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POLITISCHE BERICHTE/127: Zeitschrift für linke Politik 8/09


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik

Nr. 8 am 30. Juli 2009


INHALT

Aktuell aus Politik und Wirtschaft
Politische Berichte im Internet
Gewerkschaften und Automobilindustrie:
Nachdenken über die Mobilität von morgen
Hamburger Schanzenfest: Auf ein Neues?!

Regionales und Gewerkschaftliches
Die Wellen schlagen hoch im Land zwischen den Meeren
Auslandsnachrichten
Aktionen ... Initiativen
Köln vor der Kommunalwahl: Wechselnde Mehrheiten und die Politik der Linken
Kommunalwahl Stuttgart: Statistischer Nachtrag
Kommunale Politik
Kita-Streik: Aufwertung der Erziehungsberufe

Diskussion und Dokumentation
Lokale Agenda 21 Freiburg
Bürgerbeteiligung auf Sparflamme?
Die Münchner Bewerbung für die Winterolympiade -
eine falsche Richtungsentscheidung
Rezensiert: Jürgen Rüttgers, "Wer zahlt die Zeche?"
In & bei der Linken

Termine

Raute

AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT

Politische Berichte im Internet: www.gnn-verlage.com


Rente mit 69?

Monatsbericht der Bundesbank 7/09 rül. Die Bundesbank hat in ihrem neuesten Monatsbericht öffentlich über eine weitere Anhebung des Rentenalters nachgedacht. Unter der Überschrift "Demographischer Wandel und langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen in Deutschland" heißt es dort: "Deutschland steht aufgrund demographischer Veränderungen vor großen finanzpolitischen Herausforderungen. So ist abzusehen, dass sich ohne weitere Reformen oder Verhaltensänderungen die Finanzierungsbasis der Staatsfinanzen deutlich schwächer entwickeln wird als die altersabhängigen Aufwendungen. Gemäß neueren Berechnungen für die EU-Mitgliedstaaten könnten die diesbezüglichen Ausgaben in Deutschland bis 2060 im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt um etwa fünf Prozentpunkte zunehmen. Dies würde unter anderem einen Anstieg der Sozialbeitragssätze von derzeit knapp 40% auf insgesamt fast 50% erforderlich machen." Als Ausweg schlägt die Bundesbank unter anderem vor, die Politik solle über eine Anhebung des gesetzlichen Rentenalters bis 2060 auf dann 69 Jahre nachdenken. Der Vorstoß hat Wellen geschlagen. Warum? Meist ist so viel Aufregung verräterisch. Weil der Bundesbank-Vorstoß die Erstwähler in diesem Jahr trifft, die jetzt 18 Jahre alt sind und gerade oder bald auf den Arbeitsmarkt kommt? Wohl kaum. Eher, weil er die Lage der Staatsfinanzen deutlich macht, und damit vor allem Union und FDP, die ihren Wählern "mehr Netto vom Brutto" versprechen, in eine Position bringt, wo sie enthüllen müssten, wie sich aus ihrer Sicht die öffentlichen Zuschüsse zur Renten- und Krankenversicherung in den nächsten Jahren entwickeln sollen, wenn sie zeitgleich zur Explosion der Staatsschuld die Steuern senken wollen. Immerhin macht der Bundeszuschuss zur Rente derzeit 80 Milliarden Euro im Jahr aus, der zur Krankenversicherung soll auch erheblich anschwellen. Was also soll mit den gesetzlichen Sozialversicherungen unter einer schwarz-gelben Regierung passieren? Nach dem Bundesbank-Vorstoß dürften sich das nun mehr Menschen fragen als vorher.


Strom aus der Wüste - Technik mit politischen Folgen

www.desertec.org/de, 13. Juli, alk. Die Idee hört sich verlockend an: Mit einer Reihe von solarthermischen Kraftwerke in den Wüstengebiete rund ums Mittelmeer und mehreren Leitungen in Hochspannungs-Gleichstrom-Technik wäre eine kostengünstige und "saubere" Energieversorgung für Europa möglich. Im Gegensatz zur Erzeugung von Strom durch Photovoltaik oder durch Windenergie wären die solarthermischen Kraftwerke "grundlastfähig", das heißt sie liefern Strom rund um die Uhr, unabhängig von Wind und Wetter. Die Technik besteht darin, dass Sonnenlicht mit Glasflächen gebündelt wird und mit der so erzeugten Wärme heißer Dampf normale Turbinen antreibt. Tagsüber wird ein Teil der Wärme gespeichert (z.B. durch Erhitzen von Salzlösungen), die dann nachts oder bei Bewölkung wiederum Dampf erzeugen kann. Damit wäre ein vollwertiger Ersatz für konventionelle Kraftwerke (Kohle, Gas, Kernenergie) möglich. Die Technik ist entwickelt; in Kalifornien läuft ein solarthermisches Kraftwerk seit 1985; inzwischen gibt es weitere in Spanien und Nevada (USA). Auch die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ist seit Jahrzehnten im kommerziellen Einsatz.

Im Gegensatz zur Photovoltaik und Windrädern ist die Technik bis auf die Turbinen keine Hightech, sondern kann in allen Ländern vor Ort hergestellt werden: Die Glasflächen bestehen aus Flachglas, die übrigen Bauteile sind aus Beton - das könnte alles lokal hergestellt werden.

In der Bundesrepublik Deutschland haben sich jetzt Industriefirmen, Energieerzeuger und Banken (ABB, Siemens, MAN, Eon, RWE, Deutsche Bank, Münchner Rück und fünf weitere Firmen), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie Wissenschaftler aus dem Club of Rome (das sind die, die in den 1970er Jahren in Katstrophenszenarien die "Grenzen des Wachstums" heraufziehen sahen) zur "Desertec Foundation" zusammengeschlossen. Im Oktober soll eine Planungsgesellschaft gegründet werden. Als politischer Repräsentant aus den Ländern, in denen die Anlagen gebaut werden sollen, tritt bislang Prinz Hassan Talal von Jordanien auf.

Dabei geht es weniger um die technischen Probleme, die bei einer eventuellen Realisierung auftauchen und zu lösen sind, sondern um die Schaffung eines politischen Umfelds. Denn hier liegen die eigentlichen Probleme. Nicht dass die Konkurrenz der anderen regenerativen Energie (Photovoltaik-, Windkraftindustrie) sofort Kritik übte, weil sie befürchten, dass die beträchtlichen Zuschüsse, die über die Stromverbraucher und Steuermittel zufließen, nun geteilt werden müssen - das war zu erwarten.

Unter der Überschrift: "Die Zeit ist reif: den politischen Rahmen schaffen" heißt es in der Konzeptbroschüre der Desertec Foundation: "Die Technologien sind vorhanden und erprobt, interessierte Investoren stehen bereit. Warum haben wir dann noch keinen Wüstenstrom? Ganz einfach: Noch fehlen in den meisten potentiellen Produzentenländern geeignete politische Rahmenbedingungen, um privaten oder öffentlichen Investoren die notwendige Planungs- und Rechtssicherheit zu geben. Besonders dort, wo komplexe Beratungs- und Verhandlungsprozesse notwendig sind, wie innerhalb der EU und zwischen der EU und den benachbarten Staaten, ist ein starker Wille aller Beteiligten erforderlich, um sich schnell auf geeignete Rahmenbedingungen zu einigen."

Als konkrete Schritte schlägt Desertec vor: Aufbau des HGÜ-Stromnetzes innerhalb der EU und übers Mittelmeer hinweg, Subventionierung des Solarstroms nach Muster Windenergie und Photostrom (Einspeisevergütung), Investitionszuschüsse. Als politisches Instrument soll die "Union für das Mittelmeer" zwischen der EU und zehn der südlichen und östlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers dienen. Als Pilotprojekt wünscht sich die Desertec Foundation eine 1-Gigawatt-Demonstrationsanlage, gekoppelt mit einer Meerwasserentsalzungsanlage zur Gewinnung von Trinkwasser auf ägyptischem Territorium zur Versorgung des Gaza-Streifens. Die politische Brisanz des Vorschlags ist ersichtlich: Die EU müsste als "Ordnungsmacht" in Nordafrika und Nahost auftreten, eine Vorstellung, für die es bislang unter den EU-Ländern keine Mehrheit gibt. Auch wenn die Betreiber immer wieder versichern, das Projekt sei im Gegensatz zum Rohstoffabbau von Vorteil für alle Beteiligten (die Anlagen werden von den nordafrikanischen Staaten selbst betrieben, ein Teil des Stroms verbleibt dort, die Einnahmen aus dem Stromverkauf dienen der wirtschaftlichen Entwicklung), zeigt die Forderung nach "politischer Stabilität" in der Region verbunden mit "starkem Willen" imperialistische Züge.


Staat im Einsatz

maf. Politisierung der Armee, Militarisierung der Politik, polizeilich regulierte Öffentlichkeit: Die Teilung der Gewalten und Funktionen im Staat und zwischen Staat und Gesellschaft ist die Basis der politischen und privaten Freiheiten im Staatswesen der Moderne. Gegenwärtig erleben wir eine Dekultivierung dieser Differenzen. Am 20. Juli ließen sich die Spitzen des Staates eine Auswahl des Rekrutenjahrgangs vorführen. Die feierliche Vereidigung konnte nur "inmitten einer Festung aus Polizisten und Feldjägern" stattfinden. Am 30. Juli, kurz nach Redaktionsschluss unserer Zeitschrift wird auf dem Münchner Marienplatz ebenfalls polizeilich abgeschirmt werden müssen, um auch hier das sogenannten feierliche Gelöbnis "öffentlich" zu vollziehen. Die Bundeswehr bemüht sich auf diesem Wege um Anerkennung in der Öffentlichkeit. Die Staatsspitzen lassen sich instrumentalisierte junge Leute vorführen, die gehorchen und ihre Bereitschaft zur Selbstaufgabe für Staatsziele bekunden. Die Organe der Staatsgewalt, die in der Staatsideologie zur Abwehr von Angriffen bzw. Verbrechen dienen, schälen sich aus diesen Bindungen heraus. Der Text des Gelöbnisses wird durch den Tatbestand der militarisieren Außenpolitik interpretiert. Diese jungen Leute beeiden und geloben Interventionsbereitschaft. Da sich bei diesem Geschäft Truppe und Staat begegnen, um sich hier Einsatzbereitschaft und da Anerkennung und Versorgungsleistung zu versprechen, ist eine Abschirmung vor der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit sinnvoll. Der Ausschluss der zivilen Öffentlichkeit durch die Polizei macht die Sache rund. Es entsteht eine Art von Öffentlichkeit, die die Bundesrepublik nicht kannte: Eine verstaatlichte Öffentlichkeit, deren Ansprüche die Bürgerinnen und Bürger vom Platz drängen wollen. Der Knoten von Exekutive, Armee, Polizei, kann sich so nur schürzen, weil innerhalb der Staatsorganisation das Bewusstsein der Notwendigkeit funktionaler Differenzierung schwindet und durch ein Gefühl der Gemeinsamkeit hoheitlichen Funktionierens ersetzt wird. Noch ist diese Neigung zum Ausnahmezustand die Ausnahme, wenn sie Normalität wird, ist der Ausnahmezustand Normalzustand.


*


Die nächste Ausgabe der Politischen Berichte erscheint am 10. September 2009. Redaktionsschluss: Freitag, 4. September. Artikelvorschläge und Absprachen über pb@gnn-verlage.de. Tel: 0711/3040595, freitags von 7-12 h. Die übrigen Erscheinungstermine für 2009, jeweils donnerstags: 8. Oktober, 5. November, 3. Dezember.

Raute

Gewerkschaften und Automobilindustrie

Nachdenken über die Mobilität von morgen

Die Automobilindustrie durchläuft weltweit turbulente Zeiten. Brancheninterne Papiere sprechen von der größten Krise seit Entstehung des Automobils. In den USA ist der Absatz im ersten Halbjahr 2009 erneut um mehr als 20% eingebrochen. Nach einem ohnehin schon gesunkenen Absatz von 13 Millionen Fahrzeugen in 2008 rechnet die Branche für 2009 in den USA nur noch mit einem Absatz von 10 Millionen Fahrzeugen. 30 der größten Automobilzulieferer in den USA mit zusammen mehr als einer Million Beschäftigten und ca. 270 Milliarden Dollar Umsatz sind akut insolvenzgefährdet.

Ähnlich in der Bundesrepublik. Hier gingen seit November 2008 bereits 31 Automobilzulieferer in die Insolvenz, weitere 280 Zulieferer-Firmen sind, wenn die Einkäufe der Automobilkonzerne nicht bald anziehen, von Insolvenz bedroht.

Weltweit sank der Absatz der Autobranche im ersten Halbjahr 2009 um 18 Prozent. Erst in drei, vier Jahren hofft man, die weltweiten Fertigungszahlen von 2008 wieder zu erreichen. Für 2009 wird in der Branche mit einem Verlust von weltweit 1,4 Millionen Jobs gerechnet, davon 1,1 Millionen bei Zulieferern.

GM ist jetzt Staatskonzern

Dabei trifft es auf dem US-Markt die einheimischen Hersteller stärker als alle anderen. Bei Chrysler, inzwischen von Fiat geschluckt, fiel der US-Absatz von Januar bis Juni um 46% unter Vorjahresniveau. General Motors musste auf dem US-Markt einen Rückgang von 41% hinnehmen, und der zweitgrößte US-Autobauer Ford verlor auf dem nordamerikanischen Markt ein Drittel des Vorjahres-Absatzes.

GM, Anfang 2008 noch scheinbar eine Kathedrale der US-Großindustrie, gab am 10. Juli 2009 den Abschluss seines Insolvenzverfahrens bekannt. Bei Einleitung des Insolvenzverfahrens am 1. Juni 2009 hatte GM noch über 176 Milliarden Dollar Schulden und fast ein Dutzend verschiedene Fahrzeug-Marken. Die "neue GM" hat nun noch 48 Milliarden Dollar Schulden und konzentriert sich auf die Marken Chevrolet, Cadillac, Buick und GMC. Für Opel, die Geländewagenmarke Hummer, die schwedische Tochter Saab und die US-Marke Saturn werden Käufer gesucht.

Hauptleidtragende der GM-Insolvenz dürften die zu Beginn der Insolvenz noch bei GM beschäftigten und inzwischen entlassenen Arbeitnehmer, die weiterhin bei GM Beschäftigten und die jetzt von GM-Pensionen lebenden früheren Beschäftigten des Konzerns sein.

Der neue GM-Boss Henderson verkündete nach Abschluss des Insolvenzverfahrens "eine neue Ära für General Motors". "Neu" ist in der Tat vieles bei GM. Neuer Eigentümer ist mit 60,8% die US-Regierung. 17,5 Prozent gehören einem Gesundheitsfond der US-Automobilgewerkschaft, 11,7% der kanadischen Regierung und nur noch 10% alten Aktionären von GM. 50 Milliarden Dollar hat die US-Regierung in das Unternehmen gepumpt, die GM bis 2015 versuchen will zurückzuzahlen.

Während des Insolvenzverfahrens forderte der bekannte US-Filmemacher Michael Moore in einem offenen Brief an Präsident Obama, GM solle sich künftig auf die Fertigung von Hybrid- und Elektro-Autos konzentrieren, ansonsten solle die Regierung ihre Mittel besser einsetzen für ein US-weites Netz von Hochgeschwindigkeitszügen à la Japan und von Stadtbahnen-Netzen, für die die GM-Beschäftigten die Züge bauen könnten. Das mag illusorisch sein, beschreibt aber das Ausmaß der Krise, in der sich die Branche sieht. Die Zukunftslösungen für die Mobilität von Menschen und Sachen stehen zur Diskussion.

VW rückt weiter vor

In der Bundesrepublik meldete VW einen Tag nach der Einigung über die künftige gemeinsame Zukunft mit Porsche für das erste Halbjahr, verglichen mit den Zahlen der US-Konzerne, eher gute Zahlen. Nur um 5% auf 3,1 Millionen verkaufte Fahrzeuge brach der VW-Absatz im ersten Halbjahr weltweit ein. Da der globale Fahrzeug-Absatz von Fahrzeugen sehr viel stärker fiel, stieg der Weltmarktanteil des VW-Konzerns von 9,9% im Vorjahr auf jetzt 12 Prozent. Seinem Ziel, bis 2015 vom bisherigen Platz 3 an General Motors und Toyota vorbei zum weltgrößten Automobilkonzern aufzusteigen, scheint der Konzern damit ein Stück näher gekommen zu sein.

Drei Märkte trugen zum VW-Ergebnis bei. In Deutschland stieg der Absatz des Konzerns gegenüber dem Vorjahr um 18,2%, bei der Kernmarke VW sogar um 26% - vor allem als Folge der Abwrackprämie, die für dieses Jahr zu einem Rekordabsatz von Neuwagen aller Marken in Deutschland führen wird. In Brasilien stieg der VW-Absatz um 6,1%, in China, für VW inzwischen ein wichtigerer Markt als die USA, um fast 23 Prozent. Weltweit profitiert der Konzern wegen seiner Kleinwagenmodelle stärker als andere Autobauer von den in immer mehr Ländern gezahlten staatlichen Verschrottungsprämien.

Währenddessen dauert das Tauziehen um Opel weiter an, steigt der Ölpreis trotz der weltweit anhaltenden Wirtschaftskrise schon wieder auf fast 70 Dollar pro Barrel und läutet damit erneut das Ende des Ölzeitalters ein.

Automobilindustrie in der Strukturkrise

Aus gewerkschaftlicher Sicht steht die deutsche Automobilindustrie in einer tiefgreifenden, vermutlich lange anhaltenden Strukturkrise. Die Branche muss hierzulande gleich mit mehreren Problemen fertig werden:

- erstens ist der Exportanteil extrem hoch. 2008 wurden von 5,5 Millionen in Deutschland gefertigten Automobilen 4,1 Millionen exportiert. Das werden sich in Zukunft weder die USA noch aufsteigende Schwellenländer wie Russland, Indien und China gefallen lassen. Eine globale Verlagerung von Fertigungsstätten, vor allem in Richtung der aufstrebenden Märkte in Asien, hat in Wirklichkeit auch schon lange begonnen und wird sich fortsetzen.

- zweitens nähert sich das Zeitalter der Otto- und Dieselmotoren dem Ende. Die Frage ist nicht mehr "ob", sondern nur noch wann die auf Öl basierende Antriebstechnologien durch andere Antriebe abgelöst werden müssen. In den Entwicklungsabteilungen der Branche wird deshalb fieberhaft an neuen Antrieben gearbeitet. Während in den Fertigungsbereichen immer noch über das Ausmaß der Kurzarbeit in den kommenden Monaten nachgedacht wird, suchen die Personalabteilungen für ihre Entwicklungsabteilungen weiter Fachkräfte, um bei der Entwicklung neuer Antriebstechnologien die Nase vorn zu haben.

- Dabei mehren sich die Anzeichen, dass es möglicherweise "den" neuen Antrieb gar nicht geben wird. Fachleute vermuten, dass sich in Ballungsräumen in Zukunft der Elektroantrieb durchsetzen wird. Bei längeren Strecken aber scheint ein batteriegetriebener Antrieb nicht machbar, so dass hier über Wasserstoffantrieb (der aber noch viele Entwicklungsjahre benötigt) oder eine Kombination von Antriebsarten wie zum Beispiel eine Weiterentwicklung des schon bekannten Hybridantriebs nachgedacht wird.

