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OFFENSIV/089: Ausgabe Mai-Juni 2010 4/10


offen-siv 3/2010
Zeitschrift für Sozialismus und Frieden

Ausgabe Mai-Juni 2010 4/10


INHALT

Redaktionsnotiz

Das Elend des Kapitalismus
Werner Roß: Die neuen Arbeitsverhältnisse - eine Irrlogik des Kapitals
Reinhold Schramm: Aspekte zum 'Kostenfaktor' - "Hartz IV" und Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit
Hans Fricke: Der EURO in Not

Griechenland
Hans Fricke: Karten auf den Tisch!
Kommunistische Partei Portugals: PCP stimmt solidarisch mit dem griechischen Volk gegen den EU-Kredit
Kommunistische Partei Griechenlands: Klassenbewusste Antwort der Volksmassen
Aleka Papariga, Generalsekretärin des ZK der KKE: Vorschlag der KKE - Lösungen für die Krise

65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus
50 Kommunistische Parteien: Gemeinsame Erklärung - Befreiung vom Faschismus
Erich Buchholz: Zum 65. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus und zum Potsdamer Abkommen
Edith David: 65-jähriges Gedenken an die Selbstbefreiung von Buchenwald

Katyn
Bericht der sowjetischen Sonderkommission 1944: Das Verbrechen von Katyn

Literatur
Wolfgang Beutin: Das Erbe des deutschen Faschismus und eine Literatur-Nobelpreisträgerin - über Hertha Müller
Redaktion offen-siv: Erich Buchholz: Rechtsgewinne
Redaktion offen-siv: GEHEIM - 25-jähriges Jubiläum!

Friedenbewegung
Gerhard Feldbauer: In der Antikriegsbewegung geht es um größtmögliche Bündnisbreite
Frank Flegel: Was ist die Aufgabe der Kommunisten?

Aus der Leser/innen-Post
Gerhard Naumann: Katyn
H.W.: Sachlich
Dieter Frielinghaus: Auf guten Willen, Veränderung u. Einsicht setzen!
Bernd Kelly: Katyn - Fakten und Lügen

Thälmann-Gedenkstätte
Freundeskreis Ernst-Thälmann-Gedenkstätte: Dank für die spontanen Proteste gegen den Abriss

Raute

REDAKTIONSNOTIZ

Machen wir nicht viele Worte: Die Widersprüche wachsen, die eine Krise fordert zu ihrer Überwindung Maßnahmen, die sofort die nächste hervorbringen, der Druck auf den Euro zeigt die Heftigkeit der imperialistischen Konkurrenz, - und das heißt, dass nun der Sozialabbau, der bisher schon unerträgliche Härten hervorbrachte, noch größere Ausmaße und vor allem ein noch höheres Tempo annehmen wird.

Wir bringen aus diesem bundesdeutschen Jammertal aktuelle Einschätzungen und Analysen, aber natürlich ist daneben auch die Erinnerung an bessere Tage Thema, nämlich die Erinnerung an den 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Pünktlich zu diesem Jahrestag wurde in der bürgerlichen, in der reformistischen und auch in der revisionistischen Presse im Brustton der Überzeugung wieder einmal behauptet, dass es die Sowjetunion war, die die polnischen Offiziere und Bürger im Wald bei Katyn umgebracht hat. Hier wollen wir näher hinschauen. Deshalb bringen wir in diesem Heft die Untersuchungsberichte aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. In den nächsten Heften werden wir dazu weitere Dokumente und Einschätzung abdrucken. Nebenbei: in diesen Zusammenhang der Demaskierung antikommunistischer Dreckschleudern gehören auch die Bemerkungen von Paul-Wolfgang Beutin zur aktuellen Literaturnobelpreisträgerin, Frau Herta Müller, die uns von Günter Wendel übermittelt wurden.

Selbstverständlich beschäftigen uns die Kämpfe in Griechenland, dazu bringen wir neben einer Einschätzung Originaldokumente der KKE - sie sprechen für sich.

Im Zusammenhang mit der Kommunistischen Initiative müssen wir leider mitteilen, dass die DKP mittels ihres Unvereinbarkeitsbeschlusses gegen die Kommunistische Initiative eins ihrer Mitglieder bereits ausgeschlossen hat und dass gegen zwei weitere Schiedsverfahren angestrengt wurden. Den betroffenen Genossinnen und Genossen (Ihr versteht sicherlich, dass wir hier keine Namen nennen, denn das würde die Situation für die Betroffenen nur zusätzlich erschweren) sprechen wir hiermit unsere uneingeschränkte Solidarität aus.

Dass Zeitungmachen Geld kostet, ist Euch nichts Neues. Ihr habt uns in den vergangenen Wochen geholfen, aus der akuten Finanzklemme heraus zu kommen. Viele von Euch haben Beträge zwischen 10,- und 20,- Euro gespendet, manche auch mehr. Euch allen gilt unser herzlichster Dank. Und vergesst bitte nicht (bitte vor allem diejenigen nicht, die aktuell nicht dabei waren): Wir sind auf Euch angewiesen, Ihr erhaltet diese Zeitschrift am Leben. Wir brauchen Eure Spenden!


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Raute

DAS ELEND DES KAPITALISMUS

Werner Roß: Die neuen Arbeitsverhältnisse - eine Irrlogik des Kapitals

Der Gegensatz zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen als Primärwiderspruch aller ökonomischen Gesellschaftsformationen hat im heutigen Kapitalismus einen solchen Reifegrad erreicht, dass er objektiv die revolutionäre Aufhebung dieser Produktionsweise verlangt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise als Merkmal des Grundwiderspruchs zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privatkapitalistischen Aneignung zeigt das Ausmaß der Systemverwerfung. Auch die Vergesellschaftung der Arbeit und der Produktion sind ein Hinweis dafür, dass der Kapitalismus an seine Grenzen gestoßen ist und er den Boden für eine neue, ausbeutungsfreie Gesellschaft geschaffen hat. Das politische Barometer steht also auf "veränderlich".

Die Reaktion des Kapitals auf dieses Widerspruchsgeflecht ist schon durch die permanente Vernichtung des menschlichen Faktors der Produktivkräfte inhuman und produziert weitere gesellschaftliche Konflikte. Diesbezüglich wird deutlich, dass der Kapitalismus im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts nicht reformierbar ist und er nur noch zerstörerische Energien entfalten kann. Sinnbildlich hierfür sind die Agenda 2010 sowie die Hartz-IV-Gesetzgebung der so genannten rot-grünen Regierung unter G. Schröder. Diese angeblich herzustellende Balance zwischen Kapital und Arbeit wird in ihren Kadinalpunkten von der schwarz-gelben Regierungskoalition mit noch größerer Intensität fortgesetzt. Man glaubt nun den vermeintlichen Königsweg zur Krisenbewältigung im Interesse des Kapitals gefunden zu haben. Als Patentrezept wird die radikale Veränderung der Arbeitswelt praktiziert. Dabei geht es um folgende Eckpunkte(1), die zu sozial inhumanen Ergebnissen führen:

- Die Festanstellungen im Rahmen der Arbeitsverhältnisse nehmen immer mehr ab. Weniger als zwei Drittel aller Erwerbstätigen, so listet "Der Spiegel" auf, haben noch einen Normaljob, der voll sozialversicherungspflichtig und unbefristet ist. Von 1996 bis 2008 sank ihre Zahl um sieben Prozent, auf nur noch 22,9 Millionen.

- Die Zahl der befristeten Jobs im Land wächst dramatisch. Jeder Elfte hat bereits ein befristetes Arbeitsverhältnis. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse um 53 Prozent.

- Die Gruppe der Solo-Selbständigenwuchs in den vergangenen zehn Jahren um 27 Prozent.

- Innerhalb von nur fünf Jahren verdoppelte sich die Zahl der Menschen, die mindestens zwei Jobs haben, auf 1,8 Millionen. Der Grund: ein Arbeitsverhältnis gewährleistet nicht mehr die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes.

- Flexible Arbeitskräfte, die bei Bedarf eingestellt und wieder entlassen werden, gehören zur Norm.

- Die Leiharbeit spielt eine immer größere Rolle. In ca. ¼ aller deutschen Unternehmen wird Leiharbeit genutzt. Dabei werden bestehende feste Arbeitsverhältnisse zugunsten von befristeten Leiharbeiterjobs reduziert.

- Durch die Angst vor der Verlagerung von Betrieben bzw. Betriebsteilen und Teilprodukten üben die Unternehmen einen Zwang aus, um die arbeitsrechtlichen Standards im Inland zu senken.

- Besonders hart trifft es die Jugend und die jungen Erwachsenen unter 35 Jahren. Hier ist es fast üblich geworden, dass der Einstieg in das Berufsleben über Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und Teilzeitarbeit erfolgt.

- "Zwei Drittel der Arbeitnehmer" unter 30, so "Der Spiegel", "verdienen weniger als 2000 Euro brutto, wenn sie einen Vollzeitjob haben. Jeder dritte Hochschulabsolvent hält sich zunächst mit einem oder mehreren Jobs über Wasser."

- Typisch für die neuen Arbeitsverhältnisse ist auch der Niedriglohnsektor. Hier arbeiten gegenwärtig ein Fünftel der Erwerbstätigen, fast doppelt so viele wie 1995.

- Eine wissensintensive Arbeit verlangt Bildung. Dadurch ergibt sich ein Druck auf die "Arbeitnehmer" mit geringer Qualifikation, die zu einem niedrigen Verdienst führt, soweit überhaupt die Begründung eines Arbeitsverhältnisses möglich ist. Der Erwerb von Bildung hängt aber wiederum von einer Bildungspolitik ab, die jedem den Erwerb von Wissen ermöglicht. Das ist aber in der kapitalistischen BRD nicht der Fall.

- Immer mehr Frauen drängen auf den Arbeitsmarkt. In Deutschland sind es etwa 70%, mehr als in den USA, Frankreich oder Spanien. Das ist allerdings nicht dem Umstand ihrer Emanzipation geschuldet, sondern der Tatsache, dass ein Ernährer nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren.

- In Ostdeutschland vollzieht sich die Veränderung der Arbeitswelt unter kapitalistischen Bedingungen noch radikaler. Einerseits gingen durch die Inbesitznahme des Volkseigentums durch das Kapital 40% der Arbeitsplätze verloren, andererseits wurde die ehemalige DDR als Experimentierfeld für die Ausbeutung angesehen. Es gibt Regionen, in denen die Stundenlöhne nicht höher als drei oder vier Euro sind.

Um die neuen Arbeitsverhältnisse zugkräftig erscheinen zu lassen, wird beschönigt, dass diese den Arbeitenden mehr Verantwortung, Freiheit und Selbständigkeit böten. Ein Zeichen für die apologetische Betrachtungsweise ist die mehrfach beschworene Behauptung, dass es zu der aus der neuen Arbeitswelt sich ergebenden Entwicklung keine Alternativen gäbe, man es also mit Zwängen zu tun habe, die aus der Globalisierung, den Technologien sowie dem Wertewandel (sic!) resultierten. Die Arbeitsministerin will noch immer glauben machen, dass eine Vollbeschäftigung im Kapitalismus mittels der Flexibilisierung der Arbeit erreichbar wäre. Vielleicht hat sie hierbei die Zwangsverpflichtung von Langzeitarbeitslosen im Sinn. Außerdem bagatellisiert sie das Armutsrisiko, reduziert es vor allem auf Menschen ohne Qualifikation und spricht sich gegen "ein Zuviel an Staat in der Wirtschaft" aus. Somit wird die neoliberale Politik im Kontext mit dem Marktfundamentalismus als gesellschaftliches Leitbild gepriesen. "Der Spiegel" versteigt sich sogar zu der These, dass die neue Arbeitswelt Ausdruck einer neuen industriellen Revolution sei. Dabei übersieht er geflissentlich die Rolle der Produktionsverhältnisse, von deren Charakter die Entfaltungsmöglichkeiten der Produktivkräfte abhängen.

Wir haben es zweifellos mit einer Stimmungsmache für einen angeblich schicksalhaften Prozess zu tun, wobei kleine moralische Einsprengsel zur journalistischen Methode gehören. Aber mittels politischer Alchemie sind natürlich nicht die Ursachen der Entwicklung der neuen Arbeitswelt zu erklären. Deshalb muss auch die empfohlene Therapie zur Begradigung unliebsamer Ausschläge fehlschlagen; denn der Vordersatz des logischen Schlusses ist falsch.

Die wahren Ursachen für die Veränderung der Arbeitsverhältnisse als Ausdruck der Dynamik der neuen Technologien (so Mikroelektronik, Digitalisierung, Industrierobotertechnik, Biogenetik, supramolekulare Chemie, Nanotechnologie) sind in den gesellschaftlichen Verhältnissen begründet. Unter kapitalistischen Bedingungen ist die Systemlogik des Kapitals, die sich insbesondere in der Profitbesessenheit äußert, von tragender Bedeutung. Dem Grunde nach sollen durch die neuen Arbeitsverhältnisse clevere Wege für die Verwertungszwänge des Kapitals erschlossen werde.

Der Mensch soll noch weiter allein auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit herabgestuft werden. Dadurch, dass er den Effizienzkriterien des Kapitals unterworfen wird, ergeben sich für ihn gravierende soziale Folgen.

Wie jede Sache, so produziert eine solche Politik ihr Gegenteil mit. Die sich aus den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen ergebenden Reichtums-Armuts-Antagonismen polarisieren die Gesellschaft in zunehmendem Maße. Dieser objektive Widerspruch harrt der Lösung. In diesem Zusammenhang bedarf es nun des Subjektiven, nämlich seines Erkanntwerdens sowie des revolutionären Handelns der Arbeiterklasse und aller anderen Lohn- bzw. Sozialabhängigen, um den Kapitalismus zu eliminieren. Anders kann der Menschheit keine Zukunft, kein gesellschaftlicher Fortschritt eröffnet werden.

Werner Roß, Zwickau


Anmerkung

1) Vgl. die faktologische Übersicht im "Der Spiegel", "Ära der Unsicherheit", 12/2010, S. 82f. sowie das "Spiegel"-Gespräch mit der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen "über die Revolutionen in der Arbeitswelt, die Notwendigkeit der Hartz-Reformen und die Zukunft des Sozialstaates" ("Der Speigel", 12/2010, S. 94f.) Inwieweit die Daten im "Der Spiegel" der Realitäten der "Ära der Unsicherheit" entsprechen, kann nicht im Einzelnen beurteilt werden. Wichtig sind hier die kommentierten Trendaussagen. Wie bei den Arbeitslosenzahlen der "Bundesagentur für Arbeit" muss immer das trickreiche Herunterrechnen der Daten beachtet werden.

Raute

Reinhold Schramm: Aspekte zum 'Kostenfaktor' - "Hartz IV" und Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit

Eine notwendige Vorbemerkung: In der sozialdarwinistischen Kapital- und Verwertungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sind arme Menschen außerhalb der Wertschöpfung der Lohnarbeit ein 'wertloser' (privat-)wirtschaftlicher und staatlicher Kostenfaktor.

Dies gilt so nicht - im bestehenden gesellschaftspolitischen Kontext - für die Privateigentümer an Produktionsmitteln, an privaten Unternehmen, Fabriken und Konzernen, nicht für die privaten Eigentümer und Erben von großen Vermögen, von privaten Miet- und Hausbesitz, nicht für Aktienbesitz und Beteiligungen etc..

Die kapitalistische und psychologisch-manipulatorisch geleugnete Existenz der imperialistischen Gesellschaftsordnung (nicht nur) in der Bundesrepublik Deutschland, ist die Gesellschaftsordnung der sozialökonomisch und gesellschaftspolitisch Reichen, ist die ökonomische und politische Herrschaftsordnung der Großeigentümer und Vermögenden (auch 'ohne' deren Arbeit), ist die ökonomische, soziale, militärische und politische Ordnung der großen Privatvermögenden aus der Wertschöpfung der werktätigen Bevölkerungsmehrheit - in abhängiger Lohnarbeit.

Der soziale und gesellschaftspolitische Nutzen der großen Privateigentümer, Reichen und Rentiers, die private Aneignung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums durch eine sozialökonomische Minderheit, durch die differenzierte Bourgeoisie, die sozialökonomische Aristokratie und gesellschaftspolitische Administration, in der Bundesrepublik Deutschland, befindet sich außerhalb jeder medialen Thematisierung (Rundfunk, Presse, Fernsehen, einschließlich der Lernsysteme - der Bildung, Ausbildung und geistigen Manipulation etc.) und öffentlichen Diskussion. Die Gesamtheit der 'anerkannten' (privat-)wirtschaftlichen und staatlichen Einrichtungen und Institutionen (Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeit und Soziales etc. - und Medien), dient ausschließlich der Herrschaftsabsicherung der bestehenden realen privaten Eigentumsverhältnisse und objektiven gesellschaftspolitischen Verhältnisse - auf allen Ebenen der kapitalistischen und imperialistischen Gesellschaftsordnung - in der Bundesrepublik Deutschland und Europa.

Gesundheitliche Auswirkungen von Einkommensungleichheit

Einkommen eröffnet den Zugang zu den meisten Bedarfs- und Gebrauchsgütern und stellt damit eine wesentliche Voraussetzung für die Befriedigung individueller Grundbedürfnisse dar. Einkommen ist eine wichtige Grundlage für die soziale Absicherung. Einkommensnachteile verringern die lebensnotwendigen Konsummöglichkeiten und gehen mit einer Unterversorgung in anderen Bereichen, wie z. B. der Wohnsituation, der sozialen Integration und der kulturellen Teilhabe, einher.

Zusammenhänge zwischen Einkommen und Gesundheit werden durch zahlreiche wissenschaftliche Studien bestätigt. Vor allem von Armut betroffene Bevölkerungsschichten sind verstärkt von Krankheiten und körperlichen und psychischen Beschwerden betroffen, sie schätzen ihre eigene Gesundheit und gesundheitsbezogene Lebensqualität schlechter ein [trotz aller gegenteiliger Manipulationsversuche] und unterliegen einem höheren vorzeitigen Sterberisiko [und Sterben - bereits mehrfach wissenschaftlich nachgewiesen ('erwünscht') früher].

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Lebenserwartung nicht mehr in Ländern und Regionen mit dem höchsten Wohlstandsniveau und Pro-Kopf-Einkommen am stärksten ansteigt, sondern in denen mit der geringsten Einkommensungleichheit.

Armutsrisiko und Einkommensungleichheit

Die Armutsrisikoquote hat in Deutschland deutlich zugenommen. In den ostdeutschen Bundesländern liegt sie deutlich höher als im alten Bundesgebiet (bereits 2003: 19,3 % gegenüber 12,2 %). Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind überproportional durch Armut bedroht. Von den bis 15-Jährigen sind 15 % einem Armutsrisiko ausgesetzt, in der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen sind es 19,1 %. In der Erwachsenenbevölkerung finden sich die höchsten Armutsrisikoquoten bei Arbeitslosen mit 40,9 % und allein Erziehenden mit 35,4 % [im Jahr 2003 - noch vor "Hartz IV" und 'offizieller' Finanz- und Weltwirtschaftskrise].

Einkommensdifferenzen im Krankheits- und Sterbegeschehen

In einkommensstarken Bevölkerungsgruppen überleben mehr Menschen bis ins hohe Alter als in den ökonomisch benachteiligten Schichten. Das Sterberisiko in prekären Wohlstandsgruppen ist signifikant erhöht. Anm.: In allen Einkommensgruppen, auch in der Armutsrisikogruppe, leben Frauen deutlich länger als Männer.

Inanspruchnahme der ärztlichen Versorgung

Obwohl die einkommensschwächere Bevölkerung verstärkt von Krankheiten und Beschwerden betroffen ist, sucht sie seltener einen Arzt auf: Die Armutsrisikogruppe geht seltener zum Arzt als die ökonomisch besser gestellte Vergleichsgruppe [privatisierte Eintritts-, Zusatz- und Gesundheitskosten].

Einkommensschwache Frauen und Männer vor allem im mittleren Lebensalter nehmen seltener ärztliche Hilfe in Anspruch. Frauen und Männer mit niedrigem Einkommen gehen im (wissenschaftlichen) Vergleich zu den Bessergestellten 1,4-mal seltener zu einem Arzt. [regierungs- und gesellschaftspolitisch erwünschte 'Abgewöhnung' - durch nicht bezahlbare Zuzahlungen].

Die wissenschaftlichen Ergebnisse des Robert Koch-Instituts belegen, bereits vor der gesellschaftspolitischen Einführung und (fortgesetzt geleugneten) sozialdarwinistischen Anwendungsmethodik von "Hartz IV", dass mit der Einkommensposition sowohl ein unterschiedlicher Versorgungsbedarf als auch ein unterschiedliches [staatlich - sozialpolitisch erwünschtes] Inanspruchnahmeverhalten von ärztlichen Leistungen verbunden ist.

Einkommen und Gesundheit

Zwischen Einkommen, Gesundheit und Lebenserwartung besteht ein Zusammenhang: Je niedriger das Einkommen, desto schlechter die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten. Gesundheitliche Probleme und Verhaltensrisiken kumulieren dementsprechend in der Armutsrisikogruppe [und können auch nicht durch spezial-demokratische 'Kochrezepte' für die Armen und durch Vortrags- und Diskussionsrunden der vermögenden Spieß- und Wohlstandsbürger über ihre "Hartz IV" und Armuts-Opfer hinwegdisputiert werden].

Einkommen hängt maßgeblich von der sozialen Herkunft, vom Bildungs- und beruflichen Qualifikationsniveau, dem Erwerbsstatus sowie der Stellung in der Berufswelt ab. Die Kumulation von Gesundheitsproblemen und Verhaltensrisiken in der Armutsrisikogruppe spricht für die Bedeutung der materiellen Entbehrung (Deprivation). Dies äußert sich zum einen in einer Unterversorgung mit existenziellen (basalen) Dingen des Lebens wie Wohnraum, Kleidung oder Ernährung. Für die Gesundheit und das Wohlbefinden sind zum anderen aber auch der Ausschluss von Konsum- und Erlebnismöglichkeiten, die für die Mehrheit der Bevölkerung (noch) selbstverständlich sind und zum gesellschaftlichen Lebensstandard gezählt werden, von Bedeutung [dieser Lebensanspruch für die Armen in der Reichtumsgesellschaft wird von den spezialdemokratischen 'Gutmenschen' und 'Vermögenden' (- ohne Leistung) unterschlagen etc]. Die Sicherung des Lebensunterhalts und des vorhandenen Lebensstandards gehen bei Menschen, die über geringe Erwerbs- und Einkommenschancen verfügen, mit erheblichen psychosozialen Belastungen einher.

Zwangsläufig überwiegt bei der Befriedigung individueller Bedürfnisse eine kurzfristige Orientierung [da hilft auch kein unsozialer standardisierter Hinweis des "Job-Center", in der "Hartz IV"-Regelleistung sei bereits die 'Ansparung' berücksichtigt. - Hier sollten sich auch die lohnabhängigen Angestellten der "Bundesagentur für Arbeit" (BA) nach ihrer persönlichen sozialen Verantwortung fragen, bereits vor der Versendung von Mitteilungs-, Ablehnungs- und Mahnschreiben etc.].

Aus der (gesellschaftspolitisch, sozial-psychologisch erzwungenen) kurzfristigen Orientierung resultiert auch eine höhere Bereitschaft zu gesundheitsriskantem Verhalten. - Auch aus der hohen Stressbelastung resultiert ein gesundheitsriskantes Verhalten beim Rauchen oder Alkoholkonsum der unmittelbar zur Stressbewältigung beiträgt. Auch ungesunde Ernährungsweise und Bewegungsmangel resultiert aus Einkommensarmut - und aus psychosozialen Verhaltensreaktionen auf eine hohe Stressbelastung. [- Anm.: Die Wissenschaft am Robert Koch-Institut ist von der (staatlichen) Bewilligung finanzieller Mittel abhängig, auch daher, aus bürgerlichen Wissenschafts-Opportunismus heraus, fehlt häufig eine klare inhaltlich verständliche Sprache bei der Präsentation zu den eindeutigen wissenschaftlichen Ergebnissen. Sprachliche Anpassung an mögliche Vorgaben dient lediglich der Verschleierung der unsozialen Realität]

Mit der Höhe des Einkommens vergrößert sich der Spielraum für eine gesunde Ernährung, Erholungsmöglichkeiten und direkte Käufe von Gesundheitsleistungen.

Neben der Einkommensposition auf die Gesundheit spielt auch die umgekehrte Wirkrichtung eine Rolle. Kranke und behinderte Menschen haben schlechtere Aussichten auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt. Sie unterliegen zugleich einem höheren Arbeitslosenrisiko und erzielen dementsprechend geringere Arbeitseinkommen. In Zeiten einer schlechten kapitalistischen Wirtschaftskonjunktur sinken die (Wieder-)Beschäftigungschancen gesundheitlich eingeschränkter Erwerbstätiger (der Arbeiter,) Facharbeiter, Angestellten - aus Verwaltung, Leitung, Technik und Wissenschaft; der Frauen und Männer in abhängiger Lohnarbeit).

Vgl.: Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit. Von Dipl. Soz. Thomas Lampert, Dr. Thomas Ziese. Eine Expertise des Robert Koch-Instituts zum 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2004/05) [bereits vor den unmittelbaren Auswirkungen der unsozialen Praxis von "Hartz IV"] - im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung.
http://www.bmas.de/portal/988/property=pdf/armut_soziale_ungleichheit_und_gesundheit.pdf

Reinhold Schramm, Berlin, 11.4.2010

Raute

Hans Fricke: Der EURO in Not

Im Vorzeige-Projekt "Europäische Währungsunion" kracht es im Gebälk. Der EURO verliert gegenüber dem Dollar seit Wochen an Wert. Nach 10 Jahren ist der Lack ab. Griechenland ist nur die Spitze des Eisberges. Dieses Land wackelt bedenklich und droht wie ein Dominostein weitere schwarze Schafe in den Strudel zu ziehen. Auch in Portugal, Irland, Spanien und wieder einmal Italien mehren sich die finanziellen Schwierigkeiten, wobei Italien und Griechenland seit langem die größten fiskalischen Sünder sind. Nach Auffassung von Norbert Bertold sind "die fiskalischen Ferkeleien der PIIGS (Abkürzung steht despektierlich für Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) allerdings nur die unansehnliche Fassade. Wirklich baufällig wird es erst dahinter. Strukturelle Ungleichgewichte im Handel mit Gütern und Diensten sind das eigentliche Problem. Wird es nicht gelöst, hat die Europäische Währungsunion in der gegenwärtigen Form ihre Zukunft schon hinter sich".

Als Lehre aus der Schuldenkrise Griechenlands will die EG-Kommission einen Rettungsfonds für die Länder der Währungsunion aufbauen. Helfen soll der im Notfall jenen Ländern der Eurozone, denen wie zuletzt Griechenland die Pleite droht, weil sie von privaten Investoren kein Geld mehr geliehen bekommen. Um die Mitgliedsländer zum sparsamen Haushalten zu zwingen, und sei es mit der Brechstange, will der finnische Währungskommissar Olli Rehn in die Haushaltsführung einzelner Staaten eingreifen. Auch soll ein ständiger Rettungsfonds gefährdete Länder vor einen Zusammenbruch schützen. Hilfsgelder aus dem Rettungsfonds sollten "der letzte Ausweg sein", betonte Rehn dieser Tage.

Die Absicht der Europäischen Kommission, künftig bei der Aufstellung der Haushalte der Mitgliedsländer mitzureden, findet im Bundestag Zustimmung. Davon sollen allerdings nicht die Länder betroffen sein, die die Stabilitätskriterien für den EURO einhalten, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Günther Krichbaum (CDU). "Wenn ein Land die Stabilitätskriterien nicht einhält, muss die Kommission die Möglichkeit an die Hand bekommen, frühzeitig eingreifen zu können. Das sind wir der Stabilität des EURO schuldig", erklärte er. "Die Länder, die ihre finanzpolitischen Hausaufgaben machen, sollten mangels Notwendigkeit davon aber nicht betroffen sein. Mit anderen Worten: Die großen und leistungsstarken EU-Länder, an ihrer Spitze Deutschland, nehmen auf diesem Wege entscheidenden Einfluss auf die Haushaltsplanung der kleineren und schwächeren Mitgliedsländer, so zum Beispiel auch auf deren Sozialpolitik. Das bedeutet, dass EU-Staaten, die Hilfe des Rettungsfonds in Anspruch nehmen, einen wichtigen Teil ihrer Souveränität an die EU abtreten.

"Für Griechenland allein bräuchte man aber" nach Meinung von Jan Dams "keinen Europäischen Wahrungsfonds. Sinn ergibt das nur, wenn er dauerhaft Bedarf an Hilfsmaßnahmen auch für andere Länder sieht. Und der nächste Fall scheint sich bereits anzubahnen. An den Finanzmärkten machen sich nun Zweifel an der Stabilität Portugals breit. Portugals Haushaltsdefizit lag zuletzt bei 9,3 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes... Rhens Aussagen zufolge stiegen die Kreditausfallversicherungen (CDS) für Darlehn des südeuropäischen Landes am 14. April 2010 kräftig. Wie schon bei Griechenland zuvor ist das ein schlechtes Zeichen." Details dazu, wer in den Rettungsfonds einzahlen soll und wieviel Mittel nötig sind, nannte Rehn nicht. Es handele sich noch um einen zunächst unverbindlichen Plan der EU-Kommission. Einen konkreten Vorschlag für neue Regeln wolle Rehn am 12. Mai vorlegen. (Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass über die sich daraus ergebende weitere Belastung der deutschen Steuerzahler erst nach der Landtagswahl in NRW geredet werden soll.) Ebenso unklar ist derzeit die Frage, mit wie vielen Milliarden die Europäer die Griechen unter die Arme greifen wollen. Lange Zeit hieß es, die anderen EU-Länder und insbesondere Deutschland bezahlen nicht für die jahrelange Verschwendung und Unehrlichkeit der Griechen. Nun ließ man die Katze aus dem Sack, denn die Mitglieder der Eurozone haben sich schließlich doch bereit erklärt, für Griechenland ein milliardenschweres Rettungspaket zu schnüren. Doch mit wie vielen Milliarden weiß keiner. Oder richtiger: Soll keiner wissen. Die Bundesregierung will der Bevölkerung Glauben machen, es gehe um 30 Milliarden, aus Athen verlautet dagegen, es seien 80 Milliarden - eine Summe, die in Berlin als "Spekulation" bezeichnet und also nicht dementiert wird. Nicht zu übersehen sind die krampfhaften Verschleierungsbemühungen, die soweit gehen, dass die Erklärung der Eurozonen-Mitglieder zur Griechenlandhilfe bis zum 12. April 2010 nur auf der Internetseite der EU zu finden war. Auf der Website des Bundesfinanzministeriums dagegen steht eine einzige Presseerklärung aus dieser Woche - und die bezieht sich auf den "Informationsaustausch in Steuersachen mit den Bahamas" Auf der Website "bundesregierung.de" wird das Online-Publikum derweil abgelenkt mit Mitteilungen zum deutsch-brasilianischen Jahr, mit Bildern von Angela Merkel als Gast in Hollywood und mit Informationen über ein gemeinsames Frühstück mit Gouverneur Arnold Schwarzenegger und seiner Frau. Nur ja kein Wort über Griechenland und den von Deutschland für seine Rettung vor der Pleite zu zahlenden Steuergeldern. Wahrheitsgemäße Informationen darüber könnten die Wahlchancen von schwarz-gelb in NRW negativ beeinflussen. "Natürlich" betont Olaf Gersemann "einen Fall wie die Griechenland-Hilfe hat es noch nie gegeben. Es war ja sogar vertraglich festgelegt worden, dass es einen solchen Fall nie geben wird. Es ist daher durchaus verständlich, wenn viele Details noch nicht bekannt gegeben werden können - weil sie einfach noch nicht feststehen. Doch gerade weil hier ein Versprechen gebrochen wird, gerade hier ein Präzedenzfall geschaffen wird, hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, so umfassend wie möglich informiert zu werden. Die Wahrheit muss auf den Tisch. Und zwar vor der NRW-Wahl am 9. Mai."

Was vom Wahrheitsgehalt der Informationspolitik der Bundesregierung in Bezug auf die Finanzkrise zu halten ist, zeigten bereits die ersten Rettungsmaßnahmen für die IKB, Sachsen-LB, Bayern-LB, Commerzbank und andere. Ständig wurde von verantwortlichen Politikern betont, dieses und jenes Institut wäre wichtig und "systemrelevant" und deshalb müssen wir helfen. Wir geben aber nur Garantien, den Steuerzahler kostet es nichts. Nachdem es kurz nach den Hilfszusagen zunächst einige kritische Stimmen und etwas öffentlichen Gegenwind gab, legte sich dieser Unmut langsam wieder und eine gewisse Zeit später floss dann doch des Steuerzahlers Geld. Leider regte sich dann keiner mehr nennenswert auf. Ähnlich die Beruhigungsbemühungen der Bundesregierung in Bezug auf das Rettungspaket für Griechenland. Auch hier heißt es wieder, die Finanzzusagen wären "nur der Feuerlöscher an der Wand", also quasi nur eine Vorsichtsmaßnahme für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein Feuer ausbrechen würde. "Leider", so warnt Gerhard Spannbauer, Autor des Buches "Finanzcrash. Die umfassende Krisenvorsorge", "wird bei dieser Dumme-Leute-Beschwichtigung ignoriert, dass das Weltfinanzsystem bereits in lodernden Flammen steht... Es wird versucht, ein brennendes Hochhaus mit einem einzigen Feuerlöscher zu retten. Das Beispiel Griechenland zeigt, dass die Krise nicht vorbei ist, sondern in die nächste Phase der Staatspleiten übergeht" und dass in nächster Zeit mit weiteren Hiobsbotschaften und Einbrüchen zu rechnen sei. "Das weltweite Finanzsystem ist tiefgreifender zerstört", als die Politiker und Medien zuzugeben bereit sind.

Erinnern wir uns an den bisherigen Verlauf der Finanzkrise und daran, mit welchen Sprüchen die Bevölkerung beruhigt wurde:

- Zuerst hieß es, es handele sich um eine Immobilienkrise in den USA, die mit uns nichts zu tun habe.

- Später wurde gesagt, es seien Probleme im Bankensektor, die keine Auswirkungen auf die reale Wirtschaft hätten.

- Dann meinten die "Fachleute", es handele sich nur um einen vorübergehenden Einbruch, der bald wieder vorbei sei.

Alles falsch, wie sich herausstellte. Stattdessen ging es weiter:

Nachdem die Finanzkrise erst in den USA wütete, sahen sich die europäischen Regierungen veranlasst, über eine Billion EURO für die Bankenrettung zu versenken. Ferner legten sie Konjunkturpakete auf, die diesen Betrag überstiegen, um die einbrechende Wirtschaft zu stützen und häuften dabei eine Schuldenlast an, wie sie nie zuvor in der Geschichte in Friedenszeiten der Fall war. Diese unfassbare Schuldenlast kann, und darüber dürfte es keine Zweifel geben, auf normalem Wege nicht getilgt werden.

Aus dieser Lage zieht Gerhard Spannbauer ohne jede Illusion folgenden Schluss:

"Dass wir uns auf einen Systemzusammenbruch zubewegen, ist leider eine unabwendbare Tatsache, auf die immer mehr Experten hinweisen... Der EURO - sprich unser Geld - ist akut gefährdet, wie man am Beispiel Griechenland und der anderen PIIGS-Länder sieht.

Griechenland wird gerettet werden, aber wer ist der weiße Ritter für die größeren Länder wie Spanien, Italien, Großbritannien ect.?

Die weitaus ernsteren Probleme sind bereits vorgezeichnet."

Hans Fricke, Rostock

Raute

GRIECHENLAND

Hans Fricke: Karten auf den Tisch!

Selten ist soviel desinformiert, gelogen und getrickst worden wie im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise. Seit Monaten erleben wir bei fast jeder Behauptung, jedem Statement, jeder Rede und jeder vorgetäuschten Handlung sinnfreies Geschwätz für das gebeutelte und betrogene Volk, pure Heuchelei und professionellen Zynismus. Zunächst hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel europäische Hilfe für Griechenland rigoros abgelehnt und sich als "Eiserne Kanzlerin" inszeniert, die Griechenland in die Schranken weist. Selbst einen Ausschluss Athens aus der Euro-Zone hielt sie angeblich für möglich. In Wahrheit verhandelte sie mit Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits über deutsche Hilfeleistungen in Milliardenhöhe. Die "Griechenland-Hilfe", die Zahlung von vielen Milliarden Euro an die Großbanken, war bereits seit Anfang des Jahres geplant. Schon am 2. Februar gab der "Chefvolkswirt" der Deutschen Bank, Thomas Mayer, dem Manager Magazin ein Interview, in dem er vorweg nahm, was die Abgeordneten im Bundestag nun angewiesen sind, umzusetzen. Zuerst versuchte die Bundeskanzlerin, sich vor der Wahl in NRW am 9. Mai wegzuducken und jeder verbindlichen Aussage auszuweichen. Nun soll das "Gesetz zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion", welches für unser Land einen erheblichen finanziellen Aderlass vorsieht, noch vor der NRW-Wahl im Bundestag und Bundesrat durchgepeitscht werden, weil die Bundesregierung bezweifelt, ob sie nach der NRW-Wahl weiterhin über eine Mehrheit im Bundesrat verfügen wird.

Seit Monaten versuchte die Bundesregierung, die Vorgabe der Deutschen Bank nach Einrichtung eines "Europäischen Währungsfonds" (EWF) - diese Tarnung der Banken für die Übernahme ganzer Staaten - durchzusetzen, bisher jedoch ohne Erfolg. Noch gab es zu wenig Gefahren und Bedrohungen, mit denen man die Bürger ausreichend ängstigen konnte. Das hinderte allerdings Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen) nicht daran, sich mit folgenden Worten zum Sprachrohr der alten Forderung der Deutschen Bank zu machen: "Eine solche Einrichtung muss zwingend auch über erforderliche Rettungshilfen für Notfälle verfügen. Denn das Hin und Her vom 'Non' zum 'Qui' sowie das wahlkampftaktisch motivierte Pokern der Bundesregierung macht unausweichliche Rettungslösungen nur teurer und äußerst riskant (...). Manöver wie jene der Bundesregierung, die letztlich die Zukunft der Währungsunion bedrohen und europaweit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler belasten, müssen mit klugen Regeln und einer Weiterentwicklung der europäischen Institutionen künftig verhindert werden."

Noch am 29. April hatte Frank-Walter Steinmeier (SPD) vollmundig erklärt: "Es wird keine Zustimmung der SPD zu einem Gesetz geben, wenn private Banken nicht ebenfalls zur Hilfe herangezogen werden." Und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wollte die Vorstände aller Banken, die am griechischen Desaster verdient haben, "zum Rapport" im Kanzleramt antanzen sehen. Selbst der Haushaltsexperte der Union, Norbert Barthle, meinte: "Ohne Beteiligung der privaten Gläubiger sei eine Mehrheit in seiner Fraktion ungewiss und der FDP-Mann Volker Wissing warnte davor, Spekulanten auch noch zu belohnen.

Wie schamlos Parlamentarier aller "etablierten" Parteien die Öffentlichkeit belügen, wurde deutlich als es danach hieß, die Bundesregierung lehne ungeachtet entsprechender Forderungen aus allen Fraktionen eine Beteiligung von Banken an den Griechenland-Hilfen ab, und sowohl Steinmeier als auch Trittin mit ihren Hofparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen der CDU noch schnell rechtzeitig zu Hilfe kamen:

Angesichts des Ernstes der Lage solle ein Streit um das Verfahren vermieden werden. Die Regierung sei bei diesem wichtigen Thema zu spät gestartet und habe wertvolle Zeit verloren, sagte Steinmeier, während Trittin ankündigte: "Wir sind bereit, eine Entscheidung des Deutschen Bundestages bis zum 7. Mai zu ermöglichen und werden keine Einwände gegen ein verkürztes Verfahren erheben(...) Weiteres Warten können wir uns nicht leisten." Mit ihrer Zustimmung zur Sondersitzung des Bundestages am 3. Mai und zum irregulären verkürzten Gesetzgebungsverfahren gaben sie den Weg frei zum Durchpeitschen des neuen Aderlasses in Form der Wiederholung des Staatsstreiches vom 17. Oktober 2008 noch vor den Landtagswahlen in NRW.

Erinnern wir uns gerade heute an die damals ebenfalls im Blitztempo beschlossene Errichtung der Ermächtigungsbehörde SoFFin (Sonderfond Finanzmarktstabilisierung), der die Kontrolle über 480 Milliarden Euro übertragen wurde. Entworfen wurde das "Finanzmarktstabilisierungsgesetz" durch genau die Banker, die seine Nutznießer sind. Geplant und durchgepeitscht wurde es innerhalb eines einzigen Monats in Geheimtreffen mit der CDU/CSU-SPD-Regierung im Herbst 2008, unmittelbar nach dem 700 Milliarden Dollar Bankentribut ("Bail Out") der Bush-Regierung. Der Bundestag gab damals durch eigenen Beschluss jede Kontrolle über diese unfassbare Summe Steuergelder ab. Denn dieses "Finanzmarktstabilisierungsgesetz" konnte nur deshalb in einem irregulären Gesetzgebungsverfahren durch Bundestag und Bundesrat getrieben werden, weil die Parteien diesen Staatsstreich (andere nennen es Hochverrat) durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages erst möglich gemacht hatten.

Wesentlicher Bestandteil der systematischen Desinformation unserer Bevölkerung über die Griechenlandkrise ist das bewusste Verschweigen wichtiger Ursachen des Dilemmas. Christiane Reymann und Wolfgang Gehrke erklärten dazu in Wolfgangs Blog: "Griechenlands Notlage sei verursacht durch Schlendrian, hellenistische Lebenslust, mediterrane Dekadenz, Faulheit (...) soll uns weisgemacht werden. Alles Unsinn. Griechenland wurde traditionell ausgeplündert, noch verschärft im neoliberalen Kapitalismus. Zudem musste Griechenland einen hohen Preis dafür zahlen, dass es im vergangenen Jahrhundert Bollwerk des Westens gegen den Osten war, nicht zuletzt in der blutigen Militär- und Folterdiktatur, 1967 mit Hilfe der NATO an die Macht geputscht, um eine mögliche Machtübernahme von Linkskräften einschließlich Kommunisten im Keim zu ersticken. Bis 1974 haben die Obristen das Volk nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch geknechtet. In kaum einem Land der Europäischen Union ist die Klassenspaltung so tief wie in Griechenland. Eine Handvoll Familien, Reeder und Finanzkapitalisten besitzen fast 90 Prozent des Reichtums und zahlt kaum Steuern. Mit dem Rest, der übrig bleibt, ist kein Staat zu machen. Und das Fünftel der Bevölkerung, das unterhalb der Armutsgrenze lebt, ist sicher nicht in diese beklagenswerte Lage gekommen, weil es 'getrickst, getäuscht und geprasst' hat."

Griechenlands Staatsschulden belaufen sich derzeit auf 112,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das nur 244 Milliarden Euro beträgt. Mit 88 Prozent seines BIP ist der griechische Staat bei ausländischen Banken verschuldet. Seine Gläubiger sind - in dieser Reihenfolge - Schweizer Banken, französische und deutsche; allein bei der Deutschen Bank steht der griechische Staat mit 47 Milliarden Euro in der Kreide.

Griechenland braucht dringend Geld, um seine Schulden zu refinanzieren. Kredite kosten Athen derzeit aber weit über sechs Prozent Zinsen plus 3,75 Prozent "Risikozuschlag", macht mindestens zehn Prozent, während der Leitzins der Europäischen Zentralbank bei ein (!) Prozent liegt. Deshalb fordert DIE LINKE, dass die Europäische Zentralbank und einzelne europäische Staaten als Soforthilfe griechische Staatsanleihen kaufen, um dem Land im Würgegriff der Banken eine Atempause zu verschaffen.

Bis Ende 2012 braucht Griechenland Kredite von mindestens 120 Milliarden Euro. "Geld gibt es prinzipiell aus zwei Richtungen:" erinnert Jürgen Elsässer, "Entweder von uns Steuerzahlern, das ist das Hilfspaket von Europäischer Union/Internationaler Währungsfonds, das Mutti Angie abgenickt hat. Oder, indem die Banken großteils auf ihre Forderungen gegenüber Griechenland verzichten - im Fachausdruck 'Umschuldung' genannt. Sensationeller Weise forderte die FAZ auf Seite 1 am Montag genau das. Dies beweist, wie tief die Widersprüche in der politischen Klasse geworden sind."

