iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 354 - Mai/Juni 2016
Es stinkt zum Himmel
Editorial zum Dossier "Zugemüllt"
»Talaat Richatkun« (ihr stinkt), skandierten im Sommer und Herbst 2015 tausende Demonstrierende in Beirut. In den Straßen der libanesischen Hauptstadt hatte sich monatelang Müll zu mannshohen Haufen angesammelt. Die bisher genutzte Deponie war geschlossen worden, sie war 17 Jahre lang ohnehin nur eine schlechte Übergangslösung gewesen. Während die AnwohnerInnen der Deponie unter Smog, LKW-Lärm und Rattenepidemien litten, hatten sich einige Unternehmer und korrupte Politiker eine goldene Nase mit dem Müll verdient. Die vereinbarten Vorschläge für langfristige Lösungen hatten sie nie geliefert.
Kein Wunder, dass die Müllkrise in Beirut zum Politikum wurde und eine Protestbewegung auslöste, die den Sturz der Regierung forderte. In Neapel hatte sich wenige Jahre zuvor ähnliches abgespielt. Auch hier versagten Politik und Staat beim Umgang mit dem massenhaft anfallenden Müll. Sie überließen das Feld der Mafia, die mittlerweile in ganz Italien mit Müll bessere Geschäfte macht als mit Drogen. Beirut und Neapel stehen geradezu paradigmatisch für einen Umgang mit Müll, wie er weltweit verbreitet ist. Mit dem Abtransport von Abfall und der Lagerung in Deponien machen einige Wenige gute Geschäfte, die zum erheblichen Teil illegal sind. Die Drecksarbeit an den Mülllastern und auf den Deponien bleibt mies bezahlten TagelöhnerInnen überlassen. Auf die Umwelt wird von niemandem Rücksicht genommen; die einen wollen nicht, die anderen können nicht.
Im reichen Deutschland mit seinem nationalen Stolz auf Mülltrennung und Recycling sind die Verhältnisse anders, aber nicht besser. Hierzulande firmiert die Müllbranche zwar unter dem euphemistischen Begriff »Entsorgung« und kann ohne großen Widerspruch Müllverbrennung als »thermische Wiederverwertung« verniedlichen. Aber augenscheinlich saubere Bürgersteige täuschen nicht darüber hinweg, dass Deutschland Exportweltmeister in Sachen Müll ist. Elektroschrott, giftige Schlacken oder ausgemusterte Schiffe werden massenhaft nach Ghana, in die Türkei oder nach Bangladesch verbracht, um dort »entsorgt« zu werden. Bloß weg damit! An der Vermüllung der Welt sind alle Industriestaaten des Nordens weit überproportional beteiligt.
Die Grundthese unseres Dossiers über die politische Ökonomie und Ökologie des Mülls lautet: Im Umgang mit dem Müll und den Menschen, die mit ihm arbeiten müssen, verdichten sich (welt-)gesellschaftliche Verhältnisse und Ungleichheit in besonderem Maße. Wir leiten das Dossier daher ein mit einer Reportage über MüllsammlerInnen auf einer Müllkippe in Kenia. Bei diesem Blick an die Basis wird besonders deutlich: Bei Müll geht es nicht nur um Umweltprobleme, sondern mindestens genauso um soziale Fragen nach angemessener Entlohnung, Arbeitsschutz, Nichtdiskriminierung und weiteren sozialen Standards.
Der Umgang mit Müll ist ein drängendes Thema für globale Umwelt-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Doch auf den Agenden internationaler NGOs und transnationaler Institutionen kommt es viel zu kurz. An diesem globalen Problem werden lokale Müllkrisen so schnell nichts ändern, befürchtet
die redaktion
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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 354 - Mai/Juni 2016
Zugemüllt
und wer räumt den Dreck weg?
Deutschland ist Exportweltmeister in Sachen Müll: Elektroschrott, giftige Schlacken oder ausgemusterte Schiffe werden von hier aus massenhaft nach Ghana, in die Türkei oder nach Bangladesch verbracht, um dort "entsorgt" zu werden. Bloß weg damit! An der Vermüllung der Welt sind alle Industriestaaten des Nordens weit überproportional beteiligt.