- Drittens wird allgemein davon ausgegangen, dass die Urbanisierung, das Zusammenleben der Menschen in großen Ballungsräumen, weltweit weiter zunehmen wird. Verbunden damit sind wachsende Einkommen insbesondere der Stadtbevölkerung und damit auch wachsende Ansprüche dieser Menschen an die Mobilität von Menschen und Sachen. China, Indien sind aktuelle Beispiele. Alles denkt deshalb über Lösungen für die Mobilität von Menschen und Sachen in der Zukunft nach. Dazu gehören dürfte vermutlich ein erheblicher Ausbau der Schiennetze und der öffentlichen Verkehrsnetze, sowohl in den Ballungsgebieten wie in der Fläche.

- Beides, die räumliche und die technologische Umstrukturierung in der Automobilbranche und der Umstieg auf neue Formen der Mobilität für Menschen und Sachen, wird vermutlich nicht nur die Autobranche im engeren Sinne, sondern auch die Zuliefererindustrien unter enormen Druck bringen.

- All das vollzieht sich inmitten einer globalen Konjunkturkrise, die die finanziellen Ressourcen aller Unternehmen ohnehin extrem anspannt. Das trifft insbesondere die sogenannten "Premiumhersteller" wie hierzulande Daimler, BMW und Porsche. Dass Porsche mit der Übernahme von VW gescheitert ist, hängt sicher auch damit zusammen, dass die EU-Kommission das VW-Gesetz nicht, wie von Wiedekind & Co. betrieben, aufgehoben hat. Damit war der Plan von Porsche gescheitert, die zur Übernahme von VW aufgenommenen Kredite am Ende aus der Kasse des gekaperten VW-Konzerns zu begleichen. Ein zweiter Grund für das Ende der Übernahmeschlacht dürfte der drastisch eingebrochene Absatz von Porsche sein, der das Unternehmen zusätzlich belastet. In den USA, bis vor kurzem wichtigster Auslandsmarkt, verkaufte Porsche im Juni nur noch 1072 Fahrzeuge, 62 % weniger als im Vormonat. AFP meldet nun, Porsche wäre, wenn es nicht zu einer Einigung mit VW gekommen sei, binnen zwei Wochen pleite gewesen. Das Unternehmen habe Schulden von 14 Milliarden Euro. Das wird vom Unternehmen zwar heftig dementiert, dürfte aber der Realität ziemlich nahe kommen. Auch bei Daimler und BMW ist der Absatz der Premiumklasse, der 7er-BMWs und der S-Klasse bei Daimler, weiter in einem tiefen Tal, dessen Ende nicht absehbar ist. Entsprechend groß sind finanziellen Probleme auch dort.

In den Belegschaften dieser Konzerne wächst deshalb die Sorge vor größeren Umstrukturierungen, bei denen auch die Schließung großer Werke nicht mehr auszuschließen ist.

IG Metall für Branchenrat "Automobile Zukunft"

Schon im März 2009 forderte deshalb der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber auf einer Tagung mit der Hans Böckler Stiftung in Berlin die Einrichtung eines "Branchenrats automobile Zukunft". Die Automobilindustrie stehe vor einen mehrjährigen Umstrukturierungsprozess, der in seiner Breite und Tiefe durchaus vergleichbar mit der Montankrise der 60er Jahre sei. Mit etwa 750.000 Beschäftigten sei die Automobil- und Zuliefererindustrie eine der bedeutendsten deutschen Industriezweige, so Huber weiter. Rechne man noch die Lieferanten von Komponenten und Rohstoffen, den Vertrieb, Service und Dienstleistungen hinzu, wachse die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze auf mehr als zwei Millionen. Der Rat solle zur Bewältigung des Strukturwandels beitragen. "Wir wollen nicht nur auf Krisen reagieren, sondern vorausschauende Entwicklungswege gestalten", formulierte er. Dazu müssten an erster Stelle die Unternehmen selbst beitragen, die mit ihrer bisherigen Produktstrategie und der Konzentration auf große Fahrzeuge den ökologischen Herausforderungen nicht nachgekommen seien. "Gerade die ökologischen Herausforderungen, ja Notwendigkeiten, müssen wir stärker in den Vordergrund rücken", forderte Huber.

Auch die Politik solle mit Krediten, Bürgschaften und Beteiligungen diesen Prozess mit gestalten. Wer die Bewältigung der Krise allein den Märkten überlasse, handele verantwortungslos, so Huber weiter. "Wer dies tut, der wird mit massiven Wohlstandsverlusten, Massenarbeitslosigkeit und einer lang andauernden Depression bestraft."

Mit der von der IG Metall Ende 2008 geforderten und seitdem erfolgreich praktizierten Abwrackprämie habe sich die Branche nur "ein Stück Zeit" gekauft. "Die Abwrackprämie und andere Hilfen bedeuten vor allem eins: Wir kaufen uns Zeit. Zeit, die genutzt werden kann, um neue Modelle und Innovationen zu entwickeln", hatte Huber am 30. April in einem Interview mit der "Zeit" erläutert. Die Prämie hat nach IGM-Schätzungen in diesem Jahr hierzulande mehr als 200.000 Jobs gerettet - vorläufig.

Streit um VW-Gesetz geht weiter

Wie es weiter geht mit der Automobilindustrie, bleibt aber weiter strittig, nicht nur bei Opel. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Wiedekind-Rücktritts trat der IGM-Vorsitzende Berthold Huber am 23. Juli in Frankfurt/Main gemeinsam mit dem Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück und dem VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh vor die Presse und erklärte: "Die gemeinsame Entwicklung, die vor den beiden Unternehmen liegt, birgt eine Reihe von Chancen für die Arbeitnehmer. Eine dieser Chancen sehe ich darin, die Beteiligung der Beschäftigten im Unternehmen auszubauen. Neben der erweiterten Mitbestimmung streben wir die Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital an. Wir wollen, dass die Belegschaften mit einem nennenswerten Anteil am neuen integrierten Konzern von Volkswagen und Porsche beteiligt werden." In der Presse wird berichtet, die IGM strebe einen Anteil der Belegschaft am neuen Kapital des Konzerns bis zu 10% an.

Hück und Osterloh ergänzten, dass beide das VW-Gesetz erhalten wollen. VW-Betriebsratschef Osterloh fügte hinzu: "Ebenso wollen wir langfristig sichergestellt wissen, dass die Familien Piech und Porsche Abstand davon nehmen, Volkswagen zu übernehmen und einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag abzuschließen." Die Familien Piech und Porsche, vielleicht noch ergänzt um den Scheich von Katar, als künftige Alleinherrscher im Konzern - eine solche Perspektive löst ganz offensichtlich bei den Beschäftigten des VW-Konzerns weiter Schrecken aus.

In einem am gleichen Tag in der FAZ veröffentlichten Gastbeitrag wies IGM-Chef Huber zudem auf die spezielle Geschichte des VW-Konzerns hin. Die Mittel zum Aufbau des VW-Konzerns in der Nazi-Zeit stammten aus enteignetem Gewerkschaftsvermögen, so Huber. "Das Stammkapital zur Gründung der 'Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH' in Höhe von 50 Millionen Reichsmark stellte Ende der dreißiger Jahre die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Nachdem die etablierten Automobilfabriken die Produktion eines preisgünstigen 'Volkswagens' als unrentabel ablehnten, wurde ein spezielles Gesetz erlassen, das der DAF einen zügigen Verkauf der am 2. Mai 1933 von SA und SS besetzten und beschlagnahmten Gewerkschaftshäuser ermöglichte ... Nach dem Krieg wurde das Werk zunächst unter britischer Regie betrieben ... Schließlich entschied man sich gegen eine Demontage und für eine Fortführung in deutscher Hand. Dabei war der Besatzungsmacht die besondere Herkunft des Werkes durchaus bewusst, und das Stammkapital der Volkswagen GmbH wurde in öffentlichen Besitz gegeben ... Gewerkschaften und die anderen Bundesländer sollten einen starken Einfluss haben. Nur unter diesen Bedingungen verzichtete der Deutsche Gewerkschaftsbund darauf, seine Eigentumsrechte am Werk einzuklagen."

Das VW-Gesetz und die erweiterte Mitbestimmung im Unternehmen seien "keine Bürde, sondern das Erfolgsrezept dieses Weltkonzerns und Teil seiner Identität." Wer dagegen vorgehen wolle, "der darf sich nicht wundern, wenn ihm ein kalter Wind der Arbeitnehmer entgegenbläst." (alle Zitate aus FAZ, 23.7.09)

Genau das wird aber von anderer Seite weiter betrieben. Der CDU-Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne, Anwalt aus Düsseldorf und Vorsitzender des Rechtsausschusses im Europaparlament, forderte nach dem Ende der Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW die EU-Kommission erneut öffentlich auf, gegen das VW-Gesetz vorzugehen. Auch der für solche neoliberalen Interessen schon lange bekannte sogenannte "Automobilexperte" Ferdinand Dudenhöffer griff erneut an. VW sei durch das VW-Gesetz ein künstlich geschützter Konzern, bei dem die Profitabilität für die Aktionäre nicht an erster Stelle stehe, rügte er. "Damit ergeben sich klare Nachteile (für die Inhaber von 87.500 Vorzugsaktien von Porsche, d. Verf.), die beim Erwerb der Porsche-Vorzugsaktien den Aktionären nicht bekannt waren und die ausschließlich durch die Übernahme von Porsche zustande kommen", so Dudenhöffer wörtlich (zit. nach Berliner Zeitung, 25./26. Juli 2009)

Laut "Spiegel Online" sollen die Familien Porsche und Piech zugesagt haben, wesentliche Teile des VW-Gesetzes bei weiterem Druck aus Brüssel in die Satzung des VW-Konzerns aufzunehmen. Ob und in welcher Form das geschieht, wird sich zeigen. Die IG Metall jedenfalls will das VW-Gesetz weiter verteidigen.

rül

Quellen: Berliner Zeitung, 25./26. Juli 2009; FR-online, 9.6.2009; Süddeutsche Zeitung, 2.7.09; Spiegel-Online, 10.7. und 25.7.2009; FAZ, 23.7.2009; Die Zeit, 30.4.2009; Wienerzeitung, 25.7.2009; IGM-Pressemitteilungen vom 25.3.2009 und 23.7.2009, AFP, 25.7.09;

Raute

Hamburg Schanzenfest am 12. September

Auf ein Neues?!

Auf einem der vielen Videos über das Hamburger Schanzenfest 2009 ist eine symbolträchtige Szene festgehalten: Vor einer Kette behelmter Polizisten, die die zuvor von Wasserwerfern frei geräumte Rosenhofstraße abriegelt, tanzt unbeirrt eine junge Frau ... Diese Szene wirft ein Licht auf den Konflikt, der sich am 4. Juli so massiv entlud: den Konflikt zwischen alternativen Milieus und ihren Formen kultureller Selbstbestimmung auf der einen und autoritären Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung auf der anderen Seite.


Dem diesjährigen Schanzenfest hatte die Innenbehörde früh den Kampf angesagt: Seit Jahren findet das alternative Stadtteilfest ohne Anmeldung statt, dieses Mal drohte der Innensenator weit im Vorfeld, das Fest zu verbieten, wenn es nicht angemeldet wird. Dank der Tolerierung durch das (zuständige) Bezirksamt Altona konnte das Fest zwar stattfinden, doch es stand von Beginn an im Zeichen der Konfrontation.

Den Beginn der Auseinandersetzung geben die Medien - hier stellvertretend für viele dradio - unter Berufung auf die Innenbehörde wie folgt wieder: "Nach dem zunächst friedlichen Schanzenfest mit mehreren tausend Teilnehmern hätten Randalierer Molotow-Cocktails auf Polizisten geworfen sowie einen Streifenwagen angezündet, erklärte eine Behördensprecher. Daraufhin habe man die Straßen vor dem Autonomen-Zentrum 'Rote Flora' mit Wasserwerfern geräumt und abgeriegelt." (dradio 5.7.)

Noch in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft am 9. Juli und in der Sondersitzung des Innenausschusses am 14. Juli sprach Innensenator Ahlhaus von "Molotow-Cocktails", die geworfen worden seien. Erst auf ausdrückliche Nachfrage gab Einsatzleiter Born laut Wortprotokoll zu, dass ihm "kein Bericht bekannt" sei, wonach "tatsächlich ein Molotow-Cocktail geworfen wurde". Die zehn Tage lang hartnäckig verbreitete Lüge sollte offensichtlich den Polizeieinsatz rechtfertigen, der heftig in die Kritik geraten war.

Aber auch der behauptete Ablauf - erst "Randale", dann der Polizeieinsatz - wurde Lügen gestraft. Die Sitzung des Innenausschusses bestätigte, was der Abgeordnete Norbert Hackbusch (Die Linke) in der Bürgerschaftssitzung am 9.7. so charakterisiert hatte: "Die Polizei ist aufgetaucht wie eine Besatzungsarmee in einem feindlichen Gelände." In den Worten von Polizeipräsident Jantosch: "... das Ziel der Polizei war es, zu einem festgelegten Zeitpunkt, zu dem also das Fest beendet war oder in die Endphase überging, dann mit polizeilichen Kräften die Bereiche zu besetzen, die besonders gefährdet waren ... und insofern war der klare Auftrag hier die Trennung zwischen diesen beiden Veranstaltungen ("friedliches Fest" und "Krawallen" - CS), und wir haben im zweiten Teil eben zu dem Zeitpunkt begonnen, wo wir damit rechnen mussten, dass sich auch Störer in diesem Bereich, also Gewalttäter in diesem Bereich, entwickeln werden." (Hervorhebungen von mir - CS) (Wortprotokoll der Innenausschusssitzung).

Deutlich wird, dass die Polizei ein "konfrontatives Einsatzkonzept" (Linke), ein Konzept der "Deeskalation durch Stärke" (GAL) verfolgte. Nichts von dem, was eine Deeskalationsstrategie ausmacht, zu der die Polizei durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet ist, nichts von dem wurde umgesetzt: Die Polizei sucht nicht aktiv die Kooperation und Kommunikation mit den Veranstaltern. Statt konfliktmindernde Maßnahmen ergriff sie konfliktaufheizende Maßnahmen wie die Umstellung des Festes, die unablässige Entsendung von Polizeitrupps mitten durch die tanzende und feiernde Menge. Statt bei "Störungen" differenziert und problembewusst zu handeln - schließlich verfügt die Polizei über ein großes Repertoire an Maßnahmen -, sprengte sie beim ersten Anlass mit einem massiven Einsatz das Fest. Anders als bei friedlichen Protestformen geboten, hatte die Polizeiführung die Einsatzschwelle extrem niedrig angesetzt. Erst nach ihrem Einschreiten und nach dem schnellen Einsatz von Wasserwerfern entwickelten sich bis in die frühen Morgenstunden heftige Straßenschlachten zwischen über 1000 (meist) Jugendlichen und fast 2000 Polizeibeamten mit fünf Wasserwerfern und Räumpanzern. Die konfrontative Einsatzstrategie begünstigte immer wieder unverhältnismäßige Polizeigewalt, auch gegen Unbeteiligte, die im Angriff auf die St. Pauli-Fankneipe "Jolly Rogers" gipfelte. Die hohe Zahl an Verletzten - auf Seiten der Polizei 88, auf Seiten der Demonstranten unbekannt - ist eine bittere Bilanz.

Dies alles festzuhalten ist deshalb wichtig, weil das Gewaltmonopol bei der Polizei liegt und ein Missbrauch staatlicher Gewalt besonders schwerwiegend ist.

Das Schanzenfest

Das Schanzenfest ist längst ein Mythos. Weil es das schönste Stadtteilfest in Hamburg ist, wie es heißt? Weil es in der "Schanze" stattfindet, einem traditionell durch alternative Lebensstile geprägten, widerständigen Viertel? Weil es seit Jahren ohne Anmeldung stattfindet? Weil es (mal mehr, mal weniger) Ausdruck politischen Protestes ist? Weil es fast schon traditionell im Anschluss an das Fest zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt?

Mehr als jedes andere Stadtteilfest ist das Schanzenfest durch eine Kultur der Selbstorganisation geprägt. Es ist ein Fest "von unten", wie es etliche gibt, aber selten so große. Auf viele Menschen nicht nur aus dem Viertel, sondern aus ganz Hamburg und Umgebung übt es eine Anziehungskraft aus, weil es eine Alternative zur dominanten Kultur, zur Kultur der "Leuchttürme", der "Events", zu Alstervergnügen und Hafengeburtstagen ist. Gerade das Schanzenfest steht für die Widerstandskraft kultureller Vielfalt, selbstbestimmter Kultur, die sich in Teilen der Stadt gegen die dominante Kultur behauptet.

Um es deutlich zu sagen: Die kulturelle Vielfalt, die Kultur der Selbstorganisation, für die das Schanzenfest steht, ist die Basis einer lebendigen Stadt. Auch vor diesem Hintergrund ist das massive Vorgehen der Polizei zu beurteilen: Es wurde als Bedrohung wahrgenommen, als Versuch der Durchsetzung autoritärer Ordnungsvorstellungen, und es war, zieht man den gesamten Konfliktverlauf in Betracht, auch genau so gemeint.

In diesem Jahr kam hinzu, dass das Schanzenfest ganz im Zeichen der Umstrukturierung des Schanzenviertels und des Widerstandes dagegen stand. Die Umwandlung bisher preisgünstigen Wohnraums in Luxus-Eigentums- oder -Mietwohnungen, horrende Mietsteigerungen, die die alteingesessenen Geschäfte nicht mehr tragen können, und die damit verbundene Verdrängung von bisherigen Mietern und Gewerbetreibenden haben eine Spirale in Gang gesetzt, die den sozialen Charakter des Viertels vollständig umzuwälzen droht. Mehr noch als in den vergangenen Jahren brachte das diesjährigen Schanzenfest den Selbstbehauptungswillen vieler Anwohnerinnen und Anwohner, den Selbstbehauptungswillen der von Verdrängung und Zerstörung bedrohten alternativen Lebensweisen und ihrer kulturellen Ausdrucksformen zum Ausdruck. Auch in diesem Zusammenhang konnte, ja musste die repressive Linie der Innenbehörde wahrgenommen werden als Versuch, diese die Spaltung der Stadt vertiefende Entwicklung mit Polizeigewalt durchzusetzen.

Auf ein Neues? - !

Diese Politik der Repression ist gescheitert. Ihre Kosten waren extrem hoch. Die öffentliche Meinung ist tief gespalten, und auch die Dominanz der Springerpresse ließ die öffentliche Kritik am polizeilichen Vorgehen nicht verstummen.

Am 12. September nun wird es ein neues Schanzenfest geben. Niemand kann wollen, dass sich die Ereignisse vom 4. Juli auch nur annähernd wiederholen. Die Chance, dass Veranstalter/innen und Besucher/innen das Fest zu einem friedlichen Ende bringen, ist umso größer, je früher die Innenbehörde ein Zeichen setzt, dass sie die Linie der Repression aufgibt und das Schanzenfest und seine Selbstorganisation respektiert. Rund zwei Dutzend Gastronomen, Einzelhändler, Vereine und Initiativen aus dem Schanzenviertel formulierten es in einem gemeinsamen Aufruf so: "Wir fordern den Bezirk Altona, die Innenbehörde und die Polizei auf, uns unser Stadtteilfest ohne Einmischung feiern zu lassen. Deshalb geben wir ihnen am 12. September eine weitere Chance, zu einer Politik mit Augenmaß zurückzukehren."

