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MARXISTISCHE BLÄTTER/452: Abrüstung bei der Bundeswehr?


Marxistische Blätter Heft 4-10

Abrüstung bei der Bundeswehr?

Von Gerd Deumlich


So ungerecht kann es zugehen: die Kanzlerin kommt wegen "Führungsschwäche" mächtig ins Gerede - ihr Kriegsminister vollführt in Sachen Wehrpflicht und Sparen an der Bundeswehr wahre Eiertänze und bleibt trotzdem der "beliebteste deutsche Politiker". Fragt sich, ob da die Illusion mitspielt, zu Guttenberg habe mit der "Reform" der Streitkräfte so etwas wie Abrüstung im Kalkül? Da täte man ihm echt Unrecht.

Seine erklärte Bereitschaft, den "Sparkurs" der Bundesregierung mitzutragen, ist längst durchschaubar als Manöver, das Militär so gut wie ungeschoren durch die Finanzkrise zu bringen. Im Entwurf des Bundeshaushalts 2011 ist für die Ausgaben des "Verteidigungsministeriums" mit 31,55 Milliarden Euro ein Plus von 1,4 Prozent gegenüber 2010 veranschlagt. Für 2010 hat der Minister den Etat für die Afghanistan-Truppe deutlich aufgestockt: von ursprünglich eingeplanten 832 Millionen Euro auf 1,059 Milliarden Euro.

Stimmt also, was die "Süddeutsche Zeitung" prognostiziert: "Die Finanzkrise in Europa und ganz besonders in Deutschland (wird) eine Militärreform erzwingen"? (10./ 11.7.2010)

Hatte der Minister noch im Mai dahin geschwankt, die Haushaltskonsolidierung als den "höchsten strategischen Parameter" zuzugestehen, "begradigte" er dies im Juni "durch das Versprechen, es werde 'keine Bundeswehr nach Kassenlage' geben". Die Bundeswehr sei ohnehin "dramatisch unterfinanziert."(FAZ, 30.6.2010) Aber, so der Minister, "was die militärische Spitze für den konkreten Einsatz für notwendig hält, muss schnellstmöglich beschafft werden." (FAZ, 5.7.2010)

Dazu steht nicht im Widerspruch, dass zu Guttenbergs Ministerium in einem Papier mit "Sparvorschlägen im Volumen von insgesamt rund 9,3 Milliarden Euro" aufwartet. Denn "Einsparungen beim Material würden überwiegend erst mittelfristig wirksam", d.h. "in den nächsten fünf Jahren könnten nur gut 3,3 Milliarden Euro gespart werden, die restlichen sechs Milliarden würden erst von 2016 an realisiert." (FAZ, 8.7.2010) Ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, ebenso folgenlos wie in Aussicht gestellte Abstriche bei einigen Rüstungsbeschaffungen und Verkleinerungen der Streitkräfte.

Auch der Minister denkt im Maßstab von Jahren und was wirklich in den nächsten Jahren passieren wird, hat er unumwunden dargestellt: "In zehn Jahren werden wir den Reformstau der letzten Jahrzehnte überwunden haben, die Truppe wird kleiner und für die Herausforderungen asymetrischer Bedrohungen ausgebildet sein. Es geht doch nicht, dass wir bei 252.000 Soldaten schon an der Grenze unserer Möglichkeiten angekommen sind, wenn gerade einmal 8000 Soldaten gleichzeitig im Einsatz sind. In zehn Jahren werden wir professioneller, schneller und flexibler sein. Wir werden unsere Soldaten potentiell auf der ganzen Welt einsetzten können und trotzdem den Heimatschutz nicht vergessen haben."

Im Zuge dieser heroischen Perspektive wird sich auch das Problem der Wehrpflicht erledigen: "Im Grundgesetz wird es sie noch geben. Faktisch wird sie in zehn Jahren wohl abgeschafft sein. Bei einer hochprofessionellen, bestens ausgerüsteten und flexiblen Einsatzarmee haben Sie kaum noch die Kapazitäten, Rekruten auszubilden." (Der Spiegel 24/2010)

Herrliche Aussichten für Deutschland, wenn erst einmal unsere geballte militärische Kraft effektiv in der ganzen Welt für "deutsche Interessen" zur Wirkung kommen wird. Da hat der Minister keine Hemmungen, von den Deutschen mehr "Opferbereitschaft" zu verlangen, von denen viele immer noch nicht hören wollen, "dass in Afghanistan für unser Land, ... für jeden von uns, gekämpft und gestorben wird". Doch Deutschland müsse auf die Folgen solcher Militäreinsätze vorbereitet sein, "Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Einsätze geworden, und sie werden es auch in den nächsten Jahren sein. Wohl nicht nur in Afghanistan." (FAZ, 26.4.2010)