Vor diesem Hintergrund und angesichts der von der Deutschen Bank trotz Krise erzielten Traumgewinne mutet es erbärmlich an, wenn verlautet, die deutschen Banken seien offenbar bereit, sich freiwillig mit ein bis zwei Milliarden Euro am Hilfspaket für Griechenland zu beteiligen. Von dem genannten griechischen Finanzbedarf müssten wir Deutschen mindestens 25 Milliarden Euro bezahlen - nicht an Griechenland, an die Banken! Es gibt bereits sarkastische Empfehlungen, das Geld des deutschen Steuerzahlers der Einfachheit halber direkt an die Banken und ihre darbenden Aktionäre zu zahlen. Dass im Entwurf des "Gesetzes zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion" die Belastungen für Deutschland in den Jahren 2011 und 2012 nicht erwähnt werden, sondern lediglich die Zurverfügungstellung von Krediten im ersten Jahr von bis zu 8,4 Milliarden beschlossen werden soll, hängt offenbar damit zusammen, dass die Bundesregierung vor der NRW-Wahl nicht mit hohen Summen hantieren will, deren Größenordnungen noch unklar sind. Nach einer SPIEGEL-Information rechnet der Internationale Währungsfond damit, dass die Sanierung Griechenlands bis zu zehn Jahre dauern wird.

Erinnern wir uns: Es ist noch keine zehn Jahre her, da war Argentinien in einer ähnlichen Situation wie Griechenland heute. Das Land verfehlte die mit dem IWF vereinbarten Ziele und wurde trotz mehrerer geschnürter Hilfspakete, die alle an harte Auflagen geknüpft waren, am Ende doch zahlungsunfähig. Der Vertrauensverlust der Bevölkerung führte zu einem Ansturm auf die Banken. Im Dezember 2001 kam es zu schweren Unruhen. Aus der Finanzkrise wurde eine Regierungskrise. Innerhalb von zwei Wochen hatte das Land fünf verschiedene Präsidenten. Tausende Menschen gingen auf die Straßen, Supermärkte und Geschäfte wurden geplündert. Insgesamt starben bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen 28 Menschen. Die Regierung rief schließlich den Notstand aus. Argentinien, das inzwischen Schulden von rund 100 Milliarden Dollar angehäuft hatte, erklärte offiziell den Staatsbankrott. Auch die griechische Bevölkerung wird sich gegen eine verordnete weitere Verelendung wehren. Die bisher bekannt gewordenen Grundrisse der "Liste der Grausamkeiten" hatten bereits am 1.Mai Demonstrationen in Athen, Thessaloniki und anderen Städten zur Folge, bei denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Griechenland hat starke Gewerkschaften, gegen die auch eine sozialdemokratische Regierung auf Dauer nicht handeln kann. Innere Unruhen und eine Destabilisierung des griechischen Staates sind deshalb nicht auszuschließen.

Es wäre falsch, die Griechenland-Krise nur dem Casino-Finanzkapitalismus anzulasten. Auch die transatlantische Rivalität dürfte dabei eine Rolle spielen. Wir erleben eine Krise des kapitalistischen Systems, die durch die undurchdachte Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung noch verschlimmert wird. Man kann für einen Wirtschaftsraum nicht nur eine einheitliche Währung einführen, ansonsten aber die Fiskal-, Steuer- und vor allem die Lohnpolitik in alle Richtungen laufen lassen. Das konnte nicht funktionieren.

Otto Meyer sagt dazu in "Ossietzky", Heft 9-2010, unter der Überschrift "Griechenland-Krise als Lehrstück": "Am Desaster Griechenland kann man studieren, wohin es führt, wenn Produktivitätsgewinne nicht zur Sicherstellung der Lohneinkommen aller am Arbeitsergebnis Beteiligten und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse insgesamt verwendet, sondern einseitig von den Unternehmern verbucht werden, die sie vorwiegend dazu nutzen, zusätzliche Konkurrenzvorteile zu erringen. Solange sich neue Marktanteile, sei es in Europa oder global, erobern lassen, können zumindest Arbeitsplätze im eigenen Land sämtlich oder größtenteils erhalten werden - das war die Prämie, mit der Gewerkschaften und Sozialdemokraten sich in Strategien des Standortwettbewerbs einbinden ließen und sogar Reallohnsenkungen zustimmten. Dass sich dadurch im Nachbarland oder weltweit die Einkommens- und Lebensverhältnisse weiter verschlechtern müssen, wird ausgeblendet oder billigend in Kauf genommen (...) Den Aufkauf relevanter Wirtschaftsteile im Ausland durch deutsches Kapital haben also letztlich die braven deutschen Arbeiter mit ihrer jahrelangen Lohnzurückhaltung bezahlt. Doch wenn dem in die Pleite konkurrierten Griechenland erlaubt würde, seinen Schuldverpflichtungen nicht mehr in Gänze nachzukommen, könnte es auch für die deutschen Kapitalbesitzer und -verleiher eng werden. Am Ende hätte es sich nicht gelohnt, auf Globalisierung und Exportoffensive zu setzen. Die vorläufig in andere Länder ausgelagerte große Kapitalkrise könnte zurückschlagen. Es ist keinesfalls sicher, ob Bundeskanzlerin Merkels Neujahrswunsch von 2009, 'wir Deutschen' wollen 'stärker aus der weltweiten Finanzkrise herausgehen, als wir hineingekommen sind', in Erfüllung geht."

Der als Kritiker der europäischen Integrationspolitik und des Lissabon-Vertrages bekannte tschechische Präsident Vaclav Klaus erklärte, es fehle der Währungsunion an den notwendigen ökonomischen und politischen Voraussetzungen und deshalb halte er die europäische Wahrungsunion für gescheitert. Der Euro habe seine Versprechen nicht gehalten, sagte Klaus in einem Gespräch mit der FAZ am 27. April 2010. "Bezüglich des Wirtschaftswachstums und der ökonomischen Stabilität ist die Euro-Zone schon seit langem gescheitert." Angesichts der hohen politischen Investitionen in die Währungsunion würden die europäischen Politiker das formale Scheitern der Währungsunion aber nicht zulassen. Die Kosten dafür würden allerdings "sehr hoch sein". Klaus bezweifelt auch, dass der Internationale Währungsfonds zur Lösung der Krise herangezogen werden darf. Seiner Bestimmung gemäß dürfe er nur bei Zahlungsbilanzdefiziten und unerwarteten Kursschwankungen intervenieren. Die wirkliche Ursache der Griechenland-Krise sieht Klaus nicht in der Wirtschaftspolitik Athens. Es ist "der Euro, der die Tragödie bewirkt". Ohne ihn könnte Griechenland die Krise mit einer Abwertung seiner Währung um etwas 40 Prozent bewältigen. Das sei aber nicht mehr möglich. "Dann gibt es nur noch eine Lösung, nämlich den Transfer von Steuergeldern aus anderen Ländern der Währungsunion." Dagegen aber "muss es Widerstand geben". "Warum sollten die deutschen Steuerzahler Griechenland subventionieren?", fragt Klaus, womit er sich in voller Übereinstimmung mit der Auffassung einer übergroßen Mehrheit der Bundesbürger befindet. Klaus äußerte auch seine Befürchtung, dass die griechische Krise von Brüssel dazu missbraucht werde, seine supranationale Kontrolle über die Euro-Länder zu festigen. Reale Befürchtungen, die durch die europapolitische Grundsatzrede des deutschen Außenministers Guido Westerwelle am 27. April erhärtet werden. Westerwelle hatte sich gegen "Denkverbote" darüber ausgesprochen, ob eine Regierung ihren Etat künftig nicht "zuerst der Eurogruppe" vorzulegen habe "und erst dann dem nationalen Parlament". Auch der am 1. Mai von Angela Merkel geforderte zeitweise Entzug des Stimmrechts für Staaten, die gegen die Defizitgrenze der EU verstoßen, zielt in diese Richtung.

"Mit dem Euro steht allerdings ein Instrument zur Debatte" meinte GERMAN-FOREIGN-POLICY.COM am 29. April, "das eine wichtige Bedeutung für die deutschen Weltmachtpläne besitzt: Die europäische Währung ist als Konkurrentin zum US-Dollar konzipiert und soll Deutschland und der EU helfen, mit den Vereinigten Staaten zu rivalisieren. Zusätzlich gilt der Euro in Berlin als Mittel, um eine innere Einheit Europas zu befördern, die für eine schlagkräftige europäische Weltmachtpolitik nützlich ist. Wie der deutsche Außenminister in besagter europapolitischen Grundsatzrede bestätigte, will Berlin diese 'innere Einheit' außerdem durch eine gemeinsame Militärpolitik erreichen. 'In Zukunft werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen', orakelte Westerwelle unbestimmt und forderte: 'Auch darauf müssen wir uns vorbereiten.' Das 'langfristige Ziel der Bundesregierung' sei dabei 'der Aufbau einer europäischen Armee', die 'Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik' könne 'ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas werden'. Nach ähnlichem Muster ist das Deutsche Reich 1871 im Krieg gegen Frankreich entstanden; entsprechend hoch war die Bedeutung, die das Militär im Reich besaß."

Während über Rettungsmaßnahmen für Griechenland noch beraten wird, schießen sich die Märkte bereits auf die Hinrichtung weiterer Geiseln ein: Portugal, Spanien und Italien. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die nächsten großen Wellen bereits im Anrollen sind. Daran ändert Angela Merkels Zweckoptimismus, Portugal, Spanien und Irland würden deutlich besser dastehen als Griechenland ebenso wenig wie ihr untauglicher Beruhigungsversuch, für die deutschen Steuerzahler würden keine unmittelbaren Risiken entstehen. Eine Kettenreaktion droht - kollabiert Griechenland, wären auch andere EU-Staaten von einem Staatsbankrott bedroht. Diese sehen sich einerseits Angriffen von Spekulanten ausgesetzt und andererseits wirken die natürlichen Marktkräfte. Es stellt sich die Frage, wie lange das fragile Finanzsystem dies noch aushält. Professor Sinn meinte zu Recht: "Dass die Spanier und die Italiener jetzt darauf drängen, dass wir ohne Bedingungen schnell zahlen, ist verständlich, denn Griechenland ist der Präzedenzfall, der dann auch für sie relevant wäre."

Die Rosskur, die Griechenland von EU und IWF zur Genesung seiner Wirtschaft verschrieben wird, gleicht der, die bereits vor zwei Jahren Lettland aufgezwungen wurde. Folgen: Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts um fast ein Viertel, Arbeitslosigkeit auf über 25 Prozent gestiegen, geschlossene Schulen und Krankenhäuser, radikal gekürzte Renten, Löhne, Gehälter und Kindergeld. Und dennoch ist das Budgetdefizit hoch geblieben und keine Besserung in Sicht. Diese beschämende Massenverelendung ist nun offenbar auch Griechenland zugedacht. Mit den auf diesem Wege "eingesparten" Mitteln sollen den internationalen Banken, darunter Heuschrecke Ackermanns Deutsche Bank, die Schulden zurückgezahlt werden, die die griechische Bourgeoisie "im Namen des Volkes" gemacht hatte. Dabei geht es auch um die Bezahlung jener Aufträge, die die konservativen Vorgänger der jetzigen griechischen Regierung für den Ankauf deutscher Schützenpanzer bei Krauss Mafai in Kassel sowie für U-Boote an die HDW-Werft in Kiel erteilt hatten. Die jetzt regierenden Sozialdemokraten versuchen, einen Stopp auszuhandeln, bisher vergeblich.

Rainer Rupp erklärt dazu in junge Welt vom 30. April 2010: "Die Regierung Merkel engagiert sich nun plötzlich für die Rettung Griechenlands und des Euros. Finanzminister Schäuble drängt scheinbar zur Eile, weil sonst angeblich erneut ein Finanzdesaster wie nach der Pleite der US-Investmentbank Lehmann Brothers droht. Doch es sind nicht die griechischen Malocher und ihre Familien, denen mit den Milliarden deutscher Steuerzahler geholfen werden soll. Nein, das Herz der Kanzlerin schlägt für die wahren Opfer der Griechenland-Krise - unsere Großbanken und ihre Aktionäre." Die gleichen Banken, die mit hunderten Milliarden Euro Steuergeldern vor ihrer verdienten Pleite gerettet wurden und die nun gemeinsam mit US-amerikanischen Großbanken auf die Zahlungsunfähigkeit der Länder spekulieren, die bereits auf der schiefen Ebene in Richtung Griechenland unterwegs sind und dadurch die Zinsen für neue Staatsanleihen in ruinöse Höhen treiben. Weitere Länder werden Griechenland folgen, solange bis auch das ohnehin hoch verschuldete Deutschland finanziell ausgeblutet und handlungsunfähig sein wird, sich den Banken und ihren ausführenden Brüssler Räten bedingungslos unterwirft. Selbst in tonangebenden Kreisen der deutschen Wirtschaft heißt es mittlerweile, man habe von Anfang an gewusst, dass die Währungsunion wegen der Disparitäten in der Euro-Zone "ein Wagnis" sei. Ein Scheitern des Euro sei nicht länger auszuschließen.

Für die deutschen Stammtische ist es aber ungeachtet dieser Zusammenhänge dank der bürgerlichen Journaille dennoch klar: Schuld an der Krise sind die faulen Griechen. "Wir Fleißigen zahlen nicht für eure Faulheit, euer Wohlleben, für euren Schlendrian!" Das sind die Parolen, die Westerwelle und seine Partei auch gegen Hartz IV-Opfer hierzulande gebrauchen. Gegen diese ekelhafte Hetze, dieses organisierte Kesseltreiben tut Solidarität mit den griechischen Opfern neoliberaler Politik Not. Aufgabe von "BILD" und anderen Gazetten ist es zu verhindern, dass die Lohnabhängigen in unserem Land, die nach dem Willen der Bundesregierung die Zeche für die Bankster (aus Banker und Gangster) und Spekulanten zahlen sollen, Gemeinsamkeiten mit ihren griechischen Kollegen entdecken und nach den Worten von Reiner Rupp "womöglich tatsächlich feststellen, dass wir alle Griechen sind".

Während der tschechische Präsident einer direkten Antwort der FAZ, ob er den Euro abschaffen würde, aus dem Wege ging, indem er sagte, Tschechien sei ja kein Mitglied der Euro-Zone, meint die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo): Raus aus dem Euro, raus aus Maastricht und dem Lissabon-Vertrag. Niemand braucht diktatorische Eurokraten. Eine konstruktive Zusammenarbeit souveräner Nationen kann viel besser als eine supranationale Bürokratie funktionieren. Eine Auffassung, der sich aufgrund drohender Staatsbankrotte von EU-Ländern zunehmender Unsicherheiten des Euro, einer unerträglichen Brüsseler Bürokratie auf nahezu allen Gebieten des Lebens und der Abwälzung der Folgen der Krise auf die Lohnabhängigen bei gleichzeitiger Belohnung ihrer Verursacher offensichtlich immer mehr Bundesbürger anschließen.

Hans Fricke, Rostock

Raute

Kommunistische Partei Portugals: PCP stimmt solidarisch mit dem griechischen Volk gegen den EU-Kredit an Griechenland

Die Fraktion der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) lehnt in der Assembleia da República, dem portugiesischen Ein-Kammer-Parlament, die Vorlage über die EU-Kredite an Griechenland ab, da diese Kredite an Bedingungen geknüpft werden, die zur Einfrierung der Löhne und Pensionen, zu Kürzungen von Ferien und Weihnachtszulagen, zu einer brutalen Reduktion der öffentlichen Investitionen, zur Schließung von öffentlichen Diensten und zu Privatisierungen führen.

Wie PCP-Sprecher Bernardino Soares festhielt, durchlebt Griechenland heute die Konsequenzen der Irrationalität des herrschenden Systems in der Europäischen Union. Durch eine monetaristische Politik im Interesse der großen Wirtschaftsgruppen und der Mächte des EU-Direktoriums werden die weniger entwickelten Volkswirtschaften bestraft, namentlich mit der Politik des starken Euros und mit der Aufstellung von künstlichen monetaristischen Kriterien wie der 3%-Klausel, welche nachteilige Folgen in den öffentlichen Investitionen, in der Dynamisierung des inländischen Marktes nach sich ziehen und die sozialen Ungleichheiten verschärfen. »Diese Politik führt zur wachsenden Finanzialisierung der Wirtschaft, zur Verwüstung der produktiven Fähigkeiten der weniger entwickelten Länder, wie dies in Portugal der Fall ist, zur Stagnation und Rezession», erklärte Soares.

Die PCP weist auf den schreienden Mangel an Solidarität innerhalb der EU und speziell bei ihren führenden Mächten hin. Die EU habe die Zuspitzung der spekulativen Angriffe auf Griechenland zugelassen, ebenso auf Portugal und andere Länder, anstatt ihnen durch eine feste Haltung von Anfang an entgegenzutreten. Heute liege es auf der Hand, dass die Notierungen und die angebliche «Verunsicherung der Märkte» nichts anderes sind als der Druck, mit welchem man den Zinsfuß der Schulden und damit die Profitmargen des spekulativen Kapitals nach oben treibt. «In dieser Krise wurde klar, wie die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion funktioniert», sagte Soares weiter. «Ein typisches Beispiel ist Tätigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB), Hüterin der monetaristischen Orthodoxie. Die EZB bringt es fertig, Bankinstituten Geld zu einem Zins von 1% zu überlassen, aber es den Staaten, die in Schwierigkeiten sind, auszuleihen, das wird durch Machtworte und Interessen Deutschlands verboten.» Die portugiesischen Kommunisten verweisen darauf, dass die Griechenland aufgezwungenen Sparprogramme seine Fähigkeit, Schulden abzutragen, noch mehr herabsetzen werden. Schließlich lande das Geld, einmal mehr, bei denen, die die Krise hervorgebracht haben, durch sie profitieren und die Spekulation antreiben. Auf der anderen Seite seien es immer die gleichen, die zu zahlen haben.

Soare Schlussworte: «Jawohl, die EU soll Griechenland helfen. Aber was hier zur Debatte steht, ist keine Hilfe, sondern die Verurteilung zum Rückgang, zur Abhängigkeit, zur sozialen Krise. Von wahrer Hilfe ist nichts zu sehen. Und es soll uns keiner erzählen, dass dieser Weg unvermeidbar sei! Wir sind es satt, solches anzuhören. Damit das System die Spekulanten fördere, sagen sie uns, es gebe nur diesen Weg. Um die Ungleichheit noch zu vertiefen, sagen sie uns, es gebe nur diesen Weg. Um die Arbeitslosigkeit und die Prekarität zu erhöhen, um die Löhne und die Sozialleistungen zu senken, sagen sie uns, es gebe nur diesen Weg.

Nein, meine Herren Abgeordneten, es gibt nicht nur diesen Weg. Er dient dem griechischen Volk nicht, sowenig wie dem portugiesischen, und auch keinem anderen der Völker Europas. Und damit wird von Tag für Europa wie für Portugal klarer, dass man eine andere Richtung, einen anderen Weg einschlagen muss.»


Quelle: Partido Comunista Português (PCP solidário com o povo grego recusa empréstimo à Grécia, 7 de Maio 2010),
Übersetzung/Quelle: www.kommunisten.ch

Raute

Kommunistische Partei Griechenlands: Klassenbewusste Antwort der Volksmassen an die Plutokratie und an die volksfeindliche Politik der sozialdemokratischen Regierung, der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds

- Noch nie da gewesene Beteiligung Zehntausender an den Kundgebungen von PAME in Athen und in weiteren 68 Städten.

- Die KKE macht für den Tod von drei Menschen die Provokateure verantwortlich, die dem Ziel verfolgten, die Volksbewegung zu zerschlagen.

Am 5. Mai hat der Streik von PAME jede Produktionsaktivität in Griechenland lahm gelegt. Nichts lief mehr, in den Fabriken, am Bau, an den Häfen und Flughäfen, an den Hochschulen und Schulen. Sehr früh am Morgen haben tausende Arbeiter und Jugendliche das Recht auf Streik vor den Arbeitsstätten verteidigt, entgegen dem Terror der Arbeitgeber. Hunderttausende von Menschen demonstrierten in den Kundgebungen von PAME in 68 Städten.

Gleichzeitig haben Gruppen von Provokateuren versucht, die Demonstrationen zu verleumden. Aleka Papariga, Generalsekretärin des ZK der KKE hob die Bedeutung des organisierten politischen Kampfes hervor und verurteilte aus dem griechischen Parlament die Versuche der Provokateuren, die mit Brandflaschen in einer Bank, den Tod von drei Menschen verursacht haben.

Die Streikkundgebung in Athen

In Athen fand die Zentralkundgebung von PAME in Zentrum der Stadt, auf dem Omonia-Platz statt. Hauptredner G. Perros vom PAME-Exekutivkommitee betonte unter anderem:

"Keine Opfer mehr für die Banker, für die Industriellen und die Monopole. Unsere Opfer werden wir zur gemeinsamen Verteidigung unserer Rechte und unseres Lebens aufbringen. Zum Schutz des Lebens unserer Kinder, damit wir sie nicht in Handschellen der aggressivsten Ausbeutung ausliefern. Unsere Errungenschaften geben wir nicht auf.

Ihre Behauptung, dass die Streichorgie der Rettung Griechenlands dient, ist gelogen.

Es sind Maßnahmenpakete zur Rettung der Arbeitgeber, der Banker, der Reeder, die auch von den vorhergegangenen Unterstützungspaketen profitierten, zum Nutzen der ausländischen Kreditgeber, die zusammen mit der Plutokratie Griechenlands in den nächsten Jahrzehnten die Wertschöpfung des Volkes rauben werden.

Die Maßnahmen sind seit langem geplant und werden allmählich umgesetzt. Sie sind in den Maastrichter Verträgen niedergeschrieben sowie im "Weißbuch". Sie sind Inhalt der Beschlüsse aller EU-Gipfeltreffen. Sie waren in den Parteiprogrammen der PASOK und der Nea Dimokratia sowie im Abkommen zwischen dem Arbeitgeberverband und dem Allgemeinen Gewerkschaftsbund (GSEE) abgedruckt."

G. Perros betonte weiter: "Wir nehmen uns das Recht für unser Griechenland zu kämpfen, das unendlich besser ist als derer. Auch wenn die Maßnahmen durchkommen, werden sie in unserem Bewusstsein nicht legitimiert sein. Wir werden uns nicht den Gesetzen beugen, mit denen sie versuchen, diese Maßnahmen durchzusetzen. Tag für Tag, Monat für Monat werden wir Kräfte mobilisieren, um die Umsetzung dieser Gesetze zu verhindern, bis wir deren Gesetze und sie selbst umstürzen".

Der PAME-Vertreter endete seine Rede mit den Sätzen: "Wir, die Arbeiter, die Selbständigen, die Kleingewerbetreibenden und Handwerker, die kleinen und mittleren Bauern, die Jugendlichen sind die Mehrheit. Und so lange, wie wir unsere Front, unser Bündnis bauen, umso stärker werden wir. Und wenn wir unsere Volksfront aufgebaut haben, werden wir nicht nur stark, sondern mächtig sein. Wir werden den Träger unserer Macht aufgebaut haben. Wir werden das Instrument gebaut haben, mit dem wir gemäß unserer Bedürfnisse planen und produzieren werden. Wir werden den Grundmechanismus haben, um die Minderheit der Parasiten, die von unserem Schweiß, von unserem Reichtum, von unserer Arbeit leben wollen, zu verhindern. Dieser Reichtum ist allemal genug, um unser Leben zu gestalten und das unserer Kinder. Das ist unsere patriotische Verpflichtung und unsere Verantwortung. Das ist unsere Einbahnstraße und wir werden nicht zurückweichen, egal wie viele Opfer das verlangt".

Es folgte eine überwältige Demonstration der klassenkämpferischen Gewerkschaften, die sich in der PAME verbinden, gegen die Linie des Sozialkonsenses und die Politik der Unterwerfung, die der Griechische Gewerkschaftsbund (GSEE) und der Beamtenbund (ADEDY) zu tage legen.

An der Kundgebung und Demonstration, nahmen außer PAME auch der neu gegründete Antimonopolistische Bund der Kleinunternehmer und -händler (PASEBE) und die Kampffront der Studenten (MAS).

An der Spitze des Demonstrationszuges der PAME befand sich eine Delegation des ZK der KKE, geführt durch die Generalsekretärin Aleka Papariga.

Die Demonstranten von PAME marschierten durch die Hauptstraßen von Athen in Richtung Parlament, in dem die sozialdemokratische Regierung die volksfeindlichen Maßnahmen im Eilverfahren durchboxen will.

Die KKE-Parlamentsfraktion hat von der Parlamentssatzung Gebrauch gemacht, und verlangte, dass für die Annahme dieses Gesetzesentwurfes eine verstärkte Mehrheit aus 180 von 300 Abgeordneten und nicht eine einfache Mehrheit erforderlich ist.

Die Position der KKE über die Ausschreitungen

Die massenhafte und gut geschützte Demonstration der PAME ist die eigentliche dynamische Antwort auf die Aktivitäten von einigen Gruppen und Mechanismen von Provokateuren. Diese Provokateure verfolgen dem Ziel der Desorientierung, der Herabwürdigung der Massenstreiks, der Verleumdung der KKE, der Verhinderung der Dynamik der Kämpfe und der Terrorisierung der arbeitenden Menschen.

Aleka Papariga hat nach der Nachricht über den Tod der drei Menschen, eine Stellungnahme im Parlament abgegeben: "Die arbeitenden Menschen, die Ziele des brutalsten Angriffs seit 1974 werden, können wohl unterscheiden zwischen dem systematischen politischen Kampf für die Verteidigung ihrer Rechte, für den Ausdruck ihres Protestes, einem Kampf, der je nach Bedingungen vielfältige Formen nehmen kann. Sie können unterscheiden zwischen dem Kampf und jeder Planung der Unterminierung der Kämpfe, jeder Provokation, die unschuldige Opfer verursacht. Diese Provokationen bieten eine Möglichkeit und einen Vorwand für die Verleumdung der Kämpfe.

Wir sagen, dass das Volk sich von der Provokation nicht einschüchtern lassen soll, sondern alle notwendigen Maßnahmen ergreifen soll, um seine Kämpfe zu schützen. Diese Kämpfe sollen ihren Ausgangspunkt in den Betrieben haben, wo sie am wirkungsvollsten sind, und ihren Abschluss in einem landesweiten Kampf finden.

Genug mit den Beschuldigungen des Volkes. Es ist als Verursacher der Krise beschuldigt worden. Es kann nicht sein, dass die organisierte und verantwortungsvolle Volksbewegung für Aktivitäten beschuldigt wird, die von wem auch immer inszeniert werden. Die Provokation wird nicht durchkommen. Wir setzen unsere Kämpfe fort".

Entschieden geantwortet hat die Generalsekretärin des ZK der KKE Aleka Papariga dem Vorsitzenden der nationalistischen Partei LAOS, der einen üblen antikommunistischen und provokatorischen Angriff gegen die KKE entfaltet hatte.

In ihrer Antwort erklärte sie: "Als die Demonstration der PAME vor dem Parlament angekommen ist, waren Mitglieder der Chrisi Avgi vor Ort (es handelt sich um eine rechtsradikale nationalistische Gruppe), "bekannte Unbekannte", die 1994 die Technische Universität in Brand gesetzt hatten und eine Gruppe, die tatsächlich schrie "Das Parlament soll brennen". Wir sind hingegangen, haben sie entwaffnet und haben ihnen zwei Fahnen von PAME weggenommen. Wir haben sie öffentlich angeprangert und haben Menschenketten gebildet, so dass keine Ausschreitung während des Aufenthaltes des Demonstrationszuges auf dem Syntagma Platz stattgefunden hat. Ich weiß nicht, ob diese Menschen dauerhafte oder vorläufige Verbindungen zu Herrn Karatzaferis (Vorsitzender von LAOS) haben. Herr Karatzaferis spielt die Rolle des Provokateurs, um die volksfeindlichen Maßnahmen durchzusetzen.

Das Volk hat das Recht durch massenhaften, politischen Kampf, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Verfassung zu reformieren oder auch grundlegend zu ändern.

Ändert nicht das Parlament die ganzen Jahre immer wieder die Verfassung? Wir sagen dem Volk, dass eine Verfassung, die wir bei der Abstimmung im Parlament abgelehnt haben, eine schlechte Verfassung. Das Volk muss kämpfen, um die Verfassung zu ändern. Es ist aber eine andere Sache, wenn man offen und ehrlich sagt, diese Verfassung ist gegen das Volk und die Arbeiterklasse, und eine andere, wenn man Berufsprovokateur ist."

KKE, 05.05.2010

Raute

Aleka Papariga, Generalsekretärin des ZK der KKE: Vorschlag der KKE - Lösungen für die Krise

Die KKE hat stets, vor allem aber nach 1991, die Behauptung, die zügellose Entwicklung des Kapitalismus, der Produktivität und des Konkurrenzdenkens sei gut für das gemeinsame Wohl von Arbeitern und Kapitalisten, als Lüge entlarvt. Die KKE sprach immer von den im Kapitalismus unvermeidbaren ökonomischen Krisen. Die KKE sagte die Krisen voraus, die Unvermeidbarkeit tiefer und sich schnell verschärfender sozialer Widersprüche und der steigenden innerimperialistischen Konkurrenz.

Die Apologeten des kapitalistischen Systems, darunter sowohl diejenigen Kräfte, die sich selbst als Unterstützer der alten PASOK bezeichnen, als auch die Revisionisten stellen die Wirtschaftskrise als Resultat von Managementfehlern dar und vernebeln bzw. negieren damit die wirkliche Ursache der Krise, den Kapitalismus selbst.

Die aktuellen Bedingungen erfordern eine beschleunigte Entwicklung des sozialen und politischen Bewusstseins, die sich hauptsächlich ausdrücken muss in Organisiertheit und zukunftsweisende Kämpfe. Es ist der Lebensstandard des Volkes, der Arbeiterklasse und der Familien mit geringem Einkommen, was uns interessiert, nicht der Profit der Kapitalisten.

Unsere aktuelle Strategie ist es, so viel von der Umsetzung der geplanten barbarischen Sparmaßnahmen zu verhindern, wie es uns unter den heutigen Bedingungen möglich ist, dafür zu sorgen, dass diese Maßnahmen von den Massen nicht akzeptiert werden, die Arbeiterklasse aus den Fängen von PASOK und ND zu befreien und die Protestbewegungen zu (re)organisieren, fortzuentwicklen und schließlich den Gegenangriff einzuleiten, um das jetzige Kräfteverhältnis zu Gunsten der Arbeiterklasse zu verändern und zur Volksmacht fortzuschreiten. Im Parlament sind wir keine indifferenten und neutralen Beobachter, aber da uns dort das politische Kräfteverhältnis kaum Möglichkeiten wirklicher Einflussnahme im Interesse des Volkes bietet, sehen wir die Priorität unserer Aktivitäten in den außerparlamentarischen Kämpfen.

Die Zeit ist reif dafür, aus den vorhandenen militanten Widerstandskräften eine breite soziale Volksfront zu bilden mit dem Ziel, politische Massenaktionen durchzuführen. Diese Volksfront muss sich auf die militanten Kräfte der Arbeiter und Angestellten im privaten und öffentlichen Sektor stützen und außerdem die kleinen Handwerker und Händler sowie die verarmte Bauernschaft umfassen, unterstützt durch die Teilnahme der Jugend, der Nachkommen aus der Arbeiterklasse und der Familien mit geringem Einkommen, der Studenten, die, um studieren zu können, gleichzeitig arbeiten müssen, der Menschen in Umschulungsmaßnahmen, unterstützt von den Frauen, den Immigranten, von Wissenschaftlern, von Kunst- und Kulturschaffenden.

Dazu ist eine Verständigung mit der KKE notwendig, unabhängig davon, ob diese Kräfte mit allem einverstanden sind, was die KK sagt oder ob sie Fragen oder differierende Standpunkte zum Sozialismus haben.

Die Ausgangspunkte einer solchen Volksfront existiert bereits mit der Militanten Arbeiterfront (All Workes Militant Front) PAME, der Allgriechischen Antimonopolistischen Sammlung der kleinen Handwerker und Händler PASEVE, der Militanten Bauernvereinigung PASY, die Militante Front der Studenten MAS und anderer Formationen der Bewegung. Andere Gruppen werden dazustoßen, vor allem die Zusammenschlüsse der Massenbewegung gegen den imperialistischen Krieg, für individuelle und kollektive demokratische und gewerkschaftliche Rechte und lokal agierende Protestgruppen.

Die Orte des Kampfes und damit sein Herzstück sind die Betriebe, die Straßen mit kleinen Läden, das Land, die Schulen und Universitäten, Immigrantenzirkel und alle von der Arbeiterklasse und dem gemeinen Volk bewohnten Viertel. Die Blockaden der arbeiterfeindlichen Maßnahmen, zu denen z.B. das Ersetzen von kollektiven Arbeitsverträgen durch jeweils individuelle, die Teilzeitarbeit und die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen gehören, müssen jeden Arbeitsplatz erreichen.

Die Arbeiterklasse muss das für sie ungünstige Kräfteverhältnis verändern und das muss sich u.a. darin ausdrücken, dass die ökonomischen Abwehrkämpfe hinüberwachsen in Kämpfe mit einem politischen Anspruch. Die Arbeiterklasse darf sich nicht mehr länger damit abfinden, alles zu bezahlen und sich den unglaublichen Profitansprüchen der Großindustrie, der Reeder, der Handelsketten, des Monopolkapitals insgesamt zu ergeben.

Diese soziale Volksfront muss zwei miteinander zusammenhängende Ziele haben:

Das erste Ziel ist der Kampf des Widerstands gegen die barbarischen Maßnahmen, die die Regierung und die mit ihr verbundenen Kräfte durchsetzen wollen; das ist der Kampf gegen die Maschinerie, deren einer Teil das bourgeoise politische System und deren anderer Teil die Plutokratie selbst ist. Ein Zermürbungskampf wird nicht reichen, es müssen einige kleinere oder größere Erfolge erreicht werden.

Wie auch immer, das zweite und wichtigere Ziel ist es, eine militante Vertretung des Volkswillens zu erreichen, Klassenbewusstsein und proletarischen Internationalismus zu entwickeln, dabei einen neuen Optimismus und eine größere Würde zu erreichen, um die Front zu einer breiten Volksbewegung zu machen und damit das Kräfteverhältnis spürbar zu verändern.

Diese Front hat nur eine vorwärtsweisende und realistische Perspektive: Sie muss als grundlegenden Alternativvorschlag die Volksmacht und die Überführung der Wirtschaft in Volkseigentum propagieren, die Schlüsselforderungen, um die Entwicklungsmöglichkeiten des Landes zu bewahren und zu entwickeln, bevor sie ansonsten binnen kurzem zerstört sein werden, müssen sein: die Vergesellschaftung der Monopole, die Bildung von Volkskooperativen in den Bereichen, in denen eine Vergesellschaftung unmöglich ist, nationale Wirtschaftsplanung unter Arbeiterkontrolle von unten.

Die KKE vergrößert ihre Anstrengungen zur Propagierung dieser Vorschläge, während sie gleichzeitig ihre Präsenz in den täglichen Kämpfen verstärkt. Am 15. Mai werden wir eine zentrale Kundgebung organisiert, um unsere Vorschläge und Initiativen einerseits und unsere Totalopposition gegen die aktuelle Politik und das jetzige System andererseits breiter bekannt zu machen(2).

Keine Illusionen!

Die Beibehaltung dieses Systems wird zunächst zu einer schwachen Erholung führen, gefolgt von der nächsten zyklischen Krise, die wesentlich stärker ausfallen wird als diejenige, die wir gerade erlebt haben. Das Volk muss bereit sein zu einem radikalen Bruch mit dem System.

Wir billigen nicht die Rede davon, dass die Opfer der Bevölkerung sinnlos sind, nein, sie haben einen Sinn: sie sind nützlich für die Profite des Kapitals, sie füllen die Taschen der Kapitalisten!

Die Erholung der kapitalistischen Ökonomie in Griechenland wird sich, gerade weil die Stabilisierung innerhalb der Euro-Zone vorgenommen werden muss, als sehr problematisch erweisen. Der Rückgang der Industrieproduktion wird nur mit großen Schwierigkeiten aufzuhalten und umzukehren sein.

Das Krisenmanagement der EU oder des Internationalen Währungsfonds kann nicht die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise außer Kraft setzten, deren Hauptziel und wichtigstes Motiv der Profit ist. Indem ein Problem gelöst oder bekämpft wird - wie z.B. die griechische Staatsverschuldung -, werden andere, neue, noch größere Probleme entstehen. Austritt aus der EU, Ungehorsam ihr gegenüber ist eine Voraussetzung für die Verbesserung des Lebens der Menschen in Griechenland. Jede Maßnahme des Widerstandes ist wertvoll, so lange sie der Veränderung des Kräfteverhältnisses dient. Andererseits helfen unkoordinierte Aktionen oder die Orientierung auf Verhandlungen nur den Erpressungsmethoden der Herrschenden.

Nachdem die Regierung die Zahlungsprobleme und den drohenden Bankrott selbst verursacht hat, akzeptiert sie nun den vorgefertigten Plan der EU und des IWF, der die Widersprüche ausnutzt, um den IWF in die Lage zu versetzen, als angeblicher "Retter der Völker" tiefer in die europäische Wirtschaft einzudringen.

Die Einschätzung einer bevorstehenden Zerstörung des Staatswesens übertreibt die Situation maßlos und dient der Erpressung des Volkes. Vom ersten Augenblick an haben wir gewusst und erklärt, dass es trotz aller Probleme ein Fakt ist, dass die Regierung Kredite bekommen würde, denn keine bourgeoise, volksfeindliche Regierung lässt die eigene Bourgeoisie ohne Unterstützung im Stich. Die griechische Regierung setzte eine perfekte Erpressung in Szene, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der das griechische Volk Maßnahmen akzeptiert, die schon vor 20 Jahren geplant worden sind.

Die Sorge der Regierung um die schlechten Kreditbedingungen hat ihre Ursache in Widersprüchen und Konflikten, die nicht das Volk zu verantworten hat. Griechenland steht zur Zeit im Auge des Zyklons, weil seine enormen Schulden von den kapitalistischen Ländern innerhalb der EU, aber auch zwischen den USA, Rußland und China als Hebel der innerimperialistischen Konkurrenz genutzt wurden. Griechenland steht im Blickwinkel der Interessen des europäischen und außereuropäischen Kapitals wegen seiner Verbindungen zu den östlichen EU-Ländern, zu Eurasien und nach Fernost. Über Griechenland können diese Ökonomien verbunden werden mit Westeuropa. Differierende Interessen und Konkurrenzen sind die Folge.

Das hat nichts mit irgendwelchen differierenden Interessen der betroffenen Völker zu tun. Die genannten kapitalistischen Konflikte sollten durch die Einheit und die gemeinsame Aktion der betroffenen Völker beantwortet werden, denn vollkommen unabhängig davon, welches kapitalistische Land sich in diesem Haifischbecken durchsetzt, das Volk wird verlieren, und alle Völker werden immer weiter verlieren, statt, wie versprochen, teil zu haben am erhofften Gewinn.

Als Lösung der Probleme zu verkaufen, den Ausgleich der öffentlichen Schulden durch Darlehen, durch den Stabilitäts- und Entwicklungspakt und durch internationale Verhandlungen zu erreichen, ist absoluter Blödsinn, ist utopisch, dient nur der Desorientierung.

Zunächst einmal: Die Schulden der öffentlichen Kassen sind kein rein griechisches Problem. Viele kapitalistische Länder, darunter auch viele hochentwickelte, verzeichnen ständig steigende öffentliche Schulden. Und diese Entwicklung basiert nicht auf Regierungs- oder Managementfehlern, wie es uns die bourgeoisen Parteien und die Revisionisten weis machen wollen. Nein, diese Entwicklung basiert auf dem allmählichen, langfristigen Rückgang der verarbeitenden Industrie und der landwirtschaftlichen Großproduktion bei gleichzeitiger Verschärfung der Widersprüche auf der Ebene der EU und auf internationaler Ebene. Wegen ihrer vergleichsweise schmalen Basis sind die industriellen Branchen, die in Griechenland im Energiesektor, in der Telekommunikation und in anderen spezifischen Sektoren bestehen, nicht in der Lage, den industriellen Gesamtrückgang zu kompensieren. Dazu kommen erschwerend Steuersenkungen für die "Wirtschaft", staatliche Unterstützung und Subvention für das große Kapital, enorme Steigerungsraten bei den Waffenprogrammen der NATO, die kapitalistische Konkurrenz unter den Bedingungen der EU und hohe, kontraproduktive Ausgaben für die Olympischen Spiele.

Innerimperialistische Konkurrenz und innerimperialistische Widersprüche führen zur Verschärfung der Krise

Der Dollar versucht, seine frühere Stellung als Welt-Leitwährung zurück zu erobern. Der Kursverlust des Euro hilft Deutschland, der stärksten Exportkraft in Europa, zu einer Zeit, in der es seine weltweite Führungsposition an China abgeben musste.

Es hat mit der Bewegung des Kapitals zu tun, dass die zügellose Profitgier durch so genannte Risikogeschäfte der Investmentbanken befriedigt werden kann. In diesem Bereich werden die Staatsanleihen gehandelt. Diese Finanzbereiche sind ein Wesensmerkmal des Kapitalismus, sie sind kein fremder, spekulativer Bereich, sondern sie liegen in der Logik des Systems.

Nun gibt es also den erpresserischen Druck auf Griechenland, ausgeübt von den Kapitalisten, die durch Direktinvestitionen in Griechenland Gewinne einstreichen wollen, zuvor aber verlangen sie, dieselben volks- und arbeiterfeindlichen Maßnahmen durchzusetzen wie in den anderen Staaten Europas, Maßnahmen, die es bislang in Griechenland zumindest in dem ansonsten bekannten Ausmaß noch nicht gab, weil sich das Volk bisher kämpferisch dagegen gewehrt hat - mit Unterstützung der KKE. Diese Kapitalisten wollen Bedingungen schaffen, um auf Kosten der griechischen Mittelschicht die Sektoren der griechischen Wirtschaft zu übernehmen, die bisher noch nicht von den großen Monopolen beherrscht werden konnten: den Maschinenbau, das Transportgewerbe, die Pharmazie und andere.

Es gibt scharfe Widersprüche zwischen dem amerikanischen, dem arabischen, dem chinesischen und dem russischen Kapital, die alle in der griechischen Ökonomie wichtige Positionen besetzt haben und von Griechenland als einem in der imperialistischen Hierarchie mittleren Land aus eine Öffnung in die internationalen Märkte vorbereiten.

Der Vorschlag der KKE

Die antiimperialistische, antimonopolistische demokratische Front - Volksmacht und Ökonomie

Das griechische Volk kann zwischen zwei Entwicklungswegen der griechischen Gesellschaft wählen, nämlich zwischen dem Weg, der gerade gegangen wird und demjenigen, der vom Volk erkämpft werden muss.

Auf der Grundlage von Fakten und Beweisen stellen wir fest, dass Griechenland trotz des immensen Schadens, der durch die Dominanz des Kapitals und die Konkurrenz der Monopole angerichtet wurde, die Vorbedingungen erfüllt dafür, eine eigenständige Ökonomie im Interesse des Volkes zu schaffen und zu entwickeln.

Die negativen Entwicklungen der letzten 20 Jahre können ausgeglichen werden durch das Erringen anderer politisch-ökonomischer und sozialer Bedingungen. Es ist noch nicht zu spät.

Griechenland verfügt über ein ausreichendes Niveau der Konzentration der Produktion, der Produktionsbedingungen, der Infrastruktur und der Entwicklung der modernen Technologien. Griechenland hat eine starke, erfahrene Arbeiterklasse, mit einem beeindruckenden Ausbildungsstand und einer breiten Spezialisierung, Griechenland verfügt über einen starken Wissenschaftssektor. Griechenland hat wertvolle natürliche Ressourcen, wichtige Reserven an mineralischen Bodenschätzen, was alles gute Bedingungen für die Schwer- und Leichtindustrie sind. Griechenland hat das große Glück, dass es ausreichend Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung und darüber hinaus für den Außenhandel produzieren kann. Griechenland hat Kapazitäten zur Herstellung moderner Produkte, moderner Maschinen, Werkzeugen und Geräten.

Um eine Ökonomie aufzubauen, die für alle da ist, müssen wir eine Lösung finden für das Problem des Eigentums, damit im Interesse des Volkes und nicht im Interesse des Profits produziert werden kann.