Übrigens gab es noch eine symbolträchtige Szene, die auf einem Video festgehalten wurde: Einer der Polizisten, die in die Kette vor dem vorübergehend "besetzten" Gebäude in der Rosenhofstraße abkommandiert waren, tanzt - wie Hunderte Festbesucher/innen - im Rhythmus der Musik, die aus den Lautsprechern schallte. Leider blieb er eine Ausnahme.

Christiane Schneider

Raute

REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES

Die Wellen schlagen hoch im Land zwischen den Meeren - die Frage ist: wer geht baden?

Kiel. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat am Montag, 20. Juli, im Landtag die Vertrauensfrage gestellt. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage sehe er keine andere Wahl mehr.


"Ich beantrage, gemäß Artikel 36 Absatz 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein mir das Vertrauen auszusprechen", sagte der Regierungschef im Landtag. "Ich bitte darum, eine Entscheidung über diesen Antrag unverzüglich nach Ablauf der Frist aus Artikel 36 Absatz 1 Satz 2 der Landesverfassung herbeizuführen." Die Landesverfassung sieht vor, dass zwischen Antrag und Abstimmung 48 Stunden liegen müssen.

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat daraufhin am Donnerstag, den 23.7.09, im Landtag über die Vertrauensfrage abstimmen lassen. Da ihm nur ein CDU-Abgeordneter das Vertrauen aussprach, alle anderen sich - wie er selbst - enthielten oder gegen ihn stimmten, stehen nun Neuwahlen zum Landtag in Schleswig-Holstein an. Das Ende der großen Koalition wurde besiegelt.

Eine - wie es schien - unendliche Geschichte des letzten Landtags ist dem vorausgegangen.

Im Februar 2005 stellte sich Heide Simonis nach erfolgter Landtagswahl erneut zur Wahl als SPD-Ministerpräsidentin. In drei Wahlgängen schaffte sie es nicht die notwendige Mehrheit im Parlament zu erhalten. Nach zähen Verhandlungen zwischen CDU und SPD wurde auf dünnem Eis die große Koalition im schleswig-holsteinischen Parlament gebaut. Im April 2005 wird Peter Harry Carstensen zum Ministerpräsidenten gewählt, Ralf Stegner, lange als "Kronprinz" von Heide Simonis gehandelt, wurde Innenminister Schleswig-Holsteins, später auch Landesvorsitzender der SPD.

Dass die Ehe zwischen CDU und SPD im nördlichsten Bundesland nicht gut gehen konnte, zeichnete sich früh ab. Das liegt nicht etwa in der Politik der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein begründet, die ihr Abstimmungsverhalten für Regierungsbeschlüsse in der Öffentlichkeit allzu oft und gern als "unter Koalitionszwang gefasst" darzustellen und so nach außen ihre Weste reinzuwaschen versuchte. So kamen mit den Stimmen der SPD dann u.a. das neue Polizeigesetz in Schleswig-Holstein, die Regionalschule oder ganz aktuell das Sparprogramm des Landes mit der Streichung von tausenden Stellen, u.a. im Bildungsbereich. Es liegt auch an Stegner und Carstensen, zwei völlig von sich überzeugten Machtpolitikern, die keine Kompromisse eingehen wollen. Und wenn sie es doch tun, dann versuchen sie trotz allem daran vorbei ihre eigenen Ziele zu verfolgen.

So war es nicht erstaunlich, als im Mai 2007 ernsthaft über den Bruch dieser Regierung geredet wurde. Als Grund wurde genannt, dass Stegner entgegen dem gemeinsamen Beschluss zu Gehaltskürzungen für Beamte in SH, versuchte einen Weg zu finden diese Kürzungen in ihrer Höhe geringer ausfallen zu lassen. Als Folge trat Stegner von seinem Amt als Innenminister zurück und tauschte im Januar 2008 mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden Lothar Hay die Posten. Doch die Debatte um Neuwahlen nahm seit Anfang des Jahres 2009 wieder einen breiten Raum ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich: die CDU wollte bereits zu den Bundestagswahlen im September auch einen neuen Landtag wählen lassen. Sie wähnen sich mit ihrer Bundespartei im Aufwind und möchten gern von diesem Schwung einige WählerInnenstimmen zusätzlich erhalten. Die SPD hingegen scheint sich sicher zu sein, bei vorzeitigen Wahlen auch in Schleswig-Holstein nur verlieren zu können. Ein Grund, der bei der SPD aus Wahlkalkül gegen vorgezogene Landtagswahlen spricht.

Im April 2009 wurde der 9. Mai 2010 als Landtagswahltermin bekannt gegeben. Eigentlich sollte nun Ruhe einziehen und der Bundestagswahlkampf gestartet werden. Doch hinter den Kulissen ging das Tauziehen um die Macht weiter. Im Juni 2009 wird gemeinsam von CDU und SPD ein Sparprogramm u.a. mit großen Einschnitten für das Landespersonal beschlossenen. Dann verkündet MP Carstensen Anfang Juli, dass für den Vorstandschef der HSH-Nordbank 2,9 Mill. Euro als Sonderzahlung vorgesehen sind. Dies ist besonders pikant, da diese Bank nur durch eine gemeinsame "Rettungsaktion" vom Hamburger Senat und der schleswig-holsteinischen Landesregierung, sprich: finanzielle Hilfen aus Steuergeldern, überhaupt noch besteht.

Diese Ankündigung erfolgt in einer Zeit, in der in den letzten Wochen und Monaten auch in Schleswig-Holstein Kämpfe um den Erhalt von Betrieben stattfinden, Streiks um die gerechte Bezahlung und Tarifvereinbarungen z.B. der Kita-Beschäftigten, SchülerInnen für eine bessere Bildung streiken und demonstrieren. Die SPD versucht fleißig in diesem Wasser im Lande nach WählerInnen zu fischen, sich als Rettungsanker darzustellen. Bei jeder Kürzung und allen Beschlüssen, die auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden, war die SPD bisher dabei. Mit Blick auf die Bundestagswahl erkennt die SPD dass sich ihre WählerInnenstimmen nur halten lassen, wenn sie sich öffentlich gegen die Sonderzahlung ausspricht. Doch nach einem Schreiben des Ministerpräsidenten an den CDU-Landtagspräsidenten sollen die Fraktionen von SPD und CDU zu dieser Zahlung ihr "Einverständnis" gegeben haben. Nachdem die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD dies verneinten, musste MP Peter Harry Carstensen einräumen: "Das ist eine Formulierung, über die ich vielleicht ein bisschen flott hinweggegangen bin." Andere sprechen hier eine deutlichere Sprache und reden von einer Lüge des Ministerpräsidenten, um dem HSH-Vorsitzenden zu einer Sonderzahlung zu verhelfen.

Auslöser war dieser Vorgang allemal für den endgültigen Bruch der Koalition. "Peter Harry" hat sein Ziel einer vorzeitigen Landtagswahl in SH damit erreicht. Die vier SPD-Minister wurden entlassen, die SPD-Staatssekretäre in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Für sich selbst spricht, das die ehemalige Ministerin Ute Erdsiek-Rave ihre Entlassung als "würdelos und respektlos" empfindet: sie selbst hat gerade erst für den Stellenabbau der Beschäftigten im Land gestimmt, junge Lehrkräfte erhalten keine festen Stellen, sondern nur noch Zeitverträge, sie hat mit ihrer Partei die Hartz-Gesetze beschlossen und umgesetzt. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Ob und wie dieses Schauspiel nach den Wahlen am 27.9. seine Fortsetzung findet, darauf dürfen die WählerInnen in Schleswig-Holstein gespannt sein. Schließlich sind sie es (mit denen, die auch aufgrund solcher Machtspiele keinen Sinn mehr in der Abgabe ihrer Stimmzettel sehen), die die Zeche zu zahlen haben. Denn dies sei festgehalten: den beteiligten Parteien geht es nicht um den Erhalt und Ausbau neuer qualifizierter Arbeitsplätze, Berufsausbildung und Bildung oder einer besseren Gesundheitsvorsorge im Flächenland Schleswig-Holstein. Ob Krise, Werftensterben, Atom- oder Kohlekraftwerke, Bildungsabbau oder auch die 2,9 Mill. für den HSH-Chef Nonnemacher spielen nach den Wünschen der schleswig-holsteinischen Landtagsparteien seit dem 20.7. zunächst keine Rolle mehr. Ihnen geht es allein um den Erhalt ihrer Macht. Gerade wurde die Koalition beendet, vor der Abstimmung zur Vertrauensfrage haben alle RednerInnen kein gutes Haar an den anderen Parteien gelassen. Und doch wird jetzt schon offen über nächste, ähnliche und identische, Koalitionen geredet. Den Menschen im Land steht das Wasser bis zum Hals, und sie sind es, die die Folgen dieser Politik ausbaden müssen. Der Weg, sich dagegen zu wehren, ist es, Forderungen für eine Politik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung laut und deutlich zu machen. Der einzige Weg liegt darin, gemeinsame Bewegung für eine andere Politik zu entwickeln.

Bettina Jürgensen, DKP-Bezirksvorsitzende in Schleswig-Holstein


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Carstensen (CDU) und Stegner (SPD) im schleswig-holsteinischen Landtag am 23.7.9: die Vertrauensfrage ist gestellt.

Demo des öffentlichen Dienstes am 13. September 2006: Ministerpräsident Carstensen hat entgegen seinen Versprechungen das Weihnachtsgeld gekürzt und die Diäten erhöht.

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AUSLANDSNACHRICHTEN


Litauen: Homophobie per Gesetz

Das litauische Parlament hat erneut das "Gesetz zum Schutz von Minderjährigen gegen die schädlichen Folgen öffentlicher Informationen" verabschiedet. Dieses "Jugendschutzgesetz" war Ende Juni an einem Veto des damaligen Präsidenten gescheitert, laut litauischer Verfassung kann das Parlament jedoch das Veto überstimmen, und auch beim zweiten Mal stimmten 87 Abgeordnete dafür bei sechs Gegenstimmen und 25 Enthaltungen. Das Gesetz richtet sich nicht nur gegen die Darstellung von Gewalt, sondern auch von Homo- und Bisexualität. Demnach dürfen Schulen oder andere für Jugendliche zugängliche Institutionen keine Informationen über Homosexualität verbreiten. Amnesty international und zahlreiche andere Organisationen kritisieren, dass das Gesetz Homophobie institutionalisiert und gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf ein Leben frei von Diskriminierung verstößt. Schon jetzt ist es in Litauen wie in anderen osteuropäischen Ländern so, dass Schwule und Lesben ihre sexuelle Orientierung weitestgehend geheim halten (müssen), da Homophobie bis hin zu offener Aggression weit verbreitet sind. Die neu gewählte litauische Präsidentin Grybauskaite macht aus ihrer Gegnerschaft zum "Jugendschutzgesetz" keinen Hehl. Da sie das Inkrafttreten aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verhindern könne, will sie "Konkretisierungen" und Änderungen verlangen. Die Folgen des Gesetzes, argumentiert sie, seien unabsehbar, weil der Staat z.B. auch zur Sperrung von Internetseiten übergehen könne. Unterstützt wird das Gesetz demgegenüber von der katholischen Kirche. Im September stehen weitere Gesetze auf der Tagesordnung des Parlaments, die Schwule und Lesben aus der Gesellschaft drängen sollen.
Quelle. www.heise.de/tp vom 23.7.


Sprachengesetz verschärft slowakischungarische Spannungen

Das am 1.9. in Kraft tretende slowakische Sprachengesetz verschärft die Spannungen zwischen der Slowakei und Ungarn und innerhalb der Slowakei dramatisch. Es sieht die verpflichtende Verwendung der slowakischen Staatssprache in öffentlichen Institutionen außerhalb des Hauptsiedlungsgebietes der ungarischen Minderheit (ca. 10% der Einwohner) in der Südslowakei vor. Verstöße werden mit Geldstrafen zwischen 100 und 5000 Euro geahndet. In Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens zum Beispiel darf nur dann Ungarisch gesprochen werden, wenn am Standort mindestens 20 Prozent Ungarn leben. Das ungarische Parlament verabschiedete postwendend eine Resolution, in der es die Rücknahme des Sprachengesetzes forderte.
Quelle: Standard, versch. Ausgaben


Ungarische Garde verboten - und "neu gegründet"

Am 2. Juli hat das Budapester Berufungsgericht die neofaschistische "Ungarische Garde" verboten. Ausschlaggebend für das Verbot waren die Verletzung der Menschenrechte von Bürgern einer Roma-Siedlung südlich von Budapest 2007 und die Rechtswidrigkeit der öffentlichen Hetze gegen "Zigeunerkriminalität". Die Sprecher der Ungarischen Garde erklärten postwendend, sich dem Urteil nicht zu beugen. Da sie eine "Bewegung" seien, könnten sie nicht verboten werden. Am 4. Juli führten über 2000 Anhänger der Garde zusammen mit anderen neofaschistischen Organisationen eine verbotene Demonstration in Budapest durch, die in Straßenschlachten endete. Während einer zweiten, dieses Mal genehmigten Demonstration am 11.7. mit rund 2.500 Teilnehmern gründete sich die Ungarische Garde neu. Neben prominenten Mitgliedern der ultrarechten Partei "Jobbik" traten auch bekannte Personen des öffentlichen Lebens der "neuen" Garde bei, u.a. der vormalige Verteidigungsminister Lajos.
Quelle: Budapester Zeitung, brimbog.wordpress.


"Gutes Verhalten, strenge Disziplin, Ordnung und Sicherheit" Das müssten, so eine neue Richtlinie aus dem britischen Bildungsministerium, die Schulen den Kindern vermitteln, damit diese eine "lebenslange Liebe zum Lernen" entwickelten und fit für die "Herausforderungen des 21. Jahrhunderts" würden. Konkret sollen die Eltern zukünftig bei Eintritt ihres Kindes in die Schule und danach jährlich einen Vertrag unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, dass sie und ihre Kinder sich der Schulordnung unterwerfen. Dazu gehören Regeln für das Verhalten, Schuluniform, Schulbesuch oder Hausaufgaben. Verletzen die Eltern aus dem Vertrag hervorgehende Verpflichtungen, können sie per gerichtlicher Verfügung verpflichtet werden, zum Beispiel an Kursen teilzunehmen, ihre Kinder abends nicht mehr aus dem Haus zu lassen oder zu verhindern, dass diese falsche Freunde haben oder anderweitig ungünstig beeinflusst werden. Sind die Eltern nicht willens oder in der Lage, ihre Kinder zu disziplinieren, drohen ihnen Geldstrafen bis zu 1000 Pfund. Die Eltern sollen außerdem angeregt werden, andere Eltern bei der Schule zu melden, wenn diese ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Das Bildungsministerium glaubt damit Maßnahmen gefunden zu haben, die verhindern sollen, dass einzelne Schüler die Lernerfolge einer ganzen Klasse verhindern. Die neue Richtlinie ergänzt andere einschlägige Maßnahmen, mit denen Kinder und Jugendliche, denen "antisoziales Verhalten" bescheinigt wird, durch Strafen und Disziplinierung auf die rechte Bahn geführt werden. So sollen "gestörte Familien" (out-of-control families) durch Strafandrohung (Gefängnis, Einweisung in Jugendhaftanstalt, Verlust der Wohnung oder des Hauses) dazu gebracht werden, "antisoziales Verhalten", Gewaltausübung und Kriminalität ihrer Kinder zu unterbinden.
Quelle: www.heise.de/tp 21. Juli.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Bild: Erziehungsregeln nach Schreber

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AKTIONEN ... INITIATIVEN

Hearing "Kommunales Wahlrecht für Alle".

FRANKFURT A.M. Die Initiatoren der Kampagne "Kommunalwahlrecht für Drittstaatler" veranstalten am 1. September 2009 von 13 bis 17 Uhr in Frankfurt am Main ein öffentliches Hearing zum Thema "Demokratie braucht JEDE Stimme! - Kommunales Wahlrecht für Alle". Politikerinnen und Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien stellen ihre Positionen dar, diskutieren mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis und stellen sich den Fragen der Teilnehmenden. Ziel der Kampagne ist eine Änderung von Artikel 28 GG. Damit soll die Voraussetzung geschaffen werden, damit alle rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen auf kommunaler Ebene das aktive und passive Wahlrecht wahrnehmen können. Im Internet sind zahlreiche Initiativen und Beschlüsse für dieses Anliegen dokumentiert.
www.kommunales-wahlrecht.de


Aktionen im Vorfeld der Bundestagswahlen

BERLIN. Es wird im Vorfeld der Bundestagswahl im September viele Aktivitäten geben, wie eine riesige Veranstaltung der IG Metall in der Arena in Frankfurt/M und eine Anti-Atom-Demonstration in Berlin (beides am 5. September), einen bundesweiten Mindestlohnaktionstag von ver.di und eine Demonstration "Freiheit statt Angst" in Berlin am 12. September. Alle diese Aktivitäten werden sicherlich von vielen MitstreiterInnen nach ihren Möglichkeiten und der regionalen Erreichbarkeit unterstützt. Der bundesweite, dezentrale Aktionstag des Bündnisses "Wir zahlen nicht für eure Krise" am 17. September ist ein Termin, an welchem breite, lokale Bündnisse die Gelegenheit haben werden, als Ausdruck gegen die bisherige Krisen"bewältigung" der Regierung auf die Straße zu gehen.
www.cl-netz.de/foren


Demokratie-Tour ist in Berlin angekommen

BERLIN. Die Grundgesetz-Tour des Vereins Mehr Demokratie machte am 24. Juli vor dem Reichstag Station. Mit einem sieben Meter hohen aufblasbaren Grundgesetz, in das ein Pfeil mit der Aufschrift "Faire Volksentscheide" hineinragte, tourten Aktive des Vereins durch verschiedene Bundesländer. Mit der Aktion "Volksentscheid ins Grundgesetz" fordert ein Bündnis von Organisationen, dem neben Mehr Demokratie auch BUND, Attac, ver.di, Sozialverband Deutschland und NABU angehören, die Einführung bundesweiter Volksabstimmungen. Die Kampagne soll Bürgerinnen und Bürger motivieren, aktiv für ihre Beteiligungsrechte einzutreten. "Wir haben bereits heute die Möglichkeit, Befürworter bundesweiter Volksabstimmungen zu wählen", erläutert Pump. Mit Blick auf die Bundestagswahl befragt Mehr Demokratie Kandidatinnen und Kandidaten aus allen 299 Wahlkreisen der Bundesrepublik zur Einführung bundesweiter Volksabstimmungen. Über die Homepage www.volksentscheid.de können Bürgerinnen und Bürger mit Hilfe der Postleitzahl die Stellungnahmen ihrer Direktkandidaten abrufen und Flugblätter für ihren Wahlkreis bestellen oder verteilen lassen.
http://demokratie.mine.nu


Petition gegen Privatisierung von Brandenburger Seen gescheitert

POTSDAM. Die Petition gegen die weitere Privatisierung von Brandenburger Gewässern ist gescheitert. Die Online-Petition, deren Frist in der Nacht zum 25. Juli zu Ende ging, unterzeichneten 28.916 Bürger, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) am 26. Juli in Potsdam mitteilte. Besonders in den letzten Tagen vor Ablauf der Frist hätten sich viele Menschen an der Petition beteiligt. Dadurch sei der Server mehrmals zusammengebrochen.

