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MARXISTISCHE BLÄTTER/617: Digitale Arbeit und Imperialismus


Marxistische Blätter Heft 3-16

Digitale Arbeit und Imperialismus

Von Christian Fuchs


Seit der Publikation von Wladimir Iljitsch Lenins "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" (1916), Nikolai Bucharins "Imperialismus und Weltwirtschaft" (1917) und Rosa Luxemburgs 1913 erschienenen Schrift "Die Akkumulation des Kapitals" ist mittlerweile ein Jahrhundert vergangen. Sie alle sprachen vom Imperialismus als Kraft und Werkzeug in den Händen des Kapitalismus. Es war eine Zeit der Weltkriege, der Monopole, der Anti-Trust-Gesetze, der Streiks für Lohnerhöhungen, von Fords Entwicklung der Fließbandarbeit, der Oktoberrevolution, der Mexikanischen Revolution und der gescheiterten Deutschen Revolution. Es war eine Zeit großer und schwerwiegender globaler Herausforderungen für den Kapitalismus.

Dieser Beitrag nimmt sich die Rolle der internationalen Arbeitsteilung in klassischen marxistischen Konzepten des Imperialismus vor und erweitert diese Ideen um die globale Arbeitsteilung in der Produktion von Information und Informationstechnologie heute. Digitale Arbeit spielt, so mein Ansatz, als die jüngste Grenze, an die die kapitalistische Innovation und Ausbeutung vorgestoßen ist, eine zentrale Rolle im gegenwärtigen Imperialismus. Die klassischen Konzepte heranziehend, zeigt meine Analyse, dass im neuen Imperialismus die Informationsindustrien einen der am meisten konzentrierten Sektoren darstellen; dass Hyper-Industrialisierung, Finanzsphäre und Informationalismus eng zusammen gehören; dass multinationale IT-Firmen zwar in Nationalstaaten verankert sind, aber global operieren; und dass Informationstechnologie zum Teil der Kriegsmaschinerie geworden ist.(1)

Imperialismusdefinition

Lenin definiert 1916 in seinem "Gemeinverständlichen Abriß", wie er seine Arbeit untertitelte, Imperialismus als "Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist."(2)

Bucharin und Evgenij Preobraschenski verstanden Imperialismus als "[d]ie Eroberungspolitik, die das Finanzkapital im Kampfe um die Absatzmärkte, um die Rohstoffquellen und die Anlageplätze für das Kapital führt"(3). Bucharin, ein Zeitgenosse Lenins und Herausgeber der Prawda von 1917 bis 1929, zog ähnliche Schlüsse wie Lenin über die Schlüsselmerkmale, in dem er den Imperialismus als das "Produkt des Finanzkapitalismus" skizzierte und argumentierte, dass das "das Finanzkapital keine andere Politik außer der imperialistischen [...] betreiben kann."(4)

Bucharin sah im Imperialismus zudem notwendigerweise eine Form des Staatskapitalismus, ein Konzept, dessen Anwendung auf den Neoliberalismus sich als schwierig erweist, da dieser eher auf der weltweiten Herrschaft der Unternehmen und weniger der Nationalstaaten basiert. Bucharin sah Nationen als "staatskapitalistische [...] Trusts", die in einem "internationalen Kampf" gefangen seien, der letztlich zu einem Weltkrieg führen würde.(5) Für Bucharin war Imperialismus schlicht die "Erscheinungsform der Konkurrenz" zwischen diesen Trusts, die alle darauf zielten, Kapital in ihren Händen zu konzentrieren und zentralisieren.(6) Im Gegensatz dazu argumentierte Lenin, dass "für den Imperialismus [...] der Wettkampf einiger Großmächte in ihrem Streben nach Hegemonie, d. h. nach der Eroberung von Ländern, nicht so sehr direkt für sich als vielmehr zur Schwächung des Gegners und Untergrabung seiner Hegemonie" wesentlich sei.(7) Lenins Formulierung eines Wettbewerbs von "Großmächten" ist sorgfältiger als Bucharins Konzept staatskapitalistischer Trusts, weil sie sowohl Unternehmen als auch Staaten umfasst.

