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OSSIETZKY/1044: Abschiebeknast als Regelfall


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 5 vom 9. März 2019

Abschiebeknast als Regelfall

von Ulla Jelpke


Die Bundesregierung bereitet derzeit einen Gesetzentwurf vor, um die Zahl der Abschiebungen massiv zu erhöhen. Damit droht eine massive Kriminalisierung, Illegalisierung und Verarmung von Schutzsuchenden, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Der Entwurf sieht unter anderem eine Beweislastumkehr vor: Flüchtlinge sollen in Zukunft beweisen müssen, dass sie sich der Abschiebung nicht entziehen werden, ansonsten kommen sie in Abschiebehaft. Menschen mit Duldungsstatus droht eine drastische Absenkung staatlicher Leistungen.

"Die Rechtspflicht, Deutschland freiwillig zu verlassen, wird von einer hohen Zahl vollziehbar Ausreisepflichtiger nicht befolgt", heißt es in einem Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zu einem "Geordnete-Rückkehr-Gesetz". Zur Begründung wird darauf verwiesen, es gebe laut Ausländerzentralregister derzeit knapp 236.000 ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland, Tendenz steigend. Dem stehe ein Rückgang der Ausreisen gegenüber: Die Zahl der Abschiebungen stagniere bei rund 26.000 pro Jahr, und die freiwilligen Ausreisen seien im vergangen Jahr erheblich zurückgegangen, auf unter 30.000. Es gelte deswegen, "Ineffizienzen" im Aufenthaltsrecht und Abschieberegime zu beseitigen.

Die Zahlen scheinen zu suggerieren, dass sich die nominell 236.000 Ausreisepflichtigen zu Unrecht in Deutschland aufhalten. Tatsächlich haben die meisten von ihnen eine Duldung, manche schon seit etlichen Jahren, besuchen die Schule, machen - so es ihnen behördlich gestattet wird - eine Ausbildung oder gehen einer Lohnarbeit nach. Ihrer Abschiebung stehen faktische Hindernisse entgegen. Das weiß auch die Bundesregierung. Ihr Ansatz besteht nun darin, die Gruppe der Geduldeten aufzuteilen: Für diejenigen, die "unverschuldet", zum Beispiel aus medizinischen Gründen, nicht ausreisen können, bleibt alles beim Alten (das heißt bei der lediglich prekären Aussetzung einer Abschiebung). Ist aber "die Unmöglichkeit der Abschiebung dem Ausländer zuzurechnen", soll dieser einen rechtlichen Status noch unterhalb der Duldung erhalten, und zwar eine "Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht". Der Referentenentwurf nennt als Beispiele, dass der Betroffene keine Reisedokumente vorlegt oder über seine Identität täuscht. Dass es objektive Gründe dafür geben kann, sich vor der Flucht nicht erst gültige Reisepässe ausstellen zu lassen, dass man diese auf der Flucht verlieren kann, das wird im Entwurf nicht weiter beleuchtet. Das Thema "Identitätstäuschung" oder "Identitätsverweigerung" ist ein Dauerbrenner asylfeindlicher Argumentation, die Menschen dazu zwingen will, an ihrer Abschiebung aktiv mitzuwirken.

Die Folgen der geplanten Herabstufung des Aufenthaltsstatus sind gravierend: Die Betroffenen sind "von Integrationsangeboten und Angeboten, die zur Aufenthaltsverfestigung führen können, auszuschließen", sie erhalten die Auflage, in einer Gemeinschaftseinrichtung zu wohnen, sie dürfen keine Arbeit aufnehmen, es wird eine Meldepflicht bei der Polizei eingeführt. Das Asylbewerberleistungsgesetz soll dahingehend geändert werden, dass nur noch Leistungen für Unterkunft, Essen und Hygieneartikel gewährt werden, was in Gemeinschaftseinrichtungen in der Regel bargeldlos erfolgt.

In kaum zu überbietendem Euphemismus spricht der Gesetzentwurf davon, diese umfassenden Schikanen gegen Flüchtlinge dienten dazu, ihre "Kooperationsbereitschaft zu erhöhen" und sich bei ihrem zuständigen Konsulat um einen Pass zu bemühen. Das ist unrealistisch. Die Betroffenen sind aus guten Gründen geflohen, weil sie in ihrem Herkunftsland keine Perspektive haben. Ihre faktische Entrechtung in Deutschland würde sie lediglich in die Illegalität zwingen.

