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MARXISTISCHE BLÄTTER/584: Mobbing am Arbeitsplatz


Marxistische Blätter Heft 6-14

"Mobbing am Arbeitsplatz

Von Anne Rieger


25 Jahre nach der Wende steht Deutschland als Exportmacht dar. Während die einen Profite ohne Ende daraus ziehen, zahlen die anderen einen hohen Preis: Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Niedriglohnsektor, Hartz IV, unzureichende Altersversorgung haben eine Höhe in nicht gekannten Ausmaß erreicht. Ebenso steigt der permanente Druck in den Arbeitsstätten: "Nur 44 Prozent der Befragten können ihre Arbeit auch während ihrer Arbeitszeit erledigen, 80 Prozent der Kolleginnen und Kollegen fühlen sich von Unterbrechungen gestört. Fast die Hälfte gibt an, dass von ihnen erwartet wird, über das Ende der Arbeitszeit hinaus verfügbar zu sein", so das Ergebnis einer Befragung unter Angestellten bei Volkswagen (VW) in Braunschweig.(1)

Die Zahlen belegen, was beinahe jede/r Zweite auch außerhalb von VW am Arbeitsplatz spürt: Die abgeforderte Arbeit ist nicht zu schaffen! In immer weniger Arbeitsstunden, soll immer mehr erarbeitet werden. Realistische Leistungs- und Zielvorgaben, eine gute Zeitplanung mit genügend Pufferzonen, realistische Personalplanung die Urlaubs-, Krankheits- und Weiterbildungszeiten berücksichtigt, gehören längst der Vergangenheit an. Lean Office, Mobiles Arbeiten, Desk-Sharing, Vertrauensarbeitszeiten, Urlaubs-Flatrate, indirekte Steuerung, verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen (Projektarbeit), Multitasking, flexible Arbeitszeiten, Ergebnisse statt Anwesenheitszeiten, ständige Erreichbarkeit, Entgrenzung der Arbeit sowie permanente technische und organisatorische Umstrukturierungen sind Teil der Methoden, mit denen die "dichtere Ausfüllung der Poren des Arbeitszeit" in allen Arbeitsbereichen durchgesetzt werden.

Die atmende Fabrik lässt die Beschäftigten nicht mehr zum Atmen kommen. Die einen knüppeln sich ihren Körper und ihre Psyche drinnen tot, die anderen müssen draußen bleiben. Auch physische Belastungen wie Arbeit im Stehen, dauerndes Sitzen, Lärm oder Heben und Tragen schwerer Lasten bleibt Teil der Belastung.

Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und damit gleichzeitig dem Verlust des Sozialen und Lebensstandards mischt sich mit der Sorge, den permanent wachsenden Herausforderungen und Belastungen am Arbeitsplatz eventuell nicht mehr oder unzureichend gewachsen zu sein. Gleichzeitig wird medial die Botschaft ausgeschwemmt, erfolgreiche Menschen schaffen es, Karriere und Privatleben auf höchsten Standard zu verbinden und ein glückliches Leben zu führen. Das nagt - oft nicht bewusst - am Selbstwertgefühl, "schlitzt die Psyche auf", wie ein Rechtsanwalt es ausdrückte. Das tägliche Leben ist durchdrungen von sozialer Unsicherheit und individuellen Zweifeln an der eigenen Kompetenz. Was tun mit dem Stress und dem Frust?

Zerstörte Solidarität

Oft frisst man ihn in sich hinein. Oft fehlt kollegiales, kameradschaftliches Klima in der Arbeitsstelle oder wurde es bewusst zerstört, spucken manche ihren Stress gegen ihre Umwelt wieder aus. In besonders gravierenden Fällen kommt es zu dauerhaft feindseligen Handlungen gegenüber Kolleginnen. Soziale Probleme äußern sich in persönlich aggressives Verhalten.

