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KAZ/291: Klassen und Klassenkampf in der VR China - Teil 3


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 365, Dezember 2018
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Chinas Kampf um den Sozialismus

Klassen und Klassenkampf in der VR China (Teil 3)


In unserer Reihe "Chinas Kampf um den Sozialismus" waren wir in der KAZ 344 der Frage nachgegangen: Volksrepublik China - kapitalistisch oder sozialistisch?[1] Es folgte in der KAZ 356 die Untersuchung zu den äußeren Widersprüchen zwischen dem sozialistischen China und dem Imperialismus, der Versuch China einzukreisen und die Gegenmaßnahmen der VR China.[2] In KAZ 362 haben wir begonnen, uns mit den inneren (Klassen-)Widersprüchen in der VR China auseinanderzusetzen. Es wurde herausgearbeitet: Die chinesische Verfassung ist die einzige in der Welt, die offen von Klassen und Klassenkampf im eigenen Land spricht und die Volksrepublik als "sozialistischen Staat unter der demokratischen Diktatur des Volks" festschreibt. Dieses klare Wissen der KP China um Klassen und Klassenwidersprüche im Sozialismus (und die klare Frontstellung gegen die fehlerhafte Einschätzung von der Unumkehrbarkeit des Sozialismus) hat sie 1989 vor der Niederlage durch die Konterrevolution bewahrt. Die Unterschiede des Klassenkampfes im Sozialismus und im Kapitalismus wurden in diesen Auseinandersetzungen erkennbar: Im Kapitalismus ist der Sturz der Diktatur der Bourgeoisie das Ziel, im Sozialismus die Stärkung der Diktatur des Proletariats oder aus der Sicht der Bourgeoisie: die Zerschlagung der Arbeiterherrschaft. Als Formen des Klassenkampfs wurden der Klassenkampf von Außen und von Innen und der verdeckte (z.B. Korruption) und offene Klassenkampf unterschieden. Gewicht wurde auf die Besonderheiten Chinas im Vergleich zu Europa gelegt.

Es folgte in der KAZ 363 die Klärung der Begriffe, die in der Debatte um den Klassencharakter der VR China von Bedeutung sind und für reale Entwicklungen stehen: Staatskapitalismus, Auslandskapital, Arbeitsproduktivität, sozialistische Marktwirtschaft, Sozialismus mit chinesischen Charakteristika. Dabei wurde zunächst im Vergleich zu Entwicklungsländern und zu imperialistischen Ländern der Maßstab für den Entwicklungsstand herausgearbeitet. In einem - im Vergleich zu hochentwickelten imperialistischen Ländern - immer noch rückständigen Land wie China ist die Entwicklung von Staatskapitalismus ein entscheidender Schritt nach vorn. Offensichtlich hat hier die KP China von Lenin gelernt, der herausstellt: Wenn die Machtfrage im Sinne des Proletariats geklärt ist, dann ist der Kapitalismus und seine Entwicklung ein Helfer des Sozialismus durch Überwindung der Kleinproduktion. Dazu dient neben der Heranziehung von Auslandskapital auch die Modifizierung der Planwirtschaft durch Schaffung von größeren Spielräumen für private Produzenten (sozialistische Marktwirtschaft). All dies soll die Entwicklung der Arbeitsproduktivität vorantreiben, die seit den Erfahrungen in der Sowjetunion der Schlüssel für Sieg oder Niedergang des Sozialismus nicht nur in China, sondern im Weltmaßstab ist. Zusammengenommen ist dies der Sozialismus mit chinesischen Charakteristika, eines Sozialismus im Anfangsstadium, der mit einem von der Kommunistischen Partei geführten Staat die Entwicklung der Produktivkräfte vorantreibt und die Rückständigkeit überwindet. Dabei sind die chinesischen Kommunisten nicht so naiv zu glauben, dass diese Entwicklung reibungslos vor sich geht. Sie wissen, dass die Nutzung des Kapitalismus auch Bourgeoisie hervorbringt. Deswegen halten sie auch am Klassenkampf fest. Nach Außen gegen die Einkreisung durch den Imperialismus und nach Innen derzeit vor allem im Kampf gegen die Korruption, den wir an zahlreichen Beispielen dokumentierten. Die Kampagne gegen die Korruption, die Kampagne zur Massenlinie, ist die von der Parteiführung deutlich formulierte Warnung nicht nur an die Bourgeoisie, sondern auch an die Genossinnen und Genossen der Kommunistischen Partei selbst, dass die Partei nichts ist ohne den Rückhalt in der Arbeiterklasse und im Volk. Wie die Partei um diesen Rückhalt kämpft, ist Gegenstand dieses letzten Teils unserer Artikelserie.

Wir beziehen uns bei der Behandlung der Fragen auf Lenin. Ihn zu zitieren ist natürlich noch kein Beweis, dass die Analyse richtig ist oder dass die Schlussfolgerungen, die aufgrund der Lage Sowjetrusslands nach der Oktoberrevolution gezogen wurden, für heute und für ein Land wie China zutreffen. Dennoch: der unter der Führung Lenins eingeleitete Aufbau des Sozialismus in einem rückständigen Land, in einem vom Imperialismus beherrschten feindlichen Umfeld, das ist weiterhin das große und aktuelle weltgeschichtlich-unaufschiebbare Unterfangen. Daran arbeiten und kämpfen auch die chinesischen Kommunisten und haben dabei von Lenin gelernt und lernen von ihm. Und das sozialistische China hat in diesem Kampf wahrlich mehr verdient als unwillig grummelnde Zuschauer, die etwas von einem "nächsten Anlauf" murmeln. Der findet nämlich unter unseren Augen statt und verdient im eigenen Interesse Sympathie und Unterstützung - internationale proletarische Solidarität.


Die chinesische Arbeiterklasse

Von den rd. 1.400 Millionen Einwohnern der VR China sind etwa 71% erwerbstätig, das sind rd. 775 Millionen Menschen gegenüber 755 Mio 2008. Das bedeutet, dass innerhalb von 10 Jahren 20 Millionen Arbeitsplätze mehr geschaffen wurden. Das ist beinahe so viel wie alle z.B. in einem bedeutenden Land wie Spanien vorhandenen Arbeitsplätze (22,64 Mio Erwerbstätige). Die Beschäftigungsquote von Frauen liegt mit über 63% etwa 15% über dem Weltdurchschnitt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 3,8%. Die Beschäftigten in der Landwirtschaft hatten vor 10 Jahren noch einen Anteil von über 30%, 2017 waren es noch etwa 18%. (BRD 1,3%) Dabei ist auch zu beachten, dass derzeit noch über 40% der Beschäftigten in ländlichen Gebieten (d.h. nicht nur in der Landwirtschaft) arbeiten.1980 waren es noch fast 80%.