Für Rosa Luxemburg war Imperialismus die gewaltvolle geographische und politische Expansion der Akkumulation des Kapitals, der "Konkurrenzkampf um die Reste des noch nicht mit Beschlag belegten nichtkapitalistischen Weltmilieus. [...] Bei der hohen Entwicklung und der immer heftigeren Konkurrenz der kapitalistischen Länder um die Erwerbung nichtkapitalistischer Gebiete nimmt der Imperialismus an Energie und an Gewalttätigkeit zu, sowohl in seinem aggressiven Vorgehen gegen die nichtkapitalistische Welt wie in der Verschärfung der Gegensätze zwischen den konkurrierenden kapitalistischen Ländern. Ie gewalttätiger, energischer und gründlicher der Imperialismus aber den Untergang nichtkapitalistischer Kulturen besorgt, umso rascher entzieht er der Kapitalakkumulation den Boden unter den Füßen."(8)

Luxemburg schlussfolgert, dass das Kapital die Ausbeutung global ausweiten will, denn es "braucht überhaupt die unumschränkte Verfügungsmöglichkeit über alle Arbeitskräfte des Erdrunds, um mit ihnen alle Produktivkräfte der Erde - soweit dies in den Schranken der Mehrwertproduktion möglich - mobil zu machen."(9) Wie groß auch immer die Differenzen zwischen Lenin, Bucharin und Luxemburg ausfallen, alle teilen sie die Überzeugung, dass der Imperialismus die "Schlußphase" (10) oder die Phase des "verfaulenden Kapitalismus"(11) ist und so der "Untergang der Bourgeoisie unvermeidlich" sei.(12) Solche Aussagen reflektierten nicht nur den politischen Optimismus, den Revolutionäre zu dieser Zeit fühlten, sondern auch ein damals gängiges strukturalistisches und funktionalistisches Verständnis des Kapitalismus, das annahm, dass das System einem unausweichlichen Ende zustrebe. Damals schien das gar nicht so weit hergeholt, immerhin schrieben die Autoren ihre Abhandlungen am Vorabend oder während des Ersten Weltkrieges, dem nach einer kurzen Phase des Wohlstands bald die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg folgten: Phänomene, die nicht gerade gegen ihre Argumente einer globalen Instabilität des Systems sprachen. Rund 100 Jahre später gibt es den Kapitalismus immer noch. Doch gleichwohl er neue Qualitäten aufweist, kann er immer noch als Imperialismus charakterisiert werden und erlebt immer noch große Ausbrüche der ihm innewohnenden Krisentendenz.(13)

Arbeit und Imperialismus

Lenin, Bucharin und Luxemburg sahen die internationale Arbeitsteilung als ein zentrales Merkmal des Imperialismus. Lenin zeigt anhand der Arbeitsteilung die Aufteilung zwischen Industrien, auf die verschiedene Banken bei ihren Investitionen den Fokus legen. Für ihn ist der Export von Kapital - im Kontrast zum Export von Waren - das zentrale Merkmal von Imperialismus: "Solange der Kapitalismus Kapitalismus bleibt, wird der Kapitalüberschuß nicht zur Hebung der Lebenshaltung der Massen in dem betreffenden Lande verwendet - denn das würde eine Verminderung der Profite der Kapitalisten bedeuten -, sondern zur Steigerung der Profite durch Kapitalexport ins Ausland, in rückständige Länder. In diesen rückständigen Ländern ist der Profit gewöhnlich hoch, denn es gibt dort wenig Kapital, die Bodenpreise sind verhältnismäßig nicht hoch, die Löhne niedrig und die Rohstoffe billig."(14)

Ähnlich argumentiert Bucharin, der sich auf Marx beruft. Die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land und zwischen Unternehmen, Branchen, ökonomischen Unterkategorien und Nationen - die internationale Arbeitsteilung - sind wichtige Merkmale des Kapitalismus. Diese Teilung hängt zum Teil von natürlichen Gegebenheiten (z. B. kann "Kakao [...] nur in tropischen Ländern erzeugt werden"(15) und teilweise von sozialen Gründen ab: "die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der Produktivkräfte", die "verschiedene wirtschaftliche Typen und verschiedene Produktionssphären hervorbringt und auf diese Weise die internationale Arbeitsteilung auf sozialer Grundlage ausdehnt."(16) Die "Arbeit jedes einzelnen Landes wird auf dem Wege des Austausches, der in internationalem Ausmaß erfolgt, zum Teil dieser gesellschaftlichen Gesamtarbeit."(17) Wegen des Weltmarktes und der ungleichen Produktivität sind weniger produktive Länder gezwungen, Waren zu Preisen unter ihrem Wert zu verkaufen, um konkurrieren zu können, was zu einem System ungleichen Tauschs führe.

