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ROTFUCHS/099: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 145 - Februar 2010


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

14. Jahrgang, Nr. 145, Februar 2010



Inhalt
Pseudotheoretisches Gestammel
Gebührenpflichtige Verblödung
Sieben Wortmeldungen zur Debatte um die Verteufelung der DDR
• Erinnerungen an ein Puppenhaus
• Peitschenhiebe gegen den Verstand
• Rückfall in die Steinzeit
• Treuhand - größter Dieb aller Zeiten
• Obwohl ich nicht IM werden wollte ...
• Die Devise hieß "Ausbluten!"
• Vom Katechetenseminar zur KPF
• Wir sind doch alle Schweizer
Kühler Kopf, heißes Herz, saubere Hände
Spreu und Weizen
An Grundauffassungen der Klassiker festhalten!
Filbingers Oettinger - ein Bündel an Energie
Gesine Lötzsch: Merkels sechstes Ziel
Dresden: Laßt die Toten ruhen!
Das eigentliche deutsche Wirtschaftswunder
"Ich werde in Uniform beigesetzt"
Platzeck bleibt Platzhirsch
Kleriker der Konterrevolution
Eppelmann, geh du voran ...
Hollywood in Germany?
RF-Extra Was geschah in Hoheneck?
RF-Extra Leitwährung oder Leidwährung?
Viel Geschwätz und wenig Wolle
Februar 1948: Weichenstellung in Prag
Wer stürzte Zelaya in Honduras?
Über Schweine, die von Grippe leben
Beijing navigiert in stürmischen Gewässern
72 % trauern dem "Kommunismus" nach
Den Terrorismus-Nebel durchdringen!
Zehn Tage in Moskau
Rudi W. Berger: Der Song vom allerschönsten Sterben
"Fitsche grüne" - ein mitteldeutscher Fastnachtsbrauch
Bravouröser Berliner Pädagogenchor
Dichter "können ihr Land aufheben"
Archie und der Müggelsee
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Schach den Schmähern!

Das beschämende Spektakel auf der Bühne und hinter den Kulissen des Potsdamer Landtags offenbarte ein hohes Maß politisch-moralischer Verworfenheit: Aufstiegsbesessene und nach billiger Publizität gierende Brandenburger Landesfürsten der Linkspartei ließen ihre Genossen schmählich im Stich und gaben sie zur öffentlichen Hinrichtung durch die bürgerliche Medienmeute frei. Dieser jämmerlichen Provinzposse, die zur Hexenjagd in den eigenen Reihen führte, lag ein absurder Sachverhalt zugrunde. Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann und Renate Adolph hatten in einer aufgeheizten Atmosphäre hochgepeitschter "Stasi"-Hysterie ihre Verbindungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR - einer ehrenhaften Institution des Arbeiter-und-Bauern-Staates - nicht ganz aufgedeckt. Die Landtagsabgeordnete Adolph legte unter massivem psychischem Druck ihr Mandat nieder, Hoffmann, der inzwischen die Fraktion verließ, erklärte, er wolle erst nach dem Rücktritt der einstigen IMs Kerstin Kaiser und Thomas Nord ein eigenes Ausscheiden als Abgeordneter in Erwägung ziehen. Auch die Vizepräsidentin des Landtags, Gerlinde Stobrawa, wurde zum Verzicht auf ihr Amt genötigt.

Das klägliche Gebaren jener, welche sich noch im Wahlkampf als "tiefrot" ausgegeben und ihre Anhängerschaft - wie die spätere Koalitionsvereinbarung mit der SPD bewies - arglistig getäuscht hatten, stellt nur ein aufschlußreiches Detail dar. Das seit Jahrzehnten die Atmosphäre vergiftende "Stasi"-Syndrom ist eine Erfindung jener, die unter dem Ruf "Haltet den Dieb!" die ganze Welt mit ihren in Morde und Folterpraktiken verstrickten Geheimdiensten überziehen. CIA, MI6, Mossad und BND sind alles andere als unbefleckte Jungfrauen.

Nebenbei bemerkt: Außer San Marino und Andorra, wo solche Dinge vielleicht auf wenigen Schultern ruhen, besitzt jeder Staat seine eigenen Schutz- und Sicherheitsorgane.

