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MARXISTISCHE BLÄTTER/618: Die modernen Clickarbeiter


Marxistische Blätter Heft 3-16

Die modernen Clickarbeiter

Von Marcus Schwarzbach


Crowdsourcing beinhaltet, dass Arbeit, die bislang im Unternehmen selbst erledigt wurde, ausgelagert wird. Unter "Crowdsourcing" versteht man die "Strategie des Auslagerns einer üblicherweise von Erwerbstätigen entgeltlich erbrachten Leistung durch eine Organisation oder Privatperson mittels eines offenen Aufrufes an eine Masse von unbekannten Akteuren, bei dem der Crowdsourcer und/oder die Crowdsourcees frei verwertbare und direkte wirtschaftliche Vorteile erlangen."(1)

Das passiert beispielsweise über virtuelle Netzwerke oder das Internet. "Firmen stellen Aufträge einfach online ins Netz, sie müssen sich noch nicht einmal mehr um die Frage 'Leiharbeit oder Werkverträge?' kümmern und warten nur noch, bis die Dienstleistung geliefert wird. Die beste und billigste Lösung erhält den Zuschlag. Alle anderen haben umsonst gearbeitet. Im Internet konkurrieren dann fachliche Experten aus der ganzen Welt um den Auftrag, selbstverständlich unter der Leistungs- und Verhaltenskontrolle des Auftraggebers", schildert Ralf Kronig, Betriebsratsmitglied bei der SAP AG, die Situation.(2)

Crowdworking-Plattformen wie "Clickworker" sind die Vorboten einer neuen Arbeitsorganisation. Bei den Internetmarktplätzen für Arbeit ist die Macht klar auf Seiten der Auftraggeber. Bezahlt wird oft nur derjenige, der zuerst eine Lösung einreicht, die den Anforderungen des Auftraggebers entspricht. Bei Amazon Mechanical Turk, einer der ersten und bekanntesten Crowdsourcing-Plattformen, liegt deshalb der durchschnittliche Stundenlohn bei nur 1,25 Dollar.

"Vieles sind eigentlich arbeitnehmerähnliche Verhältnisse. Damit werden Mitbestimmung, Tarifverträge, soziale Sicherungssysteme und vieles andere ausgehebelt", sagt Christiane Benner vom IG-Metall-Vorstand.(3) Probleme wie Altersarmut oder die Versorgung bei Krankheit liegen dann auf den Schultern der Crowdworker:

"Ein einzelner Selbstständiger ist dabei der Plattform und dem Auftraggeber mehr oder weniger ausgeliefert. Der Berliner Webdesigner Yves Hönicke kann ein Lied davon singen: 'Bei freelancer.com zahlt beispielsweise nur der Auftragnehmer. Du musst bestimmte Prüfungen machen, für die du bezahlst. Wenn du ein Abo hast, wirst du besser auf der Seite platziert und so weiter.' Die Projekte werden dann ausgeschrieben, man bietet einen Preis und einen Termin an. Durch den internationalen Wettbewerb ist der Preisdruck allerdings sehr hoch. 'Viele Kunden sehen durch den fehlenden persönlichen Kontakt auch gar nicht, wie viel Arbeit in manchen Dingen steckt. Das normale Stundenhonorar von 45 Euro kann man dort kaum durchsetzen, es läuft auf 17 bis 20 Euro heraus', sagt er. 'Und wenn der Auftraggeber nicht zahlt, kann kaum etwas auf ihn zurückfallen.' Die Plattform designenlassen.de etwa funktioniert schon fast wie eine Lotterie. Es wird ein Wettbewerb zum Beispiel für die Erstellung eines Firmenlogos ausgeschrieben und nur der Erstplatzierte erhält überhaupt Geld. Bisher nutzt Hönicke die Plattformen nur bei Auftragsflauten."(4)