"Mobbing bedeutet, dass jemand am Arbeitsplatz systematisch über einen längeren Zeitraum angegriffen, schikaniert, benachteiligt und ausgegrenzt wird", lautet die Kurzdefinition aus dem Mobbing Report der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.(2) Elf Prozent der Beschäftigten in Deutschland waren bereits 2008 mindestens einmal Mobbing am Arbeitsplatz ausgesetzt(3) Die Tendenz ist weiter steigend, so die Initiative "Neue Qualität der Arbeit".(4)

1993 legte der Pionier der Mobbingforschung im deutschsprachigen Raum, der Psychologe Heinz Leymann, den Ratgeber "Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann" vor.(5) Er definierte 45 Mobbinghandlungen, die er in fünf Mobbingstrategien zusammenfasste:

- Einschränkung der Kommunikationsmöglichkeit
- Entzug der sozialen Unterstützung
- Demontage des sozialen Ansehens
- Reduzierung der Arbeits- und Lebenszufriedenheit
- Direkte Angriffe auf die Gesundheit und das Wohlbefinden.

Darunter sind unter anderen Handlungen wie

- Ständige Kritik an der Arbeit
- Isolation der/des Betroffenen
- Verbreiten von Gerüchte
- Zuteilung sinnloser Arbeitsaufgaben
- Sexuelle Handgreiflichkeiten.

Raub der Arbeitskraft

Mobbing hat viele Gesichter und entwickelt sich als Prozess, der insbesondere durch Stress begünstigt wird. Da sind sich die ExpertInnen einig. Dabei handele es sich nicht mehr um einfache Intrigen, Konflikte oder Reibereien zwischen KollegInnen oder mit Vorgesetzten. Mobbing ist schikanöser Psychoterror am Arbeitsplatz, der die Betroffenen oft innerhalb kurzer Zeit vollkommen demoralisiert, an ihren Fähigkeiten zweifeln lässt und zu längeren Krankheiten mit entsprechenden Arbeitsausfällen führt.

Mobbing ist ein längerer Prozess und lässt den Betroffenen in den fortgeschrittenen Stadien kaum eine Chance, sich ohne fremde Hilfe aus diesem Teufelskreis zu befreien. Bluthochdruck, Herzschmerzen, Magen- und Darmentzündungen, Geschwüre, Muskelverspannung, Körperfehlhaltung, Krankheiten, wie z.B. stressbedingte chronische und psychiatrische Erkrankungen, psychosomatische Reaktionen, körperliche Lähmungserscheinungen, Depression bis hin zur Arbeitsunfähigkeit, Konzentrationsprobleme, Gedächtnisstörungen, Schlaflosigkeit, Selbstzweifel, Selbstunsicherheit, Antriebslosigkeit, Weinkrämpfe, Gefühle der Verzweiflung, Selbsttötungsgedanken, paranoide Zustände, Verfolgungswahn, Übersensibilität (Empfindlichkeit), gereizte, aggressive Stimmungen, Hektik, Rastlosigkeit, Alpträume, gestörtes Privatleben können die Folgen sein.

Einen Diskurs unter ExpertInnen und JuristInnen jedoch gibt es darüber, was genau Mobbing ist, und wo die Abgrenzungslinie verläuft. Eine der übersichtlichsten Definitionen stammt von Martin Resch. Danach ist unter Mobbing zu verstehen, wenn eine Person am Arbeitsplatz

- von Kollegen, Vorgesetzten, Untergebenen
- schikaniert, belästigt, drangsaliert, beleidigt, ausgegrenzt oder mit kränkenden Arbeitsaufgaben bedacht
- und in dieser Situation unterlegen ist.

Es ist dann von Mobbing zu sprechen, wenn diese Situation
- häufig und wiederholt auftritt (mindestens einmal pro Woche)
- und sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (mindestens 6 Monate).

Es ist nicht von Mobbing zu sprechen, wenn
- es sich um einmalige Vorfälle handelt;
- ein Konflikt zwischen zwei gleich starken Parteien vorliegt;
- ein "raues Klima" vorherrscht oder belastende Arbeitsbedingungen "unter denen alle leiden".

Mobbing ist demnach die Spitze des Eisbergs, wenn vorangehend Konflikte nicht gelöst werden, danach Verstimmungen auftreten, Taten statt Worte folgen, Verhärtungen entstehen und sich das ganze ausweitet.(6)

In erster Linie befassen sich die Wissenschaft und Arbeitsgerichte mit dem Einzelphänomen: Mobbing könne jede/n treffen, komme in allen Hierarchiestufen vor. Wichtig sei genau zu schauen, ob es wirklich Mobbing sei. Quasi, als traue man dem einzelnen Menschen nicht zu, sein Leid zu erkennen und zu beschreiben.

