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LICHTBLICK/192: Namensschilder für Justizvollzugsbedienstete - Sinn oder Unsinn?


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 351 - 2/2012

Namensschilder für Justizvollzugsbedienstete - Sinn oder Unsinn?

von Dieter Wurm



Der Justizvollzugsbedienstete steht in der ersten Reihe, er bildet die Sperrspitze des Vollzuges - des Behandlungsvollzuges übrigens ebenso, wie des Verwahrvollzuges. Er - und auch Sie, zumindest durch weibliches Personal wird die Eingeschlechtlichkeit des Knastes aufgelockert - ist der Mensch, der dem Gefangenen am Nächsten ist: Er sperrt ihn weg, bewacht und betreut ihn. Als Hoheitsträger seines Landes ist er die Person, welche eine von einem Gericht ausgesprochene Strafe durch seine Arbeit zu vollziehen hat. Galt er in der Gefängnisgeschichte als "Büttel" oder "Henkersknecht", als tumber Erfüllungsgehilfe der Justiz, hat sich sein heutiges Bild etwas zum Positiven verändert, so wie sich auch der Strafvollzug verändert hat.

Hier stellt sich nun die Frage, ob sich der Vollzugsbeamte den Gefangenen gegenüber namentlich kenntlich zu machen hat? Gebietet dies doch nicht nur die Höflichkeit, sondern Menschlichkeit: gehört es ja zu den Aufgaben des modernen Justizvollzugsbediensteten nicht nur, auf einen vielleicht flüchtenden Gefangenen zu schießen, sondern die Inhaftierten zu betreuen, zu behandeln.

Der Rosenheimer Rechtsanwalt Andreas Wisuschil vertritt als Rechtsbeistand die "Islamische Religionsgemeinschaft Berlin" unter ihrem Vorsitzenden Prof. Vural. Diese Gemeinschaft hat beim Abgeordnetenhaus von Berlin eine Petition eingereicht (Geschäftszeichen: 4938/16) in der Berliner Vollzugsbeamte verpflichtet werden sollen, künftig Namensschilder zu tragen. Als Grund wird unter anderem angeführt, dass es im Vollzugsalltag häufig zu Schikanen und Misshandlungen von Häftlingen komme und das die Anzeigen leider oft im Sande verlaufen würden, weil der jeweils angezeigte "Wärter" nicht zu ermitteln sei.

Nach der Rechtsauffassung des Pedenten wäre es die Pflicht der verantwortlichen Verwaltung und des Gesetzgebers, diese Anonymität aufzuheben, "damit dieser Sumpf ausgetrocknet werden kann!". Dies würde schon die Fürsorgepflicht gebieten: die Staatsgewalt sei verpflichtet, die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit sowie der persönlichen Ehre zu schützen.

Er stellt weiter fest, dass es in einem Rechtstaat eigentlich zu erwarten sei, dass Gefängniswärter Ihren Dienst nicht anonym verrichten dürften. Gerade weil es in Justizvollzugsanstalten permanent zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Wärtern und Häftlingen komme.

Eine verpflichtende, namentliche Kennzeichnung eines jeden Vollzugsmitarbeiters würde zudem auch der Menschenwürde der Gefangenen zum Durchbruch verhelfen.

Auch in Gesprächen mit Gefangenen wird sehr deutlich, dass diese sich Namensschilder wünschen, insbesondere deswegen, weil es zum normalen Umgang in einer Gesellschaft gehört, zu erfahren, mit wem man es zu tun hat.

Das wird besonders dort gewünscht, wo Beamte stationsfremd eingesetzt sind.

Sind Vollzugsbedienstete heutzutage eben nicht nur die "Schließer" und diejenigen, die vom Turm aus auf eventuell flüchtende Gefangenen schießen, sondern sind sie die Speerspitze eines Behandlungsvollzuges und prominenter Kontakt zu den Gefangenen, dann gebietet dies die namentliche Kennzeichnung.

Wie häufig tatsächlich eine disziplinarische Belangung oder strafbewehrte Handlung eines Bediensteten wegen dessen Anonymität nicht verfolgt werden kann, entzieht sich unserer Kenntnis. Tatsächlich ist aber genau diese Anonymität, die Strafverfolgung verhindert, der Grund dafür, dass Polizeibeamte sich kennzeichnen müssen und dadurch identifizierbar werden.

Zu wünschen wäre es im Gefängnis, wenn die Kennzeichnung nicht gesetzlich verordnet werden müsste, sondern Justizvollzugsbedienste von sich so viel Anstand und Sozialkompetenz besäßen, sich bei den Ihnen anvertrauten Gefangenen mit Namensnennung vorzustellen.

Im Knast versehen nämlich keine vermummten Spezialeinsatzkräfte, wie Polizeikräfte bei Demonstrationen, ihren Dienst, sondern im Gefängnis leben und arbeiten Gefangenen und Bedienstete teilweise Jahrzehnte miteinander ...

... mein Name jedenfalls ist Dieter Wurm - und wie bitte lautet Ihrer?

*

Quelle:
der lichtblick, 45. Jahrgang, Heft Nr. 351, 2/2012, Seite 23
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2012