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IZ3W/372: Editorial zum Themenschwerpunkt von Ausgabe 359 - Der globale Rechtspopulismus


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 359 - März/April 2017

Der globale Rechtspopulismus


»Gibt es etwas in der seelischen Verfassung des heutigen Menschen, das ihn auf die Demagogie skrupelloser Agitatoren positiv reagieren läßt, und was ist die Technik dieser Demagogie?« Diese Frage klingt, als sei sie auf Donald Trump, Marine Le Pen oder Rodrigo Duterte bezogen. Doch sie ist schon älter. Formuliert wurde sie 1950 in der bahnbrechenden Studie von Theodor W. Adorno und anderen über »The Authoritarian Personality«. Die Kritischen Theoretiker hatten sich vor allem angesichts des Nationalsozialismus gefragt, wie es dazu kommt, dass Menschen sich freiwillig dem Autoritarismus unterwerfen, ja ihn sogar fordern.

Erich Fromm fügte diesen Überlegungen über autoritäre Charaktere den Begriff der »konformistischen Rebellion« hinzu. Gemeint ist damit jenes Aufbegehren, das sich nicht gegen Herrschaft an sich richtet, sondern diese sogar noch nationalistisch zuspitzen will, zugunsten einer Führungsfigur, die »mal so richtig aufräumt«. Gerichtet ist die konformistische Rebellion nicht nur gegen das verhasste Establishment, sondern vor allem gegen andere, schwächere Minderheiten: Gegen Geflüchtete, Andersgläubige und alle anderen, die von den Rebellierenden von einem »Volk« ausgegrenzt werden, das in der Regel als ethnisch homogen imaginiert wird.

All diese Überlegungen der Kritischen Theorie sind angesichts des gegenwärtigen Aufstiegs des Rechtspopulismus hochaktuell. Sie treffen recht genau, was geschieht, wenn Trump in den USA für sein »America first« auf brüllende Zustimmung stößt und Duterte in den Philippinen für seine demonstrativ zur Schau gestellte Verachtung von Menschenrechten gefeiert wird. Das besonders Unheimliche am Rechtspopulismus ist, dass die Zustimmung zu ihm nicht erzwungen wird, sondern freiwillig erfolgt. Und zwar durch Menschen, die nicht einfach nur mittels gewiefter Demagogie 'verführt' wurden, sondern die offen und selbstbewusst nach all den Diskriminierungen verlangen, die RechtspopulistInnen an der Macht zur Regierungspolitik machen.

Die derzeitige publizistische und wissenschaftliche Karriere des Begriffs »Rechtspopulismus« beruht auf dem Aufstieg von Strömungen, die mit bisherigen Bezeichnungen wie konservativ, nationalistisch, völkisch, rechtsextrem oder neonazistisch nicht mehr hinreichend zu fassen waren. RechtspopulistInnen schielen in besonderem Maße auf Zustimmung durchs (Wahl-)Volk. Sie greifen gesellschaftliche Stimmungen auf, die nicht mehr nur an Stammtischen, sondern vor allem in so genannten Sozialen Medien artikuliert werden. Sie richten sich einerseits gegen »die da oben«, gegen die globalisierten Konzerne und die »Lügenpresse«. Andererseits gilt der Hass der RechtspopulistInnen unliebsamen Minderheiten (die gerne zu drohenden Mehrheiten deklariert werden): Muslime, Flüchtlinge, LGBTs, 'links-rot-grün Versiffte', DrogenhändlerInnen und andere mehr. Eine weitere Gemeinsamkeit rechtspopulistischer Strömungen ist ihr Antifeminismus, ihre Abscheu vor allem, was mit »Gender« zu tun hat und ihre mehr oder weniger offene Homophobie. In der Summe läuft all dies auf die Faschisierung der Gesellschaften hinaus.

Da die meisten RechtspopulistInnen sich bewusst demokratisch-parlamentarischer Mittel bedienen, haben sie Parteien gegründet, die mittlerweile in ganz Europa von Erfolg zu Erfolg eilen. Doch auch in anderen Kontinenten sind politische Kräfte stark, die rechtspopulistische Züge tragen, etwa in Lateinamerika sowie in asiatischen Ländern wie den Philippinen und Thailand. Zu nennen sind aber auch Putins Russland und Erdogans Türkei.

Rechtspopulismus ist ein schillernder und selten genau definierter Begriff - wie schon der Populismusbegriff an sich. Es handelt sich um einen politischen Kampfbegriff, mit dem GegnerInnen diskreditiert werden sollen, nicht selten sogar dann, wenn es eigentlich große Schnittmengen gibt - etwa wenn die CSU gegen die AfD wettert. Unser Themenschwerpunkt soll daher auch eine Kritik des Begriffs beinhalten und genau hinsehen, inwieweit er zur Kritik an autoritären Formierungen taugt.

2017 ist ein entscheidendes Jahr: Es wird offenbaren, ob Trump mit seinem ultranationalistischen Programm durchregieren kann oder ob er auf größer werdenden Widerstand stößt. Bei den Wahlen in Frankreich und Deutschland geht es um nichts weniger als die Frage, ob Front National und AfD die politische Agenda künftig vollständig bestimmen oder nicht.