Von den entsprechend 60% der Beschäftigten, die in Städten arbeiten, sind nach einer Studie der CASS (Chinese Academy of Social Sciences) etwa 80% Lohnarbeiter. Zwischen 1980 und heute ist die Zahl der Pendler/Wanderarbeiter/internen Migranten auf über 250 Millionen angewachsen.

Aus all diesen Angaben kann man als grobe Orientierung festhalten, dass die aktive Arbeiterklasse in China etwa 630 Millionen Beschäftigte umfasst, während die sog. Mittelschicht (Kleinbürgertum in Stadt und Land inkl. Bauern, Intelligenz) auf ca. 110 Millionen geschätzt wird. Dabei sind die Grenzen zwischen Bauernschaft und Arbeiterklasse fließend, wie nicht zuletzt die große Anzahl von Pendlern zeigt. Im Übrigen ist das eine glänzende Bestätigung der Marxschen Erkenntnisse von den aufsteigenden und untergehenden Klassen. Die Bourgeoisie umfasst etwa 35 Millionen (ca. 5%). Diesem Verhältnis (etwa 6:1:0,3) entsprechend müssen die Nicht-Erwerbstätigen (Personen unter 16 und über 60) zugerechnet werden, was auf Seiten der Arbeiterklasse nochmals geschätzte 500 Millionen Personen ausmacht.


Die chinesischen Gewerkschaften

Von den 630 Millionen aktiven Arbeitern sind über 350 Millionen (2017) im Gesamtchinesischen Gewerkschaftsbund (GCGB, manchmal auch Allgemeiner Chinesischer Gewerkschaftsbund ACGB genannt) organisiert. 2005 waren es 134 Millionen. Damit ist die chinesische Einheitsgewerkschaft nicht nur die größte Gewerkschaft der Welt und eine Gewerkschaft, deren Mitgliederzahl im letzten Jahrzehnt riesig angewachsen ist, sondern damit ist China auch das Land mit einem der höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrade.

Ganz im Gegensatz zu den verbreiteten Klischees von den durch die allmächtige KP gegängelten und ruhig gestellten Gewerkschaften sind die chinesischen Gewerkschaften sogar die streikfreudigsten in der Welt.

Nach Angaben des offiziellen Statistischen Jahrbuchs der VR China von 2017 gab es allein in 2016 fast 10.000 Arbeitskämpfe (collective labour disputes). Es gab über 800.000 dokumentierte Auseinandersetzungen, in denen Arbeiter vor Gericht um Lohn, in Sozialversicherungsangelegenheiten oder gegen Entlassungen u.a. kämpften.


Stichpunkte zur Geschichte des GCGB

Der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund wurde auf dem 2. Nationalen Arbeiterkongress am 1. Mai 1925 in Guangzhou (Kanton) gegründet. Die damals 277 Delegierten vertraten 540.000 Arbeiter. Treibende Kraft der Vereinigung auf nationaler Ebene war die 1921 gegründete KP China. Besonders hervorzuheben: Deng Zhongxia.[3] Der GCGB wurde 1927 verboten, tausende Kader und Mitglieder ermordet. Die Kuomintang ließ nur gelbe Gewerkschaften zu. Erst 1949 nach dem Sieg über Tschiang Kai-shek und die ihn unterstützenden imperialistischen Mächte und der folgenden Gründung der Volksrepublik wurde der GCGB wieder hergestellt als Einheitsgewerkschaft und gewerkschaftliche Alleinvertretung. 1949 hatte der GCGB 2,4 Millionen Mitglieder (1953 10,2 Millionen). 1966, im Zuge der Großen Proletarischen Kulturrevolution wurde der GCGB faktisch aufgelöst. Die Vertretung der Arbeiterinteressen wurde in die Hände der Revolutionskomitees[4] gelegt. 1978 fand wieder ein nationaler Kongress des GCGB statt. Er arbeitet seit 1992 auf der Grundlage eines vom Nationalen Volkskongress verabschiedeten Gewerkschaftsgesetzes. International arbeitet der GCGB eng mit dem WGB zusammen.[5] Vom "westlichen" auf Sozialpartnerschaft getrimmten Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB)[6] wird versucht, den GCGB zu isolieren. Auch da kann man sagen: Seht Euch mal das Möpschen an, es bellt den Elefanten an!


Die Erfolge der Gewerkschaften in China

Die Gewerkschaften kämpfen auf der Grundlage der "demokratischen Diktatur des Volks" (s. KAZ 362) unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas. Die Grundlinie dieses Kampfes besteht darin, die Entwicklung der Produktivkräfte voranzutreiben. Damit soll - unter Berücksichtigung des Arbeiter-Bauern-Bündnisses - die Lage der Arbeiterklasse und des ganzen Volkes verbessert werden.

Bei dieser Aufgabe sind große Erfolge erzielt worden, die wohl einmalig in der Geschichte der Menschheit sind. Allein schon zu bedenken ist, dass sich seit Gründung der Volksrepublik die Bevölkerungszahl Chinas weit mehr als verdoppelt hat. Seit Mitte der 1970er Jahre als Tschou Enlai auf dem 4. Nationalen Volkskongress die Notwendigkeit der "Vier Modernisierungen" als sein Vermächtnis herausgestellt hatte (1975) und seit der neuen "Politik der Öffnung und Reformen" (1978) ist die Bevölkerung Chinas nochmals um 50% gewachsen.[7]

Dass in China die Armut weitgehend beseitigt ist, die Löhne seit vielen Jahren kontinuierlich steigen, der Bildungsstand und die Bildungsmöglichkeiten gigantisch angewachsen sind - der Human Development Index der UNO bescheinigt China ein Land "hoher menschlicher Entwicklung" zu sein - das bestreiten selbst antikommunistische Kritiker wie etwa das China Labour Bulletin mit Sitz in Hongkong nicht. Auch nicht, dass in China die 40-Stunden-Woche gesetzlich verankert ist und Überstundenzuschläge bis zu 300% fällig werden, dass in China das Rentenalter für Frauen bei 50 Jahren, für Männer bei 60 liegt usw. Diese Errungenschaften können sich die Gewerkschaften, die an den höchsten Stellen in Partei und Staat vertreten sind, auf die Fahnen schreiben.

