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ROTER BRANDENBURGER/026: Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei - Landesvorstand Brandenburg 04/13


Roter Brandenburger - April 2013
Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei - Landesvorstand Brandenburg



In dieser Ausgabe:
- Wahlen, Freiheit und Expansionssucht
- Zum 20 Parteitag
- Bellevue
- Bisky-Blitz
- Walter Ulbricht - meine Sicht
- Der Tag von Potsdam 2013
- Kommunismus (Teil XIX)
- Der Geist von Rapallo
- Brandenburger Nachrichten in Rot
- Interview
- Roter Bücherwurm
- Anzeigen / Impressum

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Freiheitlich vorurteilslos

Eine Partei, die eher aus Versehen zwei größeren Parteien ein paar Stimmen zur Verfügung stellt, damit Mehrheit im Bundestag entstehen kann, quält sich seit langem durch den deutschen Politikdschungel. Ihre Wahlergebnisse taugen so viel nicht und die Bereitschaft, sie zu wählen, ist kaum sonderlich ausgeprägt. Das Personal in den Spitzen überzeugt ebenfalls wenig. Im Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit musste ein Parteitag dieser Partei "vorgezogen" werden, um langanhaltende Personaldebatten administrativ zu beenden und sich für den Bundestagswahlkampf "aufzustellen". Da standen sie nun am Rednerpult und brüllten auf ihrem Berliner Parteitag wie auf einem Reichsparteitag unseligen Angedenkens. Von "Sturmspitze" wurde, die rechte Faust in die dicke Hotelluft streckend, gebrüllt und davon, dass vom liberalen, dem freiheitlich vorurteilslosen, Wahlkampf der Baum brennen würde. Die Verkündigung eines neuen Feiertages ließen sie sich nicht nehmen, der 22. September werde der "Tag der Freiheit", denn diese Partei fühlt sich "vom Himmel geschickt". Das hysterische Geschrei und die Verleumdung aller politischen Kontrahenten als "Fuzzis" (laut Duden: nicht ernst zu nehmende Menschen) aus dem Munde eines Mannes, der ungelegentlich über die Füllung eines Dirndlkleides schwadronierte, zeugen von hemmungsloser Politikerarroganz. Und mit solcher Überheblichkeit stellte der Brüller klar: "Die Wähler müssen wissen, woran sie sind" und "Es bleibt dabei: Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn, der Arbeitsplätze vernichtet, lehnen wir ab."

Dass es den Wählern leicht fallen wird, diese so genannten Volksvertreter, die möglicherweise denken, was sie reden, nicht zu wählen, erhofft sich für den 22. September 2013

Till

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Wahlen, Freiheit und Expansionssucht

An einem Sonntag im September wollen voraussichtlich zwei Drittel der wahlberechtigten Deutschen mit den Wahlzetteln ihr kommendes Schicksal in die eigenen starken Hände nehmen. Was mag das bewirken? Wird das den großartigen Herrn Steinbrück mit "Rot-Grün" zu Regierenden machen? Wird sich Deutschland in diesem Falle künftig aller Kriegshandlungen enthalten, sich bei Rüstungsproduktion und -exporten wenigstens mäßigen? Wird es stattdessen der zunehmenden Armut und Angst vor dem Rentenalter zu Leibe rücken? Wird es all das ändern, was heute den deutschen Frauen und Männern den Wunsch nach eigenen Kindern austreibt? Oh je, so dumm sind die Deutschen doch hoffentlich nicht, dass sie schon vergessen haben: es war eine "rot-grüne" Regierung, die diesen Staat in den ersten Kriegseinsatz nach 1945 führte, die uns auch das tragische Hartz-System und die "Rente ab 67" über half. Also besser nicht.

Bleibt aber die schwarz-gelbe Merkel-Regierung, so werden die reichen Deutschen noch reicher. Auch wächst die Macht der Bundesrepublik in der EU, die ihr zur Weltmacht verhelfen soll. Allerdings schwächeln die Gelben zu sehr, um noch deutsche Großmacht mit verkörpern zu können. Nun wird wirksam, was sonst mit Wahlschlachtgaukeleien vernebelt wird: längst sind CDU/CSU, SPD, Grüne, wie auch FDP als Koalitionspartner problemlos austauschbar. "Parteien der Mitte" heißt deren gemeinsamer Nenner, der sich viele Jahre als verlässlich erwies. Man kann sich darauf verlassen, ob es um Arm und Reich geht oder um Krieg und Frieden, diese "Mitte" verhält sich konservativ. Genau genommen, müsste man sie "rechts" nennen. Sich selbst als Mitte zu bezeichnen, dient deren Dominanz, die anderen werden als Extreme verunglimpft.

1990, nach der Ostausdehnung der Bundesrepublik bis an die Oder/Neiße-Grenze drang aus dem Osten etwas Artfremdes bis in den Bundestag vor, die PDS/die Linke. Plötzlich sah sich dort "die Mitte" Andersdenkenden gegenüber. Härtefall für diesen Staat! Geheimdienste überwachten nun die anders denkenden obersten Volksvertreter. Und im selben Atemzug beschuldigte man ausgerechnet derartig bespitzelte Abgeordnete von PDS/Linkspartei einstiger Kontakte zu einem Geheimdienst. Sehr peinlich! Die Wähler belohnten die Verunglimpften manchmal mit Direktmandaten. Daraufhin setzte man die im Bundestag nicht nur an Katzentische nahe am Ausgang, sondern nahm ihnen selbst noch die Tische. Andersdenkende Volksvertreter mussten ihre Notizen auf den Knien schreiben. Wer kein schwarzes Brett vorm Kopf hatte, entdeckte die Realität dieser Bundesrepublik. Verständlich, wenn politisch Unbedarfte fortan gar nichts mehr begriffen. Machen die Linken als Mitregierende in den Ländern Berlin oder Brandenburg denn andere Politik als die SPD? Lassen sie die Differenz zwischen "Freiheitlich-demokratischer Grundordnung" und deutscher Realität nicht wie die SPD einfach außer Acht? Distanzieren sie sich immer noch nicht genug von der DDR, deren Terror- und Mordtaten doch inzwischen an 8695 Fernsehabenden sehr frei ausgestrahlt wurden - von den Bestialitäten der bolschewistischen Untermenschen Russlands ganz zu schweigen! Sind Lafontaine und Gysi nicht typische Sozialdemokraten?

Gewiss doch, im Gegensatz zu Schröder oder Steinbrück und deren Anhänger sind Gysi, Lafontaine und ihre Partei echte Sozialdemokraten. Was bringt nur die Staatsnahen der Bundesrepublik so sehr gegen sie auf? Es ist ein einziger politischer Aspekt, der die Linke in Gegensatz zum grundlegenden Daseinszweck dieser Bundesrepublik bringt: Die Linke wünscht sich ein friedliches Deutschland. Eines ohne Kampfeinsätze deutscher Soldaten im Ausland. Ohne US-Atombomben auf US-Stützpunkten in Deutschland, ohne deutsche Kernwaffenträger, ohne NATO-Kampfdrohnen, ohne deutsche Hochrüstung und Rüstungsexportmeisterschaft. Manchmal tritt die Linkspartei entsprechend mutig öffentlich auf selbst im deutschen Bundestag. Da hört in der BRD der Spaß auf. Deshalb wird die Partei immer wieder öffentlich für nicht regierungsfähig erklärt. Und immer wieder trifft sie die schrecklichste Beschimpfung, die das reaktionäre Deutschland seit eh und je ins Feld führt: Das sind alles Kommunisten! Das Verlangen nach echter Friedenspolitik greift Geburtsgrund und Grundprinzip dieses deutschen Staates an. Die westdeutsche Bundesrepublik wurde nun einmal allein zwecks Zugehörigkeit zum "westlichen Militärblock", also der NATO, geschaffen. Ihr erstes Ziel war, ihre Grenzen zumindest bis an die deutschen Reichsgrenzen von 1937 auszuweiten, das wurde keineswegs verschwiegen. Inzwischen bis zur Oder und Neiße vorgerückt und EU-Führungsmacht geworden, haben die "deutschen" Ziele noch weit höhere Qualität erreicht. Infolgedessen grenzt in diesem Staat das Verlangen nach politisch-militärischer Neutralität nahe an Hochverrat.