Weit im Vorfeld eines konkreten Abschiebetermins droht künftig die neu eingeführte sogenannte Erweiterte Vorbereitungshaft - und zwar jedem, der die "Vorbereitung der Durchsetzung der Ausreisepflicht oder das Abschiebungsverfahren umgeht oder behindert". Als Indikator wird auch hier exemplarisch genannt, dass der Ausreisepflichtige seine Identität nicht offenlegt oder nicht "ausreichend" an der Beschaffung von Reisedokumenten mitwirkt. Darüber hinaus könne aber "grundsätzlich jedes dem Ausländer zurechenbare Verhalten die Erweiterte Vorbereitungshaft begründen, sofern es den Tatbestand erfüllt". Wenn die Inhaftierten dem Druck nachgeben und ihre Identität offenlegen, entfällt zwar der Haftgrund, aber frei kommen sie deswegen nicht. Stattdessen werden sie umgehend in die sogenannte Sicherungshaft verlegt. Diese droht besonders denjenigen, die angeblich "durch Unterdrückung oder Vernichtung" von Ausweisen die Abschiebung behindert haben, die ihren Aufenthaltsort ohne Genehmigung wechseln, nicht zu Anhörungen bei der Ausländerbehörde erscheinen oder "Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht" zur Vermeidung ihrer Abschiebung begehen. Zu den konkreten Anhaltspunkten gehört beispielsweise, dass zur Einreise Geldbeträge aufgewandt worden sind, die nach Maßstäben des Herkunftslandes "erheblich" sind. Die Fluchtgefahr wird dann "widerleglich vermutet", was bedeutet: Im Regelfall droht die "Sicherungshaft", es sei denn, der Ausländer kann beweisen, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen wird. In der Praxis wird er sich gegen die Unterstellung, das Nichtvorhandensein von Papieren sei auf ihre vorsätzliche Vernichtung zurückzuführen, kaum wehren können. Die Gesamtdauer von Vorbereitungs- und Sicherungshaft wird auf sechs Monate begrenzt.

Schließlich gibt es noch den "Ausreisegewahrsam", der gänzlich unabhängig vom Vorliegen einer Fluchtgefahr die Inhaftierung Ausreisepflichtiger im Zeitraum von bis zu zehn Tagen vor einer Abschiebung ermöglicht.

Ins Visier nimmt der Entwurf auch die von der CSU so genannte "Anti-Abschiebe-Industrie", sprich Organisationen und Einzelpersonen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen. Für die unbefugte Mitteilung bevorstehender Abschiebetermine droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Das schränkt auch den Spielraum von Sozialarbeitern und Rechtsanwälten ein.

Schließlich will das Innenministerium die derzeitige Trennung von Strafvollzug und Abschiebehaft aufgeben und Abschiebehäftlinge in normalen Knästen unterbringen. Das sei notwendig, weil die derzeit 420 bundesweit vorhandenen Abschiebehaftplätze nicht ausreichten. Im Moment stimmt das nicht: Zum Stichtag 30. Juni 2018 befanden sich laut Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Linksfraktion bundesweit 233 Personen in Abschiebehaft. Im neu gebauten Abschiebeknast am Münchner Flughafen - monatliche Kosten über 400.000 Euro -, der Platz für 30 Abzuschiebende bietet, befanden sich laut einer Focus-Recherche seit September 2018 insgesamt "lediglich" 53 Personen, zum Stichtag 9. Februar waren es fünf.

Von seinen weitgreifenden Plänen "erhofft" sich Bundesinnenminister Seehofer offensichtlich, dass die Abschiebeknäste künftig aus den Nähten platzen. Das lässt man sich dann gerne etwas kosten - auf 13 Millionen Euro schätzt der Entwurf die jährlichen Mehrkosten des Gesetzespaketes für die Verwaltung.

Auch wenn einige der geplanten Neuregelungen womöglich vom Bundesverfassungsgericht kassiert würden (etwa die anlasslose "Vorbereitungshaft"): Die Tendenz des Gesetzentwurfs ist erschreckend. Dem "Willkommens"-Sommer 2015 folgt nun das genaue Gegenteil. Statt einer humanen Flüchtlings- und Bleiberechtspolitik geht die Union einer Horrorvision der weitreichenden Internierung schutzsuchender Migrantinnen und Migranten nach.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Zweiundzwanzigster Jahrgang, Nr. 5 vom 9. März 2019, S. 165-167
Redaktion: Haus der Demokratie und Menschenrechte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2019

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