Doch solche Fakten beeindrucken den westlichen Sofa-Linken nicht. Wer seinen Vorstellungen von Zukunft entsprechen will, hat asketisch, egalitär und basis-demokratisch, anti-autoritär und gewaltlos zu sein, vielleicht noch mit einer Feder im Haar und beim Kalumet-Rauchen mit einem ökologisch unbedenklichen Spielzeug-Tomahawk ausgestattet. Solchen Winnetou-Sozialismus hat Volkschina - der KP Chinas sei Dank - natürlich nicht zu bieten.


Aktuell: Gewerkschaften im Widerspruch

2015 war ein schwieriges Jahr der Neuorientierung für die chinesischen Gewerkschaften. Die Gewerkschaftsführungen auf Ebene von Kommunen galten als zu eng mit den Behörden verbunden. Ihnen wurde vorgeworfen, die Interessenvertretung im Betrieb und am Arbeitsplatz zu vernachlässigen. Xi Jinping mahnte bei den Gewerkschaften an, einen Plan vorzulegen, wie die Vertretung der Belegschaften durch die Gewerkschaften grundlegend verbessert werden kann. Seit 2015 scheint die Website des GCGB in englischer Sprache wie stehen geblieben zu sein. Auf dem 19. Parteitag der KPCh im Oktober 2017 verlangte Genosse Xi Jinping, dass das dreigliedrige System von Verhandlungen zwischen Staat, Gewerkschaften und Betrieb zu konsolidieren sei, um harmonische Arbeitsbeziehungen aufzubauen und den Arbeitern ein anständiges und faires Einkommen für ihre Mühen zu sichern.

Die neueste Entwicklung kann der China Daily vom 30.10.2018 [8] entnommen werden: Nach dem vor wenigen Tagen stattgefundenen 17. Nationalen Gewerkschaftskongress ist die neugewählte Führung des GCGB bei Xi Jinping eingeladen. "Präsident Xi drängte die Gewerkschaften, fest an der Führung durch die Kommunistische Partei festzuhalten und ihre Anstrengungen zu vergrößern, um die legitimen Interessen der Arbeiter zu schützen ... Xi sagte, die Arbeiterklasse müsse zur führenden Triebkraft werden bei den Anstrengungen, die dem Land zur Verwirklichung der Ziele und Aufgaben bevorstehen, die der 19. Parteitag der KPCh gesetzt hat. ... Er forderte äußerste Anstrengungen, um die Wanderarbeiter aufzunehmen und sie zu einer verlässlichen Kraft in der Arbeiterklasse zu machen. ... Bei der Verteidigung der legitimen Interessen der Arbeiter sollen sich die Gewerkschaften auf deren größte Sorgen konzentrieren und auf ihre unmittelbaren und reellen Probleme. Er fügte hinzu, dass sie ihre Stimme erheben müssen, wann immer die legitimen Interessen der Arbeiter verletzt werden."

Aus alldem wird deutlich, dass die Parteiführung sehr klar sieht, dass noch keine harmonischen Arbeitsbeziehungen vorhanden sind, dass noch keine anständigen Einkommen überall erzielt werden und dass die Gewerkschaften nicht immer ihre Stimme erhoben haben, wo es bei der Verteidigung der legitimen Interessen der Arbeiter notwendig gewesen wäre. Und vor allem, dass sie nicht immer an der Führung durch die Kommunistische Partei festgehalten haben. Es sei erinnert: "Sich lediglich zu Geschlossenheit zu bekennen, ohne die Existenz von Widersprüchen innerhalb der sozialistischen Gesellschaft sowie die Widersprüche als Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung anzuerkennen, bedeutete dann doch das Gesetz von der Allgemeinheit des Widerspruchs zu leugnen, mit der Dialektik zu brechen. ... Eben weil keine Einheit herrscht, besteht die Aufgabe der Geschlossenheit, eben deshalb muss um Geschlossenheit gekämpft werden. Bestünde hundertprozentige Einheit, was bräuchte man da noch unentwegt Einsatz für Geschlossenheit zu zeigen."[9]

Auf dieser Grundlage argumentiert Xi und er zeigt Handlungsbedarf auf, ohne vorzuschreiben, was zu tun ist und wie es zu tun ist.

In dieser knappen Stellungnahme von Xi Jinping werden die Widersprüche aufgezeigt, in denen sich die Gewerkschaften im Sozialismus bewegen:

Sie haben im Gesamtinteresse der Arbeiterklasse die "demokratische Diktatur des Volks", die durch die Avantgarde der Arbeiterklasse, die Kommunistische Partei, ausgeübt wird, zu unterstützen, zu festigen und zu verteidigen; sie haben den Staat zu unterstützen, mit dessen Hilfe die Diktatur nach Innen und Außen ausgeübt wird. Dessen aktuelle Aufgaben stehen aber im Widerspruch zum langfristigen Interesse der Partei, den Staat selbst abzuschaffen bzw. die Voraussetzungen für sein "Einschlafen" zu schaffen; außerdem im Widerspruch zur Aufgabe der Partei als die organisierte Kritik der bestehenden Verhältnisse, die wiederum durch den Staat selbst geprägt werden. Außerdem steht der Gesamtstaat im Widerspruch zu vielfältigen Interessen von Individuen, einzelnen Unternehmen und Belegschaften, einzelnen Kommunen und Provinzen; sie haben die Interessen von Belegschaften und einzelnen KollegInnen zu vertreten, die in Widerspruch zu den allgemeinen Interessen der Arbeiterklasse geraten, aber dennoch legitime Interessen haben.


Beispiel Foxconn

Nehmen wir als Beispiel Foxconn: Ausgangspunkt ist die Parteilinie, die für die Entwicklung der Produktivkräfte, die Überwindung der Kleinproduktion, für den Aufbau der materiellen Basis des Sozialismus steht und dazu auch Konzessionen an ausländische Kapitalisten vergibt. Die Parteiführung in Beijing drängt die staatlichen Instanzen an die lokalen Behörden in Shenzhen heranzutreten und dem Weltunternehmen Foxconn aus Taiwan eine Industrieansiedlung zu ermöglichen. Die lokalen Behörden unterstützen dieses Projekt. Es entsteht das Riesenwerk für die Produktion elektronischer Geräte (vor allem für Apple) mit 450.000 Beschäftigten.

Foxconn als kapitalistisches Unternehmen macht Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen, die z.T. so verheerend werden, dass es zu einer Selbstmordserie im Werk (2010) kommt.

Dabei haben alle scheinbar ihre Aufgaben richtig gemacht: Die Partei hat die richtige Linie beim Aufbau des Sozialismus entwickelt und für ihre Umsetzung gekämpft, der Staat hat die erwünschte Ansiedlung des ausländischen Konzerns ermöglicht und dazu beigetragen, Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, und die Gewerkschaften haben stillgehalten, um das "scheue Reh" Foxconn nicht zu verscheuchen, das mit dem Rückzug aus Festlandschina droht, wenn die Ausbeutungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Nur bei alldem können viele KollegInnen buchstäblich nicht mehr leben.