Eine Studie der Organisationspsychologen der Freien Universität Berlin aber belegt dass die Wahrnehmung von Mobbing nicht allein auf der subjektiven Einschätzung einzelner Personen beruht.(7) Es trete in betroffenen Abteilungen objektivierbar gehäuft auf. Das ist so zu verstehen, dass unterschiedliche Personen in gleicher Arbeitssituation ähnliche oder gleiche Sachverhalte berichten, die auf Mobbing hinweisen, oder zu demselben Urteil kommen, dass sie Mobbing-Opfer sind.

Betriebliche und gesellschaftliche Ursachen

Zudem zeigen die Ergebnisse dieser von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin herausgegebenen Studie, dass Mobbing in den untersuchten Behörden nicht zufällig verteilt, sondern das es vielmehr abteilungsspezifische Häufungen"(8) gab. Eine entscheidende Rolle sei bei der Entstehung von Mobbing den Ergebnissen zufolge der Führungsstil von Vorgesetzten. So trete das Phänomen seltener in Abteilungen auf, in denen sich die Führungskräfte gesprächsbereit zeigten und Mitarbeiter bei den für sie relevanten Entscheidungen ein Mitspracherecht hätten. In diesen Abteilungen sei zudem die allgemeine Arbeitszufriedenheit höher.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) macht es sich leicht: "Hinter Mobbing steckt meist ein schlechtes Klima. Und dafür trügen die Vorgesetzten die Verantwortung".(9) Vorgesetzten mit schlechtem Führungsstil muss man nicht verteidigen. Aber die Auswirkungen des oben beschriebenen neoliberalen Auspressens der Belegschaften auf das Arbeitsklima in den Abteilungen allein den direkten Vorgesetzten zuzuschieben, verkennt, dass Vorgesetze der untersten Führungsebene sich in einer "Sandwich Position" befinden. Ihre Hauptaufgabe ist es, den kapitalistischen Arbeitsdruck nach unten weiter zu geben. Den Wunsch nach Informationen oder Verbesserung der Arbeitssituation können sie nicht befriedigen, wenn sie selber unzureichend informiert oder nur eingeschränkte Einflussmöglichkeiten haben.

Schon der Mobbing Report 2002(10) wies etwa ebenso häufig auf Mängel in der Arbeitsorganisation wie auf unzureichende Führungsverhalten hin. Termindruck, Stress, Hektik, Unklarheiten in der Arbeitsorganisation und den Zuständigkeiten, wichtige Entscheidungen würden nicht transparent gemacht, sowie die Existenz von starren Hierarchien wurden in den von Mobbing "befallenen" Bereichen beklagt. Solche Mängel bei den Arbeitsbedingungen sind aber in der Regel der Unternehmensstrategie - und damit die mittleren und oberen Führungskräften - zuzuschreiben. Diese geben den neoliberalen Wettbewerbsdruck nach unten weiter. Natürlich kann die Personalführungsaufgabe besser oder schlechter ausgeführt werden, wie jede andere Arbeit auch. Oft fehlen dafür neben den Organisationsbedingungen zusätzlich ausreichende Qualifizierungsmöglichkeiten.

"Die Ergebnisse der Mobbingforschung zeigen, dass vor allem betriebliche und gesellschaftliche Ursachen eine Rolle spielen", schrieb die IG Metall schon vor Jahren. "Globalisierung der Märkte, wirtschaftliche und soziale Krisenerscheinungen wirken auf den Betrieb und das Betriebsklima zurück. Damit nehmen auch die Stressbelastungen durch Angst vor dem Arbeitsplatzverlust zu und führen vielfach zum Verlust der Solidarität in der Belegschaft. Arbeitsbedingter Stress ist ein idealer Nährboden für Konflikte und kann bei ungünstigen betrieblichen Rahmenbedingungen zu Mobbingprozessen führen".(11) Die IG Metall führt weiter aus: "Mobbing ist ein strukturelles und kein individuelles Problem. Strukturelle Ursachen von Mobbing sind z. B.