Organisierung der Crowdworker

In den USA ist die Organisierung der Crowdworker schon weiter. "Crowd Workers of the World, Unite" lautet das Motto der Beschäftigten bei Amazon Mechanical Turk. Über die Seite "Turkopticon" bewerten sie ihre Auftraggeber. Die öffentlichen Bewertungen auf Turkopticon bauen Druck gegen schlechte Anbieter auf und dienen als Entscheidungshilfe für andere. Denn nicht immer wird die geleistete Arbeit überhaupt bezahlt. Missstände werden so aufgedeckt: Unsicherheiten bei der Bezahlung, unerreichbare Zielvorgaben bei den Aufträgen oder niedriges Honorar.

Crowdsourcing fordert Betriebsräte und Gewerkschaften

Das Zerlegen von Arbeit in kleine und zumeist einfache Tätigkeiten ermöglicht es den Auftraggebern, auf eine Unmenge an Anbietern zurückzugreifen, die sich weltweit unterbieten. Crowdsourcing ist aber nicht nur bei kleinen Nebenjobs oder einfachen Aufgaben bedeutsam. Auch bislang abgesicherte und hochqualifizierte Arbeitnehmer sind von einschneidenden Veränderungen betroffen.

Der Software-Riese IBM nutzt Crowdsourcing bereits - das Konzept heißt "GenO - Generation Open": Große Projekte werden in viele kleine Pakete zerlegt, die 40 bis 80 Stunden umfassen. Freie Programmierer oder IBM-Angestellte aus dem weltweiten IBM-Verbund sollen sich auf Online-Ausschreibungen bewerben.

Durch seine Mitbestimmungsrechte konnten die Betriebsräte bei IBM verhindern, dass Programmierer in der Bundesrepublik durch diese Versteigerungsplattformen ihren Arbeitnehmerstatus verlieren.

Gleichzeitig steigt der Druck durch zunehmende Konkurrenz der weltweiten GenO-Programmierer. Von den Beschäftigten hört man, dass die Arbeit dadurch nicht effektiver werde - vielmehr erhöht sich der Stress: Ein Projekt erhält weniger an Budget als vorher, gleichzeitig ist unklar, ob die einzelnen GenO-Arbeitspakte dann für das Gesamtprojekt verwendbar sind.(5)

Auch kritisieren Betriebsräte das bei IBM praktizierte Crowdsourcing-Konzept. Es gebe "enormen Aufwand, Crowd-Sourcing-Projekte zu entwickeln, entsprechende (Teil-)Aufgaben zu definieren, auszuschreiben, zu prüfen und zusammenzuführen". Gleichzeitig gebe das Unternehmen keinerlei Informationen über die damit verbundenen tatsächlichen Kosten heraus.(6)

Der Arbeitsrechtler Thomas Klebe betont, dass der Arbeitnehmerstatus nicht automatisch durch Crowdsourcing entfällt: "Das sogenannte interne Crowdsourcing läuft über firmeneigene Plattformen. Die Crowdworker sind und bleiben in diesem Fall normale Beschäftigte mit allen Arbeitnehmerrechten. Bei externem Crowdsourcing ist das anders. Dabei werden die Crowdworker bisher als Selbstständige, als Unternehmer, behandelt und fallen nicht einmal unter den Schutz des Heimarbeitsgesetzes."(7)

Die soziale Lage der Crowdworker müsse grundlegend verbessert werden, meint Klebe. Die Plattformbetreiber sind auf faire Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu verpflichten. Da fehlt das Handeln des Gesetzgebers.

Die Betriebsräte sind bei Crowdsourcing besonders gefordert. Jedes neue Tool muss konsequent hinterfragt werden. Durch Mitbestimmungsrechte müssen Betriebsvereinbarungen durchgesetzt werden, die Arbeitnehmer vor einer Ausgliederung schützen. Die IG Metall bietet das Portal "faircrowdwork.org" an. Ein ver.di-Beratungsteam ist unter cloudworker-beratung.de zu erreichen. Crowdworker sollen sich so vernetzten und können Auftraggeber bewerten.