Die Wahl muss sein: ein grundsätzlicher Wechsel der historisch überlebten sozialen Eigentumsverhältnisse, der auch das politische System neu bestimmt und die Basis und die wichtigsten Standorte folgender Branchen umfasst: Energieversorgung, Telekommunikation, Bodenschätze, Bergbau, Industrie, Wasserwirtschaft und Verkehrswesen. Das Bankensystem muss vergesellschaftet werden, außerdem das System der Erschließung und Ausbeutung der Naturressourcen, der Außenhandel, der Großhandel, die Wohnungswirtschaft und das Presse- und Informationswesen.

Es muss ein ausschließlich staatliches, universelles und freies Bildungssystem und Gesundheitssystem geben, ebenso ein solches der sozialen Wohlfahrt und der sozialen Sicherheit.

Wir betonen, dass es Bereiche geben muss, die nicht in den Bereich der Vergesellschaftung mit einbezogen werden können. Neben dem gesellschaftlichen Sektor muss es einen genossenschaftlichen Sektor geben für die kleinen Agrarwirtschaften und die Bereiche, in denen kleine Betriebe vorherrschen und die Konzentration schwach ist. Der Prozess der Gründung von Kooperativen soll als ein freiwilliger Prozess verstanden werden.

Die vergesellschafteten und die genossenschaftlichen Sektoren, in Einheit von Produktion und Verteilung, müssen zusammengefasst sein in einem zentralen gesellschaftlichen Mechanismus der ökonomischen Planung und Verwaltung, so dass alle Sektoren der Produktion und alle Teile der Arbeiterklasse mobilisiert werden können und so, dass es eine internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit geben kann, die auf Nutzen und gegenseitigem Vorteil basiert.

Die heimische Wirtschaft muss geschützt werden, und die Interessen der Arbeiterklasse werden Vorrang haben vor irgendwelchen Konsequenzen oder Zwängen, die über den Außenhandel an uns herangetragen werden können.

Eine zentrale Planung ist notwendig, um strategische Ziele zu verfolgen und dafür Weichenstellungen vornehmen zu können, z.B. um bestimmt Branchen oder Sektoren vorrangig zu entwickeln oder um zu entscheiden, wo größere Ressourcen konzentriert werden sollen usw. Das Ziel ist eine bedarfsgerechte Verteilung der Güter, zunächst in einigen Branchen und Bereichen, schließlich in allen - bei gleichzeitiger Arbeiterkontrolle der Produktion, der Dienstleistungen und jeder Verwaltungseinheit.

Die Regierung als ein Organ der Volksmacht hat den Auftrag, die Mitwirkung des Volkes beim Beschreiten dieses völlig neuen Weges sicher zu stellen, die Volksbewegungen zu unterstützen und sie wird kontrolliert von neu zu schaffenden Organen der sozialen Kontrolle.

Die zentrale Planung der gesellschaftlichen Entwicklung ist eine Notwendigkeit, die sich aus den heutigen, den kapitalistischen Bedingungen ergibt. Sie dient der Menschlichkeit, ihre Ziele sind die Befriedigung der wachsenden Bedürfnisse der Arbeiterklasse, die dafür notwendigen Entscheidungen zur Wirtschaftsentwicklung und zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik - zum Nutzen des Volkes.

Die Volksmacht wird den innerstaatlichen wirtschaftlichen Austausch befördern und die Nutzung von Technologien nach den Interessen des Volkes prüfen.

Die öffentlichen Schulden werden unter der Volksmacht abgetragen werden - mit der Maßgabe, dass dies im Interesse des Volkes geschehen muss.

Zu Beginn wird die Volksmacht konfrontiert sein mit der inneren und äußeren Konterrevolution. Die EU, die NATO und die Abkommen mit den USA lassen den einzelnen Ländern in Europa wenig Manövrierspielraum.

Nur der Rückzug aus der EU und das Erreichen einer selbständigen, demokratischen Entwicklung und Kooperation kann dieses Problem im Interesse des Volkes lösen.

Es ist notwendig, unsere Aktivitäten in Richtung der Lösung der Probleme zu verstärken.

Wir kämpfen unaufhörlich für die Formierung und Stärkung der Arbeiterklasse, damit durch die Macht der Bewegung Maßnahmen durchgesetzt werden können, die die akuten Probleme verringern und dem Volk Erleichterung bringen.

Wir haben Positionen und Forderungen für jedes der aufgetretenen Probleme entwickelt. Aber das genügt heute nicht mehr: ein alternativer Vorschlag für den gesellschaftlichen Fortschritt ist notwendig, damit die Kämpfe ein Ziel bekommen, eine Richtung und einen Sinn, denn nur so kann der Druck in jeder Phase aufrecht erhalten werden.

Aleka Papariga, Athen


Anmerkung

2) Die "junge Welt" berichtete am 17.5.2010 über diese Kundgebung der KKE wie folgt: "Mehrere zehntausend Menschen sind am Samstag. 15. Mai 2010 in Athen einem Aufruf der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) gefolgt. Mit Plakaten wie "Es gibt keine Lösung - komm mit uns" demonstrierten sie nicht nur gegen die härtesten jemals gegen sie verhängten "Sparmaßnahmen", sondern auch für einen vollkommen anderen Weg aus der Krise. KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga betonte in ihrer Ansprache, die Lösung sei eine neue Politik, die "von unten" vorzubereiten sei. Als deren Merkmale nannte sie die Vergesellschaftung der Industrie und großen Agrarproduktion sowie des Großhandels. Kleine Handels- und Agrarunternehmen müssten genossenschaftlich organisiert, die Wirtschaft durch zentrale Pläne gesteuert, jegliche Privatisierung von Gesundheits- und Sozialfürsorge, Bildung, Kultur und Sport müssten beseitigt werden. Eine solche Politik sei jedoch unvereinbar mit der Beteiligung an imperialistischen Vereinigungen wie der EU oder der NATO, unterstrich die Generalsekretärin.

Eine Absage erteilte sie hingegen der von der Linksallianz "Syriza" propagierten "Einheit der Linken". Bei "Syriza" handele es sich um ein "seltsames, aber keineswegs ungewöhnliches Gebilde", das eine Bremse bei der Emanzipation der Volksbewegung gegen die herrschende Politik sei. "Im Grunde haben alle diese Variationen von der 'Einheit der Linken' den selben Kern, den Weg der verlorenen Ehre der Sozialdemokratie. Ein Rezept, das uns erst in die heutige Situation gebracht hat, wird als angeblich neue, moderne Lösung präsentiert." Der Weg führe stattdessen über den "Schulterschluss mit der KKE, ihrer Jugendorganisation KNE und den klassenbewussten Organisationen, die heute in offener Konfrontation mit den Monopolen stehen". (jW, 17.5.2010)

Raute

65. JAHRESTAG DER BEFREIUNG VOM FASCHISMUS

50 Kommunistische Parteien: Gemeinsame Erklärung - Befreiung vom Faschismus

GEMEINSAME ERKLÄRUNG VON 50 KOMMUNISTISCHEN UND ARBEITERPARTEIEN: FEIERN WIR DEN 65. JAHRESTAG DES SIEGES! 9. Mai 2010

Am 9. Mai feiern wir den 65. Jahrestag des Sieges über den Nazi-Faschismus - den brutalsten Ausdruck der Monopolherrschaft eines kapitalistischen Systems in tiefer Krise -, der die Menschheit in eine der größten Katastrophen ihrer Geschichte führte, mit aller Barbarei von Konzentrationslagern, Todesmärschen und Zerstörung, die der Zweite Weltkrieg für die Völker bedeutete. Die Kommunisten kämpften von Anfang an in vorderster Linie, mobilisierten und organisierten die Werktätigen und die Völker zum Widerstand. Der antifaschistische Kampf konnte auf die feste und entschlossene Aktion der Kommunisten zählen, in welcher Millionen ihr Leben hingaben. Für den Sieg über die faschistischen Horden entscheidend war der heldenhafte Beitrag der UdSSR, ihrer Roten Armee und ihres Volkes, das etwa 27 Millionen Tote zu beklagen hatte. Der Sieg von 1945 und die Herausbildung des sozialistischen Lagers schufen die Bedingungen für den Beginn der Emanzipation von Millionen von Männern und Frauen, welche sich von der kolonialen Ausbeutung und Unterdrückung befreiten, und Voraussetzungen, unter denen die Arbeiterbewegung gewaltige soziale und politische Erfolge erringen konnte, wie sie auf dem Weg des Fortschritts in der Geschichte der Menschheit nicht ihresgleichen finden.

In der gegenwärtigen Lage, in Zeiten der tiefen Krise des Kapitalismus, in welcher die von verschiedenen imperialistischen Organisationen wie der NATO und der Europäischen Union entfesselte Offensive die Arbeitermassen schwer trifft, steht die Menschheit erneut grossen Gefahren gegenüber, die aus der Zuspitzung des Widersprüche des Imperialismus, dem Wettrüsten, der Verstärkung der aggressiven Militärbündnisse resultieren und ebenso aus dem Versuch zur gewaltsamen Durchsetzung einer brutalen Verschärfung von Ausbeutung, Prekarität der Arbeitsverhältnisse, Entlassungen, Arbeitslosigkeit, Armut und zur Verweigerung der elementarsten Bedürfnisse von Millionen und Abermillionen menschlicher Wesen. Daher rufen wir auf zur Würdigung des 65. Jahrestags des Sieges über den Nazi-Faschismus als eines wichtigen Marksteins im Kampfes für den Frieden und gegen die monumentale Geschichtsfälschung und den Antikommunismus -, der mit dem Versuch der Gleichstellung von Faschismus und Kommunismus die entscheidende Rolle der Kommunisten bei der Befreiung der Völker vom nazi-faschistischen Joch ausblenden will, und die Ideen und Aktionen nicht allein der Kommunisten zu kriminalisieren, zu illegalisieren, zu unterdrücken versucht, sondern aller Demokraten, welche sich der kapitalistischen Herrschaft und Ausbeutung widersetzen, ihre auf irgendeine Weise Widerstand leisten und organisiert gegen die Monopole und den Imperialismus kämpfen.

Für uns Kommunisten bedeutet die Berufung auf den 65. Jahrestag des Sieges die Bestätigung unserer tiefen Überzeugung vom Kampf für die soziale Befreiung, für die Richtigkeit unserer freiheitlichen Werte und Ideale; Bestätigung unserer Entschlossenheit zur Bekämpfung der Ursachen und Kräfte, welche an der Wurzel des faschistischen Horrors standen; Bestätigung unseres unerschütterlichen Vertrauens, dass die Zukunft nicht den Ausbeutern und Unterdrückern gehört, sondern den Arbeitern und Völkern, die sich wehren für die Befreiung der Menschheit von allen Fesseln der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, für eine Gesellschaft, in welcher die Werktätigen die von ihnen geschaffenen Reichtümer voll genießen können, für den sozialen Fortschritt, den Frieden und den Wohlstand. Die Zukunft gehört nicht dem Kapitalismus, sondern dem Sozialismus und Kommunismus.

Original: 65 years of the Victory - Übersetzung undQuelle: kommunisten.ch, 9.5.2010, dankend übernommen aus: Newsletter der Kommunistischen Initiative Deutschlands

Raute

Erich Buchholz: Zum 65. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus und zum Potsdamer Abkommen.

Dank der politischen Aufklärung durch meinen Vater und zunehmend aufgrund eigener Erlebnisse gehörte ich im Mai 1945 zu denen wenigen Deutschen, die in der Niederschlagung des Hitler-Faschismus nicht eine Niederlage, sondern eine Befreiung von dieser Verbrecherbande erlebte.

Bereits im August 1945 las sich in Berlin an einer Litfasssäule erstmals das Potsdamer Abkommen. Dieses historische völkerrechtliche Abkommen konnte nur zustande kommen, weil und nachdem der Hitler-Faschismus, besonders dank der letztlich entscheidenden großen Blutopfer der Soldaten der Roten Armee, militärisch zerschlagen war und sich am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst einer bedingungslosen Kapitulation sowie der Besetzung ganz Deutschlands durch die Alliierten Truppen unterwerfen musste. Eine deutsche Regierung oder Staatsgewalt gab es nicht mehr.

Deshalb übernahmen die Alliierten gemeinsam durch die Oberbefehlshaber der Streitkräfte der USA, des Vereinigten Königreichs (UK), der UdSSR und der Französischen Republik die "höchste Regierungsgewalt in Deutschland".

In diesem auf die auf die Durchführung der Krimkonferenz in Jalta gerichteten völkerrechtlichen Dokument hatten die Alliierten zwar festgestellt, dass das deutsche Volk anfängt, die furchtbaren Verbrechen zu büßen, die in seinem Namen begangen wurden, aber dem deutschen Volk eine Perspektive in einem einheitlichen demokratischen antifaschistischen friedliebenden Staat eröffnet.

Während ich das Potsdamer Abkommen las, waren die anderen Leute schweigsam und blickten mit finsterem Gesicht auf den Anschlag. Ich aber war hoffnungsvoll.

Ich erinnerte mich daran, dass die Nazis uns, um unsern Kampfesmut zu stärken, über den Morgenthau-Plan unterrichtet hatten. Er sah vor, Deutschland zu zerstückeln und das deutsche Volk letztlich auszurotten - durch Kastration der Männer.

Nun durfte ich hoffen, am Aufbau eines demokratischen antifaschistischen friedliebenden Deutschlands mitarbeiten zu können - damals wusste ich noch nicht wie - und später mit einer eigenen Familie mein Leben führen zu können.

Andererseits erlebte ich sehr bald, deutlich im Jahr 1946 in West-Berlin, wo ich damals lebte, wie der alte nazistische Ungeist in den Medien, auf der Straße, im Krankenhaus, wo ich lange Zeit lag, noch lebendig war. Es war dasselbe Vokabular, das ich bis Mai 1945 tagtäglich von morgens bis abends über mich habe ergeben lassen müssen: Antibolschewismus, Antikommunismus, Antisozialismus und Nationalismus: Alles war noch da. Nur das Hakenkreuz kam nicht mehr vor; auch den Deutschen Gruß hatte man weggelassen, man sprach auch nicht mehr von Partei- und Volksgenossen, aber selbst der Antisemitismus war - wenngleich nicht offen - durchaus noch lebendig. Die CDU führte ihren Wahlkampf 1946 unter der verdummenden Losung: Freiheit oder Sozialismus. Zu diesem fortwirkenden alten Geist gehörte die Diffamierung des Nürnberger Urteils über die Hauptkriegsverbrecher, das ein neues Kapitel im Völkerrecht, namentlich im Völkerstrafrecht aufgeschlagen hatte, als "Siegerjustiz"! Das war der Auftakt zur Reinwaschung der Nazis in Westdeutschland!

Spätestens zu dieser Zeit wurde mir klar, welch immense intensive geistige Aufklärungsarbeit unerlässlich sein würde, um das zu verwirklichen, was uns die Alliierten im Potsdamer Abkommen als Perspektive eröffnet hatten.

Das Potsdamer Abkommen war darauf ausgerichtet, den Hitler-Faschismus in Deutschland mit Stumpf und Stiel auszurotten.

Das aber bedeutete vor allem, seine materiellen, sozialökonomischen Wurzeln auszureißen. An erster Stelle stand die Beseitigung des Junkertums, jener Klasse, die über Jahrhunderte die armen Leute ausbeutete, sich auf das Militärische konzentrierte und an der Vorbereitung und Durchführung der beiden Weltkriege maßgeblich beteiligt hatte. Deren Beseitigung als Klasse durch eine Bodenreform war eine überfällige historische Notwendigkeit. Sie war unmittelbar dadurch gerechtfertigt, dass gerade aus dieser Klasse, Kaste - abgesehen von einigen, wie später Hitler die Gefolgschaft versagten - all die Kräfte hervorgegangen waren, die auch in der Weimarer Republik sich auf eine Revanche vorbereiteten, den zweiten Weltkrieg, zunächst insgeheim, vorbereitet und am verbrecherischen Hitler-Krieg maßgeblich beteiligt war. Über diese historische Notwendigkeit und Berechtigung hinaus hatte die Enteignung der Großgrundbesitzer, besonders der ostelbischen mit ihren riesigen Latifundien, eine ungemein praktische Bedeutung:

Seit Anfang 1945 hatten die Nazis die Deutschen östlich von Oder und Neiße in die Gebiete des Reichs befohlen, die westlich dieser Linie lagen. Anfang Mai war die überwiegende Masse jener Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße verbracht worden. Denn deutsches Blut durfte nicht den "bolschewistischen Horden" und "Untermenschen" überlassen werden.

Aufgrund der Festlegung der Alliierten mussten diese Millionen westlich dieser Linie eine neue Heimat finden und Lebensmöglichkeiten erhalten. Da sie in großer Zahl aus ländlichen Gebieten kamen, war es bedeutsam, ihnen durch die Bodenreform als Neubauern eigenes Land zu geben, von dem sie sich und ihre Familien ernähren konnten. Während die Umsiedler in Ostdeutschland wieder Boden unter die Füße bekamen und sich hier ein eigenes Leben gestalten konnten, blieben viele dieser aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße nach Westdeutschland verschlagenen Deutschen dort lange Zeit Mägde und Knechte bei Großbauern und Junkern.

Allein diese Tatsachen sprechen für sich und begründen die Gerechtigkeit der Bodenreform; eine solche war übrigens auch von den westlichen Alliierten für Westdeutschland durchaus anvisiert worden.

Von entscheidender Bedeutung war, diese Bodenreform noch im Herbst 1945 durchzuführen, vor der Herbstbestellung des Bodens. Der agrotechnische Ablauf gestattete keine Verzögerung - andernfalls Hungersnot und andere Probleme drohten. Wegen der in Ostdeutschland zeitgerecht durchgeführten Bodenreform konnten die Neubauern ihren eigenen Boden bearbeiten, sie konnten dort pflügen, eggen und säen, um im Sommer 1946 ihre eigene Ernte einbringen zu können.

Die unter der Führung von Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen Antifaschisten mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht durchgeführte Bodenreform war eine historische Großtat ohne Beispiel.

Um den Hitler-Faschismus in Deutschland mit Stumpf und Stiel auszurotten war weiterhin unerlässlich, die Nazi- und Kriegsverbrecher zu enteignen. Sie waren die hauptsächlichen Kriegsgewinner. Auf Kosten des Volkes und anderer Völker hatten sie sich maßlos bereichert. Im Lande Sachsen erfolgte dies auf der Grundlage eines Volksentscheids, in den anderen ostdeutschen Ländern aufgrund entsprechender Landesgesetze.

Diese beiden demokratischen Maßnahmen waren die Voraussetzung für die Entstehung von Eigentum des Volkes, dafür, dass in der DDR später an allen wesentlichen Produktionsmitteln Volkseigentum bestand.

Als Jurist habe ich ausdrücklich hervorzuheben, dass all Maßnahmen der grundlegenden demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft - angefangen von der Bodenreform über die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, die Reformen in der Verwaltung, im Schulwesen, im Justizwesen und immer stärker in der Wirtschaft nicht nur historisch gerechtfertigt waren, sondern sämtlich auf gesetzlicher Grundlage erfolgten.

Vielfach waren es Gesetze der sowjetischen Besatzungsmacht (in Befehlsform), maßgeblich waren dann die Länderverfassungen, weiter ergingen - über den Volksentscheid in Sachsen hinaus - Gesetze der ostdeutschen Länderparlamente und später die Gesetze der Volkskammer der DDR. Allerdings waren dies grundlegend neue demokratische Gesetze, Gesetze im Interesse des Volkes. Die aus der Kaiserzeit stammenden alten Gesetze und Gesetzbüchern, die mit einigen Modernisierungen in der Bundesrepublik auch heute noch gelten, hätten für eine solche demokratische Umgestaltung der Gesellschaft keine Rechtsgrundlage abgegeben.

An dieser Stelle ist gegen Entstellungen und Verdrehungen unserer Gegner besonders herauszustellen: Der eigentliche Grund dafür, warum sie mit besonderer Gemeinheit und Raffinesse die - nicht mehr bestehende DDR - verleumden, diffamieren und mit Schmutz bewerfen, besteht nicht - wie von ihnen behauptet wird - in irgendwelchen angeblichen Ungesetzlichkeiten, nicht-rechtstaatlichen oder nicht-demokratischen Maßnahmen, sondern darin, dass die Ostdeutschen - mit Unterstützung ihrer Besatzungsmacht - es gewagt hatten, an der Heiligkeit des Privateigentums zu rütteln.

Das war und ist in deren Augen die eigentliche Untat in Ostdeutschland und in der DDR.

Denn nichts ist für sie wichtiger als die Unantastbarkeit und Ewigkeiten des Privateigentums. In ihrer Gesellschaft steht das Privateigentum über allem!

Auch muss klarstellend betont werden: In Ostdeutschland wurde nicht das Eigentum als solches, das Eigentum der Bürger, angetastet, sondern nur das Privateigentum an Produktionsmitteln. Das persönliche Eigentum der Bürger blieb davon unberührt und wurde durch die Verfassung und die Gesetze der DDRE geschützt.

Aber das persönliche Eigentum der Bürger interessiert unsere Gegner überhaupt nicht. Für sie ist wesentlich die Erhaltung des Privateigentums an Produktionsmitteln, an Banken, Versicherungen, Patenten und allem anderen für Profiterzielung nutzbaren Werten. Zur charakteristischen Verschleierungsfunktion des überkommenen Rechts gehört, hinter abstrakten Allgemeinbegriffen, wie Eigentum und Freiheit, das "Eigentliche", nämlich das Profitinteresse zu verstecken und außerdem den Bürgern zu suggerieren, man sorge sich um ihr persönliches Eigentum!

Als eine weitere Lehre aus der Befreiung vom Hitlerfaschismus ist daran zu erinnern, dass die Nazis 1933 Dank der Hilfe des Kapitals, der Junker und Militaristen aus den Händen des Junkers Generalfeldmarschalls von Hindenburg die Regierungsgewalt nur deshalb übertragen bekommen konnten, weil die deutsche Arbeiterbewegung gespalten war. Sie hatte die fundamentale Erkenntnis aus dem Kommunistischen Manifest, sich zu vereinigen, nicht beherzigt. Deshalb bestand eine erste Schlussfolgerung nach der Befreiung darin, diese Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden - was Anstrengung und Geduld verlangte.

Entgegen allen Lügen und Verleumdungen war bei der überwiegenden Mehrheit der Genossen beider Parteien, von denen viele in den KZ der Nazis gleichermaßen geschunden und ermordet worden waren oder sich in die Illegalität und in die Emigration hatten begeben müssen, der heiße Wunsch, das tiefe Bestreben, nicht nur zusammen zu gehen, sondern sich auch zusammenzuschließen, unübersehbar unüberhörbar.

Darin sahen die reaktionären Kräfte, auch die westlichen Besatzungsmächte, eine Riesengefahr. Deshalb wurde dort, wo sie etwas ausrichten konnten, ein solcher Zusammenschluss mit allen Maßnahmen verhindert. Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl wurde verboten, in Westdeutschland für dieses Anliegen zu werben. Auch in West-Berlin wurde der Zusammenschluss von KPD und SPD rigoros verhindert.

Das erste greifbare Ergebnis dieser reaktionären Machenschaft war bei den Wahlen 1946 zu erleben: in Gestalt der SED und der SPD traten in West-Berlin zwei Arbeiterparteien gegeneinander an.

Davon profitierten die reaktionären Kräfte.

Warum wurde die im Potsdamer Abkommen vorgezeichnete konsequente Überwindung des Hitler-Faschismus nur in Ostdeutschland vorgenommen? Warum wurde sie in Westdeutschland verhindert?

Ich erinnere daran, dass - neben vielen anderen progressiven Bestimmungen in westdeutschen Länderverfassungen - auch in der durch Volksentscheid am 11.12.1946 angenommenen Verfassung des Landes Hessen im Art. 41 die Überführung der Schwerindustrie in Gemeineigentum vorgesehen war; schließlich hatten deren Eigentümer durch die Rüstungsproduktion ganz besonders am Krieg profitiert. Die britische Besatzungsmacht stornierte diesen Artikel, weil auch sie das Privateigentum, namentlich das an Produktionsmitteln, nicht angetastet lassen wollte.

Wenn über die Befreiung vom Hitler-Faschismus aus gegebenen historischen Anlass zu reden ist, darf nicht ausgeblendet werden, auf welche Weise das Hauptziel des Potsdamer Abkommens, die Entwicklung eines einheitlichen demokratischen antifaschistischen friedliebenden Deutschlands zunichte gemacht wurde - nämlich durch die Spaltung Deutschlands.

Wie und vor allem warum kam es dazu? Seit ab Spätsommer 1944 hatte die Rote Armee durch ihre unübersehbaren Siege zunehmend großes internationales Ansehen erlangte - und mit ihr auch die Sowjetunion und Stalin persönlich. Die Idee des Sozialismus gewann zunehmend weltweit an Boden und mobilisierte die Unterdrückten allüberall, auch in den Kolonien, besonders in Indien und in Vietnam, dann auch in Afrika, in Süd- und Mittelamerika: in China führte der Lange Marsch seit 1934 nach der Befreiung vom japanischen Militarismus schließlich am 7. Oktober 1949 zur Gründung der chinesischen Volksrepublik. In Europa hatte die Rote Armee viele Völker Osteuropas befreit und dann auch den Osten Deutschlands besetzt; Jugoslawien hatte sich unter Titos Kämpfern vom Faschismus selbst befreien können, auch in Griechenland war eine Volksbefreiungsarmee bei der Zerschlagung der Hitler-Faschisten erfolgreich; auch sie kämpfte für eine Volksdemokratie und sah sich schon ihrem Ziel nahe. Da dort keine sowjetischen Truppen standen, nutzten die Britten diese Situation. Sie okkupierten dieses vom Hitlerfaschismus befreite Land und setzten die Obristendiktatur in den Sattel.

Auch in Italien und Frankreich hatten die antifaschistischen, demokratischen Kräfte einen beispiellosen Aufschwung erreichen können. Über eine Volksfront strebten sie auch dort wirkliche Demokratien, Volksdemokratien an.

Die 1944, weitgehend aus der Résistance, neu geschaffene französische Armee rekrutierte sich stark aus der französischen Widerstandsbewegung. Unter ihren Offizieren, dann der der französischen Besatzungsmacht, waren nicht wenige Kommunisten - sie wurden später abrufen.

Diese weltweite demokratische antiimperialistische Entwicklung war für die nach Roosevelts Tode neue reaktionäre USA-Administration unter Truman als eine für sie lebensgefährliche Bedrohung ab- und anzusehen.

Hatten die USA im Ergebnis des ersten Weltkrieges mit nur geringem Blutvergießen eine Weltmachtposition einnehmen können und hat sie diese im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs - ebenfalls mit nur geringem eigenen Blutvergießen - ausbauen können, so mussten sie sich eingestehen, dass im Ergebnis des Sieges der Roten Armee über den Hitler-Faschismus eine starke zweite Weltmacht erstanden war - noch dazu eine sozialistische. Wenn im Gefolge des internationalen Ansehens der Sowjetunion nicht nur in China, später in Vietnam und auch an anderen Erdteilen sozialistische Ideen Fuß fassen würden, würde das Ende des Imperialismus abzusehen sein. Das war lebensgefährlich für den US-Imperialismus, ja für das Kapital im Weltmaßstab. Kündigte sich etwa sein Ende an?

Eine weiteres hatten sie zu bedenken: Wenn das Potsdamer Abkommen verwirklicht wird, wenn hier ein friedliebendes demokratisches antifaschistisches einheitliches Deutschland entstehen würde, mit dem ein Friedensvertrag abzuschließen wäre, würde den US-amerikanischen Truppen der Rechtsgrund ihrer Anwesenheit in Deutschland - und damit in Europa - verloren gehen! Man hätte die Truppen, die mit Mühe und Kosten über den großen Teich nach Europa gebracht worden waren, wieder zurückziehen müssen. Das durfte nicht sein! Wo hat jemals eine imperialistische Armee, die in anderen Ländern Fuß gefasst hatte, sich wieder zurückgezogen? Freiwillig niemals! Vietnam mussten sie verlassen, weil sie militärisch und politisch geschlagen waren.

Aus ihrer Sicht musste unverzüglich gehandelt werden - ehe es zu spät geworden wäre. Mit dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wurde der Kalte Krieg eingeläutet. Dieser Abwurf war "eigentlich" gar nicht gegen Japan gerichtet; seine Kapitulation war, nachdem die Rote Armee auch gegen Japan zum Zuge kam, eine Frage von Tagen.

Adressat dieses Atombombenabwurfs war die Sowjetunion - Stalin persönlich, wie Truman es ihm am Rande der Konferenz in Cecilienhof beibrachte. Es war eine Machtdemonstration gegen die sozialistische UdSSR. Die japanischen Bewohner von Hiroshima und Nagasaki waten nur das "atomare Kanonenfutter", das Versuchskaninchen mit menschlichem Antlitz - in rassistischer Denkweise waren es ohnehin nur Asiaten - ganz so, wie man später in Vietnam unmenschlich wüstete, auch weil es "nur" Asiaten waren.

Eine ideologische Vertiefung erfuhr der "Kalte Krieg" in Churchills berüchtigter Fulton-Rede, die den Ansichten Trumans entsprach.

Um von vornherein ein sozialistisches oder gar kommunistisches Europa zu verhindern, brauchte es eines "Grundes" für fortdauernde Anwesenheit US-amerikanischer Truppen in Europa; insbesondere benötigte man das militärische Potenzial der Deutschen. Das wurde durch seine Einbeziehung in die gegen die Sowjetunion gerichtete Militärallianz, die NATO, strategisch in Angriff genommen.

Wie konnte dies erreicht werden?

Solange das besiegte Deutschland von den Alliierten gemeinsam verwaltet wurde, ging solches nicht. Die erste Voraussetzung für die Durchführung der Pläne der USA Imperialisten war daher die Spaltung Deutschlands.

Wie agiert das Kapital? Mit Geld!

Begonnen wurde die Spaltung Deutschlands mit einer insgeheim langfristig, bereits im November 1947 komplett vorbereiteten separaten Währungsreform vom Sommer 1948. Zuvor war bereits im September 1947 auf der Pariser Konferenz - also ein Vierteljahr vor dieser "Währungsreform" - als maßgeblicher Schritt zur Spaltung Deutschlands die einseitige Einbeziehung der - inzwischen als eigenständige wirtschaftliche Verwaltungseinheit errichteten - (westdeutschen) Bi-Zone in die "Marshallplanhilfe", mit Kapital aus den USA, mit der Folge entsprechender Abhängigkeit, verabredet worden.

Das war die währungsmäßige und damit die ökonomische Spaltung Deutschlands, die Ostdeutschland - wie beabsichtigt - dauerhaft enormen wirtschaftlichen und politischen Schaden brachte und - aus heutiger Sicht - als erster Schritt zur schließlichen "Befreiung der Soffjetzone" (im Vokabular Adenauers) anzusehen ist.

Wie aber konnte man das militärische Potenzial der Deutschen gegen die Sowjetunion zur Geltung bringen? Die ideologische Bereitschaft zu einer Revanche war bei den Nazis und den Kommandeuren der Hitler-Armee vorhanden; Verbände dieser Wehrmacht existierten noch (wenngleich nicht unter Waffen). Aber eine Armee schaffen konnte man damit noch nicht. Auch wenn die westdeutschen Länder nach der separaten Währungsreform in einem Wirtschaftsverbund mit seinem Wirtschaftsrat zusammengeschlossen worden, ließ sich auf dieser Basis, auf der Grundlage eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses von Ländern, keine Armee aufbauen.

Dazu brauchte man einen eigenständigen westdeutschen Staat.

Diese elementare Wahrheit wird fast nie erkannt, obwohl kein geringerer als Rudolf Augstein es schon damals ausgesprochen hatte:

"Üblicherweise schafft sich ein Staat, wenn notwendig, eine Armee. In Westdeutschland ging es genau andersherum: Um eine westdeutsche, in die NATO einzugliedernde Armee aufzubauen, bedurfte es eines westdeutschen Staates. Dazu wurde dieser geschaffen."(3)

Die Staatsgründung war somit das Mittel, das Instrument, das Vehikel für den Aufbau der westdeutschen Armee im Rahmen der NATO gegen die UdSSR.

"Dieses Kind des kalten Krieges" - schreibt er zutreffend - "war zum Frontsoldaten ausersehen, sonst hätte es das Licht der Welt nicht erblickt."(4)

Auch das ging nicht ohne weiteres, man muss es geschickt und verdeckt anfangen. In Adenauer hatte die USA-Administration einen geeigneten Unterstützter ihres Vorhabens. Unmittelbar nach der separaten Währungsreform ordneten die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungsmächte am 1. Juli 1948 im "Frankfurter Dokument I" an, bis zum 1, September 1948 - also innerhalb von zwei Monaten! - für Westdeutschland einen (demokratisch aussehenden) Verfassungskonvent einzuberufen, der diese Verfassung ausarbeiten und verabschieden sollte. Adenauer unterlief diesen Befehl, indem er anstelle einer durch einen Verfassungskonvent anzunehmenden westdeutschen Verfassung durch Experten, weitab vom Volk auf einer Insel im Chiemsee, ein "Grundgesetz" (GG) ausarbeiten und dieses durch einen von ihm installierten "Parlamentarischen Rat" am 23. Mai 1949 sanktionieren und verkünden ließ. Das GG wurde den Westdeutschen daraufhin - ohne ihre demokratische Beteiligung - vorgesetzt.

Dann wurden - unmittelbar nach der Sommerpause, als viele Westdeutschen die neuen Möglichkeiten in ihrem Urlaub genutzt hatten, die Bundestagswahlen durchgeführt und mit dem Zusammentritt des Bundestages am 7.9.1949 der westdeutsche Staat etabliert.

Bemerkenswerterweise hatte dieser Staat niemals einen Staatsfeiertag!

Das Haupthindernis für die Einbeziehung Westdeutschlands in die NATO waren die antifaschistischen Kräfte, voran die Kommunisten und anderen Demokraten, Sozialisten, friedliebende Bürger, die über die spalterischen Absichten Adenauers in Sorge waren und aktiv gegen die Einbeziehung Westdeutschlands in die NATO sowie gegen die Aufrüstung und die Gefahr eines Bürgerkrieges auftraten. Mit allen dem gerade erst erstandenen westdeutschen Staat zur Verfügung stehenden polizeilichen und juristischen Mitteln wurde gegen diese demokratischen, friedliebenden Kräfte vorgegangen, mit einer beispiellosen Verfolgung dieser, die buchstäblich in vielem an die der Nazis erinnerte. Ein aller Eile wurde ein Extra-Strafgesetz nur für diesen Zweck geschaffen, das dann als "Blitzgesetz" bekannt wurde. Hunderttausende wurden - auch mit Berufsverboten - verfolgt, zehntausende wurden eingespart. Schließlich wurde die Kommunistische Partei Deutschlands in einem verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Verfahren durch das BVerfG verboten. Auch wenn all dies zum Schein in rechtstaatlichen Formen ablief, war es der Sache nach die Wiederholung der Verfolgung der Kommunisten und anderer Antifaschisten durch die Nazis. Der geistige Vater dieses Blitzgesetzes war nicht zufällig ein Jurist aus den nazistischen Justizministerium: Dr. Josef Schafheutle, Spezialist für "Hochverrats-Paragrafen". Diese Strafverfolgung war dermaßen undemokratisch und rechtsstaatlich bedenklich, dass der Zweite Senat des BVerfG am 21. März 1961 den zentralen õ 90 a StGB für nichtig erklären musste, nachdem die Verfolgungen nach dieser Vorschrift über Jahre erfolgt waren. Auch hatte man Jahre später stillschweigend dieses unerträgliche Blitzgesetz durch andere Strafbestimmungen abgelöst.

Wegen des schlechten Gewissens duldete man auch eine Neugründung in Gestalt der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und man tolerierte vielfältige Bestrebungen, die eine Rehabilitierung der unschuldig Bestraften und Verfolgten forderte. Mit dem makabren Wort, solches sei im Bundestag "politisch nicht machbar" wurden von vielen Seiten unternommene Bestrebungen einer Rehabilitierung zunichte gemacht. Dieses dunkelste Kapitel der Geschichte der BRD ist nach wie vor ein Tabu.

Entgegen der spalterischen Einbeziehung des ökonomisch mächtigeren Teils Deutschland in die antisowjetische Wirtschafts- und Militärpolitik der USA konnte in Ostdeutschland unter dem ständigen Beschuss aus der BRD eine beispiellos demokratische, rechtsstaatliche, friedliebende, antifaschistische Staatsordnung mit unvergleichlichen sozialen und kulturellen Menschenrechten aufgebaut werden.

Diese unserer Deutsche Demokratische Republik wurde 1989/90 - in juristischen Formen ohne deutsche Knobelbecher - in die ihr über 40 Jahre offen als Feind gegenüber stehende Bundesrepublik mit all ihrem Humankapital und ihren ökonomischen Werten einverleibt. Dieses Ende der DDR beruhte nicht auf zweifellos vorhanden gewesenen innerstaatlichen Problemen, auch nicht auf einer hohen Auslandsverschuldung, die nach heutigen Maßstäben marginal war. Ursächlich war vielmehr eine Verschiebung des internationalen Kräfteverhältnisses zu Ungunsten des sozialistischen Lagers, die in Fehlern und vor allem in verräterischem Verhalten der letzten Verantwortlichen in Moskau, vor allem Gorbatschows, begründet ist.

Was lehrt uns das alles?

Der Weg in Ostdeutschland, der Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik, war richtig: es wurde ein antifaschistischer, friedliebender und demokratischer sozialer Rechtsstaat geschaffen, wie es ihn in der deutschen Geschichte nie zuvor gegeben hatte.

Ebendeshalb ist die DDR mit Fug und Recht als die größte Leistung der deutschen Arbeiterklasse anzuerkennen.

Deshalb muss die Wahrheit über diesen Staat überall gegen alle Verleumdung und Hetze verteidigt und verbreitet werden.

Wessen dürfen wir uns rühmen, wenn nicht unserer Deutschen Demokratischen Republik!

Erich Buchholz, Berlin


Anmerkungen

3) Rudolf Augstein "Waffen statt Politik" in: Bilanz der Bundesrepublik "Magnum" Sonderheft Köln, 1961, S.48

4) Helmut Ridder, "Die Souveränität der BRD und ihre Position in der westlichen Allianz", Blätter für deutsche und internationale Politik (Köln) 1982/8, S. 920 ff, hier S. 928

Raute

Edith David: 65-jähriges Gedenken an die Selbstbefreiung von Buchenwald

Ein nachdenkliches Stimmungsbild über Geschichte und Geschichtsfälschung

Am 11. April, dem Tag der Befreiung, herrscht eisige Kälte auf dem Ettersberg. Der Sonntagvormittag ist düster und regnerisch, das riesige Gelände unterhalb des Glockenturmes liegt gespenstisch menschenleer da. Die französische Delegation, die es eben noch belebte, hat ihr Gedenken an die 7000 befreiten Kameraden beendet und ist abgezogen. Der Knabe in der von Fritz Kremer überzeugend lebendig gestalteten, bronzenen Skulpturengruppe weint. Der Regen hat echte Tränen in sein Gesicht gezeichnet. Unter den 2.100 befreiten Häftlingen befanden sich in der Tat über 900 Kinder und Jugendliche, die die Nazis hier gefangen und zur Zwangsarbeit angehalten hatten. Die Bilanz der an Hunger und Entkräftung Umgekommenen oder "einfach", wie der Kommunistenführer Ernst Thälmann, hinterrücks Ermordeten, betrug insgesamt über 56.000 Menschen. Die letzten noch lebenden Veteranen aus aller Welt sind der Einladung und der inneren Stimme gefolgt und nehmen an den diesjährigen Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag der Befreiung auf dem Ettersberg, nahe bei der Goethestadt Weimar teil. Trotz Regen, Schnee und alledem, sie bleiben dem Ort und dem Schwur, den sie hier einst leisteten, ein Leben lang verbunden. Das Vermächtnis lautet sinngemäß "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" und wörtlich hieß es:

"Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neunen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel."

Die diesjährige Zeremonie, während der auch der historische Schwur erneuert werden soll, ist allerdings staatsoffiziell und staatstragend angelegt, dem Zeitgeist entsprechend. Die Bundesregierung ließ es sich nicht nehmen, zu diesem Anlass ein bestuhltes Zelt für die betagten Veteranen mitzufinanzieren, die Repräsentanten der "Befreiernation" USA einzuladen und, wie selbstverständlich, Vertreter der Bundeswehr zu begrüßen. Bundestagspräsident Norbert Lammert findet die von ihm erwarteten Worte. Das Erbe von Buchenwald verpflichte dazu, weiterhin für die Verbreitung von Freiheit und Demokratie einzutreten. Der Stacheldraht um das ehemalige Konzentrationslager wurde für die Feierlichkeit in Sichtnähe durch NATO-Draht erneuert. In Anbetracht der in Afghanistan Gefallenen, eingedenk der Toten von Kundus, eingedenk der Demokratieschulungen in Bagram, Abu Ghraib und Guantanamo eine schauriger Vorstellung.

Schaurig auch, dass die Gedenkstätte Buchenwald jetzt der Erinnerung an "zwei Terrorregime" gewidmet ist, gemäß der Erneuerung des Gedenkstättenkonzepts nach 1989, dem Jahr des hierzulande letztlich gültigen Akts der vollständigen Befreiung. Nicht 1945 wurden demnach die Deutschen erlöst aus den Fesseln der NS-Dikatur, aus den Fesseln des alle Ressourcen verschlingenden Militarismus und dessen kriegerischem Unwesen. Erst ab 1989, dem Jahr der endlichen Überwindung des "nachstalinistischen Unrechtsregimes" auf deutschem Boden, der "zweiten deutschen Diktatur" also, darf man im Sinne der herrschenden Lesart von allgemeiner Befreiung sprechen. Solch "Neudeutsches Denken" hat sich im letzten Sommer auch auf EU-ropäischer Ebene durchgesetzt. Der 23. August, der Tag des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes von 1939, wird fortan europaweit dem Gedenken an die Opfer totalitärer Regime gewidmet sein!

Bei Tische, in der Cafeteria der Gedenkstätte, hörte man es allerdings auch anders. Ein 92-jähriger belgischer Veteran, der als Jugendlicher zu Hause in Brabant durch die NS-Besatzung in die Resistance getrieben wurde, erzählte hellwach und quicklebendig von seinen Erfahrungen. Die russischen Kriegsgefangenen hatten sich in seiner Erinnerung besonders positiv abgebildet. Das illegale Lagerkomitee hob er lobend hervor. Die Kommunisten hätten am tapfersten Widerstand geleistet, heimlich und streng konspirativ, so erzählt es der parteilos gebliebene Mann. Er betonte auch, dass Häftlingsvertreter aller in Buchenwald vertretenen Nationen die Kraft zum Widerstand gefunden hätten. Wie er selbst denn auf die Idee gekommen sei, Widerstand zu leisten wollen wir wissen. Nun, das sei in seinem von den Nazis besetzten Land fast eine Notwendigkeit gewesen. Keine Arbeit, keine Lehrstelle, nichts zu Essen, Ausgangssperre, willkürliches Auftreten der deutschen Besatzer gegenüber seinesgleichen waren für den betagten Mann die prägende Erfahrung seiner frühesten Jugendjahre gewesen. Einen Unerfahren wie ihn, schnappten die Nazis schnell und verschleppten den knapp 18jährigen nach Buchenwald. Ihm wurde nie etwas Bestimmtes zur Last gelegt, kein Strafverfahren etwa gegen ihn eröffnet. Er wurde einem Außenkommando bei Magdeburg zugeteilt und musste Zwangsarbeit leisten. Das war der tiefere Sinn des Häftlingsdaseins: Für die SS Leiharbeit in den diversen Betrieben verrichten - bis zum Umfallen. Der Weg zur Arbeit führte fast immer durch bewohnte Straßen. Der andere alte Herr am Tisch war zu DDR-Zeiten Leiter der Gedenkstätte. Er erinnert sich, wie ihn die Mutter als Kind daran hinderte, durch die Jalousie auf die Straße zu lugen, wenn die Häftlinge vorbeizogen. Was es da zu sehen gäbe, sei nichts für ein Kind. Der Mann schien gar kein gutes Gefühl zu haben angesichts der Umwidmung des Gedenkens. Aber, so stellt er resignierend fest: "Wir hatten nicht mehr die Macht, konnten also keinen Einfluss nehmen auf die Umgestaltung - die Sieger schreiben die Geschichte". Was aber die Straflager der Sowjets betrifft, die hatten doch 1945 Angst, so meinte er, vor jugendlichen Wehrwölfen. Wehrwölfe?? Ja, die seien noch in der Hitlerjugend ausgebildet und verhetzte junge Leute gewesen. Diese lebten in der irrigen Überzeugung, dem besiegten Vaterland zu dienen, indem sie Russen hinterrücks umbrachten, auch noch nach Kriegsende. Da gab es schon mal Razzien und mancher unschuldige Jugendliche mag da vorübergehend ins Visier geraten und im Straflager gelandet sein. Aber die Gleichsetzung, die Rede von den zwei deutschen Diktaturen, das sei nicht recht, das könne er nicht nachvollziehen. Krieg und Faschismus seien zu ächten, gemäß dem Vermächtnis der hier oben in eisiger Kälte Überlebenden. Offenbar sind viele der Hunderte von Besuchern aus aller Welt bei Wind und Wetter an diesem kalten Aprilsonntag nach Weimar mit eben diesem Vermächtnis im Herzen gekommen. Leider ist von der siamesischen Zwillingsforderung in den offiziellen Ansprachen fortan nicht mehr die Rede. Das elende Kriegsgeschehen, an dem deutsche Waffen und deutsches Geld seit dem Golfkrieg 1991, also nicht erst seit Afghanistan 2001, schon wieder mitmorden und mitverdienen, blieb unerwähnt. Vom Faschismus, von der jegliches Menschen- und Völkerrecht recht missachtenden Barbarei und seinen Wurzeln war nicht die Rede. Unreflektiert blieb auch die von jungen Menschen bei Tisch aufgeworfene Frage, was für ein Geist solch entsetzliche Vernichtungsarbeit leistende Lagerstätten wie Buchenwald hervorzubringen vermag. So blieben die Leichenberge, die dort verbrannten, an diesem Tage unbegriffen. Da die Selbstbefreiung der Häftlinge keinerlei offizielle Erwähnung wert schien, blieb die Beschwörung von Demokratie, Freiheit und Toleranz leeres Gerede.