- Konkurrenzkampf als Folge von Angst vor Arbeitslosigkeit
- Verunsicherung als Folge von Deregulierung
- Arbeitshetze als Konsequenz von Rationalisierung und Personalabbau
- Schlechte Arbeitsbedingungen als Folge von Kosteneinsparungen
- Dominanzverhalten als Resultat von Hierarchien und Aufstiegsdenken
- Statusängste als Konsequenz der Verflachung der Hierarchie
- Sexuelle Belästigung als Diskriminierungs- und Unterdrückungsinstrument"(12)

Ursachen werden im Opfer gesucht

Vielfach wird darüber spekuliert, es gebe "typische" Mobbingopfer, die quasi aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur zu Opfern würden. Die Mobbingforschung kommt zu keinem einstimmigen Ergebnis: Heinz Leymann warnt vor "Mythen" über das Opfer. Dieses gerate allzu leicht in Gefahr, von Außenstehenden als die eigentliche Ursache (oder der eigentliche Täter) zu gelten. Den Mobbingopfern wird dann gerne unterstellt, dass sie konfliktarm sind, schwache Nerven haben, an Minderwertigkeitsgefühlen leiden oder neurotisch-krank sind. Leichtfertig werden psychische Verhaltensweisen angeführt, die sich unter Umständen durch die wiederkehrenden Attacken im Laufe des Mobbingprozesses erst herausgebildet haben. So wird die Mobbingwirkung zur Ursache verkehrt. Menschen, die von der Gruppe abweichen, können leicht in eine Außenseiterrolle geraten und zu "Sündenböcke" werden. Wie praktisch fürs Unternehmen!

Strategisches Mobbing

In etwa 50 Prozent der Mobbingfälle sind Vorgesetzte an Mobbing beteiligt, entweder alleine oder mit der Gruppe.(13) Beim so genannten "Bossing" geht es allerdings um mehr. Es ist nicht nur Mobbing im Kollegenkreis mit Billigung, Duldung oder Teilnahme der Vorgesetzten. Bossing ist das zielbewusste Einsetzen von Mobbingmethoden durch die Personal- bzw. Unternehmensleitung. Ziel ist es unliebsame Beschäftigte aus dem Betrieb zu drängen - an allen Kündigungsschutzrechten vorbei. Das Ziel wird strategisch verfolgt: soziale Isolierung, psychische Erschöpfung und Erschütterung und schließlich die Entfernung durch Aufgabe oder Eigenkündigung der Mitarbeiter. Das können sogenannte Low-Performer, ältere und leistungsgewandelte Beschäftigte, aktive Gewerkschafts- oder Betriebsratsmitglieder oder einfach strukturell "überflüssig" Beschäftigte sein.(14) Bereits 2006 sprach die IG Metall in ihrer von Mobbing "von oben".

Aktuell legt verdi nach. Auf der Homepage "amazon-verdi.de" wird von "Massenmobbing" gesprochen.(15) Ziel sei es, die MitarbeiterInnen zu spalten. Seitens des Arbeitgebers würden Konflikte absichtlich geschürt. Bewirkt wird die Spaltung der Mitarbeiter mit verschiedenen Mitteln, Diskriminierung ist eine davon. Dabei wird nicht diskriminiert, wer eine andere Herkunft oder Glauben hat, sondern wer offen Kritik äußert oder ein besseres Arbeitsklima anstrebt - bei Amazon deswegen, um Teile der Belegschaft am aktuellen Streik zu hindern.

In einem anderen Beispiel wird bei Siemens von "strategischen Mobbing" berichtet. In einem lang währenden Konflikt um die strukturelle Vernichtung von Arbeitsplätzen wurde Beschäftigten mitgeteilt, dass ihr Arbeitsplatz entfallen sei (was nachweislich und offensichtlich in vielen Fällen nicht zutraf) und das Arbeitsverhältnis mittels eines Aufhebungsvertrages im beiderseitigen Einverständnis beendet werden solle. Da bei den meisten der Betroffenen dieses Einverständnis nicht vorhanden war, wurden sie in einem Gebäude außerhalb des zentralen Betriebsbereiches separiert. Monat für Monat mussten sie dort den Arbeitstag verbringen, allerdings ohne Arbeit. Als Einschüchterungsmaßnahme wurden einige zwangsweise und entgegen dem Beschluss des Betriebsrates in den am weitest entfernt liegenden Siemens-Betrieb versetzt.(16)

Union-Busting

Die Verhinderung von Betriebsratsgründungen und die Drangsalierung von Betriebsmitgliedern oder ganzen Gremien, mit dem strategischen Ziel, ihr Vorhaben aufzugeben, beschreiben Werner Rügemer und Elmar Wiegand.(17) Beispielhaft sei ein Fall herausgenommen, den die Autoren "sozialer Tod" nennen: Dazu gehörten gezielter Entzug menschlicher und kollegialer Wärme bei der Arbeit und Mobbing durch Vorgesetzte und Kollegen: Häme, Vorwürfe, Verhöre, Rufmord, Gerüchte, Schikanen. Diese Methoden waren aus Unternehmenssicht äußerst effizient und hatten in den recherchierten Fällen das "freiwillige" Ausscheiden ohne Kündigung zur Folge, nicht zuletzt aufgrund der psychischen und körperlichen Folgen.