Es wird erkennbar: Der proletarische Staat steht aufgrund der Notwendigkeiten der Produktivkraftentwicklung für eine bestimmte Zeit nicht in einem antagonistischen Widerspruch zu einem konkreten Kapitalisten. Der Staat will ja mit seiner Hilfe den Sozialismus entwickeln. Aber zwischen diesem einzelnen Kapitalisten bestehen antagonistische Widersprüche zu den Arbeitern, die ihm den Profit schaffen.

Von daher wird die schwierige Aufgabe der Gewerkschaften im Sozialismus als Kämpfer und Vermittler sichtbar. Wenn in dieser Lage die Gewerkschaften nicht die legitimen Interessen wahrnehmen und durchfechten, verlieren sie das Vertrauen der Kollegen und das nagt dann wiederum an der Grundlage der Diktatur des Volks und des Staates. Wenn dann noch dazu kommt, dass einzelne Gewerkschaftsführer korrupt sind, kann die Lage außer Kontrolle geraten.

Der Unterschied zu den Verhältnissen in den kapitalistischen Länder besteht "nur" darin, dass die Kommunistische Partei an der Macht alle Hebel in der Hand hält, um die Situation zu bereinigen und letztlich die Macht und Eigentumsfrage gegenüber den Kapitalisten zu stellen.


Wie passt das alles zusammen?

Ist das die Diktatur des Proletariats, bei der Arbeiter um ihr Recht kämpfen müssen? Ist hier die Arbeiterklasse die herrschende Klasse, bei der sich Belegschaften mit dem jeweiligen Unternehmen, ob staatlich oder privat, um Lohn streiten müssen? Ist das noch Sozialismus?

Ja, das ist Sozialismus, oder wie es die chinesischen Kommunisten sagen, Sozialismus in seinem Anfangsstadium! Und solche Widersprüche werden ihn wohl auch noch lange Zeit begleiten. Denn die chinesischen Genossen sehen seit Mao Tse-tung den Sozialismus als eine lange Etappe oder Periode (keine eigenständige Epoche!):

"Die sozialistische Gesellschaft erstreckt sich über eine sehr lange historische Etappe. In der sozialistischen Gesellschaft bestehen noch Klassen und Klassenkampf, gibt es einen Kampf zwischen den zwei Wegen, zwischen dem des Sozialismus und dem des Kapitalismus. Es genügt nicht, wenn die sozialistische Revolution einzig und allein an der wirtschaftlichen Front (hinsichtlich des Eigentums an den Produktionsmitteln) durchgeführt wird, damit ist ihr Sieg noch nicht gefestigt. Auch an der politischen und an der ideologischen Front muss eine gründliche sozialistische Revolution erfolgen. Für die Entscheidung der Frage, wer wen im Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus auf politischem und ideologischem Gebiet besiegen wird, bedarf es eines sehr langen Zeitraums. Mehrere Jahrzehnte reichen dafür nicht aus, hundert Jahre, einige Jahrhunderte werden nötig sein, um diese Frage siegreich zu entscheiden. Was die Dauer betrifft, ist es besser, man bereitet sich auf eine längere Zeit vor als auf eine kürzere; was die zu leistende Arbeit betrifft, ist es besser, man macht sich auf eine schwere und nicht auf eine leichte gefasst. So zu denken und zu handeln ist vorteilhafter, man hat weniger Schaden. Wer das nicht genügend erkennt oder überhaupt nicht versteht, wird ungeheure Fehler begehen. In der historischen Etappe des Sozialismus muss man auf der Diktatur des Proletariats beharren und die sozialistische Revolution zu Ende führen; dann kann man eine Restauration des Kapitalismus verhüten, den Sozialismus aufbauen und die Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus schaffen." (Polemik über die Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung, Westberlin 1971, S. 525 f.)[10]


Ein Interview mit dem Sachverständigen

Hören wir noch einen anderen Sachverständigen, der sein Handwerk für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft von der Pike auf erlernen musste:

Sind die Gewerkschaften im Sozialismus eine Zwangsorganisation?

"Einerseits sind die Gewerkschaften, die die Industriearbeiter in ihrer Gesamtheit erfassen und in die Reihen der Organisation einbeziehen, eine Organisation der machthabenden, herrschenden, regierenden Klasse, derjenigen Klasse, die die Diktatur verwirklicht, derjenigen Klasse, die den staatlichen Zwang ausübt. Aber das ist keine staatliche Organisation, das ist keine Organisation des Zwanges, das ist vielmehr eine erzieherische Organisation, eine Organisation der Heranziehung, der Schulung, das ist eine Schule, eine Schule der Verwaltung, eine Schule der Wirtschaftsführung, eine Schule des Kommunismus. Das ist eine Schule von ganz ungewöhnlicher Art, denn wir haben es nicht mit Lehrern und Schülern zu tun, sondern mit einer gewissen außerordentlich eigenartigen Kombination zwischen dem, was vom Kapitalismus zurückgeblieben ist und wohl oder übel zurückbleiben musste, und dem, was die revolutionären Vortrupps, sozusagen die revolutionäre Avantgarde des Proletariats, aus ihren Reihen hervorbringen." (W.I. Lenin, Über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler Trotzkis, LW32, S. 1 f. - Hervorhg. Corell)

Wie ist denn im Sozialismus die Stellung der Gewerkschaften im Machtgefüge?