So mag man fraglos hingenommen haben, dass die Fahnen der Nationen auf Halbmast hingen am Tag der Befreiung. Galt die Halbmastbeflaggung den Zehntausenden, die dort ihr Leben hatten lassen müssen? Manch einen irritiert die Halbmastbeflaggung aber schon, galt es doch eine Befreiungstat zu würdigen und noch war die zynische Tragödie von Katyn, nahe der russischen Stadt Smolensk, nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen. Dort waren nämlich am 10. April der polnische Staatschef Lech Kaczynski und 96 seiner Vertrauten bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen. Katyn ist ein für die Faschismusaufarbeitung historisch hochbelasteter und umstrittener Ort.

Das "Staatsverbrechen Katyn" wird spätestens seit 1992, als der russische Staatschef Jelzin den Polen die nötigen "Geheimdokumente" in Kopie (!) dafür geliefert hatte, als eine wesentliche Grundlage für die Gleichsetzung von "Hitlerismus und Stalinismus" gehandelt. Der Wajda-Film vom Jahre 2009 popularisierte angesichts der herannahenden Festivitäten zum 20. Jahrestag des "Befreiungsjubiläums"(5) die Kalte Kriegs- bzw. Goebbelsversion des Geschehens aus dem Jahre 1943. Insofern gibt es einen teuflischen Zusammenhang zwischen Auschwitz-Buchenwald und Katyn.

Das Unternehmen war, wie der Presse zu entnehmen ist, eine "Privatinitiative" des polnischen Staatschefs Lech Kaczynskis. Wenige Tage, nachdem der Regierungschef Daniel Tusk mit seinem russischen Kollegen Putin gemeinsam der Opfer des Massakers von Katyn im Jahre 1940 gedacht hatte, sollte offenbar noch eine zweite Opferzeremonie für die angeblich durch "stalinistischen Terror" Ermordeten vor Ort statt finden. Russische Fluglotsen-Warnungen vor dem dichten Nebel, der eine Landung unmöglich erscheinen ließ, wurden laut Pressemeldungen von den Polen beharrlich in den Wind geschlagen. Ironie der Geschichte? Hatte nicht 1939 die polnische Regierung jegliche Zusammenarbeit mit den "Russen" abgelehnt, die anlässlich des Naziüberfalls angeboten hatten, ihnen gegen die Aggressoren beizustehen? Hatte es nicht sogar die polnische Exilregierung in London unternommen(6), das Massaker von Katyn, das die Handschrift der Nazis trug und nachgewiesener Maßen mit deutschen Waffen ausgeführt wurde(7), den Sowjets in die Schuhe zu schieben? Hatte nicht Churchill derlei Machenschaften unterbunden, um der für sein Land unverzichtbaren Zusammenarbeit mit den sowjetischen Verbündeten willen? Waren nicht Gorbatschow und Jelzin bereit gewesen, die Geschichte ihrer heroischen Nation an die deutschen Zahlmeister zu verschachern?

Das hier angesprochene Motiv der Geschichtsklitterung war tags zuvor in Jena auch anlässlich des Jahrestages der Befreiung von kompetenter Seite erörtert worden. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen und der deutsche Freidenkerverband hatten eine interessante Palette geschichtskundiger Dozenten eingeladen, die allesamt auf sehr unterschiedliche Weise der Frage nachgingen, inwieweit der Zeitgeist eine Umdeutung der Geschichte geradezu erzwinge oder doch zumindest nahelege. Wenn allerdings der Kunsthistoriker Professor Arlt anhand eines geplanten Denkmalumbaus im Schlossgarten zu Gotha anklingen ließ, dass die NSDAP bruchlos in die SED übergangen sei, weil doch etwa anstelle des zu räumenden antifaschistischen Heldendenkmals, am selben Ort ursprünglich ein Kriegerdenkmal aus den 20iger Jahren am gleichen Ort gestanden habe, das stilistisch dem neunen geähnelt habe. Auch sei die Idee der Pylonen, wie wir sie auch in Buchenwald finden, entlang der "Straße der Nationen" einem fragwürdigen Geschmack geschuldet, der die Macht verherrliche. Man könne sich weder auf alten Ägypter noch auf die Anweisungen der Besatzer herausreden, die in der SBZ das sagen gehabt hätten. Diese Arltsche Denkmalsanalyse löste immerhin eine heftige Debatte aus.

Der Historiker Manfred Weißbecker nannte in seinem Eingangreferat die heutige Verfasstheit der Zeit "rechstlastig" und "krakenhaft totalitär", was nicht in den Kram passe, werde schlicht ausgeblendet. Ganz entgegen dem Schwur von Buchenwald führe Deutschland wieder Krieg, würden Kriegskritiker ausgegrenzt. Lügengebäude würden konstruiert und es sei für künftiges gesellschaftliches Handeln, unbedingt zu bedenken, dass der Faschismus sich einer Formveränderung unterzogen habe. Er käme nicht im alten Gewande daher, wohl aber luge alte völkische Pferdefuß allenthalben hervor, anti-egalitäres Denken breite sich immer mehr aus. Der von FAZ und Talkshows hofierte Philosoph und Showmaster Peter Sloterdijk(8) beklage folgenreich, dass sich die Unproduktiven auf Kosten der Produktiven durchschleimten, womit er die Hartz-IV Empfänger meine. Er bediene sich einer pseudowissenschaftlichen Begriffssprache und spreche in diesem Zusammenhang von Phänomenen wie "Semisozialismus" und "Staatskleptokratie". Es wurde auch von anderer Seite im "Schwarzen Bären" zu Jena immer wieder gewarnt. Die Geschichte wiederhole sich nicht einfach. Wo gefährliche, weil verharmlosende Töne aufkamen, gab es deutlichen Widerspuch aus der Zuhörerschaft. So etwa wurde nicht hingenommen, dass die heutigen ökonomisch Mächtigen kein Interesse mehr hätten an einem Bündnis mit den Neonazis, einer NPD also nicht mehr bedürften.

Der ehemalige stellvertretende Kulturminister der DDR, Dr. Klaus Höpcke, kritisierte in einem sehr engagierten Beitrag etwa die These Götz Alys, der in seiner Publikation von "Hitlers Volksstaat" den Eindruck erwecke, als ob ein Großteil der Deutschen Nutznießer des Hitlerfaschismus gewesen sei, dies sei eine fürchterliche Verdrehung der wirklichen Zustände. Und, wer den Begriff "Befreiung" für 1945 nicht benutze, habe die Geschichte nicht verstanden. Den antifaschistischen Grundkonsens habe es in der Tat gegeben und er sei genährt worden aus dem gemeinsamen Leiden der deutschen Bevölkerung zu Kriegsende. Auf der Grundlage dieses Konsenses seien "wir" bis 1999 noch ein "Friedenstaat" gewesen, trotz der 18 Millionen DM, die man bereits für den Golfkrieg Nr.1 geliefert habe, plus Logistik. Heute aber flögen Nacht für Nacht die Kriegstransporter über Halle/Leipzig, während der Toten von Kundus nicht einmal gedacht werden dürfe. Auch sei nicht hinnehmbar, dass als Antisemit verteufelt werde, wer die Kriegspolitik Israels kritisiere, bis weit in die LINKKSPARTEI hinein sei solche Haltung zu beklagen. Das Erbe des Faschismus erlege uns vielmehr auf, den "Wohlstandsrasssimus" zu überwinden und die Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit aller Menschen im Sinne der UN-Menschenrechtscharta zu respektieren. Er schloss mit einem Zitat von Stefan Heym, der entschieden der Auffassung gewesen sei, dass nach 1945 der Antifaschismus ein zu verordnender war, was denn sonst, fragte er. Professor Kurt Pätzold warnte vor der Umdeutung des 8. Mai und vor einem neu definierten Narrativvom 20. Jahrhunderts, wonach etwa die Geschichte Europas ein langer Weg in die Demokratie gewesen sei, der über zwei Diktaturen hinweggeführt habe. Ganz ins Grundsätzliche der im Gange befindlichen Geschichtsrevision ging auch der Referent Klaus von Raussendorff, wenn er sagte, dass seit dem Aggressionskrieg gegen Jugoslawien und dem Sondertribunal in Den Haag für Jugoslawien der Normengehalt des Völkerrechts ausgehebelt sei, ja die UNO geradezu in eine Kriegspartei verwandelt werde. Die Sondertribunale für Jugoslawien und Ruanda, die Ausnahmeregelung des ISTGH, mit der die USA und ihre Gefolgsstaaten von einer Anklage grundsätzlich ausgenommen würden, liefen auf eine Pervertierung der seit Nürnberg gültigen Völkerrechtsprinzipien hinaus. Das prinzipielle Gewaltverbot der UN sei seit 2001, am Tage nach dem Angriff auf die Twin Towers, geradezu ausgehebelt worden. Der Sicherheitsrat sei von der Rechtstradition abgewichen, der gemäß Attentäter und organisierte Terroristen eine Aufgabe für die Polizeibehörden sei, so zitierte Raussendorff den Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth. Kriminelle Terroristen gehören nach geltendem Völkerrecht vor Gericht. Seit 2001 werde der Krieg als Strafverfolgungsmaßnahme gegenüber terroristischen Bedrohungen eingesetzt, was unvereinbar mit der UN-Charta sei, die zur ausschließlich friedlichen Konfliktbeilegung gemahne. Folglich habe es auch keine UN-Sicherheitsresolution gegeben, die explizit zu einem Angriffskrieg ermächtigt habe. Die gegenwärtige Realpolitik aber tue so, als handele sie im Auftrag der Vereinten Nationen. Sie greife nicht mehr einzelne Völkerrechtsbestimmungen an, sondern richte sich gegen die Substanz der UN-Charta, dies finde eine Parallele in der innerstaatlichen Politik der Ausheblung rechtsstaatlicher Grundsätze und demokratisch-verfassungsrechtlicher Prinzipien. Das alles brachte er auf den Begriff der "Rechtsvergessenheit" und gab zu bedenken, ob wir nicht in eine neue Form des Faschismus hineinglitten, der sich als Negation des Faschismus ausgebe und sich ein demokratisch-menschrechtliches Mäntelchen umhänge, womit er viel schwieriger zu orten und bekämpfen sei. Diese Überlegung will gründlich durchdacht werden.

Der Vorsitzende des deutschen Freidenker Verbandes, Klaus Hartmann, resümierte in seinem Schlusswort, es sei unverzichtbar, den Klassenantagonismus in Erinnerung zu rufen. Auch gelte es, bei den aufgestellten Forderungen jeweils den Adressaten ins Blickfeld zu nehmen und beharrlich daraufhin zu arbeiten, das Kräfteverhältnis zu verändern, dessen momentaner Ausdruck die UN-Charta und das auf ihr aufbauende humanitäre Völkerrecht nach 1945 gewesen sei.

Er endete mit den Worten Max Horkheimers: Wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, solle vom Faschismus schweigen.

Buchenwald - Katyn - Faschismus - Stalinismus, ist das alles ein Unrechtsbrei?

Was würden die Opfer von Buchenwald und auch die historischen Befreier davon halten?

Edith David, Berlin


Anmerkungen

5) Gemeint sind die Feierlichkeiten zum 11. November 2009, dem Tag des Mauerfalls, vielleicht hatte man auch schon den 65. Jahrstag des Kriegsendes im Sinn

6) willfährig?

7) Siehe Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse 1945/46

8) "Werke", durch die Bekannt wurde: "Kritik der zynischen Vernunft" 1983, "Die Regeln für den Menschenpark" 1999 (faschistoide Züchtungsideologie), 1992-1993 hatte er einen Lehrstuhl für Philosophie und Ästhetik and der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karslruhe , er spricht von der "Enteignung durch Einkommenssteuer" etc.

Raute

KATYN

Bericht der sowjetischen Sonderkommission vom Januar 1944: Das Verbrechen von Katyn

Mitteilung der Sonderkommission zur Feststellung und Untersuchung des Tatbestandes der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere durch die faschistischen deutschen Okkupanten im Wald von Katyn


Note der Sowjetregierung an die Regierung der USA

Am 25. Februar übersandte das Staatsdepartment der USA dem Sowjetbotschafter in den USA, Genossen Panjuschin, ein Schreiben von R. Madden (dem eine Resolution des Repräsentantenhauses des USA-Kongresses vom 18. September 1951 beigefügt war). Madden ist Vorsitzender des Repräsentantenhausausschusses zur sogenannten Untersuchung des "Falls Katyn". In seinem Schreiben wünscht er von der Sowjetregierung irgendwelche "Beweise" im Zusammenhang mit der Ermordung kriegsgefangener polnischer Offiziere, die von den hitlerfaschistischen Verbrechern im Jahre 1941 im Wald von Katyn niedergemetzelt wurden.

Am 29. Februar ließ die Botschaft der UdSSR dem Staatsdepartment der USA in diesem Zusammenhang eine Note folgenden Inhalts zugehen:

"Anbei sendet die Botschaft das vom Staatsdepartment übermittelte Schreiben Maddens mit dem beiliegendem Wortlaut der Resolution des Repräsentantenhauses vom 18. September 1951 zurück, da dieses Schreiben gegen die allgemein für die internationalen Beziehungen geltenden Normen verstößt und eine Beleidigung der Sowjetunion darstellt.

Die Botschaft erinnert an Folgendes:

Die Frage des Verbrechens von Katyn wurde bereits 1944 von einer Kommission untersucht, die feststellte, dass das Gemetzel in Katyn ein Werk der hitlerfaschistischen Verbrecher war. Dies wurde am 26. Januar 1944 in der Presse mitgeteilt.

Die Regierung der USA hat acht Jahre lang, bis zur allerjüngsten Zeit keinerlei Einwände gegen diese Feststellung der Kommission erhoben.

Die Botschaft erachtet es infolgedessen für notwendig zu erklären, dass ein Zurückkommen auf die Frage des Verbrechens von Katyn acht Jahre nach der Feststellung der amtlichen Kommission nur den Zweck haben kann, die Sowjetunion zu verleumden und damit die allgemein als Verbrecher anerkannten Hitlerfaschisten zu rehabilitieren.

Beiliegend die oben erwähnte Mitteilung der amtlichen Kommission über das Verbrechen von Katyn."

Die der Note beiliegende "Mitteilung der Sonderkommission zur Feststellung und Untersuchung des Tatbestandes der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere durch die faschistischen deutschen Okkupanten im Wald von Katyn" trägt die Unterschriften des Vorsitzenden der Sonderkommission, Akademiemitglied Alexej Tolstois, des Metropoliten Nikolai, Akademiemitglied W.P. Potjemkins, Generalleutnant A.S. Grundorows und anderer. Die Mitteilung der Sonderkommission war am 26. Januar 1944 in der Sowjetpresse veröffentlicht.

Mitteilung

Der Sonderkommission zur Feststellung und Untersuchung des Tatbestandes der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere durch die faschistischen deutschen Okkupanten im Wald von Katyn.

Auf Beschluss der Außerordentlichen Staatlichen Kommission zur Feststellung und Untersuchung der Missetaten der faschistischen deutschen Okkupanten und ihrer Helfershelfer wurde eine Sonderkommission gebildet zur Feststellung und Untersuchung des Tatbestandes der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere durch die faschistischen deutschen Okkupanten im Wald von Katyn (bei Smolensk).

Der Kommission gehören an: das Mitglied der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, Mitglied der Akademie N.N. Burdenko (Vorsitzender der Kommission), das Mitglied der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, Mitglied der Akademie Alexej Tolstoi, das Mitglied der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, Metropolit Nikolai, der Vorsitzende des Allslawischen Komitees, Generalleutnant A.S. Gundorow, der Vorsitzende des Exekutivkomitees des Verbandes der Organisationen Rotes Kreuz und Roter Halbmond, S.A. Kolessnikow, der Volkskommissar für Bildungswesen der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, Mitglied der Akademie, W.P. Potjemkin, der Chef der Hauptverwaltung des Sanitätswesens der Roten Armee, Generaloberst J.I. Smirnow, und der Vorsitzende des Smolensker Gebietsexekutivkomitees, R. J. Melnikow.

Zur Lösung der ihr gestellten Aufgabe hat die Kommission folgende gerichtsmedizinische Sachverständige zur Teilnahme an ihrer Arbeit herangezogen: den Ersten gerichtmedizinischen Sachverständigen des Volkskommissariats für Gesundheitswesen der Sowjetunion, Direktor des Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin, W.I. Prosorowski, den Leiter des Lehrstuhls für gerichtliche Medizin beim Zweiten Moskauer Medizinischen Institut, Doktor der Medizin W.M. Smoljaninow, den Wissenschaftlichen Mitarbeiter des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der Sowjetunion P.S. Semjonowski, die Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der Sowjetunion. Dozentin M.D. Schwajkowa, und den Hauptpathologen der Front, Major des Sanitätsdienstes Professor N.N. Wyropajew.

Die Sonderkommission verfügte über umfangreiches Material, das vom Mitglied der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, Mitglied der Akademie N.N. Burdenko, von seinen Mitarbeitern und den gerichtsmedizinischen Sachverständigen vorgelegt wurde, die am 26. September 1943 in Smolensk unmittelbar nach Befreiung der Stadt eingetroffen waren und eine Voruntersuchung und Erforschung des Tatbestandes aller von den Deutschen verübten Missetaten vorgenommen hatten.

Die Sonderkommission nahm eine Prüfung vor und ermittelte an Ort und Stelle, dass sich an der Witebsker Chaussee, 15 Kilometer von Smolensk, in dem "Kosji Gory" genannten Teil des Waldes von Katyn, 200 Meter südwestlich von der Chaussee in der Richtung zum Dnjepr, die Gräber befinden, in denen die von den deutschen Okkupanten erschossenen kriegsgefangenen Polen begraben sind.

Auf Anordnung der Sonderkommission wurden die Gräber in Gegenwart aller Mitglieder der Sonderkommission und der gerichtsmedizinischen Sachverständigen geöffnet. In den Gräbern wurden zahlreiche Leichen in polnischer Militäruniform vorgefunden. Die Gesamtzahl der Leichen beläuft sich laut Aufstellung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen auf 11.000. Die gerichtsmedizinischen Sachverständigen untersuchten eingehend die exhumierten Leichen sowie die Dokumente und Beweisstücke die bei den Leichen und in den Gräbern gefunden wurden.

Gleichzeitig mit der Öffnung der Gräber und der Untersuchung der Leichen vernahm die Sonderkommission zahlreiche Zeugen aus der örtlichen Bevölkerung, durch deren Aussagen Zeit und Umstände der von den deutschen Okkupanten begangenen Verbrechen genau festgestellt wurden.

Aus den Zeugenaussagen geht folgendes hervor:


Der Wald von Katyn

Seit jeher war der Wald von Katyn ein beliebter Ausflugsort, wo die Einwohner von Smolensk an den Feiertagen auszuruhen pflegten.

Die Bevölkerung der Umgebung ließ ihr Vieh im Wald von Katyn weiden und sammelte dort Brennholz. Verbote oder Einschränkungen für das Betreten des Waldes von Katyn gab es nicht.

So war die Lage im Wald von Katyn bis zum Krieg. Noch im Sommer 1941 befand sich in diesem Wald das Jungpionierlager einer Gewerbeversicherungskasse, das erst im Juli 1941 aufgelöst wurde.

Nach der Einnahme von Smolensk führten die deutschen Okkupanten im Wald von Katyn ein ganz anderes Regime ein. Der Wald wurde von verstärkten Streifposten bewacht; an vielen Stellen tauchten Tafeln auf, die darauf aufmerksam machten, dass Personen, die den Wald ohne einen besonderen Passierschein betreten, auf der Stelle erschossen werden.

Besonders scharf wurde der Teil des Waldes von Katyn bewacht, der "Kosji Gory" hieß, sowie das Gelände am Dnjeprufer, wo sich in einer Entfernung von 700 Metern von den entdeckten Gräbern der polnischen Kriegsgefangenen ein Landhaus befand - ein Erholungsheim der Smolensker Verwaltung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten. Nach dem Einzug der Deutschen wurde dieses Landhaus von einer deutschen Behörde bezogen, die sich "Stab des 537. Baubatallions" nannte.


Die kriegsgefangenen Polen im Smolensker Bezirk

Die Sonderkommission stellte fest, dass vor der Einnahme von Smolensk durch die deutschen Okkupanten in den westlichen Rayons des Gebiets kriegsgefangene polnische Offiziere und Soldaten beim Bau und der Instandsetzung von Chausseen gearbeitet hatten. Diese kriegsgefangenen Polen waren in drei besonderen Lagern untergebracht, die als Lager Nr. ION, Nr. 2-ON und Nr. 3-ON bezeichnet wurden und sich 25 bis 45 Kilometer westlich von Smolensk befanden.

Durch Zeugenaussagen und dokumentarische Unterlagen wurde festgestellt, dass die Lager nach Beginn der Kriegshandlungen infolge der entstandenen Situation nicht rechtzeitig evakuiert werden konnten und dass alle kriegsgefangenen Polen sowie ein Teil der Wachmannschaften und des Lagerpersonals in deutsche Gefangenschaft gerieten.

Der von der Sonderkommission verhörte Kommandant des Lagers Nr. I-ON, Major der Staatlichen Sicherheit, W.M. Wetoschnikow, sagte aus:

"Ich wartete auf einen Befehl zur Aufhebung des Lagers, aber die Verbindung mit Smolensk war unterbrochen. Daraufhin fuhr ich selbst mit einigen Mitarbeitern nach Smolensk, um die Lage zu klären. In Smolensk fand ich eine gespannte Lage vor. Ich wandte mich an den Verkehrsleiter des Smolensker Reviers der Westbahn, Genossen Iwanow, mit der Bitte, dem Lager Waggons zu stellen. Aber Genosse Iwanow antwortete, dass ich auf Waggons nicht rechnen könne. Ich versuchte auch, mich mit Moskau in Verbindung zu setzen, um die Genehmigung für den Abmarsch zu Fuß zu erhalten, das gelang mir aber nicht. Inzwischen war Smolensk bereits durch die Deutschen vom Lager abgeschnitten, und was mit den kriegsgefangenen Polen und den im Lager verbliebenen Wachmannschaften geschah, ist mir nicht bekannt".

Der Ingenieur S.W. Iwanow, der im Juli 1941 den Verkehrsleiter des Smolensker Reviers der Westbahn vertrat, sagte vor der Sonderkommission aus:

"Bei mir im Büro erschien die Leitung der Lager für polnische Kriegsgefangene, um Waggons für den Abtransport der Polen zu bekommen, aber wir hatten keine freien Waggons. Außerdem waren wir nicht mehr imstande Waggons auf die Gussiono-Strecke zu schicken, wo sich die meisten kriegsgefangenen Polen befanden, weil diese Strecke bereits beschossen wurde. Darum konnten wir dem Ansuchen der Lagerleitung nicht nachkommen. So kam es, dass die kriegsgefangenen Polen im Smolensker Gebiet geblieben waren." Die Anwesenheit polnischer Kriegsgefangener in Lagern des Smolensker Gebiets wird durch Aussagen zahlreicher Zeugen bestätigt, die diese Polen bei Smolensk in den ersten Monaten der Okkupation, vor September 1941 gesehen hatten.

Die Zeugin Maria Alexandrowna Saschnewa, Lehrerin der Volksschule im Dorf Senkowo, berichtete der Sonderkommission, dass sie im August 1941 einen kriegsgefangenen Polen, der aus dem Lager geflüchtet war, in ihrem Haus Obdach gab.

Der Pole trug polnische Militäruniform, die ich sofort erkannte, da ich in den Jahren 1940/41 auf der Chaussee Gruppen kriegsgefangener Polen gesehen hatte, die unter Bewachung Straßenarbeiten ausführten (...). Der Pole interessierte mich, weil er, wie es sich herausstellte, vor der Einberufung zum Militärdienst Volksschullehrer in Polen war. Da ich selbst ein pädagogisches Seminar beendet habe und mich darauf vorbereitete, als Lehrerin zu arbeiten, kam ich mit ihm ins Gespräch. Er erzählte mir, dass er in Polen ein Lehrerseminar beendet, danach in irgendeiner Militärschule gelernt hatte und dass er Leutnant der Reserve war. Bei Beginn der Kriegshandlungen zwischen Polen und Deutschland wurde er zum aktiven Dienst einberufen und befand sich in Brest-Litowsk, wo er von den Truppen der Roten Armee gefangen genommen wurde (...). Seit mehr als einem Jahr war er in einem Lager bei Smolensk.

Als die Deutschen kamen, besetzten sie das polnische Lager und führten dort ein hartes Regime ein. Die Deutschen betrachteten die Polen nicht als Menschen und drangsalierten und verhöhnten sie in jeder Weise. Es kam vor, dass Polen für nichts und wieder nichts erschossen wurden. Da beschloss er, zu fliehen. Als er über seine Familie erzählte, sagte er, dass seine Frau ebenfalls Lehrerin sei und dass er zwei Brüder und zwei Schwestern habe (...)."

Als der Pole am nächsten Tag wegging, nannte er seinen Namen, den Saschnewa in ein Buch notierte. Indem Buch "Praktischer Unterricht in der Naturkunde" von Jagodowski, das Saschnewa der Sonderkommission vorlegte, steht auf der letzten Seite folgende Notiz:

"Lojek, Josef und Sofia, Stadt Samostje, Ogorodnaja Straße 25." In den von den Deutschen veröffentlichten Listen erscheint Leutnant Josef Lojek unter der Nummer 3796 als in "Kosji Gory", im Wald von Katyn, im Frühjahr 1940 erschossen. Somit ergibt sich nach der deutschen Mitteilung, dass Josef Lojek ein Jahr bevor ihn die Zeugin Saschnewa sah, erschossen wurde.

Der Zeuge N.W. Danilenkow, ein Bauer aus der Kollektivwirtschaft "Krassnaja Sarja", Dorf Sowjet von Katyn, sagte aus: "Im Jahre 1941, im August/September, als die Deutschen gekommen waren, begegnete ich Polen, die in Gruppen von 15 bis 20 Mann auf der Chaussee arbeiteten." Ebensolche Aussagen machten die Zeugen: der frühere Ortsvorsteher des Dorfes Borok, Soldatjonkow, der Smolensker Arzt A.S. Kolatschow, der Geistliche A.P. Ogloblin, der Streckenmeister T.I. Sergejew, der Ingenieur P.A. Smirjagin, die Einwohnerin von Smolensk A.M. Moskowskaja, der Vorsitzende der Kollektivwirtschaft des Dorfes Borok, A.M. Alexejew, der Wasserleitungstechniker I.W. Kuzew, der Geistliche W.P. Gorodezki, die Buchhalterin A.T. Basekina, die Lehrerin J.N. Wetrowa, der Verkehrsleiter der Station Gnesdowo I.W. Sawwatejew und andere.


Razzien auf polnische Kriegsgefangene

Dass sich kriegsgefangene Polen im Herbst 1941 in der Gegend von Smolensk befanden, wird auch dadurch bestätigt, dass die Deutschen zahlreiche Razzien auf die aus den Lagern geflüchteten Kriegsgefangenen durchführten. Der Zeuge I.M. Kartoschkin, ein Zimmermann, sagte aus:

"Die Deutschen fahndeten im Herbst 1941 nach kriegsgefangenen Polen nicht nur in den Wäldern, sondern es wurde auch Polizei aufgeboten, um in den Dörfern nächtliche Haussuchungen vorzunehmen." Der ehemalige Ortsvorsteher des Dorfes Nowyje Bateki, M.D. Sacharow, sagte aus, dass die Deutschen im Herbst 1941 sorgfältig die Dörfer und Wälder "durchkämmten", um polnische Kriegsgefangene zu suchen.

Der Zeuge N.W. Danilenkow, ein Bauer aus der Kollektivwirtschaft "Krassnaja Sarja", sagte aus:

"Bei uns wurden besondere Razzien auf kriegsgefangene Polen vorgenommen, die vor der Wachmannschaft geflüchtet waren. Solche Haussuchungen fanden in meinem Haus zwei- oder dreimal statt. Nach einer Haussuchung fragte ich den Ortsvorsteher Konstantin Sergejew, wen man in unserem Dorfe sucht. Sergejew sagte, die deutsche Kommandantur habe den Befehl gegeben, dass ausnahmslos alle Häuser durchsucht werden sollen, weil sich in unserem Dorf kriegsgefangene Polen versteckt hielten, die aus dem Lager geflüchtet seien. Nach einiger Zeit hörten die Haussuchungen auf." Der Zeuge T.J. Fatjkow, ein Kollektivbauer, sagte aus:

"Razzien auf gefangene Polen wurden mehrmals durchgeführt, und zwar im August und September 1941. Nach dem September 1941 hörten diese Razzien auf und polnische Kriegsgefangene hat niemand mehr gesehen."


Die Erschießungen kriegsgefangener Polen

Der obenerwähnte "Stab des 537. Baubataillons", der im Landhaus in "Kosji Gory" untergebracht war, führte keinerlei Bauarbeiten durch. Seine Tätigkeit war sorgfältig getarnt. Womit sich dieser "Stab" in Wirklichkeit beschäftigte, sagten zahlreiche Zeugen aus, darunter die Zeuginnen A.M. Alexejewa, 0.A. Michailowa und S.P. Konachowskaja, Einwohnerinnen des Dorfes Borok, Dorf Sowjet Katyn.

Auf Anweisung des deutschen Kommandanten der Siedlung Katyn schickte sie der Ortsvorsteher des Dorfes Borok, W.I. Soldatjonkow, als Bedienerinnen des Personals des "Stabs" in das erwähnte Landhaus.

Nach ihrer Ankunft in "Korsji Gory" wurde ihnen durch einen Dolmetscher eine Anzahl Verbote zur Kenntnis gebracht: es war verboten, sich vom Landhaus überhaupt zu entfernen und in den Wald zu gehen, ohne Aufforderung und ohne Begleitung deutscher Soldaten die Zimmer des Landhauses zu betreten, nachts auf dem Gelände des Landhauses zu bleiben. Der Weg zur Arbeit und zurück war streng vorgeschrieben und durfte nur in Begleitung von Soldaten zurückgelegt werden.

Diese Warnung wurde an Alexejewa, Michailowa und Konachowskaja durch den Dolmetscher unmittelbar vom Chef der deutschen Behörde, Oberstleutnant Arnes, mitgeteilt, der sie zu diesem Zweck einzeln zu sich rufen ließ. Über das Personal des "Stabs" sagte A.M. Alexejewa aus:

"Im Landhaus in "Kosji Gory" befanden sich ständig etwa dreißig Deutsche ihr Vorgesetzter war der Oberstleutnant Arnes, sein Adjutant der Oberleutnant Rext. Dort befanden sich außerdem Leutnant Hott, Wachtmeister Lumert, Zahlmeister Rose, sein Gehilfe Isicke, Oberfeldwebel Grenewski, der das Kraftwerk leitete, ein Obergefreiter, der Fotograf war und dessen Namen ich vergessen habe, ein Wolgadeutscher als Dolmetscher, er heißt wohl Johann, aber wir nannten ihn Iwan, der deutsche Koch Gustav und verschiedene andere, deren Zunamen und Vornamen mit unbekannt sind." Bald nach ihrem Arbeitsantritt bemerkten Alexejewa, Michailowa und Konachowskaja, dass sich auf dem Gelände des Landhauses "irgendwelche dunklen Dinge" abspielten. A.M. Alexejewa sagte aus:

"Der Dolmetscher Johann machte uns im Auftrag von Arnes mehrmals darauf aufmerksam, dass wir 'den Mund halten' müssen, und darüber, was wir auf dem Gelände des Landhauses sehen und hören, nicht schwatzen dürfen.

Außerdem erriet ich aus verschiedenen Anhaltspunkten, dass die Deutschen auf dem Gelände dieses Landhauses irgendwelche dunkle Dinge treiben ...

Ende August und längere Zeit im September 1941 trafen vor dem Landhaus in 'Kosji Gory' beinahe täglich mehrere Lastkraftwagen ein.

Zuerst achtete ich nicht darauf, aber später merkte ich, dass jedes Mal, wenn diese Wagen auf das Gelände des Landhauses kamen, sie vorher eine halbe und manchmal auch eine ganze Stunde irgendwo auf dem Landweg, der vor der Chaussee zum Landhaus führte, anhielten.

Ich schloss das daraus, weil das Geräusch der fahrenden Wagen kurz nach ihrem Einfahren auf das Gelände des Landhauses verstummte. Kaum waren die Motoren verstummt, fielen einzelne Schüsse. Die Schüsse folgten aufeinander in kurzen, aber fast gleichen Zeitabständen. Dann hörte das Schießen auf, und die Wagen fuhren direkt an das Landhaus heran.

Aus den Wagen stiegen deutsche Soldaten und Unteroffiziere. Sie unterhielten sich laut, gingen in das Badehaus, um sich zu waschen, wonach sie ein Saufgelage veranstalteten. An solchen Tagen wurde das Badehaus immer geheizt.

An den Tagen, wo die Wagen kamen, trafen im Landhaus Soldaten aus irgendeinem deutschen Truppenteil als Verstärkung ein. Für sie wurden in einem der Säle des Landhauses, der als Soldatenkasino diente, Betten aufgestellt. An diesen Tagen wurden in der Küche viele Mittagessen gekocht, außerdem wurde eine doppelte Ration alkoholischer Getränke ausgegeben.

Kurz vor dem Eintreffen der Wagen gingen diese Soldaten mit ihren Waffen in den Wald, offenbar zu der Stelle, wo die Wagen hielten, weil sie eine halbe oder eine Stunde später in diesen Wagen zusammen mit den ständig im Landhaus wohnenden Soldaten zurückkehrten. Ich wäre wahrscheinlich gar nicht aufmerksam geworden und hätte gar nicht bemerkt, wie das Motorengeräusch der zum Landhaus kommenden Wagen verstummt und dann wieder beginnt, hätte man uns (mich, Konachowskaja und Michailowa) nicht jedes Mal, wenn die Wagen kamen, in die Küche getrieben, falls wir gerade auf dem Hof des Landhauses waren, oder in der Küche zurückgehalten, wenn wir in der Küche waren.

Dieser Umstand sowie die Tatsache, dass ich an der Kleidung von zwei Gefreiten mehrmals frische Blutspuren bemerkte, veranlassten mich, den Vorgängen auf dem Gelände des Landhauses mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Da fielen mir die merkwürdigen Fahrtunterbrechungen der Wagen, ihr Anhalten im Walde auf. Ich bemerkte auch, dass die Blutspuren an der Kleidung ein und derselben Leute, und zwar der beiden Gefreiten waren. Einer von ihnen war groß und rothaarig, der andere mittelgroß und blond.

Aus all dem folgerte ich, dass die Deutschen mit dem Wagen Menschen zum Landhaus brachten und sie erschossen. Ich ahnte sogar, wo das ungefähr vor sich ging, weil ich auf dem Wege zum Landhaus oder auf dem Rückwege unweit der Straße an mehreren Stellen frisch aufgeworfene Erde bemerkte. Die mit dieser frisch aufgeworfenen Erde bedeckte Fläche wurde mit jedem Tag länger. Mit der Zeit nahm die Erde an diesen Stellen ihr gewöhnliches Aussehen an." Auf die Frage der Sonderkommission, was für Menschen im Wald bei dem Landhaus erschossen wurden, antwortete Alexejewa, dass kriegsgefangene Polen erschossen wurden, und erzählte zur Bestätigung ihrer Worte:

"Es gab Tage, an denen beim Landhaus keine Wagen eintrafen, die Soldaten aber dennoch aus dem Landhaus in den Wald gingen und von dort zahlreiche Einzelschüsse gehört wurden. Nach der Rückkehr gingen die Soldaten unbedingt ins Bad und begannen dann zu saufen.

Es kam auch folgender Fall vor. Eines Tages hielt ich mich im Landhaus etwas länger als gewöhnlich auf. Michailowa und Konachowskja waren schon weggegangen. Ich war mit meiner Arbeit, wegen der ich geblieben war, noch nicht fertig, als unerwartet ein Soldat kam und sagte, dass ich gehen kann. Er berief sich dabei auf eine Anordnung Roses. Er begleitete mich auch bis zur Chaussee. Als ich mich auf der Chaussee 150 bis 200 Meter von der Stelle entfernt hatte, wo man zum Landhaus abbiegt, sah ich eine etwa 30 Mann starke Gruppe kriegsgefangener Polen unter verstärkter deutscher Bewachung die Chaussee entlang gehen.

Dass es Polen waren, wusste ich, weil ich noch vor Beginn des Krieges und auch eine Zeit lang nach dem Einzug der Deutschen auf der Chaussee kriegsgefangenen Polen begegnete, die dieselbe Uniform mit den auffallenden viereckigen Mützen trugen. Ich blieb am Wegrand stehen, weil ich sehen wollte, wohin man sie führt, und ich sah, wie sie zu uns, zum Landhaus in 'Kosji Gory' abbogen.

Da ich damals bereits alle Vorgänge im Landhaus aufmerksam verfolgte, interessierte mich das. Ich ging auf der Chaussee einwenig zurück, versteckte mich im Gebüsch an dem Straßenrand und wartete. Nach etwa 20 oder 30 Minuten hörte ich die mir schon bekannten charakteristischen Einzelschüsse. Da wurde mir alles klar, und ich ging schnell nach Hause. Aus dieser Tatsache schloss ich auch, dass die Deutschen offenbar nicht nur am Tag, wenn wir im Landhaus arbeiteten, sondern auch in der Nacht, in unserer Abwesenheit Polen erschossen. Das wurde mir auch deswegen klar, weil ich mich an einen Fall erinnerte, als alle im Landhaus wohnenden Offiziere und Soldaten, mit Ausnahme der Wachposten, erst spät, gegen 12 Uhr mittags aufwachten.

Mehrmals errieten wir, dass in 'Kosji Gory' Polen eingetroffen waren, weil zu dieser Zeit im Landhaus eine gespannte Atmosphäre herrschte...

Alle Offiziere verließen das Landhaus, im Gebäude blieben nur einige Wachen. Der Wachtmeister kontrollierte ununterbrochen telefonisch die Posten ..."

O.M. Michailowa sagte aus:

"Im September 1941 hörte man im Wald 'Kosji Gory' sehr oft Schießen. Zuerst beachtete ich nicht die bei unserem Landhaus vorfahrenden grün angestrichenen Lastwagen; sie waren an den Seiten und von oben geschlossen und immer von Unteroffizieren begleitet. Dann bemerkte ich, dass diese Wagen niemals in unsere Garage einfuhren und auch nicht entladen wurden. Diese Lastwagen kamen sehr oft, besonders im September 1941.

Unter den Unteroffizieren, die immer in der Fahrerkabine neben den Chauffeuren saßen, fiel mir einer auf, der hochgewachsen war, mit blassem Gesicht und roten Haaren. Wenn diese Wagen vor dem Landhaus vorgefahren waren, gingen alle Unteroffiziere wie auf Kommando in das Bad und wuschen sich lange darin, wonach sie im Landhaus große Saufgelage abhielten.

Einmal ging dieser große, rothaarige Deutsche, nachdem er aus dem Wagen gestiegen war, in die Küche und bat um Wasser. Während er aus dem Glas trank, erblickte ich Blut am rechten Ärmelaufschlag seines Uniformrocks."

O.A. Michailowa und S.P. Konachowskaja haben einmal gesehen, wie man zwei kriegsgefangene Polen, die offenbar vor den Deutschen geflüchtet und nachher eingefangen worden waren, zur Erschießung abgeführt hat. Michailowa sagte darüber aus:

"Einmal arbeiteten ich und Konachowskaja wie gewöhnlich in der Küche, als wir in der Nähe des Landhauses Lärm hörten. Wir traten vor die Tür und sahen zwei kriegsgefangene Polen, umringt von deutschen Soldaten, die dem Unteroffizier Rose etwas erklärten. Darauf trat Oberstleutnant Arnes an sie heran und sagte etwas zu Rose. Wir versteckten uns in der Nähe, weil wir Angst hatten, dass uns Rose wegen unserer Neugier verprügeln wird. Aber wir wurden trotzdem bemerkt, und der Mechaniker Glinewski trieb uns auf ein Zeichen Roses hin in die Küche und führte die Polen vom Landhaus fort. Nach einigen Minuten hörten wir Schüsse. Die deutschen Soldaten und der Unteroffizier Rose, die bald darauf zurückkehrten, unterhielten sich lebhaft miteinander. Ich und Konachowskaja wollten erfahren, was die Deutschen mit den festgenommenen Polen gemacht haben, und gingen wieder hinaus. Gleichzeitig mit uns kam aus dem Haupteingang des Landhauses der Adjutant Arnes und richtete deutsch eine Frage an Rose, worauf dieser ebenfalls deutsch antwortete: 'Alles in Ordnung'. Diese Worte verstand ich, weil die Deutschen sie oft untereinander in Gesprächen gebrauchten. Aus allem, was vorgefallen war, schloss ich, dass diese beiden Polen erschossen worden waren".

Analoge Aussagen machte über diese Frage auch S.P. Konachowskaja.

Durch die Vorgänge auf dem Gelände des Landhauses erschreckt, beschlossen Alexejewa, Michailowa und Konachowskaja, ihre Arbeit im Landhaus unter irgendeinem geeigneten Vorwand aufzugeben. Als ihnen Anfang Januar 1942 der "Lohn" von 9 Mark im Monat auf 3 Mark gekürzt wurde, benutzten sie diesen Umstand und gingen auf Michailowas Vorschlag nicht zur Arbeit. Am selben Abend holte man sie mit einem Kraftwagen ab, brachte sie in das Landhaus und zur Strafe sperrte man sie in einen ungeheizten Raum ein. Michailowa für acht Tage und Alexejewa und Konachowskaja für drei Tage.

Nachdem sie diese Zeit abgesessen hatten, wurden sie alle entlassen.

Während ihrer Arbeit im Landhaus hatten Alexejewa, Michailowa und Konachowskaja Angst, über all die Vorgänge, die sie im Landhaus beobachteten, miteinander zu sprechen. Erst als sie verhaftet waren und im ungeheizten Zimmer saßen, sprachen sie sich nachts darüber aus.

Michailowa sagte am 24. Dezember 1943 beim Verhör aus: "Hier sprachen wir uns das erste Mal offen darüber aus, was im Landhaus vor sich ging. Ich erzählte alles, was ich wusste, aber es zeigte sich, dass sowohl Konachowskaja als auch Alexejewa alle diese Tatsachen ebenfalls wussten, aber genau so, wie ich Angst hatte, mir etwas darüber zu sagen. Dabei erfuhr ich auch, dass die Deutschen in 'Kosji Gory' gerade die polnischen Kriegsgefangenen erschossen, denn Alexejewa erzählte, dass sie einmal im Herbst 1941 auf dem Heimweg selbst gesehen hatte, wie die Deutschen eine große Gruppe kriegsgefangener Polen in den Wald 'Kosji Gory' trieben, und dass sie dann an dieser Stelle Schüsse hörte".