Das MfS der DDR wurde am 8. Februar 1950 - vor 60 Jahren - gegründet. Zu ihrem Ehrentag grüßen wir alle der Sache treu gebliebenen Mitstreiter aus seinen Reihen. Das MfS war Schild und Schwert der Werktätigen, nicht aber, wie es fälschlicherweise hieß, der Partei. Das bedeutete eine unzulässige Einengung der breitgefächerten Massenbasis des Ministeriums.

Von der ersten Stunde seiner Existenz an lenkte das MfS den gebündelten Klassenhaß jener im Westen auf sich, die ihre Pfründe, Privilegien und Profite im Osten verloren hatten. Denn es stand in der vordersten Reihe derer, welche dem konterrevolutionären Prozeß Paroli boten. Jede Revolution bringt unvermeidlicherweise auch die Gegenrevolution als latente Gefahr hervor. Seit dem 7. Oktober 1949, ja schon früher, lag sie wie ein Schatten auf dem Neuen. Der Klassenfeind nutzte jeden Spalt, jede Chance zum Eindringen. Sein oberstes Ziel war klar definiert: totale Auslöschung der DDR, politisch-moralische Vernichtung aller ihrer Träger. Den Beweis dafür lieferte der 17. Juni 1953. Gemeinsam mit den damals solidarisch handelnden sowjetischen Waffengefährten verlegten auch die Genossen des MfS der weißen Attacke den Weg.

Weil unsere Tschekisten in aller Regel aus den standhaftesten und bewußtesten Vertretern der Arbeiterklasse rekrutiert wurden, konzentrierten jene, welche bei sich von der Ausbeutung des Proletariats leben, ihr Feuer auf das MfS. Das wütende Gekläff der Köter negierend stehen wir rückhaltlos zu unseren an Bord gebliebenen Genossen aus den Reihen des MfS, der NVA, des Zolls und der Deutschen Volkspolizei.

Für die rüde Hetze der Imperialisten gegen die "Stasi" haben wir aus den oben genannten Gründen durchaus Verständnis. Sich den ganz besonderen Haß der Bourgeois und Gutsbesitzer sowie ihres Staates verdient zu haben, ist ein Ruhmesblatt des MfS. Wir zeigen kein Mitgefühl für nach den Gesetzen der DDR rechtmäßig verurteilte Agenten, Diversanten, Saboteure, Spione und Angehörige von Schleuserbanden, die zu "Opfern" hochstilisiert werden. Doch wir haben einen Nerv für die politische Irritiertheit jener Menschen, welche am Rande des Geschehens vom Strudel erfaßt und wegen oftmals geringfügiger Delikte oder gar zu Unrecht bestraft worden sind.

Wenn die Gauck, Knabe und Birthler wütend um sich schlagen, dann ist das nur normal. Auch über die weichgeklopften oder angepaßten Karriereritter, die seit dem November 1989 "Schaden vom eigenen Haus abwenden" wollten, indem sie die Genossen des MfS im Regen stehen ließen und als Blitzableiter benutzten, wundern wir uns nicht. Sie haben die Treuesten der Treuen dem Gegner auf einem silbernen Tablett präsentiert. Waren da nicht auch die biblischen 30 Silberlinge im Spiel?

Das Einstimmen gewisser Führer der PDL in den schrillen Chor der "Stasi"-Verleumder kann nur sie selbst diskreditieren. Was uns betrifft, so trotzen wir der trüben Flut aus den Kanälen des Klassenfeindes. Der Gegenangriff muß beginnen. Deshalb: Schach den Schmähern!

Klaus Steiniger

Raute

Wie man eine Konterrevolution in eine "friedliche Revolution" umdeutet

Pseudotheoretisches Gestammel

Der von Regierungsseite gesteuerte Firlefanz um die angebliche friedliche Revolution von 1989/90 hat wahrscheinlich nur Geschichtsblinde oder in altdeutscher Mentalität verharrende Zeitgenossen "positiv" beeinflußt. Menschen aber, welche die Historie ihres Landes bewußt in sich aufgenommen und zum Teil mitgestaltet haben, waren über die verfälschende Darstellung der Ereignisse im Herbst 1989 maßlos empört.