Rosa Luxemburg fokussierte sich in ihrem Imperialismuskonzept auf die Verbindungen "zwischen dem Kapital und nichtkapitalistischen Produktionsformen". "Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege. Hier treten ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung zutage, und es kostet Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufinden."(18)

Für Luxemburg sind Raub und Ausbeutung der Arbeitskraft in die internationalen Beziehungen des Imperialismus eingeschrieben. "Das Kapital kann ohne die Produktionsmittel und die Arbeitskräfte des gesamten Erdballes nicht auskommen, zur ungehinderten Entfaltung seiner Akkumulationsbewegung braucht es die Naturschätze und die Arbeitskräfte aller Erdstriche." Das Kapital "kommt nicht bloß 'von Kopf bis Zeh, aus allen Poren blut- und schmutztriefend' zur Welt, sondern es setzt sich auch so Schritt für Schritt in der Welt durch"(19).

Obwohl Lenin, Bucharin und Luxemburg verschiedene Aspekte des Imperialismus politisch unterschiedlich bewerteten, vor allem in Bezug auf die Frage nach der Rolle des Nationalismus in Klassenkampf und Befreiung, sowie in Bezug auf nationale Selbstbestimmung sowie den Nutzen fremder Märkte im Kapitalismus, ist es klar, dass für alle drei Theoretiker die Peripherie nicht nur eine Quelle von Ressourcen und ein Markt zur Überschwemmung mit den Waren aus den kapitalistischen Zentren darstellt, sondern auch in die internationale Arbeitsteilung eingebettet ist.(20) Als Bestandteil dieser Teilung ermöglicht die Ausbeutung der Arbeiter in der Peripherie den Export und die Aneignung von Mehrwert durch große Unternehmen.

Die Internationale Teilung der Digitalen Arbeit

Globale Kommunikation, in Form von Telegraphen und internationalen Nachrichtenagenturen spielte eine Rolle im Imperialismus zur Zeit des Ersten Weltkrieges, indem sie dabei half, den Handel zu koordinieren, Investitionen, Akkumulation, Ausbeutung und Krieg zu organisieren. 100 Jahre später sind daraus mannigfaltige Mittel der Kommunikation und Informationsverarbeitung geworden, wie beispielsweise Supercomputer, das Internet, Laptops, Tablets, Handys und soziale Medien. Doch genau wie die Arbeit der Arbeiter in der Peripherie während der frühen Phasen des Imperialismus, spielt die Produktion von Information und die Informationstechnologie ihre Rolle als Teil einer internationalen Arbeitsteilung, die zunehmend die Modi von Produktion, Distribution und Konsumtion beeinflussen.(21)

Kritische Wissenschaftler haben das Theorem der neuen internationalen Arbeitsteilung in den 1970ern vorgeschlagen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Entwicklungsländer billige Quellen von Industriearbeit waren. Die meisten dieser Befunde gewannen sie dabei aus der Betrachtung aufsteigender multinationaler Konzerne.(22) In ihrem Buch "The Endless Crisis" beschreiben John Bellamy Foster und Robert W. McChesney den Aufstieg der Multis als den Versuch des Kapitalismus, die Langzeitstagnation der Ökonomie zu überwinden und globale Monopolprofite einzufahren. Multinationale Konzerne zielen darauf, die Lohnquote global zu senken und Profite zu erhöhen, indem sie ein System der globalen Konkurrenz unter Arbeitern installieren. Die Konsequenz ist der weltweite Anstieg der Ausbeutungsrate, die Foster und McChesney, inspiriert durch die Arbeit des kanadischen Wirtschaftswissenschaftlers Stephen Hymer, "eine Strategie des Teilen und Herrschen" nennen.