Analoge Aussagen machten darüber auch Alexejewa und Konachowskaja.

Nachdem Alexejewa, Michailowa und Konachowskaja ihre Beobachtungen verglichen hatten, kamen sie zur festen Überzeugung, dass die Deutschen im August und September 1941 auf dem Gelände des Landhauses in "Kosji Gory" Massenerschießungen kriegsgefangener Polen vornahmen.

Die Aussagen der Alexejewa werden durch die Aussagen ihres Vaters, Michail Alexejewa, bestätigt, dem sie im Herbst 1941, als sie noch im Landhaus gearbeitet hatte, von ihren Beobachtungen darüber erzählte, was die Deutschen auf dem Gelände des Landhauses trieben.

"Sie hat mir lange nichts erzählt", sagte Michail Alexejew aus, nur beklagte sie sich, wenn sie nach Hause kam, dass sie Angst habe, im Landhaus zu arbeiten, und nicht wüsste, wie sie von dort fortkommen könnte. Als ich sie fragte, warum sie Angst habe, sagte sie mir, dass man im Walde sehr oft Schüsse höre. Eines Tages, als sie nach Hause kam, sagte sie mir im Vertrauen, dass die Deutschen im Wald von 'Kosji Gory' Polen erschießen. Nachdem ich meine Tochter angehört hatte, warnte ich sie sehr ernst, sie solle niemandem mehr davon erzählen, sonst würden es die Deutschen erfahren, und unsere ganze Familie würde darunter leiden". Darüber, dass kriegsgefangene Polen in kleinen Gruppen von 20 bis 30 Mann unter der Bewachung von je 5 bis 7 deutschen Soldaten in "Kosji Gory" eingeliefert wurden, machten auch andere Zeugen Aussagen, die von der Sonderkommission vernommen wurden: der Bauer des Vorwerks "Kosji Gory", P.G. Kisseljow, der Zimmermann der Bahnstation Krassny Bor im Wald von Katyn, M.G. Kriwoserzew, der ehemalige Stationsvorsteher von Gnesdowo im Revier des Waldes von Katyn, S.W. Iwanow, der Verkehrsleiter derselben Bahnstation, I.W. Sawwatejew, der Vorsitzende der Kollektivwirtschaft des Dorfes Borok, M.A. Alexejew, der Geistliche der Kuprinoer Kirche A.P. Ogloblin und andere.

Diese Zeugen hörten auch die Schüsse aus dem Wald von "Kosji Gory".

Von besonders großer Bedeutung für die Klärung der Vorgänge auf dem Gelände des Landhauses in "Kosji Gory" im Herbst 1941 sind die Aussagen des Professors der Astronomie und Direktors der Sternwarte in Smolensk, B.W. Basilewski.

Professor Basilewski wurde in den ersten Tagen der Besetzung von Smolensk durch die Deutschen von diesen zwangsweise zum stellvertretenden Bürgermeister ernannt. Zum Bürgermeister hatten die Deutschen den Rechtsanwalt B.G. Menschagin ernannt, der später zusammen mit ihnen abzog, einen Verräter, der bei dem deutschen Kommando und insbesondere bei dem Smolensker Kommandanten von Schwetz besonderes Vertrauen genoss. Anfang September 1941 wandte sich Basilewski an Menschagin mit der Bitte, sich bei dem Kommandanten von Schwetz dafür zu verwenden, dass der Lehrer Shiglinski aus dem Gefangenenlager Nr. 126 entlassen werde. Menschagin wandte sich mit dieser Bitte an von Schwetz und teilte danach Basilewski mit, dass seiner Bitte nicht stattgegeben werden kann, da, wie von Schwetz gesagt hatte, "aus Berlin die Anweisung eingetroffen sei, den Kriegsgefangenen gegenüber die allerhärtesten Maßnahmen anzuwenden und dabei keinerlei Nachsicht zu üben".

"Unwillkürlich entgegnete ich", sagte der Zeuge Basilewski aus, "was könne es denn Härteres geben als das jetzige Regime im Lager? Menschagin blickte mich seltsam an, beugte sich zu mir und antwortete leise: 'Vielleicht doch! Die Russen werden wenigstens von selbst sterben, die kriegsgefangenen Polen aber sollen laut Befehl einfach vernichtet, werden.'

'Wieso denn? Wie ist das zu verstehen', fragte ich. 'Das ist im buchstäblichen Sinne zu verstehen. So eine Anweisung liegt aus Berlin vor', antwortete Menschagin und bat mich sofort, 'um Himmels willen' niemandem etwas darüber zu sagen ...

Etwa zwei Wochen nach dem obenerwähnten Gespräch mit Menschagin, als ich wieder von ihm empfangen wurde, konnte ich mich nicht beherrschen und fragte: 'Was hört man über die Polen?' Menschagin zögerte, antwortete aber nachher doch: 'Mit ihnen hat man schon Schluss gemacht. Von Schwetz sagte mir, dass sie irgendwo in der Nähe von Smolensk erschossen wurden.'

Als Menschagin meine Bestürzung sah, machte er mich nochmals auf die Notwendigkeit aufmerksam, diese Angelegenheit streng geheim zu halten, und 'erläuterte' mir darauf das Vorgehen der Deutschen in dieser Frage. Er sagte, dass die Erschießung der Polen ein Glied in der Gesamtkette der von Deutschland betriebenen polenfeindlichen Politik sei, die sich nach dem Abschluss des russisch-polnischen Vertrages besonders verschärft hat". Basilewski berichtete ferner der Sonderkommission über seine Unterredung mit dem Sonderführer der 7. Abteilung der deutschen Kommandantur, Hirschfeld, einem Deutschen aus dem Baltikum, der gut russisch spricht:

"Hirschfeld sagte mir mit zynischer Offenheit, dass die Schädlichkeit der Polen und ihre Minderwertigkeit geschichtlich erwiesen sei und dass darum die Verringerung der Bevölkerung Polens eine Düngung des Bodens sei und die Möglichkeit für die Erweiterung des deutschen Lebensraumes schaffen werde. In diesem Zusammenhang prahlte Hirschfeld mir gegenüber, dass in Polen überhaupt keine Intellektuellen mehr geblieben sind, weil man sie aufgehängt, erschossen oder in Lager gesperrt hat".

Die Aussagen von Basilewski wurden bestätigt durch den von der Sonderkommission vernommenen Zeugen Professor der Physik, I.J. Jefimow, dem Basilewski schon damals im Herbst 1941 sein Gespräch mit Menschagin erzählte. Eine dokumentarische Bestätigung der Aussagen von Basilewski und Jefimow bilden die eigenhändigen Aufzeichnungen Menschaginsin seinem Notizbuch.

Dieses Notizbuch, das aus 17 nicht voll beschriebenen Seiten besteht, wurde unter den Akten der Stadtverwaltung von Smolensk nach der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee gefunden.

Die Tatsache, dass dieses Notizbuch Menschagin gehörte, und die Echtheit seiner Handschrift wurde sowohl durch die Aussagen Basilewskis bestätigt, der die Handschrift Menschagins gut kennt, als auch durch ein grafologisches Sachverständigengutachten.

Nach den im Notizbuch enthaltenen Daten zu urteilen, betrifft sein Inhalt die Zeitspanne von den ersten Augusttagen 1941 bis November desselben Jahres.

Unter den verschiedenen Aufzeichnungen über Wirtschaftsfragen (wie Holz, elektrische Energie, Handel usw.) befinden sich eine Anzahl Notizen, die Menschagin offenbar als Anweisungen der deutschen Kommandantur von Smolensk eingetragen hatte, um sie nicht zu vergessen.

Aus diesen Notizen geht mit genügender Klarheit der Kreis der Fragen hervor, mit denen sich die Stadtverwaltung befasste, als Organ, das alle Anweisungen des deutschen Kommandos ausführte.

Auf den ersten drei Seiten des Notizbuchs ist ausführlich das System der Einrichtung des jüdischen "Gettos" dargelegt sowie das System von Repressalien, die den Juden gegenüber angewandt werden sollen.

Auf Seite 10, die mit dem 15. August 1941 datiert ist, heißt es: "Alle flüchtigen polnischen Kriegsgefangenen sind festzunehmen und bei der Kommandantur einzuliefern".

Auf Seite 15 (ohne Datum) steht:

"Ob unter der Bevölkerung Gerüchte in Umlauf sind über die Erschießung polnischer Kriegsgefangener in 'Kosji Gory' (an Umnow)".

Aus der ersten Notiz geht erstens hervor, dass sich noch am 15. August 1941 in der Umgebung von Smolensk kriegsgefangene Polen befunden haben, und zweitens, dass sie von den deutschen Behörden in Haft genommen wurden.

Die zweite Notiz zeigt, dass das deutsche Kommando, beunruhigt, es könnten unter die Zivilbevölkerung Gerüchte über das von ihm begangene Verbrechen durchsickern, besondere Anweisungen gab, um diese Annahme zu prüfen.

Umnow, der in der Notiz erwähnt wird, war der Chef der russischen Polizei von Smolensk in den ersten Monaten der Besetzung.


Die Entstehung der deutschen Provokation

Im Winter 1942/43 änderte sich die allgemeine militärische Lage schroff zuungunsten der Deutschen. Die militärische Macht der Sowjetunion wurde immer stärker, der Zusammenschluss der Sowjetunion mit den Verbündeten festigte sich. Die Deutschen schritten zu einer Provokation und benutzten zu diesem Zweck die von ihnen im Wald von Katyn begangenen Verbrechen, die sie den Organen der Sowjetmacht in die Schuhe schoben. Damit hofften sie, zwischen Russen und Polen Zwietracht zu säen und die Spuren ihres eigenen Verbrechens zu verwischen.

Der Geistliche des Dorfes Kuprino im Smolensker Rayon, A.P. Ogloblin, sagte aus:

"Nach den Ereignissen von Stalingrad, als die Deutschen sich unsicher zu fühlen begannen, brachten sie diese Sache auf. Unter der Bevölkerung hieß es, dass die Deutschen ihren Karren aus dem Dreck ziehen wollen". Als die Deutschen an die Vorbereitung der Provokation von Katyn schritten, suchten sie in erster Linie nach "Zeugen", die durch Zureden, Bestechung oder Drohungen die von den Deutschen benötigten Aussagen machen könnten. Die Aufmerksamkeit der Deutschen zog der Bauer Parfjon Gawrilowitsch Kisseljow, geboren 1870, auf sich, der in seinem Gehöft in "Kosji Gory" in nächster Nähe des Landhauses wohnte.

Kisseljow wurde schon Ende 1942 zur Gestapo gerufen, und man verlangte von ihm unter Androhung von Gewaltmaßnahmen, er solle falsche Aussagen machen, es sei ihm bekannt, dass die Bolschewiki im Frühjahr 1940 bei dem Landhaus der Smolensker Verwaltung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten in "Kosji Gory" kriegsgefangene Polen erschossen hätten. Darüber sagte Kisseljow aus:

"Im Herbst 1942 kamen zwei Polizisten zu mir ins Haus und forderten mich auf, bei der Gestapo der Station Gnesdowo zu erscheinen. Ich ging am selben Tag zur Gestapo, die sich in einem einstöckigen Haus neben der Eisenbahnstation befand. In dem Zimmer, das ich betrat, waren ein deutscher Offizier und ein Dolmetscher anwesend. Der deutsche Offizier begann mich mithilfe des Dolmetschers auszufragen, ob ich schon lange in dieser Gegend wohne, womit ich mich beschäftige und wie meine materielle Lage sei.

Ich erzählte ihm, dass ich seit 1907 auf dem Gehöft bei 'Kosji Gory' wohne und in meiner Wirtschaft arbeite. Über meine materielle Lage sagte ich, dass ich Schwierigkeiten habe, da ich selbst im vorgeschrittenen Alter bin und meine Söhne im Krieg sind.

Nach kurzer Unterhaltung über dieses Thema erklärte der Offizier, dass nach Mitteilungen, die der Gestapo vorliegen, Mitarbeiter des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten im Jahre 1940 im Wald von Katyn auf dem Gelände von 'Kosji Gory' polnische Offiziere erschossen haben, und er fragte mich, welche Aussagen ich darüber machen kann. Ich antwortete, dass ich überhaupt nicht gehört habe, dass Organe des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten in 'Kosji Gory' Erschießungen vorgenommen hätten, dies sei auch kaum möglich, erklärte ich dem Offizier, da 'Kosji Gory' ein offener vielbesuchter Ort ist, und wenn man dort Erschießungen vorgenommen hätte, würde es die ganze Bevölkerung der umliegenden Dörfer wissen.

Der Offizier antwortete mir, dass ich trotzdem diese Aussagen machen müsse, da dies so gewesen wäre. Für diese Aussagen wurde mir eine hohe Belohnung versprochen.

Ich erklärte dem Offizier noch einmal, dass ich von Erschießungen nichts weiß und dass dies vor dem Krieg in unserer Gegend unmöglich geschehen konnte. Trotzdem bestand der Offizier hartnäckig darauf, dass ich falsche Aussagen mache.

Nach dem ersten Gespräch, das ich schon erwähnte habe, wurde ich erst im Februar 1943 zum zweiten Mal zur Gestapo vorgeladen. Zu dieser Zeit war mir bekannt, dass auch andere Bewohner der umliegenden Dörfer zur Gestapo vorgeladen wurden und dass man von ihnen ebensolche Aussagen verlangte wie von mir.

In der Gestapo verlangten derselbe Offizier und derselbe Dolmetscher, die mich schon das erste Mal vernommen hatten, wieder von mir Aussagen darüber, dass ich Augenzeuge der Erschießungen von polnischen Offizieren gewesen sei, die angeblich 1940 vom Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten vorgenommen wurden. Ich erklärte dem Gestapo-Offizier wieder, dass das eine Lüge sei, da ich vor dem Krieg von keinen Erschießungen gehört habe und dass ich keine falschen Aussagen machen werde. Aber der Dolmetscher hörte mich gar nicht an, nahm vom Tisch ein handschriftliches Dokument und las es vor. Darin war gesagt, dass ich Kisseljow, wohnhaft im Gehöft bei 'Kosji Gory' selbst gesehen hätte, wie 1940 Mitarbeiter des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten polnische Offiziere erschossen. Nachdem er dieses Dokument vorgelesen hatte, forderte mich der Dolmetscher auf, es zu unterschreiben. Ich weigerte mich. Da begann der Dolmetscher, mich zu beschimpfen und mit Drohungen zu nötigen. Zum Schluss erklärte er: 'Entweder unterschreiben Sie auf der Stelle oder wir erledigen Sie. Wählen Sie!'

Eingeschüchtert durch die Drohungen, unterschrieb ich dieses Dokument und nahm an, dass die Sache damit zu Ende sei." Später, als die Deutschen den Besuch der Gräber von Katyn durch verschiedene "Delegationen" organisiert hatten, wurde Kisseljow gezwungen, vor der eingetroffenen "polnischen Delegation" zu sprechen. Kisseljow, der den Inhalt des von ihm bei der Gestapo unterschriebenen Protokolls vergessen hatte, verwickelte sich in Widersprüche und weigerte sich schließlich, zu sprechen.

Da verhaftete die Gestapo Kisseljow misshandelte ihn anderthalb Monate lang schonungslos und erzwang so von ihm wieder die Zustimmung, "öffentlich aufzutreten". Darüber sagte Kisseljowaus:

"In Wirklichkeit kam es nicht so.

Im Frühjahr 1943 verkündeten die Deutschen, sie hätten im Wald von Katyn in der Gegend 'Kosji Gory' die Gräber der polnischen Offiziere gefunden, die angeblich von den Organen des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten im Jahre 1940 erschossen wurden.

Bald darauf kam der Dolmetscher der Gestapo zu mir ins Haus und führte mich in den Wald, in die Gegend von Kosji Gory'.

Als wir das Haus verlassen hatten und nur zu zweit waren, machte mich der Dolmetscher darauf aufmerksam, dass ich jetzt den im Wald anwesenden Leuten alles genau so erzählen müsse wie es in dem von mir bei der Gestapo unterschriebenen Dokument dargelegt sei.

Als ich in den Wald kam, sah ich geöffnete Gräber und eine Gruppe mir unbekannter Personen. Der Dolmetscher sagte mir dies seien 'polnische Delegierte', die zur Besichtigung der Gräber gekommen seien.

Als wir zu den Gräbern kamen, begannen die 'Delegierten', mir in russischer Sprache verschiedene Fragen über die Erschießung der Polen zu stellen. Aber da seit meiner Vorladung zur Gestapo mehr als ein Monat vergangen war, hatte ich alles vergessen, was in dem von mir unterschriebenen Dokument stand, ich geriet in Verlegenheit und sagte schließlich, dass ich über die Erschießung polnischer Offiziere nichts weiß.

Der deutsche Offizier wurde sehr wütend und der Dolmetscher zerrte mich grob von der 'Delegation' weg und jagte mich davon.

Am nächsten Morgen fuhr bei meinem Hof ein Kraftwagen vor, indem ein Gestapo-Offizier war. Als er mich im Hof fand, erklärte er mich für verhaftet, setzte mich in den Wagen und brachte mich ins Smolensker Gefängnis ...

Nach der Verhaftung wurde ich sehr oft zu Verhören gerufen, aber ich wurde mehr geschlagen als verhört. Das erste Mal riefen sie mich, verprügelten mich heftig und beschimpften mich, wobei sie erklärten, ich hätte sie in die Patsche gebracht, und schickten mich dann wieder in die Zelle.

Beim nächsten Verhör sagten sie mir, ich müsse öffentlich erklären, dass ich Augenzeuge der Erschießung polnischer Offiziere durch die Bolschewiki gewesen sei und dass ich, solange sich die Gestapo nicht überzeugt hat, dass ich das gewissenhaft erfülle, nicht aus dem Gefängnis entlassen werde. Ich erklärte dem Offizier, ich würde lieber im Gefängnis sitzen, als den Leuten ins Gesicht lügen. Daraufhin wurde ich heftig verprügelt.

Solche Verhöre, bei denen ich geschlagen wurde, gab es mehrere, sodass ich völlig von Kräften kam, anfing schlecht zu hören und den rechten Arm nicht bewegen konnte.

Ungefähr einen Monat nach meiner Verhaftung ließ mich der deutsche Offizier holen und sagte: 'Da sehen Sie, Kisseljow, wozu ihr Dickschädel geführt hat. Wir haben beschlossen, Sie hinzurichten. In der Früh führen wir Sie in den Wald von Katyn und hängen Sie.' Ich bat den Offizier, das nicht zu tun und versuchte ihn zu überzeugen, dass ich mich für die Rolle eines Augenzeugen der Erschießungen nicht eigne, da ich überhaupt nicht lügen kann und daher wieder etwas durcheinanderbringen werde. Der Offizier blieb hartnäckig. Nach einigen Minuten kamen Soldaten ins Zimmer und begannen, mich mit Gummiknüppeln zu prügeln. Da ich die Prügel und Folterungen nicht aushielt, gab ich meine Zustimmung, öffentlich mit einer erfundenen Erzählung über die Erschießung von Polen durch Bolschewiki aufzutreten. Daraufhin wurde ich aus dem Gefängnis entlassen unter der Bedingung, dass ich auf die erste Aufforderung der Deutschen hin vor den Delegationen im Walde von Katyn sprechen soll (...). Jedes Mal, bevor ich zur Öffnung von Gräbern in den Wald geführt wurde, kam der Dolmetscher zu mir nach Hause, rief mich in den Hof, nahm mich auf die Seite, damit es niemand höre, und ließ mich eine halbe Stunde lang alles auswendig lernen, was ich über die angebliche Erschießung polnischer Offiziere durch das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten im Jahre 1940 sagen sollte.

Ich erinnere mich, dass mir der Dolmetscher ungefähr Folgendes sagte: 'Ich lebe auf dem Gehöft in der Gegend von 'Kosji Gory' in der Nähe des Landhauses des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten. Im Frühjahr 1940 sah ich, wie man Polen in den Wald führte und des Nachts dort erschoss.' Und unbedingt musste ich wörtlich sagen, dass 'dies ein Werk der Hände des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten' sei.

Nachdem ich auswendig gelernt hatte, was mir der Dolmetscher sagte, führte er mich in den Wald zu den geöffneten Gräbern und nötigte mich, alles das in Anwesenheit der eingetroffenen 'Delegationen' zu wiederholen. Meine Erzählungen wurden vom Dolmetscher der Gestapo streng kontrolliert und geleitet.

Einmal sprach ich vor irgendeiner 'Delegation', und man stellte mir die Frage: 'Haben Sie diese Polen vor der Erschießung durch die Bolschewiki mit eigenen Augen gesehen?' Ich war auf diese Frage nicht vorbereitet und antwortete, wie es der Wahrheit entsprach, d. h., dass ich die polnischen Kriegsgefangenen vor Kriegsbeginn gesehen habe, da sie auf den Straßen arbeiteten. Da zerrte mich der Dolmetscher grob hinweg und jagte mich heim.

Ich bitte, mir zu glauben, dass mich die ganze Zeit über mein Gewissen gequält hat, da ich wusste, dass in Wirklichkeit die polnischen Offiziere im Jahre 1941 von den Deutschen erschossen wurden, aber ich hatte keinen anderen Ausweg, da ich in ständiger Angst vor neuerlicher Verhaftung und Folterung lebte." Die Aussagen P.G. Kisseljow über seine Vorladung zur Gestapo, seine darauf folgende Verhaftung und die Misshandlungen werden bestätigt durch seine Frau Axinja Kisseljowa, geboren 1870, seinen Sohn Wassili Kisseljow, geboren 1911, und seine Schwiegertochter Maria Kisseljowa, geboren 1918, die mit ihm gemeinsam leben, sowie durch den Streckenmeister Timofej Iwanaowitsch Sergejew, geboren 1901, der bei Kisseljow auf dem Gehöft wohnt.

Die Kisseljow bei der Gestapo zugefügten Körperverletzungen (Beschädigung der Schulter, beträchtlicher Verlust des Gehörs), werden durch das Protokoll der gerichtsärztlichen Untersuchung bestätigt.

Auf der Suche nach "Zeugen" interessierten sich dann die Deutschen für die Angestellten der Eisenbahnstation Gnesdowo, die zweieinhalb Kilometer von "Kosji Gory" entfernt ist.

Auf dieser Station trafen im Frühjahr 1940 kriegsgefangene Polen ein, und die Deutschen wollten offenbar entsprechende Aussagen von Eisenbahnern bekommen. Zu diesem Zweck wurden im Frühjahr 1943 von den Deutschen der frühere Stationsvorsteher von Gnesdowo, S.W. Iwanow, der Verkehrsleiter I.W. Sawwatejew und andere zur Gestapo gerufen.

Über die Umstände unter denen er zur Gestapo gerufen wurde, sagte S.W. Iwanow, geboren 1882, aus:

"Das war im März 1943. Ich wurde von einem deutschen Offizier in Gegenwart eines Dolmetschers verhört. Nachdem der Offizier mich durch den Dolmetscher ausgefragt hatte, wer ich sei und welchen Posten ich auf der Station Gnesdowo vor der Besetzung des Gebiets durch die Deutschen bekleidete, fragte er mich, ob mir bekannt sei, dass auf der Station Gnesdowo im Frühjahr 1940 in mehreren Eisenbahnzügen in großen Gruppen kriegsgefangener polnischer Offiziere eingetroffen seien. Ich sagte, dass ich das weiß.

Dann fragte mich der Offizier, ob es mir bekannt sei, dass die Bolschewiki im selben Frühjahr 1940, bald nach dem Eintreffen der polnischen Offiziere, alle diese Offiziere im Wald von Katyn erschossen haben.

Ich antwortete, dass mir darüber nichts bekannt sei und dass das nicht richtig sein könne, weil ich den im Frühjahr 1940 auf der Station Gnesdowo eingetroffenen polnischen Offizieren während der Jahre 1940 und 1941 bis zur Besetzung von Smolensk durch die Deutschen bei Straßenarbeiten begegnete.

Der Offizier sagte mir daraufhin, wenn ein deutscher Offizier behauptet, dass die Polen von den Bolschewiki erschossen worden seien, so sei das auch tatsächlich so gewesen. 'Darum', fuhr der Offizier fort, brauchen Sie keine Angst zu haben und können mit ruhigem Gewissen das Protokoll unterschreiben, dass die kriegsgefangenen polnischen Offiziere von den Bolschewiki erschossen wurden und dass Sie es als Augenzeuge gesehen haben.'

Ich antwortete ihm, dass ich ein alter Mann bin, ich bin schon 61 Jahre alt und möchte auf meine alten Tage keine Sünde auf mich laden. Ich kann nur bezeugen, dass die kriegsgefangenen Polen auf der Station Gnesdowo tatsächlich im Frühjahr 1940 eintrafen.

Darauf versuchte der deutsche Offizier, mich zu überreden, die nötigen Aussagen zu machen, und versprach, mich in diesem Fall vom Posten eines Bahnübergangswächters zum Stationsvorsteher von Gnesdowo zu machen, wie ich es unter der Sowjetmacht gewesen war, und mich materiell sicherzustellen.

Der Dolmetscher betonte, dass meine Aussagen als eines früheren Eisenbahnangestellten der Station Gnesdowo, die sich in nächster Nähe des Waldes von Katyn befindet, für das deutsche Kommando äußerst wichtig seien und dass ich es nicht bedauern werde, wenn ich solche Aussagen mache.

Ich begriff, dass ich in eine äußerst schwere Lage geraten war und dass mich ein trauriges Los erwartete, aber dennoch lehnte ich es wieder ab, dem deutschen Offizier erfundene Aussagen zu machen.

Danach schrie mich der Offizier an, drohte mir mit Misshandlung und Erschießung und sagte, dass ich meinen eigenen Vorteil nicht begreife. Aber ich blieb standhaft.

Daraufhin setzte der Dolmetscher in deutscher Sprache ein kurzes Protokoll von einer Seite auf und sagte mir mit eigenen Worten seinen Inhalt.

In diesem Protokoll stand, wie mir der Dolmetscher sagte, nur die Tatsache des Eintreffens der polnischen Kriegsgefangenen auf der Station Gnesdowo. Als ich bat, meine Aussagen sollten nicht nur deutsch, sondern auch russisch protokolliert werden, geriet der Offizier ganz außer sich, prügelte mich mit dem Gummiknüppel und jagte mich aus dem Zimmer hinaus."

I.W. Sawwatejew, geboren 1880, sagte aus:

"Bei der Gestapo sagte ich aus, dass im Frühjahr 1940 auf der Station Gnesdowo tatsächlich kriegsgefangene Polen in mehreren Eisenbahnzügen eingetroffen sind und dass sie auf Kraftwagen weiterfuhren, wohin, wusste ich nicht. Ich fügte auch hinzu, dass ich diesen Polen später mehrmals auf der Chaussee Moskau-Minsk begegnete, als sie in kleineren Gruppen mit Straßenarbeiten beschäftigt waren.

Der Offizier sagte mir, dass ich da etwas durcheinanderbringe, dass ich den Polen auf der Chaussee nicht begegnen konnte, da sie von den Bolschewiki erschossen worden waren, und forderte, ich solle gerade das aussagen. Ich lehnte ab.

Nach längeren Drohungen und Überredungsversuchen beriet sich der Offizier deutsch mit dem Dolmetscher, worauf der Dolmetscher ein kurzes Protokoll aufsetzte und es mir zur Unterschrift gab mit den Worten, es enthalte den Inhalt meiner Aussagen. Ich bat den Dolmetscher, mir die Möglichkeit zu geben, das Protokoll selbst zu lesen, aber dieser unterbrach mich schimpfend und befahl mir, es sofort zu unterschreiben und mich davonzumachen. Ich zögerte einen Augenblick, der Dolmetscher griff nach dem Gummiknüppel, der an der Wand hing, und fiel über mich her. Danach unterschrieb ich das mir vorgehaltene Protokoll. Der Dolmetscher sagte, ich solle machen, dass ich nach Hause komme, und nichts darüber schwatzen, sonst würde man mich erschießen (...)" Die Suche nach "Zeugen" beschränkte sich nicht auf die genannten Personen. Die Deutschen waren krampfhaft bemüht, ehemalige Mitarbeiter des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten ausfindig zu machen und sie zu den falschen Aussagen zu zwingen, die sie brauchten.

Die Deutschen verhafteten durch Zufall J.L. Ignatjuk, einen ehemaligen Garagenarbeiter der Verwaltung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten des Smolensker Gebiets, und versuchten hartnäckig, durch Drohungen und Misshandlungen von ihm Aussagen zu erzwingen, dass er angeblich nicht Garagenarbeiter, sondern Chauffeur gewesen sei und persönlich polnische Kriegsgefangene zur Erschießung gefahren habe. Zu dieser Frage sagte J.L. Ignatjuk, geboren 1903, aus:

"Als ich das erste Mal von Polizeichef Alfertschik vernommen wurde, beschuldigte er mich der Agitation gegen die deutschen Behörden und fragte mich was ich beim Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten gemacht habe. Ich antwortete ihm, dass ich in der Garage der Verwaltung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten des Smolensker Gebiets als Hilfsarbeiter gearbeitet habe. Alfertschik verlangte schon bei diesem Verhör von mir, ich solle aussagen, dass ich in der Verwaltung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten nicht als Garagenarbeiter, sondern als Chauffeur angestellt war.

Als Alfertschik von mir nicht die gewünschten Aussagen erhielt, wurde er sehr ärgerlich, band mir gemeinsam mit seinem Adjutanten, den er Georg nannte, über Kopf und Mund irgendeinen Fetzen; sie zogen mir die Hosen herunter, legten mich auf den Tisch und begannen, mich mit Gummiknüppeln zu schlagen.

Dann wurde ich nochmals zum Verhör gerufen, und Alfertschik verlangte von mir, dass ich ihm falsche Aussagen mache, die polnischen Offiziere wären von Organen des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten im Jahre 1940 im Wald von Katyn erschossen worden, was mir angeblich als Chauffeur, der am Transport der polnischen Offiziere in den Wald von Katyn teilgenommen habe und bei der Erschießung zugegen gewesen sei, bekannt sei. Alfertschik versprach, dass ich, falls ich bereit sei, diese Aussagen zu machen, aus dem Gefängnis freigelassen würde und bei der Polizei Arbeit bekäme, wo es mir gut gehen würde; andernfalls aber würde man mich erschießen.

Das letzte Mal wurde ich bei der Polizei vom Untersuchungsrichter Alexandrow verhört, der von mir die gleichen falschen Aussagen über die Erschießung polnischer Offiziere forderte wie Alfertschik, doch auch bei diesem Verhör verweigerte ich die erfundenen Aussagen.

Nach diesem Verhör wurde ich wiederum geschlagen und dann bei der Gestapo eingeliefert ... Bei der Gestapo forderte man von mir ebenso wie bei der Polizei falsche Aussagen über die Erschießung polnischer Offiziere im Wald von Katyn im Jahre 1940 durch die Sowjetbehörden, was mir als Chauffeur angeblich bekannt sei."

In dem vom deutschen Auswärtigen Amt herausgegebenen Buch, wo das von den Deutschen fabrizierte Material über "Katyn" veröffentlicht war, werden außer dem obengenannten P.G. Kisseljow als "Zeugen" genannt: Godesow (alias Godunow), geboren 1877, Grigori Silwerstow, geboren 1891, Iwan Andrejew, geboren 1917, Michail Shiguljow, geboren 1915, Iwan Kriwoserzew, geboren 1915, und Matwej Sacharow, geboren 1893.

Bei der Nachprüfung wurde festgestellt, dass die beiden erstgenannten (Godesow und Silwerstow) im Jahre 1943 noch vor der Befreiung des Smolensker Gebiets durch die Rote Armee, gestorben sind, die drei folgenden (Andrejew, Shiguljow und Kriwoserzew) sind mit den Deutschen abgezogen oder wurden vielleicht von ihnen gewaltsam verschleppt, während der letzte, Matwej Sacharow, früherer Wagenkoppler der Bahnstation Smolensk, der unter den Deutschen Ortsvorsteher im Dorf Nowyje Bateki war, von der Sonderkommission ausfindig gemacht und verhört wurde.

Sacharow berichtet, auf welche Weise die Deutschen die falschen Aussagen, die sie über "Katyn" brauchten, von ihm erpresst hatten:

"Anfang März 1943", sagte Sacharow aus, "kam in meine Wohnung ein Mitarbeiter der Gnesdowoer Gestapo, seinen Namen kenne ich nicht und sagte, dass mich ein Offizier rufen lässt. Als ich zur Gestapo kam, ließ mir der deutsche Offizier durch den Dolmetscher sagen: 'Uns ist bekannt, dass Sie als Wagenkoppler auf dem Smolensker Zentralbahnhof gearbeitet haben, und Sie müssen aussagen, dass im Jahre 1940 die Waggons mit den kriegsgefangenen Polen über Smolensk nach der Station Gnesdowo geleitet wurden, wonach die Polen im Wald bei "Kosji Gory" erschossen wurden.'

Ich antwortete darauf, dass die Waggons mit den Polen im Jahre 1940 tatsächlich über Smolensk in westlicher Richtung fuhren, dass ich aber die Bestimmungsstation nicht kenne ... Der Offizier sagte mir, wenn ich nicht gewillt sei, im guten Aussagen zu machen, dann werde er mich dazu zwingen. Nach diesen Worten griff er zum Gummiknüppel und begann mich zu schlagen. Sodann legte man mich auf eine Bank, und der Offizier zusammen mit dem Dolmetscher prügelten mich. Wie viel Schläge ich bekam, weiß ich nicht mehr, weil ich bald die Besinnung verlor.

Als ich wieder zur Besinnung kam, forderte der Offizier, dass ich das Protokoll des Verhörs unterschreibe, und ich verlor durch die Schläge und die angedrohte Erschießung den Mut, machte falsche Aussagen und unterschrieb das Protokoll. Nachdem ich das Protokoll unterschrieben hatte, wurde ich aus der Gestapo entlassen (...).

Einige Tage nach meiner Vorladung zur Gestapo, etwa Mitte März 1943, kam der Dolmetscher zu mir in die Wohnung und sagte, dass ich zu einem deutschen General gehen und dort meine Aussagen bestätigen muss.

Als wir zu dem General kamen, fragte er mich, ob ich meine Aussagen bestätige. Ich sagte, dass ich sie bestätige, weil mich der Dolmetscher noch unterwegs darauf aufmerksam machte, dass mich noch etwas viel Schlimmeres als das erste Mal in der Gestapo erwarte, wenn ich mich weigere, die Aussagen zu bestätigen.

Da ich mich vor einer Wiederholung der Folterungen fürchtete, antwortete ich, dass ich meine Aussagen bestätige. Dann befahl mir der Dolmetscher, den rechten Arm zu erheben, und sagte mir, dass ich den Schwur geleistet habe und nach Hause kann." Es wurde festgestellt, dass die Deutschen die von ihnen benötigten Aussagen auch von anderen Personen durch Überredung, Drohungen und Misshandlungen zu erlangen versuchten, darunter von dem früheren Gehilfen des Direktors des Smolensker Gefängnisses, N.S. Kawersnew, dem früheren Angestellten desselben Gefängnisses W.G. Kowaljow und anderen.

Da das Suchen nach der nötigen Anzahl von Zeugen erfolglos blieb, ließen die Deutschen in Smolensk und den umliegenden Dörfern folgendes Flugblatt an die Mauern anbringen, von dem ein Originalexemplar in den Akten der Sonderkommission vorliegt:

Aufruf an die Bevölkerung

Wer kann Angaben über den Massenmord machen, den die Bolschewiki 1940 an gefangenen polnischen Offizieren und Geistlichen im Wald "Kosji Gory" an der Chaussee GnesdowoKatyn verübt haben?

Wer hat Kraftwagentransporte von Gnesdowo nach "Kosji Gory" beobachtet oder wer hat Erschießungen gesehen oder gehört?

Wer kennt Einwohner, die darüber erzählen können?

Jede Mitteilung wird belohnt.

Mitteilungen sind an die deutsche Polizei in Smolensk, Museumstraße 6; an die deutsche Polizei in Gnesdowo, Haus Nr. 105, neben dem Bahnhof, zu richten.

3. Mai 1943

Voss - Leutnant der Feldpolizei

Dieselbe Bekanntmachung wurde in der von den Deutschen in Smolensk herausgegebenen Zeitung "Nowy Putj" (Nr. 35 (157) vom 6. Mai 1943) veröffentlicht.

Darüber, dass die Deutschen für die benötigten Aussagen über "Katyn" Belohnungen aussetzten, berichteten die von der Sonderkommission vernommenen Zeugen, die Einwohner von Smolensk: O.J. Sokolowa, J.A. Puschtschina, I.I. Bytschkow, G.T. Bondarjow, J.P. Ustinow und viele andere.


Die Präparierung der Gräber von Katyn

Neben der Suche nach "Zeugen" schritten die Deutschen zur entsprechenden Vorbereitung der Gräber im Wald von Katyn: zur Entfernung aller Dokumente aus den Kleidern der von ihnen ermordeten polnischen Kriegsgefangenen, die spätere Daten trugen als April 1940, d. h. der Zeit, als gemäß der provokatorischen Version der Deutschen die Polen von den Bolschewiki erschossen worden wären; zur Entfernung aller Beweisstücke, die diese provokatorische Version widerlegen konnten.

Durch die Untersuchung der Sonderkommission wurde festgestellt, dass die Deutschen zu diesem Zweck an die 500 russische Kriegsgefangene verwendeten, die aus dem Kriegsgefangenenlager Nr. 126 speziell ausgewählt wurden.

Die Sonderkommission verfügt über zahlreiche Zeugenaussagen in dieser Frage.

Unter diesen verdienen die Aussagen des medizinischen Personals des erwähnten Lagers besondere Aufmerksamkeit.

Der Arzt A.T. Tschishow, der während der deutschen Besetzung von Smolensk im Lager Nr. 126 arbeitete, sagte aus:

"Ungefähr Anfang März 1943 wurden aus dem Smolensker Kriegsgefangenenlager Nr. 126 unter den physisch kräftigeren Gefangenen einige Gruppen, insgesamt an die 500 Mann, ausgewählt, die angeblich für Schanzarbeiten verwendet werden sollten. Später kehrte von diesen Gefangenen keiner mehr ins Lager zurück."

Der Arzt W.A. Chmyrow, der ebenfalls unter den Deutschen in diesem Lager arbeitete, sagte aus:

"Es ist mir bekannt, dass ungefähr in der zweiten Februarhälfte oder Anfang März 1943 etwa 500 kriegsgefangene Rotarmisten aus unserem Lager in mir unbekannter Richtung weggeschickt wurden. Diese Gefangenen wurden angeblich zu Schanzarbeiten geschickt, weshalb physisch kräftige Menschen ausgewählt wurden."

Gleichlautende Aussagen machten die Krankenschwester O.G. Lenkowskaja, die Krankenschwester A.I. Timofejewa, die Zeuginnen P.M. Orlowa und J.G. Dobroserdowa und der Zeuge W.S. Kotschetkow.

Wohin die 500 sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Lager Nr. 126 in Wirklichkeit geschickt wurden, geht aus den Aussagen der Zeugin A.M. Moskowskaja hervor.

Die Bürgerin Alexandra Michailowa Moskowskaja, die am Stadtrand von Smolensk lebte und zur Zeit der Besetzung in der Küche eines deutschen Truppenteils arbeitete, richtete am 5. Oktober 1943 an die Außerordentliche Kommission zur Untersuchung der Missetaten der deutschen Okkupanten eine Eingabe, in der sie ersuchte, vorgeladen zu werden, um wichtige Aussagen zu machen.

Als sie vorgeladen wurde, erzählte sie der Sonderkommission, dass sie im April 1943, bevor sie zur Arbeit ging, Holz aus ihrem Schuppen im Hof am Dnjeprufer holen wollte und dort einen unbekannten Menschen fand, der sich als russischer Kriegsgefangener erwies. A.M. Moskowskaja, geboren 1922, sagte aus:

"Aus dem Gespräch mit ihm erfuhr ich Folgendes: Sein Zuname ist Jegorow, sein Vorname Nikolai; er ist Leningrader. Seit Ende 1941 befand er sich die ganze Zeit im deutschen Kriegsgefangenenlager Nr. 126 in der Stadt Smolensk. Anfang März 1943 wurde er mit einer Kolonne von Kriegsgefangenen von mehreren Hundert Mann aus dem Lager in den Wald von Katyn geschickt. Dort wurden sie, darunter auch Jegorow, gezwungen, Gräber zu öffnen, in denen sich Leichen in der Uniform polnischer Offiziere befanden; sie mussten diese Leichen aus den Gruben herausholen und aus ihren Taschen die Dokumente, Briefe, Fotografien und alle anderen Sachen herausnehmen. Die Deutschen hatten strengsten Befehl gegeben, in den Taschen der Leichen nichts zurückzulassen. Zwei Kriegsgefangene wurden erschossen, weil ein deutscher Offizier bei diesen Leichen, nachdem sie durchsucht worden waren, irgendwelche Papiere fand.

Die aus den Kleidern der Leichen herausgenommenen Sachen, Dokumente und Briefe wurden von deutschen Offizieren gesichtet; dann mussten die Gefangenen einen Teil der Papiere wieder in die Taschen der Leichen zurücklegen, der auf diese Weise ausgewählte Rest der Sachen und Dokumente kam auf einen Haufen, der dann verbrannt wurde.

Außerdem mussten auf Geheiß der Deutschen in die Taschen der Leichen der polnischen Offiziere irgendwelche Papiere gesteckt werden, die sie aus mitgebrachten Kisten oder Koffern hervorholten (genau kann ich mich nicht mehr erinnern).

Alle Kriegsgefangenen lebten auf dem Territorium des Waldes von Katyn unter fürchterlichen Bedingungen, unter freiem Himmel und wurden scharf bewacht.

Anfang April 1943 waren alle von den Deutschen vorgesehenen Arbeiten offenbar beendet, da drei Tage lang keiner von den Kriegsgefangenen zur Arbeit gezwungen wurde (...).

Plötzlich wurden sie alle ohne Ausnahme in der Nacht geweckt und irgendwohin geführt. Die Bewachung war verstärkt. Jegorow schöpfte Verdacht, dass irgendetwas drohe, und begann alles, was vor sich ging, mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Sie gingen drei bis vier Stunden lang in unbekannter Richtung. Auf irgendeiner Wiese machten sie im Walde bei einer Grube halt. Er sah, wie eine Gruppe von Kriegsgefangenen von der Gesamtmasse abgesondert, zur Grube getrieben und dann erschossen wurde.

Die Kriegsgefangenen gerieten in Aufregung, begannen zu lärmen und unruhig zu werden, nicht weit von Jegorow stürzten sich einige Kriegsgefangene auf die Wache, denen andere von der Wachmannschaft zu Hilfe kamen. Jegorow benutzte diesen Augenblick der Verwirrung und rannte in das Waldesdunkel; hinter sich hörte er Rufe und Schüsse.

Nach dieser schrecklichen Erzählung, die sich mir für das ganze Leben ins Gedächtnis einprägte, tat mir Jegorow sehr leid und ich bat ihn, zu mir ins Zimmer zu kommen, sich zu wärmen und bei mir verborgen zu halten, bis er wieder zu Kräften gekommen sei. Aber Jegorow wollte nicht (...). Er sagte, dass er um jeden Preis heute Nacht fortgehen und versuchen wird, sich durch die Frontlinie zu den Truppen der Roten Armee durchzuschlagen.

Aber an diesem Abend ging Jegorow nicht fort. Am Morgen, als ich nachsehen ging, war er im Schuppen. Wie sich herausstellte, hatte er in der Nacht versucht, fortzugehen, fühlte aber, nachdem er 50 Schritte gegangen war, eine solche Schwäche, dass er genötigt war, umzukehren. Offenkundig machte sich die lange Erschöpfung im Lager und der Hunger der letzten Tage geltend. Wir beschlossen, dass er noch ein, zwei Tage bei mir bleibt, um sich zu erholen. Ich gab Jegorow zu essen und ging dann zur Arbeit.

Als ich am Abend nach Hause kam, teilten mir meine Nachbarinnen Maria Iwanowna Baranowa und Jekaterina Viktorowna Kabanowskaja mit, dass am Tage deutsche Polizisten bei einer Streife in meinem Schuppen einen kriegsgefangenen Rotarmisten gefunden hätten, den sie mit sich fortführten."

Wegen der Entdeckung des Kriegsgefangenen Jegorow im Schuppender Moskowskaja wurde diese zur Gestapo gerufen, wo sie beschuldigt wurde, einem Kriegsgefangenen Zuflucht gegeben zu haben.