Die von offizieller Seite gesteuerte Propagandaschlacht drehte sich nicht zuletzt um die Frage, ob das seinerzeitige Geschehen eine "friedliche Revolution" oder lediglich ein Massenprotest Hunderttausender mit ihrer Partei- und Staatsführung unzufriedener DDR-Bürger gewesen ist. Der zutreffende Begriff einer beginnenden Konterrevolution machte damals noch nicht die Runde, obwohl man die Entwicklung schon zu jener Zeit so hätte einschätzen können.

In einem Diskussionspapier für die Partei Die Linke (PDL) wurde von Dr. Stefan Bollinger und Prof. Jürgen Hofmann als Untertitel gewählt: "20 Jahre doppelte Staatsgründung und 20 Jahre antistalinistische demokratische Revolution". Ob diese Bewertung vom PDL-Vorstand abgesegnet wird, ist offenbar noch nicht entschieden, jedenfalls dem Autor dieses Betrags unbekannt.

Am 21./22. November 2009 veröffentlichte das ND einen Artikel aus der Feder des in Kiel geborenen und seit 2004 als Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam tätigen Prof. Dr. Martin Sabrow. Der Titel dazu lautete "Wende oder Revolution?" Als Unterzeile wählte dieser Verfasser: "Keinesfalls nur eine scholastische Frage". In Sabrows Ausarbeitung hagelt es Fremdwörter in solcher Dichte, daß man überhaupt nicht weiß, was der Mann eigentlich sagen will. Und doch - am Ende seines Beitrags schreibt er: "Die Revolution (!) von 1989/90 präsentiert sich nicht mehr mit Karl Marx als Lokomotive der Weltgeschichte, deren Veränderungskraft die Zukunft erstürmt, sondern als historischer Prellbock, der zur politischen Umkehr zwingt."

Selbst der sonst oftmals für gedankliche Klarheit bekannte ND-Mitarbeiter René Heilig überschrieb sein in der Ausgabe vom 4. November 2009 veröffentlichtes Material mit den irreführenden Worten: "Friedliche Revolution - die unvollendete". Er formulierte: "Im Grunde genommen ist doch alles ganz einfach. Eine Revolution kommt dann, wenn die Unterschichten nicht in der alten Weise leben wollen und die Oberschichten nicht in der alten Weise leben können. Punktum. So hat es Genosse Lenin aufgeschrieben, und so wurde es an den Schulen und Universitäten der DDR gelehrt und im Parteilehrjahr 'schöpferisch' nachgebetet." Es sei dahingestellt, ob Heilig seine Äußerungen sarkastisch meint oder nicht. Aber so neutral-klassenindifferent, wie er die These interpretiert, verhielt es sich zu DDR-Zeiten mit dem Leninschen Revolutionsbegriff wohl kaum.

In den hier zitierten Ausarbeitungen werden die wirklichen Eckpunkte der marxistischleninistischen Revolutionstheorie mißachtet, falsch ausgelegt oder gar in ihr Gegenteil verkehrt. Marx bezeichnete die Revolutionen tatsächlich als "Lokomotiven der Geschichte", wobei er von seiner fundamentalen Entdeckung des Entwicklungsgesetzes der menschlichen Gesellschaft ausging: dem Erfordernis, Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse in Übereinstimmung zu bringen. Sie bedingen die gesellschaftliche Stabilität oder die notwendige revolutionäre Veränderung der sozialen Verhältnisse. Lenin hat Revolutionen im Unterschied zu Ignoranten immer klassenmäßig gesehen.

"Jede Revolution", schrieb er, "wenn sie eine echte Revolution ist, läuft auf eine Klassenverschiebung hinaus. Deshalb ist es das beste Mittel, die Massen aufzuklären, (ihrer) Irreführung entgegenzutreten." (LW, Bd. 25, S. 124)

Dieses klassenmäßige Herangehen demonstrierte der Führer der Bolschewiki auch durch die Darlegung der objektiven Bedingungen für das Heranreifen von Revolutionen. "Wir gehen sicherlich nicht fehl", schrieb Lenin, "wenn wir folgende Hauptmerkmale anführen:

1. Für die herrschende Klasse (!) ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten.

2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen (!) verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus.

3. Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die sich in der 'friedlichen' Epoche ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen ... zu selbständigem historischem Handeln gedrängt werden".

(LW, Bd. 21, S. 206)

Diese Bedingungen für eine Revolution treffen auf die Ereignisse im Herbst 1989 in der DDR keinesfalls zu. Die in Berlin, Leipzig und anderen Städten entstandenen Massenbewegungen waren Ausdruck des Protests oder zielten mehrheitlich auf eine im Rahmen des Sozialismus reformierte DDR. Es ging um politische Veränderungen, die längst fällig geworden waren. Klassenmäßig standen die "Oberen" keineswegs im Widerspruch zu den "Unteren". Die "Oberen" waren überwiegend Menschen, die ihr Leben bereits im Kampf gegen den Faschismus eingesetzt hatten. Sie waren bestrebt, die Chance für einen Neuanfang der politischen Entwicklung in Deutschland, die mit der 1945 erfolgten Befreiung durch die Rote Armee gegeben war, nicht zu verspielen. Doch Altersstarrsinn, Arroganz und Uneinsichtigkeit bestimmter Spitzenpolitiker sowie Hochmut, wie ihn einer der Führer offen eingestand, trugen letzten Endes dazu bei, die DDR als größte Errungenschaft der deutschen Geschichte zu verspielen.

Die im Dezember 1989 erfolgte Übernahme der Regierung durch Hans Modrow, der - wie er sagte - eine andere DDR anstrebte, kam viel zu spät. Konterrevolutionäre Kräfte, ganze Armeen westdeutscher Emissäre, Heerscharen von Geheimdienstlern, massiver Verrat in den eigenen Reihen und der Druck irregeführter Massen brachten die DDR zum Erliegen. Auf die ihm gestellte Frage: "War es keine friedliche Revolution?", erwiderte Hans Modrow im ND-Interview vom 26. November 2009: "Der Begriff der friedlichen Revolution wird heute lediglich gebraucht, um der Bundesrepublik Deutschland 20 Jahre danach eine Legitimität zuzusprechen, die aus einer Revolution gewachsen wäre ... Für mich war es eine Implosion. Die DDR ist in sich zusammengefallen - wie letztlich die Sowjetunion auch."

Mit dieser These Modrows kann man konform gehen, oder man kann sie ablehnen. Sie steht meiner Auffassung, daß sich seit dem Herbst 1989 eine zunächst schleichende, dann offene, jedoch auf Grund der Besonnenheit der DDR-Sicherheitskräfte friedlich verlaufende Konterrevolution vollzogen hat, nicht entgegen. Alles, was mit der antifaschistisch-demokratischen Entwicklung und der sozialistischen Revolution in der DDR erreicht worden ist, wurde beseitigt. Der historisch überlebte Kapitalismus mit seinen Gebrechen, seiner krisenhaften Entwicklung, sozialen Ungerechtigkeit, Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und dem Bestreben, Konflikte mit kriegerischen Mitteln lösen zu wollen, ist zurückgekehrt. Wie lange es in Deutschland dauern wird, bis der einer veränderten Konstellation der Klassenkräfte bedürfende neue Anlauf für eine sozial gerechte Gesellschaftsordnung unternommen werden kann, steht vorerst in den Sternen.

Dr. Rudolf Dix

Raute

Auch Politiker der "Linken" knicken beim Karneval der Lügen ein

Gebührenpflichtige Verblödung

Im November 1989 und auch bei den vom Irrsinn angefeuerten Jubiläumsfeierlichkeiten mußte ich an eine andere, schicksalhafte Nacht - die des 30. Januar 1933 -, denken. Welten des Wahns und der Ahnungslosigkeit taten sich auf, während doch meine Welt zusammenbrach. In der Neuköllner Herrmannstraße gab es zunächst eine mächtige, von der KPD organisierte Demonstration - aufgrund der Notverordnungen des Generals Schleicher war sie allerdings verboten worden. Nach etwa einer halben Stunde wurden wir mit einer brutalen Gummiknüppelattacke auseinandergejagt. In unserer Verzweiflung wollten wir mehr - noch in der Nacht etwas tun. Wir vom KJVD entschlossen uns, die Straßenbahnhochleitungen herunterzureißen (das gelang nicht), dann gingen wir zum nahegelegenen Straßenbahndepot, um die ersten Fahrer zum Streik zu bewegen (das schlug ebenfalls fehl), schließlich begaben wir uns zu einer Filiale der Großmolkerei "Bolle", um wenigstens hier einen Streik zu initiieren (ohne Erfolg). So griffen wir zu Farbe und Pinsel, um vor Morgengrauen noch ein paar antifaschistische Losungen an die Mauern zu malen - mit Erfolg, denn wir wurden nicht geschnappt.