Schwer zu sagen, wie die Linkspartei mit diesem Konflikt umgehen wird. Durch die Hauptorientierung auf Kommunal- und Länderpolitik lässt sich ihm leicht ausweichen, wenn nicht gerade Militärstandorte oder Rüstungsbetriebe auch dort zwingen, Farbe zu bekennen. Im September geht es jedoch um Bundestagswahlen. Da sollten die Bürger in einer Demokratie von den zur Wahl stehenden Parteien über die Militär- und Rüstungspolitik wenigstens informiert werden, gründlich und wahrheitsgetreu. Angesichts der andauernd zahlreichen Kriegsbrände auf unserem Planeten müssten wir eigentlich heiße Auseinandersetzungen über die Politik von NATO und EU erleben, in denen Deutschland schließlich keine nebensächliche Rolle spielt. Doch was erleben wir? Ausgerechnet Krieg und Frieden behandelt man als politische Nebenschauplätze und dazu oft mit unglaublich einäugiger Demagogie. Obgleich in diesem wieder erstarkten und auch wieder eindeutig finanz- und monopolkapitalistisch strukturierten Deutschland das Expansionsstreben immer mehr zutage tritt. Dessen soziale, kulturelle und politische Konsequenzen beeinträchtigen unser aller Leben immer tiefer. Parteien, die sich des brennenden Problems annehmen, gelten als Aussätzige. Und wenn sie gar den Zusammenhang von militärisch "begleiteter" Expansionssucht und der Wirtschafts- und Sozialstruktur Deutschlands enthüllen, droht ihnen das Verbot. Das im Westen der Bundesrepublik bis heute geltende KPD-Verbot aus dem Jahre 1956 beweist es. Im Osten des "geeinten" Deutschlands gilt es übrigens nicht.

In der "freien Welt" stehen Wirtschaft, Kapital, wie auch deren Besitzer und Manager nicht zur Wahl. Letztere bilden längst eine Art neuen Adel, Kapitaladel. Wie sollten Leute, bei Deutschlands Schicksalsfragen mitentscheiden, die es nicht einmal zu einem Häuschen oder kleinem Laden bringen? Doch offen gesagt, heute schmerzt mich am meisten, wenn sich hier nicht alle Kommunisten auf den politischen Kampf gegen die imperialistischen Kriege und deren hinterhältige Vorbereitung und Abläufe als zentrale und lebensnotwendige Hauptaufgabe in Deutschland einigen können! Trotz aller schrecklichen Erfahrungen, trotz Lenins, Liebknechts und Luxemburgs. Manche kriegen es einfach nicht mit: Deutschland ist etwas anderes als Griechenland, Portugal, Tschechin, Simbabwe, Angola, Argentinien, Kambodscha, Bangladesch, anders als die vielen Länder, die keine imperialistischen Großmächte sind.

Hans Stahl

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Zum 20. Parteitag - persönliche Eindrücke

Von einem "desaströsen Zustand" der Partei sprach Robert Steigerwald im Interview mit der "Jungen Welt" (2./3. März 2013). Entsprechend spannungsvolle Erwartung prägte die Atmosphäre des Parteitages. In den 160 Anträgen zum Leitantrag des alten Vorstandes gab es höchst unterschiedliche Meinungen zum Charakter der Krise des Kapitalismus in der Gegenwart bzw. zum Charakter des Imperialismus, zur Einschätzung der Arbeiterklasse und zur Bündnispolitik. Einige Genossen legten den Schwerpunkt auf eine Überproduktionskrise bzw. Überakkumulationskrise. Andere legten Wert auf die Bezeichnung "allgemeine Krise des Kapitalismus in unterschiedlichen Erscheinungsformen". Die einen wollen das allmähliche Verschwinden der Arbeiterklasse konstatieren wegen zunehmender Zersplitterung der Arbeitswelt. Die anderen verweisen auf die nach wie vor bestehende Existenz der Arbeiterklasse als die potentiell revolutionäre Kraft der Gesellschaft und verweisen auf die Stärke der Gewerkschaften. Die einen wollen die DKP als "Partner auf Augenhöhe" mit anderen antikapitalistischen Bewegungen sehen, für die anderen bleibt die DKP die Vorhut der Arbeiterklasse. Diese unterschiedlichen theoretischen Sichtweisen stoßen bei vielen Genossen auf Unverständnis, weil sie in den praktischen Kämpfen unserer Zeit anscheinend kaum eine Rolle spielen. Aktive Arbeit der Genossen in den Gewerkschaften, zum Teil in Leitungspositionen, Teilnahme an Demonstrationen und anderen Aktionen in der Kommunalpolitik, zum 1. Mai oder zum 8. Mai zeichnet viele Grundorganisationen aus. Da gibt es überwiegend Übereinstimmung, als kommunistische Kraft gegen den Imperialismus und für eine sozialistische Alternative wirken zu wollen. Allerdings verhinderte der Streit in der Parteiführung eine einheitliche Orientierung für die Basis der Partei. Hinzu kommt - eine in sich zerstrittene Partei wirkt wenig anziehend. Die Tatsache, dass der Abwärtstrend der Partei in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit mit anhaltendem Mitgliederschwund nicht gestoppt werden konnte, zeugt nicht gerade von starker Führungstätigkeit. Und so sorgte das Referat der bisherigen Vorsitzenden, Bettina Jürgensen, nicht eben für Euphorie. Ihre Aufzählung von Zuständen der Gesellschaft und Aktionen der Partei enthielt kaum Orientierendes. Andererseits muss man ihr persönliches Engagement mit vielen Auftritten in den Landesverbänden und an der Basis, darunter auch bei uns in Brandenburg, durchaus wertschätzen.

In den Diskussionsbeiträgen wurde der Antrag der Berliner Landesorganisation mehrfach wegen seiner konstruktiven Orientierung z. B. auf die Abwehr von Privatisierungsbestrebungen gelobt. Leo Mayer warf den Berlinern Linkssektierertum vor, das ein Bündnis mit anderen antikapitalistischen Kräften zerstöre - ohne es zu belegen. Die Berliner konnten auf Erfolge bei Wahlen und beim Runden S-Bahn-Tisch sowie bei Unterschriftensammlungen verweisen.

Ein großes Thema waren die Beziehungen zur Jugendorganisation SDAJ. Der Parteitag beendete die Irritationen zwischen dem bisherigen Parteivorstand und der Jugendorganisation, indem er die grundlegenden weltanschauliche Gemeinsamkeiten zwischen DKP und SDAJ hervorhob. Die SDAJ bleibt fest mit der DKP verbunden. Darauf wies auch Patrik Köbele in seinem Beitrag hin. Er betonte die Gültigkeit von Lenins Imperialismus-Analyse.

Einige Diskussionsredner sprachen zum Umgang mit den Meinungsverschiedenheiten in der Partei. Deutlich war die Tendenz, die einen (die Berliner) in eine linksradikale und die anderen (um Leo Mayer) in eine revisionistische Schublade zu stecken.