Moskowskaja leugnete bei den Verhören vor der Gestapo hartnäckig jede Beziehung zu diesem Kriegsgefangenen und behauptete, dass sie von seiner Anwesenheit in dem ihr gehörigen Schuppen nichts gewusst habe. Da man von der Moskowskaja kein Geständnis erreichen konnte und auch der Kriegsgefangene Jegorow offenbar die Moskowskaja nicht verraten hatte, wurde diese von der Gestapo freigelassen.

Derselbe Jegorow erzählte der Moskowskaja, dass ein Teil der Kriegsgefangenen, die im Wald von Katyn gearbeitet hatten, außer der Exhumierung der Leichen auch damit beschäftigt war, von anderen Orten Leichen in den Wald von Katyn zu bringen. Die herbeigeschafften Leichen wurden gemeinsam mit den früher exhumierten Leichen in die Grube geworfen.

Die Tatsache, dass in die Gräber von Katyn große Mengen Leichen der von den Deutschen an anderen Orten Erschossenen gebracht wurden, wird auch durch die Aussagen des Maschinenbauingenieurs P.F. Suchatschow bestätigt.

P.F. Suchatschow, geboren 1912, Maschinenbauingenieur bei "Rosglawchleb", der unter den Deutschen in der städtischen Mühle von Smolensk als Maschinist gearbeitet hatte, ersuchte in seiner Eingabe vom 8. Oktober 1943, vorgeladen zu werden.

Von der Sonderkommission vorgeladen, sagte er aus:

"In der zweiten Märzhälfte 1943 kam ich einmal in der Mühle irgendwie mit einem deutschen Chauffeur ins Gespräch, der ein wenig russisch konnte. Als ich von ihm erfuhr, dass er für einen Truppenteil in das Dorf Sawenki Mehl fährt und am nächsten Tag nach Smolensk zurückkommt, bat ich ihn, mich mitzunehmen, damit ich im Dorf Fett kaufen könnte. Dabei rechnete ich damit, dass ich auf einem deutschen Kraftwagen nicht Gefahr laufe, an der Kontrollstelle angehalten zu werden. Der deutsche Chauffeur erklärte sich gegen Bezahlung bereit. Am selben Tag, gegen 10 Uhr abends, fuhren wir auf die Chaussee Smolensk-Witebsk hinaus. Wir waren im Auto zu zweit: ich und der deutsche Chauffeur. Es war eine helle Mondnacht, aber der Nebel, der auf der Straße lag, verschlechterte ein wenig die Sicht. Etwa 22-23 Kilometer von Smolensk war bei einer zerstörten kleinen Brücke ein Nebenweg mit ziemlich starkem Gefälle. Wir waren schon dabei, von der Chaussee auf den Nebenweg herunterzufahren, als plötzlich aus dem Nebel ein uns entgegenfahrender Lastkraftwagen auftauchte. War nun die Bremse bei unserem Wagen nicht in Ordnung oder lag es an der Unerfahrenheit des Chauffeurs - jedenfalls konnten wir unseren Wagen nicht bremsen, und da die Chaussee ziemlich schmal war, stießen wir mit der entgegenkommenden Maschine zusammen. Der Zusammenstoß war nicht heftig, da es dem Chauffeur des anderen Wagens gelungen war auszuweichen, sodass die beiden Maschinen einander mit den Bordwänden streiften. Aber der entgegenfahrende Kraftwagen geriet mit dem rechten Rad in den Straßengraben und kippte um. Unser Wagen kippte nicht um. Ich und der Chauffeur sprangen sofort aus der Kabine und gingen zum umgestürzten Wagen. Ein starker Leichengeruch, der offenbar aus dem Wagen kam, drang mir in die Nase. Als ich näher herantrat, sah ich, dass der Wagen mit einer Fracht voll beladen war, die oben eine verschnürte Zeltbahn bedeckte. Durch den Stoß waren die Schnüre gerissen und ein Teil der Fracht auf die Böschung herausgefallen. Das war eine schreckliche Fracht. Es waren Leichen von Menschen in Militäruniform.

Um den Wagen standen soweit ich mich erinnern kann 6 bis 7 Mann, davon ein deutscher Chauffeur zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Deutsche, die übrigen waren russische Kriegsgefangene denn sie sprachen russisch und waren entsprechend gekleidet.

Die Deutschen fielen mit Geschimpfe über meinen Chauffeur her und unternahmen dann Versuche den Wagen wieder aufzurichten. Zwei Minuten später kamen noch zwei Lastkraftwagen zur Stelle des Zusammenstoßes und hielten an. Von diesen Wagen kam uns eine Gruppe von Deutschen und russischen Kriegsgefangenen, insgesamt 10 Mann entgegen. Mit vereinten Kräften begannen alle, den Wagen aufzurichten. Ich benutzte einen günstigen Augenblick und fragte leise einen der russischen Kriegsgefangenen: 'Was ist das?' Der antwortete ebenfalls leise: 'Wie viele Nächte schon fahren wir Leichen in den Wald von Katyn.'

Der umgestürzte Wagen war noch nicht aufgerichtet, als an mich und meinen Chauffeur ein deutscher Unteroffizier herantrat und uns die Weisung gab, sofort weiterzufahren. Da unser Wagen keinerlei ernste Beschädigungen hatte, führte ihn der Chauffeur etwas zur Seite, erreichte die Chaussee, und wir fuhren weiter.

Als wir an den zwei später angekommenen, mit Zeltbahnen bedeckten Lastkraftwagen vorbeifuhren, spürte ich ebenfalls den schrecklichen Leichengeruch."

Die Aussagen Suchatschows werden bestätigt durch die Aussagen Wladimir Afanassjewitsch Jegorows, der zur Zeit der Besetzung bei der Polizei als Polizist im Dienst war.

Jegorow sagte aus, dass er, als er bei seinem Dienst an der Kreuzung der Straßen Moskau-Minsk und Smolensk-Witebsk Brückenwache hielt, Ende März und in den ersten Apriltagen 1943 nachts mehrere Male beobachtete, wie in Richtung Smolensk große Lastkraftwagen vorbeifuhren, die mit Zeltbahnen bedeckt waren und von denen starker Leichengeruch ausging. In den Fahrerkabinen der Wagen und hinten auf der Zeltbahn saßen immer einige Mann, von denen einige bewaffnet und zweifellos Deutsche waren.

Jegorow erstattete dem Chef des Polizeireviers im Dorf Archinowka, Kusma Demjanowitsch Golownjow, über seine Beobachtungen Meldung; dieser gab ihm den Rat, "den Mund zu halten", und fügte hinzu: "Das geht uns nichts an, wir haben uns in die deutschen Angelegenheiten nicht hineinzumischen."

Dass die Deutschen auf Lastkraftwagen Leichen in den Wald von Katyn fuhren, sagte auch Flor Maximowitsch Jakowlew-Sokolow aus, geboren 1896, ehemaliger Einkäufer des Smolensker Spei-schallen-Trusts, der unter den Deutschen Polizeichef des Reviers Katyn war. Er sagte aus, dass er Anfang April 1943 einmal selbst sah, wie vier mit Zeltbahnen bedeckte Lastkraftwagen, in denen einige mit Maschinenpistolen und Gewehren bewaffnete Personen saßen, von der Chaussee in den Wald von Katyn fuhren. Von diesen Wagen ging ein starker Leichengeruch aus.

Aus den angeführten Zeugenaussagen kann man mit aller Klarheit schließen, dass die Deutschen auch an anderen Orten Polen erschossen. Mit der Überführung der Leichen der Erschossenen in den Wald von Katyn verfolgten die Deutschen einen dreifachen Zweck: erstens, die Spuren ihrer eigenen Missetaten zu verwischen; zweitens, ihre Verbrechen auf die Sowjetmacht abzuwälzen; drittens, die Zahl der "Opfer der Bolschewisten" in den Gräbern des Waldes von Katyn zu erhöhen.


Die "Exkursionen" zu den Gräbern von Katyn

Als die deutschen Okkupanten im April 1943 alle Vorbereitungsarbeiten an den Gräbern im Wald von Katyn beendet hatten, begannen sie eine große Agitation in Presse und Rundfunk, wobei sie versuchten, der Sowjetmacht die Bestialitäten in die Schuhe zu schieben, die sie selbst an den kriegsgefangenen Polen verübt hatten. Eine der Methoden dieser provokatorischen Agitation war, dass die Deutschen den Besuch der Gräber von Katyn durch die Bewohner von Smolensk und Umgebung organisierten sowie auch durch "Delegationen" aus den von den deutschen Okkupanten besetzten Ländern oder aus Vasallenländern, die von ihnen abhängig sind.

Die Sonderkommission vernahm eine Reihe von Zeugen, die an den "Exkursionen" zu den Gräbern von Katyn teilgenommen haben.

Der Zeuge K.P. Subkow, Pathologe und Anatom, der als gerichtsmedizinischer Sachverständiger in Smolensk arbeitete, sagte vor der Sonderkommission aus:

"Die Kleidung der Leichen, besonders die Uniformmäntel, Stiefel und Koppel, waren ziemlich gut erhalten. Die metallischen Teile der Kleidung: Koppelschnallen, Knöpfe, Haken, Schuhnägel usw. zeigten keine stark ausgeprägte Verrostung und hatten in einigen Fällen stellenweise den Metallglanz erhalten. Die der Besichtigung zugänglichen Körpergewebe der Leichen: Gesicht, Hals und Hände waren vorwiegend von schmutzig-grünlicher Farbe, in einzelnen Fällen schmutzig braun, doch bestand keine vollständige Zerstörung der Gewebe, keine Fäulnis. In einzelnen Fällen waren bloßgelegte Sehnen von weißlicher Farbe und ein Teil der Muskeln zu sehen. Während meiner Anwesenheit bei den Ausgrabungen waren auf dem Grunde einer großen Grube Menschen mit der Sortierung und Exhumierung der Leichen beschäftigt. Dazu benutzten sie Spaten und andere Werkzeuge, oder sie fassten auch mit den Händen die Leichen und schleppten sie an den Armen, Beinen und an der Kleidung von einem Platz zum anderen. In keinem einzigen Fall war zu beobachten, dass die Leichen auseinanderfielen oder dass einzelne Teile abgerissen wurden.

All das berücksichtigend, kam ich zu dem Schluss, dass die Leichen nicht drei Jahre in der Erde lagen, wie die Deutschen behaupteten, sondern bedeutend weniger. Da ich weiß, dass in Massengräbern die Fäulnis der Leichen rascher verläuft als in Einzelgräbern, und um so mehr ohne Särge, kam ich zu dem Schluss, dass die Massenerschießung der Polen etwa vor anderthalb Jahren vorgenommen wurde und in den Herbst 1941 oder ins Frühjahr 1942 fallen kann. Durch meine Besuche bei den Ausgrabungen kam ich zu der festen Überzeugung, dass das verübte ungeheuerliche Verbrechen ein Werk der Deutschen war." Aussagen darüber, dass die Kleidung der Leichen, deren metallische Teile, die Schuhe und auch die Leichen selbst gut erhalten waren, machten zahlreich von der Sonderkommission vernommene Zeugen, die an den "Exkursionen" zu den Gräbern von Katyn teilgenommen haben darunter: der Chef der Smolensker Wasserleitung I.S. Kuzew, die Lehrerin der Schule von Katyn J.N. Wetrowa, die Telefonistin der Smolensker Fernsprechzentrale N.G. Schtschedrowa, der Bewohner des Dorfes Borok M.A. Alexejew, der Bewohner des Dorfes Nowyje Bateki N.G. Kriwoserzew, der Verkehrsleiter der Station Gnesdowo I.W. Sawwatejew, die Smolensker Bürgerin J.A. Puschtschina, der Arzt des 2. Smolensker Krankenhauses T.A. Sidoruk, der Arzt desselben Krankenhauses P.M. Kessarew und andere.


Die Versuche der Deutschen, die Spuren ihrer Missetaten zu verwischen

Die von den Deutschen organisierten "Exkursionen" hatten ihren Zweck nicht erreicht. Alle, die an den Gräbern waren, überzeugten sich, dass sie die plumpste und offensichtlichste faschistische deutsche Provokation vor sich hatten. Darum wurden vonseiten der deutschen Behörden Maßnahmen getroffen, um die Zweifler zum Schweigen zu bringen.

Die Sonderkommission verfügt über Aussagen einer ganzen Reihe von Zeugen, die berichteten, wie die deutschen Behörden diejenigen verfolgten, die Zweifel hegten oder der Provokation keinen Glauben schenkten. Sie wurden von der Arbeit entlassen, verhaftet, mit dem Erschießen bedroht. Die Kommission hat zwei Fälle festgestellt, wo Personen erschossen wurden, weil sie "die Zunge nicht im Zaum halten konnten"; ein solcher Racheakt wurde an dem ehemaligen deutschen Polizisten Sagajnow und an A.M. Jegorow verübt, der bei der Öffnung der Gräber im Wald von Katyn arbeitete.

Wie Leute, die nach dem Besuch der Gräber im Wald von Katyn Zweifel äußerten, von den Deutschen verfolgt wurden, bezeugten: M.S. Subarjowa, Reinemachefrau der Smolensker Apotheke Nr. 1; W.F. Kosiowa, Gehilfin des Sanitätsarztes des Gesundheitsamts im Smolensker Stalin-Bezirk und andere.

Der ehemalige Polizeichef des Katyner Reviers, F.M. Jakowlew-Sokolow, sagte aus:

"Es ergab sich eine Situation, die bei der deutschen Kommandantur ernste Besorgnis hervorrief, und die Polizeibehörden in den Ortschaften wurden eiligst angewiesen, alle schädlichen Gespräche unter allen Umständen zu unterbinden und alle Personen zu verhaften, die ihren Unglauben an 'Katyn' äußern. Mir persönlich, als dem Chef des Polizeireviers, wurden solche Anweisungen Ende Mai 1943 vom deutschen Kommandanten des Dorfs Katyn, Oberleutnant Braung, und Anfang Juni vom Chef des Smolensker Polizeibezirks, Kamenezki, erteilt.

Ich berief die Polizisten meines Reviers zu einer Instruktionsberatung zusammen, auf der ich Anweisung gab, jeden festzunehmen und bei der Polizei einzuliefern, der Unglauben äußert, oder an der Glaubwürdigkeit der deutschen Mitteilungen über die Erschießung polnischer Kriegsgefangener durch die Bolschewiki zweifelt.

Als ich diese Anweisungen der deutschen Behörde durchführte, habe ich direkt geheuchelt, denn ich war selbst überzeugt, dass 'Katyn' eine deutsche Provokation ist. Restlos habe ich mich davon überzeugt als ich persönlich an einer 'Exkursion' in dem Wald von Katyn teilnahm." Als die deutschen Besatzungsbehörden sahen, dass die "Exkursionen" der einheimischen Bevölkerung zu den Katyner Gräbern ihren Zweck nicht erfüllten, ordneten sie im Sommer 1943 an, diese Gräber zuzuscharren.

Vor ihrem Rückzug aus Smolensk begannen die deutschen Besatzungsbehörden, in aller Eile die Spuren ihrer Missetaten zu verwischen. Das Landhaus, in dem der "Stab des 537. Baubataillons" untergebracht war, wurde bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die Deutschen fahndeten im Dorf Borok nach drei Mädchen - Alexejewa, Michailowa und Konachowskaja, um sie mit sich fortzuschleppen oder vielleicht auch zu ermorden. Auch ihren "Kronzeugen", P.G. Kisseljow, suchten die Deutschen, doch der hatte sich zusammen mit seiner Familie rechtzeitig verborgen. Die Deutschen verbrannten sein Haus.

Die Deutschen bemühten sich auch anderer "Zeugen" habhaft zu werden, so des ehemaligen Stationsvorstehers der Station Gnesdowo, S.W. Iwanow, und des ehemaligen Verkehrsleiters dieser Station, I.W. Sawwatejew, sowie des ehemaligen Wagenkopplers der Bahnstation Smolensk, M.D. Sacharow.

In den allerletzten Tagen vor ihrem Rückzug aus Smolensk suchten die faschistischen deutschen Okkupanten nach den Professoren Basilewski und Jefimow. Beiden ist es nur dadurch gelungen, der Verschleppung oder dem Tod zu entgehen, dass sie sich rechtzeitig verbargen.

Doch ist es den faschistischen deutschen Okkupanten nicht gelungen, ihre Verbrechen zu verbergen und deren Spuren zu verwischen.

Bei der von der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission vorgenommenen Exhumierung der Leichen wurde mit unwiderleglicher Klarheit erwiesen, dass die Erschießung der polnischen Kriegsgefangenen von den Deutschen selbst vorgenommen wurde.

Weiter unten folgt das Gutachten der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission.


Feststellung der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission

Auf Anweisung der Sonderkommission zur Feststellung und Untersuchung des Tatbestandes der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere durch die faschistischen deutschen Okkupanten im Wald von Katyn (bei Smolensk) hat die gerichtsmedizinische Sachverständigenkommission, bestehend aus:

W.I. Prosorowski, Erster gerichtsmedizinischer Sachverständiger des Volkskommissariats für Gesundheitswesen der Sowjetunion, Direktor des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der Sowjetunion;
Doktor der Medizin W.M. Smoljaninow, Professor für gerichtliche Medizin des Zweiten Moskauer Staatlichen Medizinischen Instituts;
Doktor der Medizin D.N. Wyropajew, Professor für pathologische Anatomie;
Doktor P.S. Semjonowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Thanatologischen Abteilung des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der Sowjetunion;
Dozentin M.D. Schwajkowa, wissenschaftliche Mitarbeiterin der gerichtschemischen Abteilung des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der Sowjetunion; unter Teilnahme von:
Major des Sanitätsdienstes, Nikolski, Erster gerichtsmedizinischer Sachverständiger der Westfront;
Hauptmann des Sanitätsdienstes Bussojedow, gerichtsmedizinischer Sachverständiger der N ... Armee;
Major des Sanitätsdienstes Subbotin, Chef des Laboratoriums 92 für pathologische Anatomie;
Major des Sanitätsdienstes Ogloblin;
Oberleutnant des Sanitätsdienstes, Facharzt Sadykow;
Oberleutnant des Sanitätsdienstes Puschkarjowa,

in der Zeit vom 16. bis 23. Januar 1944 die Exhumierung und gerichtsmedizinische Untersuchung von Leichen der polnischen Kriegsgefangenen durchgeführt, die in den Gräbern auf dem Territorium "Korsji Gory" im Wald von Katyn, 15 Kilometer von Smolensk, begraben sind. Die Leichen der polnischen Kriegsgefangenen wurden in einem gemeinsamen Grab im Ausmaß von ungefähr 60x60x3 Meter und außerdem in einem gesonderten Grab im Ausmaß von ungefähr 7x6x3,5 Meter bestattet. Aus den Gräbern wurden 925 Leichen exhumiert und untersucht.

Die Exhumierung und die gerichtsmedizinische Untersuchung der Leichen wurden durchgeführt zur Feststellung:

der Identität der Toten;
der Ursache des Todes;
des Zeitpunktes der Bestattung.
Tatbestand der Angelegenheit: siehe Akten der Sonderkommission.
Objektive Unterlagen: siehe Protokolle der gerichtsmedizinischen Untersuchungen der Leichen.


Gutachten

Die gerichtsmedizinische Sachverständigenkommission gelangte aufgrund der Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung der Leichen zu folgendem Gutachten:

Nach der Öffnung der Gräber und Exhumierung der Leichen wurde festgestellt:

unter der Masse der Leichen der polnischen Kriegsgefangenen befinden sich Leichen in Zivilkleidung, deren Zahl im Verhältnis zur Gesamtzahl der untersuchten Leichen geringfügig ist (insgesamt zwei von 925 exhumierten Leichen); die Leichen hatten Militärstiefel an;

die Bekleidung der Leichen der Kriegsgefangenen zeugt davon, dass sie dem Offizierkorps und teilweise dem Mannschaftsbestand des polnischen Heeres angehörten;

die bei der Untersuchung der Kleidung festgestellten Schnitte durch die Taschen und Stiefel, die umgewendeten Taschen und die Risse in ihnen zeigen, dass die ganze Bekleidung jeder Leiche (Mantel, Hose usw.) in der Regel Spuren einer Untersuchung der Leichen aufweist;

In einigen Fällen wurde bei der Besichtigung der Kleidung festgestellt, dass die Taschen ganz waren. In diesen Taschen wurden, wie auch in zerschnittenen und zerrissenen Taschen, unter dem Uniformfutter, unter den Leibriemen, in den Fußlappen und Socken gefunden: Zeitungsstücke, Broschüren, Gebetbücher, Briefmarken, Postkarten, Briefe, Quittungen, Notizen und andere Dokumente sowie Wertgegenstände (Goldstücke, goldene Dollarstücke), Pfeifen, Taschenmesser, Zigarettenpapier, Taschentücher usw.;

auf einem Teil der Dokumente wurden (sogar ohne Spezialuntersuchung) bei der Besichtigung Daten aus der Zeit zwischen dem 12. November 1940 und dem 20. Juni 1941 festgestellt;

der Stoff, aus dem die Kleidung besteht, besonders die Mäntel, die Uniformen, Hosen und Oberhemden, ist gut erhalten und lässt sich nur mit sehr großer Mühe mit den Händen zerreißen;

bei einem sehr kleinen Teil der Leichen (20 von 925) waren die Hände hinten mit weißem geflochtenen Schnüren zusammengebunden.

Der Zustand der Bekleidung an den Leichen, und zwar die Tatsache dass die Uniformen. Hemden, Leibriemen, Hosen und Unterhosen zugeknöpft sind, dass sich die Stiefel und Schuhe an den Beinen befinden die Schals und Halstücher um den Hals gebunden, die Hosenträger angeknöpft, die Hemden in die Hosen gesteckt sind, zeugt davon, dass eine äußere Untersuchung der Körper und Gliedmaßen der Leichen früher nicht vorgenommen wurde.

Die Tatsache, dass die Kopfhaut unversehrt geblieben ist und dass die Haut an der Brust und am Bauch (mit Ausnahme von 3 Fällen von 925) keinerlei Schnitte, Anschnitte oder andere Anzeichen einer Betätigung von Sachverständigen aufweist, zeigt, dass - nach den von der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission exhumierten Leichen zu urteilen - eine gerichtsmedizinische Untersuchung der Leichen nicht vorgenommen wurde.

Die äußere und innere Besichtigung von 925 Leichen gibt die Handhabe zur Feststellung, dass am Kopf und Genick Wunden von Schusswaffen waren und dass in vier Fällen außerdem noch die Knochen der Schädeldecke mit einem stumpfen, harten, schweren Gegenstand verletzt waren. Außerdem wurden in wenigen Fällen Bauchverletzungen mit gleichzeitigen Kopfwunden festgestellt.

Einschüsse gibt es in der Regel nur einen, seltener zwei, und sie befinden sich im Genickteil des Kopfes in der Nähe des Hinterhauptbeins, der großen Hinterhauptöffnung oder an ihrem Rand, In einigen wenigen Fällen wurden Einschüsse an der hinteren Oberfläche des Halses auf der Höhe des 1., 2. oder 3. Halswirbels festgestellt.

Ausschussöffnungen wurden am häufigsten in der Stirngegend, seltener in der Scheitel- oder Schläfengegend sowie auch im Gesicht und am Hals festgestellt. In 27 Fällen waren die Schusswunden blind (ohne Ausschüsse), und am Ende der Schusskanäle wurden unter den weichen Decken des Schädels, in seinen Knochen, in der Gehirnhaut oder im Hirn selbst, deformierte, schwach deformierte oder überhaupt nicht deformierte Stahlmantelgeschosse gefunden, wie sie beim Schießen mit Maschinenpistolen, vorwiegend Kaliber 7,65 mm, benutzt werden.

Die Größe der Einschüsse am Genickbein lässt darauf schließen, dass bei den Erschießungen Feuerwaffen von zwei Kalibern benutzt wurden: in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von weniger als 8 mm, das heißt 7,65 mm und weniger, in einer geringeren Anzahl von mehr als 8 mm, d. h, von 9 mm.

Der Charakter der Risse der Schädelknochen und die Tatsache, dass in mehreren Fällen am Rande der Einschussöffnungen Pulverreste gefunden wurden, lässt darauf schließen, dass die Schüsse mit auf den Kopf oder fast auf den Kopf angelegter Waffe abgegeben wurden.

Die Lage der Ein- und Ausschussöffnungen zeigt, dass die Schüsse von hinten bei vorwärtsgebeugtem Kopf abgegeben wurden. Dabei verlief der Schusskanal durch lebenswichtige Teile des Kopfhirns oder in ihrer Nähe, und die Zerstörung des Hirngewebes war die Todesursache. Die an den Knochen der Schädeldecke festgestellten Verletzungen durch einen stumpfen, harten, schweren Gegenstand waren von Verwundungen des Kopfes durch eine Feuerwaffe begleitet und bildeten an sich nicht die Todesursache.

Die in der Zeit vom 16. bis 23. Januar 1944 vorgenommene gerichtsmedizinische Untersuchung der Leichen zeigt, dass überhaupt keine Leichen im Zustand des Zerfalls durch Verwesung oder Zerstörung, und dass alle 925 Leichen gut erhalten sind und sich im Anfangsstadium des Feuchtigkeitsverlustes befinden (was am häufigsten und am deutlichsten in der Brust- und Bauchgegend und manchmal auch an den Extremitäten in Erscheinung trat; Anfangsstadium des Fettwachses, ausgeprägter Grad des Fettwachses bei den Leichen, die vom untersten Boden der Gräber exhumiert wurden), in einer Kombination der Entwässerung der Leichengewebe und der Bildung von Fettwachs.

Besondere Beachtung verdient der Umstand, dass die Muskeln des Rumpfes und der Extremitäten ihre makroskopische Struktur und ihre fast gewöhnliche Farbe erhalten haben; die inneren Organe des Brustkastens und der Bauchhöhle haben ihre Konfiguration beibehalten, in einer ganzen Anzahl von Fällen hatte der Herzmuskel an Schnitten eine deutlich unterscheidbare Struktur und die ihm eigene Färbung, und das Kopfhirn wies die charakteristischen Struktureigenarten auf mit deutlich ausgeprägter Grenze der grauen und der weißen Substanz. Außer der makroskopischen Untersuchung der Leichengewebe und -organe nahm die gerichtsmedizinische Sachverständigenkommission entsprechendes Material für die nachfolgenden mikroskopischen und chemischen Untersuchungen im Laboratorium.

Für die Erhaltung der Gewebe und Organe der Leichen waren die Eigenschaften des Bodens am Ausgrabungsort von gewisser Bedeutung.

Nach der Öffnung der Gräber und der Exhumierung der Leichen beim Liegen im Freien waren sie der Einwirkung der Wärme und Feuchtigkeit im Frühjahr und Sommer 1943 ausgesetzt. Das konnte eine starke Beschleunigung des Zersetzungsprozesses der Leichen bewirkt haben.

Aber der Grad der Entwässerung der Leichen und der Bildung von Fettwachs in ihnen, der besonders gute Zustand der Muskeln und inneren Organe sowie der Kleidung bieten die Grundlage zu der Behauptung, dass sich die Leichen kurze Zeit im Boden befanden. Vergleicht man aber den Zustand der Leichen in den Gräbern auf dem Gelände von "Kosji Gory" mit dem Zustand der Leichen an anderen Grabstätten in der Stadt Smolensk und in ihrer nächsten Umgebung - in Gedeonowka, Magalenschtschina, Readowka, im Lager Nr. 126, in Krassny Bor usw. - (siehe Protokoll der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission vom 22. Oktober 1943), so muss festgestellt werden, dass die Leichen der polnischen Kriegsgefangenen auf dem Gelände von "Kosji Gory" vor etwa zwei Jahren begraben wurden. Das findet seine volle Bestätigung in den Dokumenten, die in der Kleidung an den Leichen gefunden wurden und die frühere Begrabungstermine ausschließen (siehe Punkt "e" Artikel 36 und Verzeichnis der Dokumente).

Die gerichtsmedizinische Sachverständigenkommission, die die Tatsachen und Ergebnisse der Untersuchungen zur Grundlage nimmt, betrachtet es als festgestellt, dass kriegsgefangene Offiziere und zum Teil Soldaten der polnischen Armee durch Erschießung getötet wurden; konstatiert, dass diese Erschießung in eine Zeit fällt, die etwa zwei Jahre zurückliegt, d. h. zwischen September und Dezember 1941 stattfand; erachtet die Tatsache, dass die gerichtsmedizinische Sachverständigenkommission in der Kleidung der Leichen Wertsachen und Dokumente fand, die mit dem Jahr 1941 datiert sind, als Beweis dafür, dass die faschistischen deutschen Behörden, die im Frühjahr und Sommer 1943 eine Durchsuchung der Leichen vornahmen, diese Durchsuchung nicht sorgfältig durchführten, die aufgefundenen Dokumente hingegen zeigen, dass die Erschießung nach dem Juni 1941 vorgenommen wurde; stellt fest, dass die Deutschen im Jahre 1943 nur eine verschwindend kleine Anzahl Obduktionen von Leichen der erschossenen polnischen Kriegsgefangenen vornahmen; stellt fest, dass das Verfahren bei der Erschießung polnischer Kriegsgefangener völlig identisch ist mit der Art der Erschießung friedlicher Sowjetbürger und sowjetischer Kriegsgefangener, die von den faschistischen deutschen Behörden auf dem vorübergehend besetzten Gebiet der Sowjetunion, darunter in den Städten Smolensk, Orel, Charkow, Krassnodar und Woronesh, weitgehend angewandt wurde.

Erster gerichtsmedizinischer Sachverständiger des Volkskommissariats für Gesundheitswesen der Sowjetunion, Direktor des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der Sowjetunion, W.I. PROSOROWSKI
Professor für gerichtliche Medizin des Zweiten Moskauer Staatlichen Medizinischen Instituts, Doktor der Medizin, W.M. SMOLJANINOW
Professor der pathologischen Anatomie, Doktor der Medizin, D.N. WYROPAJEW
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Thanatologischen Abteilung des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für gerichtliche Medizin beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der Sowjetunion, Doktor P.S. SEMJONOWSKI
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der gerichtschemischen Abteilung des Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Gesundheitswesen der Sowjetunion, Dozentin M.D. SCHWAJKOWA

Smolensk, den 24. Januar 1944


Bei den Leichen gefundene Dokumente

Außer den Angaben, die in dem Gutachten der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission festgehalten sind, wird die Zeit der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere durch die Deutschen (Herbst 1941, und nicht Frühling 1940, wie die Deutschen behaupten) auch durch Dokumente bewiesen, die bei der Öffnung der Gräber gefunden wurden und die nicht nur aus der zweiten Hälfte des Jahres 1940, sondern auch aus der Zeit des Frühjahrs und Sommers (März bis Juni) 1941 stammen.

Unter den Dokumenten, die von den gerichtsmedizinischen Sachverständigen gefunden wurden, verdienen die folgenden besondere Beachtung:

Bei der Leiche Nummer 92: Ein Brief aus Warschau, adressiert an das Rote Kreuz, Zentralbüro für Kriegsgefangene, Moskau, Kujbyschew-Straße 12. Der Brief ist in russischer Sprache geschrieben. In diesem Brief bittet Sofia Sigonj, ihr den Aufenthalt ihres Mannes Tomasch Sigonj mitzuteilen. Der Brief ist vom 12. September 1940 datiert. Auf dem Briefumschlag befindet sich der deutsche Poststempel "Warschau IX-40" und der Stempel "Moskau, Postamt 9, Expedition, 28. IX 40" und der mit roter Tinte in russischer Sprache geschriebene Entscheid: "Lager feststellen und zwecks Aushändigung weitersenden. 15. XI. 40." (Unterschrift unleserlich)

Bei der Leiche Nummer 4: Eine eingeschriebene Postkarte Nummer 0112 aus Tarnopol mit dem Poststempel "Tarnopol 12. XI. 40". Der handschriftliche Text und die Adresse sind verblasst.

Bei der Leiche Nummer 101: Eine Quittung Nummer 10293 vom 19. Dezember 1939, ausgestellt vom Lager in Koselsk über den Empfang einer goldenen Uhr von Eduard Adamowitsch Lewandowski. Auf der Rückseite der Quittung befindet sich ein Vermerk vom 14. März 1941 über Verkauf dieser Uhr an "Juweliertorg".

Bei der Leiche Nummer 46: Eine Quittung (Nummer unleserlich), ausgestellt am 16. Dezember 1939 durch das Lager in Starobelsk über den Empfang einer goldenen Uhr von Wladimir Rudolfowitsch Araschkewitsch. Auf der Rückseite der Quittung befindet sich ein Vermerk vom 25. März 1941, dass die Uhr an "Juweliertorg" verkauft wurde.

Bei der Leiche Nummer 71: Ein papierenes Heiligenbild mit der Darstellung Christi, das zwischen der 144. und 145. Seite eines katholischen Gebetbuchs gefunden wurde. Auf der Rückseite des Heiligenbilds befindet sich eine Aufschrift, in der die Unterschrift "Jadwinja" und das Datum "4. April 1941" leserlich sind.

Bei der Leiche Nummer 46: Eine Quittung vom 6. April 1941, ausgestellt vom Lager Nr. 1-ON über den Empfang von 225 Rubel von Araschkewitsch.

Bei der Leiche Nummer 46: Eine Quittung vom 18. Mai 1941, ausgestellt vom Lager Nr. 1-ON über den Empfang von 102 Rubel von Araschkewitsch.

Bei der Leiche Nummer 10: Eine Quittung vom 18. Mai 1941, ausgestellt vom Lager Nr. 1-ON über den Empfang von 175 Rubel von E. Lewandowski.

Bei der Leiche Nummer 53: Eine nicht abgeschickte Postkarte in polnischer Sprache an die Adresse: Warschau, Bagatelja 15, Wohnung 47, Irena Kutschinska. Datiert vom 20. Juni 1941. Absender Stanislaw Kutschinski.


Allgemeine Schlussfolgerungen

Aus dem gesamten Material, über das die Sonderkommission verfügt, und zwar den Aussagen von mehr als 100 von ihr vernommenen Zeugen, den Angaben der gerichtsmedizinischen Sachverständigenkommission, den Dokumenten und Beweisstücken, die aus den Gräbern im Wald von Katyn entnommen wurden, ergeben sich mit unwiderleglicher Klarheit folgende Schlussfolgerungen:

- die polnischen Kriegsgefangenen, die sich in drei Lagern westlich von Smolensk befanden und bis zu Kriegsbeginn bei Straßenbauarbeiten beschäftigt waren, sind auch nach dem Eindringen der deutschen Okkupanten in Smolensk bis einschließlich September 1941 dort verblieben;

- im Wald von Katyn wurden im Herbst 1941 von den deutschen Okkupationsbehörden Massenerschießungen polnischer Kriegsgefangener aus den obenerwähnten Lagern vorgenommen;

- die Massenerschießungen polnischer Kriegsgefangener im Wald von Katyn erfolgten durch eine deutsche Militärbehörde, die sich hinter dem fiktiven Namen "Stab des 537. Baubataillons" verbarg, an deren Spitze Oberstleutnant Arnes und seine Mitarbeiter, Oberleunant Rext und Leutnant Hott, standen;

- im Zusammenhang mit der Verschlechterung der allgemeinen militärischen und politischen Lage Deutschlands Anfang 1943 trafen die deutschen Besatzungsbehörden zu provokatorischen Zwecken eine Reihe von Maßnahmen, um ihre eigenen Missetaten den Organen der Sowjetmacht in die Schuhe zu schieben, in der Hoffnung, zwischen Russen und Polen Zwietracht zu säen.

Zu diesen Zwecken

- bemühten sich die faschistischen deutschen Okkupanten, durch Zureden, Bestechungsversuche, Drohungen und barbarische Misshandlungen unter den Sowjetbürgern "Zeugen" zu finden, von denen sie falsche Aussagen darüber zu erlangen suchten, dass die polnischen Kriegsgefangenen angeblich im Frühjahr 1940 von Organen der Sowjetmacht erschossen wurden;

- holten die deutschen Besatzungsbehörden im Frühjahr 1943 von anderen Orten Leichen der von ihnen erschossenen polnischen Kriegsgefangenen zusammen und legten sie in die geöffneten Gräber im Wald von Katyn, wobei sie darauf rechneten, dass es ihnen gelingen werde, die Spuren ihrer eigenen Missetaten zu verwischen und die Zahl der "Opfer der bolschewistischen Gräuel" im Wald von Katyn zu erhöhen;

Bei den Vorbereitungen zu ihrer Provokation benutzten die deutschen Besatzungsbehörden für die Arbeiten zur Öffnung der Gräber im Wald von Katyn, zur Entfernung der Dokumente und Beweisstücke, die sie überführen könnten, etwa 500 russische Kriegsgefangene, die nach Ausführung dieser Arbeit von den Deutschen erschossen wurden.

Durch die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung wurde einwandfrei festgestellt:

- der Zeitpunkt der Erschießung: Herbst 1941,

- dass die deutschen Henker bei der Erschießung der polnischen Kriegsgefangenen die gleichen Pistolenschüsse ins Genick anwandten, wie bei dem Massenmord an Sowjetbürgern in anderen Städten, insbesondere in Orel, Woronesh, Krassnodar und Smolensk selbst.

Die Schlussfolgerungen, die sich aus den Zeugenaussagen und dem gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachten über die Erschießung kriegsgefangener Polen im Herbst 1941 ergeben, werden durch die Beweisstücke und Dokumente, die aus den Katyner Gräbern ausgegraben wurden, restlos bestätigt.

Mit der Erschießung der polnischen Kriegsgefangenen im Wald von Katyn verwirklichten die faschistischen deutschen Okkupanten konsequent ihre Politik der physischen Ausrottung der slawischen Völker.

Vorsitzender der Sonderkommission, Mitglied der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, Mitglied der Akademie N. N. BURDENKO;
Mitglieder:
Mitglied der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, Mitglied der Akademie Alexej TOLSTOI;
Mitglied der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, Metropolit NIKOLAI;
Vorsitzender des Allslawischen Komitees, Generalleutnant A.S. GUNDOROW;
Vorsitzender des Exekutivkomitees des Verbandes der Organisationen Rotes Kreuz und Roter Halbmond, S.A. KOLESSNIKOW;
Volkskommissar für Bildungswesen der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, Mitglied der Akademie M.P. POTJEMKIN;
Chef der Hauptverwaltung des Sanitätswesens der Roten Armee, Generaloberst J.I. SMIRNOW;
Vorsitzender des Smolensker Gebietsexekutivkomitees, R.J. MELNIKOW.

Smolensk, den 24. Januar 1944. (Veröffentlicht in "Prawda", 26. Januar 1944)

Quellen für das nachgedruckte Dokument:

1) "Die Wahrheit über das faschistische Verbrechen von Katyn", Herausgeber: Parteivorstand der KPD, Düsseldorf (BRD), 1951

2) Note der Sowjetregierung an die Regierung der USA: Mitteilung der Sonderkommission zur Feststellung und Untersuchung des Tatbestandes der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere durch die faschistischen deutschen Okkupanten im Wald von Katyn; (die Wahrheit über das faschistische Verbrechen von Katyn), 1944

Raute

LITERATUR

Wolfgang Beutin: Das Erbe des deutschen Faschismus und eine Literatur-Nobelpreisträgerin - über Herta Müller

Polemik heißt, ein Buch in wenigen seiner Sätze vernichten. Je weniger man es studierte, desto besser. Nur wer vernichten kann, kann kritisieren.

Walter Benjamin, Die Technik des Kritikers in dreizehn Thesen (Nr. IX)


An Haltungen zum deutschen Faschismus ...

­... gab es, grob betrachtet, in der Weimarer Republik und während der Ära von 1933-1945:

- die antifaschistische;

- eine neutrale oder sich neutral gebende, worauf etwa die Protagonistin Nicole Pineau in dem bedeutenden Roman von Adrienne Thomas "Reisen Sie ab, Mademoiselle!" um 1938 in der Schweiz trifft;

- die Position derer, die dem Faschismus anhingen, sich mit ihm identifizierten und ihn propagierten.

Dem entsprachen nach 1945 ebenso viele Weisen, ihn künstlerisch darzustellen. Zu fragen wäre sogar, ob nicht das bewußte Schweigen von Kunstschaffenden über den NS und dessen welthistorische Verbrechen, die Nichtbefassung damit eine bestimmte Haltung zum deutschen Faschismus einschloß, was etwa am deutschen und österreichischen idyllisierenden 'Heimatfilm' der Jahre um 1960 untersucht werden kann.

Gegenwärtig läßt sich eine Mehrzahl von Weisen des künstlerischen Umgangs mit dem deutschen Faschismus beobachten. Dazu zählen:

- die Darstellung der vergangenen und gegenwärtigen Welt als "Teufelskreis", dem kein Lebender entkommt;

- die Verleugnung und Sperrung der Mittel und Wege, mit welchen eine Gesellschaft der Humanität und der Vernunft errichtet werden könnte, u. a. besonders die Verurteilung des Denkens und der Sprache als unbrauchbar;

- Phänomenen nichtfaschistischer Gesellschaften, gegen die Haß erzeugt werden soll, die Eigenschaften des Faschismus anzudichten, jene mit diesen gleichzusetzen, um sie verächtlich zu machen;

- immerfort halbe oder Viertel-, Achtelwahrheiten über die Epoche des Faschismus, aber auch über die Folgezeit bis zur Gegenwart auszustreuen, womit mächtigen Lügen Raum geschaffen wird;

- und last but not least: Wiederaufnahme von ideologischen Bestandteilen des Faschismus und seiner propagandistischen Methodologie in der Publizistik.

Eine Literatur mit diesen und einigen ergänzenden Wesenszügen, träte sie denn auf den Plan, würde ihren Teil dazu beitragen, auf dem Erdball eine Politik zu verstärken und durchzusetzen, die nicht nur auf eine Revision der Ergebnisse des 2. Weltkriegs hinausliefe, sondern auch darauf, den Planeten für allezeit in ein höllisches Absurdistan, das Jenseits einer Gesellschaft der Freien und Gleichen umzuwandeln.

Ist es glaubhaft, daß zurzeit ein Ouvre dieser Art geschaffen, rezipiert, über den grünen Klee gelobt und vielfältig mit Preisen ausgezeichnet wird?


Literaturpreise

Provisorische Übersicht: Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung; Ricarda-Huch-Preis; Aspekte Literaturpreis; Deutscher Kritikerpreis; Kleist-Preis; Joseph-Breitbach-Preis; Literatur-Nobelpreis; von Erika Steinbachs "Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen" der Franz-Werfel-Menschenrechtspreis. (Bei einer dieser Preisverleihungen geschah es, daß als Lobredner ein Frommer im Lande namens Joachim Gauck auftrat.)

Diese Liste wird nicht vollständig sein, vermutlich bald auch verlängert werden ...?


Eines provinziellen Literaturkritikers versuchte Selbsttötung aus Begeisterung über ein Buch

Ein Hecht im Karpfenteich der deutschen Literatur überschlug sich in seinem Enthusiasmus wegen des jüngst (2009) erschienenen Buchs der Verfasserin, betitelt: "Atemschaukel". Er kündigte an, aus Begeisterung sich selber bei Lebzeiten schwerste Einbußen aufzuerlegen: er würde nicht mehr anständig essen, sich kaum noch waschen, nie mehr duschen, sich selber nicht mehr ankleiden können. Damit sänke er womöglich zum Pflegefall herab, falls er nicht sogar infolge Bewegungsunfähigkeit rasch heimginge. Es war ein in Franken siedelnder Literatur-Experte namens Wolf Peter Schnetz (zu mittelhochdeutsch "snez" = 'Hecht'), der über "Atemschaukel" schrieb: "Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legt."

Ob nicht jenes, wie andere derselben Verfasserin, aber immer wieder einmal aus der Hand gelegt werden sollte, rasch oder nicht rasch, von allen, die gern auch noch ein anderes Druckwerk in die Hand nehmen oder, der Lektüre abgeneigt, gar keins?

Von solchen verschmäht, die sich überhaupt jegliche Einschränkung an Lebensmöglichkeit verbeten haben und sich auf gar keinen Fall vom Literatur-Experten verschaukeln lassen möchten, selbst von Nobelpreis-Verleihern nicht?


Durchs wilde Absurdistan

Die Verfasserin überrumpelt ihr Publikum bedenkenlos, indem sie als Dichtung von heute eine von gestern serviert, oder eher noch von vorgestern, eine Spätform von Dada oder simplifizierende Reprise des einstmals provokanten Surrealismus, ihre düpierten Fans hinter sich herlockend durchs wilde Absurdistan. Sie stellt skurrile Vorgänge dar, absonderliche Figuren, deren irreales Tun.