"Ihrem Platz im System der Diktatur des Proletariats nach stehen die Gewerkschaften, wenn man sich so ausdrücken darf, zwischen der Partei und der Staatsmacht. Beim Übergang zum Sozialismus ist die Diktatur des Proletariats unvermeidlich, aber diese Diktatur wird nicht durch eine die Industriearbeiter in ihrer Gesamtheit erfassende Organisation verwirklicht. Warum nicht? Das können wir nachlesen in den Thesen des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale über die Rolle der politischen Partei überhaupt. Hier will ich darauf nicht eingehen. Es ergibt sich, dass die Partei sozusagen die Avantgarde des Proletariats in sich aufsaugt und diese Avantgarde die Diktatur des Proletariats verwirklicht. Und ohne ein solches Fundament wie die Gewerkschaften zu besitzen, kann man die Diktatur nicht verwirklichen, kann man die staatlichen Funktionen nicht ausüben. Ausgeübt werden müssen sie indes mit Hilfe einer Reihe besonderer Institutionen wiederum neuer Art, nämlich: mit Hilfe des Sowjetapparats. Worin besteht die Eigenart dieser Lage hinsichtlich der praktischen Schlussfolgerungen? Darin, dass die Gewerkschaften die Verbindung der Avantgarde mit den Massen herstellen, dass die Gewerkschaften durch ihre tägliche Arbeit die Massen überzeugen, die Massen derjenigen Klasse, die allein imstande ist, uns vom Kapitalismus zum Kommunismus zu führen. Das einerseits. Anderseits sind die Gewerkschaften das 'Reservoir' der Staatsmacht. Das also sind die Gewerkschaften in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus, überhaupt lässt sich dieser Übergang nicht bewerkstelligen ohne die Hegemonie derjenigen Klasse, die als einzige vom Kapitalismus für die Großproduktion geschult und als einzige von den Interessen der Kleineigentümer losgelöst ist. Aber die Diktatur des Proletariats lässt sich nicht verwirklichen durch eine Organisation, die das Proletariat in seiner Gesamtheit erfasst. Denn nicht nur bei uns, in einem der rückständigsten kapitalistischen Länder, sondern auch in allen anderen kapitalistischen Ländern ist das Proletariat immer noch so zersplittert, so zu Boden gedrückt, hier und da so korrumpiert (nämlich durch den Imperialismus in einzelnen Ländern), dass eine Organisation, die das Proletariat in seiner Gesamtheit erfasst, dessen Diktatur unmittelbar nicht zu verwirklichen vermag. Die Diktatur kann nur durch die Avantgarde verwirklicht werden, die die revolutionäre Energie der Klasse in sich aufgenommen hat. So bekommen wir gewissermaßen eine Reihe von Zahnrädern. Und derart ist der Mechanismus der eigentlichen Grundlage der Diktatur des Proletariats, der Mechanismus des innersten Wesens des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus beschaffen." (a.a.O. S. 2 f.)

Hat denn im Sozialismus die Gewerkschaft überhaupt noch eine Kampf- und Schutzfunktion?

"Da haben Sie die Realität des Übergangs. Was meinen Sie, haben in einem praktisch derart beschaffenen Staat die Gewerkschaften nichts zu schützen, kann man ohne sie auskommen, wenn man die materiellen und geistigen Interessen des in seiner Gesamtheit organisierten Proletariats schützen will? Das ist theoretisch eine völlig falsche Argumentation. Das versetzt uns in den Bereich der Abstraktion oder des Ideals, das wir in 15-20 Jahren erreichen werden; aber ich bin nicht einmal so sicher, dass wir es in dieser Frist erreichen werden. Wir haben aber die Wirklichkeit vor uns, die wir gut kennen, wenn wir uns nur nicht berauschen und nicht hinreißen lassen von Intellektuellengerede oder von abstrakten Betrachtungen oder von dem, was manchmal als 'Theorie' erscheint, in Wirklichkeit aber ein Irrtum, eine falsche Einschätzung der Besonderheiten des Übergangs ist. Unser heutiger Staat ist derart beschaffen, dass das in seiner Gesamtheit organisierte Proletariat sich schützen muss, wir aber müssen diese Arbeiterorganisationen zum Schutz der Arbeiter gegenüber ihrem Staat und zum Schutz unseres Staates durch die Arbeiter ausnutzen. Sowohl die eine als auch die andere Art des Schutzes kommt zustande durch eine eigenartige Verflechtung unserer staatlichen Maßnahmen und unserer Verständigung, des 'Zusammenwachsens' mit unseren Gewerkschaften.

Über dieses Zusammenwachsen werde ich noch zu sprechen haben. Aber schon dieses Wort allein zeigt, dass man einen Fehler begeht, wenn man sich hier einen Feind in Gestalt eines 'sowjetischen Trade-Unionismus' erdichtet. Denn der Begriff 'Zusammenwachsen' besagt, dass verschiedene Dinge vorhanden sind, die man erst noch zusammenwachsen lassen muss; zum Begriff des 'Zusammenwachsens' gehört, dass man es verstehen muss, die Maßnahmen der Staatsmacht zum Schutz der materiellen und geistigen Interessen des in seiner Gesamtheit vereinigten Proletariats gegenüber dieser Staatsmacht auszunutzen. Erst dann, wenn wir statt des Zusammenwachsens ein Verwachsensein und eine Verschmelzung erhalten haben, werden wir zu einer Tagung zusammentreten, auf der es eine sachliche Aussprache über die praktischen Erfahrungen und nicht über prinzipielle 'Meinungsverschiedenheiten' oder abstrakt-theoretische Betrachtungen geben wird." (a.a.O. S. 7 f. - Hervorhg. in Kursivschrift: Lenin; in Fettschrift: Corell)

Kollidieren im Sozialismus nicht die wirtschaftlichen Interessen des Aufbaus mit den Arbeiterinteressen?

"Nicht 'einerseits eine Schule, anderseits irgend etwas anderes', sondern von allen Seiten betrachtet - im gegebenen Streit, bei der gegebenen Fragestellung Trotzkis - sind die Gewerkschaften eine Schule, eine Schule des Zusammenschlusses, eine Schule der Solidarität, eine Schule des Schutzes der eigenen Interessen, eine Schule des Wirtschaftens, eine Schule des Verwaltens. Anstatt diesen grundlegenden Fehler des Gen. Trotzki zu begreifen und zu berichtigen, hat Gen. Bucharin die lächerliche kleine Korrektur vorgenommen: 'einerseits - anderseits'.[11] ..." (W.I. Lenin, Noch einmal über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler Trotzkis und Bucharins, LW32, S. 87 f. - Hervorhg. in Fettschrift Corell)

Und Lenin zitiert aus dem Parteiprogramm: "Die Teilnahme der Gewerkschaften an der Wirtschaftsführung und die Heranziehung der breiten Massen zu dieser Arbeit durch sie ist zugleich das Hauptmittel des Kampfes gegen die Bürokratisierung des Wirtschaftsapparats der Sowjetmacht und gibt die Möglichkeit, eine wirkliche Volkskontrolle über die Ergebnisse der Produktion zu schaffen." (a.a.O. S. 93)

In welchem Verhältnis stehen denn die Arbeiterinteressen zu den Interessen der anderen Klassen im Sozialismus?