Die Crowdworker-Aktivistin Kristy Milland hat vorgeschlagen, die Netzarbeiter sollten selbst die Produktionsmittel übernehmen und eigene Plattformen schaffen. "Nur so können wir dafür sorgen, dass nicht die herrschenden Konzerne von unserer Arbeit profitieren, sondern wir selbst."(8) Es bleibt also die Hoffnung, dass die erste Crowdfunding-Kampagne für eine weltweite Crowdworking-Genossenschaft nicht mehr lange auf sich warten lässt.

Vom Arbeitsvertrag zum Werkvertrag? Forderungen an den Gesetzgeber

Diese neuen Formen der Arbeitsorganisation können von Unternehmern genutzt werden, um die Struktur des Arbeitsvertrages hin zum Werkvertrag zu verändern. Die arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Erbringung einer Arbeitsleistung ergibt sich aus § 611 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Danach ist der Arbeitnehmer "zur Leistung der versprochenen Dienste" verpflichtet. Der Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag, der Ort, Zeit und Art der Arbeit enthalten sollte. Geschuldet wird die Leistung einer bestimmten Tätigkeit. Im Gegensatz dazu ist beim Werkvertrag die Arbeit Mittel zum Erfolg. Es zählt nur noch ein bestimmtes Ergebnis oder ein Produkt. Hierbei spielt es keine Rolle, in welcher Zeit eine Arbeit abgeschlossen wird. Dieses Vorgehen widerspricht den rechtlichen Vorgaben eines Arbeitsvertrages. Aus Unternehmersicht sind die Vorteile jedoch eindeutig. Bezahlte Überstunden fallen weg und die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten sowie Ruhepausen sind nicht mehr zu berücksichtigen.

"Um den Missbrauch besser nachzuweisen, ist die Umkehr der Beweislast wichtig. Und wir brauchen eine rechtzeitige und umfassende lnformationspflicht an den Betriebsrat, die auch empfindliche Folgen nach sich zieht, wenn sie verletzt wird", fordert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.(9) Per Gesetz solle eine Beweislastumkehr erfolgen - tragen Betriebsräte Indizien vor, dass es sich um Arbeitnehmer handelt, die jetzt per Werkvertrag beschäftigt werden, müsse der Arbeitgeber das Gegenteil beweisen, so Wolfgang Däubler. Der Bremer Arbeitsrechtsprofessor fordert bei der Auslagerung von vormals betriebsinternen Aufgaben einen Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf die gleichen Entgelte und Arbeitsbedingungen wie die Stammbelegschaft. Bürgen sollten dafür die Unternehmen, die die Aufträge an Fremdfirmen vergeben, so Däublers Vorschlag.(10) Wegen der Zunahme der digitalen Arbeit sind Däublers Ausarbeitungen aktueller denn je.

Gute digitale Arbeit - Regelungen durch Betriebsräte und Gewerkschaften

Industrie 4.0 ist keine Science-Fiction aus dem Labor. Sie hält längst Einzug in die Industrie. Bosch, Siemens, Festo, Daimler, Volkswagen und viele andere Unternehmen haben sich mit der Wissenschaft in gemeinsamen Projekten zusammengeschlossen. Die Bundesregierung fördert die Projekte bislang mit mehr als 120 Millionen Euro und hat weiteres Geld in Aussicht gestellt. In den Entwicklungsabteilungen wird an neuer Software, Sensoren, Robotern und Augmented-Reality-Assistenzsystemen gebastelt. Durch Datenbrillen wird das über eine Mini-Digitalkamera aufgenommene Bild für den Arbeitnehmer übertragen und mit Daten aus dem Internet kombiniert.