Die Arbeitsschutz- und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten zurückzudrängen ist zu einem Anliegen vieler Arbeitgeber und ihrer professionellen Union-Buster Rechtsanwälte geworden. Dabei stören aktive InteressenvertreterInnen. Solange sie gesetzlichen Schutz genießen, werden unterhalb oder neben den gesetzlichen Rechten Fakten geschaffen."Die Betriebsverfassung ist eben letztlich alt. Es geht um die Beschleunigung von Verfahren. Die Wirtschaft muss schauen, dass sie ihre Arbeitsbedingungen möglichst schnell geändert bekommt" urteilt Volker Rieble, Professor vom Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Uni München. Das Institut ist finanziert von den Verbänden der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie, der Metallindustrie Baden-Württemberg und vom Bundesarbeitgeberverband Chemie. Es gilt als die wichtigste Denkfabrik der Arbeitgeber in Sachen Arbeitsrecht.(18)

Was ist das Neue?

Konflikte im menschlichen Zusammenleben und Zusammenarbeiten gibt es seit Jahrhunderten. Aber erst vor etwa 25 Jahren begann die Mobbingforschung. 1996 tauchte der Begriff erstmals im Duden auf.

Keineswegs soll hier die These vertreten werden, dass Mobbing eine direkte Folge der Änderung des Kräfteverhältnisses durch die schwere Niederlage der revolutionären Arbeiterbewegung 1989 ist. Nicht übersehen werden kann aber, das es ab diesem Zeitpunkt den Herrschenden gelang, die Folgen der seit Mitte der 1970er beginnenden Wirtschaftskrise fast völlig auf die arbeitenden Menschen abzuwälzen. Zuerst nur vereinzelt, dann mit zunehmender Heftigkeit wurden erkämpfte soziale Zugeständnisse und Reallohnerhöhungen der Bonner Republik, des erzwungenen Klassenkompromisses beendet. Durch den Wegfall der "Systemkonkurrenz" konnten die herrschenden Eliten die neoliberale Politik mit hoher Geschwindigkeit durchsetzen.

Das hatte nicht nur Folgen für die Gewerkschaftliche Kampfkraft insgesamt, wie wir an Reallohnkürzungen und Verlängerung der Arbeitszeit registrieren müssen. Es hat auch Folgen für die innerbetriebliche Solidarität. Das kameradschaftliche Miteinander - immer etwas brüchig - verlor sich über die beiden letzten Jahrzehnte. Die oben beschriebenen Arbeitsbedingungen verunsicherten die Menschen in hohem Maße. Die bis dahin mehr oder weniger stark gelebte soziale Sicherheit verlor sich. Die Medien taten das ihre. Die Menschen wurden immer stärker auf ihre individuellen Fähigkeiten und Bedingungen zurückgeworfen "Jeder ist seines Glückes Schmied" soll gelebt werden.

Über die hinzukommende Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schreibt Oskar Negt: "Seit Jahren dringt die Angst, durch Arbeitsplatzverlust aus dem gesellschaftlichen Ganzen vertrieben zu werden, in alle Poren unserer Lebenszusammenhänge. Daß der Entzug von Arbeit, ja schon der drohende oder phantasierte Arbeitsplatzverlust sozialpsychologisch eine 'depressive Dynamik' in den Individuen auslöst, wie Christine Morgenroth aufzeigt, scheint heute die Gesamtgesellschaft in ihren charakteristischen Merkmalen zu kennzeichnen. Entzug von Arbeit bedeutet, darin sind sich wichtige psychologische Studien zu den Folgen der Arbeitslosigkeit einig, nichts weniger als Realitätsentzug. Angst vor Realitätsentzug erzeugt wiederum erhöhte Bereitschaft zu Anpassung und Überanpassung."(19)

Viviane Forrestier schreibt: "Angst ist auch der wesentliche Grund für ein erschreckend zugenommenes Mobbing, dem Psychoterror am Arbeitsplatz. Hier versuchen Menschen andere Menschen über längere Zeit systematisch zu schikanieren mit dem Ziel, einen vermeintlichen Konkurrenten aus dem Arbeitsprozess heraus zu drängen."(20)

Was tun?