Tabelle 1 zeigt Vergleichsdaten der 2.000 größten multinationalen Unternehmen in den Jahren 2004 und 2014. Die Einnahmen dieser Unternehmen machten mehr als 50% des Weltbruttosozialproduktes aus und zeigen, dass die Multis auf eine Monopolstellung auf globalem Level hinarbeiten. In beiden Jahren entfielen gut Dreiviertel der Ausgaben auf den Finanz-, Versicherungs- und Immobiliensektor - wodurch Fosters und McChesneys Annahme bestätigt wird, dass man von einer Zeit des globalen Finanzmonopolkapitalismus sprechen kann. Trotzdem werden auch relevante Anteile von der Logistik eingenommen (Transport, Infrastruktur, Öl und Gas, Autos) sowie von der Industrie und der Informationsbranche (von Telekommunikationshardware über Halbleiter hin zu Werbeindustrie, Internetanbieter und Fernsehnetzwerke). All das zeigt, dass in wechselnden Schattierungen der globale Kapitalismus nicht nur ein Finanzmonopolistischer Kapitalismus, sondern auch ein Logistikmonopol-, Hyperindustriemonopol- und Informationsmonopolkapitalismus ist.

 Tabelle 1. Die 2000 größten multinationalen Unternehmen der Welt, 
 2004-2014 
2004
2014
Gesamter Umsatz
Gesamtes Anlagevermögen
Gesamte Profite
$ 19.934 Mrd.
$ 68.064 Mrd.
$ 760,4 Mrd.
$ 38.361 Mrd.
$ 160.974 Mrd.
$ 2.927,5 Mrd.
Anteil des Umsatzes am Weltbruttosozialprodukt
Anteil des Umsatzes des Finanz-, Versicherungs-
und Immobiliensektors in Gesamtvermögen
Anteil des Finanz-, Versicherungs- und
Immobiliensektors an gesamten Profiten
Anteil des Informationssektors am Gesamtvermögen
Anteil des Informationssektors an Gesamtprofiten
Anteil des Informationssektors am Gesamtumsatz
Anteil des Logistiksektors am Gesamtvermögen
Anteil des Logistiksektors an Gesamtprofiten
Anteil des Industriesektors am Gesamtvermögen
Anteil des Industriesektors an Gesamtprofiten
50,8 %
70,8 %

32,7 %

5,9 %
0,8 %
11,3 %
7,5 %
22,4 %
7,1 %
28,3 %
51,4 %
73,6 %

33,5 %

5,5 %
17,3 %
13,1 %
6,9 %
19,0 %
6,9 %
18,6 %
Chinesische Multis in den TOP 2000
US-amerikanische Multis in den TOP 2000
49
751
207
563
Anteile chinesischer Firmen am Gesamtvermögen
Anteil chinesischer Firmen am Gesamtprofit
Anteil nordamerikanischer und europäischer
Firmen am Gesamtvermögen
Anteil nordamerikanischer und europäischer
Firmen am Gesamtprofit
1,1 %
3,6 %
77,4 %

82,9 %

13,7 %
14,3 %
63,1 %

61,7 %


Ein bedeutender Wandel zwischen 2004 und 2014 war der Aufstieg der chinesischen Multis, deren Anteile, Umsätze und Profite dramatisch anstiegen. Europäische und nordamerikanische Unternehmen kontrollieren nun nicht mehr rund Dreiviertel, sondern eher Zweidrittel des globalen Kapitals, was bedeutet, dass sie nichtsdestotrotz immer noch vorherrschend sind. Dass die chinesischen Multis eine wichtigere Rolle spielen, zeigt weniger einen fundamentalen Bruch, sondern eher das China den Kapitalismus westlicher Provenienz kopiert, so dass ein "Kapitalismus chinesischer Prägung" die Welt erblickt hat.

Die neue internationale Arbeitsteilung bildet das Herz der Informations- und Digitalökonomie, die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und Informationen selbst herstellt. Verschiedene Formen der physischen Arbeit produzieren Informationstechnologien, die dann von Arbeitern in den Medien und Kulturindustrie genutzt werden, um digitale Inhalte zu erzeugen, wie beispielsweise Musik, Filme"Daten, Statistiken, Multimedia, Bilder, Videos, Animationen, Texte und Artikel. Technologie und Inhalt sind daher dialektisch miteinander verbunden, sodass die Informationsökonomie zugleich physisch und nicht-physisch zu sein scheint. Die Informationstechnologie ist weder ein Überbauphänomen noch immateriell, sondern eher eine spezifische Form der Organisation von Produktivkräften, die quer zur Basis-Überbau-Unterscheidung verläuft.