Die "Thesen des Sekretariats" stießen vielfach auf Widerspruch. Die darin enthaltenen diffusen Begriffe, entlehnt aus der bürgerlichen Ideologie, und Auffassungen, die dem Parteiprogramm widersprechen, legen eine revisionistische Richtung nahe. Nun kann man aber nicht jeden, der Leo Mayers Argumente plausibel findet, in die revisionistische Ecke stellen.

Die Diskussion über theoretische Fragen geht weiter. Dazu gehört auch das Verhältnis zur Europäischen Linken (EL). Während einige kommunistische Parteien diese Institution für nicht reformierbar halten und deshalb eine Mitgliedschaft ablehnen, glauben andere, die EL auf "linkere" Positionen bringen zu können. Wie soll sich die DKP positionieren? Patrik Köbele setzt sich für die Beibehaltung des Beobachterstatus ein, um später im Vorstand diese Frage gründlich zu erörtern.

Es ist der neu gewählten Parteiführung unter dem Vorsitz von Patrik Köbele sehr zu wünschen, die Partei auf revolutionären Positionen zu einen, auf Positionen, die zu den Grundaussagen von Marx, Engels und Lenin stehen und vor allem deren Denkmethoden zur Weiterentwicklung des Marxismus/Leninismus anwenden. Das ist nicht einfach, zumal sich Leo Mayer gerade auf Marx bezieht, wenn er die Notwendigkeit der Weiterentwicklung des Marxismus betont. Das allerdings ist allen Revisionisten in der Geschichte der Arbeiterbewegung eigen. Am meisten steigerte sich die Auseinandersetzung unterschiedlicher inhaltlicher Strömungen in der Personaldebatte. Bei den Vorschlägen für den Vorsitzenden, den Stellvertretern und Mitgliedern des neuen Vorstandes sprachen Redner jeweils für bzw. gegen die Kandidaten. Die Delegierten ließen sich aber durch unsachliche, teilweise würdelose persönliche Angriffe auf einige Kandidaten nicht beirren und wählten einen neuen Vorstand, der wichtige personelle Voraussetzungen für einen Aufschwung der Partei mitbringt. Klugerweise schlug Patrik Köbele zum Vorstandsmitglied auch Leo Mayer vor, um den Willen der Parteimitglieder für die Einheit der Partei zu unterstreichen. Sicherlich wird die Diskussion nicht einfacher. Aber mit der Wahl der Stellvertreter (Vera Richter, Nina Hager und Hans-Peter Brenner) stehen mit Patrik Köbele Persönlichkeiten an der Spitze, denen die Fortsetzung der Diskussion auf marxistisch-leninistischer Grundlage zuzutrauen ist. Sie werden für den weiteren Weg der Partei zur Hebung des Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse und zu den praktischen Kämpfen gegen Sozial- und Demokratieabbau auf kommunaler Ebene konstruktive Arbeit leisten. Wir Brandenburger sind im neuen Parteivorstand mit Genn. Vierrath und Gen. Berrios-Miranda vertreten und erhalten dadurch neuen Auftrieb. Setzen wir mit unserer politischen Arbeit alles daran, den neuen Vorstand und damit unsere Partei zu stärken. Mein Fazit als Gast des Parteitages: Vorwärts mit vereinten Kräften - auch dank persönlicher Begegnungen mit Genossen aus Münster und Saar.

Sebastian Zachow-Vierrath

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Bellevue *

Im Schloss Bellevue stand er vor einer diffusen Farbfläche, in die Himmlisches zu interpretieren möglich war. An seiner Linken sperrte der deutsche Adler aggressiv seinen roten Schnabel auf, abgebildet auf der Flagge des Bundespräsidenten. Und der hielt in gelernt und gewohnt pastoralem Tonfall eine Rede. Bevor er überhaupt das erste Wort sprach, nannten die gleichgeschalteten Konzernmedien seine gewählten Worte schon eine Grundsatzrede. Es fällt schwer, im Text Grundsätzliches zu finden. Es sei denn, er glaubte, mit seinen Worten tatsächlich Bürger zu erreichen, die sich in Europa, in dem von ihm so definierten "Raum des Wohlstands, der Selbstverwirklichung..." mit Krisenfolgen auseinanderzusetzen haben. Wer, wie Gauck, ein Jahr im Berliner Schloss Bellevue residiert, das bewies er mit seiner Rede, hebt ab und schwebt über massiver Krise, erstarkendem Neofaschismus, Arbeitslosigkeit, Verelendung, Bildungsnotstand - nicht nur in Deutschland. Wer so redet, weiß nichts von Hartz IV, nicht bezahlbaren Mieten, zunehmender Militarisierung der Gesellschaft, wachsender Not... Die eingeladenen Claqueure waren zu stehendem Beifall genötigt. Die angesprochenen Bürger spendeten ihn nicht. Man muss nicht lange in der Rede lesen, um ihren Kern zu erkennen, der schon 1871 geschrieben wurde: "Leeres Wort: Des Armen Rechte! / Leeres Wort: Der Reichen Pflicht!" "Am Ende war er sichtlich von sich selbst gerührt", hieß es in einer Tageszeitung. Hat Gauck vielleicht allein aus diesem Grunde geredet? fragt sich

Till

(*) Bellevue - franz. - (veraltet f. Aussichtspunkt)

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Bisky-Blitz

Mein monatlicher Text für den April-RB war bereits an die Redaktion geliefert. Da traf die Linkspartei ein politischer Blitz von Lothar Bisky Seine Partei möge sich künftig glaubwürdiger Steinbrück und SPD sowie Grünen als Partner anbieten und zu diesem Zweck auf die Ablehnung von deutschen Kriegseinsätzen und von NATO verzichten. Der Mann ist Medienwissenschaftler, er weiß genau, was er damit tut. Ganz im Gegensatz zu jenen Links-Parteimitgliedern, die glauben, SPD und Grüne hätten schon oft und deutlich genug Anbiederungsversuche ihrer Partei zurück gewiesen. Biskys Plan ist von neuer Qualität. Bei dessen Annahme würde Die Linke endgültig ihren Geist selbst aufgeben. Die Vorreiter von Biskys Lieblingsparteien müssten sämtlich politische Idioten sein, würden sie dazu nein sagen. Außerdem wären damit im Bundestag nur noch NATO-Parteien vertreten und wenigstens dort die deutsche Einheit im Sinne der Reaktion realisiert.

Im Übrigen, die Linkspartei hatte gerade Heftpflaster auf innere Konflikte geklebt, um sich auf den Bundestagswahlkampf zu konzentrieren. Das hat Bisky nun wohl erfolgreich durchkreuzt. "Seine" Partei verliert Wähler, ob sie ihre Friedenspositionen gleich aufgibt oder sich in schwerem Streit darum aufreibt. Schadensbegrenzend wäre eine rasche, klare, einmütige und eindeutige Entscheidung gegen jegliche deutsche Kriegsbeteiligungen, gegen deutsche Rüstungslieferungen in Konfliktgebiete, gegen ausländische Atomwaffen und Soldaten auf deutschem Boden. Und endlich, zwei Jahrzehnte nach dem angeblichen Ende des Kalten Krieges und der Auflösung des Warschauer Vertrages, auch für Auflösung der NATO oder widrigenfalls für Austritt der Bundesrepublik.