"Eben wegen der Differenzen über die Methoden des Herangehens an die Massen, der Gewinnung der Massen, der Verbindung mit den Massen. Das ist der springende Punkt. Und gerade darin besteht die Eigenart der Gewerkschaften als einer Einrichtung, die unter dem Kapitalismus geschaffen wurde, die beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus unumgänglich ist und die in der weiteren Zukunft in Frage gestellt sein wird. Erst in ferner Zukunft werden die Gewerkschaften in Frage gestellt sein; unsere Enkel werden sich darüber unterhalten. Heute aber geht es darum, wie man an die Massen herangehen, sie gewinnen, sich mit ihnen verbinden soll, wie man die komplizierten Transmissionen der Arbeit (der Arbeit zur Verwirklichung der Diktatur des Proletariats) anlegen soll. Wohlgemerkt, wenn ich von den komplizierten Transmissionen der Arbeit spreche, denke ich nicht an den Sowjetapparat. Was wir dort noch für komplizierte Transmissionen haben werden, ist ein Kapitel für sich. Ich spreche zunächst nur abstrakt und grundsätzlich über das Verhältnis zwischen den Klassen in der kapitalistischen Gesellschaft; da gibt es das Proletariat, gibt es die nichtproletarischen werktätigen Massen, gibt es das Kleinbürgertum und gibt es die Bourgeoisie. Schon von diesem Standpunkt aus ergibt sich - auch wenn es im Sowjetapparat keinen Bürokratismus gäbe - eine außerordentliche Kompliziertheit der Transmissionen infolge der Verhältnisse, die der Kapitalismus geschaffen hat." (W.I. Lenin, Über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler Trotzkis, LW32, S. 5 f.)

Fazit I: Aufgaben und Stellung der Gewerkschaft am Beispiel des sozialistischen China

Aus den Antworten unseres Sachverständigen lassen sich relevante Erkenntnisse für die Stellung der Gewerkschaften in einem sozialistischen Land ableiten:

1. Gewerkschaften sind beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus, also in der ganzen langen Zeitspanne des Sozialismus unumgänglich. Erst wenn es keine Klassen mehr braucht, wenn sie überflüssig geworden sind, braucht es auch keine Gewerkschaften mehr.

2. Im Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium sind die Gewerkschaften Organisationen der Arbeiterklasse, um deren Führung und Ausrichtung der Kampf geführt wird. Die von der Monopolbourgeoisie herübergezogenen, bestochenen Arbeiteraristokraten wollen aus den Gewerkschaften ein Anhängsel des Kapitals machen zur Befriedung und Lähmung der Arbeiter und ein Reservoir für den Krieg. Die klassenbewussten Kräfte wollen die Gewerkschaften zu einer Kampforganisation der Arbeiterklasse machen, die nicht nur Widerstand gegen die Übergriffe des Kapitals leistet, sondern zur Überwindung des Kapitalismus beiträgt.

3. Im Sozialismus, im System der Diktatur des Proletariats, geht der Kampf um die Gewerkschaften unter neuen Vorzeichen weiter. Jetzt übt die Avantgarde des Proletariats die Macht aus. Die Bourgeoisie aber ist noch vorhanden, nicht nur die ausländische Bourgeoisie in den imperialistischen Ländern, sondern auch die inländische mit ihren Beziehungen zu ihren ins Exil gegangenen "KlassengenossInnen" und selbstverständlich zu ihren "Freunden", Geschäftspartnern etc. Diese Bourgeoisie aber muss daran gehindert werden, sich wieder als Klasse für sich zu formieren, den Kampf um die Wiederherstellung ihrer Herrschaft zu führen und die Konterrevolution vorzubereiten.

4. In diesem Kampfabschnitt geht es darum, die Gewerkschaften zur starken Stütze der Diktatur des Proletariats zu machen und mit ihrer Hilfe die Unterstützung der breiten Massen der Arbeiterklasse zu gewinnen und zu bewahren. Das bedeutet Zurückdrängen alter und neuer sozialdemokratischer Einflüsse.

5. Dabei stehen die Gewerkschaften zwischen der Partei und der Staatsmacht. Als Schule (der Verwaltung, der Wirtschaftsführung, der Vertretung der eigenen Interessen, der Solidarität, des Kommunismus) sind die Gewerkschaften das Reservoir der Staatsmacht. Das ist weit entfernt von Vorstellungen, die den Gewerkschaften eine "neutrale", lediglich auf Lohn- und Reproduktionsfragen reduzierte Stellung zuweisen wollen. Parteilich und kämpferisch für den Sozialismus, das ist die Aufgabe der Gewerkschaft.

6. Dabei hat aber die Gewerkschaft eine Schutzfunktion gegenüber dem eigenen Staatsapparat wahrzunehmen. Lenin weist hier unmissverständlich auf die Widersprüche in der Arbeiterklasse selbst hin. Die Gewerkschaften müssen die materiellen und geistigen Interessen des in seiner Gesamtheit organisierten Proletariats gegenüber der proletarischen Staatsmacht schützen!! Einheit und Widerspruch!

7. Und die Partei hat diesen Widerspruch zu nutzen, sagt Lenin. Nehmen wir das Beispiel des 17. Juni 1953 in der DDR: die proletarische Staatsmacht hatte angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Imperialismus gute Gründe, um die Normen, damit die Arbeitsleistung und Produktion zu erhöhen. Die Gewerkschaften hatten gute Gründe gegen bestimmte Normen, in bestimmten Produktionszweigen und bestimmten Betrieben zu sein - und sie hatten diese Gründe vorzubringen und haben sie auch vorgebracht. Die Partei hatte die Aufgabe, die Gewerkschaften auszunutzen und gegenüber dem Staat so zu vertreten, dass der Schutz des Staates durch die Arbeiter gewährleistet werden konnte. Wie wir wissen, wurde das zu spät erkannt und die Normenerhöhung zu spät zurück genommen und damit dem Klassenfeind die Möglichkeit zum Einhaken gegeben.[12]

8. Wenn sich unter gewerkschaftlicher Flagge der Klassenfeind regt und die Arbeiter gegen ihren Staat aufzubringen versucht, hat die Partei nicht zu zögern, die Verantwortlichen zu stellen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, im schlimmsten Fall bis zur Auflösung solcher Gewerkschaften.

9. Von zentraler Bedeutung für den Klassenkampf im Sozialismus ist, die Entwicklung der Arbeiterklasse als Klasse für sich voranzubringen und die Entwicklung der Bourgeoisie zur Klasse für sich zu verhindern, die Formierung der Bourgeoisie zu einer eigenständigen politischen Kraft zu unterdrücken.