Damit sich der Bundestag mit dem Thema befasst, wären 50.000 Unterschriften nötig gewesen. Mit der Petition wollten Naturschützer einen Aufschub bei der Privatisierung der Seen in Brandenburg erreichen. Der BUND will sich trotzdem weiter gegen die Privatisierung engagieren und setzt daher seine Unterschriftensammlung fort. Bis Ende August würden weitere Unterzeichner gesucht, um der Forderung Nachdruck zu verleihen. Die Unterschriftenliste könne im Internet unter bund-brandenburg.de heruntergeladen werden. - Laut BUND bergen Privatisierungen die Gefahr, dass etwa die Nutzung von Badestellen, Stegen und Ufern durch die Eigentümer verboten oder kostenpflichtig werden könnte. Die Gewässer sollten als öffentlich zugängliches Allgemeingut erhalten bleiben. In Ostdeutschland wurden nach Angaben des BUND in den vergangenen sieben Jahren rund 10.000 Hektar Gewässerfläche privatisiert. Die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) wolle in den kommenden Jahren weitere 15.000 Hektar Seen und Teiche verkaufen. Derzeit stünden der Schulzensee bei Fürstenberg und der Fahrländer See bei Potsdam zum Verkauf.
www.bund-brandenburg.de


"Unternehmen Stadt übernehmen!"

BERLIN. Die Buko (Bundeskoordination Internationalismus) plant einen stadtpolitischen, heißen Herbst 2009 in Berlin, Bremen, Frankfurt/M., Hamburg, Leipzig, und dem Ruhrgebiet. In der bundesweiten Veranstaltungsreihe im September bis November 2009 wird der Arbeitsschwerpunkt Stadtraum der Buko an die vielfältigen Kämpfe gegen die neoliberale Stadtentwicklung anschließen. Die Reihe will die zahlreichen neuen oder schon lange existierenden Projekte und Proteste sichtbar machen - soweit sie sich nicht schon selbst massiv Gehör verschafft haben. In Zeiten vielfacher gesellschaftlicher Umbrüche soll deutlich werden: Es gibt radikale Alternativen zu den aktuellen urbanen Missständen. Dass die Alternativen aber nicht durch vereinzelte Kämpfe, sondern durch eine breite stadtpolitische Bewegung vorangebracht werden, dazu will die Reihe beitragen.
www.buko.info/aktuelles/


Zahltag vor dem Arge-Headquarter

WUPPERTAL. Am 3. August wird der Verein Tacheles e.V. vor der Arge-Zentrale in der Bachstr. 2 "Werther Karre" eine größere Protestveranstaltung ("Zahltag") durchführen. Die Aktion wird unterstützt von verschiedenen örtlichen sozialpolitischen Initiativen und Gruppen sowie überörtlichen Erwerbsloseninitiativen. Zahltag ist eine bundesweite Aktionsform unabhängiger Erwerbslosengruppen. Zum Monatsanfang kommt es regelmäßig zu Verzögerungen bei der Auszahlung der Leistung. Viele Betroffene kommen dann zur Arge, um die Überweisung des Arbeitslosengeldes oder einen Vorschuss zu fordern. Am Zahltag wollen wir auf die alltägliche Zumutungen für Hartz IV-Bezieher/innen aufmerksam machen und gegen die zunehmenden Arge-Schikanen protestieren. Mit der Zahltagaktion soll Protest gegen die alltägliche Arge Entrechtung, Arbeitszwang, Sanktionen, Sozialleistungskürzungen auf die Straße getragen werden ... Inhaltlich wird es um die konkreten Zustände in Wuppertal gehen, die Unerreichbarkeit der Arge Wuppertal, das ständige Verschwinden von Anträgen und eingereichten Schriftstücken und die Weigerung der Arge, zeitnah Eingangsbestätigungen auszustellen. Hier werden die konkreten Missstände aufgezeigt und Änderungen eingefordert.
www.tacheles-sozialhilfe.de


Petition "Weg mit den Atomwaffen!" an die Vereinten Nationen

Die International Trade Union Confederation hat am 10. Juli eine Petition an den UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon initiiert, in der "Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in aller Welt auf eine Verständigung auf einen klaren Weg in Richtung auf die schnellstmögliche Abschaffung der Atomwaffen" drängen. In ihrer Petition heißt es:

"Im Mai 2010 werden die Vereinten Nationen zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages zusammentreffen. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in aller Welt drängen auf eine Verständigung auf einen klaren Weg in Richtung auf die schnellstmögliche Abschaffung der Atomwaffen. Wir fordern: - dass diejenigen Länder, die dem Atomwaffensperrvertrag bisher nicht beigetreten sind, dies tun und dass sich alle Länder uneingeschränkt an den Vertrag halten; - das schnellstmögliche Inkrafttreten des Atomteststoppabkommens; - eine rasche Verständigung auf einen Vertrag über den Produktionsstopp für spaltbare Materialien und - internationale Vereinbarungen über atomwaffenfreie Zonen. Wir befürworten die Forderung der von den Bürgermeistern Hiroshimas und Nagasakis geleiteten Initiative 'Bürgermeister für den Frieden' nach der Abschaffung sämtlicher Atomwaffen bis zum Jahr 2020."
www.atomwaffenfrei.de


"Stoppen Sie die deutschen U-Boot-Lieferungen nach Israel"

BERLIN. In Anbetracht der jüngsten militärischen Drohungen Israels gegenüber dem Iran hat die 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Ärzteorganisation IPPNW am 24. Juli 2009 Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Offenen Brief aufgefordert, die von Israel bestellten zwei weiteren U-Boote der Dolphin-Klasse nicht auszuliefern. Darüber hinaus sollten alle Lieferungen deutscher Waffen und Rüstungsgüter nach Nahost unverzüglich gestoppt werden." Deutschland darf keinerlei Beihilfe für eine weitere Verschärfung des Nahostkonfliktes leisten. Laut den politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, Absatz III, Artikel 5 dürfen Lieferungen von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern in Länder, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht, nicht genehmigt werden", heißt es in dem Offenen Brief.

Die Sunday Times hatte bereits am 7. Januar 2007 israelische Geheimpläne für einen nuklearen Angriff auf den Iran veröffentlicht. Militärischen Quellen zufolge bestünden Pläne, mit Atomwaffen drei Atomanlagen zu zerstören. Dabei sollten Atomwaffen mit geringer Sprengkraft zum Einsatz kommen. "Auch bei einem begrenzten Einsatz von Atomwaffen muss mit einer hohen Zahl ziviler Opfer gerechnet werden", kritisiert die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen. Eine IPPNW-Studie aus dem Jahr 2003 zeigt, dass im Falle des Einsatzes von bunkerbrechenden Atomwaffen ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern radioaktiv verseucht wird. Begleitend zu dem Offenen Brief hat die IPPNW eine Online-Unterschriftenaktion an Angela Merkel initiiert.
www.ippnw.de


VVN-BdA erfolgreich gegen Kameradenkreis Gebirgstruppe

NÜRNBERG. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) darf weiterhin unverändert ihre Dokumentation "Über den Schutz für Kriegsverbrecher und über die Verharmlosung ihrer Taten durch den Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V." verbreiten.

Im Gebäude, in dem auch der Nürnberger alliierte Kriegsverbrecherprozess von 1945/46 stattfand, entschied sich der Präsident des Kameradenkreises, der Bundeswehroberst a.D. Manfred Benkel, dafür, der Fassung der VVN-BdA-Dokumentation nicht länger zu widersprechen, wie sie unter www. nrw.vvn-bda.de zu finden ist. Benkel war darin mit Aussagen zur nicht erfolgten Strafverfolgung für Angehörige der 1. Gebirgsdivision und anderer Edelweißabteilungen der Wehrmacht zitiert worden, die viele Medien veröffentlicht hatten, die er aber der VVN-BdA verbieten wollte. Das Nürnberger Landgericht, vor dem der Kameradenkreis eine einstweilige Verfügung gegen Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, erwirken wollte, machte Benkel und seinem aus dem derzeit laufenden Münchner Scheungraber-Prozess bekannten Anwalt Rainer Thesen klar, dass sie mit ihrem Antrag gegen die VVN-BdA keine Chancen hätten. Darauf hin nahm Benkel seinen Antrag zurück und verpflichtete sich zur Zahlung sämtlicher Kosten des Rechtsstreis einschließlich der Kosten, die der VVN-BdA entstanden.
www.nrw.vvn-bda.de


Aktionstag für den Iran: Hunderte forderten Menschenrechte und Medienfreiheit.

BERLIN. Rund 500 Menschen forderten am 25. Juli 2009 in Berlin auf dem Potsdamer Platz die Einhaltung der Menschenrechte im Iran und bekundeten ihre Solidarität mit den Iranerinnen und Iranern. In 80 weiteren Städten fanden ähnliche Aktionen statt. Viele Teilnehmer waren in schwarz gekleidet und legten weiße Blumen nieder in Gedenken an die mindestens 30 seit der Präsidentschaftswahl am 12. Juni getöteten Menschen. Aufgerufen zu der zentralen Kundgebung hatten die Organisationen Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und P.E.N. Sie forderten die iranische Regierung auf, umgehend Medien- und Versammlungsfreiheit herzustellen, die staatlich unterstützte Gewalt und Folter zu beenden und die Verantwortlichen für die Verbrechen der vergangenen Wochen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Veranstaltung schloss mit einem bewegenden Beitrag der Künstlerin Parastou Forouhar, deren Eltern im Herbst 1998 als Oppositionelle ermordet worden waren. Offiziellen Angaben zufolge wurden bisher mehr als 2.000 Menschen festgenommen, mindestens 40 Journalisten und Blogger sind inhaftiert. Anlass für die Proteste war die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmoud Ahmadinedschad am 12. Juni 2009.
www.amnesty.de


Raute

Wechselnde Mehrheiten im Rat der Stadt Köln und die Politik der Linken von 2004 bis 2009

In Köln hat sich die Tendenz zum Fünf-und-Mehr-Parteiensystem früh niedergeschlagen. Der Trend wird sich voraussichtlich bei den anstehenden Kommunalwahlen verdeutlichen. Der hier dokumentierte Rückblick zeigt Chancen und Risiken, die daraus für linke Politik folgen.


Einleitung

Nach der Kommunalwahl am 30. August 2009 werden neue Mehrheitsverhältnisse im Kölner Stadtrat entstehen. Wie genau, darüber spekulieren nicht nur die Medien und die bürgerlichen Parteien, sondern natürlich auch die Wählerinnen und Wähler der Linken und der gesamte Kölner Kreisverband.

Die Frage, wer Oberbürgermeister der Stadt Köln wird, ist eine wichtige Frage, da der Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung einen großen Handlungsspielraum hat. Entscheidend für die sozial und emanzipatorisch engagierten Menschen in der Stadt wird aber sein: Mit wie vielen Ratsmitgliedern wird Die Linke diesmal im Rat vertreten sein?

Nutzt der Wahlkampf den fortschrittlichen, außerparlamentarischen Kräften, um ihre Anliegen in den Vordergrund zu rücken? Kann Die Linke gestärkt in den Rat einziehen und mit mehr Ratsvertretern mehr bewegen? Wird das bürgerliche Lager unter Druck kommen und so dazu bewegt werden, Zugeständnisse an Die Linke und die sozialen Bewegungen zu machen? Kurz gesagt, werden die antikapitalistischen Kräfte gestärkt und die reaktionären und neoliberalen Kräfte geschwächt?

Das konservativ-liberale Lager - die Herrschenden in dieser Stadt - hatten schon lange vor dem Rücktritt von Oberbürgermeister Schramma Signale ausgesendet: Wer den "Kölner Stadt-Anzeiger" zwischen den Zeilen gelesen hat, konnte zu dem Eindruck kommen, die Herrschenden dieser Stadt favorisieren eine Koalition von SPD, Grünen und FDP mit einem neuen Oberbürgermeister.

In vier Wochen wissen wir mehr. Die Linke sollte jetzt in Köln deutlich machen, dass sie mit wechselnden Mehrheiten entscheidend dazu beigetragen hat, dass der Stadtrat wichtige soziale Entscheidungen trifft. Ohne Die Linke wäre diese Politik nicht möglich gewesen.

Das bestätigt sogar die CDU, die von "rot-rot-grünen Machtverhältnissen" spricht (1), oder die FDP, die erklärt "Köln tut viel, um Arbeitslosen und Hartz IV-Empfängern das Leben erträglicher zu machen. Der Oberbürgermeister (CDU) und eine Ratsmehrheit aus SPD, Grüne und Die Linke tun aber viel zu wenig, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen." (2)

Die Unterstellung der FDP, Die Linke wäre zwar sozial, würde aber keine Arbeit schaffen, ist an den Haaren herbeigezogen. Die Linke im Rat war die einzige Partei, die Ein-Euro-Jobs abgelehnt hat und stattdessen für die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen eingetreten ist.

Positive Beschlüsse mit wechselnden Mehrheiten

Wechselnde Mehrheiten waren und sind für Die Linke kein Selbstzweck, sondern eine Möglichkeit, soziale und emanzipatorische Forderungen überhaupt durchzusetzen. Drei von vier Ratsmitgliedern der Fraktion (Ratsmitglied Claus Ludwig war anfänglich Einzelmandatsträger und dann für Gemeinsam gegen Sozialraub/GgS Mitglied der Fraktion) haben drei sozialdemokratische Beigeordnete mitgewählt. In einem Bericht "Kölsche Volksfront? - Erfolgreiche Initiativen der Fraktion Die Linke. Köln im vergangenen Jahr unter wechselnden Mehrheiten" schreiben im November 2006 Özlem Demirel, Jörg Detjen und Michael Kellner:

"Die Wahl aller drei Beigeordneten stellt insgesamt keine Verschlechterung des Status Quo dar, sondern eher eine Verbesserung. Sie veränderte die Fixierung der Verwaltung zu ungunsten der CDU. Außerdem trugen die wechselnden Mehrheiten bei der Wahl der Beigeordneten dazu bei, dass folgende Forderungen im Rat durchgesetzt werden konnten:

• Einrichtung einer ausländerrechtlichen Beratungsstelle (von uns angeregt)
• Lernmittelfreiheit für ALG II-Empfänger und Asylbewerber
• Köln-Pass: Anwendung auch für Arme bei 10% über den Regelsatz
• Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz" (3)

Dazu kamen in den folgenden Jahren:
• 2005: Beitritt der Stadt Köln zur Internationalen Städte-Koalition gegen Rassismus
• 2006: 100 Ausbildungsplätze bei der Stadt Köln und eine feste Ausbildungsquote von 6%
• 2006: Info- und Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus
• 2006: Erstellung einer Dokumentation des Zwangsarbeiter-Besuchsprogrammes in Köln
• 2006: Eine Stelle im Museumsdienst für die Ermittlung von Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus
• 2007: Rücknahme der Schließungen der Hallenbäder in Nippes, Weiden und Rodenkirchen bis 2011, Einrichtung von Beiräten für Schwimmbäder und Sanierungskosten des Nippesbades von ca. 150.000 Euro
• 2007: Einrichtung eines Ausbildungsbüros Schule - Beruf
• 2007: Mehr Plätze im Gemeinsamen Unterricht
• 2007: Rücknahme Abbau von zwei ganzen Stellen bei den Schulbibliotheken
• 2007: Einführung eines Sozialtarifs für Strom und Gas (Ratsbeschluss, nicht umgesetzt)
• 2007: Überprüfung des Baues der Messehallen durch den Rechnungsprüfungsausschuss
• 2008: Managergehälter offenlegen und begrenzen
• 2008: Ausbau und Erweiterung des Naturfreundehauses in Kalk für neue Formen der Kinder- und Jugendarbeit (Volumen von ca. 170.000 Euro)
• 2009: Stopp der Planungen der Ost-West-Stadtbahn
• 2009: Erstausstattung für Schulanfänger von 160 Euro für Eltern mit Köln-Pass
• 2009: Ausweitung des Köln-Passes auf Anspruchsberechtigte von 110 auf 130% des Regelsatzes von Hartz IV

Im März 2008 berichten Özlem Demirel, Jörg Detjen und Michael Kellner erneut über die wechselnden Mehrheiten und über deren Außenwahrnehmung:

Die "Bildzeitung" schrieb am 7. März unter der Überschrift "Wie viel Ypsilanti steckt in Köln?": "Schon jetzt nutzt das rot-grüne ,Kernbündnis' die Linkspartei so oft als Mehrheitsbeschaffer im Kölner Rathaus, dass man getrost von Rot-Rot-Grün reden kann. Wie gefährlich diese Strategie für die SPD ist, hat sich am vergangenen Dienstag im Rat gezeigt: Da ging die Initiative zu dem Beschluss, Manager städtischer Unternehmen müssten künftig ihre Gehälter offen legen, eindeutig von den Linken aus. Wer mit den Linken zusammen arbeitet, macht sie hoffähig. Und wenn sie so clever und sachkundig sind wie in Köln, wird es ihnen am Ende mehr nutzen als der SPD." (4)

Wechselnde Mehrheiten der Linken mit SPD und Grüne gab es vor allem in sozialen Forderungen. Das kann man an der oben aufgeführten Liste von umgesetzten Forderungen deutlich erkennen.


Unüberbrückbare Differenzen

Dagegen gibt es bei vielen Themen unüberbrückbare Differenzen. In der Frage von Ein-Euro-Jobs blieben und bleiben SPD und Grüne eiskalt. Unser Kompromissvorschlag, statt Ein-Euro-Jobs sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, wurde abgelehnt.

Bei der Aufklärung der Millionen-Verluste beim Bau der Kölner Messehallen konnte Die Linke zwar das Einschalten des Rechnungsprüfungsamtes durchsetzen. Das führte auch zu neuen Erkenntnissen über die schlechte Arbeit des Oberbürgermeisters und des Stadtkämmerers Soénius, klärte aber den Fall letztlich nicht auf. Die entscheidende Forderung nach einem Wertgutachten lehnten SPD und Grüne ab.

Erhebliche Differenzen gab es auch bei der Beurteilung der Arbeit der Sparkasse. Die Linke lehnte den Kredit für die Erhöhung der Eigenkapitaleinlage strikt ab, weil bis heute die Geschäfte und Machenschaften des Vorstands der Sparkasse KölnBonn intransparent sind.

Der völlig unsystematische Ankauf von Energieunternehmen durch die RheinEnergie fand nur Kritik bei der Linken. Die RheinEnergie will ein Global Player werden und verliert immer mehr den Charakter eines regionalen Energieunternehmens. Nicht ohne Grund setzte sich Prof. Bietmann genau in diesem Aufsichtsrat fest. Die Linke will kommunale Unternehmen stärken, aber die Unternehmen müssen noch mit kommunalen Strukturen zu führen sein.

Über die Ursachen und Hintergründe des Einsturzes des Stadtarchivs, bei dem zwei junge Menschen zu Tode kamen und Jahrhunderte alte Kulturgüter vernichtet wurden, wird bis heute noch viel diskutiert. Die Linke sieht in der großen Verwaltungsstrukturreform von 2000 einen Hauptgrund. Die U-Bahntrassen in Ehrenfeld, Kalk und Mülheim wurden von der Stadt gebaut, geleitet durch ein eigenes Tiefbaudezernat. Das gibt es nicht mehr. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob die 3. Baustufe der Nord-Süd-Stadtbahn wieder von der Stadt gebaut würde, und hoheitliche Aufgaben nicht weiter ausgegliedert werden sollten. Die bürgerlichen Parteien haben diese Fragen offen gelassen. Zu befürchten ist, dass nach der Kommunalwahl die alte Politik fortgesetzt wird.

Gerade in den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass sich die kommunalen Unternehmen verselbstständigen und der Einfluss des Rates nur noch sehr gering ist. So war die Umsetzung des Ratsbeschlusses für einen "Sozialtarif Strom" nicht möglich, weil der Vorstand des Unternehmens dies rundweg ablehnte.