Auch wenn unklar ist, wie viele Betriebe von diesen Veränderungen betroffen sind, zeigen die in diesem Buch zusammengestellten Beispiele, wie weit die Entwicklung teilweise schon ist. Das Siemens-Elektronikwerk in Amberg ist komplett digitalisiert, beim Audi-Werk in Ingolstadt sind intelligente Roboter in Arbeitsabläufe der Teams integriert, "menügeführt" wird bei der Firma DMG Mori Seiki in Bielefeld mit Maschinen gearbeitet.

In einer Befragung von Managern und Wissenschaftlern, die das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) durchführte, gaben 97 % der Befragten an, dass menschliche Arbeit in fünf Jahren wichtig oder sogar sehr wichtig sein werde.(11) Unter welchen Bedingungen diese Arbeit vorgenommen wird, ist auch eine Frage der politischen Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Gewerkschaften und Betriebsräte sind deshalb besonders gefordert. Hybride Systeme beispielsweise können Tätigkeiten entfallen lassen, also Arbeitsplätze gefährden, und zur Überforderung bei den Beschäftigten führen, denn bei Zusammenarbeit mit intelligenter Technologie haben die Arbeitnehmer eine hohe Verantwortung.

In vielen Betrieben sind technisch-organisatorische Veränderungen durch digitale Arbeit im Gange, die seit Langem aus Callcentern bekannt sind. Die Technik ermöglicht es, die Beschäftigten ständig zu überwachen, zu bewerten und zu steuern. Die gleichen Erfahrungen machen Kollegen in anderen Unternehmen: in Verkaufs- und Serviceabteilungen, im stationären Einzelhandel, in Versicherungen oder etwa Banken. Von einer "Call Centrifizierung" spricht deshalb Klaus Heß von der Technologie-Beratungsstelle NRW:(12)

Automatisierte Arbeitsverteilung - In Bereichen mit Kundenkontakt haben die Mitarbeiter keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung, welche Arbeitsvorgänge sie übernehmen. Stattdessen wird die eingehende Arbeit automatisiert durch Workflowsysteme in persönliche Arbeitskörbe verteilt und gesteuert.

Kontrolle durch Monitoring - Über das Monitoring werden Beschäftigte sowie Kunden ausgespäht, jeder Kundenkontakt dokumentiert, durch das Kundenbeziehungsmanagement nachverfolgt und ausgewertet, also transparent gemacht.

Geschäftsprozessoptimierung - Der Geschäftsprozess beginnt mit der Kundenanfrage und reicht bis zur Feststellung der Kundenzufriedenheit. Gemessen werden etwa die Bearbeitungsdauer, Gesprächsdauer, Wartezeiten, Antwortzeiten, Prozessdurchlaufzeiten oder Service Level. Auf dieser Basis werden die Prozesse ständig gemessen, standardisiert und durch Zeitvorgaben kontrolliert.

Flexibilisierung des Arbeitskräfte-Managements
- Mithilfe statistischer Erhebungen und Vorhersagen des Arbeitsanfalls und Kundenverhaltens sollen stundentaktgenaue Vorgaben des Arbeitsvolumens ermittelt werden, um Personalkapazitäten, Dienstpläne und die Verteilung der Arbeitszeiten bis hin zur Lage der Pausen zu steuern.

Zwar wird der Begriff Callcenter vermieden, es ist von Kunden- oder Service-Centern die Rede. Es handelt sich aber nichtsdestotrotz um das Callcenter-Prinzip, wenn es um die Einführung solcher organisatorischer und technischer Arbeitssysteme geht und Umstrukturierungen anstehen.

Aus Sicht der Beschäftigten ergeben sich folgende Handlungsfelder:

Arbeitsplatzsicherung - Maschine statt Mensch?
Technik ersetzt immer auch menschliche Arbeit - das ist seit der Industrialisierung so. Deshalb werden auch bei digitaler Arbeit Strategien zur Sicherung von Arbeitsplätzen gefordert sein.