"Ein Kind läßt sich die Nägel nicht schneiden. Das tut weh, sagt das Kind. Die Mutter bindet das Kind mit den Gürteln ihrer Kleider an den Stuhl. ... Die Mutter liebt das Kind. Sie liebt es wie eine Sucht und kann sich nicht halten, weil ihr Verstand genauso an die Liebe angebunden ist, wie das Kind an den Stuhl. Das Kind weiß: Die Mutter muß in ihrer angebundenen Liebe die Hände zerschneiden. Sie muß die abgeschnittenen Finger in die Tasche ihres Hauskleids stecken und in den Hof gehen, als wären die Finger zum Wegwerfen. Sie muß im Hof, wo sie keiner mehr sieht, die Finger des Kindes essen." (Herztier 14 f.)

Etwas Lieben "wie eine Sucht"? Aber liebt man Liebe "wie eine Sucht"? Man kann 'leidenschaftliche Liebe, Affenliebe' empfinden; Liebe als Sucht betrachtet heißt: Erotomanie. Redensart: jemanden 'zum Fressen gern haben'. Diese Mutter frißt die Finger ihres Kindes, das ist: das Kannibalismus-Motiv.

"Um den Bahnhof strich der Philosoph. Er verwechselte die Telefonmasten und Baumstämme mit Menschen. Er erzählte dem Eisen und Holz von Kant und dem Kosmos der fressenden Schafe. In den Bodegas ging er von Tisch zu Tisch, trank die Reste und wischte die Gläser trocken mit seinem langen weißen Bart." (Herztier 48)

Ein Verwirrter, der die realen Gegenstände der Welt verkennt à la Don Quijote? Von der Verfasserin vielleicht als Symbol für die von ihr behauptete Verrücktheit der Welt im Kommunismus vorgeführt?

"(Lolas Geschlechtsverkehr) Nur Stöße im Bauch auf dem Boden des Parks. Und über ihr die Hundeaugen der Männer, die den ganzen Tag das Fallen des Waschpulvers hörten im dicken Rohr und das Röcheln der Tiere. Diese Augen brannten über Lola, weil sie den ganzen Tag erloschen waren." (Herztier 23)

Das Fallen des Waschpulvers hören doch wohl nicht die Hundeaugen der Männer, allenfalls die Männer mit ihren Ohren. Inwiefern hätten Männer sämtlich Hundeaugen? Inwiefern hört man das Fallen des Waschpulvers im Park? Welche Tiere röcheln (die Männer wiederum?). Können erloschene Augen brennen?

Zwar darf ein Literat Gegenstände, Vorgänge, Eigenschaften durcheinander wirbeln, doch entweder so, daß ein sinnvoll integriertes Bild in der Phantasie der Leserschaft entsteht, oder so, daß diese erkennt, ein kaleidoskopartiger Flickenteppich wird ihr geboten. Nur muß sie nicht im Zweifel bleiben, was beabsichtigt ist, nicht gezwungen sein, eine dritte Alternative zu erwägen: gestalterische Unfähigkeit des Künstlers? Bei dieser Verfasserin aber kann man kaum anders, als stetig auf die dritte Alternative zu tippen.

"Diese Blindheit quälte mich. ... Diese Blindheit kommt daher, dachte ich mir, daß wir nie mit dem Messer schneiden und mit der Gabel stechen dürfen. Daß wir essen wie Tiere." (Herztier 24)

Eine oft verwendete literarische Technik der Autorin ist es, in der Gedankenwelt des epischen Ichs Zusammenhänge zu errichten, die der Logik entbehren, oder: es wird eine Pseudologik geboten, die der realen Zusammenhanglosigkeit einen Anstrich von Zusammenhang gibt.

Sie bedient sich spezieller Metaphorik, konstruiert aus anthropomorphosierenden Metaphern menschliche Gemeinschaft, die jeglichen Sinns und Verstandes entbehrt:

"(Die Großmutter) Jetzt erkannte sie den Vater wieder, weil sie irr, und weil er tot war. Jetzt hauste sein Herztier in ihr." (Herztier 75)

"Unsere Herztiere flohen wie Mäuse. Sie warfen das Fell hinter sich ab und verschwanden im Nichts." (Ebd. 89)

Dies ist das zentrale Bild eines ihrer 'Romane': "Herztier", der von der Verfasserin danach auch den Titel bekam. Während man im ersten Zitat die Bedeutung erwägen könnte: "Herztier" stehe für Liebe, liebende Erinnerung, Andenken' ..., verflüchtigt sich jeder Sinn bei der zweiten Verwendung, ein mit dem Verstand nicht faßbarer Vorgang wird supponiert, Ratlosigkeit bei der Leserschaft bewirkt.

Ebenfalls in dem Bericht "Atemschaukel". Darin ist ein Hauptmotiv das Hungern im Arbeitslager. Dafür setzt die Verfasserin die Allegorie des "Hungerengels", und vom Hungerengel stiftet sie eine Verbindung zur "Atemschaukel", wovon der Text den Titel hat:

"Der Hungerengel geht offenen Auges einseitig. Er taumelt enge Kreise und balanciert auf der Atemschauke.". (Abschnitt "Vom Hungerengel", S. 144).

Es findet sich nicht leicht eine Schreiberin heute, die eine solche Sintflut von Anthropomorphismen ins Werk setzt:

"Auch die Pflanzen, Stiele und Blätter verstehen nicht, weshalb das Kind Hände und Mund essend gegen sein Leben gebraucht. Nur die Namen der Pflanzen wissen warum: Wasserklee, Wollgras, Milchdistel ..." (usw.; Herztier 90)

Pflanzen, Stiele, Blätter "verstehen nicht", aber die Namen "wissen" etwas. Und die Position des Partizips "essend"? "Hände und Mund essend" - dann verspeist es selber seine eigenen Hände und den Mund; daher richtig: "das Kind essend..."

"Die Mutter der Nadel ist die Stelle, die blutet. Die Mutter der Nadel ist die älteste Nadel der Welt, die alle Nadeln geboren hat. Sie sucht für all ihre Nadeln an jeder nähenden Hand auf der Welt einen Finger zum Stechen. ... Flüche sind kalt. Flüche brauchen keine Dahlien, kein Brot, keine Äpfel, keinen Sommer. Sie sind nicht zum Riechen und nicht zum Essen." (Fuchs 8)

Irgend nachvollziehbare Vorstellungen wird man von Passagen wie diesen nicht verlangen. Eine Anregung für eine nächste, in Zukunft zu kürende Literatur-Nobelpreisträgerin wäre jedoch, an die Feststellung, was Flüche alles nicht brauchen, den vollständigen Wortschatz der deutschen Sprache anzufügen. An die Wortfolge "Sie sind nicht zum ..." könnte die Gesamtheit der Verben der deutschen Sprache geknüpft werden.

Diese Verfasserin durchwirkt ihre gesamte literarische Produktion mit zahllosen Metaphern ohne Bedeutung, mit Vergleichen, wodurch Beliebiges mit Beliebigem in Beziehung gesetzt wird, mit Aussagen bar jeden Sinns und Verstands:

"Das Auge des Briefkastens ist nicht schwarz und leer, es ist weiß." (Fuchs 111)

"Lillis Schlehenblick drang in meine Augen und behauptete sich. (Lillis Nase:) Diese Nase ist schön wie eine Tabakblüte." (Heute 63)

Es gilt in der Kunst aber: Rhetorische Figuren, voran kühne und kühnste Metaphern, müssen etwas für sich haben - sie müssen als sprachliche Bilder überzeugen, ihnen muß bildliche Kraft innewohnen. Wo nicht, wirken sie wie pure Willkür. Was ist hier der Fall?

"Daß mir das lange Kleid zum Hals heraus hing, machte viel, daß ich mir wünschte, er möge immer drauftreten, bis ich nicht mehr drin bin." (Heute 193)

Der Phraseologimus: "etwas hängt jemandem zum Halse heraus" mit der Bezeichnung des konkreten Gegenstands "Kleid" gekoppelt, ergibt unfreiwillige Komik, weil "Kleid" die Bezeichnung eines Dings ist, das seinerseits tatsächlich über die Fähigkeit verfügt zu hängen. Verdeutscht: 'Daß ich das lange Kleid nicht mehr mochte, bewirkte, daß ich mir wünschte ...'

Zum Reich Absurdistan gehört es, aus Prinzip die Regeln des 'guten Anstands' zu verletzen, sprich: in der Literatur die Leserschaft durch Einbau von Obszönitäten zu schockieren, sofern dies Vorhaben denn heutzutage noch glückt und ein gelinde abgebrühtes Publikum sich überhaupt schockieren läßt. Die Verfasserin wird sich unterrichtet haben, daß Gegenwartsliteratur kaum noch ohne obszöne Wörter, Vorgänge und Handlungen auskommt. Tabubruch dieser Art tritt bei ihr wahlweise im Konnex mit dem Eros auf oder mit dem Exkrementellen. Das Exkrementelle ist es, worin sich die Verfasserin auffällig behaglich umtut.

"Ilije muß scheißen. Er hebt den Kopf, er drückt. Er reißt ein Blatt vom Stiel, ein schmales, langes Maisblatt. Das Maisblatt bricht, und sein Finger stinkt. Und das Maisfeld stinkt, und der Wald. Und die Nacht, und der Mond, der nicht da ist, stinkt." (Fuchs 206 f.)

Auf den Umgang mit dem Obszönen muß ein Schreiber sich allerdings verstehen, Autoren mit Esprit wie Aristophanes und Aretino, Chorier und James Joyce u. v. a. m. haben es in Jahrtausenden bewiesen. Aber sie haben sich nicht darauf kapriziert, daß sogar ein Mond, "der nicht da ist", stinkt ... und wäre er da, wie wollte jemand seinen Geruch korrekt ermitteln? (Könnte allenfalls eine Forschungsaufgabe bei der nächsten Mondlandung sein.) Hier nimmt sich der Tabubruch aus, als habe ein Zimperlieschen ihn sich gewaltsam verordnet, um die Absatzchancen ihres Skripts zu erhöhen.

Häufig erscheint das Obszöne in Gestalt des Witzes. Indes würde der Könner zum obszönen Witz greifen, der als Diffamierung einer ganzen Bevölkerung daherkommt?

"Weißt du, warum die Italiener immer Taschenkämme bei sich tragen, weil sie im Schamhaar ihren Schwanz nicht finden, wenn sie pissen müssen." (Heute 62)

Als Fäkalien-Expertin präsentiert sich die Verfasserin in einem eigenen Kapitel mit der vielversprechenden Überschrift: "Der Nachttopf". Hier legt sie ihrer Heldin eine anrührende Meditation in den Mund, die von der Verschiedenheit der Ausführungen des benannten Gefäßes handelt:

"Ich hatte einen roten Nachttopf, meine Mutter einen grünen, mein Vater einen blauen. Der vierte war aus Glas, er war der schönste, doch er wurde nie benutzt." (Fuchs 253)

Alle in literarischer Darstellung geschilderten Vorgänge - seien sie noch so unalltäglich, phantastisch, exzentrisch - dürfen ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit nicht vermissen lassen. Die Kunst des Autors besteht darin, daß er es in der Welt der Fiktion so zugehen läßt, daß die Leserschaft sich nicht weigert, seiner Erdichtung wenigstens in der Phantasielandschaft Plausibilität zu konzedieren. Frage also: Glaubwürdigkeit, Plausibilität? Ist die Antwort verneinend, dann weil die Leserschaft den Eindruck des Erkrampften gewinnt:

"Das Gesicht des Kindes roch nach abgestandenem Obst. Es war der Geruch alter Frauen, die sich das Gesicht dick pudern, bis der Puder so welk ist wie die Haut. ... Als das Kind zwischen den anderen Kindern im Schulhof stand, war der Fleck an seiner Wange der Griff der Einsamkeit. Er dehnte sich aus, denn über die Pappeln fiel schiefes Licht." (Fuchs 11)

Also was nun? Obst oder alte Frauen, und wie bewerkstelligte die Erzählerin es, herauszufinden, wonach das "Gesicht des Kindes" roch? (Sie muß schon nahe an es herangegangen sein.) Erzeugt das Gefühl, einsam zu sein, einen Fleck an der Wange eines Kindes? Und inwiefern sollte "schiefes Licht", das über Pappeln fällt, ihn vergrößern?

"Der Frisör steckte eine Handvoll Bonbons in seinen Mund, wenn von einem Mann so viele Haare geschnitten sind, daß sie einen Sack füllen, sagte er, einen gestampften Sack." (Fuchs 19)

Gleich eine ganze Handvoll Bonbons stopft doch kaum einmal ein Mensch in seinen Mund, wenn sie nicht in der Luftröhre stecken bleiben sollen. Und die Bedingung wird nie erfüllt - oder der Zeitpunkt nicht erreicht -, weil selbst ein Simson nicht so viele Haare auf dem Kopf hat, daß sie abgeschnitten einen ganzen Sack füllen.

"Greise, die im Sommer sterben, bleiben eine Weile zwischen Bett und Grab über der Stadt". (Fuchs 21)

Über den Wolken, wo die Freiheit grenzenlos sein muß, oder in den Wolken? In der Luft schweben fliegende menschliche Körper à la Chagall?

"Auf dem Asphalt steht barfuß ein Schuh (...)" (Fuchs 108)

Barfuß steht darauf höchstens der Besitzer des Schuhs. Denn "barfuß" heißt: mit unbeschuhtem Fuß. Ein Schuh, der "barfuß" stünde, wäre ein unbeschuhter Schuh.

"Und wo zwei Menschen sind, ist doch der eine in der Minderheit."

Der Begriffskern des Ausdrucks "Minderheit" ist: 'an Zahl unterlegen'. Daher bedeutet, falls von nur zwei Personen die Rede ist, ihre Unterteilung in Mehr- und Minderheit: groben Unfug mit der Sprache treiben.


Denken und Sprache als unbrauchbar diffamiert

Aus Absurdistan hebt die Verfasserin auf ihrem Pegasus nicht selten ab zum Ideenhimmel. Während ihres Gedankenflugs durchstreift sie beispielsweise die Regionen der Skepsis, der Sprachskepsis vor allem.

"Die inneren Bereiche decken sich nicht mit der Sprache, sie zerren einen dorthin, wo sich Wörter nicht aufhalten können. Oft ist es das Entscheidende, über das nichts mehr gesagt werden kann, und der Impuls, darüber zu reden, läuft gut, weil er daran vorbeiläuft." (König 14 f.)

"Nachdenken, Reden, Schreiben sind und bleiben Behelfsmäßigkeiten. das Vorgefallene treffen werden sie nie, nicht einmal ungefähr." (Ebd. 136)

Die zitierten Äußerungen gehören in die Tradition der Sprachskepsis, die viele Schriften besonders der Ära um 1900 durchdrang. Ein Beispiel dafür war der berühmte Chandos-Brief Hofmannsthals (1902), der als zentraler Theorie-Entwurf dieses Autors betrachtet wird. Der (fingierte) Schreiber resümiert: "die irdischen Begriffe" entziehen sich ihm, so daß ihm die Fähigkeit des zusammenhängenden Denkens und Sprechens abhanden kommt, es zerfallen ihm "die abstrakten Worte" (S. 436); "das Tiefste, das Persönliche meines Denkens", vermerkt er weiter, werde begrifflich nicht erfaßt; um das "Gepräge" der Dingwelt auszudrücken, erscheinen ihm "alle Worte zu arm" (S. 439); er kann nicht jene "die ganze Welt durchwebende Harmonie" "in vernünftigen Worten darstellen", so sehr ihm daran läge, "mit dem Herzen zu denken". Indessen seine Beunruhigung war überflüssig (und das Textstück so gesehen hinfällig). Denn wäre ihm eine schlüssige Sprachtheorie zur Hand gewesen, hätte er sich unterrichten können, daß alles, seine Klagen und das Lamento, sich einer falschen Grundannahme verdankten. Jenes "Tiefste" und Persönlichste wird nämlich korrekt abgebildet - abgebildet in der Vorstellungswelt (und nicht im Wort). Dieser - der Welt der Vorstellungen - sind die Sprachzeichen dienstbar. Sie ermöglichen es mir, meine eigenen Vorstellungen zu archivieren (so daß ich diese je nach Notwendigkeit in die Erinnerung rufen kann) und auch je nach Erforderlichkeit anderen Sprechern zu kommunizieren - dies genau und nichts anderes ist die Funktion der sprachlichen Zeichen -. Das Mittel, mit dem die Literatur arbeitet, sind deshalb auch nicht in erster Linie die Wörter - wie eine verbreitete, aber falsche Literaturtheorie will -, sondern ihr Basismaterial sind die Vorstellungen; und Dichtung ist seit jeher primär das künstlerische Spiel mit den Vorstellungen. Nur sekundär auch eines mit Worten. Sind meine Wörter "leer", dann liegt dies keinesfalls also an ihnen selber, sondern schuld ist der Mangel meiner Vorstellungskraft, ist aller Wahrscheinlichkeit nach - meine Armut an Gedanken und Empfindungen - gerade nicht deren Fülle, wie die Sprachskeptiker gern suggerieren -. Als Hofmannsthal den Chandos-Brief verfaßte, war dieser Sachverhalt nicht mehr unbekannt, der Autor hätte damit vertraut sein können. Beispielsweise erläuterte ihn an prominenter Stelle G.E. Lessing, mit beneidenswerter Prägnanz: "Die Sprache kann alles ausdrücken, was wir deutlich denken; daß sie aber alle Nüancen der Empfindung sollte ausdrücken können, das ist eben so unmöglich, als es unnötig sein würde."

"Geschriebene Sätze verhalten sich zu den gelebten Tatsachen eher so, wie sich das Schweigen gegenüber dem Reden verhält. Wenn ich Gelebtes in die Sätze stelle, fängt ein gespenstischer Umzug an. Die Innereien der Tatsachen werden in Wörter verpackt, sie lernen laufen und ziehen an einen beim Umzug noch nicht bekannten Ort. Um im Bild des Umzugs zu bleiben, es ist mir beim Schreiben, als stelle sich das Bett in einen Wald, der Stuhl in einen Apfel, die Straße läuft in einen Finger. Aber es ist auch umgekehrt: die Handtasche wird größer als die Stadt, das Augenweiß größer als die Wand, die Armbanduhr größer als ein Mond." (König 85)

Hier gibt sich die Verfasserin den Anschein, als liefere sie durchdachte literatur- und sprachtheoretische Reflexionen, was doch keineswegs der Fall ist. Unklarheit: "Die Innereien" oder die Wörter "lernen laufen"? Im Anschluß daran entläuft die Verfasserin, um sich nur ja nicht einer rationalen Kritik zu stellen, abermals nach Absurdistan, wohin man ihr besser nicht folgt. - Auch ein von ihr gern gewähltes Verfahren: Nach Einfügung pseudophilosophischer Aussagen in ihren Text wechselt sie unangekündigt über in den Dadaismus.

"Vergangenheit, das ist für mich die Zuspitzung der Gegenwart durch die Einsicht, daß sich das Leben weniger durch den Kopf und die Hände als durch die Füße und Gegenstände ändern läßt. [?? - W. B.] Und daß sich das auch in der Zukunft nicht ändert. Zukunft, das wird wiederum die Zuspitzung einer gewesenen Gegenwart. ... (Es folgen Überlegungen betreffs einer gewissen Inge Wenzel und über "ihre Gegenstände", von denen die Verfasserin sagt, sie "probiere" sie "aus in Reimen":) Am Hals zu ihrem Gold paßt Detmold / zu ihren Nachthemden paßt Emden / zu ihren Fahrten paßt Hinterzarten / zu ihrem Schlafen paßt Bremerhaven / zu ihrem Bett paßt Helmstedt / zu allen Dingen paßt Sindelfingen / zu ihren Kleidern der Saison paßt Iserlohn." (König 127)

Aus der Nobelvorlesung "Jedes Wort weiß etwas vom Teufelskreis":

"Der Wortklang weiß, daß er betrügen muß, weil die Gegenstände mit ihrem Material betrügen, die Gefühle mit ihren Gesten. An der Schnittstelle, wo der Betrug der Materialien und der Gesten zusammenkommen, nistet sich der Wortklang mit seiner erfundenen Wahrheit ein. Beim Schreiben kann von Vertrauen keine Rede sein, eher von der Redlichkeit des Betrugs."

Dagegen steht: Das Wort "weiß" nichts, der Wortklang "weiß" nichts, und er betrügt auch nicht; die Gegenstände betrügen ebenfalls nicht. All das, was die Verfasserin hier vom Wort, vom Gegenstand, vom Gefühl, vom Betrug aussagt, läßt sich von ihnen nicht legitim aussagen, weil legitim ausschließlich nämlich nur - vom Menschen, der die Sprache verwendet. Also: "Der Mensch weiß ... Der Mensch betrügt ­... Eine Verfasserin betrügt ..." Um einen Irrtum herum arrangierte die Preisgekrönte auch ihre Ansprache beim Nobelbankett, betitelt: "Von der Wahrheit der Sprache". Er steckt bereits im Titel. Sprache ist niemals wahr oder falsch; sie wird nicht rechtens mit den Epitheta "wahr" oder "falsch" belegt, sondern was sie zu tun vermag - sie verrät lediglich in manchem Fall, daß ein Mensch die Wahrheit sagt oder die Unwahrheit. Als wahr oder falsch können lediglich Aussagen von Menschen bezeichnet werden, nicht irgend die Bestandteile des Ausdrucksmittels "Sprache".

In welchem Maße die Verfasserin inkompetent war und ist, in Fragen der Sprache mitzureden, erweist sie schon mit einer einzigen Zeile:

"(Im Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien wurde ihr) ­... der Politiker Scharping im Mitgefühl für die Vertriebenen durch seine persönliche Sprache zum Literate.".

Will sie hier vielleicht den damaligen sozialdemokratischen Minister tadeln, indem sie ihn mit dem - dann pejorativ akzentuierten - Terminus kennzeichnet? Somit würde ihre diffamierende Begriffsverwendung in die Nähe der faschistischen, auch antisemitischen führen (Ausdrücke wie "Judenliteratur" waren im NS-Jargon nicht selten). Vielmehr meint sie wohl, Scharping wegen seines totalen Kriegseinsatzes rühmen zu müssen. Was ihr mißlingt. Denn: Durch "persönliche Sprache" wird keine Person "zum Literaten", oder alle Personen würden es, denn sie alle sprechen ausnahmslos ihre "persönliche Sprache". Sie hätte lieber redlich bekennen sollen, daß sie dem Lügenbaron die Lorbeerkrone aufdrückte, weil er, und darin ihr selber verwandt, hemmungslos zum Kriege trieb.


Nichtfaschistische Gesellschaften mit faschistischen zusammengeworfen

Wer heutzutage gegen gewisse aktuelle Zustände oder Phänomene bei Menschen Haß erzeugen möchte, greift gern zu dem Mittel, den Faschismus zu funktionalisieren, indem man mit ihm zusammenwirft, was man verächtlich zu machen sucht: parallelisierend, gleichsetzend oder durch Reihenbildung.

So zählt zu den literarischen Griffen der Verfasserin auch, Ähnlichkeit zu suggerieren durch Angabe einer zeitlichen Abfolge. (Auf Deutschland gemünzt:) "Man hat den Nationalsozialismus nicht nur erlebt, man hat ihn ja gemacht. Und dann kam die Diktatur in der DDR, die denselben Zuschnitt hatte wie die anderen osteuropäischen Diktaturen."

Einwand: Nicht "man" machte den deutschen Faschismus, sondern bestimmte, mit Namen zu kennzeichnende Personengruppen und Personen setzten ihn in die Welt, finanzierten ihn und schoben ihn an die Macht. Ihrem Anfangssatz hätte die Verfasserin theoretisch die Fortsetzung geben können: Und dann kam in der Bundesrepublik die Remilitarisierung, die hauptsächlich als Waffe gegen denselben Feind dienen sollte, gegen den einstmals schon die NS-Wehrmacht ins Feld gestellt worden war - mit dem bekannten Resultat im Mai 1945. - Nun hilft aber in dem Interview das Wochenblatt "Die Zeit" der Verfasserin auf die Sprünge und bietet ihr die 'Erkenntnis' an, man hätte in der BRD "die rechte Ideologie schärfer gesehen ... als die linke", sprich: zu Unrecht den NS heftiger kritisiert als den Kommunismus. Darauf fährt die Interviewte prompt ab: "Das stimmt, der kommunistische Terror wurde lange nicht wahrgenommen." (Ebd.)

Das stimmt nicht: Denn setzt man hier den Terminus "Der Kommunismus" ein, so wurde in der alten BRD niemals ein anderer Gegenstand so inflationär und so polemisch in den Fokus gerückt wie gerade er.

Nach ihrem zuletzt angeführten Satz schüttet die Verfasserin wertende Adjektive über die DDR aus: "kalt, düster, frustriert, gnadenlos", Epitheta, die zweifeln lassen: Hat die Verfasserin mit eigenen Augen jemals auch nur einen einzigen Blick auf das Land geworfen, welches sie so diabolifiziert? Und sie liefert dazu eine selbst in der alten BRD einstmals schon ausgediente Propagandaphrase: "Die DDR war ja kein Staat." (Ebd.)

Worin besteht der Trick? Zu insinuieren: Wenn zwei Phänomene einander in einem Merkmal gleich sind (Diktaturen), sind sie überhaupt gleich. So nimmt die Verfasserin eine Reihenbildung vor, wodurch sie den Eindruck einer Tradition hervorruft: faschistische Diktatur - kommunistische Diktatur. Entsprechend auch in bezug auf Rumänien. Erst wird ein Verwandter in Siebenbürgen "in der Naziuniform" erwähnt, dann kommt sie "auf die folgende Diktatur" zu sprechen, "in der ich selber lebte". Die Linie: Faschismus-Kommunismus wird durch eine einfache Reihung gestiftet - als gäbe es nicht ein unbestreitbares Faktum: Es ist die Sowjet-Armee gewesen, die der Herrschaft des Faschismus in Rumänien (Antonescu) ein Ende bereitete! So aber verfährt die Verfasserin: Die Befreiung des Landes vom Faschismus 1944 bleibt ausgeblendet.

Kraß unredlich gleichfalls ihr Umgang mit der Bundesrepublik Jugoslawien. Den in Deutschland einstmals virulenten "Rassenwahn" projizierte sie 1994 flugs auf Serbien. Dort werde, wer dem grassierenden Nationalismus nicht anhänge, "aus der Rasse ausgeschlossen. Der Rassenwahn hat auch die serbische Opposition besetzt. Auch die orthodoxe Kirche." Davon ist zwar keine Silbe richtig - die Nürnberger Rassegesetze erfand kein Jugoslawe, kein dortiger Kommunist oder orthodoxer Pope -, aber so leistete die Verfasserin nun ihren propagandistischen Beitrag gegen Jugoslawien in einer überregionalen deutschen Zeitung, in derjenigen, der von Leuten, die sich selber intellektuelles Niveau zuschreiben, intellektuelles Niveau zugeschrieben wird.

Auf einem plumpen Umweg über eine Metapher stiftet die Verfasserin die Gleichsetzung: Verbrechen der SS = Verbrechen der Serben. Sie malt ein Bildnis des Vaters: "Der Vater mußte nie fliehen. Er war singend in die Welt marschiert. Er hatte in der Welt Friedhöfe gemacht und die Orte schnell verlassen. Ein verlorener Krieg, ein heimgekehrter SS-Soldat ... Die Friedhöfe hält der Vater unten im Hals, wo zwischen Hemdkragen und Kinn der Kehlkopf steht. Der Kehlkopf ist spitz und verriegelt. So können die Friedhöfe nie hinauf über seine Lippen gehen." (Herztier 21) "Friedhöfe machen" ist die Wendung, die sie für 'morden' benutzt. Morden war die Tätigkeit der SS. Die "Friedhöfe" im Hals stecken lassen soll heißen: 'die Mordtaten der SS verschweigen'. Wiederum übrigens, wie bei dieser Verfasserin Usus, eine schiefe Metapher. Denn: Einen Friedhof anlegen muß nicht gleichbedeutend sein mit 'eine Mordtat begehen', sondern ist in der Regel ein zivilisatorisches Werk, kulturelle Tätigkeit. Über die Serben schreibt die Verfasserin 1999: "... wer so pragmatisch Friedhöfe macht, wie andere Straßen bauen, wer das Morden so gewohnt ist, wie ein Glas Wasser zu trinken ..." Wenn zwei dasselbe tun: "Friedhöfe machen", so versucht die Verfasserin ihre Leserschaft zu übertölpeln, wären sie einander gleich.

Doch taten hier zwei dasselbe? Einer, der einen Angriffskrieg führte (SS), der andere, der sein Land verteidigte (Milosevic)?


Halbe Wahrheiten, ganze Lügen

Wo die Verfasserin sich über die Geschichte und Politik verschiedener Länder ausläßt - FAZ und "Zeit" sind voll von ihren Auslassungen -, geizt sie ausnahmslos beim Austeilen der Wahrheit. Sie behält nämlich gemeinhin starke Stücke davon zurück. Oder gleich die Wahrheit als ganze.

Ein von ihr oft gewähltes Angriffsobjekt ist das kommunistische Rumänien. Um eine altdeutsche Wendung aufzugreifen: Dies ist ihr Greuel und Scheuel. Eine Kommilitonin nimmt sich das Leben. Vorgeblich habe die Partei wie folgt reagiert: "Die erhängte Lola wurde zwei Tage später am Nachmittag um vier Uhr in der großen Aula aus der Partei ausgeschlossen und von der Hochschule exmatrikuliert." (Herztier 32) Ist das wahr, hat es einen solchen Vorgang jemals in Rumänien oder einem anderen kommunistischen Land gegeben? Was die Verfasserin erzeugen möchte, ist jedenfalls der Eindruck lächerlichen Handelns der Partei und staatlicher Autoritäten. Ihren Haß konzentriert sie vor allem auf das letzte Staatsoberhaupt in der kommunistischen Ära, Ceausescu. Wenn sie bloß vom "Diktator" spricht, was häufig geschieht, ist er gemeint. Wie in der altchristlichen Legende erscheint bei der Verfasserin ein Herrscher als Tyrann, der zur Kurierung seiner Krankheit Kinderblut abzapfen und sich verabreichen läßt: "Das Kinderblut gegen Blutkrebs bekommt er im Land." (Herztier 70) An anderer Stelle gebraucht sie die absurde Nachrede, der Präsident begehre täglich neue Kleidung: "Als sei alles, was er am Tag davor getragen hat, zu klein geworden, weil in der Nachtruhe die Macht wächst." (Fuchs 240) Sie vermeidet, wenn es gegen das Staatsoberhaupt geht, nicht einmal den plattesten Witz. Ein solcher kommt etwa als Frage daher, was "der kleine Rumäne in der Hölle" erblicke. "... es ist viel Gedränge, und alle stehen bis zum Kinn im heißen Schlamm. Der Teufel weist dem kleinen Rumänen den letzten freien Platz in einer Ecke zu, und der kleine Rumäne stellt sich auf den freien Platz und versinkt bis zum Kinn. In der Mitte, neben dem Sitz des Teufels, steht aber einer nur bis zum Knie im Schlamm. Da streckt der kleine Rumäne den Hals und erkennt Ceausescu. Da fragt er den Teufel, wo ist da die Gerechtigkeit, der hat mehr Sünden als ich. Ja, aber der steht auf dem Kopf seiner Frau, sagt der Teufel." (Fuchs 213)

So weit so peinlich. Aber die Wahrheit, das Stück Wahrheit, das von der Verfasserin zurückbehalten wird? Variieren wir eine ihrer Aussagen: Das stimmt, der Kommunismus wurde lange nicht wahrgenommen. - Nämlich Ceausescus Kommunismus im Westen nicht, oder er wurde lange Zeit gnädig hingenommen, besser: geflissentlich übersehen. Wann? Damals, als der Rumäne das Lieblingskind des Westens war, weil dieser ihn als Instrument zu benutzen gedachte, um den 'Ostblock' aufzusprengen. Sein Lob ertönte damals aus allen systemkonformen Medien des kapitalistischen Lagers. Um ein Beispiel (aus dem Jahre 1973) zu geben: "Der Gesprächspartner Richard Nixons, Charles de Gaulles, und Willy Brandt verkörpert in der Tat ein Land, das wie kaum ein anderes die durch den Ost-West-Konflikt bedingte Abschließung der fünfziger Jahre durchbrach und damit einen eigenständigen Beitrag zur Wiedervereinigung Europas - verstanden als Normalisierung der Beziehungen zwischen seinen Staaten, unbeschadet unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen - zu leisten vermochte."

Der als "Roman" verkaufte Text mit dem Titel "Atemschaukel" ist der Intention der Verfasserin gemäß in Wirklichkeit eine Anklageschrift gegen eine Maßnahme der Sowjetunion der Nachkriegszeit. Sie bürdete jungen Rumäniendeutschen eine fünfjährige Zeit im Lager auf, während der sie Arbeitsleistungen zu erbringen hatten. Diese bildeten eine Wiedergutmachung für die vom rumänischen Staat und seiner Armee in der Sowjetunion 1941/44 angerichteten Schäden. Die Verfasserin enthebt sich jedoch schlechthin der Mühe, diese Begründung ihrer Leserschaft darzulegen. Sorgsam verschwiegen bleibt, daß während des Faschismus in Rumänien unter dem "Staatsführer" Antonescu (hingerichtet 1946) dies Land den Eroberungsplänen Hitlers militärische Unterstützung geliehen hatte, Armeen, die sich am Eroberungs- und Verwüstungsfeldzug der NS-Wehrmacht in Rußland beteiligt hatten, bis Stalingrad und zurück.


Feindbilder

Es ist ein Grundzug aller Schriften der Verfasserin, ihrer belletristischen ebenso wie erörternden, daß in ihnen der Leserschaft Feindbilder eingetrichtert werden sollen. Und zwar exakt in Entsprechung zur Hauptangriffsrichtung des deutschen Imperialismus, wie sie sich in den dominierenden Medien Bonns, hernach in denjenigen des vereinigten Deutschlands spiegelte und spiegelt. 1987 war sie in die Bundesrepublik eingereist?

1987 stellt die Verfasserin sich ohne Zögern dem (neudeutsch gesprochen:) "mainstream" der Propaganda Westdeutschlands contra die DDR zur Verfügung. In Berlin angesiedelt, vertraut sie dem Wochenblatt "Zeit" an: "Und nicht weit die Mauer. Und jenseits der Mauer Soldaten wie Jäger."

1994: Sieben Jahre später - die Mauer ist 'gefallen' - diskriminiert sie Jugoslawien als Hauptfeind, einschließlich seines Anhangs von mehreren Staaten: Was sei die Aktivität der serbischen Soldaten? Erschießen, Martern, Schlachten der Menschen ... Milosevic, Karadzic, in Wahrheit, wie jeder wissen kann, die Verteidiger ihres Landes, der Verfasserin zufolge aber: "Zwei Massenmörder". Sie behauptet, Jugoslawien produziere nunmehr eine Kette von Morden. Rassistisch hechelnd, bezichtigt sie die Serben und - gleich danach - die Russen: "Zu rasseln begann diese Kette in Belgrad, und Milosevic hält sie in der Hand. Und sie rasselt bis Moskau. Das Slawische und das Panslawische, das angeblich 'gleiche Blut', bewegt sich. Auch in Rumänien rasselt diese Kette. Aber auch in Griechenland." Weshalb "auch in Griechenland"? Zur Erinnerung: In Griechenland war die von Deutschland, Österreich, dem Papst, der NATO bewerkstelligte Zerschlagung Jugoslawiens unpopulär, aus Griechenland kam Protest gegen den NATO-Angriff auf Serbien. Was spricht in ihrer Sicht gegen Rumänien, nach dem Sturz Ceausescus? Sie verschweigt es, aber: dort gab es große Sympathie für den von den Angreifern überfallenen Nachbarn, der zwar seit dem Mittelalter eine gemeinsame Grenze mit Rumänien besitzt, aber - wie unnatürlich! - niemals einen Krieg mit diesem anzettelte. Somit war von der Verfasserin auch Rumänien auf ihre Liste der Schurkenstaaten zu setzen. Und Rußland? "In Rußland hört man hinter dem slawischen Rasseln das Rasseln der Großmacht, die wieder auf den Sockel steigt ..." (Ebd.)

1999: Die Verfasserin registriert "die Entfesselung der Perversion"; - wie bei ihr nicht verwunderlich, keineswegs seitens der NATO-Mächte, der Friedensverräter, der Landverwüster, der Urheber der 'Kollateralschäden', nein, seitens des Verteidigers.

Alsbald feuert die Verfasserin auf Serbien an Schimpfwörtern ab, was ihre armselig monotone, erbarmungswürdig morose Lexik hergibt: Hinrichtungen; das Morden; auf jedes Wort aus Serbien entfalle ein Mord; es zwinge seine Soldaten "zum rabiaten Morden"; staatlicher Mord, und mit einer "Handvoll Massenmörder", die man benenne, seien bei weitem keinesfalls alle Schuldigen benannt.

Da es nach alledem ihr nicht mehr darauf ankommt, überhaupt noch zu argumentieren, fordert sie kurzerhand den Bruch des Völkerrechts. Sie schreibt: "Im Westen begründen die Gegner der Nato-Angriffe (immerhin, sie räumt sie ein! - W. B.) ihre Ablehnung zusätzlich mit dem fehlenden Mandat der Vereinten Nationen, obwohl sie wissen, daß dieses mit Rußland und China nie zustande kommt ..." (Ebd.) Also: Ist das Gremium nicht passend zusammengesetzt und weigert es sich, imperialistische Aggressionen gutzuheißen, empfiehlt die Verfasserin: Rasch über es und seine Rechte hinweggesetzt! Dabei bedient sie sich einer sprachlich-historischen Wendung, die vom Beginn des 1. Weltkriegs stammt. In einer Unterredung am 4. August nannte damals der deutsche Reichskanzler Bethmann-Hollweg den Vertrag, worin Belgiens Neutralität festgeschrieben worden war, einen "Fetzen Papier". Die Verfasserin schreibt - und will die Satzung der UN damit treffen -: "Wer sich angesichts von Massenmord auf ein Stück Papier versteift, verbirgt dahinter, daß er nichts tun wollte ..." (ebd.) Aber ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen ist eben keineswegs ein verächtliches "Stück Papier", das man mit einem Achselzucken übergeht, und ein nur propagandistisch behauptetes, weil unbewiesenes, weil unbeweisbares, weil nicht vollzogenes Verbrechen hat noch niemals in der Weltgeschichte einen kriegerischen Überfall legitimiert.

2009: Wie sehr sie fortdauernd im "mainstream" mitschwimmt, stellt die Verfasserin abermals in der Spanne unter Beweis, während welcher sie mit der Hinnahme des Nobelpreises, dem Besuch des Nobelbanketts und ihrer Nobelvorlesung beschäftigt ist. Darin präsentiert sie die Galerie ihrer Feindbilder abermals, nun um eines ergänzt, - in diesem Moment schießt auch sie unverzagt gegen diejenige Nation, gegen die augenblicklich die gewalttätige Propagandawalze der imperialistischen Hauptländer rollt. Sie attackiert "die Diktaturen dieser Welt", die man "nicht einfach gewähren" lassen dürfe, und fordert: "Denken Sie an China, jetzt Gast auf der Frankfurter Buchmesse. ... Oder denken Sie an Iran ..." An anderer Stelle: "Denn bis heute gibt es Diktaturen aller Couleur. Manche dauern schon ewig und erschrecken uns gerade wieder aufs Neue, wie der Iran. Andere wie Rußland und China ziehen sich zivile Mäntelchen an, liberalisieren ihre Wirtschaft - die Menschenrechte sind jedoch noch längst nicht vom Stalinismus oder Maoismus losgelöst."


Kriegsfurie

Während des NATO-Angriffskriegs gegen die Bundesrepublik Jugoslawien taten berühmte Tonangeber in der Bundesrepublik Deutschland bekanntlich das Gegenteil: sie zogen ihre "zivilen Mäntelchen" aus. Was kam darunter zum Vorschein? Der Militärmantel oder redensartliche 'bunte Rock'. Die nun uniform gekleideten großen Lichter stellten sich als Propagandisten eines völkerrechtlich verbotenen Angriffskriegs auf die politische Bühne, um nur ihrer drei zu erwähnen: Jürgen Habermas, Günter Grass, Jan Philipp Reemtsma. Deren schrille Töne überbot die Verfasserin womöglich noch, die benannten Herren überschreiend: "Um die Serben an der Vernichtung des Kosovo zu hindern, hätte die Nato gleichzeitig mit dem ersten Tag der Luftangriffe Bodentruppen ins Kosovo schicken müssen. ... dennoch könnten nur Bodentruppen die von den Serben wer weiß wo internierten jungen Männer und die Hunderttausende Versteckten aus den Wäldern retten. ... Und nur Bodentruppen könnten die Serben am Verwischen der Spuren hindern ... Das Denkverbot 'Bodentruppen' kommt aus der Angst vor dem nächsten Schritt, wenn Milosevic im Schutt seiner Infrastruktur die Mordkommandos im Kosovo herrisch weiterarbeiten läßt, wie es heute schon der Fall ist."

Kriegsfurie! Sie selber wollte diejenige sein, auf deren Befehl hin die Mordkommandos, sprich: NATO-Bodentruppen, Serbien verheeren sollten.


Fazit

Wer tatsächlich die Bodentruppen nach Jugoslawien geschickt hätte, wäre des schwersten Delikts schuldig geworden, noch vor der "Entfesselung der Perversion", die tatsächlich im Frühjahr 1999 in Jugoslawien stattfand: des Luftkriegs.

Hiernach braucht man nicht lange mehr im Werk der Verfasserin nach dem Erbe des Faschismus zu fahnden. Die folgenden Elemente in ihrem Schrifttum sind aus der faschistischen Ideologie bezogen, erweisen sich zweifelsfrei als Bestandteile davon: Propagierung des Angriffskriegs, dessen Bejahung, ob er in Form von Luftkrieg oder als Bodenkrieg geführt wird; verbale Attacken gegen das Haßobjekt Slawentum; Feindbilder, die schon von der NS-Propaganda lanciert wurden: innenpolitisch der Kommunismus, außenpolitisch Serbien (oder Jugoslawien) und Rußland. In die Nähe gehören. Verächtlichmachung der Italiener, Aussprechen des Tadels gegen Griechenland, gegen Rumänien. Ein schon kaiserzeitliches, im deutschen Faschismus wieder aufgenommenes Ansinnen: völkerrechtliche Satzungen und Bestimmungen - mühsame, in vielen Jahrhunderten erst gelungene Erwerbungen der Menschengattung - schlechterdings als "Stück Papier" zu betrachten und zu behandeln.

Eine verständige Leserschaft wird selber sehr wach feststellen, wie das Schrifttum der Verfasserin auf sie wirkt, und sie wird die Souveränität besitzen, es aus eigener Überlegung zu bewerten. Und sie kann wissen, daß ihr mit unschätzbarem Sachverstand brillante Kritiker zur Seite stehen, verstorbene und lebende.

Wäre es richtig beobachtet, die Verfasserin besorge ungehemmt die Geschäfte der Herrenkaste, vor allem soweit sie zur Herbeiführung von deren Kriegen beitragen kann?

Heinrich Mann schrieb 1910: "Ein Intellektueller, der sich an die Herrenkaste heranmacht, begeht Verrat am Geist."

Die Eroberung der Länder der Welt durch den Neoliberalismus "ist mit dem Aufbau eines gigantischen Sicherheits- und Militärapparates verbunden", äußerte Michel Chossudovsky bei der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz.

Und weiter: "Die Medien spielen bei der Unterstützung dieser Militäragenda eine wichtige Rolle wie auch beim Verbergen der tatsächlichen Gründe für den Krieg. ... Wir haben es also auch mit einem Krieg gegen die Wahrheit zu tun - vergleichbar mit dem Vorgehen der spanischen Inquisition: Die Wirklichkeit wird auf den Kopf gestellt. ... Man kennt die Wahrheit, aber die Bürger werden dazu ermutigt, die Lüge zu akzeptieren. Wissen, Begreifen und gesunder Menschenverstand werden ersetzt durch blanke Fabrikationen. ... Die reale Welt wird durch eine Phantasiewelt ersetzt."

"Blanke Fabrikationen" jedoch, besonders je bellizistischer sie sind, die Ersetzung der realen Welt durch eine hysterisierend halluzinierte "Phantasiewelt", die Negation der vernünftig verfaßten und human zu gestaltenden Welt und deren Verdrängung durch ein von Willkür beherrschtes Absurdistan, auf welche Weise zeigt sich die "Herrenkaste", zeigen sich die Herren der Kriege erkenntlich dafür?