Unser Dossier befasst sich mit der politischen Ökonomie und Ökologie des Mülls. Die Grundthese lautet: Im Umgang mit dem Müll und den Menschen, die mit ihm arbeiten müssen, verdichten sich (welt-)gesellschaftliche Verhältnisse und Ungleichheit in besonderem Maße. Dabei geht es nicht nur um Umweltprobleme, sondern mindestens genauso um soziale Fragen nach angemessener Entlohnung, Arbeitsschutz, Nichtdiskriminierung und weiteren sozialen Standards.
Der südnordfunk - die monatliche Radio-Magazinsendung des iz3w - hat eine ganze Sendung dem Thema Müll gewidmet. Die Sendung steht HIER.
INHALTSÜBERSICHT
Ein großes Übel - Hefteditorial
Dossier
Es stinkt zum Himmel - Editorial zum Dossier
Start-Up auf der Deponie
MüllsammlerInnen organisieren sich für ihre Rechte
von Martina Backes
südnordfunk-Beitrag der Autorin zum Thema
Zikamücken und Quietscheentchen
Müll ist eine Metapher für die Entwicklung der Gesellschaft
von Cord Riechelmann
Leben in der Plastisphäre
Über Plastikmüll in den Meeren zirkulieren viele Mythen
von Sven Bergmann
Sondermüll nach Accra
Die Kontrollen für Elektroschrott sind löchrig
von Meike Bischoff
südnordfunk-Beitrag der Autorin zum Thema
Peak Waste
Das globale Müllaufkommen wächst und wächst und...
von Christian Stock
Überfluss und Überschuss
Wie Lebensmittel systematisch zu Müll gemacht werden
von Amelie Bihl
Kreislaufstörungen
In Bangalore zeigt sich das Für und Wider von Recycling
von Nicolas Schlitz
Bloß weg damit
Industrieabfälle aus dem Bergbau landen oft im Meer
von Onno Groß
POLITIK UND ÖKONOMIE
Türkei: »Eine neue Form von Diktatur«
Im türkisch-kurdischen Konflikt agieren beide Seiten undemokratisch
von Eva Savelsberg und Siamend Hajo
Debatte: »Ihr liebt das Leben, wir den Tod!«
Die Kriegswaffe des Selbstmordattentats ist bis heute nicht explizit
geächtet
von Matthias Küntzel
Indien: Das gallische Dorf in Delhi
An der Jawaharlal Nehru University wehren sich Studierende gegen
Hindunationalismus
von Oliver Kontny
Kambodscha: Bittersüße Ernte
Der Zuckerboom hat Landgrabbing zur Folge
von Christopher Wimmer
KULTUR UND DEBATTE
Berlinale: Einige kommen durch
Dokumentarfilme auf der Berlinale erzählten von Flucht
von Isabel Rodde
Berlinale: The revolution will be live
von Isabel Rodde
Comic: Kreativ gegen eine Leerstelle
Die afrikanische Comicszene ist lebendiger, als der Westen ahnt
von Alexander Sancho-Rauschel
Sport: Feiern, dopen, feuern
Hürden auf dem Weg der kenianischen AthletInnen
südnordfunk-Beitrag des Autors zum Thema
von John Bwakali
Philosophie: »Eine Form des Empowerment«
Interview mit Franziska Dübgen und Stefan Skupien über Afrikanische
Philosophie
Rezensionen
Jens Kersten (Hg.): Inwastement - Abfall in Umwelt und Gesellschaft. transcript Verlag, Bielefeld 2016.
Johannes Bühler: Am Fuße der Festung-Begegnungen vor Europas Grenze. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2015.
Christian Jakob: Die Bleibenden - Wie Flüchtlinge Deutschland seit 20 Jahren verändern. Ch. Links Verlag, Berlin 2016.
Fatima El-Tayeb: Anders Europäisch. Rassismus, Identität und Widerstand im vereinten Europa. Unrast Verlag, Münster.
Niq Mhlongo: Way Back Home. Übersetzung: Gunther Geltinger. Verlag das Wunderhorn, Heidelberg.
Lateinamerika-Nachrichten. Nr. 500, Februar 2016.
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Quelle:
iz3w Nr. 354 - Mai/Juni 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2016
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