Arbeitszeit - Pflicht zu Arbeit on demand?
Produktion "on demand" ist ein wichtiges Schlagwort der digitalen Arbeit - für die Belegschaft heißt dies, direkt nach Kundenauftrag zu produzieren. Es wird also erhöhten Zeitdruck geben.

In allen Untersuchungen zu Industrie 4.0 ist von Flexibilität der Arbeitnehmer die Rede. "Mit der Gestaltung cyber-physischer Systeme eng verbunden ist das Ziel, die Flexibilität in Bezug auf Kundenerwartungen und -wünsche zu erhöhen. Das setzt neben flexibler Technik voraus, dass sowohl die Betriebs- als auch die Arbeitszeit flexibel bezüglich der Kapazitätsbedarfe ist", formuliert Klaus-Detlev Becker, Institut für angewandte Arbeitswissenschaft.(13) "Wir werden viel kurzfristiger auf Dinge reagieren müssen. Dazu müssen wir relativ schnell unsere Daten verdichten und aufbereiten und zu Entscheidungen kommen", betont Unternehmensgründer Manfred Wittenstein.(14)

Die Arbeitszeit ist immer ein hart umkämpftes Thema im Betrieb, ob bei Tarifverhandlungen oder bei Regelungen in Betriebsvereinbarungen - so wird es auch bei der Arbeit 4.0 sein. Meldungen wie "Arbeitgeber fordern Abschaffung des Acht-Stunden-Tags"(15) haben die Dimensionen der Forderungen deutlich gemacht!

Arbeitsbedingungen - Maschine steuert Mensch?
Im Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0 werden die Anforderungen an die Beschäftigten in der digitalen Arbeitswelt so beschrieben: "Entscheidend für eine erfolgreiche Veränderung, die durch die Beschäftigten positiv bewertet wird, sind neben umfassenden Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen die Organisations- und Gestaltungsmodelle von Arbeit. Dies sollen Modelle sein, die ein hohes Maß an selbstverantwortlicher Autonomie mit dezentralen Führungs- und Steuerungsformen kombinieren."(16)

Lebenslanges Lernen - wie wird qualifiziert für die digitale Arbeit?
Durch zunehmenden Technikeinsatz steigen die Anforderungen an die Beschäftigten. Mit fortschreitender IT-Durchdringung "dürfte sich der Abbau einfacher, manueller Tätigkeiten in der industriellen Fertigung fortsetzen", schätzt Constanze Kurz, Leiterin des Ressorts Zukunft der Arbeit beim Vorstand der IG Metall.(17) Arbeitsplätze, die erhalten bleiben, werden also erhöhte Anforderungen haben - denen nur qualifizierte Arbeitnehmer entsprechen können. Die Gewerkschaften sehen deshalb erheblichen Regelungsbedarf. Kurz sieht mit dem Aufkommen von Industrie 4.0 eine steigende Bedeutung des Themas "lebenslanges Lernen".

Das sind die kurz beschriebenen Handlungsfelder. Regelungsmöglichkeiten bestehen hier für die Gewerkschaften über Tarifverträge. Aber auch Betriebsräte vor Ort können Regelungen erzwingen. Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat bei Technik-Einsatz gemäß § 87 Abs. 1 Zif. 6 BetrVG. Manche Sorge der Kapitalseite ist aber übertrieben. Dass Unternehmensvertreter in den Slogan einstimmen, "Deutschland stehe vor einem Comeback der Mitbestimmung", hat mit der Realität wenig zu tun.

Ebenso überzogen ist die Feststellung von Robert Weber, Chefredakteur des Fachmagazins "Elektrotechnik Automatisierung": Hauptnutznießer der digitalisierten Arbeit seien Betriebsräte, "denn das Betriebsverfassungsgesetz könnte für so manches Datenprojekt an der Maschine eine hohe Hürde darstellen."(18)

Alles in allem bietet die Mitbestimmung also engagierten Betriebsräten Möglichkeiten, im Sinne der Beschäftigten Arbeitsabläufe mitzugestalten.