Um ein letztes Zitat der Verfasserin beizubringen und ihr damit, wie es ihr gebührt, das Schlußwort zu geben: Ein Journalist der "Zeit" befragte sie, was am Nobelpreis sie erfreue.

Sie antwortete:

"Ich sehe darin eine Belohnung."

Wolfgang Beutin, Köthel

Raute

Red. offen-siv: Erich Buchholz: Rechtsgewinne

Am 3. Oktober 1990 kamen buchstäblich über Nacht ein fremdes Recht und eine fremde Justiz über die DDR-Bürger.

Glockenschlag Mitternacht traten die DDR-Gesetze außer Kraft und die Justiz der BRD an ihre Stelle - ein in der Menschheitsgeschichte einmaliger Vorgang!

Mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des BRD-Grundgesetzes gelangten die Bürger der DDR in einen »Rechtsstaat«, heißt es. Doch was bedeutet das für die Bürgerin, für den Bürger? Welche Rechte gewannen sie dadurch? Und welche verloren sie?

Ein »Rechtsstaat« muss sich an dem in ihm gesetzten Recht messen lassen.

Wie das bundesdeutsche Recht beschaffen ist und wie es funktioniert, wurde den DDR-Bürgern vorenthalten. Die Mehrheit der Abgeordneten der letzten Volkskammer der DDR, die die Übergabe an die BRD organisierten, waren rechtsunkundig - oder es schien sie nicht zu kümmern. Bärbel Bohley formulierte später: »Wir hatten auf Gerechtigkeit gehofft und bekamen den Rechtsstaat« - präziser wohl: »Rechtswegestaat«.

Erich Buchholz liefert in diesem Band erstmalig eine Darstellung der Rechtsgewinne - und der Rechtsverluste - für Bürger des »Beitrittsgebietes«. Dabei stehen die Rechte des »normalen Bürgers« im Mittelpunkt.
ISBN 978-3-939828-54-9, Taschenbuch, 286 Seiten, 12,- €

Redaktion offen-siv, Hannover


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Redaktion offen-siv: GEHEIM - 25-jähriges Jubiläum!

GEHEIM wird in diesem Jahr 25 (!) Jahre alt! Deshalb startet die Zeitschrift in ihrer Nummer 1/2010 eine Serie, die auf die Geschichte von GEHEIM, die Rolle der Zeitschrift und die Versuche eingeht bzw. eingehen wird, GEHEIM und seine Berichterstattung zu diffamieren und/oder auszuschalten.

Aber auch andere GEHEIM-Artikel in der Nr. 1/2010 haben es "in sich":
- Enthüllungen über neue GLADIO-Strukturen, u.a. mit der Stoßrichtung gegen Griechenland
- Hintergründe über die MOSSAD-Mordaktion in Dubai
- Oder die anhaltenden Kriegsvorbereitungen gegen den Iran.

Die Webseite wurde aktualisiert und verbessert (www.geheim-magazin.de). Die Macher von GEHEIM würden sich über einen Besuch freuen...

Redaktion offen-siv, Hannover

GEHEIM:
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Raute

FRIEDENBEWEGUNG

Gerhard Feldbauer: In der Antikriegsbewegung geht es um größtmögliche Bündnisbreite

Mit der wachsenden Zahl in Afghanistan ums Leben gekommener deutscher Soldaten (bisher 43 und drei tote Polizisten)(9) nehmen die Proteste gegen den Kriegseinsatz seit Herbst 2009 deutlich zu. Hatten noch 2005 nur 34 Prozent Bundesbürger einen Abzug gefordert, so lehnen nach wiederholten Umfragen inzwischen zwei Drittel den Einsatz ab. An den vielfältigen Protestaktionen sind breite Bevölkerungsschichten beteiligt. Herausragende überregionale Aktionen waren bzw. sind in Hessen seit langem der Kasseler Friedensratschlag und das Darmstädter Signal. Zu einer bundesweiten Protestkampagne gestaltete sich eine vom Kreisvorstand Fulda des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Oktober 2009 initiierte Fuldaer Erklärung. Anlass war der Tod eines 24jährigen aus Fulda stammenden Fallschirmjägers von der Saarlandbrigade, der nach 14 Monaten an den schweren Verletzungen verstarb, die er am 6. August 2008 bei einem Anschlag in Masar-i-Sharif erlitt. Bereits fünf Jahre vorher hatte der Tod einer aus Fulda stammenden Soldatin die Öffentlichkeit Hessens beschäftigt. Eine 34jährige Tatjana Reed mit deutscher und später auch US-amerikanischer Staatsangehörigkeit kam als Sergeant der 66. in Kaiserlautern stationierten Transportkompanie der US-Besatzungsarmee im Juli 2004 in Irak ums Leben. Die alleinstehende Mutter einer zehnjährigen Tochter hatte keine Zurückstellung vom Kriegseinsatz erhalten.

Als Mitglied von Verdi Fulda (Medienfachbereich) und Unterzeichner koordinierte ich die Medienkampagne für die Fuldaer Erklärung und wandte mich dazu an linke und progressive Medien mit der Bitte um entsprechende Unterstützung, darunter natürlich an "offensiv". Die Erklärung fand ein beträchtliches Echo: "jW", "UZ", "ND". und "Anstoß" der Berliner DKP berichteten mehrfach ausführlich, des weiteren "Ossietzky", die "Neue Rheinische Zeitung", der bekannte elektronische "Schattenblick". Unter dem Titel "Deutsche raus aus Afghanistan" informierte die Zeitung der Schweizer Friedensbewegung "Unsere Welt" in ihrer März-Ausgabe 2010 ausführlich über die Aktivitäten der deutschen Kriegsgegner. Dass "offensiv" nicht darunter war, hat mich verwundert. Es gab Meinungen, die Antikriegsparolen beschränkten sich darauf, dass man sich nur um das Schicksal der deutschen Soldaten, die in Afghanistan sterben, sorge. Es gehe genauso um Tod, Leid und Elend der Bevölkerung dort.

Dem war jedoch nicht so. Wenngleich zu wünschen gewesen wäre, das Schicksal der Opfer der USA-NATO-Intervention in Afghanistan stärker herauszustellen. Aber selbst dann, wenn man nur den Abzug der Bundeswehr-Soldaten verlangt hätte, wäre das als erstes zu unterstützen, um daran anzuknüpfen und zu fordern, dass es nicht nur um die deutschen Soldaten gehen kann, sondern um alle Menschen, die Opfer der Angriffskriege sind.

In der im Internet unter www.kreisverband-fulda.dgb.de noch immer abrufbaren Erklärung hieß es u. a.: "Wir sind bestürzt über die steigende Zahl der Opfer, die der Krieg in Afghanistan fordert. Junge Menschen werden in diesen Krieg geschickt, Töten und Sterben von den verantwortlichen Politikern billigend in Kauf genommen." Bezog sich bereits die Formulierung über die "steigende Zahl der Opfer, die der Krieg in Afghanistan fordert" auch auf die Afghanen, so wurde in Stellungnahmen von Initiatoren der Erklärung dieser Aspekt - das war in dem breiten Medienecho nachzulesen - in den Vordergrund gestellt.

Karin Masche vom Vorstand des DGB-Kreisverband Fulda (DKP-Mitglied) betonte, dass es nicht nur darum gehe, junge Deutsche vor menschlichem Leid zu bewahren, sondern auch die Afghanen und Menschen aller Nationen.(10) Auch andere Unterstützer hoben hervor, dass um ein vielfaches mehr über die Bevölkerung Afghanistans der Tod gebracht, sie unvorstellbarem Leid, Elend und der Konservierung verheerender sozialökonomischer Zurückgebliebenheit ausgeliefert wird, die Armut extrem hoch ist, über 60 Prozent chronisch unterernährt sind, die Lebenserwartung 43 Jahre beträgt, 70 Prozent Analphabeten sind, die Arbeitslosigkeit ebenso hoch ist, am meisten Frauen und Kinder unter dem Krieg leiden, 43 Prozent der Mädchen vor ihrem 15. Lebensjahr zwangsverheiratet werden.(11) Der aus Fulda stammende Journalist Peter Nowack hob die Bedeutung der Rolle der DGB-Gewerkschafter als Initiatoren der Erklärung hervor und schrieb, der Text bleibe darüber "hinaus nicht bei einem allgemeinen Bekenntnis zum Frieden stehen, sondern stellt gleichzeitig klare antimilitaristische Forderungen auf, wie man sie von der Arbeitnehmerorganisation in den letzten Jahren selten gehört hat." Er wertete die Fuldaer Erklärung als einen weiteren "Baustein für eine Praxis, die den Kampf gegen Militarismus und Krieg zu einem wichtigen Essential gewerkschaftlicher Politik erklärt."(12)

In Medienbeiträgen, auf Gewerkschaftsveranstaltungen, in Diskussionen wurden die Hintergründe der Kriegseinsätze herausgearbeitet: dass deutsche Soldaten wieder weltweit Krieg führen, in vorderster Linie in Afghanistan, deutsche Soldaten wieder fallen im Krieg um den Anteil des deutschen Kapitals an der Weltherrschaft, um Einflusssphären und Rohstoffressourcen.(13) Laut Artikel 65a des Grundgesetzes geht mit der Verkündung des Verteidigungsfalles die Befehls- und Kommandogewalt vom Bundesminister der Verteidigung auf den Bundeskanzler über. Nachdem schon der einstige Verteidigungsminister Peter Struck verkündet hatte, die Bundesrepublik werde am Hindukusch verteidigt, ist Bundeskanzlerin Angela Merkel heute logischerweise Oberbefehlshaberin. Sie verantwortet die deutsche Mitwirkung an von den Kriegsverbrechertribunalen nach dem Zweiten Weltkrieg, durch die Charta der Vereinten Nationen und dem bisher gültigen Völkerrecht verbotenen Angriffskriegen, den schwersten aller Kriegsverbrechen. Dazu gehört, dass die Kanzlerin kriegsverbrecherische Befehle, wie den des Bundeswehrkommandeurs Oberst Klein zur Vernichtung(14) von Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, verantwortet. In Kundus waren es nach vorliegenden Angaben über 179 vor allem zivile Opfer, darunter bis zu 142 Tote.(15)

Der Kreis der Erstunterzeichner der Fuldaer Erklärung war bemerkenswert. Zu ihnen gehörten die MdB sowie Landtagsabgeordneten Hessens und Thüringens und weitere Funktionäre der Partei Die Linke (einschließlich der einstimmigen Zustimmung von deren Landesparteitagen); Funktionäre der SPD und von Bündnis 90/Grüne, regionale DGB-Vorsitzende, Betriebsräte und ein breiter Kreis gesellschaftlicher Kräfte von Hochschullehrern, Ärzten und Schauspielern bis zu Persönlichkeiten der Kirchen, christlicher Organisationen/Institutionen (Pax Christi, der Bistümer, Ordenleute) der Freidenker, von Friedensforen, darunter des Darmstädter Signals. Das zeuge, so der Verdi-Vorsitzende (Fachbereich Medien) von Fulda, Martin Übelacker, einer der Erstunterzeichner, "von einer neuen Qualität der Formierung eines Friedensbündnisses, von einer wachsenden Breite der Gegner des Kriegseinsatzes und ihres Einflusses".

Auftrieb erhielten die Forderungen in Hessen auch durch die US-hörige Politik der Landesregierung unter Roland Koch. Vor allem auf dessen Betreiben erhielt das US-Hauptquartier gegen die starken Proteste aus der Bevölkerung die Genehmigung, in Wiesbaden-Erbenheim einen neuen Sitz seiner Kommando- und Führungszentrale für Europa zu errichten. Wie der Fraktionschef der Linkspartei im Landtag, Willy van Ooyen, einer der Erstunterzeichner, anführte, werde von der neuen Kommandozentrale aus die Logistik für Einsätze im Nahen und Mittleren Osten verstärkt und die Aufrüstung weiter angefacht. In ihrem Protest machte die Linkspartei geltend, dass diese Ausweitung der Unterstützung für den USA-Kriegskurs auch gegen Artikel 69 der Landesverfassung verstößt, der ausdrücklich festlegt: "Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet."(16)

Auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2010, an der 1.500 Menschen teilnahmen, brachten Fuldaer Gewerkschafter unter dem Motto "wir brauchen viele Initiativen wie die Fuldaer Erklärung" ihre Erfahrungen in die Diskussion "wie holen wir die Bundeswehr raus aus Afghanistan" ein. Die auf der Tagung vertretene "Initiative Bremervörde - Bürger gegen den Krieg" lud die Fuldaer zum Erfahrungsaustausch ein.

Zur Sprache gebracht wurden auch die Motive, die vor allem junge Menschen dazu verführen, in den Krieg zu ziehen. Mancher, dem Hartz IV droht, nimmt das Angebot der Werber an: Allein die Einsatzzulage beträgt 110 Euro pro Tag. Schon das sind, wenn man die sechs Monate überlebt, über 20.000 Euro. Hinzu kommen ein großzügiger Sold und Trennungszulagen. Fasst alles lässt sich ansparen, denn der deutsche GI hat nicht nur seine kostenlose Unterkunft, sondern auch seine Verpflegung fasst umsonst. Viele Soldaten hätten "das Gefühl, der Krieg gegen die Aufständischen sei nicht zu gewinnen. Nicht nur einer erzählte mir, dass er nur wegen des Geldes in Afghanistan sei", sagte Christine Buchholz, die in Afghanistan mit Soldaten sprach.(17)

Bemerkenswert ist, dass sich den Antikriegsprotesten auch Bundeswehrangehörige sowohl im aktiven Dienst als auch außerhalb und auch Angehörige, Freunde und Bekannte von ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen sowie von Vereinigungen von Berufssoldaten anschlossen. Eine herausragende Rolle spielt hier das Darmstädter Signal. In letztgenanntem Forum sind ehemalige und aktive Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr engagiert, darunter der inzwischen in den Ruhestand versetzte Oberstleutnant Jürgen Rose. Er lehnte 2007 jegliche Mitwirkung an Angriffskriegen ab, so auch jede Dienstausübung, die der Unterstützung der "Operation Enduring Freedoom" in Afghanistan dient, da er diese völkerrechts-, grundgesetz- und völkerstrafrechtswidrig sieht. Mutig bezeichnet der Offizier die Verantwortlichen für die Führung solcher Bundeswehreinsätze als Angriffskrieger und nennt sie "Friedensverräter". Ein Hauptmann Daniel Kaufhold vom Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, einem Truppenteil der bekanntlich jeder parlamentarisch-politischen Kontrolle entzogen ist, schrieb Rose 2007 einen in drohendem Ton gehaltenen Brief, er werde "von Offizieren einer neuen Generation" beobachtet und er sei "Feind im Inneren", der beizeiten "zu zerschlagen" sei. Das ist aufschlussreich für den Geist, der unter einer "neuen Offiziersgeneration" herrschen soll. Jürgen Rose, inzwischen ein international angesehener Publizist (400 Beiträge), brachte Anfang 2010 ein neues Buch heraus: "Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt?" (Verlag Ossietzky GmbH, Berlin), in dem er die gefährlichen reaktionären Tendenzen, welche die Bundeswehr charakterisieren, zur Sprache bringt. Rose stellt weitere Bundeswehrangehörige vor, die wie er, gegen diese gefährliche Entwicklung aufbegehren.(18)

Der Vorsitzende des Reservistenverbandes von Haimbach/Fulda, Wilfried Rützel, "prangerte" laut "Fuldaer Zeitung" vom 13. Januar 2010 "die Opfer, die der Afghanistaneinsatz bei der Bundeswehr bislang gefordert" hat, an. Er verwies auf den Soldaten-Eid auf das Grundgesetz und fragte, "ob solche Bundeswehreinsätze gerechtfertigt seien". In der Garnison von Bad Salzungen in Thüringen unterzeichneten Soldaten die Fuldaer Erklärung. Die "Thüringer Allgemeine" schrieb am 21. April 2010, dass bei einem Bevölkerungsanteil der Ostdeutschen von 20 Prozent deren Anteil an im Ausland eingesetzten Soldaten (Mannschaftsdienstgrade) bei 62 Prozent liege. Bis 2009 kamen 13 der bis dahin 35 in Afghanistan ums Leben gekommenen Soldaten aus dem Anschlussgebiet. Die Ostdeutschen werden bereits die Afroamerikaner der Bundeswehr genannt.

Wenn der frühere Verteidigungsminister Jung seinen neuen Posten als Arbeitsminister im schwarz-gelben Kabinett Merkel-Westerwelle räumen, wenn ein Untersuchungsausschuss die Geschehnisse in Kundus, die Kriegsverbrechen darstellen, untersuchen musste, wenn inzwischen auch der Rücktritt des neuen Chefs der Hardthöhe, von Guttenberg, gefordert, wenn die Frage nach der Verantwortung der Kanzlerin gestellt wird, dann hat dazu zweifelsohne die Vielzahl der Proteste beigetragen. Sie halten an und es vergeht kaum ein Tag, ohne dass sie nicht nur in linken Zeitungen erscheinen, sondern auch viele gewöhnlich auf Regierungskurs liegende Medien sich mit ihnen befassen müssen.

Die Breite der Unterzeichner der Fuldaer Erklärung bestätigte einmal mehr die Erfahrung, dass man sich in der Antikriegsfrage mit allen Menschen, die ehrlich dazu stehen, zusammenschließen kann und muss. Schließlich sollte bei der Wertung der Antikriegsproteste eine Erfahrung der Geschichte nicht vergessen werden: Antikriegspositionen und Friedenskampf haben immer den sozialen Bewegungen Auftrieb verschafft. Auch in diesem Sinne muss die Vertiefung der Protestbewegung ein herausragendes Anliegen aller Menschen, die Frieden, Fortschritt und Humanität verpflichtet sind, sein. Für Kommunisten, revolutionäre Sozialisten war die Unterstützung der Proteste gegen den Krieg, für den Frieden immer ein untrennbarer Bestandteil ihres Kampfes für den Sozialismus, die ihm Auftrieb gab und vorwärts brachte. Die Beispiele dafür sind mannigfaltig. Erinnert sei nur daran, wie Lenin den Kampf gegen den Imperialistischen Ersten Weltkrieg zum Beispiel auf der Zimmerwalder Konferenz im September 1915 zur Formierung der revolutionäre Zimmerwalder Linken nutzte. Es war für ihn "eine der wichtigsten Tatsachen und einer der größten Erfolge der Konferenz."(19)

Zusammenfassend meine ich am Ende dieser Ausführungen, dass es "offensiv" sehr genutzt hätte, diese vielfältige Protestbewegung der Kriegsgegner zum Anlass zu nehmen, sich zu positionieren und einzubringen.(20)

Gerhard Feldbauer, Poppenhausen


Anmerkungen

9) Bei Manuskriptabgabe am 16. Mai 2010.

10) Breite Front der Kriegsgegner in Hessen. jW, 19./20. Dez. 2009.

11) Aus dem Kapitel über die Fuldaer Erklärung in der Schrift des Autors "Krieg weltweit", in: "Konsequent", Marxistisch-Leninistische Theorie und revolutionäre Praxis, Schriftenreihe der DKP Berlin.

12) Klares Bekenntnis. ND, 16. Okt. 2009.

13) Siehe Eva Niemeyer: Der BRD-Imperialismus nach 1989. Von territorialer zu hegemonialer Expansion. "offensiv" 8/09.

14) Der Terminus "vernichten" ist exakt dem in Afghanistan gebräuchlichen militärischen Sprachgebrauch entlehnt. So hatte auch Oberst Klein in seinem Befehl zum Angriff auf die Tanklaster angeordnet die dort anwesenden Menschen zu "vernichten".

15) Siehe u. a.: "Truppenabzug sofort". In: "Ossietzky" 1/2010

16) Ein Ökosiegel für die Kriegszentrale. ND, 20. Jan. 2010.

17) Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Friedenspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, die im Januar 2010 mit ihrem Fraktionskollegen Jan von Aken Afghanistan besuchte, im Gespräch mit jW, 5. Febr. 2010.

18) Siehe dazu auch Eberhard Schulz: Ein Bundeswehroffizier klagt an: Angriffskrieg ist das schlimmste aller Verbrechern. ND, 22. April 2010.

19) W.I. Lenin: Die revolutionären Marxisten auf der Internationalen Sozialistischen Konferenz vom 5. - 8. September 1915. Werke, Bd. 21, S. 396 ff.

20) An tiefergehenden Informationen zum Thema interessierte Leser darf ich auf die bereits erwähnte, Schrift "Krieg weltweit" verweisen, zu deren Veröffentlichung sich der Verlag der Berliner DKP bereiterklärte.


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Frank Flegel: Was ist die Aufgabe der Kommunisten?

Lieber Gerhard, wir haben den uns von Dir für die vorige Ausgabe unserer Zeitschrift übermittelten Fuldaer Aufruf nach einigen internen Diskussionen nicht veröffentlicht, weil dort genau das formuliert war, was Du jetzt relativieren willst: Im an uns übermittelten Aufruf war eindeutig und ausschließlich die Bitte um Mithilfe dafür formuliert, dass nicht noch mehr junge deutsche Soldaten in Afghanistan sterben müssen. Und das war uns - auch bei weitestgehenden Konzessionen gegenüber dem bürgerlichen Pazifismus - zu eng.

Du tadelst uns dafür und da Du uns nun forderst, hier also unsere Position dazu:

1. Die Zeitschrift offen-siv ist nicht ein Flugblatt eines möglichst breiten Bündnisses zur Agitation weiterer Teile der Bevölkerung gegen den Krieg. (Dass solche Flugblätter notwendig sind, steht nicht in Frage - wir sind nur keins.) Die Zeitschrift offen-siv ist eine Zeitschrift für Sozialismus und Frieden, und damit ist sie eine kommunistische Zeitschrift. Kommunistische Zeitschriften sind der marxistisch-leninistischen Analyse verpflichtet und nicht der Propagierung des bürgerlichen Pazifismus. Ein Artikel z.B. "Über die Möglichkeiten und Grenzen des Fuldaer Aufrufs" wäre da eher passend.

2. Für uns geht es nicht nur um die Frage, "dass man sich in der Antikriegsfrage mit allen Menschen, die ehrlich dazu stehen, zusammenschließen kann und muss", wie Du schreibst, sondern vielmehr um die wesentlich differenziertere und weiterführende Frage, welche Aufgabe Kommunisten/innen denn in solchen möglichst breiten Bündnissen haben. Sollen die kommunistischen Kräfte die Parolen des bürgerlichen und möglicher Weise sogar des nationalen Pazifismus nachplappern - oder sollen sie die Frage nach der Ursache des Krieges stellen, sollen sie versuchen, Klarheit über imperialistische Interessen, ökonomische Abhängigkeiten usw. zu schaffen, sollen sie also die Frage nach Krieg und Frieden mit der System- und der Eigentumsfrage verbinden? Wir sind der Ansicht, dass sie das sollen.(21) Interessant wäre dann, darüber nachzudenken, wie man das am besten bewerkstelligt. Aber dazu müsste man sich erstmal über die Aufgabe einig und im Klaren sein.

3. Möglichst große, dabei prinzipienlose Breite der Friedensbewegung ("alle Menschen, die ehrlich dazu stehen" - lieber Gerhard, welch Kategorie unter Kommunisten!) hat in der jüngeren Geschichte mitgeholfen, eine riesengroße und eine etwas kleinere Katastrophe herbeizuführen: das war in der großen Dimension die prinzipienlose Friedenspolitik der DDR Anfang der 80er Jahre, wonach die SED dann Ende der 80er Jahre der von Gorbatschow postulierten "Friedensfähigkeit des Imperialismus" nichts mehr entgegenzusetzen hatte(22), und im kleineren Maßstab die zeitgleiche, ebenso angelegte Politik der DKP gegen den NATO-Doppelbeschluss, die darin mündete, dass die Genossen/innen vor Ort dazu verpflichtet wurden, in der Friedensbewegung konstruktiv mitzuarbeiten, aber keine ideologischen Fragen aufzuwerfen - bloß nicht! Um Missverständnisse auszuschließen: diese beiden Beispiele stellen nicht die Ursache der Niederlage des Sozialismus und auch nicht die Ursache für den Niedergang der DKP dar, aber sie waren ein Nagel mehr für den Sarg.

4. Wenn nach all dem eine DKP-Genossin aus Hannover formuliert: "Ich verstehe das auch nicht. Warum werfen wir nicht alle Waffen einfach ins Meer und leben friedlich miteinander" (wörtliches Zitat - ich bin Zeuge!), dann haben die Kommunisten nicht nur in der Friedensbewegung versagt, nein, dann ist es noch viel schlimmer, dann haben die Kommunisten den bürgerlichen Pazifismus auch noch in ihre Reihen aufgenommen und sich damit selbst entwaffnet.

In allen sozialen Bewegungen, sei es gegen den Krieg, gegen den Sozialabbau, gegen die Atomkraft, für bessere Bildung, für den Erhalt demokratischer Rechte und so weiter ist Breite eine unabdingbare Notwendigkeit. "Die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände". Das entbindet die Kommunisten aber nicht davon, den wesentlichen, weiterführenden Schritt zu gehen: "In all diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor." (Marx und Engels).

Lieber Gerhard, vielleicht schütte ich ja auf Grund der schlechten Erfahrungen der letzten 30 Jahre das Kind mit dem Bade aus - deshalb würde ich eine Diskussion über diese Frage: "Welche Aufgabe haben Kommunisten in solchen oder ähnlichen Bündnissen?" für gut und richtig halten.

Mit herzlichen und kommunistischen Grüßen, Frank


Anmerkungen

21) Lieber Gerhard, in dem einzigen Absatz Deines Artikels, der diese weiterführenden Probleme anspricht, weist Du als Beleg ausgerechnet auf eines unserer Sonderhefte hin, auf das Sonderheft zum deutschen Imperialismus nach 1989 von Eva Niemeyer. Das Heft hat mit Deinen Aussagen aber nichts zu tun. Dort wird nicht darüber berichtet, dass nach oder auch vor dem Fuldaer Aufruf "in Medienbeiträgen, auf Gewerkschaftsveranstaltungen, in Diskussionen ... die Hintergründe der Kriegseinsätze herausgearbeitet (wurden): dass deutsche Soldaten wieder weltweit Krieg führen, in vorderster Linie in Afghanistan, deutsche Soldaten wieder fallen im Krieg um den Anteil des deutschen Kapitals an der Weltherrschaft, um Einflusssphären und Rohstoffressourcen." Wir sollten realistisch bleiben bei der Einschätzung des Klassencharakters der jeweiligen sozialen Bewegungen. Und wenn wir sie als (klein)bürgerlich bezeichnen müssen, heißt das ja nicht, dass wir uns von ihnen fernhalten sollen - ganz im Gegenteil. Unsere Annäherung an sie und unser Umgang mit ihnen sollte allerdings ohne Illusionen und ohne Schönfärberei erfolgen.

22) Siehe dazu auch den Beitrag von Dieter Hillebrenner bei unserer Konferenz zum 60. Jahrestag der Gründung der DDR; im Protokollband "Und der Zukunft zugewandt", S, 211 ff.

Raute

AUS DER LESER/INNEN-POST

Gerhard Naumann: Katyn

Die polnische Flugzeugkatastrophe hat den Mörderwald wieder ins Gedächtnis gerufen. Die einen sagen: 22.000 polnische Offiziere, Zivilisten und Intelligenzler hat das NKWD auf Befehl Stalins im Wald von Katyn erschossen. Die anderen sagen: Es waren 10.000 polnische Offiziere. Dritte sagen: Es waren 22.000 polnische Offiziere. Eins bis Drei sind verschiedene, aber deutsche Fernsehsender. Die zweite Darstellung deckt sich mit dem Propagandageschrei von Goebbels, damals 1941. Ist das von Zwei aufgegriffen worden? Es wäre nicht das erste Mal, dass von bundesdeutschen Medien faschistische Aussagen als Beweis angeführt werden. Und wenn Goebbels Recht hatte, warum ist das 50 Jahre lang nicht Teil der Antisowjethetze geworden, wo doch der kleinste Scheißdreck dazu nicht zu schmutzig war. Und ist es ein Zufall, dass gerade jetzt die Lüge wieder aufgetischt wird, Hitler und Stalin hätten 1939 Polen unter sich aufgeteilt?

Eins hat gesagt: 22.000, die vor den Deutschen in die SU geflüchtet waren. Polen wurde in 18 Tagen überwältigt. Wieviel Zeit hatten die Ermordeten für die Flucht? Gab es, angesichts Pilsudskis faschistischer Militärdiktatur in Polen keinen unter ihnen, der auf die Deutschen hoffte und die Flucht in die SU ablehnte? Stimmt es überhaupt nicht, dass polnische Intelligenzler in Buchenwald in einem gesonderten Drahtkäfig, dem niemand zu nahe kommen durfte, elend verreckt sind? Stimmt auch die Information aus sozialistischen Zeiten nicht, dass die deutsche Wehrmacht fast die ganze polnische Intelligenz ausrottete? Und dass so mancher Professor zur entblößten Universität Breslau aus den von Stalin zurückgeholten Gebieten der westlichen Ukraine und Bjelorusslands kam?

Hat die deutsche Wehrmacht überhaupt keine polnischen Offiziere gefangen genommen bei diesem überraschenden Angriff? Und wenn ja, was ist aus ihnen geworden? Wie viele Offiziere hatte die polnische Armee damals überhaupt? Und wenn "nur" 10.000 Offiziere vom NKWD erschossen wurden, wie Zwei sagt, wer hat dann die Teile der polnische Armee befehligt, die über den fernen Osten evakuiert wurden, weil sie nicht mit der Sowjetunion gegen den deutschen Faschismus kämpfen wollten, und wer hat die anderen Teile der polnischen Armee befehligt, die an der Seite der Roten Armee gegen die Faschisten kämpften, als erste in Warschau einmarschierten und sogar Berlin mit befreiten?

Allein die Tatsache, dass in den Medien nach der schmierigen Anweisung gehandelt wird: "Fakten, Fakten, Fakten, und immer an die Leser denken" macht stutzig. "An die Leser denken" heißt doch, immer so viel wie möglich Verdummung verbreiten.

Ich weiß nicht, wo die Wahrheit liegt, wie heutzutage einer aus dem ganz gemeinen Volke überhaupt nicht wissen kann, wann die Politik lügt und wann nicht. Es ist nur hundertfach bewiesen, dass mit Lügen regiert wird. Gorbatschow hat "zugegeben", dass es Stalin war. Gorbatschow hat vorher und hinterher so viel gelogen, warum hier nicht auch?

Putin hat gemeinsam mit der polnischen Obrigkeit der Opfer von Katyn gedacht. Es geht ihm um ein gutes Verhältnis zu Polen, um das Seinige zu tun dafür, dass die Deutschland-NATO die Westgrenze Russlands nicht wieder bedroht. Verständlich, dass er solche Fragen nicht in seine Politik einmischt, er hat an die Zukunft Russlands zu denken.

Wie gesagt, ich kenne die Wahrheit nicht. Aber fragen wird man doch dürfen, oder?

Gerhard Naumann


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H.W.: Sachlich

Herzlichen Dank für die Nr. 2-2010. Angenehm, dass Ihr Heft sachlich ist. Ist ja unglaublich, dass die Erklärung der kommunistischen und Arbeiterparteien der EU hierzulande niemand unterschrieb; wozu gibt es denn die Kommunistische Plattform z.B. oder die KPD? Klasse ist die Entschließung der Internationalen Frauenliga. Und der Beitrag von M. Opperskalski über Harich, sehr lehrreich, danke. Aber besonders angetan bin ich vom Brief des Genossen Hillebrenner. Die Älteren haben einiges auszuhalten, Niederlage, Kleinkrieg unter den Linken, fast kann man ja alle Hoffnungen begraben angesichts solcher Zustände. Mein Empfinden war auch so wie das von Hillebrenner geäußerte - im RotFuchs gibt es zu viel "Oberst a.D.", rückwärtsgewandt, ohne Rücksicht auf die Jugend, dem guten Leben in der DDR nachtrauernd, was niemandem hilft. Wohlwollender als bei Hillebrenner geht es kaum! Respekt. Die ganzen "alten Zirkel" sollten lieber ihre Hilfe bei der Jugend anbieten - so wie Hillebrenner seine Unterstützung gibt für die KI.

H.W., Wd.


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Dieter Frielinghaus: Auf guten Willen, Veränderung u. Einsicht setzen!

Lieber Frank, zu offen-siv 2-2010, S. 20f. möchte ich anmerken:

1. Zwar stimmt natürlich alles über W. Harich Mitgeteilte. Aber es ist dann mit ihm noch weiter gegangen. Er war laut Gerichtsurteil im Strafvollzug, dann m.W. eine Zeit lang in Österreich und dann zurück in der DDR. Dort gehörte er nicht zu den Konterevolutionären. Gegen diese verteidigte er den Sozialismus und die DDR. Er wurde der Gründer der "Alternativen Enquete-Kommission", also gegen Eppelmann und Bundestag. Ich selber hatte und habe kein besonderes Interesse an ihm, kenne also auch seine Position der 90er Jahre nicht gut, die aber jedenfalls anders war als in der Zeit, die der Artikel in offen-siv behandelt. Das kann man doch erwähnen.

2. "...man sollte sich überlegen, warum die Marx-Engels-Stiftung und die Tageszeitung junge Welt der Auffassung sind, dass Wolfgang Harich dazu (sehr wesentliche Impulse...) geeignet sein könnte." In dem Leser entsteht sofort ein Anfang von Überzeugung, dass wahrscheinlich auch die junge Welt und gleich noch die am Anfang des Artikels namentlich aufgeführten Referenten zu seinen verkappten Feinden gehören. Wachsamkeit - ja. Ideologische Klarheit - ja. Aber auch die Berücksichtigung dessen, dass mangelnde Unterscheidung zwischen Wichtig und Unwichtig mit falschen oder vorschnellen Verdächtigungen unserer Sache von allem Anfang an schon viel geschadet hat. Ich kenne beklemmend die Antwort aus Genossen-Mund auf eine bloße Frage: "Ach, so einer bist Du, der so etwas fragt!" Ich kenne treue, standhafte Genossen, die noch heute Angst vor solchen Entgegnungen und ihren Folgen haben.

Gerade weil es ja schrecklich ist, was in der DKP im PV passiert, gehört doch zur besseren "Initiative", dass man auf guten Willen, Veränderung und Einsicht setzt, bevor man Feindschaft konstatiert. Der Harich der 90er Jahre und die junge Welt sind nicht fehlerfrei, insofern wie wir, aber keine Feinde und auch keine Verfechter schlimmer Irrtümer.

Herzlichen Gruß Dir und Deinen Genossen, Dieter Frielinghaus, Brüssow


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Bernd Kelly: Katyn - Fakten und Lügen(23)

Während der polnischen Intervention gegen Sowjetrussland besetzten die Armee Pilsudskis zeitweise große Teile der Ukraine und im Westen Rußlands. In der Gegenoffensive der Roten Armee gelangte diese bis in die Nähe von Warschau, wurde aber durch Fehler auf russischer Seite und durch massive Unterstützung des Westens für Pilsudski wieder zurückgeworfen. Im Frieden von Riga, der am 18. März 1921 unterzeichnet wurde, stimmte Sowjetrussland einem Waffenstillstand und Friedensvertrag zu, der Polen erhebliche Gebiete im Osten zusicherte. Die polnisch-sowjetische Grenze verlief stellenweise bis zu 250 km östlich des geschlossenen polnischen Siedlungsgebiets. Diese okkupierten Gebiete waren ethnisch sehr heterogen, Ukrainer und Weißrussen waren in der Überzahl.

Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges besetzte die Roten Armee diese Gebiete Ende September 1939, als der polnische Staat begann sich aufzulösen. Dabei gab es kaum militärische Handlungen - die dort vorhandenen Armeeteile ergaben sich sowjetischen Streitkräften. Ja viele polnische Soldaten versuchten sich der Gefangennahme durch die faschistische Wehrmacht zu entziehen, indem sie nach Osten flüchteten und sich der Roten Armee ergaben. Diese Kriegsgefangenen wurden in mehreren Lagern interniert u.a. auch in Katyn. Sie sollten bald entlassen werden. Doch im November 1939 erklärte die polnische Exilregierung in London der UdSSR den Krieg. Deswegen blieb der Kriegsgefangenstatus erhalten und die Gefangenen wurden zum Straßenbau im Gebiet Smolensk eingesetzt. Beim Überfall des faschistischen Deutschlands auf die UdSSR am 22.6.1941 konnte das Lager in Katyn wegen des schnellen Vordringens der faschistischen Streitkräfte nicht evakuiert werden und die Lagerinsassen gerieten in die Gewalt der faschistischen Wehrmacht.

Es war die erklärte Absicht des deutschen Faschismus, die polnischen Führungsschichten, die Intelligenz und militärischen Kräfte auszulöschen. Dies zeigte sich in vielen Kriegsverbrechen und der hohen Verluste der polnischen Zivilbevölkerung während der faschistischen Okkupation.

Deswegen wurden auch die in die Hände der Wehrmacht gefallenen polnischen Kriegsgefangenen von den Deutschen erschossen. Dies stellte 1944 nach der Befreiung des Smolensker Gebiets eine internationale Untersuchungskommission aus Vertretern Großbritanniens, der USA und der UdSSR eindeutig fest. Sie stützte sich dabei auf viele Augenzeugenberichte, auf den ermittelten Todeszeitpunkt und die in den Leichen vorhandenen Projektile, die aus deutschen Waffen abgefeuert waren.

Diese Untersuchung wurde durchgeführt, da 1943 der faschistische Propagandaminister Goebbels die Lüge in Umlauf brachte, daß die Opfer von Katyn durch die Sowjetunion ermordet worden wären. Die Absicht dieser Propagandalüge bestand darin, nach der Niederlage bei Stalingrad Zwietracht zwischen den Alliierten zu säen. Das gelang jedoch nicht.

Allerdings ist mit der Tragödie von Katyn die Geschichte von Polen in der UdSSR nicht zu Ende. Aus polnischen Kriegsgefangenen anderer Lager wurden in der UdSSR militärische Einheiten gebildet. Ein Teil dieser Einheiten war unter dem Einfluß der Londoner Exilregierung. Diese Einheiten wollten nicht an der Seite der UdSSR kämpfen. In Absprache mit den Alliierten gestatte die UdSSR diesen Einheiten die Ausreise über den Fernen Osten. Diese Einheiten landeten schließlich als Kolonialtruppe im Irak. Die Mehrzahl der Polen in der UdSSR vor allem Mannschaftsdienstgrade wollten an der Seite der UdSSR gegen das faschistische Deutschland kämpfen. Aus diesen polnischen Patrioten wurden bis 1945 zwei polnische Armeen formiert, die an der Seite der Roten Armee kämpften. Diese Tatsachen widerlegen die Goebbelsche Lüge, die 45 Jahre lang verschwunden war, bis sie von Gorbatschow wiederbelebt wurde um sie mit anderen Lügen zur moralischen Diskreditierung der UdSSR zu benutzen. Im Westen vor allem in Deutschland griff man diese Lüge begierig auf, denn dadurch wurden die Verbrechen des faschistischen Deutschlands, auf dessen Konto der Tod von 6 Millionen Polen kommt, aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verdrängt.

Bernd Kelly


Anmerkung

23) Liebe Genossen, die Medien waren tagelang erfüllt vom Tod des polnischen Präsidenten Kaczynski. Dabei wurde ausführlich an die historische Tragödie von Katyn erinnert, allerdings in einer Weise, die nichts mit der geschichtlichen Wahrheit zu tun hat. Daß diese antisowjetische Lüge von den bürgerlichen Medien zelebriert wird ist normal. Aber auch unter den Linken wird diese weitgehend akzeptiert. So habe ich zweimal der "Jungen Welt" einen Leserbrief dazugeschrieben, der aber nie veröffentlicht wurde.

Da ich es aber für notwendig halte, dieser besonders widerlichen Geschichtsfälschungen entgegenzutreten, möchte ich Euch bitten, den folgenden Text zu veröffentlichen.


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THÄLMANN-GEDENKSTÄTTE

Freundeskreis Ernst-Thälmann-Gedenkstätte: Dank für die spontanen Proteste gegen den Abriss

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, sehr geehrte Damen und Herren,

wir wollen allen Danken, die sich unseren spontanen Protesten gegen den schändlichen Abriss der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte angeschlossen haben. Indes geht der Abriss weiter. Unser Eilschutzantrag beim Landesverfassungsgericht blieb bislang unbeantwortet. Auch die Proteste setzen sich fort, die Empörung wächst weiter. Wütend macht viele jetzt, dass plötzlich alle möglichen Aktivitäten gestartet werden, oder vermeintlich gestartet werden, wo man Jahre lang untätig blieb und nichts gegen einen drohenden Abriss oder gegen die unsäglichen Machenschaften des Herrn Gerd Gröger unternahm.

Wir rufen weiterhin dazu auf: Geht nach Ziegenhals, seid dort präsent. Unter der Losung "Eine Nelke für Teddy" bitten wir alle, in den Zaun eine Nelke zu stecken, als Ausdruck unseres Protestes und auch als Symbol unseres Kampfesmutes. Sie sollen zeigen: Wir machen weiter! Es wird keine Ruhe in Ziegenhals geben. Wir werden für den Wiederaufbau kämpfen, so wie wir es immer angekündigt haben! In der Zwischenzeit müssen wir natürlich die Exponate sichern und diese der Öffentlichkeit endlich wieder zugänglich machen. Der Freundeskreis befindet sich im Exil. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht wieder zurückkehren kann zum authentischen Ort und das auch wird.

Außerdem bitten wir alle Mitglieder und Sympathisanten, die nicht nach Berlin kommen können, vor Ort Versammlungen bzw. Kundgebungen anmelden und dort über das skandalöse Vorgehen des Herren aus Bayern und das Zuschauen nun zweier Landesregierungen in Brandenburg informieren. Es wäre günstig alles daran zu setzen, um auf lokaler Ebene, Bündnisorganisationen für die Veranstaltung zu gewinnen. Materialien können beim Freundeskreis gerne angefordert werden. (Flugblatt, Rundbrief, etc.). Bitte meldet uns, wenn ihr etwas vorhabt, damit wir es wiederum bekannt geben können. Dokumentiert Euren Protest für Berichte, etc..

Wir nutzen diese Email jedoch noch für einen anderen, einen exemplarischen, Zweck:

  [Anmerkung der Redaktion Schattenblick: Dieser Text wurde wegen ungeklärten Sachverhalts entfernt.]

Gerade eben erreicht uns folgende Zuschrift des Vorsitzenden des ZK der KPRF, G.A. Sjuganow. Danke an Gerrit für die Übersetzung!

Antrag des ZK der KPRF, Pressemitteilung 2010-05-06, 18:15, Pressedienst des ZK der KPRF: "Ernst Thälmann wurde wieder Opfer der deutschen Gewalt Nach neuesten Informationen begann in Deutschland, in der Stadt Ziegenhals, die Zerstörung der Gedenkstätte Ernst Thälmanns, des weltbekannte Führers des deutschen Proletariats, des Führers des antifaschistischen Widerstands, der im faschistischen Konzentrationslager umkam. Diese Schandtat wird in der Woche vor den Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag des Grossen Sieges begangen. Die empörende Aktion kann nicht anders, als eine Verunglimpfung des Gedenkens an den mutigen Kämpfer gegen den Faschismus betrachtet werden.

Während sich die Welt heute vorbereitet, des Endes des Zweiten Weltkrieges zu gedenken, ist immer seltener die Rede von dem unschätzbaren Beitrag der Kommunisten Europas an die Zerschlagung des Faschismus. Darüberhinaus entstehen verschiedene Kommissionen, und es werden Resolutionen unterschrieben, die versuchen, das nazistische Regime auf eine Ebene zu stellen mit der Sowjetunion, welche Europa vom Faschismus rettete. Im "demokratischen" und "zivilisierten" Europa geschieht eine offene Verunglimpfung unserer neueren Geschichte. Und die schändliche Zerstörung der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte ist nur eine zusätzliche Bestätigung dafür.

Die KPRF verurteilt entschieden alle derartigen Aktionen des deutschen Staates. Gerade diejenigen, welche die Gedenkstätte Ernst Thälmanns zerstören, tragen indirekt zum Wiedererstehen des Faschismus in Europa bei. Die KPRF ruft den deutschen Staat auf, der barbarische Zerstörung der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Einhalt zu gebieten, und eine Verunglimpfung der Gedenkstätten des antifaschistischen Kampfes nicht zuzulassen.

Der Vorsitzende des ZK der KPRF, G.A. Sjuganow

Raute

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Quelle:
Offensiv Nr. 4/2010 - Zeitschrift für Sozialismus und Frieden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2010