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OSSIETZKY/935: Geldpolitik unterstützen - Fiskalpolitik stärken


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 25 vom 17. Dezember 2016

Geldpolitik unterstützen - Fiskalpolitik stärken

von Heinz-J. Bontrup


Der kapitalistische Widerspruch beschränkt sich nicht nur auf das funktionale Kapital-Arbeits-Verhältnis: Auch innerhalb der Klassen gibt es widerstreitende Interessen. Die Unternehmer konkurrieren um den erbeuteten Profit untereinander an ihren Absatz- und Beschaffungsmärkten und die abhängig Beschäftigten um die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme. Die Unternehmer mit der größten Marktmacht streichen dabei am meisten Profit ein. Und bei den abhängig Beschäftigten erhalten die einen sechsstellige Spitzeneinkommen, manche auch siebenstellige Werte und noch mehr, Millionen hingegen nur einen Mindest- beziehungsweise Armutslohn. Das sei leistungsgerecht, argumentieren neoliberale Umverteilungsdemagogen. Genauso könnte man dann aber auch sagen: Die Erde ist eine Scheibe.

Fakt ist vielmehr, dass die Ungleichverteilung der Haushaltseinkommen seit Beginn der 1990er Jahre stark zugenommen hat. So ist der Gini-Koeffizient als Konzentrations- und Ungleichheitsmaßstab von 0,248 (1991) auf 0,288 (2012) gestiegen. Und in diesem Widerspruchssystem nicht zu vergessen sind die Vermögenden und SparerInnen mit ihren Partialinteressen, die fürs Nichtstun aus der Arbeit anderer Zinseinkünfte auf ihre Geldeinlagen verlangen. Was passiert, wenn sie diese Zinsen nicht erhalten oder sogar mit Negativzinsen abgespeist werden, um den gefährlichen deflationären Tendenzen zu trotzen, ist bei der gerade praktizierten expansiven Geldpolitik durch die Notenbanken zu beobachten. So hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Geldpolitik immer weiter gelockert. Neben der Senkung des Leitzinses auf null beschloss die EZB den Strafzins fürs Geldparken bei der EZB von minus 0,3 auf minus 0,4 zu setzen. Außerdem hat die EZB ihr Anleiheaufkaufprogramm von monatlich 60 auf 80 Milliarden Euro ausgeweitet, und zusätzlich werden zukünftig auch Unternehmensanleihen mit in das Aufkaufprogramm aufgenommen. Daneben gibt die EZB den Banken langfristige Kredite zu Niedrigstzinsen, zum Teil auch zu negativen Zinsen, was nichts anderes bedeutet, als dass die EZB die Banken dafür bezahlt, das sie bei ihr Kredite nehmen. Mit all dem in den Wirtschaftskreislauf gepumpten Geld soll die Zahlungsfähigkeit (Liquidität) bei Unternehmen und privaten Haushalten erhöht werden. Die Unternehmen sollen in Maschinen und Fabrikgebäude und die Haushalte in Konsum investieren oder sich ein Haus bauen. Zieht dann so die Konjunktur an, steigen auch die Preise auf den von der EZB gewünschten idealen Inflationswert von knapp unter zwei Prozent, und das gefährliche Gespenst der Deflation ist gebannt.

Dies bleibt aber ein Wunschdenken der Notenbanker, weil eine expansive Geldpolitik zur Konjunkturstimulierung immer von einer expansiven Fiskalpolitik begleitet werden muss. Eine expansive Geldpolitik allein, selbst mit einem Leitzins von null, löst die Krise nicht auf. Der Staat muss ergänzend ein kreditfinanziertes Ausgabenprogramm auflegen und so die expansive Geldpolitik unterstützen. "Hier zeigt sich eher die Ohnmacht als die Macht der Währungshüter", stellt der bekannte Ökonom Rudolf Hickel fest. Die Unternehmen und die privaten Haushalte werden trotz des reichlich vorhandenen Geldangebots dies nicht nachfragen, weil Unternehmer nur dann in beschäftigungsschaffende Maschinen und Fabrikgebäude investieren, wenn sie sich mit den zusätzlichen kapazitätserweiternden Investitionen auch einen Profit versprechen. Und auch die privaten Haushalte verschulden sich gerade in der Krise nicht, wenn ihnen womöglich Arbeitslosigkeit droht. Es bleibt dabei, dies ist eine alte keynesianische Erkenntnis, dass nur der Staat durch ein defizit spending, durch eine kreditfinanzierte Staatsnachfrage, die zusätzlich geschaffene Geldmenge in Form eines staatlichen Investitionsprogramms abschöpfen kann. Der Staat muss die Kredite aufnehmen, die die Privaten nicht haben wollen, und diejenigen, die viele vielleicht gern hätten, von den Banken wegen einer fehlenden Bonität aber nicht erhalten. Nur eine dringend erforderliche abgestimmte staatliche Fiskal- und Geldpolitik könnte hier insgesamt helfen. Sie findet jedoch nicht statt, so dass im Ergebnis ein größtmögliches Politikversagen vorliegt.