Um nicht nur über Abwehrschlachten zu reden, sondern Unternehmensplanungen mit einem Gegenkonzept zu begegnen, haben die Gewerkschaften das Konzept "Gute Arbeit" entwickelt. "Gute Arbeit" ist eine Antwort auf sich verschärfende Arbeitsbedingungen. Stress am Arbeitsplatz, das ständige Gefühl der Überforderung bis hin zu Gesundheitsschäden wegen Überarbeitung bestimmen zunehmend den Alltag vieler Beschäftigten. Denn kurzfristige Aktionärsinteressen dominieren die Politik der Unternehmen. Der Marktdruck wird direkt an die Arbeitsgruppen und Beschäftigten weitergeleitet.(19)

Aber was kann "gute Arbeit" in der digitalen Welt bedeuten - oder: Wie kann GUTE DIGITALE ARBEIT aussehen?


(Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages aus dem neuen Buch von Marcus Schwarzbach, Work around the clock? - Industrie 4.0, die Zukunft der Arbeit und die Gewerkschaften, PapyRossa 2016.)

Marcus Schwarzbach, Kaufungen, Publizist und Berater in Mitbestimmungsfragen


Anmerkungen

(1) Christian Papsdorf: Wie Surfen zur Arbeit wird. Crowdsourcing im Web 2.0, Frankfurt am Main/New York.

(2) Ralf Kronig: Betriebsklimakatastrophe: "Mit Eurem Siegeswillen unschlagbar", Zur "Haltbarkeit" der Beschäftigten bei SAP, in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1-2/2013, auch unter: www.labournet.de, 26.2.2013.

(3) "Arbeitsteilung extrem", in: neues deutschland, 22.5.2015.

(4)Ebenda.

(5) IG Metall: Crowdsourcing bei IBM: Beschäftigte im globalen Wettbewerb um Arbeit, 7.2.2013, www.igmetall.de.

(6) Viktor Steinberger: Arbeit in der Industrie 4.0, in: Computer und Arbeit 6/2013, S. 4.

(7) Thomas Klebe ist Leiter des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) in Frankfurt, vgl. "Schlechte Arbeitsbedingungen sind keine Privatsache." Interview mit Arbeitsrechtler Thomas Klebe zum Thema Crowdsourcing, 4.5.2015, www.igmetall.de.

(8) Thomas Wagner: Sie nennen es Freizeit, in: junge Welt, 6.5.2015.

(9) Mitbestimmung. Das Magazin der Hans Böckler Stiftung, Nr. 7-8/2015, S. 15.

(10) "Werkverträge im Kommen", in: taz, 5.12.2011.

(11) Alfons Botthof/Ernst Andreas Hartmann (Hrsg.): Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0, Berlin/Heidelberg 2015, S. 36.

(12) Vgl. Fachzeitschrift Computer und Arbeit, 9/2014, S. 13-15.

(13) Zitiert nach: Botthof/Hartmann: Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0, a. a.O., S. 26.

(14) Fraunhofer-IAO: Produktionsarbeit der Zukunft - Industrie 4.0, Stuttgart 2013, S. 22.

(15) Die Welt, 23.7.2015.

(16) Arbeitskreis Industrie 4.0, Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0. Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0, S. 27.

(17) Zitiert nach: Botthof/Hartmann: Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0, a.a.O., S. 36.

(18) Robert Weber: Deutschland vor Comeback der Mitbestimmung: Warum sich die Gewerkschaften über Industrie 4.0 freuen,
www.manager-magazin.de, 15.7.2015.

(19) Vgl. Dieter Sauer: Die Krise zu einer Wende in der Zeit- und Leistungspolitik nutzen!, in: isw-Report Nr. 81, Juli 2010, S. 3 ff.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 3-16, 54. Jahrgang, S. 46-53
Redaktion: Marxistische Blätter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2016

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