Die Lage in Deutschland ist offenbar nur Wenigen bewusst: Achtzig Jahre nach dem Machtantritt des Hitlerfaschismus sitzt kein Kommunist im deutschen. Parlament. Nun sollen auch noch die letzten Vertreter der Friedensbewegung aus dem Bundestag gedrängt werden. Der deutsche Präsident heißt Gauck und war zuvor Administrator der Behörde der Bundesrepublik, die die MfS-Unterlagen der DDR ausschlachtet. Dieser Präsident besuchtwie die deutsche Kanzlerin gern deutsche Truppen, die im Ausland mit Raketen, Panzern, Kampfflugzeugen und anderem tödlichem Gerät aktiv sind. Da war die Weimarer-Hindenburg-Demokratie harmloser.

Hans Stahl

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Walter Ulbricht - meine Sicht

Zum 120. Geburtstag von Walter Ulbricht - Auszug

In Walter Ulbricht sah und sehe ich nicht nur einen hervorragenden Repräsentanten der DDR, sondern auch der gesamten deutschen Arbeiterbewegung. Sein Leben und Wirken, seine Tätigkeit hat er der Befreiung der Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung gewidmet.

Walter Ulbricht war ebenso ein aktiver Vertreter und Verfechter des proletarischen Internationalismus innerhalb der Kommunistischen Internationale und später der kommunistischen und Arbeiterbewegung.

Sein Leben und Wirken standen stets im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Herausbildung einer Partei, die, gestützt auf die Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin, in der Lage war, die Entwicklung der Gesellschaft auf wissenschaftlicher Grundlage zu erfassen und sie im Interesse der arbeitenden Menschen und des gesellschaftlichen Fortschritts umzugestalten.

Persönlichen Kontakt zu Walter Ulbricht erhielt ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Dolmetscher für rumänisch, die ich im Verlaufe vieler Jahre für die Partei- und Staatsführung der DDR mit rumänischen Repräsentanten ausgeübt habe. Dabei habe ich auch Gespräche zwischen Walter Ulbricht und rumänischen führenden Politikern gedolmetscht und ihn so im persönlichen Umgang erlebt...

Mir ist bewusst geworden, dass sich meine Haltung zu Walter Ulbricht nicht nur und nicht primär in den kurzen persönlichen Kontakten herausgebildet hat. Sie war und bleibt eingebettet in mein Verhältnis zur Theorie von Marx, Engels, Lenin, in die Kenntnisse über die Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterbewegung, die ich mir im Verlaufe meines politischen und beruflichen Werdegangs angeeignet habe. ...

Eine allgemeine Eigenschaft Walter Ulbrichts, die mich stark beeindruckte, und die ich in den Beschreibungen von Herbert Graf und anderen sachkundigen Biographen von Walter Ulbricht wieder gefunden habe, war sein Grundsatz, an den Dingen so lange dran zu bleiben, bis sie durchschaut wurden. ...

Natürlich gab es im Leben und Schaffen Walter Ulbrichts auch politische und persönliche Unzulänglichkeiten und Einseitigkeiten. Jeder Mensch hat nicht nur Tugenden, sondern auch Fehler. ...

Es gibt heute zu viele Autoren, die sich auch noch als objektive Beobachter titulieren, die die erstgenannten Eigenschaften betonen und in aller Breite behandeln, aber die anderen Charakteristika irgendwo im Nichts versinken lassen. Sie zeichnen ein Bild, das in der heutigen Gesellschaft Verbreitung findet, das aber nur denjenigen nutzt, die "ihn herabzusetzen" trachten, weil sie die Ideen des Sozialismus bekämpfen und den Antikommunismus praktizieren.

Walter Ulbrichts Leben und Werk vermitteln wichtige Erfahrungen des Kampfes der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert. Er hat als Mitglied der Parteiführung einen Weg ins Neuland beschritten. Die Analyse, schöpferische Verwertung und Weiterführung seiner Ideen in den Kämpfen unserer Zeit ist eine Lebensnotwendigkeit und eine Voraussetzung für die erneute Stabilisierung der Bewegung und für ihren Erfolg.

Es ist aber bedauerlich, dass das Lernen aus der eigenen Geschichte unter einem großen Teil der deutschen Linken in der Gegenwart bis zur Unkenntlichkeit verdrängt wird. ...

Das Jubiläum sollte deshalb zum Anlass genommen werden, die antikommunistische Hetze, die die Persönlichkeit von Walter Ulbricht und seine Leistungen verunglimpft und unglaubwürdig machen soll, mit Entschlossenheit zu entlarven. Es geht ja dabei nicht nur um die Person Walter Ulbrichts, sondern, indem man auf ihn einschlägt, will man die Linken, die revolutionäre Arbeiterbewegung treffen. Man will verhindern, dass die während des Wirkens von Walter Ulbricht gemachten positiven Erfahrungen für den antikapitalistischen und antiimperialistischen Kampf der Gegenwart nutzbar gemacht werden. Das dürfen wir nicht zulassen und aktiv dagegen vorgehen!

Anton Latzo


Der Aufsatz ist komplett unter www.dkpbrandenburg.de zu lesen.

Die Zusendung des Textes kann auch auf Anfrage an die Redaktion erfolgen (siehe Impressum)

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Der Tag von Potsdam 2013

Am 21. März jährte sich der Tag von Potsdam zum 80-sten Mal. Der Tag, an dem der endgültige Schulterschluss der alten (militaristisch-monarchistischen) mit der neuen (faschistischen) Rechten stattfand. Auf dem Boden des antidemokratischen Revanchismus, die Weimarer Republik ablehnend, traten sie im Interesse der deutschen Monopole an, die erstarkenden linken Kräfte zu zerschlagen und für maximale Profite alle demokratischen und sonstigen Hemmnisse aus dem Weg zu räumen und Deutschland zu einer Großmacht zu führen. Ein Symbol dieses Tages ist die Garnisonkirche. Ein Symbol, dass im Potsdam des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr wieder aufgebaut werden soll.

Dem Thema angemessen fanden um diesen Tag herum viele Veranstaltungen statt. So lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema: "Vor 80 Jahren: Der Tag von Potsdam", unter anderem mit Prof Dr. Kurt Pätzold, ein. Aber auch die Stadtoberen erinnerten an den Tag. In bewährter Art mit einem "Demokratiespaziergang" mit Kerzen. Dagegen setzten junge Antifas ihre Meinung. Sie zeigten die Kontinuität von Pickelhaube zur SA-Uniform in Szene und versuchten zu verdeutlichen, dass auch wieder Uniformaufmärsche im Fackelschein wieder möglich sein können. Diese Aktion war natürlich umstritten.

Am 21. selbst demonstrierten, aufgerufen durch die Bürgerinitiative "Potsdam ohne Garnisonkirche", etwa 250, vorwiegend junge Leute, gegen den Wiederaufbau Für die Demonstranten war der geplante Wiederaufbau das Zeichen einer rückwärts gewandten politischen Einstellung: "Diese Kirche symbolisiert den deutschen Militarismus und passt nicht in das Potsdam des 21. Jahrhunderts", sagte Hauptredner, der Radio-Journalist Anselm Weidner. Am Abend lud noch das Jugendprojekt "Freiland" zum Thema "Wer brauchte und wer braucht die Garnisonkirche? Preußen-Kult oder Kultur für alle?" ein.

Am Samstag fand dann in Potsdam der Ostermarsch statt. Ca. 100 folgten dem Aufruf der Friedenskoordination Potsdam und der "Sozialen Bewegung Land Brandenburg". Im Aufruf heißt es: "Wir wollen daran erinnern, dass hier in Potsdam zweimal die Ursachen für Weltenbrände lagen: Der Erste Weltkrieg kostete etwa 17 Millionen Menschen das Leben. Am 21. März 1933 begann hier in Potsdam die schreckliche Herrschaft des deutschen Faschismus mit Adolf Hitler, während von der Kanzel der Garnisonkirche immer wieder das Kämpfen, das Siegen und das Sterben gepredigt wurde. Der folgende Zweite Weltkrieg kostete dann 55 Millionen Menschen das Leben und zerstörte halb Europa." Neben der Ablehnung der Kriegseinsätze Deutschlands war vor allem das Verbot deutscher Waffenexporte ein Thema.

