
Die Selbstorganisierung indischer Sexarbeiter*innen als Vorbild
von Marleen
Indien: Tödliche Agrarkrise
Pestizide vergiften die indische Landbevölkerung
von Hanns Wienold
Südafrika: Dekolonisierung von Hochschule und Gesellschaft
Studierendenbewegung in Südafrika
von Heike Becker
Mexiko I: Die Macht des Todes
Warum die Gewalt in Mexiko endemisch geworden ist
von Timo Dorsch - Langfassung nur im Netz
Mexiko II: »Wir sind keine Dienerinnen«
Haushaltsarbeiterinnen politisieren ihre Arbeit
von Sarah Bose
Westsahara: »Ich bin der Kopf der Familie«
In der saharauischen Gesellschaft haben Frauen eine bedeutende Rolle
inne
von Friedemann Neumann
LGBTQ: Reine Propaganda
Der Vorwurf des »Pinkwashing« ist so haltlos wie perfide
von Alex Feuerherdt
KULTUR UND DEBATTE
Film I: Mutige Mädchen in futuristischen Welten
Animationsfilme aus Subsahara-Afrika brechen mit Tabus
von Alice Rombach
Rezension: »Clevere Ausnutzung der religiösen Frage«
Ein neues Standardwerk über die Kollaboration von Nazis und
Muslimen
von Matthias Küntzel
Film II: God is not working on Sunday
von Martina Backes
Rezensionen
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Quelle:
iz3w Nr. 353 - März/April 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2016
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