Bild 1 zeigt ein Modell der großen Produktionsprozesse, die in der internationalen Arbeitsteilung eine wichtige Rolle spielen. Jede Produktionsstufe beinhaltet menschliche Subjekte (S), die Arbeitstechnologien benutzen (T), diese auf Objekte der Arbeit (O) anwenden und so ein neues Produkt herstellen. Das Fundament, auf dem globale digitale Arbeit fußt, ist der agrarwirtschaftliche Arbeitskreislauf, in dem Bergleute Mineralien aus der Erde holen. Diese Rohstoffe werden dann Objekte in der nächsten Produktionsphase, in welcher sie zu Komponenten von IKT weiterverarbeitet werden, die dann selbst wieder zu Objekten im nächsten Arbeitsschritt werden: Fließbandarbeiter stellen digitale Medientechnologien mit Hilfe von IKT-Komponenten als Input her. Heraus kommen eben jene digitalen medialen Technologien, die die Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion verschiedener Typen von Informationen steuern.


Bild 1. Die internationale Arbeitsteilung

Bild 1. Die internationale Arbeitsteilung


Unter dem Label "Digitale Arbeit" versteht man also nicht nur die Produktion digitaler Inhalte. Vielmehr handelt es sich um eine Kategorie, die die ganze digitale Produktionskette umfasst, als Netzwerk agrarischer, industrieller und informationaler Arbeit, durch welche die Existenz und die Benutzung der digitalen Medien erst möglich wird. Die Subjekte (S), die in diese am Digitalen entlang organisierte Arbeit in Bergwerken, Fabriken und vor dem Bildschirm verstrickt sind, stehen in einer spezifischen Beziehung zur Produktion. Das, was im Schaubild unter S subsumiert wird, ist also tatsächlich eine Beziehung zwischen S1 und S2, eine Beziehung zwischen verschiedenen Subjekten und Subjektgruppen.

Heute setzen sich die meisten dieser "digitalen" Produktionsbeziehungen aus Lohnarbeit, Sklavenarbeit, unbezahlten prekärer und selbstständiger Arbeit zusammen, wodurch die internationale Arbeitsteilung als großes und komplexes Netzwerk von aneinander geschalteten, globalen Prozessen der Ausbeutung erscheint. Diese reichen von den kongolesischen Sklavenbergarbeitern, die die seltenen Erden für die IT-Industrie dem Berg abringen über ausgebeutete Lohnarbeiter in Foxconn-Fabriken und schlecht bezahlte Softwarehersteller in Indien bis zu den hoch bezahlten, schwer gestressten Softwareentwicklern bei Google und anderen westlichen Unternehmen, prekarisierten digitalen Freelancern, die Kultur verbreiten und schöpfen und zuletzt den E-Müll-Arbeitern, die die Informationstechnologien wieder auseinandernehmen und sich dabei giftigen Stoffen aussetzen.

Schauen wir auf ein Beispiel digitaler Arbeit. 2015 gehörte Apple laut dem Magazin Fortune zu den größten transnationalen Unternehmen der Welt. Apple war damals die zwölftgrößte Firma der Welt. Seine Profite stiegen von $ 37 Milliarden 2013 bis zu knapp $ 40 Milliarden 2014 und sogar $ 44,5 Milliarden im Jahr 2015. Im gleichen Jahr machten iPhones 56% des Anteils an Nettoverkäufen aus, iPads lagen bei 17%, Macs bei 13 % und Software sowie andere Dienste bei ca. 10%. Die chinesische Arbeit, die in einem iPhone steckt, machte nur 1,8% des Preises aus, während Apples iPhone-Profite bei satten 58,5% lagen und Apples Zulieferer, so wie die taiwanesische Firma Foxconn, allein 14,3% Profit machten. Daher kostet das iPhone 6 Plus $ 299 nicht aufgrund der hohen Herstellungskosten, sondern weil Apple im Durchschnitt $ 175 an Profit macht, Foxconn noch mal $ 43 rausschlägt, während die Arbeiter nur einen Lohn von $ 5 bekommen. Die hohen Kosten von iPhones und anderen Produkten sind eine Konsequenz einer hohen Profitrate und der hohen Ausbeutungsrate der Arbeit - direkte Ergebnisse der internationalen Arbeitsteilung im digitalen Zeitalter. China spielt dabei laut Foster und McChesney die Rolle einer "verlängerten Werkbank der Welt" in einem System "des Ausnutzens globaler Lohnunterschiede [...] und extremer Ausbeutung."(23)