Oder: Der Austritt der Sozialbetriebe Köln (SBK) aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband war eine einsame Entscheidung des Geschäftsführers. Der Aufsichtsrat und der Rat hatten nicht das Rückgrat, diesen Mann zurückzupfeifen. Zumindest die Grünen geben offen zu, dass sie einen abgesenkten Haustarif favorisieren. Zwei Anträge der Linken, den Austritt aus dem Arbeitgeberverband zurückzunehmen, wurden vom Rat abgelehnt.

Weitere Differenzen gegenüber den bürgerlichen Parteien und der Stadtverwaltung wurden in der letzten Ratssitzung vor der Kommunalwahl deutlich. Die Linke hatte beantragt, das Bankhaus Sal. Oppenheim beim Wort zu nehmen und die Mietkosten für das Messegeschäft auf 700 Mio. Euro zu begrenzen. Das hatte immerhin der Geschäftsführer des Bankhauses, Graf Krockow, in einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber dem Schriftsteller Werner Rügemer getan. Alle bürgerlichen Parteien lehnten diesen Antrag ab, genauso wie die Forderung der Linken, das Bankhaus an den entstandenen Verlusten der Sparkasse beim Bau der RTL-Hallen durch eine Schadensausgleichszahlung bzw. Beteiligung an den Schulden der Sparkasse durch eine stille Einlagen bzw. den Erwerb von Genussrechten zu beteiligen. "Man würde ja ständig verhandeln...", war die lapidare Antwort der Parteien.

Auf die Bemerkung in der Rede der Linken: "Sie (OB Schramma) treffen die Oppenheim Leute doch öfter", gab Schramma einer Erklärung ab:

"... ich möchte hier nur zu Protokoll geben, dass Ihre Aussage, ich träfe mich mit den Oppenheim-Leuten, höchstens eine politische, aber keine wahre Aussage ist - damit das einmal deutlich ist." (5)

Um so schlimmer, wenn der erste Bürger der Stadt nicht seinen Bankern ins Gewissen redet.


Schlussbemerkung

Die wechselnden Mehrheiten haben in gewisser Weise auch Oberbürgermeister Fritz Schramma zu Fall gebracht. Und zwar in zweierlei Hinsicht:

Er hätte selber als Chef der Verwaltung eine solche Politik betreiben müssen. Er hätte die Themen setzen und sich die Mehrheiten dazu organisieren müssen. Das hat er nicht getan - ein kapitaler Fehler.

Durch die Wahl der drei sozialdemokratischen Beigeordneten kam Oberbürgermeister Schramma in seinem Stadtvorstand sogar in die Minderheit. In dem Moment, als die große Krise mit dem Einsturz des Stadtarchivs eintrat, verlor Schramma die Nerven und konnte nicht mehr unterscheiden, für was er eigentlich "verantwortlich" war, als Person und als Oberbürgermeister.

Jörg Detjen, Fraktionsvorsitzender der Linken im Kölner Stadtrat

Quellen:
(1) Wahlprogramm der Kölner CDU, 11 Punkte für Köln, Seite 3.

(2) Wahlprogramm der Kölner FDP, "Köln kann mehr. Köln entwickeln, bewegen und beleben", Seite 1.

(3) Kölsche Volksfront? - Erfolgreiche Initiativen der Fraktion Die Linke. Köln im vergangenen Jahr unter wechselnden Mehrheiten, November 2006.

(4) Bericht der Mitglieder der Ratsfraktion - Özlem Demirel, Jörg Detjen und Michael Kellner - über ihre Arbeit von Ende 2006 bis Anfang. 2008. März 2008.

(5) 51. Sitzung des Rates der Stadt Köln vom 30. Juni 2009, Ratsprotokoll, Seite 33.


Raute

Kommunalwahl Stuttgart: Statistischer Nachtrag


Stimmengewinne durch Panaschieren von ... Stimmabgabe durch Panaschieren an ...

Die Linke

insgesamt
Grüne
SPD
SÖS
CDU
FDP
Freie Wähler
REP
sonstige
Zugewinne
in %
Abgabe
in %
85.904
100%
64.481
100%
36.783
42,8%
21.371
33,1%
20.579
24,0%
12.768
19,8%
14.020
16,3%
15.592
24,2%
3.456
4,0%
2.301
3,6%
2.827
3,3%
3.043
4,7%
4.322
5,0%
4.029
6,2%
3.199
3,7%
2.797
4,3%
718
0,8%
2.580
4,0%
Saldo
21.423
15.412
7.811
-1.572
1.155
-216
293
402
-1.862

Stuttgart - Ökologisch - Sozial (SÖS)

insgesamt
Grüne
SPD
Linke
CDU
FDP
Freie Wähler
REP
sonstige
Zugewinne
in %
Abgabe
in %
129.480
100%
76.271
100%
75.415
58,2%
33.257
43,6%
15.417
11,9%
9.024
11,8%
15.592
12,0%
14.020
18,4%
7.805
6,0%
3.395
4,5%
4.106
3,2%
3.815
5,0%
7.671
5,9%
6.132
8,0%
2.461
1,9%
2.436
3,2%
1.013
0,8%
4.192
5,5%
Saldo
53.209
42.158
6.393
1.572
4.410
291
1.539
25
-3.179

Die Grünen

insgesamt
SPD
SÖS
Linke
CDU
Freie Wähler
FDP
REP
sonstige
Zugewinne
in %
Abgabe
in %
347.419
100%
405.326
100%
154.237
44,4%
146.490
36,1%
33.257
9,6%
75.415
18,6%
21.371
6,2%
36.783
9,1%
68.233
19,6%
42.695
10,5%
39.807
11,5%
53.275
13,1%
26.841
7,7%
39.434
9,7%
2.355
0,7%
3.706
0,9%
1.318
0,4%
7.528
1,9%
Saldo
-57.907
7.747
-42.158
-15.412
25.538
-13.468
-12.593
-1.351
-6.210

SPD

insgesamt
Grüne
SÖS
Linke
CDU
Freie Wähler
FDP
REP
sonstige
Zugewinne
in %
Abgabe
in %
322.734
100%
330.501
100%
146.490
45,4%
154.237
46,7%
9.024
2,8%
15.417
4,7%
12.768
4,0%
20.579
6,2%
89.604
27,8%
49.731
15,0%
40.332
12,5%
49.919
15,1%
20.744
6,4%
31.744
9,6%
2.291
0,7%
3.331
1,0%
1.481
0,5%
5.543
1,7%
Saldo
-7.767
-7.747
-6.393
-7.811
39.873
-9.587
-11.000
-1.040
-4.062

sonstige: Aktion Graue Panther und Einzelkandidat Weltaktion


Aus den Zahlen, die das Statistische Amt der Stadt jetzt vorgelegt hat, ist ersichtlich, dass die Wähler kräftig mitgemischt haben, immerhin 42,3% im Durchschnitt waren nicht einverstanden mit der Reihenfolge, wie sie die Parteien und Gruppen vorgeschlagen hatten; sie haben den Stimmzettel verändert, indem sie Kandidaten gezielt auswählten und ihnen bis zu drei Stimmen gaben (kumulieren). Dabei ändert sich diese Unzufriedenheit mit der Liste je nach Partei: am wenigsten geändert haben FDP-Wähler; am meisten Änderungen auf der Liste gab es bei den REP, der Linken und der CDU.

Immerhin 17% der Wähler fanden Kandidatinnen oder Kandidaten anderer Listen für wählenswert und haben sie auf ihrer bevorzugten Liste hinzugefügt und mit einer bis zu drei Stimmen gewählt. Davon haben die verschiedenen Listen ganz unterschiedlich profitiert; am wenigsten konnten CDU, Grüne und REP durch Panaschieren gewinnen; die höchsten Zugewinne verzeichnen die Freien Wähler, SÖS und die FDP.

In der Tabelle oben sind die detaillierten Ergebnisse von Stimmgewinnen und Stimmverlusten durch Panaschieren für die "linken" Parteien und Gruppierungen vorgestellt: von welcher anderen Partei kamen Stimmen und an welche andere Partei wurden Stimmen abgegeben. Das ist von besonderem Interessen, weil sich viele fragen, wird die neue knappe Mehrheit im Gemeinderat von 31 Stimmen aus Grünen, SPD und SÖS und die Linke zum Tragen kommen, hat das in der jeweiligen Wählerschaft tatsächlich eine ausreichende Basis.

Für die Wählerinnen und Wähler von SÖS und die Linke gilt das auf jeden Fall: Bei der Linken stammen fast 75% der Zugewinne aus dem "linken" Lager; erstaunlich ist, dass die Zugewinne von den Grünen höher sind als von der SPD. Eine mögliche Erklärung: das sind grüne Wähler, die eine soziale Korrektur für ihre Partei wünschen. Dieses Motiv spielt für SPD-Wähler wahrscheinlich nicht diese Rolle; die SPD-Fraktion im Gemeinderat hat in den letzten Jahren die sozialen Themen durchaus wieder entdeckt.

Umgekehrt gilt das ebenfalls: Linke-Wähler haben eher Grüne oder SÖS gewählt und weniger die SPD. Die heutige Linke ist zu einem erheblichen Teil "Fleisch vom Fleische" der SPD. Da steht dann die Abgrenzung im Vordergrund. Bei dieser Konstellation entscheidet der Wähler sich entweder für die Einen oder die Anderen und weniger für ein Sowohl-als-auch.

SÖS mag bei Linken-Wählern wegen der radikalen Worte gegen Stuttgart 21 gewonnen haben. - Bei SÖS gibt es im Wählerfeld am meisten Überschneidungen mit den Grünen; aber auch ein beachtlicher Teil der SÖS-Wähler hat Stimmen an die Linke gegeben, so dass die gebildete Fraktionsgemeinschaft vielleicht tragfähig ist.

Bei den Grünen-Wählern überwiegen zwar die Überschneidung mit links, also SPD, SÖS und Linke, aber es gibt doch einen beträchtlichen Teil der Wähler, der sich eher in Übereinstimmung mit dem bürgerlichen Lager sieht.

Noch größer sind diese Überschneidungen mit dem bürgerlichen Lager bei der SPD: zwar gibt es in der SPD beachtliche Sympathien für die Grünen; aber nur eingeschränkt für SÖS und die Linke.

Alfred Küstler

Raute

KOMMUNALE POLITIK

Droht eine Zerschlagung der Münchner Verkehrsbetriebe? MÜNCHEN. Die Münchner Verkehrsbetriebe haben einen Einstellungstopp für den städtischen Busbetrieb verhängt. Auch sollen laut vorliegenden Informationen, die Verträge von 113 befristet Beschäftigen nicht verlängert werden. Gleichzeitig haben die betroffenen Busfahrerinnen und Busfahrer den Hinweis erhalten, dass sie sich alternativ bei der U-Bahn, Tram oder den Münchner Linien bewerben könnten. Vor diesem Hintergrund stellt der Stadtrat der Linken Orhan Akman folgende Fragen: "Welchen Zweck verfolgt die SWM mit dem Einstellungsstopp und den Kündigungen? Soll der Busbetrieb ausgegliedert werden? Wie richten sich die Münchner Verkehrsbetriebe aus und welche konkrete Veränderungen (Ausgliederungen, Verkauf von Sparten, Tarifflucht etc.) sind für die nächsten drei Jahre in Planung? Begründung: Aufgrund der oben genannten Informationen verdichten sich die Hinweise, dass der kommunale Münchner Verkehrsbetrieb zerschlagen werden soll. Der Einstellungsstopp und die auslaufenden Verträge der befristet Beschäftigen im Bussektor legen die Vermutung nahe, dass der Busbetrieb ausgegliedert werden soll."
www.dielinke-muenchen-stadtrat.de


Neue Leuchttürme auf Kosten sozialer Projekte: HAMBURG. Zu dem Beschluss des Senats zum Rahmenprogramm für integrierte Stadtteilentwicklung erklärt Dr. Joachim Bischoff, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linken: "Angesichts der Finanzpolitik des Senates und den bereits angekündigten Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor, scheint es unverantwortlich weitere Projekte anzuschieben, ohne zu klären, woher die Stadt das Geld nehmen soll. 29 Millionen sind eine Summe, die sich die Stadt schon lange nicht mehr leisten kann." "Anstatt eine Sicherung der vorhandenen sozialen Netzwerke und Ressourcen vorzunehmen, wird hier gestrichen und gespart zugunsten neuer Leuchtturmprojekte des Senats. Das wird vor Ort nicht auf Begeisterung stoßen, wenn gleichzeitig an anderen sozialen Projekten gespart wird." Daneben weist das Konzept mehrere Schwachstellen auf: Die Bezirke übernehmen die Gesamtverantwortung für die Durchführung aller Maßnahmen, haben aber gleichzeitig nur ein sehr eingeschränktes Planungs- oder Vetorecht. Das benötigte Personal soll größtenteils aus Ein-Euro-Jobbern oder anderen prekär Beschäftigten bestehen.
www.die-linke-hh.de


An Schließung des Flughafens Essen-Mülheim festhalten. ESSEN. Die Linke Essen-West unterstützt die Forderungen des Aktionspapiers der Stadtteilkonferenz Haarzopf am 29.6.2009, die auf Initiative der Schutzgemeinschaft gegen Fluglärm zustande kam. Sie bekräftigt insbesondere die Forderungen des Essener Ratsbeschlusses vom 28.3. 1990, nach dem die derzeitige Nutzung des Geländes als Flughafen sobald wie möglich aufgegeben werden soll und bis dahin alles getan werden soll, um die unerträgliche Situation für die betroffenen Bürger zu erleichtern. Die Linke Essen-West wurde im Gegensatz zu den anderen Ratsparteien nicht zu der Konferenz eingeladen. Wir finden es gut und dringend nötig, dass die Stadtteilkonferenz über alle Parteigrenzen hinweg die auch vom Rat der Stadt Essen beschlossenen Forderungen noch einmal zu bekräftigen, so Wolfgang Freye, Vertreter der Partei Die Linke in der Bezirksvertretung III Essen-West. Die Anwohnerinnen und Anwohner werden durch tieffliegende Düsenjets, Schulflüge und Hubschrauberflüge gerade an Sonn- und Feiertagen belästigt. Deswegen halten wir es für besonders wichtig, dass die Sondergenehmigung für die Düsenflugzeuge zurückgenommen wird und die Flugbewegungen z.B. durch ein Verbot an Wochenenden und Feiertagen eingeschränkt werden. Und die Einrichtung einer Beschwerdestelle könnte immerhin dazu führen, dass sich die Anwohnerinnen und Anwohner endlich ernst genommen fühlen. Nach Auffassung der Partei Die Linke Essen-West sollte auch die Stadt Mülheim ihren fraglichen Ratsbeschluss pro Flughafen endlich überprüfen und sich den Forderungen nach Maßnahmen zur Erleichterung der Situation für die Anwohnerinnen und Anwohner anschließen. Der Beschluss war 2001 mit nur einer Stimme Mehrheit zustande gekommen. Die Mehrheitsverhältnisse dürften sich inzwischen geändert haben.
www.dielinke-essen.de


Die Linke legt OB-Kandidaten Roters auf Zuzugsbonus fest. KÖLN. Auf der gestrigen Veranstaltung des AStA der Universität zur Kommunalwahl 2009 erklärte der OB-Kandidat von SPD und Bündnis90/Die Grünen, Jürgen Roters, dass er die Zweitwohnungssteuer abschaffen wolle. Die Linke Köln hat sich schon vor Jahren gegen die Zweitwohnungssteuer ausgesprochen und sich zusammen mit dem AStA der Uni Köln 2003 gegenüber Schwarz-Grün durchsetzen können. Damals wurde auf Grund einer linken Ratsinitiative statt einer Zweitwohnungssteuer ein Zuzugsbonus eingeführt, wenn ein Student sich mit dem ersten Wohnsitz in Köln anmeldet. Diese Regelung wurde dann 2004 von der Großen Koalition von CDU und SPD wieder abgeschafft. Fraktionsvorsitzender Jörg Detjen sprach Roters auf der AStA-Veranstaltung auf dieses Thema an. Dazu erklärt Jörg Detjen: "Einen Zuzugsbonus sieht das Programm des rot-grünen OB-Kandidaten bisher nicht vor. Herr Roters sagte auf der Uni-Veranstaltung aber zu, dass der Zuzugsbonus wieder eingeführt wird. Mit Gutscheinen der städtischen Beteiligungsunternehmen (Schwimmbäder, Museen, Oper, Zoo u.a.) im Wert von ca. 110 Euro - so war die Regelung 2003 - kann die Stadt neuen Studenten ... sozial helfen." Der Vorschlag wurde von den anwesenden Studentinnen und Studenten unterstützt.
www.linksfraktion- koeln.de


Bundesbeteiligung an den Hartz IV-Wohnkosten. BERLIN. Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat den Bund aufgefordert, die Berechnungsgrundlage für seine Beteiligung an den Wohnkosten für Hartz IV-Empfänger zu korrigieren. Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Hans-Günter Henneke sagte dem Handelsblatt: "Die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft soll die Kommunen vor zusätzlichen Belastungen schützen und darüber hinaus für eine gesetzliche Entlastung von 2,5 Mrd. Euro jährlich sorgen. Diese Zwecke werden von Beginn an verfehlt. Paradoxerweise steigen unsere Kosten, aber der Bund überweist immer weniger an die Kommunen. Das Problem ist, dass die Berechnung die Entwicklung der Haushalte und nicht die Entwicklung der Kosten betrachtet und außerdem der tatsächlichen Situation hinterher hinkt. Das muss unbedingt behoben werden." In den Wohnkosten liege immenser Sprengstoff für die kommunalen Haushalte. Bereits jetzt seien aufgrund der noch langsam zunehmenden Zahl von Hartz IV-Haushalten trotz des verlängerten Kurzarbeitergeldes steigende Belastungen bei den Kreisen festzustellen. "Wenn die Kurzarbeiterregelung ausläuft, werden die Kreise erst das ganze Ausmaß der Krise spüren", so Henneke. Die Bundesbeteiligung werde im nächsten Jahr voraussichtlich erneut abgesenkt werden und einen Tiefstand von 23 % erreichen. Das seien fast drei Prozentpunkte weniger als noch in diesem Jahr. Die kommunalen Lasten, die schon in den Vorjahren nicht wie vorgesehen ausgeglichen worden seien, erhöhten sich damit 2010 um mindestens 1 Mrd. Euro.
www.kreise.de


Wanderärzte für die Dörfer? GIFHORN. Mit Unverständnis reagiert der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) auf eine Forderung der Bundesgesundheitsministerin, die im Kampf gegen den Ärztemangel Ärzte tageweise von Dorf zu Dorf ziehen lassen will. "Die Bürgerinnen und Bürger außerhalb von Großstädten dürfen nicht von der hausärztlichen Grundversorgung abgeschnitten werden. 'Wanderärzte' sind keine Lösung für die Menschen, die ihren Arzt jeden Tag vor Ort brauchen. Ärzte sollen nicht 'wandern' oder dauernd reisen, sondern die Menschen im Ort behandeln. Zudem ist dieser Beruf auch für die Ärzte selbst wenig attraktiv", erklärte die Gesundheitsexpertin des Spitzenverbandes der kreisangehörigen Städte und Gemeinden Katharina Augath. Eine flächendeckende ortsnahe Betreuung durch Hausärzte gehöre zu den Grundpfeilern der Daseinsvorsorge. Bis zum Jahr 2020 werden in Niedersachsen über 3.000 neue Hausärzte benötigt, um den jetzigen Versorgungsstandard zu erhalten. Deshalb ruft der Verband alle an der Ärzteversorgung Beteiligten auf, endlich konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Hausärztemangels zu ergreifen. Der Städte- und Gemeindebund empfiehlt daher, dass flexiblere Planungs- und Zulassungsinstrumente sowie bessere finanzielle Anreizsysteme geschaffen werden. "Nur so kann gezielt auf die Bedürfnisse vor Ort eingegangen werden", ergänzte Augath. Eine Möglichkeit, gegen den Mangel an Hausärzten vorzugehen sei beispielsweise die Auflegung eines Stipendienprogramms nach dem Vorbild Sachsens. Dort werden Medizinstudenten, die sich zur späteren Niederlassung als Hausarzt verpflichten, finanziell gefördert.
www.nsgb.info


UL-Fraktion fordert mehr Bürgerbeteiligung. FREIBURG. Die Fraktion der Unabhängigen Listen beauftragt die Verwaltung in einem Antrag zur nächsten Gemeinderatsitzung am 30.6.2009 bis zum 17. November eine inhaltliche und politische Evaluation des 1. Freiburger Beteiligungshaushaltes dem Gemeinderat zur Diskussion und Beschlussfassung vorzulegen. Außerdem wird die Verwaltung aufgefordert einen Vorschlag zu unterbreiten, wie der Prozess Beteiligungshaushalt für den Doppelhaushalt 2011/12 und die folgenden Jahre durchzuführen ist, insbesondere wie eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung in den Stadtteilen durch Stadtteilkonferenzen oder ähnlichem zu gewährleisten ist.
www.linke-liste-freiburg.de


(Zusammenstellung: ulj)

Raute

Kita-Streik: Aufwertung der Erziehungsberufe

Der Kita-Streik, der uns die letzten Wochen begleitet hat, beruht auf einer Veränderung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Familie und öffentlichen Einrichtungen. Die Situation der modernen Familien ermöglicht eine Integration der kleinen Kinder ins Alltagsleben fast gar nicht mehr. Auch in der Familie wird die Erziehungsleistung zur besonderen, pädagogischen Anstrengung. Es gibt einfach zu wenig Gelegenheit zum Lernen durch unmittelbare Anschauung, durch Interaktion in einfachen Arbeits- und Freizeitabläufen. Auf jeden Fall fehlt die nötige Zeit. Die Erziehungsberufe gibt es schon lange. Sie sind als Integration einfacher Hilfsleistung in die Familien entstanden, Ammen, Kindermädchen waren Dienstboten, reine Hilfsarbeiterinnen der Hausfrau. Ganz anders heute. Die Erziehungsberufe müßten näher bei den freien Berufen eingeordnet werden, die Eltern eher als Klienten, Patienten oder wie immer man die Kundschaft der Freiberufler nennen will.