Während der Minister gelegentlich bei einer Trauerfeier für vier getötete Soldaten schon an die nächsten Kriegsschauplätze denkt, wächst sich - nach neun Jahren Krieg! - der in Afghanistan zum Desaster aus. Von dem hochmütigen Ziel, dem Land "die Demokratie" zu bringen, hat man sich schon verabschiedet; jetzt geht es darum, wie der neue US-Oberkommandierende General Petraeus erklärt, "diesen Krieg für Amerika und die Nato so zu beenden, dass es nicht wie eine Niederlage wirkt." (FAZ, 5.7.2010)

Gemäß imperialistischer Logik wird erst mal noch auf die Eskalation dieses Krieges gesetzt: die USA schicken weitere 40.000 GI's an den Hindukusch. Da will zu Guttenberg nicht zurückstehen: Seit Ende Juni kommt das schwerste Waffensystem des deutschen Heeres, die Panzerhaubitze 2000, zum Einsatz; durch die Realität des Krieges sind "die politischen Hemmungen gefallen, in Afghanistan mit größerem Kaliber zu schießen", lobt die FAZ (13.7.2010), auch wenn "die vernichtende Wirkung schwererer Waffen bei unbeabsichtigten Treffern auf Zivilisten... sich "schon bitter erwiesen" hat.

Da wird sich ein zu Guttenberg auch von den Enthüllungen geheimer Dokumente über die brutalen Operationen von US-Todesschwadronen nicht zurückschrecken lassen. Wenn er lapidar erklärt, die Dokumente enthielten keine neuen Erkenntnisse - kennt er also das Szenario dieses schmutzigen Krieges?

Auf der Internationalen Konferenz über Afghanistan unlängst in Kabul wurde als Weg in eine "echte Souveränität" des Landes in Aussicht genommen, dass die Nato bis 2014 ihr Kommando abgibt und die afghanische Armee die Verantwortung für alle Militär-Operationen im Land übernehmen soll. Doch die Nato traut diesem Frieden selbst nicht. Sofort wurde eingeschränkt: "Das bedeutet aber noch nicht den Abzug aller ausländischen Truppen" und die US-Außenministerin Hillary Clinton versicherte, es bestehe "keine Absicht, unsere langfristige Mission im Stich zu lassen." (Süddeutsche Zeitung, 21.7.2010) Ob sie dabei nicht zuletzt an die sagenhaften Rohstoff-Funde in Afghanistan gedacht hat?

Prompt schob der deutsche Minister eigene, präzise Vorstellungen nach. Man müsse sich schon jetzt über "Nachsorgelemente" Gedanken machen für die Zeit nach dem Abzug der internationalen Truppen. Dazu gehöre "die internationale Koordination des Einsatzes von Nachrichtendiensten und Spezialkräften." Auch "gezielte Raketenangriffe von Drohnen" wären denkbar, wie sie derzeit die Amerikaner in Pakistan praktizieren. (FAZ, 6.7.2010) Das heißt: Es wird keinen wirklichen vollständigen Truppenabzug geben und der schmutzige Krieg mit eigenen Mitteln und Kräften wird fortgesetzt.

Das heißt aber auch: Durch die absehbare Entwicklung dieses Krieges wird die Herausforderung an die Friedensbewegung nicht geringer, eher im Gegenteil. So erstaunlich und positiv es ist, dass trotz aller Anstrengungen, die "Heimatfront" für diesen Krieg zu formieren, es bei seiner Ablehnung durch eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bleibt, steht die Erfahrung, dass Stimmung noch keinen wirklichen Widerstand ausmacht, dass Stimmung dem Krieg nicht wirklich entgegenwirkt. Hierfür muss die Friedensbewegung die Initiative gewinnen und eine breite Protestbewegung mobilisieren.

Ein wirksamer Schritt dazu kann der Unterschriften-Appell sein, den die Friedensbewegung kürzlich vorgelegt hat. Er kann die bisher lediglich demografisch ermittelte Stimmung zu einem breiten Votum aus der Bevölkerung organisieren und damit politisch wirksam machen. Der Appell "Den Krieg in Afghanistan beenden - zivil helfen" konzentriert sich auf die vordringlichsten Forderungen an die Adressen der Bundesregierung und des Bundestages: Beendigung der Kämpfe in Afghanistan, sofortiger Beginn des Abzugs der Bundeswehr und Aufstockung der Mittel für die ausschließlich zivile Hilfe. Kriegsfördender "Spar"-Appell oder demokratisch getragener Friedens-Appell - das ist hier die Frage.


Gerd Deumlich, Essen, MB-Redaktion


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 4-10, 48. Jahrgang, S. 12-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2010