Auf Fortunes Liste der 500 umsatzstärksten Unternehmen nimmt Foxconn, mit mehr als einer Million Arbeitern, vornehmlich jungen Wanderarbeitern aus den ländlichen Regionen Chinas, den Platz als drittgrößter Arbeitgeber in der Welt ein. Die Firma baut das iPad, den iMac, das iPhone, den Amazon Kindle, aber auch die Videospielkonsolen von Sony, Nintendo und Microsoft. Als 17 Foxconn-Arbeiter zwischen Januar und August 2010 versuchten sich umzubringen und dies den meisten von ihnen gelang, erhielt das Problem der fürchterlichen Arbeitsbedingungen in der chinesischen Computerindustrie eine größere Aufmerksamkeit. Es wurden bereits einige wissenschaftliche Studien veröffentlicht, die regelmäßig den Alltag in den Foxconn-Fabriken schilderten, in denen Arbeiter niedrige Löhne erhalten und Überstunden leisten müssen sowie regelmäßig kurzfristigen Arbeitsplanänderungen ausgesetzt sind. Dazu kommen nicht adäquate Schutzkleidungen; überfüllte, gefängnisartige Unterbringungen; ekelerregendes Essen; gelbe Gewerkschaften, die von Firmenvertretern geleitet werden und denen kein Arbeiter über den Weg traut; Gesprächsverbote während der Arbeit; Prügel und Schikanen durch Sicherheitsleute sind an der Tagesordnung.

Dennoch rühmt sich Apple in seinem Fortschrittsbericht über die Verantwortung der Zulieferer aus dem Jahr 2014: "wir [haben] dafür gesorgt, dass bei unseren Zulieferern eine maximale Arbeitszeit von 60 Stunden pro Woche im Schnitt zu 95% eingehalten wird." Die ILO-Konvention C030 über Arbeitsstunden empfiehlt ein Limit von 48 Stunden pro Arbeitswoche und nicht mehr als 8 Stunden pro Tag. Dass sich Apple damit rühmt, eine 60-Stunden-Woche bei ihren Zulieferern durchzusetzen, zeigt, dass die derzeitige internationale Teilung der Digitalen Arbeit nicht nur ausbeuterisch, sondern dazu auch noch handfest rassistisch ist: Apple nimmt an, dass 60 Stunden für die Menschen in China ein angemessener Standard wäre.

Der 2014er Report der Firma behauptet zudem, dass die Firma die Arbeitsbedingungen von mehr als einer Million Arbeiter überwachen könne. Da sich Apple dabei nicht auf unabhängige NGOs wie Students And Scholars Against Corporate Misbehaviour (SACOM) verlässt, handelt es sich um einen zwingend parteiischen Bericht: Arbeiter, die durch ihre eigenen Bosse untersucht werden, werden sicher nicht in angemessener Weise ihre Beschwerden vortragen, wenn dabei ihr Job auf dem Spiel steht.

Zu den vielen Verletzungen von Arbeitsrechten, die oben aufgelistet sind. tritt noch eine weitere Tatsache hinzu: Der Stil und die Sprache des Berichtes suggerieren, dass die Verfehlungen den Zulieferern und den lokalen Agenturen allein zuzuschreiben sind. "Wir verlangen von unseren Zulieferern, dass sie die strengen Standards des Apple Verhaltenskodex einhalten, und wir legen die Messlatte für unsere Erwartungen jedes Jahr höher. [...] Alle unsere Endfertigungsstandorte werden von uns jedes Jahr kontrolliert." Ein Bericht wie dieser würde niemals anerkennen, dass solch ein Verhalten tatsächlich die Folge des Verlangens internationaler Unternehmen nach schneller und billiger Produktion ist. Apples ideologische Strategie soll die Aufmerksamkeit von ihrer eigenen Verantwortung für die Ausbeutung der chinesischen Arbeiter ablenken.