Kinder sind keine Sachen. Das Erziehungswesen würde als produzierendes Gewerbe missverstanden. Sogar als Dienstleistung geht es um etwas hoch Spezifisches: Das Erziehungswesen kann seine Leistung ohne Kooperation mit den Eltern, den Familien nicht vollbringen. Zwischen Eltern, Kindern, Erzieher/innen ist ein Vertrauensverhältnis erforderlich, das nur entsteht, wenn man sich persönlich kennt und wechselseitig als Person anerkennt.

Im Spannungsfeld zwischen den harten vertraglichen Regeln, die Gesellschaft konstituieren, und der bis auf die Gefühlsebene und das Unausgesprochene reichenden Übereinstimmung, die eine Gemeinschaft stabilisiert, liegt eine Einrichtung wie die Kita, wenn man so will, dazwischen.

Arbeitskampf und Streik gehören in die Welt des Gesellschaftlichen. Hier steht ein Vertrag zur Debatte, es geht um ein Geschäft. Es ist klar, dass die Beziehungen zwischen Kindern, Erziehungspersonal und Eltern durch derartige Aktionen, durch den Streit "um die geschäftliche Seite" belastet werden.

Mit Blick auf die Ordnung der Gesellschaft wird aber klar, dass die Veränderung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der Kultur der Kindererziehung kaum anders als durch eine kämpferische Bewegung der Träger/innen der Erziehungsberufe entwickelt werden kann. Das merken auch die unmittelbar betroffenen Eltern, deswegen war das "Verständnis" groß.

Trotzdem kann man sich für die Zukunft merken, dass die Konzeptdiskussion über Ausgestaltung und Veränderung im Erziehungswesen ganz erheblich intensiviert, zusammen mit den Eltern und in der Öffentlichkeit geführt werden muss, damit diese Auseinandersetzungen, die mit dem Verhandlungsergebnis nicht erledigt ist, von einem Bündnis zwischen Eltern und Trägern der Erziehungsberufe getragen werden kann, das klare Anforderungen an die Träger der Einrichtungen formuliert.

Martin Fochler


*


Sozial- und Erziehungsdienste: Tarifeinigung, Stellungnahme Verdi, 27.7.2009:

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) haben sich in der achten Verhandlungsrunde auf eine bessere Bezahlung und einen Gesundheitsschutztarifvertrag für die kommunalen Sozial- und Erziehungsdienste geeinigt. Von der am Montagmorgen in Frankfurt/Main nach einem fünftägigen Verhandlungsmarathon erzielten Einigung profitieren rund 220.000 Beschäftigte.

"Der Einstieg in die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe ist gelungen. Und damit wird deutlich gemacht, was Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen leisten", betonte der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske. Wichtig sei, dass der betriebliche Gesundheitsschutz, dessen Regelungen weit über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen würden, tarifvertraglich verankert wurde (...).

Gleichzeitig sind neue Regelungen zur Bezahlung vereinbart worden. Damit sei eine neue Entgelttabelle für die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes geschaffen worden, durch die sie bessergestellt würden. "Neueingestellte haben ab 1. November 2009 deutlich mehr Geld. Die Benachteiligung der vergangenen Jahre ist damit endlich Geschichte", sagte der Verdi-Chef. (...) Am kommenden Freitag erhalten die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste einen halben Tag frei, um über das Tarifergebnis zu diskutieren. Anschließend wird eine Urabstimmung über die Annahme des Tarifergebnisses durchgeführt. Die Streikdelegiertenversammlung sowie die Bundestarifkommission haben dem Ergebnis bereits zugestimmt ...


*


Pressemitteilung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) vom 27.7.2009:

Frankfurt am Main. Nach einem Verhandlungsmarathon über fünf Tage und Nächte konnten kommunale Arbeitgeber und Gewerkschaften vorbehaltlich der Gremienbeteiligung eine Einigung für den Sozial- und Erziehungsdienst erzielen. Die Mitgliederversammlung der VKA hat dieser Einigung am Vormittag zugestimmt.

"Wir haben in harten und inhaltlich schwierigen Verhandlungen ein Ergebnis erreicht, mit dem die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst mehr Geld erhalten", so VKA-Präsident Dr. Thomas Böhle. "Die kommunalen Arbeitgeber haben zugleich dem Druck, dem sie von vielen Seiten ausgesetzt waren, widerstanden und eine Tarifeinigung getroffen, die die schwierige Haushaltslage der Kommunen aufgrund der Finanzkrise berücksichtigt. Die kommunalen Arbeitgeber haben damit zugleich das ihre getan, um die Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst zu beenden, vor allem im Interesse der betroffenen Eltern und Kinder."

Die Eckpunkte der Einigung:

Erzieherinnen und Erzieher erhalten ab 1. November 2009 ein Gehaltsplus von rechnerisch rund 150 Euro monatlich, unterschiedlich verteilt auf die verschiedenen Entgeltgruppen.

Erzieherinnen mit Normaltätigkeiten können künftig von 2.040 bis zu 2.864 Euro, Erzieherinnen mit schwierigen Tätigkeiten zwischen 2.140 Euro und 3.250 Euro und Leitungskräfte in Kindertagesstätten zwischen 2.240 Euro und 4.135 Euro im Monat verdienen.

Die Entgelte im Sozialdienst bewegen sich über die verschiedenen Niveaus hinweg künftig zwischen 2.300 Euro und 4.525 Euro.

Auch zum Gesundheitsschutz wurden in Ergänzung zahlreicher bereits bestehender Aktivitäten und Initiativen tarifliche Festlegungen getroffen, wie etwa zum Anspruch auf Gefährdungsanalysen und der Einrichtung von so genannten Gesundheitszirkeln.

Der Abschluss kostet die Kommunen zwischen 500 und 700 Millionen Euro jährlich. "Die finanzielle Mehrbelastung ist für die Kommunen eine harte Nuss. Der monetären Vorleistung muss nun auch eine qualitative Aufwertung des Erzieherinnenberufes folgen", so Böhle. "Frühkindliche Bildung und Erziehung sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, an denen sich Bund und Länder in erheblich größerem Umfang als bisher finanziell beteiligen müssen - vor allem nach den ständigen öffentlichkeitswirksamen Sympathiebekundungen für eine finanzielle Aufwertung des Erzieherinnenberufs von SpitzenpolitikerInnen jeglicher Couleur."

Raute

Historischer gewerkschaftlicher Tarifvertrag bei Smithfield, Tar Heel North Carolina, USA

Nach fünf Verhandlungsmonaten durch den IUL-Mitgliedverband UFCW und einen 17 Jahre langen Kampf für die Anerkennung der Gewerkschaft im weltweit größten Schweinefleischbetrieb, haben Arbeitnehmer ihren ersten Tarifvertrag ratifiziert. Nach fünf Verhandlungsmonaten stimmte eine Mehrheit der 5000 Arbeitnehmern des Betriebs Tar Heel von Smithfield Foods (North Carolina, Vereinigte Staaten) für ihren ersten gewerkschaftlichen Tarifvertrag. Im Dezember 2008 hatten die Arbeitnehmer von Tar Heel für eine Gewerkschaftsvertretung durch den IUL-Mitgliedsverband UFCW gestimmt und sich dafür entschieden, dem UFCW-Ortsverband 1208 beizutreten. Der neue Tarifvertrag bedeutet einen wichtigen Sieg für die Gewerkschaftsbewegung und das Ende eines 17 Jahre langen erbitterten Kampfes für Menschenrechte im weltweit größten Schweinefleischbetrieb in North Carolina, USA, in dem täglich mehr als 32.000 Schweine verarbeitet werden. Der Kampf für die Rechte der Arbeitnehmer von Tar Heel fand nachhaltige internationale Unterstützung durch IUL-Mitgliedsverbände, die Arbeitnehmer bei Smithfield-Tochterfirmen in Europa vertreten.

Der Tarifvertrag gilt für die im Stundenlohn beschäftigten Produktions- und Wartungsarbeitnehmer im Betrieb Tar Heel und ist am 1. Juli 2009 in Kraft getreten. Er bedeutet eine Erhöhung ihrer Löhne und die Anhebung von Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen auf die Gewerkschaftsnormen, die für mehr als 10.000 andere Smithfield-Arbeitnehmer gelten sowie für mehr als 240.000 Beschäftigte in der Fleischund Lebensmittelverarbeitungsbranche mit einem UFCW-Tarifvertrag. Die wichtigsten Bestimmungen des UFCW-Vertrags umfassen:

• Lohnerhöhungen um $1,50/Stunde über die nächsten vier Jahre
• Einen vom Unternehmen gebotenen günstigen Familien-Krankenschutz
• Höheres Kranken- und Urlaubsgeld
• Ruhestandssicherheit durch Schutz des geltenden Pensionsplans
• Weiterführung des paritätischen Sicherheitsausschusses und vom Unternehmen finanzierte Sicherheitsausbildung für Arbeitnehmer
• Garantierte wöchentliche Arbeitszeiten, die den Unterhalt von Familien sichernde Vollzeitarbeitsplätze in der Gemeinde schützen
• Ein Beschwerdeverfahren zur Lösung innerbetrieblicher Probleme
• Drei Tage bezahlten Urlaub beim Tod eines unmittelbaren Angehörigen

"Dieser Vertrag wird unseren Betrieb völlig verändern", erklärte Orlando Williams. "Dies ist die größte vierjährige Lohnerhöhung, die Smithfield-Arbeitnehmer je erhalten haben, und sie wird für unsere Familien und in dieser Gemeinde eine wirkliche Veränderung bedeuten. Wir hätten diese Lohnerhöhung nie erhalten können, wenn wir nicht die Möglichkeit gehabt hätten, Verhandlungen mit dem Unternehmen zu führen. Wir werden endlich ein Gefühl der Sicherheit haben, weil wir über unsere Gewerkschaft dafür sorgen können, dass wir einen gesicherten Arbeitsplatz haben und dass jeder fair behandelt wird." UFCW-Mitglieder, die an anderen Smithfield-Standorten überall in den USA arbeiten, haben die Verhandlungen in Tar Heel aufmerksam verfolgt. "Ich kenne den Unterschied, den ein gewerkschaftlicher Vertrag bedeutet", meinte Jim Olson, Betriebsvertrauensmann des UFCW-Ortsverbandes 304A und ein 35-jähriger Veteran des Smithfield-Betriebs John Morrell in Sioux Falls. "Je mehr Fleischereiarbeiter unserer Gewerkschaft beitreten, desto mehr Macht haben wir, die Löhne und Leistungen der Mitglieder unserer lokalen Gewerkschaften und aller anderen, die in der Branche tätig sind, zu steigern. Und genau darum geht es, wenn man Mitglied der UFCW ist."

Bessere Arbeitsgesetze in den USA, wie das Gesetz über die freie Arbeitnehmerwahl, könnten künftig Fälle wie jenen des Smithfield-Betriebs Tar Heel von Smithfield verhindern und die Umsetzung von Menschenrechten am Arbeitsplatz wesentlich beschleunigen.

Quelle: iuf@iuf.org


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Arbeitnehmer des Smithfieldbetriebs Tar Heel, die dem UFCW Ortsverband 1208 angehören, stimmen für ihren ersten gewerkschaftlichen Kollektivvertrag

Raute

Honduras: Gewinn vor Menschenrechten für nordamerikanische Fachverbände

Die Globalgewerkschaft für die Beschäftigten im Schuh- und Bekleidungssektor (Internationale Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter-Vereinigung (ITBLAV)) hat ein Schreiben führender Fachverbände aus den Vereinigten Staaten an Präsident Obama als "widerwärtig" bezeichnet. Sie hatten aufgerufen, mit Honduras nach dem Coup der vergangenen Woche, der durch Schlüsselelemente der Geschäftswelt im Lande unterstützt worden war, wieder zu der Tagesordnung über zu gehen.

Sieben Handelsgruppen (American Apparel & Footwear Association, Emergency Committee for American Trade, National Council of Textile Organizations, National Retail Federation, Retail Industry Leaders Association, Association of Importers of Textiles and Apparel und US Chamber of Commerce) hatten Präsident am 11. Juli in ihrem Brief aufgefordert, die Wirtschaftsbeziehungen der Vereinigten Staaten mit Honduras sicherzustellen.

Neil Kearney, Generalsekretär der Internationalen Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter-Vereinigung dazu: "Dieser Ansatz übersieht Demokratie, Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit, und er ist ein Affront gegen die Demokratie und eine Verneinung amerikanischer Werte.

"Seit dem Coup nehmen die Sorgen über Bedrohungen von Gewerkschaftsführern und Führern der demokratischen Massenbewegung überhand, und es scheint eine Liste von mit Festnahme bedrohten Führern zu geben, deren persönliche Sicherheit gefährdet ist.

Ferner wächst die Besorgnis über die Herabsetzung der Arbeitsbedingungen, und insbesondere über Bemühungen, um eine Lohnerhöhung, die Präsident Zelaya vor 6 Monaten befohlen hatte um die zugenommenen Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen, rückgängig zu machen. Die Lohnerhöhung deckt nämlich in der Wirklichkeit kaum 90% des Grundnahrungsmittelbedarfs und nicht einmal ein Drittel eines ausreichenden Lohns für Grundbedürfnisse, wie Essen, Miete, Transport, Schule und medizinische Versorgung."

Die Schlussfolgerung von Neil Kearney lautet: "Diese Fachverbände schützen ihren Gewinn auf dem Rücken von ermordeten Führern, und sie nehmen niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf."

Die ITBLAV ruft Mitgliedsorganisationen dieser 7 Fachverbände auf, sich öffentlich von dieser Erklärung zu distanzieren. Die Internationale Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter-Vereinigung (ITBLAV) ist eine Global Union Föderation. Sie besteht aus 220 Mitgliedsorganisationen in 110 Ländern der Welt mit einer vereinigten Mitgliedschaft von 10 Millionen Arbeitern.

Quelle: www.itglwf.org 14.7.09 - www.iuf.org

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DISKUSSION UND DOKUMENTATION


Lokale Agenda 21 Freiburg, Projektgruppe Beteiligungshaushalt

Bürgerbeteiligung auf Sparflamme?

In Freiburg wurde mit einigem Aufwand der städtische Haushalt 2008 als Beteiligungshaushalt durchgeführt. Die Einwohner der Stadt konnten über Versammlungen und das Internet ihre Vorstellungen einbringen. Jetzt will die Stadtverwaltung auf eine Sparversion zurück; nur noch mit Befragungen; die linke Fraktion kritisiert, das sei "Demoskopie" statt "Demokratie". Im folgenden die Stellungnahme der Lokalen Agenda 21 Projektgruppe:

Beteiligungshaushalt:

Soeben hat die Freiburger Stadtverwaltung einen Bericht über den in 2008 durchgeführten Beteiligungshaushalt vorgelegt, der auch einen Beschlussantrag enthält. Am Montag den 22.6. wird diese Vorlage im Hauptausschuss beraten, am 30.6. kommt sie in den Gemeinderat. Aus Sicht der Agenda Projektgruppe Beteiligungshaushalt ist dieser Bericht sehr defensiv und sind die Beschlussanträge nicht hilfreich für eine Weiterentwicklung dieses anspruchsvollen Beteiligungsverfahrens.


Stellungnahme der Projektgruppe Beteiligungshaushalt

Beteiligung auf Sparflamme: Der Beschlussantrag der Verwaltung hätte zur Folge, dass mindestens die nächsten zwei Doppelhaushalte nur mit einer äußerst geringfügigen Beteiligung der Bürgerschaft erstellt werden, die kaum über die ohnehin alle zwei Jahre stattfindende Bürgerumfrage hinausgeht. Der bisherige durchaus erfolgversprechende, wenn auch entwicklungsfähige Ansatz soll einfach "eingestampft" werden.

Bürgerbeteiligung bei der Planung beendet: Die Beteiligung der Bürgerschaft bereits bei der Planung und Bewertung solcher Beteiligungsverfahren ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Seit der Stadtkonferenz im Juni 2008 hat die Verwaltung dies jedoch konsequent vermieden. Weder wurde der Runde Tisch Beteiligungshaushalt wieder einberufen (mit ca. 30 VertreterInnen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche), noch die gemeinderätliche Begleitgruppe Beteiligungshaushalt, und auch mit der Projektgruppe Beteiligungshaushalt der Lokalen Agenda führt die Verwaltung seitdem keine Gespräche mehr.

Folgerichtig geht die Verwaltung in dieser aktuellen Vorlage auf die umfangreichen Vorschläge und Argumente der PG Beteiligungshaushalt nicht ein, die wir im Januar 2009 veröffentlichten. Die Internet-Beteiligung nach dem Kölner Modell und die Stadtbezirkskonferenzen sowie andere konkrete Vorschläge werden nicht erwähnt.