Nach wie vor gilt "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland", und wenn er in Gestalt deutscher Waffen daher kommt.

Frank Novoce

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Kommunismus (Teil XIX)

Obgleich die sozialistische Revolution doch nun in Deutschland gewiss keine aktuelle Aufgabe ist, führte die Frage nach einem friedlichen Verlauf (in der vergangen Folge in dieser Serie angesprochen) zu allerhand Entgegnungen. Wir sollten uns um nichts in der Welt von der in Deutschland seit eh und je üblichen hemmungslosen Hetze gegen Kommunisten und den Kommunismus beirren lassen. Zuerst einmal ist der Kommunismus eine zutiefst humanistische Weltanschauung, die auf den politischen Kampf für eine Ordnung der Gesellschaft orientiert, die allen ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Für die dazu möglichen Wege und Mittel ist einzig die gesellschaftliche Wirklichkeit bestimmend. Nehmen wir es, so gesehen, aktuell. Man begreift langsam die Realität, dass die Volksrepublik China in Zukunft die stärkste Wirtschaftsmacht und dann Schritt für Schritt das wirtschaftliche Zentrum auf unserer Erde sein kann. Unter der Voraussetzung, diese Entwicklung wird nicht durch Krieg unterbunden, dürfte die Frage nach der friedlichen sozialistischen Revolution damit sehr praktisch entschieden sein: Sie wird sich dann friedlich vollziehen!

Das ist für Kommunisten nicht allein eine moralische Frage. Sozialismus und noch mehr Kommunismus, gedeihen nur unter der Voraussetzung einer dem Kapitalismus überlegenen Arbeitsproduktivität. Also erschwert jede Vernichtung von Produktivkräften, besonders von Menschen, die Gestaltung der neuen Gesellschaft. Was vernichtet mehr als Krieg? Hinzu kommt, Sozialismus ist nur mit Zustimmung und Mitarbeit einer großen Volksmehrheit möglich, zum Kommunismus kommt es ohne die erst gar nicht. Gerade der Kampf gegen Militarismus und Krieg war überall Kraftquell für Sozialisten und Kommunisten.

Wir haben bisher als wesentliche gesellschaftliche Triebkraft zum Sozialismus den Klassengegensatz von der besitzenden, ausbeutenden und infolge dessen auch herrschenden Menschengruppe zu den arbeitenden und ausgebeuteten Klassen und Schichten angesehen. Dieser Klassengegensatz bleibt der "westlichen Welt", trotz US-way of life, objektiv erhalten. Inzwischen haben wir (hoffentlich) begriffen, dass längst der einschneidende Gegensatz von Imperialismus und abhängigen, oft direkt unterdrückten und stets ebenfalls ausgebeuteten Völkern elementare Bedeutung gewann. Zu lernen haben wir jetzt: Es ist ein weiterer globaler Faktor hinzugekommen: Um der Menschheit überhaupt ihre Lebensgrundlage auf unserer Erde zu erhalten, ist sie gezwungen, gemeinsam all ihre Kräfte aufzubieten. Das funktioniert nicht im Kampf der Mächte und Staaten gegeneinander! ("In die Steinzeit zurück bomben" ist eine bekannt gewordene US-Drohung gegen nicht kriechende Staaten.) Überhaupt funktioniert Gemeinsamkeit im Rahmen der finanz- und monopolkapitalistisch strukturierten Gesellschaft nicht. Nicht nur, weil sie kulturell Individualismus und Egoismus züchtet. Wenn nicht die realen Lebensnotwendigkeiten der Menschen und Völker bestimmend für Ziele und Wege von Arbeit und Wirtschaft werden, sondern der Gewinn von Banken und Unternehmen maßgeblich bleibt, muss alles falsch laufen.

Bei allen Fragen nach der Möglichkeit friedlicher Wege zur Überwindung des Kapitalismus und vor allem seiner imperialistischen Pest, muss gerade in Deutschland der gemeinsame politische Kampf von Sozialisten und Kommunisten gegen Kriegseinsätze von Bundeswehr, Europatruppen und NATO-Armeen, gegen das wieder ehrbar geschwindelte Kriegshandwerk und Söldnertum, gegen die dahinter stehenden Rüstungsimperien und politischen Strukturen aller Art im Zentrum stehen! Um so mehr, als der sich nun in der Bundesrepublik entwickelnde Militarismus längst nicht so offensichtlich ist, wie der zum Beispiel in den USA oder Frankreich. Doch beide sind unsere engsten militärischen Verbündeten!

H.St.

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AUS DEM GESCHICHTSBUCH

Der Geist von Rapallo

Das kleine italienische Städtchen Rapallo liegt an der malerischen Riviera di Levante und zählt heute etwas über 30.000 Einwohner. Bekannt und berühmt wurde die Stadt nicht nur als Badeort mit seinem besonderem Flair, sondern auch durch einen nach ihr benannten Vertrag, der hier im April 1922 zwischen dem Deutschen Reich und der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik geschlossen wurde.

Am 10. April 1922 begann in der italienischen Hafenstadt Genua eine internationale Wirtschaftskonferenz mit Teilnehmern aus 28 europäischen Staaten sowie japanischen Vertretern. Im imposanten Palazzo San Giorgio sollte der Einladung nach über die wirtschaftlichen Probleme Europas beraten werden. Zum ersten Mal seit der russischen Oktoberrevolution ist auch eine offizielle sowjetische Delegation zu einem internationalen Treffen eingeladen.

Die Siegermächte des Weltkrieges verfolgten gegenüber Sowjetrussland das von Winston Churchill formulierte Anliegen, das "Baby schon in der Wiege zu erdrosseln". Alles sollte getan werden, den Ausbruch eines so großen Landes aus dem kapitalistischen Weltgefüge rückgängig zu machen.

Die deutschen Gesandten waren mit großen Erwartungen nach Genua gereist. Sie wollten über die im Versailler Vertrag fixierten Reparationsleistungen für den verlorenen Ersten Weltkrieg reden. Doch insbesondere der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré sträubte sich hartnäckig gegen Kompromisse in dieser für das Wiedererstarken des deutschen Großkapitals so wichtigen Frage. Der deutsche Reichskanzler Joseph Wirth und sein Außenminister Walter Rathenau gerieten zunehmend unter Druck; sie brauchten unbedingt den Erfolg auf internationalem Parkett.

Der überraschende Vertragsschluss mit Sowjetrussland findet schließlich am Rande der Konferenz in dem im benachbarten Badeort Santa Margherita Ligure gelegenen Hotel Imperiale, in dem die russische Delegation der Konferenz von Genua wohnt, statt. In der Nacht zum 15. auf den 16. April verständigen sich der deutsche Diplomat Adolf Georg Otto von Maltzahn und der Leiter der sowjetischen Delegation, Georgi Tschitscherin, auf ein Bündnis.

Am nächsten Tag wird der Vertrag von Rapallo offiziell vom deutschen Außenminister Walther Rathenau und seinem russischen Amtskollegen Georgi Tschitscherin unterzeichnet. Das Abkommen normalisierte die Beziehungen der beiden Staaten, die mit ihm ihre internationale Isolation durchbrechen wollten, und sollte die Verhandlungsposition Deutschlands gegenüber den Westmächten stärken. Mit dem imperialistischen Deutschland, dessen Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs der Frieden von Versailles konstatiert hatte, und dem sozialistischen Russland schlossen sich de facto zwei - aus freilich ganz unterschiedlichen Gründen - Geächtete der damaligen internationalen Politik zusammen.