Verfolgungen durch die Reaktion - Gummiknüppelattacken, Demonstrationsverbote und Festnahmen - waren wir somit gewohnt. Aber 1989 und auch heute, 20 Jahre später, diese Menschenmassen zu sehen, die gegen uns auf die Straße gehen - das ist etwas völlig Neues. Die klaren Fronten von damals sind verwischt. Als die Schlimmsten erweisen sich jene Überläufer, welche nicht abhauen, sondern bleiben, um uns zu belehren.

Lenin schrieb im April 1902 in "Was tun?": "... wir sind von Sumpf umgeben, wenn ihr unbedingt in diesen Sumpf gehen wollt - geht, aber laßt uns auf unserem Weg weiter voranschreiten." So verraten die einen die Identität unserer Kundschafter - man denke an den über Jahre inhaftierten Rainer Rupp. Wie Achtgroschenjungen haben sie ihre gestrigen Genossen an den Gegner, den "Sieger", ausgeliefert. Darüber ist wohl nie "moralisiert" worden. Die Bries und Ramelows rennen zum "Spiegel" und anderen Editionen, was mein linkes Verständnis als unverzeihlichen Verstoß gegen jede sozialistische Ethik empfindet, um ihr Herz gegen einen "sofortigen Abzug aus Afghanistan" auszuschütten.

Als wenig vorwärtsweisend muß das vielfache Einknicken von Mitgliedern der Führungsriege der Linkspartei in Grundfragen empfunden werden. Die Namen sind geläufig, die der Lederer, Liebich oder der jetzt im Europaparlament sitzenden Cornelia Ernst aus Sachsen. Sie geben vor, "nur" die neue Situation berücksichtigen zu wollen. Man müsse in der BRD "ankommen". Wo? Im Land der Suppenküchen und der Arbeitslosenzeitungen (Man stelle sich das für die DDR vor!), der Berufsverbote und des Antikommunismus. Kann man in einer Hochburg des internationalen Finanzkapitals und der internationalen Rüstungsindustrie überhaupt "ankommen"?

Einmal "angekommen", machen sie auch jeden neuen "Brauch" mit. Sie rennen zur Bornholmer Straße, um Kränze - bezahlt von unseren Mitgliedsbeiträgen - für die "Mauertoten" niederzulegen, obwohl doch diese - unparteiisch betrachtet - nur Selbstmörder waren. Gewiß, jeder Tote ist einer zu viel. Aber diese eigennützigen "Wirtschaftsflüchtlinge" zu Märtyrern des "Kampfes für Freiheit und Gerechtigkeit" zu küren, erscheint mir reichlich frivol.

Die folgenschwere "Revision" des Marxismus verdanken wir Eduard Bernstein. Der war zuvor jahrelang ein marxistischer Theoretiker und Freund von Friedrich Engels gewesen. Aber heute diese pseudotheoretischen Ausflüge, eine Welle von Pau-Entschuldigungen, "vor dem Volk der DDR"; so auch für den Vereinigungsparteitag von SPD und KPD im April 1946! Waren die Delegierten, die Pieck, Grotewohl, Buchwitz, Ebert, Matern damals nicht ganz bei Trost, waren es Demenzkranke, für die Exponenten dieser Partei nach einem halben Jahrhundert um Pardon bitten müßten? Die einstige Parteivorsitzende Gabi Zimmer bereicherte uns mit der "Erkenntnis": "Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übriggeblieben." So jemand steht auf unserer Kommandobrücke, vertritt unsere Interessen in Straßburg! Andere schwafeln vom "Ende der Arbeitsgesellschaft", was nur heißen kann: "Ende des Klassenkampfes". Sie reden von der "Dienstleistungsgesellschaft", von "Informationsgesellschaft", vom "Manchesterkapitalismus", vom Raubtier- und Heuschreckenkapitalismus, nicht aber von Imperialismus, vom Finanzkapital (außer Lafontaine). Mit der Krise sind solche Begriffe allerdings wieder etwas gesellschaftsfähiger geworden.