10. Wenn die sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Gewerkschaften in den imperialistischen Ländern das Fehlen von Gewerkschaftsfreiheit in der VR China beklagen, haben sie konsequent übersehen, dass den Gewerkschaften in China keine organisierte, mächtige Kapitalistenklasse gegenübersteht (z.B. in Form von "Arbeitgeber"verbänden), die die Hand auf den Hebeln des Staatsapparates hat, sondern für eine bestimmte Zeitspanne einzelne kapitalistische Unternehmer und Unternehmen, die geduldet sind, solange sie dem Land nutzen. Wenn sie durch neue Formen der Planung, Leitung und Organisation ersetzt werden können, werden sie ersetzt.

11. Solange sie aber gebraucht werden, werden Teile der Arbeiterklasse in China Opfer bringen, ihr eigenes, unmittelbares Wohlergehen gegenüber dem Gesamtinteresse der Klasse zurückstellen, Nachteile in Kauf nehmen und gegen die Kapitalisten kämpfen müssen, manchmal sogar ohne Unterstützung von Partei und Gewerkschaft.

12. Auch diese Kämpfe werden zur Entwicklung des Klassenbewusstseins beitragen und Widersprüche in der Partei-, Staats- und Gewerkschaftsführung offenlegen. Die Parteiführung hat erkannt, dass diese Widersprüche wahr- und ernstgenommen werden müssen, um zu verhindern, dass aus Widersprüchen im Volk antagonistische Widersprüche werden, die mit einer neuen (Kultur-)Revolution gelöst werden müssten.

13. Sind die Produktivkräfte weit genug entwickelt und ist die Kleinproduktion überwunden, treten die Produktivkräfte in Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen. Dann wird geprüft werden, ob wann und in welcher Form privates Kapital in Volkseigentum überführt wird. Dann steht auch die Frage erneut, wie der Widerstand der Bourgeois (einschließlich der Fürsprecher in den eigenen Reihen der KP und im Staatsapparat) überwunden werden kann.


Fazit II: Sozialismus - "einzige wirkliche Hoffnung auf Frieden und Überleben unserer Spezies" (Fidel Castro)

Der Sozialismus als niedere Stufe des Kommunismus ist keine Gesellschaftsform zur gerechten Verteilung und Bewirtschaftung des Mangels, sondern eine Gesellschaft in der - als Prozess über einen langen Zeitraum - der Mangel abgeschafft wird - der materielle und geistige -, damit alle Springquellen des Reichtums reichlich fließen und sich entwickeln können und einmal verwirklicht wird: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Der Sozialismus ist Ausdruck des Mangels und der Weg zu seiner Überwindung. Dafür unternimmt das chinesische Volk unter der Führung der Arbeiterklasse, die mittels ihrer Kommunistischen Partei die Leitung über die Produktionsmittel in die Hand genommen hat, alle Anstrengungen, bringt alle Opfer und beginnt erste Früchte zu ernten. Es zieht wie einst die Sowjetunion wieder zunehmend allen Hass der Imperialisten und Reaktionäre auf sich.

Dem sozialistischen China gilt unsere Hochachtung und unsere Solidarität. Wir werden niemals einstimmen in den Chor, der bereits anhebt, um China für die anschwellende Krise, die kommende Arbeitslosigkeit, den Niedergang, die Fäulnis in Deutschland verantwortlich machen will. Wir werden nicht einstimmen in den Chor der Diebe an Chinas Blut und Gut, der Nachfolger der deutschen "Hunnen" und Kolonialherren von Tsingtau und Kiautschou[13], der Nachfahren der Berater des verbrecherischen Tschiang Kai-shek, die später im Verbund mit dem US-Imperialismus China isolieren und abwürgen wollten, die rassistischen Hetzer gegen "die gelbe Gefahr".

Wir haben im Gegenteil Volkschina zu danken. Es ist, wie Fidel es ausgedrückt hat, nicht nur die größte Hoffnung für die Entwicklungsländer, sondern für die Zukunft aller werktätigen Menschen.

Unsere China-Skeptiker bitten wir, ihre Haltung zu überprüfen, zu prüfen, ob sie nicht der deutschen Ideologie noch sehr verhaftet sind, gegen die Marx und Engels so vehement polemisieren:

"... dass es nicht möglich ist, eine wirkliche Befreiung anders als in der wirklichen Welt und mit wirklichen Mitteln durchzusetzen, dass man die Sklaverei nicht aufheben kann ohne die Dampfmaschine und die Mule-Jeny14, die Leibeigenschaft nicht ohne verbesserten Ackerbau, dass man überhaupt die Menschen nicht befreien kann, solange sie nicht imstande sind, sich Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung in vollständiger Qualität und Quantität zu verschaffen. Die 'Befreiung' ist eine geschichtliche Tat, keine Gedankentat, und sie wird bewirkt durch geschichtliche Verhältnisse, durch den Stand der Industrie, des Handels, des Ackerbaus, des Verkehrs ..." (K. Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie)[15]

AG "Chinas Kampf um den Sozialismus":
R. Corell, Dien Bien Phu, Karlchen, Lobo, O'Nest, Rosa


Anmerkungen

[1] KAZ 344 mit Beiträgen von Rolf Berthold, Eike Kopf und der KAZ-"Chinas Kampf um den Sozialismus" (R. Corell, Dien Bien Phu, Karlchen, Lobo, O'Nest)

[2] KAZ 356: "Die VR China soll eingekreist werden - Dagegen: unsere Solidarität!" von AG "Chinas Kampf um den Sozialismus" (R. Corell, Dien Bien Phu, Karlchen, Lobo, O'Nest)

[3] Der Genosse (geb. 1894) mit einem abgeschlossenen Philosophie-Studium war schon 1922 zum Leiter der Vorläuferorganisation des GCGB gewählt worden und trug als Mitglied des ZK der KP unermüdlich dazu bei, die Arbeiterbewegung in China vorwärtszuentwickeln. Er war führend am großen Kanton-Hongkong-Streik von Juni 1925 bis Oktober 1926 beteiligt. Ebenso an dem bewaffneten Aufstand des Jahres 1927 in Nanchang. Dieser Aufstand wird in der Parteigeschichte als der "erste Schlag gegen die üblen Nationalisten" gewürdigt. Er gilt als Geburt der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Nach dem Bruch der Zusammenarbeit von KP und Kuomintang durch Tschiang Kai-shek entging er zunächst den Massakern und Verfolgungen. Er wurde 1933 in Shanghai, wo er den Kampf gegen Tschiang im Untergrund organisierte, aufgespürt. Tschiang persönlich suchte ihn auf, um ihn zum Verrat zu bewegen. Deng, damals 38 Jahre alt, widerstand und wurde nach brutaler Folter in Nanjing exekutiert.