In akuten Fällen ist schnelle Hilfe nötig. Kollegiale Unterstützung, innerbetriebliche und externe Beratungsstellen, Betriebsräte mit Betriebsvereinbarungen und Betriebsverfassungsgesetz, Gewerkschaften, Gleichstellungsbeauftragte, MediatorInnen, Mobbingtelefone, Mobbingbroschüren, Krankenkassen, Ärzte, Selbsthilfegruppen, Vorgesetzte durch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verpflichtet, können bei aktuellen Problemen helfen. In Seminaren gibt es Tipps, wenn es in der Abteilung oder im Betrieb brennt. Will man arbeitsrechtlich vorgehen, ist das Mobbingtagebuch zu schreiben, in dem nachgewiesen ist, dass die Handlungen immer wieder über einen lange Zeitraum stattfinden. Deutlich an Mobbinghandlungen ist häufig, dass der/die MobberIn keine Lösung will. So kann die Suche nach sachgerechten Lösungen durch KollegInnen oder Vorgesetzte den individuellen Konflikt entschärfen. Professionelle Hilfe bei Beratungsstellen oder ausgebildeten Betriebsräten zu suchen ist sinnvoller, als alleine zu experimentieren. Eine Form kollektiver Nothilfe bildete sich im beschriebenen Siemensfall. Im Mitarbeiternetzwerk bildete der Kreis der gemobbten Beschäftigten eigene Arbeitsgruppen, um die durch dieses Vorgehen des Unternehmens hervorgerufenen psychischen Belastungen gemeinsam zu verarbeiten und um politische und juristische Gegenwehr zu organisieren.

Das Hauptproblem aber, wie die Ursache solch inhumanen Einzelverhaltens angegangen werden kann, ist damit nicht gelöst. Zentral für die Betrachtung von Mobbing ist immer noch der Arbeitsplatz, denn dieser wird immer wertvoller, die wenigsten Menschen könnten es sich leisten, ihn zu verlieren. Wechseln ist meist keine Option.

Mobbing muss aus der Tabuzone geholt werden, vorhandene Konflikte müssen angesprochen und Lösungen angeboten werden. Es muss offensiv zum Thema in der Abteilung im Betrieb gemacht werden. Dabei muss die Arbeitsorganisation kritisch unter die Lupe genommen werden. Ausreichende Zeit- und Personalstrukturen, klare Aufgabenstellungen mit sauber definierten Verantwortlichkeiten, Strukturen, und klar abgegrenzten definierte Schnittstellen, offensive Information, beteiligungsorientierte Planungs- und Entscheidungsprozesse, wo möglich, Transparenz bei Entscheidungen, eben alle Mängel die oben aufgezählt wurden müssen untersucht und aktiv für Verbesserung geworben werden. Dazu gehört eine offensive Kommunikation und Kooperation sowie ein installiertes Konfliktmanagement, durch die Unternehmensleitung.

Kollektiven Widerstand aufbauen - Vorbild sein

Das bekommen wir aber nicht geschenkt, dies lässt sich nur mit selbstbewussten Kolleginnen gemeinsam erreichen. Die Angst und Resignation in den Arbeitsbereichen anzugehen und Selbstbewusstsein wieder zu entwickeln, ist die entscheidende Präventionsmaßnahme. Diese gewünschte offensive, selbstbewusste Belegschaft lässt sich nur durch das eigene Vorbild formen. Nur wenn man sieht, dass sich in der Abteilung, im Betrieb jemanden wehrt, möglichst nicht allein, sondern mit anderen zusammen, sich nichts von oben gefallen lässt, die Schuldigen dort sucht, wo sie zu finden sind, in den oberen Etagen des Managements, der nicht zulässt, dass die Kollegen offen oder hinterrücks übereinander herfallen, weil beim zu engen Zeitmanagement sich nicht alles entsprechend schnell und exakt den Profitwünschen entsprechend erledigen lässt, dann gibt es eine Chance, eine humane Arbeitsorganisation und eine aufmüpfige Belegschaft zu formen, die sich nicht gegenseitig zerfleischt und die sich nicht von oben zerfleischen lässt.