Kosten nicht vergleichbar: Es ist sehr begrüßenswert, dass die Verwaltung versucht, alle Kosten eines Vorhabens aufzulisten. Nach Ansicht von Beobachtern ist dies das erste Mal in ihrer Geschichte - die Doppik wirft ihre erfreulichen Schatten voraus. Das bedeutet jedoch, dass die hier auf neuartige Weise aufgelisteten Kosten derzeit noch nicht mit denen anderer Aktivitäten verglichen werden können.

Demokratie darf etwas kosten! Als der Gemeinderat sich entschied, einen Beteiligungshaushalt durchzuführen, ging er von der wesentlichen Erkenntnis aus, dass die repräsentative Demokratie, so wichtig und unverzichtbar sie ist, nicht ausreicht. Sie leistet in unserer komplexer werdenden Welt nicht mehr das, was geleistet werden muss. Zunehmend fehlt es ihr an Wissen und an Legitimation. Ein mehr an Demokratie muss sein, und das wird unvermeidlich Ressourcen brauchen.


Die wichtigsten Vorschläge der Projektgruppe Beteiligungshaushalt

Verankerung in Verwaltung und Gemeinderat: Die Bildung einer Organisationseinheit ist notwendig, die generell für Bürgerbeteiligung zuständig ist (und zusammengelegt wird mit den Einheiten und Ressourcen für Engagementförderung und Nachhaltigkeitsmanagement). Die Untereinheit für Bürgerbeteiligung könnte zu Beginn vielleicht mit der Hälfte der von der Verwaltung "vorgeschlagenen" Personalressourcen ausgestattet werden. Sie sollte mit hochqualifiziertem Personal besetzt werden. Außerdem sollten einem gemeinderätlichen Ausschuss diese drei Politikfelder zugewiesen werden. Mit dem Grundsatzbeschluss zur Bildung dieser Organisationseinheit sollte der Gemeinderat NICHT warten, bis die Doppik eingeführt wird (also bis mindestens 2012). Diese Einheit ist eine Voraussetzung für die kontinuierliche Weiterentwicklung des Beteiligungshaushaltes - je früher sie eingerichtet wird, desto besser.

Umpolung des Beteiligungsgegenstands: weg von abstrakten Haushaltstiteln, hin zu konkreten öffentlichen Leistungen. Das ist das einzige, bei dem die breite Bürgerschaft überhaupt eine Chance hat, es zu verstehen und also mitzureden. Das kostet die Verwaltung auch weniger Arbeit, weil sie nicht den Haushalt umfassend und detailliert darstellen muss, sondern gezielt die für die tatsächlich gemachten Bürgervorschläge notwendigen Informationen bereitstellen kann.

Breite der Beteiligungsformen beibehalten: Die Bürgerumfrage einzusetzen, ist sinnvoll, wenn sie konkrete Bürgervorschläge abfragt. Zusätzlich sollte die internetgestützte Beteiligung angeboten werden, und zwar nach dem Kölner Modell, das ebenfalls an konkreten Bürgervorschlägen ausgerichtet ist. Darüber hinaus schlagen wir Stadtbezirkskonferenzen vor, angelehnt an das Verfahren bei der Erstellung des Flächennutzungsplans. Auf gesamtstädtischer Ebene soll es keine Stadtkonferenz mehr geben, sondern nur noch eine Redaktionsgruppe, die die Bezirksergebnisse zusammenfasst.


Das Kölner Modell: https://buergerhaushalt.stadtkoeln.de/

Bürgerorientierte Haltung vertiefen: Entscheidend für den Erfolg von Beteiligungsverfahren ist, dass BürgerInnen zu dem Schlus kommen, dass ihre Investition an Zeit sich lohnt. Dazu trägt - neben aller technischen Professionalität - vor allem eine bürgerorientierte Haltung bei. Wenn Stadtverwaltung und Gemeinderat bereit und in der Lage sind, mit dem Steuerzahler auf gleicher Augenhöhe in einen Dialog zu treten, wenn BürgerInnen sich ernstgenommen fühlen, weil ihre Mitwirkung etwas bewirkt, dann nehmen von Jahr zu Jahr mehr BürgerInnen an solchen Verfahren teil, wie wir aus anderen Städten wissen.


Beschlussantrag:

Vor einer Entscheidung über ein neues Beteiligungsverfahren solle es einen Grundsatzbeschluss über neue Personalstellen geben (die Verwaltung hält 34 Stellen für notwendig).

Vor diesem Grundsatzbeschluss solle erst die Einführung des neuen kommunalen Haushaltsrechts abgeschlossen sein (nach Ansicht von Beobachtern frühestens 2012, spätestens 2015).

Bis zum Grundsatzbeschluss solle es als einzige Beteiligungsform die Umfrage geben (die im laufenden Doppelhaushalt eingestellten 70.000 würden komplett dafür gebraucht).


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Die Inhalte der Verwaltungsvorlage in Kürze

Bilanz: Die Verwaltung zieht eine inhaltliche und methodische Bilanz der bisher geleisteten Schritte (Information, Konsultation). Insgesamt bewertet sie das Verfahren positiv: transparent, flexibel etc. Auch die Inhalte sieht sie positiv: in 26 Haushaltsanträgen der Fraktionen wurden Vorschläge aus dem Beteiligungshaushalt eingebracht, fast alle wurden beschlossen.

Nächste Schritte: Der dritte Schritt, die Rückmeldung bzw. Rechenschaftslegung an die Bürgerschaft, die eigentlich für Anfang 2009 geplant war, soll erst in der zweiten Jahreshälfte 2009 kommen.

Kosten: Die Verwaltung listet die Kosten auf: 682.000 Euro, davon zahlte die Stadt 530.000 Euro selbst. Die Kosten wurden auch auf die Teilnehmerzahl bei den verschiedenen Beteiligungsformen umgerechnet: am billigsten war bei dieser Pro-Kopf-Rechnung die Umfrage.

Künftige Gestaltung: die Verwaltung befürwortet grundsätzlich die Bürgerbeteiligung am Haushaltsplan. Aber sie wägt den bisherigen und den von ihr künftig erwarteten Aufwand (Personal, Sachkosten) und Ertrag (Teilnehmerzahl) miteinander ab. Dabei zeigt die Verwaltung die erhebliche Zusatzbelastung auf, die aus anderen Gründen auf die Kämmerei in den nächsten Jahren zukommen wird: sie muß bis spätestens 2015 den gesamten Haushaltsplan auf das neue kommunale Haushaltsrecht (Doppelte Buchführung) umstellen. Auch ist die Verwaltung der Ansicht, dass in anderen Städten die Teilnehmerzahlen nicht zu steigern gewesen seien. Mit dieser Begründung spricht sich die Verwaltung für eine Reduzierung der Beteiligungsformen aus, bis die Lage sich wieder entspannt habe. Dabei werden die Umfrage und die Stadtteilentwicklungsplanungen in Betracht gezogen.


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Wer ist die Projektgruppe Beteiligungshaushalt?

1996 beschloss der Freiburger Gemeinderat, in einem gemeinsamen Beratungsprozess von Gemeinderat, Verwaltung und Bürgerschaft eine "Lokale Agenda 21" zu erarbeiten, ein Handlungsprogramm, das Freiburg in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln soll. Im Rahmen dieses lokalen "Agenda-Prozesses" wurden vielfältige Aktivitäten entwickelt; 2004 gründete sich die Projektgruppe Beteiligungshaushalt. Diese informierte über die in Porto Alegre (Brasilien), in verschiedenen europäischen Ländern und auch in Deutschland laufenden Beteiligungshaushalte und warb bei den Freiburger Gemeinderatsfraktionen für einen Freiburger Beteiligungshaushalt, den der Gemeinderat schließlich im Oktober 2007 beschloss. So wie bundesweit der Beteiligungshaushalt parteiübergreifend als ein interessanter Weg angesehen wird (in Berlin-Lichtenberg wurde er von der PDS angestoßen, in Hamburg ist die CDU federführend), ist auch die Projektgruppe bunt zusammengesetzt. Die Mitglieder der Projektgruppe, teils seit 2004 dabei, teils später dazugestoßen, sind parteiunabhängig oder stehen den verschiedensten parteipolitischen Richtungen nahe; das Spektrum reicht von Linker Liste über SPD und Grüne bis zur CDU.

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Das Kommunalpolitische Forum München e.V., gibt in der Ausgabe 11 der "Studienreihe Zivilgesellschaftliche Bewegungen - institutionalisierte Politik" unter dem Motto "Münchner Olympiabewegung in der Kritik" einen Einblick in die Diskussion am Ort und in der Region. Wir dokumentieren das Vorwort der Redaktion den einleitenden Beitrag von Stadträtin Brigitte Wolf. Die Hefte der Studienreihe sind ganz verschiedenen Themen gewidmet. Sie sind unter der Internetadresse www.forum-linke-kommunalpolitik-muenchen.de zu finden.


Münchens Bewerbung für die Winterolympiade 2018 in der Kritik

STUDIENREIHE Zivilgesellschaftliche Bewegungen -

Institutionalisierte Politik Nr.11/2009

Die Bewerbung des Landeshauptstadt München für die Winterolympiade 2018 ist gestartet. Treibende Kraft für diese Bewerbung war die Münchner SPD. Sie hat die grüne Stadtratsfraktion mit dem Versprechen ökologisch-nachhaltiger Spiele gewonnen, die CSU und die kleinen Parteien folgten. Bei der ersten Beschlussfassung im November 2007 stimmte lediglich die Stadträtin der LINKEN, Brigitte Wolf, gegen das Bewerbungskonzept. Inzwischen mehren sich skeptische Stimmen. Der Münchner Stadtverband der Grünen artikuliert Bedenken. Die Grünen im Landtag tragen die Bewerbung nicht mit. Als es im Juli 2009 im Bundestag um die Unterstützung der Münchner Bewerbung ging, enthielten sich die Grünen und die LINKE. Der Bund Naturschutz in Bayern schied aus dem Vorbereitungskreis aus. In den betroffenen Alpengemeinden werden Gegenstimmen hörbar. Bei der letzten Konzeptabstimmung im Münchner Stadtrat versagte auch die Vertreterin der ödp, Frau v. Walter, dem Plan ihre Zustimmung. All diese skeptischen und ablehnenden Meinungen verbindet der Eindruck, dass die Bewerbung einen falschen Akzent setzt, die Planung der Entwicklung der Stadt und der Alpenregion in eine falsche Richtung zieht. Deswegen kann die Auseinandersetzung mit der mehrheitlichen Beschlussfassung "in den Gremien" nicht aufhören. Wenn die Münchner Bewerbung, wie es wahrscheinlich ist, ins Leere läuft, wird sich wohl niemand mehr einer nachhaltigen Perspektivdiskussion entziehen können. Wenn die Bewerbung durchdringt, geht es darum, Planung und Ausführung genau zu beobachten, um die Schäden gering zu halten.

Die Redaktion


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Die Münchner Bewerbung für die Winterolympiade 2018 - Eine falsche Richtungsentscheidung

Von Brigitte Wolf, Stadträtin (Die Linke)

Die Bewerbung Münchens für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2018 muss nicht den Münchnerinnen und Münchnern gefallen. Es entscheidet das "Internationale Olympische Komitee". Das IOC finanziert sich aus den Einnahmen für Medienrechte an den Spielen. Werden die Erwartungen des weltweiten Sportpublikums nicht erfüllt, wird die Marke beschädigt. Die Spiele sind kein Einzelereignis. Sie sollten jedesmal so angelegt sein, dass sich das internationale Publikum schon aufs nächste Mal freut.

Für die Darbietungen sorgen die Sportlerinnen und Sportler, für das gute Gefühl des Publikums macht aber auch der Rahmen viel aus. Das ist bei jedem internationalen Kult- oder Kulturereignis so. Von den Olympischen Spielen erwartet das weltweite Publikum eine Vermittlung von Wettbewerb, ja Wettkampf unter fairen, nicht zerstörerischen Bedingungen. Diese Erwartung sollte auch der Wettbewerb der Veranstaltungsorte erfüllen. So, wie große Teile des Publikums nicht wollen, dass die Sportlerinnen und Sportler sich und andere zugrunde richten, sollte auch die Ausrichtung der Spiele eine positive Wirkung für die Regionen und Orte versprechen.

Die internationalen Sportverbände haben diesen Punkt bei den Bewerbungen der letzten Jahrzehnte immer schwerer gewichtet. Die Bewerbung Pekings wurde nicht zuletzt wegen des dabei gegebenen Demokratisierungs- und Modernisierungsversprechens der VR China akzeptiert. Die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft nach Südafrika setzt einen Punkt gegen den Rassismus und betont, (traurig genug, dass das nötig ist), die Anerkennung dieses Landes und des Kontinents als Teil der Weltgesellschaft.

Die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele ist in dieser Hinsicht dürftig. Der Kern der Bewerbungsidee ist, dass man in München und der Region Betten und Sportstätten hat, die Auslastung brauchen und die als Austragungsort der Winterolympiade neuen Glanz gewinnen würden.

Die Linke hat die Olympiabewerbung der Stadt München nicht reflexhaft abgelehnt. Im Zuge einer 2007 begonnenen, ergebnisoffen geführten Auseinandersetzung sind wir zu der Meinung gekommen, dass München mit diesem dürftigen Konzept nicht vor die Weltöffentlichkeit treten sollte, dass die Bewerbung kaum eine Chance hat und dass die mit der Bewerbung verbundene Planungsdiskussion in die falsche Richtung deutet.

Denn die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der Stadt und dem (auch ferneren) Umland sind nicht in guter Ordnung, nicht von Partnerschaft geprägt. Die Stadt München als Kern der wachsenden Metropolregion ordnet sich das bayerische Oberland und die Alpen als Umland unter - und definiert sich selbst als Teil der Alpenregion. Dieser Trend prägt auch die Olympiabewerbung, die Garmisch-Partenkirchen als Sportstätte Münchens definiert, um nicht zu sagen festbetoniert, Oberammergau zu einem Teil Garmischs uminterpretiert und Schönau am Königssee am liebsten verschweigen würde.

Vielleicht hätte die Möglichkeit bestanden, Olympische Spiele im, mit dem und für den Alpenraum zu planen. Die Mittel der modernen Technik könnten helfen, vom Ein-Ort-Konzept der Winterolympiaden wegzukommen und eine Entwicklung von Kommunikations- und Verkehrsstrukturen für den ländlichen bzw. nicht verdichtet besiedelten Raum voran zu bringen. Dabei allerdings wäre München eher eine unterstützende Funktion im Hintergrund zugefallen.

Dazu ist es leider nicht gekommen, stattdessen wird nicht nur eine Funktionalisierung von Orten am Alpenrand geplant. Für München soll dabei eine Nutzung des Olympiageländes als Zentrum für den Wintersport herauskommen. Das Olympiagelände ist mit dem Auszug des Fußballsports in die Allianz-Arena zum städtischen Sorgenkind geworden. Ist der Versuch aussichtsreich, dieses Problem durch Entwicklung des (in Hallen) zelebrierten Wintersports zu lösen? Diese Sportarten haben traditionell in München keine große Bedeutung. Das Publikum trägt noch nicht einmal einen Eishockey-Bundesliga-Verein. Würde eine Winterolympiade 2018 dazu helfen, in München ein Publikum zu schaffen, das ausreicht, um das Olympiagelände als Austragungsort von Großereignissen des Wintersports interessant zu machen? Das bezweifeln wir doch stark.

Die Münchner Bewerbung hat eine Menge Skepsis ausgelöst. Seit 2007 haben u.A. der Stadtverband der Grünen, die Grüne Landtagsfraktion, die SPD im Garmischer Gemeinderat, die Grünen und die Linke im Bundestag von einer Unterstützung des Plans Abstand genommen. Trotzdem läuft der Bewerbungs- und Planungsprozess heiter weiter. Nachdem mit der Eiskunstläuferin Katharina Witt eine Olympiabotschafterin gewonnen wurde, die diese Sache reinen Gewissens unterstützen kann, weil sie sich in Stadt und Land nicht auskennt, tritt ihr nun Claudia Roth vom Bundesvorstand der Grünen zur Seite, die den Titel einer Wintersport-Fachfrau nicht beansprucht. Erfahrungen mit Hallenkultur haben sie beide.

Die Stadt München wird ihre Bewerbung vorantreiben. Die Stoßrichtung der Bewerbung steht ebenfalls fest. Skeptischen Bürgerinnen und Bürgern bleibt nur die Möglichkeit, vor Kollateralschäden zu warnen, die durchaus schon in der Bewerbungsphase entstehen. Falls, wie es wahrscheinlich ist, die Bewerbung scheitert, werden die Probleme weiter bestehen. Im kleinen, stadtplanerischen Kontext steht die Frage: Welche Zukunft hat das Olympiagelände? Im Großen die Frage, ob die große Stadt mit ihren Problemen und Bedürfnissen das Recht hat, das Oberland in ihr Umland zu verwandeln.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Mit dieser im Original bonbonbunt-kitschigen Montage verbreitet der Deutsche Olympische Sportbund (www.dosb.de) weltweit den Eindruck, München sei eine Alpenstadt.

Die offizielle Werbung zeigt das Münchner Olympiagelände im Schnee. Sie drängt die Vision einer Stätte pulsierenden Wintersportbetriebs auf.
Wir weisen darauf hin, dass der Einsatz erheblicher öffentlicher Mittel für einen solchen Zweck hoch riskant ist.
Man spekuliert, dass der Event im Jahre 2018 die Vorlieben des Münchner Sportpublikums ändert kann, und zwar nachhaltig, so dass eine jahrzehntelange Auslastung der Hallenbauten folgt ...
Wer würde auf eine solche Wette das eigene Geld setzen wollen?

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Rezensiert: Jürgen Rüttgers, "Wer zahlt die Zeche?"

Keine Zahlungs-Zusagen

Der Essener Klartext-Verlag hat ein Buch herausgebracht, das von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers unter dem vielversprechenden Titel "Wer zahlt die Zeche? Wege aus der Krise" herausgegeben wurde.


In dem Sammelband tauschen sich so prominente Namen wie Eckhard Cordes, Vorsitzender des Haniel-Konzerns, der (vor kurzem verstorbene) Lord Ralf Dahrendorf, der frühere Willy-Brandt-Berater Klaus Harpprecht, der Chef der Tengelmann-Gruppe Karl-Erivan W. Haub, der Geschäftsführer der WAZ-Zeitungsgruppe Bodo Hombach, der Münchner Erzbischof Dr. Reinhard Marx, der Direktor der Max-Planck-Gesellschaft und Soziologie-Professor Wolfgang Streeck und der Berliner Soziologie-Professor Paul Nolte über Ursachen und Folgen der aktuellen Wirtschaftskrise aus. Nur: Eine Antwort auf die im Titel gestellte Frage verweigern sie alle.

Dabei würde es sich eigentlich lohnen, der Frage nachzugehen. Allein die Steuerschätzer rechnen für die nächsten Jahre mit Defiziten der öffentlichen Haushalte in Höhe von ca. 500 Milliarden Euro. Trotzdem verkünden FDP, CDU und CSU Steuersenkungen. Wie soll das gehen, ohne die Staatsschuld ins Unermessliche zu steigern? Wem soll genommen werden, wem gegeben? Wer das Buch kauft, wünscht sich eine Antwort. Er wird enttäuscht.