Der Vertrag hatte hauptsächlich den Inhalt, dass Deutschland und Sowjetrussland ihre in Folge des Ersten Weltkriegs und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution unterbrochenen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen nach dem Prinzip der Meistbegünstigung wieder aufnahmen. Letzteres war für das deutsche Großkapital ein eminent wichtiger Punkt, da seine Waren von den ehemaligen Kriegsgegnern in Westeuropa weitgehend boykottiert wurden. Des Weiteren verzichteten beide Staaten auf Reparationen für Kriegsschäden, das Deutsche Reich zudem auf Entschädigungen für im Zuge der Revolution verstaatlichten ehemals deutschen Besitz.

Im Umfeld des Vertrags wurde die Lieferung von Industrieanlagen an Sowjetrussland vereinbart, durch die es die Ölfelder von Baku ohne Unterstützung anderer westlicher Firmen betreiben konnte. Zudem verpflichtete sich Deutschland, Lageranlagen und Tankstellen zur Vermarktung sowjetischer Ölprodukte einzurichten. Auf diese Weise plante das deutsche Großkapital, seine Abhängigkeit von britischen und amerikanischen Ölkartellen zu mindern, die den Markt beherrschten. In der nachfolgenden sogenannten Rapallo-Dekade von 1922 bis 1932 war Deutschland der wichtigste Handelspartner Russlands. Mehr als ein Fünftel aller sowjetischen Exporte gingen nach Deutschland. Am Osthandel waren insbesondere solche Konzerne wie Siemens und AEG, die Gutehoffnungshütte, MAN, die Reederei Blohm & Voss interessiert.

Für Sowjetrussland war der Vertragsabschluss ein großer diplomatischer Erfolg. Damit wurde die Regierung der Bolschewiki zum ersten Mal offiziell diplomatisch anerkannt. Später, am 5. November 1922, wurde die Gültigkeit des Vertrages auch auf die anderen Sowjetrepubliken ausgedehnt.

Auf der Konferenz von Genua schlägt die Nachricht vom deutsch-sowjetischen Abkommen wie eine Bombe ein: Die Westmächte, vor allem Frankreich und Großbritannien, fühlen sich durch das Bündnis der beiden übergangen und sehen ihre strategischen Interessen in Gefahr. Der britische Premier Lloyd George tobt, die französische Delegation packt ihre Koffer. Die Konferenz steht auf Messers Schneide. Die allgemeine Empörung legt sich erst, als bekannt wird, dass der Vertrag entgegen schwelender Gerüchte keine Geheimklauseln enthält.

Die Westmächte standen dem Vertrag feindlich gegenüber, weil er die beiden beteiligten Staaten stärkte, die diplomatische Isolation des revolutionären Russlands aufbrach und die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von den Westmächten verringerte. Zwei Tage nach Abschluss des Vertrags protestierten sie auf diplomatischem Weg und am 01. Mai 1922 erhob der juristische Beirat der alliierten Mächte in Paris Einspruch gegen den deutsch- russischen Vertrag von Rapallo: Er sei eine Verletzung des Versailler Vertrages. Es wurde unverhohlen gemutmaßt, die beiden Staaten planten eine erneute Aufteilung Polens, das im Vertrag von Versailles als Staat wiedergegründet worden war. Diese Vermutung war nicht völlig unbegründet: die Reichswehr unter General Hans von Seeckt plante seinerzeit tatsächlich eine Revision der Ostgrenze. Ein direkter Zusammenhang mit dem Rapallo-Vertrag ließ sich jedoch nicht belegen.

Die deutsche Öffentlichkeit reagierte auf den Vertragsabschluss überaus positiv. Der Reichstag billigte den Vertrag mit überwältigender Mehrheit. Dennoch fand er keine ungeteilte Zustimmung: Bei Reichspräsident Ebert, der rechten SPD-Führung undvor allembei nationalistischen und rechtsextremen Kreisen stieß er auf heftige Ablehnung. Rathenau wurde von letzteren öffentlich als kommunistenhörig und als Bolschewist beschimpft. Er bezahlt das Abkommen letztlich mit seinem Leben: Am 24. Juni 1922, knapp acht Wochen nach der Unterzeichnung in Rapallo, wird er auf der Fahrt zu seinem Dienstsitz von Mitgliedern der rechten Terrororganisation Consul erschossen.

Wilhelm Pieck bringt in "Die Rote Fahne" vom 21. April 1922 die Klassenposition der KPD zum Ausdruck: "Wenn heute die deutsche Bourgeoisie in Genua mit Sowjetrussland ein Bündnis schloss, so nicht aus Freundschaft, sondern aus zwingender Notwendigkeit unter den Fußtritten der Entente. Die deutsche Arbeiterschaft muss alles tun, um diesem papiernen Vertrag Leben zu geben. Es gilt, in den Gewerkschaften und Betrieben dahin zu wirken, dass Russland wirkliche wirtschaftliche Hilfe gebracht wird."

Bis heute spricht man bisweilen vom "Rapallo-Komplex", wenn man das Misstrauen meint, das in den führenden Ländern des Kapitals entsteht, sobald Deutschland sich vermeintlich zu sehr auf Russland zubewegt. Dieser Komplex spielte beispielsweise im Zusammenhang mit der Ostpolitik der BRD unter Willy Brandt nach 1970 eine große Rolle und wurde zuletzt beschworen, als man der Regierung Schröder eine Achse "Paris-Berlin-Moskau" unterstellte, obwohl beide Vorgänge ihrem Wesen nach völlig anders geartet waren.

Wer heute nach Rapallo kommt, kann sich an Ort und Stelle ein Bild von den Ereignissen vor über 90 Jahren machen. Das Hotelmanagement hat den Raum in dem die Unterzeichnung des Vertrags stattfand, zur Besichtigung gut erhalten; Kopien des Vertrages hängen an den Wänden aus, zahlreiche Details und Zusammenhänge werden aufgezeigt. Zu den Kuriosa gehört übrigens auch, dass sich die deutsche Delegation nach Eintreffen der letzten sowjetischen Vorschläge in der Nacht vor der Vertragsunterzeichnung zu einer legendär gewordenen "Pyjamakonferenz" traf, um sich vor Vertragsschluss noch einmal abzustimmen. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall

M.F.

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[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die "Brandenburger Nachrichten in Rot" wurden nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die Lüge über den 17. Juni

Teil 1

Interview mit Erich Buchholz

In diesem Jahr jähren sich die Ereignisse des 17. Junis 1953 zum 60. mal. Die Herrschenden dieser Republik werden jede Zeitungszeile und jede Sendeminute nutzen, um dies zur Diskreditierung der DDR zu nutzen. Dem wollen wir die Sicht eines Zeitzeugen entgegensetzen. Rechtsanwalt Erich Buchholz, geboren 1927, wollen wir in drei Teilen befragen, wie es zu diesen Ereignissen kam und wie er sie erlebte. Im ersten Teil geht es um seine persönliche Entwicklung bis in die Jahre nach dem Krieg.


RB: An welche Ereignisse der turbulenten Dreißiger kannst Du dich noch erinnern?

Erich Buchholz: Wenige Wochen nach meinem sechsten Geburtstag riefen Leute in Berlin-Moabit, wo wir damals wohnten: "Der Reichstag brennt!" Wir rannten auf die Straße und schauten in die Richtung des Reichstagsgebäudes. Wir sahen tiefschwarzen Qualm über der Kuppel des Reichstags empor steigen. Der ganze Himmel über dem Reichstag war tiefschwarz. In demselben Augenblick sagte mein Vater: "Das waren die Nazis!"