Fazit: Ideologie und Widerstand

Die Firma mit dem Apfel hat das iPhone 5 als Handy "für alle, die bunt leben" vermarktet. Solche Slogans sollen uns vermitteln, dass die digitale technische Revolution uns eine neue und bessere Gesellschaft gebracht hat, von der alle profitieren. Ähnliche ideologische Prämissen und Behauptungen können im Kontext der sozialen Medien, des Cloud Computing, Big Data, Crowdsourcing und ähnlichen Phänomenen ausgemacht werden. Solche Annahmen sind Formen eines technologischen Fetischismus, der darauf hinausläuft, dass Technologie von sich aus schon eine bessere Gesellschaft hervorbringt, ohne die sozialen Beziehungen zu analysieren, in denen sie eingebettet ist. In diesem technologischen Fetischismus nimmt "das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen" die Form "eines Verhältnisses von Dingen" an.(24)

Betrachtet man diese internationale Arbeitsteilung mit Lenin, Luxemburg und Bucharins klassischen Imperialismuskonzepten, so hilft das uns, hinter diesen technologischen Fetischismus zu schauen. Das Beispiel Apple zeigt, dass digitale Technologie und die Ideen, die sie in Werbung und der Politik umranken, durch eine Faszination für das Neue hervorgebracht werden und notwendig die Permanenz globaler Ausbeutung ausblenden.

Apple erwirtschaftet hohe Gewinne in der internationalen Teilung der digitalen Arbeit durch das Outsourcen von Montagearbeiten nach China, wo die westliche Strategie des "Kapitalexports" aufgrund niedriger Löhne und hoher Ausbeutungsraten der Arbeit hohe Profite abwirft. Die Ausbeutung der Arbeiter bei Foxconn, Pegatron und anderen Firmen zeigt, dass das Kapital nicht nur "'von Kopf bis Zeh, aus allen Poren blut- und schmutztriefend' zur Welt [kommt], sondern [...] sich auch so Schritt für Schritt in der Welt durch[setzt]"(25). Durch und durch bleiben Lenins und Luxemburgs Analysen für das 21. Jahrhundert so richtig, wie sie es vor 100 Jahren waren.

Foster und McChesney argumentieren, dass "kapitalistische Widersprüche chinesischer Prägung" Überinvestitionen in den Bausektor und den Immobilienmarkt, eine schwache Binnenkonsumtion, extreme Ausbeutung, wachsende Ungleichheit, ungenutzte Infrastruktur, Diskriminierung gegen Wanderarbeiter, Luftverschmutzung und Umweltschäden umfassen.(26) Trotzdem tendierten die Medien dazu, die aktive politische Kultur der Kämpfe der Arbeiterklasse und anderer sozialer Auseinandersetzungen zu ignorieren, die aus diesen Widersprüchen erwachsen. Geht es nach den Zahlen des China Labour Bulletin gab es in China im Jahr 2014 1.276 Streiks. Es handelt es sich bei China nicht um eine monolithische Gesellschaft, sondern um eine, die durchaus mit aktiven und lebendigen Kämpfen der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung vertraut ist. Im Oktober 2014, kurz nach vereinzelten Arbeiterunruhen im Juni, gingen einige tausend Arbeiter in den Foxconn-Fabriken in Chongqing in den Streik für Lohnerhöhungen.