Die neoliberalen Protagonisten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien - allen voran der Jurist und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) - sprechen sich vehement gegen ein defizit spending aus. Sie bestehen, selbst in der Krise, auf einen ausgeglichenen Staatshalthalt und fordern eine "Schwarze Null". Ihre dazu betriebene ökonomisch bornierte Austeritätspolitik verschärft die Krise, anstatt sie zu beheben. "In Deutschland hat Reichskanzler Brüning mit einer solchen Politik Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts den Zusammenbruch der 'Weimarer Republik' herbeigeführt und damit den Nationalsozialisten den Weg bereitet", schreibt der "Wirtschaftsweise" Peter Bofinger in seinem Lehrbuch für Volkswirtschaftslehre.

Die lockere Geldpolitik der EZB verschafft den Vermögenden einen Reichtumszuwachs. Der DAX reagierte sofort mit einem Anstieg, als die EZB beispielsweise im März die weitere Geldlockerung verkündete. "Es ist also wieder nichts anderes passiert, als dass Milliarden unmittelbar in die Aktienspekulation geflossen sind. Bei einer Börsenkapitalisierung der DAX-Gesellschaften in einer Größenordnung von knapp einer Billion Euro bedeutet dieser Kurssprung von 2,7 Prozent nicht weniger als einen Kursgewinn von 25 Milliarden Euro für die glücklichen Aktionäre", kritisiert der Ökonom Egon W. Kreutzer. Dies erwähnen die Reichen und ihre Steigbügelhalter in der Politik selbstverständlich nicht. Sie faseln lieber von einer kalten Enteignung, weil sie bei einer expansiven Geldpolitik keine Zinsen mehr auf ihre Geldanlagen bekommen. Als wenn es im Kapitalismus auf Spareinlagen, Lebensversicherungen oder privaten Rentenfonds eine garantierte Zinspreisbildung und Mindestrendite gäbe. Wie bescheuert ist das denn!

Nein, man muss nach den Opportunitätskosten der expansiven Geldpolitik fragen. Hier schreibt Rudolf Hickel zu Recht, "wäre eine umfassende Analyse der Effizienz dieser expansiven Geldpolitik erforderlich. Es geht dabei nicht um die Gruppen von Gewinnern (Staat) und Verlierern (private Sparhaushalte), sondern um die Wirkungen auf die Inflationserwartungen, die Anleiherendite, die Kreditvergabe zur Finanzierung der Sachinvestitionen sowie die Finanzmärkte. Eine umfassende, methodisch einigermaßen gesicherte Bewertung dieser Geldpolitik ist sehr schwierig. Unstrittig ist die Tatsache, dass das Ziel, die Inflation im Euroraum in Richtung zwei Prozent anzuheben, nicht gelingen will. Es lassen sich jedoch durchaus bei anderen wichtigen Kriterien zur Effizienzbewertung der Geldpolitik Erfolge nachweisen. Gegenüber diesen Ergebnissen der Effizienzanalyse müssen die gesamtwirtschaftlichen Kosten eines Verzichts auf diese Geldpolitik durch Deflation und damit hohe Einkommensverluste und Arbeitslosigkeit in Rechnung gestellt werden."

Zu der erzwungenen expansiven Geldpolitik, als Folge der 2007 weltweit ausgebrochenen Finanz- und Wirtschaftskrise, gibt es aber dennoch eine ökonomische Alternative. Und zwar ein gezielter Kapitalschnitt bei den Geldvermögenden. Hierdurch würde nicht nur die vielzitierte Gerechtigkeit geschaffen, sondern auch das aus den Fugen geratene Gläubiger-Schuldner-Verhältnis wieder auf die Füße gestellt. Die vermögenden Gläubiger müssten einen Teil ihrer zuvor neoliberal durch eine Umverteilung von unten nach oben erbeuteten Vermögensbestände wieder abgeben und die Schuldner für einen Neuanfang von ihren nicht mehr tragbaren Schulden befreit und entlastet werden. Eine kapitalistische Krise verlangt eben zur Bereinigung eine Kapitalvernichtung. Eine solche rationale Wirtschaftspolitik lässt sich aber offensichtlich in einer interessengeleiteten und widersprüchlichen kapitalistischen Okonomie nicht durchsetzen. Wohl aber ein praktizierter atomisierter Kapitalschnitt durch Negativzinsen, den dann auch die kleinen (unschuldigen) SparerInnen zu spüren bekommen.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Neunzehnter Jahrgang, Nr. 25 vom 17. Dezember 2016, Seite 904-906
Herausgeber: Matthias Biskupek, Daniela Dahn, Dr. Rolf Gössner,
Ulla Jelpke, Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Katrin Kusche (verantw.), Eckart Spoo, Jürgen Krause (Korrektor)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2016

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