Am nächsten Tage verbreiteten die Nazis die Lüge, Kommunisten hätten den Reichstag angezündet! Später fand vor dem Reichsgericht in Leipzig der Reichstagsbrandprozess gegen Dimitroff und andere statt. Mein Vater erzählte mir von einem antifaschistischen Gegenprozess in Paris, wo die Lüge der Nazis entlarvt wurde.

RB: Wie war dann Deine Schulzeit?

E.B.: Wenige Wochen nach dem Reichtagsbrand berichtete mir mein Vater, dass die Weltliche Schule, an der er mich Ostern zum Schulbesuch angemeldet hatte, von den Nazis geschlossen worden war. Weltliche Schulen waren eine Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung, besonders der Freidenker. Sie hatten ihren Niederschlag in der Weimarer Verfassung gefunden. Das freie Denken der Freidenker war aber den Nazis ein besonderer Dorn im Auge.

Die Schließung dieser Schule war der erste Anschlag der Nazis auf meine Schulbildung. Den Rest besorgte dann ihr Krieg. Daher war meine Schulbildung so verkürzt, dass mein Vater meinte: "Bei dieser mangelhaften Schulbildung kannst du nur Jura studieren!"

RB: Offensichtlich bist Du diesem Rat gefolgt?

E.B.: Nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus machte ich mich mit Feuereifer an das juristische Studium. Einige Wochen später bekam ich die Mitteilung, meine Zulassung sei ein "Versehen"; ich müsste erst mein Abitur nachholen! Später, 1948, konnte ich dann doch mit dem Studium beginnen.

RB: Welche Stimmung herrschte dort nach dem Krieg?

E.B.: Dort bekam ich mit, dass unter den Studenten zahlreiche ehemalige Offiziere der Naziwehrmacht waren. Das waren dann diejenigen, die nach der Spaltung Berlins 1949 in Dahlem unter der irreführenden Bezeichnung "Freie Universität" eine antikommunistische Gegen-Universität aufgemacht hatten.

Bis zu Beginn der fünfziger Jahre hatten wir die alten Professoren als Lehrer, die bereits in der Nazizeit gelehrt hatten. Auch das Dekanat befand sich, wie mir später deutlich wurde, in der Hand jener alten Professoren. Da wurde mir klar, weil ich im Zusammenhang mit meiner Bewerbung die Bodenreform begrüßt hatte, wurde ich zunächst nicht zum Studium zugelassen.

RB: Wie hast Du dann die Zeit bis zum Studium überbrückt?

E.B.: Da ich immer wieder nicht zugelassen wurde, meldete mich mein Vater - mit 20 Jahren war ich damals noch nicht volljährig! - beim Finanzamt zur Ausbildung als Dienstanwärter an. Meine Ausbildung absolvierte ich in einer Station in meinem Wohnbezirk Tiergarten.

In dieser Zeit wurde von den USA, unterstützt von den anderen beiden westlichen Alliierten, die separate Währungsreform in Westdeutschland und West-Berlin durchgeführt. Das war die Spaltung Deutschlands!

RB: Und wie hast Du diese Währungsreform erlebt?

E.B.: Ich war zum Geldumtausch eingesetzt. Mir wurde ein Platz in einem notdürftig hergerichteten Schalter in einer Turnhalle zugewiesen. Dann kam das "neue Geld". Es sah so fremdartig aus, wie Dollars! Dann nahm ich die Geldbündel in die Hand und las auf ihnen das Druckdatum "17. Nov. 1947".

Es schoss mir durch den Kopf. Diese separate Währungsreform wurde also nicht nur hinter dem Rücken des vierten Alliierten, der Sowjetunion, durchgeführt, sondern war lange Zeit vorher vorbereitet worden. Ich rechnete und schätzte, die Vorbereitung einer solchen Aktion muss in der ersten Hälfte 1947 begonnen haben. Später erfuhr ich, dass die ganze Spaltung Deutschlands seitens der USA bereits seit 1946 festes Programm war.

RB: Hast Du die Ausbildung beendet?

E.B: Einige Zeit später wurde mir fristlos gekündigt! Worin bestand meine Verfehlung? Ich hatte nichts Böses getan! Es stellte sich heraus: ich hatte einen politischen Text, der im Bezirksamt von Hand zu Hand ging, nicht unterschrieben. Ich wollte meine dienstliche Tätigkeit nicht mit Politik vermischen. Weil ich also nicht in das Horn der westlichen Propaganda jener Zeit blies, wurde ich "rausgeschmissen". Das war eine weitere Lektion über die Meinungsfreiheit im Westen.

RB: Politische Bildung, wie sie das Leben schreibt! Aber nun war sicher "guter Rat teuer"?

E.B.: Inzwischen bekam ich doch eine Zulassung zum juristischen Studium zum Wintersemester 1948/49. Ich hatte die günstige Gelegenheit, in einem Studentenheim in Hohen-Neuendorf bei Berlin leben zu können.

Aber die politische Schule des Lebens ging weiter. Einige Zeit später, es ging wohl um den so genannten UGO-Putsch (Streikaktionen und Sabotageakte sog. Unabhängiger Gewerkschaften um die Bezahlung der Westberliner Reichsbahner mit "Westgeld" Anm.d.R.), befand ich mich auf dem Heimweg mit der S-Bahn nach Hohen-Neuendorf. Auf dem Bahnhof Frohnau fuhr der Zug nicht weiter. Das war Folge jenes Streiks. Auf dem Bahnsteig befanden sich riesige Massen von Leuten, die offenbar keine Fahrgäste waren. Angehörige der ostdeutschen Transportpolizei veranlassten jene Personen, die sich grundlos auf dem Bahnhof befanden, das Bahngelände zu verlassen. Man muss nämlich wissen, dass das Reichsbahngelände in West-Berlin unter sowjetischer Verwaltung stand.

Gleichzeitig gaben Angehörige der Westberliner Stumm-Polizei von außerhalb des Bahngeländes scharfe Pistolenschüsse auf die Transportpolizei ab! Ich fragte mich: Ist das noch ein Ausläufer des Zweiten Weltkrieges oder bereits der Anfang des dritten?


Frank Novoce

wird fortgesetzt

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Der rote Bücherwurm empfiehlt

Wer mich rein und recht beurteilen will, muß mich in meinem Ganzen nehmen

Zum 250. Geburtstag Jean Pauls - Homage an einen großen "Dichter in dürftiger Zeit"

Am 21. März, im Jahre 1763, wo der Hubertusburger Friede zur Welt kam, wurde Jean Paul, eigentlich Johann Paul Friedrich Richter, im fränkischen Wunsiedel als Sohn eines Organisten und Schulmeisters geboren. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen und Dichterkollegen Johann Wolfgang von Goethe, der "seinen Lebensbeginn mit einer besonders günstigen Sternenkonstellation in Beziehung bringt", nennt Jean Paul in seiner Selberlebensbeschreibung "das politische Hauptereignis seines Geburtsjahres". Keine zufällige Erwähnung, entstammt er doch den Schichten der Bevölkerung, die bis heute den größten Blutzoll für die Kriege der Großen und Mächtigen leisten müssen. Als die deutschen Fürsten auf die Revolution mit dem Einmarsch ihrer Armeen in Frankreich antworten, breitet sich wieder ein jahrelanger Krieg über Europa aus. Des Dichters Antwort darauf findet man in seiner politischen Schrift, Dämmerungen über Deutschland (1809), in Gestalt einer Kriegserklärung gegen den Krieg.