Das kurz- und mittelfristige Ziel der Kämpfe der digitalen Arbeiterklasse sollte die Bildung von durch Arbeiter kontrollierten Fabriken in den digitalen und kulturellen Industrien sein, auf allen Ebenen der Organisation und über den ganzen Globus verteilt, egal ob es dabei um die sozialen Medien, die Softwareprogrammierung, die Freelance-Ökonomie, den Bergbau oder die Montage geht. Auf lange Sicht sollte als Ziel ausgegeben werden, die kapitalistische Organisation dieser Sphären zu überwinden, zusammen mit der kapitalistischen Gesellschaft insgesamt. Die Frage, welche Rolle bei diesen Kämpfen die nationale oder die internationale Dimension spielen sollte, muss Gegenstand strategischer politischer Debatten sein. In einem Aufruf des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation aus dem Jahre 1867 schrieb Marx, dass "die Fabrikherrn, um ihren Arbeitern zu widerstehen, sowohl fremde Arbeiter kommen, als auch die Waren dort anfertigen ließen, wo die Arbeitslöhne billiger stehen." Es ist heute noch genauso wahr wie damals, dass, falls "die Arbeiterklasse [...] ihren Kampf mit einiger Aussicht auf Erfolg fortsetzen will", die einzig adäquate Antwort auf die globale kapitalistische Herrschaft, die Umgestaltung "ihre[r] nationalen Assoziationen in internationale" ist.(27)


Prof. Dr. Christian Fuchs, London, Medien- und Kommunikationswissenschaftler, Hochschullehrer am Communication and Media Research Institute (CAMRI) der University of Westminster

Übersetzung: Alan van Keeken


Anmerkungen

(1) Für eine detaillierte Analyse vgl. C. Fuchs: Media, War and Information Technology, in: D. Freedman/D.K. Thussu (Hrsg.): Media and Terrorism: Global Perspectives, London 2012, S. 47-62; ders.: Critical Globalization Studies: An Empirical and Theoretical Analysis of the New Imperialism, in: Science & Society, Jg. 74, Nr. 2/2010, S. 215-247; ders.: Critical Globalization Studies and the New Imperialism, in: Critical Sociology, Jg. 36, Nr. 6/2010, S. 839-867; ders.: New Imperialism: Information and Media Imperialism?, in: Global Media and Communication, Jg. 6, Nr. 1/2010, S. 33-60.

(2) LW Band 22, S. 271.

(3) N. Bucharin/E. Preobraschenski: Das ABC des Kommunismus. Populäre Erläuterung des Programms der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki), 1920, 527, in: Manesse Bibliothek der Weltgeschichte, Zürich 1985, S. 198.

(4) N. Bucharin: Imperialismus und Weltwirtschaft, 1917, 12. Kapitel, online unter:
https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bucharin/1917/imperial/index.htm.

(5) Bucharin: Imperialismus, a.a.O., 13. Kapitel.

(6) Ebenda.

(7) LW Band 22, S. 273.

(8) R. Luxemburg: Gesammelte Werke. Band 5, Berlin (DDR) 1975, S. 391.

(9) Ebenda, S. 311.

(10) Ebenda, S. 391.

(11) LW Band 22, S. 283.

(12) Bucharin/Preobraschenski: ABC, a.a.O., 534.

(13) J.B. Foster/R.W. McChesney: The Endless Crisis. How Monopoly-Finance Capitalism Produces Stagnation and Upheaval from the USA to China, New York 2012; D. Harvey: Der neue Imperialismus, Hamburg 2005; E.M. Wood: Empire of Capital, London 2003.

(14) LW Band 22, S. 245.

(15) Bucharin: Imperialismus, a.a.O., Erstes Kapitel.

(16) Ebenda.

(17) Ebenda.

(18) Luxemburg: Gesammelte Werke. Band 5., a.a.O., S. 397.

(19) Ebenda, S. 314 und 398.

(20) Vgl. P. Mattick: Die Gegensätze zwischen Luxemburg und Lenin, in: Rätekorrespondenz, Heft 12/1935, S. 1-23.

(21) C. Fuchs: Digital Labor and Karl Marx, New York 2014.

(22) F. Fröbel/J. Heinrichs/O. Kreye: Die neue internationale Arbeitsteilung. Strukturelle Arbeitslosigkeit in den Industrieländern und die Industrialisierung der Entwicklungsländer, Reinbek 1977.

(23) Foster/McChesney: Endless Crisis, a.a.O., S. 172.

(24) MEW Band 23, S. 86.

(25) Luxemburg: Gesammelte Werke. Band 5., a.a.O., S. 398.

(26) Foster/McChesney: Endless Crisis, a.a.O., S. 157.

(27) MEW Band 16, S. 526.

*

Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 3-16, 54. Jahrgang, S. 27-37
Redaktion: Marxistische Blätter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2016

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