Stattdessen erfahren wir vom NRW-Ministerpräsidenten, dass er schon immer wusste, "dass der Turbokapitalismus scheitern würde. Er musste scheitern, weil er geprägt war von einem ungezügelten Materialismus und einem überbordenden Individualismus. Für ihn war Profit wichtiger als Gemeinwohl, das Jetzt wichtiger als die Zukunft." (S. 7)

Ihm antwortet eine Buch-Seite weiter der Haniel-Chef: "Die verzerrende Gegenüberstellung von einer vermeintlich Geborgenheit schaffenden Sozialen Marktwirtschaft einerseits und einem rüden Turbo-Kapitalismus andererseits bedient die Neigung zu eher simplen Antworten, die keine Lösungen bieten." Also bietet Rüttgers keine Lösungen, oder wie ist das gemeint?

Immerhin hat Eckhard Cordes auch praktische Vorschläge. Zunächst aber stellt er zur Globalisierung fest: "In den letzten 20 Jahren ist das Pro-Kopf-Einkommen der Weltbevölkerung inflationsbereinigt von 5.400 auf 8.500 Dollar gestiegen. Das ist mehr als nur ein 'materieller' Erfolg: Bildungschancen der Kinder und Lebenserwartung der Alten haben sich enorm verbessert, die Kindersterblichkeit ging zurück - genauso wie die weltweite Armut". Dann folgt die für den Chef eines Handelskonzerns bemerkenswerte Kritik: "Jetzt rächt sich, dass uns der Titel 'Exportweltmeister' in trügerische Sicherheit gewogen hat - und damit eine tiefgreifende Reform- und Steuerpolitik zur Förderung der Binnennachfrage verhindert hat."

Daran schließen sich fünf Forderungen an des Haniel-Chefs an:

- erstens müsse der Staat "die Finanzmärkte von toxischen Wertpapieren befreien". Leider fehlt hier jeder Hinweis, wer das bezahlen soll.

- zweitens fordert der Haniel-Chef eine "internationale Aufsicht" über Banken, Ratingagenturen, Hedge Fonds sowie das gesamte Schattenbankensystem. "Finanzprodukte - und zwar ausnahmslos alle - müssen transparent sein." Wer wollte dem widersprechen?

- drittens müsse "die Haftung wieder umfassend Geltung haben". Es gehe nicht an, das Risiko von Unternehmen auf die Steuerzahler abzuwälzen. Auch hier fehlt leider die Präzision - was genau ist damit gemeint? Heißt das mehr Insolvenzen? Oder höhere Steuern für Unternehmens- und andere Vermögensbesitzer? Beides wäre offensichtlich eine Form von Haftung - aber mit sozial sehr verschiedenen Folgen.

- viertens fordert Cordes dann die "Stärkung der Mittelschicht". Der Staat müsse dem Bürger mehr Netto vom Brutto lassen. Das müsse, so Cordes, "vor allem den leistungstragenden, unternehmerischen Mittelstand" begünstigen. Wenn das ernst gemeint ist angesichts der explodierenden Staatsschulden, kann das nur eines bedeuten: extreme Eingriffe in die gesetzlichen Sozialversicherungen, bei Rente, Krankheit und Arbeitslosigkeit, um dort die Staatszuschüsse zurück zu fahren, Eingriffe, gegen die das Bundesbank-Gutachten zur Rente mit 69 nur ein mattes Vorleuchten war.

- mehr Geld für die Bildung ist demgegenüber eine Forderung von Cordes, die auch anderswo Zuspruch finden dürfte. "Unser Bildungssystem produziert zu viele Verlierer. Besonders Schüler mit Migrationshintergrund werden nicht ausreichend gefördert", rügt der Mann. Wo er recht hat, hat er recht!

Cordes ist auch deshalb hier so ausführlich zitiert, weil sein Beitrag der präziseste von allen ist. Verglichen damit sind alle anderen Ausführungen eher "wolkig". Lord Dahrendorf etwa fordert eine "Abkehr von Shareholder Value" und eine Rückkehr zu "Verantwortung". Er warnt vor der "enormen Lücke", die sich zwischen "führenden und Normalbürgern" aufgetan habe. Die Gesellschaft müsse weg vom "Short Selling strukturierter Wertpapiere bis zur absurd kurzen Zeitbasis zur Berechnung von Manager-Gehältern", zurück zu einem "Denken in zumindest mittleren Fristen". Änderungen nur im "Denken"?

Dr. Alexander Gauland, früher Berater des hessischen Ministerpräsidenten Wallmann und seitdem eine prominente Figur im deutschen Konservatismus, versteigt sich zu der Feststellung, Ausgangspunkt der Krise sei "nicht die Gier der Banken, sondern das Versagen der amerikanischen Finanzaufsicht" gewesen. Sprich: Nicht der Markt habe versagt, sondern der Staat. Das ist ungefähr so wahr wie die Feststellung, jedes Verbrechen sei auch ein Versagen der Polizei. Trotzdem werden gewöhnlich Straftäter eingesperrt, nicht aber die Polizei.

Nur Fragen hat Klaus Harpprecht, den wir uns deshalb schenken. Ebenso den Tengelmann-Chef Haub, der alles mit einem "elften Gebot" lösen will: "Du sollst nicht über deine Verhältnisse leben!". Ob damit die Kaiser's-Verkäuferin gemeint ist, die er hat feuern lassen, weil sie in einer schwachen Minute angeblich Gutscheine über 1,44 Euro hat mitgehen lassen? Ähnlich überflüssig kommt dem Rezensenten der Beitrag von Bodo Hombach vor. Der frühere Berater von Kanzler Schröder hat als Beitrag zum Thema "Wer zahlt die Zeche" allen ernstes eine Traumerzählung beigesteuert, den angeblich irgendein Minister hat, dem ein Gott sittliche Mahnungen zuruft! Dass Erzbischof Dr. Marx die katholische Soziallehre als "Maßstab für die Gestaltung einer Weltwirtschaftsordnung" empfiehlt, dürfte niemanden verwundern. Dass er fordert, Europa und "die atlantische Wertegemeinschaft", sprich: die Nato - müssten "Vorreiter" einer solchen neuen Welt-Ordnung sein, wundert auch nicht. Die Frage, wer denn nun die Zeche zahlen soll, ist damit aber auch nicht beantwortet?

Erfrischend reell sind verglichen damit die Aufsätze der Soziologen Paul Nolte und Wolfgang Streeck. Nolte fordert eine "langfristige Agenda" für Industrie und Gewerbe, eine bessere Verknüpfung von Produktion und Wissenschaft, ohne das allerdings näher zu präzisieren. Am Ende landet aber auch er bei alten Weisheiten von Union und FDP: Das "Leitbild der Aufstiegsgesellschaft" müsse wieder gefestigt werden (wer soll sich künftig mehr Aufstiegshoffnungen machen?), besonders wichtig aber sei das Leitbild "der Mittelschichtgesellschaft". Irgendwie wabert durch den ganzen Band die in solchen Kreisen offenbar unausrottbare Sehnsucht nach Ludwig Erhards "formierter Gesellschaft" der 60er Jahre.

Interessant, aber nicht zu Ende gedacht ist der Beitrag von Wolfgang Streeck. Er befasst sich als einziger mit den enormen Kosten der Krise, spricht vom "Super-GAU der Finanzkrise von 2008ff." für die öffentlichen Haushalte. "Die Haushaltsdefizite werden dramatisch wachsen, der Haushaltsausgleich rückt in weite, der Schuldenabbau in unendlich weite Ferne...", konstatiert er, und stellt fest: "Wenn konservative Regierungen beim Abbau von Staatsausgaben auf Grenzen stoßen, erhöhen sie lieber die Staatsschulden als die Steuern." Die Versuche zum Ausgleich der öffentlichen Haushalte im letzten Jahrzehnt seien durch die Krise "zunichte gemacht", das Ende der Handlungs- und Zahlungsfähigkeit des Staates absehbar, so ein pessimistisches Fazit.

Bleibt Rüttgers. Wer aber vom NRW-Ministerpräsident Zahlen und Fakten zum selbst gestellten Thema erwartet, wird enttäuscht. "Eine neue Kultur des Miteinanders" will der Mann, ein längeres Arbeitslosengeld für Ältere (schon umgesetzt), ein höheres Schonvermögen für Arbeitslose (in den Wahlprogrammen von Union und SPD gefordert, von beiden Parteien aber wohlweislich in ihrer Regierungszeit nicht umgesetzt) und eine "Riester-Rente für Kleinselbständige" (statt Bürgerversicherung). Ansonsten: "Wir müssen jetzt mehr denn je Patrioten sein" - damit wer am Ende die Zeche zahlt?

Die latente Gewaltbereitschaft gegen andere Staaten und Regionen, die bei Rüttgers als Antwort auf seine Frage durchschimmert, lässt nichts gutes ahnen. Ebenso wie seine bissige Polemik gegen die Linkspartei in NRW, die gesellschaftliche Randgruppen stärken will. Ein enttäuschender Sammelband. (rül)

Jürgen Rüttgers (Hg.), Wer zahlt die Zeche? Wege aus der Krise.
Klartext-Verlag, Essen, Juni 2009, 160 Seiten, 16,95 Euro.

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IN & BEI DER LINKEN


Köln: Demonstration für die Einhaltung der Menschenrechte im Iran

Am 25. Juli protestierten etwa 2000 Demonstrantinnen und Demonstranten gegen die andauernden Menschenrechtsverletzungen im Iran. Auf der Kundgebung am Heumarkt sprachen u.a. die Kölner Vertreterin von amnesty international, Arndt Klocke, Landessprecher der Grünen, Jörg Detjen für die Linke Köln. Wir dokumentieren im folgenden seine Rede.


Meine Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Partei Die Linke Köln begrüßt und unterstützt Ihre Veranstaltung. Auch wir wollen, dass sich der Iran demokratisch entwickelt.

Als ich vor vier Wochen hier bei Ihnen war, waren wir uns einig: Das ist nicht das letzte Mal, dass wir gemeinsam demonstrieren. Ich freue mich, dass auch von außerhalb viele Menschen nach Köln gekommen sind.

Wir waren uns auf der letzten Kundgebung einig, Demokratie ist ein lebendiger Prozess. So ein Prozess hat einen Anfang.

Im Iran war das nicht erst Ende der siebziger Jahre, als der Schah stürzte, sondern schon in den sechziger Jahren, als einige bereits hartnäckig im Iran um die demokratischen Rechte gekämpft haben.

Das war der Anfang!

Die folgenden Jahren waren voller Widersprüche. Von Fortschritten, aber auch von Rückschritten und von Stillstand begleitet. Es hat sich aber etwas verändert: Alphabetisierung, Ausbau der Bildungseinrichtungen, die Beteiligung vieler Frauen aus allen sozialen Schichten am gesellschaftlichen Leben, an Schulen und Universitäten.

Und die Ereignisse im Iran zeigen: Der Stillstand der revolutionären demokratischen Änderung ist vorbei. Ja, es entwickelt sich hoffentlich ein demokratischer Prozess auf eigener kultureller Grundlage. Nicht etwa ein Konflikt mit Idee und Ideolgogie aus dem Ausland. Das halte ich für wichtig! Der Iran kann sich nur entwickeln, wenn er im Nahen und Mittleren Osten kein Spielball der USA oder Russlands wird, sondern eine eigene Friedenspolitik entwickelt.

Dies wird gelingen, weil der breite Protest der Bevölkerung am Widerstand und an den Protesten zur Absetzung des Schahregimes anknüpft.

Das wird jetzt zur entwickelten demokratischen Tradition, die nicht viele Länder im Nahen und Mittleren Osten haben, und darauf könnt Sie sehr Stolz sein.

Fortschritte in der Demokratie benötigen aber oft Zeit und Mühen und kosten auch Menschenleben.

Hunderte von Menschen haben bei dem demokratischen Aufstand im Juni ihr Leben gelassen. Tausende sitzen noch in den Gefängnissen.

Es gehört auch zur demokratischen Tradition, dass wir diese Menschen und ihre Angehörigen nicht alleine lassen. Und weil die Iraner heute in der ganzen Welt auf die Straße gehen, stärken Sie den demokratischen Prozess im Iran und stärken den weltweiten Kampf für Freiheit und Menschenrechte und gegen die Armut.

Der Iran wird wahrscheinlich noch längere Zeit ein religiöser Staat bleiben, trotzdem sind demokratische und soziale Rechte durchsetzbar. Viele von Ihnen werden vielleicht gar nicht wissen, dass es auch in Deutschland keine Trennung von Kirche und Staat gibt. Die Religionsgemeinschaften haben in Artikel 7 des Grundgesetzes das Recht Schulunterricht zu erteilen. In eigenen Staatsverträgen mit der katholischen und evangelischen Kirche ist geregelt, dass der Staat die Kirchensteuer einbehält.

Ich sage das auch deshalb, um Ihnen Mut zu machen, dass solche Prozesse oft lang dauern. Auch heute noch sind die Kirchen in Köln mächtig. Man sieht es, schauen Sie sich um - das Land NRW zahlt an die Katholische Kirche noch immer sogenannte "Entschädigungen" für die Enteignung der Kirchengüter, die vor 200 Jahren stattgefunden haben.

Die demokratische Bewegung im Iran darf nicht stehen bleiben, bei der Forderung nach freien Wahlen, sondern muss Forderungen stellen, die mehr soziale und demokratische Rechte für die Menschen bringen, und möglichst alle Schichten der Gesellschaft einbeziehen.

Die soziale Frage darf man nicht den reaktionären Kräfte überlassen, sondern muss Bündnisse schmieden.

Der Iran ist ein reiches Land mit langer Kulturtradition. Dieser Reichtum, das Erdöl z. B., darf nicht bei wenigen verbleiben, seine Früchte müssen allen zugutekommen.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten - Hoch die Internationale Solidarität!

Raute

TERMINE


Die Linke, Arbeitsgemeinschaft Konkrete Demokratie - soziale Befreiung

Sommerschule 2009 in Erfurt

Beginn: Donnerstag, 13. August
Abschluss: Sonntag, 16. August

Kurse und Themen

Wirtschaft: Mindestlohn und Mindesteinkommen

1. Theorien der Gerechtigkeit: Mindesteinkommen / soziale Mindeststandards ergeben sich nicht direkt aus den ökonomischen Prozessen, sie müssen als politisches Ziel begründet werden. Wir beginnen unseren Kurs deswegen mit einem Blick auf die politische Theorie. Es werden Texteauszüge der Autorinnen und Autoren Amartya Sen und Martha C. Nussbaum (Capability Ansatz), Michael Walzer (kommunitaristischer Ansatz) und von John Rawls (Gerechtigkeit als Fairness) vorbereitet.

2. Garantiertes Mindesteinkommen als politisches Konzept: Als nächstes wollen wir uns mit der der Entwicklung der Forderung nach einer Grundsicherung bzw. einem Grundeinkommen auseinandersetzen. Einen guten Übersicht dazu bietet der Aufsatz "Grundsicherung oder Grundeinkommen? "Kritische Anmerkungen zu der Diskussion innerhalb der Partei Die Linke, von Frank Firsching, Harald Weinberg, Michael Wendl, zugänglich über PB 04/2009, (download www.gnn-verlage.com) Zur Vorbereitung werden Auszüge aus der dort angegeben Literatur zusammengestellt.

3. Mindestlohn und Tarifpolitik: Im dritten Teil wird es darum gehen, die abzuschätzen was die politische Bewegung für einen Mindestlohn bzw. für Mindestlöhne für die gewerkschaftliche Tarifpolitik bedeutet.

4. Lohnpolitik im EU-Raum. Sachstand und Ziele. Vorbereitet werden Übersichten zur Lohnentwicklung im EU-Raum, insbesondere zur Entwicklung von Mindestlöhnen sowie Dokumente, zu den strategischen Absichten europäischer Gewerkschaften.

Für die Vorbereitungsgruppe Martin Fochler, Rüdiger Lötzer


Philosophie/Kulturwissenschaften: Subjekt und Macht, Fortsetzung der Diskussion anhand des Textes von Michael Foucault.


Internationale Politik: Neorealistische Schule

Am 30.6.2009 hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur EU-Reform und zum Vertrag von Lissabon bekannt gegeben. In der Befassung verschiedener Klagen, darunter der von Peter Gauweiler und der Fraktion der Linken, hat das Verfassungsgericht eine einstimmige Entscheidung gefasst, deren Tenor sein Vizepräsident Andreas Voßkuhle wie folgt zusammenfasst: "Das Grundgesetz sagt Ja zu Lissabon, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung." (Mannheimer Morgen, 1.7.2009)

Einzelstaatliche Souveränität, Europäische Integration, "Demokratiedefizit", Legitimität staatlichen Handelns der EU und in der EU, zwischenstaatliche und gesellschaftliche Schranken nationaler Macht sind also Themenstichworte, mit denen sich der Kurs Internationale Politik in Fortsetzung der im letzten Jahr begonnenen Lektürediskussion und der Auseinandersetzung mit den Verfassungsgerichtsurteil befassen wird.

Im letzten Jahr hatte sich der Kurs als Einstieg in die Theorie der Internationalen Beziehungen mit dem Grundlagenteil des Standardwerks der sogenannten "Realistischen Schule", Hans J. Morgenthaus "Macht und Frieden" beschäftigt. (s. dazu Ergebnisheft 2008). Daran anknüpfend sollen in diesem Jahr schwerpunktemäßig Texte von drei Autoren im Hinblick auf die Politik im und zum Fortgang des europäischen Unionsprozesses diskutiert werden:

Hans J. Morgenthau "Macht und Frieden", Gütersloh 1963, Abschnitte Vff, "Schranken der nationalen Macht"
Karl Kaiser, "Transnationale Politik", zu einer Theorie der multinationalen Politik, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 1/1969
John Rawls, "Das Recht der Völker", Berlin 2003

Dazu: Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30.6.2009 zum Lissabon-Vertrag und Begleitgesetz


Allgemeine Informationen:

Die Sommerschule findet vom 13. bis 16. August 2009 in Erfurt statt. Beginn ist am Donnerstag, 13.8., 14 Uhr, Ende am Sonntag, 16.8., 12 Uhr.

Die ArGe-Mitgliederversammlung wird voraussichtlich am Freitagabend sein

Wir tagen wie zuletzt in der Jugendherberge "Hochheimer Straße", in der "JH Klingenstraße" übernachten wir. Beide liegen nur etwa 3 Minuten Fußweg auseinander.

Adresse: JH Erfurt, Hochheimer Str. 12, Klingenstraße 4, 99094 Erfurt, Tel. 0361 5626705.


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Vorschau auf Wahlen
Jahr
Monat
Wo?
Was?
Termin
Wahlperiode
2009





August
August
August
August
Sept.
Sept.
NRW
Saarland
Thüringen
Sachsen
Brandenburg
Bundesrepublik
Kommunal
Landtag
Landtag
Landtag
Landtag
Bundestag
30.8.
30.8.
30.8.
30.8.
27.9.
27.9.
5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
4 Jahre
2010

Mai
Mai
Schlesw.-Holstein
NRW
Landtag
Landtag
9.5.
9.5.
5 Jahre
5 Jahre
2011







Frühj.
Frühj.
Frühj.
Frühj.
Frühj.
Herbst
Herbst
Herbst
Baden-Württemb.
Rheinland-Pfalz
Sachsen-Anhalt
Hessen
Bremen
Niedersachsen
Berlin
Mecklenb.-Vorp.
Landtag
Landtag
Landtag
Kommunal
Landtag/K
Kommunal
Landtag/K
Landtag








5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
4 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
2012
Frühj.
Hamburg
Landtag/K

4 Jahre

Quelle: www.wahlrecht.de/termine.htm

Raute

IMPRESSUM

Politische Berichte

ZEITUNG FÜR LINKE POLITIK - ERSCHEINT ZWÖLFMAL IM JAHR

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Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 8, 30. Juli 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2009