[4] s. R. Corell, Die Große Proletarische Kulturrevolution - Chinas Kampf um den Sozialismus, Frankfurt 2009, S. 153 ff.

[5] Der Weltgewerkschaftsbund hat zwar nach den Konterrevolutionen in den sozialistischen Ländern Europas und der Sowjetunion an Bedeutung eingebüßt, aber neben Gewerkschaften aus Indien und anderen Entwicklungsländern, zählt sie u.a. auch die CGT aus Frankreich, die größte Gewerkschaft Großbritanniens UNITE und die griechische PAME, nicht zuletzt die kubanische zu ihren Mitgliedern. Sie vertritt unter Führung des kämpferischen George Mavrikos insgesamt 90 Millionen Arbeiter in mehr als 120 Ländern der Welt.

[6] Dem IGB gehörten im November 2017 nach eigenen Angaben 331 Gewerkschaften aus 163 "Ländern und Territorien" mit rund 202,3 Millionen Mitgliedern an, darunter auch der Deutsche Gewerkschaftsbund mit 6 Millionen Mitgliedern. - Der ganze IGB bringt es also von der Mitgliederzahl auf gerade mal 60% des GCGB.

[7] vgl. www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/handbuch_texte/pdf_Taubmann_Bevoelkerungsentwicklung_China.pdf

[8] www.chinadaily.com.cn/a/201810/30/WS5bd79b1ca310eff3032854b7.html (Übersetzung Corell)

[9] s. Mao Tse-tung, Das machen wir anders als Moskau, Reinbek 1975, S. 37.

[10] Dazu auch die folgenden erhellenden Ausführungen, deren Berücksichtigung in der kommunistischen Weltbewegung die Katastrophe von 1989 hätte verhindern können: "In dieser Hinsicht ist die Frage "wer wen?" im Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus immer noch nicht endgültig entschieden. Die Marxisten stellen noch eine Minderheit sowohl unter der Gesamtbevölkerung als auch unter den Intellektuellen dar. Der Marxismus muss sich daher nach wie vor im Kampf entwickeln. Der Marxismus kann sich nur im Kampf entwickeln. Das trifft nicht nur auf die Vergangenheit und auf die Gegenwart zu, es wird auch in der Zukunft unbedingt Gültigkeit behalten. Das Richtige entwickelt sich immer im Kampf gegen das Falsche. Das Wahre, Gute und Schöne steht immer im gegenseitigen Verhältnis zum Falschen, Bösen und Häßlichen und wächst im Kampf mit diesem. Wenn bereits die Menschheit im Allgemeinen etwas Fehlerhaftes abgelehnt und eine Wahrheit angenommen hat, kämpft schon eine neue Wahrheit gegen neue falsche Vorstellungen. Solche Kämpfe werden niemals enden. Das ist das Entwicklungsgesetz der Wahrheit, und es ist natürlich auch das Entwicklungsgesetz des Marxismus.
Es wird noch eine ziemlich lange Zeit brauchen, ehe auf ideologischem Gebiet der Kampf um Sieg oder Niederlage zwischen Sozialismus und Kapitalismus in unserem Lande entschieden ist. Das kommt daher, weil der Einfluß der Bourgeoisie und der aus der alten Gesellschaft stammenden Intelligenz in unserem Land noch lange fortbestehen, als Klassenideologie noch lange existieren wird. Wenn wir das nicht in vollem Maße oder gar überhaupt nicht erkennen, werden wir einen überaus schweren Fehler begehen und den notwendigen ideologischen Kampf verabsäumen. Der ideologische Kampf unterscheidet sich von anderen Kämpfen. In diesem Kampf darf man nicht mit rohen Zwangsmaßnahmen, sondern nur mit der Methode der sorgfältigen Überzeugung vorgehen." (s. Mao Tse-Tung, Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk - 1957 -, in: Fünf philosophische Monographien, S. 127 bzw. AW Bd. 5, S. 462)

[11] Lenin spricht im Folgenden von der "Sechsmillionenmasse der Gewerkschaftsmitglieder"! (S. 88)

[12] vgl. hierzu auch Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (grh), Information Nr. 4/2018: Wahrheit und Lügen - Eine aktualisierte Wortmeldung zum 17. Juni 1953, Berlin 2018

[13] In einer Ansprache an die deutschen Truppen, die nach China gegen den sog. "Boxer"-Aufstand geschickt wurden schrie Kaiser Wilhelm II.: "Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie auch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen." - Tsingtau war der eingedeutschte Name für das heutige Qingdao. Es wurde ebenso wie Jiaozhou dem chinesischen Kaiserreich als deutsches Pachtgebiet 1897 abgepresst.

[14] Die Jenny war die erste industrielle Spinnmaschine, eine Erfindung von James Hargreaves (1767). Sie erhöhte die Produktivität gegenüber der Handspinnerei um etwa das Sechsfache.

[15] Diese Stelle aus der Deutschen Ideologie findet sich nicht in MEW Bd. 3. Eike Kopf, der ausgezeichnete Kenner des Gesamtwerks von Marx und Engels und langjähriger Mitarbeiter an der MEGA hat uns hierzu geschrieben: "[Das Manuskript zur Sammelpublikation "Die deutsche Ideologie" wurde 1932 in der ersten Marx/Engels Gesamtausgabe (MEGA¹), Band I/5 zum ersten Mal publiziert. Die Ausgabe wurde 1935 aus historischen Gründen abgebrochen.
Diese deutsche Fassung wurde 1955 im 3. Band der zweiten russischen Ausgabe der Werke von Marx und Engels und 1962 im 3. Band der Marx/Engels Werke. Dietz Verlag Berlin ediert.
Im Hinblick auf die Edition der MEGA² untersuchten sowjetische Marx-Engels-Forscher nochmals das originale Manuskript, das sich im Internationalen Institut für Sozialgeschichte Amsterdam befindet. Das Ergebnis wurde publiziert als "Neuveröffentlichung des Kapitels I des I. Bandes der 'Deutschen Ideologie'" in der "Deutschen Zeitschrift für Philosophie", 14. Jg. Heft 10/1966, S. 1199 ff.
Diese neue Fassung wurde 1972 in den im Dietz Verlag Berlin für die wissenschaftliche Diskussion gedruckten Berlin Band der MEGA² "Editionsgrundsätze und Probestücke", S. 31-119 aufgenommen.
Im Marx-Engels Jahrbuch 2003, S. 6/7 wurde der in Rede stehende Passus vorab publiziert und ist seit Ende 2017 endlich auch im Band I/5 der MEGA², S. 16 und 19 mit Fotokopie auf S. 17/18 nachprüfbar.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 365, Dezember 2018, S. 9-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2019

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