Offensives kollektives Aufmucken, gemeinsame Chefbesuche, Unterschriftensammlungen und ähnlicher Protest und Widerstand gegen die Auspressung ist die gesündeste Form Angst und damit Mobbing anzugehen. Wo möglich sollte Betriebsöffentlichkeit hergestellt werden. Wer bei Streiks oder anderen Protest- und Widerstandsformen dabei gewesen ist, weiß, in den Aktionen der selbstbewussten Arbeiterklasse hat Mobbing kaum Chancen.

Der Widerstand gegen Union-Busting ist zwar schwerer, weil es sich um bestens, überbetriebliche organisierte Gegner handelt. Dort wird der Weg nicht nur in die betriebliche sondern auch in die örtliche und regionale Öffentlichkeit und die betriebsübergreifende Gegenwehr notwendig sein. Beraten von erfahrenen Gewerkschaftsvertretern ist das keineswegs aussichtslos. Die Belegschaft muss sich über die Struktur des von Arbeitgeberseite in seinem solchen Fall geführten Konfliktes klar werden. "Die Gründung eines Betriebsrates kommt heutzutage in vielen Fällen einem Arbeitskampf gleich und der Konflikt wird von Arbeitgeberseite auch so geführt."(21) Darauf müssen wir uns einrichten.


Anne Rieger, Graz, Dipl-Psychologin und ehemalige IG Metall Bevollmächtigte, Mitherausgeberin der Marxistischen Blätter


Zum Thema Union-Busting befindet sich eine Rezension des Buches "Union-Busting in Deutschland" von Werner Rügemer und Elmar Wiegand unter der Rubrik "Rezensionen" in dem vorliegenden Heft der Marxistischen Blätter.


Anmerkungen

(1) www.igmetall.de/stress-buerometer-psychische-belastungen-am-arbeitsplatz-12446.htm (9.10.2014)

(2) Meschkutat, B.u.a.: Mobbing Report Eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund 2002

(3) www.berufsstrategie.de/bewerbung-karriere-softskills/mobbing-am-arbeitsplatz.php (9.10.2014)

(4) Mehr Informationen zu der Initiative "Neue Qualität der Arbeit" unter: www.inqa.de

(5) Heinz Leymann: Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann, Reinbek 1993

(6) Martin Resch: Mobbing in Krankenhäusern. Konfliktmanagement und Prävention,
www.dr-martin-resch.de/News/bgw-forum_2005_Konfliktmanagement_im_Krankenhaus.pdf (6.10.2014)

(7) www.pressetext.com/news/20120105003 (9.10.2014)

(8) Eisermann, J., de Constanzo, E., Die Erfassung von Mobbing - Eine Konstruktvalidierung aktueller Datenerhebungsverfahren, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2011

(9) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Februar 2012

(10) www.ifb.de/media/files/konflikt/Mobbing-Report_2002.pdf (9.10.2014)

(11) IG Metall, Gesünder arbeiten, Arbeitshilfe 16, 2006

(12) Ebenda

(13) www.boeckler.de/pdf/mbf_as_mobbi_2007.pdf (9.10.2014)

(14) www.work-watch.de/erfolgreich-gegen-bossing (9.10.2014)

(15) http://amazon-verdi.de/4088 (9.10.2014)

(16) Vergleiche Leo Mayer: Siemens: Erfahrungen eines Arbeitskampfes, in: Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 61, 2005

(17) Rügemer, W/Wiegand, E: Union-Busting in Deutschland, in: Arbeitsheft 77 der Otto Brenner Stiftung, 2014

(18) www.work-watch.de/bossing-als-gesellschaftspolitisches-konzept (9.10.2014)

(19) Oskar Negt: Arbeit und menschliche Würde, Göttingen 2002

(20) Viviane Forrestier: Der Terror der Ökonomie, München 1998

(21) Rügemer, W. Wiegand, E.: Ebenda, Dichter für den Krieg

*

Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 6-14, 52. Jahrgang, S. 109-116
Redaktion: Marxistische Blätter
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Telefon: 0201/23 67 57, Fax: 0201/24 86 484
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2015

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