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LICHTBLICK/187: Das Internet - kein Alltagsgegenstand in deutschen Gefängnissen


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 349 - 4/2011

Vorgefühlt
Das Internet - ein Alltagsgegenstand.
Selbst in der Dritten Welt.
Aber auch in deutschen Gefängnissen?

Reportage eines Redaktionsmitglieds


Das Leben im Strafvollzug soll zum einen auf das Leben in der Freiheit vorbereiten und - soweit möglich - angeglichen werden. Dies ist vom Gesetzgeber so gewollt - und das macht auch Sinn. Wir, die offensichtlich Probleme hatten sich in der Gesellschaft zurecht zu finden und deren Regeln einzuhalten, sollten die Zeit der "Sicherung und Besserung" dazu nutzen, behandelt - resozialisiert - zu werden. Die Pönale steht nicht im Vordergrund.

Zugegeben - es ist vieles besser geworden. Jetzt sollen sogar Telefone in den Hafträumen installiert werden. Eine weitere, notwendige Angleichung an das Leben "draußen".

Und was ist mit dem aus dem Alltag nicht mehr wegdenkbaren Internet, dem bescheinigt wird, dass, sollte es ausfallen, die ganze Welt dem Untergang geweiht sei? Zuvorderst stößt man bei dem Thema "Internet im Knast" auf Bedenken. Teilweise unvorstellbar scheint es; genauso, wie es vor 20 Jahren unvorstellbar war, dass Gefangene frei telefonieren können (übrigens ein ganz wichtiger Aspekt der Behandlung und Resozialisierung!) - und schon damals gehörte das Telefon zu unserem Leben wie Donuts zu den Amis.

Die Amis fressen immer noch Donuts, aber in der Zwischenzeit gehört das Internet zum täglichen Leben. Selbst Menschen, die mit Technik nicht (mehr) so viel am Hut haben, wie beispielsweise Rentner, bemühen sich, mit den www klar zu kommen. Sie - und jeder - müssen es gar: ohne das Netz geht heute fast nichts mehr. So gehören sogar Briefe zu einer ausstrebenden Gattung - die E-Mail ist heute schriftliches Kommunikationsmittel Nr. 1. Aber nicht für die Gefangenen - sie sind zwar angebunden, aber nicht ans WorldWideWeb, obschon es einen hohen Stellenwert im privaten und wirtschaftlichen Leben einnimmt.

Zugegeben - das Internet birgt Gefahren. Ebenso wie jedes Telefonat und jeder Brief - wie jede Handlung eines Menschen auch eine schlechte sein kann.

Mit Gefahren muss jeder lernen umzugehen, auch und gerade Inhaftierte. Aber welche Gefahren sind es denn genau? Pornografie? Internethandel? Betrügereien bei ebay & Co.? Ganz abgesehen davon, dass hier technisch eine gewisse Begrenzung vorgenommen werden könnte, ist die latente Gefahr nicht damit beseitigt, dass sie ignoriert wird. Das Internet wird ganz sicher nicht abgeschafft werden, nur weil ehemalige Straftäter bei Endstrafe - und womöglich nicht resozialisiert - entlassen werden und mittels desselben Straftaten begehen könnten.

Viel vernünftiger scheint es doch die Zeit zu nutzen und den Inhaftierten, so gut es eben möglich ist, realistisch auf die Zeit nach der Inhaftierung vorzubereiten; ihn beispielsweise behutsam im Umgang mit dem Internet zu erproben.

Der Wissenschaftler Dr. Florian Knauer (Humboldt-Universität), der seine Dissertation über das Thema Strafvollzug und Internet (Rechtsprobleme der Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien durch Strafgefangene) geschrieben hat, stellt fest, dass Internet im Knast, Nutzung des Internets durch Gefangene, zwar Gefahren mit sich bringen würde, das Gesamtergebnis seiner wissenschaftlichen Untersuchung aber eher für eine solche Nutzung sprechen würde. Er kommt zu dem Ergebnis, dass zum einen die Überwachung des Internets möglich ist, zum anderen die mannigfaltige Nutzung des Internets zur Resozialisierung in vielfältiger Art und Weise beitragen würde. "Die Verbreitung und Nutzung des Internets in der Gesellschaft ist zur Normalität geworden. Da nach dem Grundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angeglichen werden soll, verdient die Vorschrift bei der rechtlichen Behandlung elektronischer Kommunikation von Strafgefangenen besondere Beachtung.", so Dr. Knauer.

Insgesamt gibt es - bei realistischer Betrachtung - weitaus mehr Argumente, die für einen Internetzugang für Gefängnisinsassen sprechen, als Argumente dagegen. Vor allen Dingen sind potentielle Gefahren - ein Mißbrauch - durch technische Maßnahmen fast auf Null reduzierbar.

Das Internet wird kommen, so wie das Telefonieren Einzug in die Justizvollzugsanstalten hielt. Die Frage ist nur, wann die "Bedenkenträger" dies gestattet. Wir hoffen bald!


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Quelle:
der lichtblick, 44. Jahrgang, Heft Nr. 349, 4/2011, Seite
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
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"der lichtblick" erscheint vier- bis sechsmal im Jahr.
Der Bezug ist kostenfrei.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2011