Jean Pauls Weg zu einem der bedeutendsten Schriftsteller des 18./19. Jahrhunderts war hart und steinig. Hungerzeiten blieben ihm nicht erspart. An seinen ersten schriftstellerischen Erzeugnissen, den Satiren Des Teufels Papiere und Die Grönländischen Prozesse, zeigten die Verleger nur geringes Interesse. Der Durchbruch kam 1793. Jean Paul schickte das Manuskript seines ersten Romans Die unsichtbare Loge an den ihm wesensverwandten Schriftsteller Karl Philipp Moritz, welcher nicht nur die ganz große Begabung des jungen Autors erkannte, sondern begeistert feststellte: "... das ist noch über Goethe, das ist was ganz Neues!" - Moritz, der den harten Weg vom Hutmacherlehrling zum Professor an der Berliner Kunstakademie geschafft hatte, machte sich mit seinem autobiographischen Roman "Anton Reiser" einen Namen. Jean Paul entwickelte, an sein Vorbild angelehnt, die psychologische und realistische Literaturweiter. Mit diesem Roman wurde auch der Name geboren, unter dem der Dichter Literaturgeschichte schrieb. Taufpate war der schweizerische Schriftsteller, Philosoph und Pädagoge Jean Jacques Rousseau, der wichtigste geistige Vorbereiter der Französischen Revolution. So entstand ein Roman über ein bürgerlich humanistisches Erziehungsmodell und die revolutionären Zirkel in den deutschen Kleinstaaten. Sein zweites Buch Hesperus machte ihn über Nacht berühmt, und es dauerte nicht lange und Jean Paul folgte 1793 einer Einladung nach Weimar. Über mehrere Jahre kam er mit Fürsten und berühmten Geistesschaffenden seiner Epoche in Berührung. Als interessanter und witziger Gesprächspartner wurde er gerne und oft in die literarischen Salons eingeladen. Doch die berühmtesten Vertreter der deutschen Klassik betrachteten ihn eher argwöhnisch. Schiller fand ihn "fremd wie einen, der vom Mond gefallen ist." Am nahesten war ihm Gottfried Herder. Als dieser 1800 starb, verließ Jean Paul Weimar für immer.

Während der Weimarer Aufenthalte entsteht 1797 eines seiner besten Werke, der erste große Eheroman, Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäsim Reichsmarktflecken Kuhschnappel, dem zweiten bedeutenden Eheroman "Wahlverwandtschaften" von Goethe ebenbürtig, in der "Darstellung des Sozialen, aber weit überlegen". Der Roman handelt vom Scheinsterben des Armenadvokaten Siebenkäs, der auf diesem Wege sich und seine Frau aus dem Käfig der konventionellen Ehe befreit. Denn nicht Liebe hat beide den Bund schließen lassen, sondern der Heiratsmarkt. Falsche Erwartungen und gegenseitiges Unverständnis führen zu ständigen Kontroversen, die authentisch und mit unvergleichlichem Sprachwitz zur Darstellung gebracht werden. Jean Paul hat sich in seiner Vorschule der Ästhetik mit Dichtungskunst und dem Wesen des Humors auseinandergesetzt. Von den realistischen Theorien eines Shakespeares oder Cervantes ausgehend, entfernt sich Jean Paul mehr und mehr von Vorbildern: "Er muß nicht mit schroffen Gegenüberstellungen arbeiten wie ein Cervantes." Statt dessen schreibt er "haarscharf am Realistischen und Phantastischen dahin. Hier steht nicht mehr eine unerreichbare Idealwelt einer unveränderbaren Realwelt gegenüber, sondern eine freiere Lebensauffassung einer gefesselten." Jean Pauls Protagonisten sind die nie müde werdenden "Aufmüpfigen und Unangepaßten".

Die Technik des Dualismus erfährt in den Werken Jean Pauls höchste Vollendung. Sie führt aus der Enge in die Weite. Das Erwachen aus einem Alptraum gleitet in ein malerisches Stimmungsbild. Idyllen sind Scheinidyllen. Soziale Gegensätze stoßen aufeinander. Dialoge grundverschiedener Charaktere "bringen erstarrte Weltbilder in Bewegung". So wird die schwärmerische Naivität eines Walt in dem großartigen, unvollendeten Roman Flegeljahre - eine Art Gegenentwurf zum klassischen Bildungs- und Entwicklungsroman - durch seinen ironischen und abgeklärten Zwillingsbruder Vult in Frage gestellt. Die Vorstellungen und Gedanken, die musikalischen Metamorphosen gleich entwickelt werden, die sehr differenzierten Natur- und Seelenschilderungen, die in die Handlungen einfließen, beweisen die Meisterschaft eines Dichters, der das Zusammenspiel von Form und Inhalt vollkommen beherrscht. Jean Paul schafft ausschließlich Prosa, weil diese Kunstform der Vielschichtigkeit des Lebens am ehesten gerecht werden kann.

Der poetische Realist Jean Paul "nimmt eine Sonderstellung ein, steht zwischen den großen literarischen Strömungen seiner Zeit", weil sich sein Humanismus weder als "idealisierte Wirklichkeit über das Leben legt" (Klassik) noch in Weltflucht verliert (Romantik), sondern als Möglichkeit im wirklichen Leben vorhanden ist. Jean Paul gehörte zu den fortschrittlichen Denkern seiner Zeit, die die Französische Revolution begrüßten. Wie viele Befürworter wandte auch er sich vom sogenannten "Jakobinischen Terror" ab. Doch im Gegensatz zu den meisten Intellektuellen, vor allem aus den Reihen der Romantiker, blieb er den Ideen der Revolution treu und "bewahrte das Licht der Aufklärung auch in Zeiten des Chauvinismus und der Restauration vor dem Verlöschen." Jean Paul starb 1825 in Bayreuth.


Ulla Ermen

Anhang: Zitate und Titel von Jean Paul heben sich im Text durch Kursivschrift ab. Die in Anführungsstriche gesetzten Textstellen stammen von Friedrich Hölderlin, Günter de Bruyn, Walter Höllerer und Herbert Scurla. Die Quellenangaben fehlen aus Platzgründen, werden bei Bedarf mitgeteilt.

Jean Paul - Sämtliche Werke in Einzelausgaben Hanser Verlag München und Reclam Verlag Leipzig Preise 5,00 EURO - 29,00 EURO pro Exemplar

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Aufruf zur Teilnahme an der Kundgebung anlässlich des 127. Geburtstages Ernst Thälmanns

vor dem Areal der geschändeten und zertrümmerten
Ernst-Thälmann-Gedenkstätte
Seestr. 27, 15751 Königs Wusterhausen (Niederlehme)

Datum: Sonntag den 21. April 2013
Beginn: 11:30 Uhr

Redner:
Hans Erxleben (Die Linke, Berlin Treptow-Köpenick)
weitere Redner angefragt

Kulturbeitrag;
- Ernst Schwarz (Sänger und Liedermacher aus Frankfurt/M.) angefragt

Veranstalter:
Freundeskreis "Ernst-Thälmann-Gedenkstätte" e. V., Ziegenhals
Weitere Infos www.etg-ziegenhals.de

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IMPRESSUM

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Layout: Frank Novoce
Druck: Druckhaus Zeitz

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Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften sinngemäß zu kürzen.
Sämtliche Autoren schreiben ohne Honorar.

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Redaktionsschluss für Nr. 05/2013: 15. April 2013

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Quelle:
Roter Brandenburger 03/2013, 18. Jahrgang
Herausgeber: Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Landesvorstand
Brandenburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2013