Schön ist das alles nicht. Sich zurückzulehnen und angewidert zuzusehen, wie sich die Parteien Schlammschlachten liefern und sich an Populismus zu übertreffen versuchen, ist daher eine verständliche Reaktion. Doch diesen Luxus können sich Linke und Liberale nicht mehr leisten, die Lage ist viel zu zugespitzt. Wir werden nicht umhin kommen, dem Vormarsch der RechtspopulistInnen auf allen Ebenen aktiv zu begegnen. ¡No pasarán!


die redaktion

Wir danken der Amadeu Antonio Stiftung und der Rosa Luxemburg Stiftung für die Unterstützung dieses Themenschwerpunktes.

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 359 - März/April 2017

Rechtspopulismus
Rebellion der autoritären Charaktere

Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen sind weltweit auf dem Vormarsch. Die Überlegungen der Kritischen Theorie zum "autoritären Charakter" sind daher hochaktuell. Sie treffen recht genau, was geschieht, wenn beispielsweise Präsident Duterte in den Philippinen für seine demonstrativ zur Schau gestellte Verachtung von Menschenrechten gefeiert wird.

Das besonders Unheimliche am Rechtspopulismus ist, dass die Zustimmung zu ihm nicht erzwungen wird, sondern freiwillig erfolgt. Seine AnhängerInnen werden nicht einfach mittels gewiefter Demagogie 'verführt', sondern sie verlangen selbstbewusst nach all den Diskriminierungen, die von RechtspopulistInnen an der Macht zu Regierungspolitik gemacht werden. So kommt es zur Faschisierung ganzer Gesellschaften und zu militantem Antifeminismus.

In unserem Themenschwerpunkt fragen wir, was der Kampfbegriff Rechtspopulismus taugt, welche Verschwörungstheorien ihm zugrunde liegen und wie sich rechtspopulistische Strömungen in verschiedenen Ländern voneinander unterscheiden.


INHALTSÜBERSICHT

Politisches Totalversagen
Hefteditorial

Themenschwerpunkt: Rechtspopulismus

Der globale Rechtspopulismus
Editorial zum Themenschwerpunkt

Grenzen auf für Autoritäres
Ist der Rechtspopulismus Wegbereiter eines neuen Faschismus?
von Jens Benicke

Angst um die Vormachtstellung
Antifeminismus und Genderhass sind ein Bindeglied zum Rechtspopulismus
von Rebekka Blum

Heimliche Herrschaft
Biedere BürgerInnen und ihre Verschwörungstheorien
von Peter Bierl

Recht russisch
Der Putinismus ist für den Rechtspopulismus attraktiv
von Ute Weinmann

F**k You, Human Rights! (Langfassung im Netz)
Der philippinische Präsident Duterte vollstreckt den Populismus
von Niklas Reese

»Unter dem Volk populär
«In Thailand ist Populismus jetzt allseits positiv besetzt
von Wolfram Schaffar

Aufstand der Paternalisten
Erdogans Rechtspopulismus im Janitscharenrock
von Jan Keetman

Un pueblo, un líder
In Lateinamerika hat der Populismus eine lange Geschichte
von Juliane Schumacher


POLITIK UND ÖKONOMIE

Debatte: Wir fordern das Wort »Apartheid« zurück!
Warum die Gleichsetzung von Israel mit dem rassistischen Südafrika falsch ist
von Nkululeko Nkosi

Grenzregime: Kollaborateure gesucht
Wie die EU afrikanische Staaten für die Flüchtlingsabwehr einspannen will
von Christian Jakob

Kinder I: »Kinder retten«
Ein Plädoyer gegen die postkoloniale Eroberung der Kindheiten
von Manfred Liebel

Kinder II: »Because I am a Girl
«Das westliche Mädchen-Ideal ist im Globalen Süden weder realisierbar noch erstrebenswert
von Shenila S. Khoja-Moolji

Südkorea: Reden wäre Gold Japan übt Stillschweigen über die Kriegsverbrechen an Zwangsprostituierten in Asien
von Mira Krebs

Postwachstum I: Wachsende Wachstumskritik
Die Debatte um Postwachstum und internationale Machtverhältnisse
von Daniel Bendix

Postwachstum II: Seht die Unterklassen
Die Kritik an der Wachstumskritik wächst
von Winfried Rust

Postwachstum III: Es geht um radikalen Wandel
Ein Diskussionsbeitrag zur Klärung einiger Missverständnisse über Degrowth
von Nina Treu


KULTUR UND DEBATTE

Comic: Marine Le Pen an der Macht
Die Graphic Novel »Die Präsidentin« zeichnet einen düsteren Ausblick
von Swetlana Hildebrandt

Literatur: Spiel mit der Vielstimmigkeit
Eine Novelle von Yavuz Ekinci ist unbeabsichtigt hochaktuell
von Oliver Kontny


Rezensionen

Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl:
Die Idenditären

Karl-Siegbert Rehberg, Franziska Kunz und Tino Schlinzing (Hg.):
PEGIDA

Christiane Lewe, Tim Othold und Nicolas Oxen (Hg.):
Müll

Aram Ziai (Hg.):
Postkoloniale Politikwissenschaft

Marion Hulverschiedt, Hendrik Dorgathen (Hg.):
Raus Rein

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Quelle:
iz3w Nr. 359 - März/April 2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2017

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