Mir scheint, wir sollten - nach dem Dahinwelken der "blühenden Landschaften" - etwas offensiver werden, nicht immer den Kopf einziehen - die mit Bannstrahl geächteten IMs zum Beispiel. Für ein Einrollen der Fahne gibt es keinen Grund. Wir haben vorerst zwar die schlechteren Karten, aber immer noch die besseren Argumente. Bei allen Rückschlägen brauchen wir nicht schwarz zu sehen; uns umgibt eine große Zahl verläßlicher Genossen, die uns Halt und Orientierung bieten, aber leider nicht auf der Kommandobrücke stehen.

Diese unheimliche Hysterie - wie 1933, als die Braunen triumphierten -, dieses Verhalten bar jeder Vernunft flößt Angst ein. Zu allem Ärger wiederholt sich das periodisch, wie 1989 bei den Demos auf Leipzigs Altstädter Ring. "Wir sind ein Volk", hieß es damals zunächst. Eine "Volksgemeinschaft"? "Wir" sind nicht ein Volk, sondern ein Volk aus Klassen. Das hat der Anschluß endgültig klargestellt! Und 20 Jahre später wurde der Rummel in gigantischer Vergrößerung neu inszeniert. Ein endloser Karneval der Lügen!

Die Medien sind heute allmächtig, mehr als der Rundfunk zu Goebbels' Zeiten. Damals konnte man wenigstens "Feindsender" hören. Eine Inflation des Wortes, man möchte sagen, ein täglicher Wortdurchfall. Vor 200 Jahren zweifelte Faust, ob "am Anfang" wohl das Wort gestanden habe, und gelangte zu dem Schluß: "Am Anfang war die Tat." Für uns Sterbliche wird von morgens bis abends geplappert, in Talkshows, in nachgestellten Gerichtsverhandlungen, bei Pilawa, bei Gottschalk und bei Jauch, bei den Marktschreiern des Systems im Bundestag oder beim Opel-Geflüster ohne Taten - all das ist gebührenpflichtige Verblödung.

Walter Ruge

Aus einer am 18. November 2009 in Potsdam gehaltenen Rede.

Raute

Sieben Wortmeldungen zur Debatte um die Verteufelung der DDR

1. Erinnerungen an ein Puppenhaus

Als ich noch ein Kind von etwa 5 Jahren war, wünschte ich mir zum Geburtstag ein Puppenhaus. Aber als das Datum dann herankam, schenkten mir meine Eltern kein Puppenhaus, sondern einen großen Baukasten mit vielen Holzbausteinen. Mein Vater sagte mir: "Mit diesem Baukasten kannst Du Deinen Puppen selbst ein Haus bauen. Wenn Du Dir Mühe gibst, wird es sicher sehr schön." In dem Kasten gab es viele bunte Steine, lange, kurze, dicke, dünne, eckige, spitze, runde, halbrunde, auch Türen, Fenster und Dachziegel waren dabei. Aber einen Bauplan oder eine Anleitung gab es nicht, und ich hätte sie ja auch noch gar nicht lesen können.

Also begann ich für meine Puppen ein Haus nach meinen Vorstellungen zu bauen. Bald bemerkte ich, daß das ein ziemlich schwieriges Projekt war. Die Bausteine mit ihren so verschiedenen Formen wollten sich einfach nicht zu einem richtigen Haus zusammenfügen lassen. Oft blieb hier oder dort eine Lücke oder stand ein Stein zu weit aus der Wand heraus. Immer wieder versuchte ich mein Haus zu verbessern.

Eines Tages dann, als mir keine bessere Lösung mehr einfiel, ließ ich meine Puppen einziehen. Jeden Tag spielte ich mit ihnen und ihrem Puppenhaus. Nun hat man als Kind ja die besondere Gabe, daß man die Sprache seiner Puppen verstehen kann, und so hörte ich sie bald nörgeln und schimpfen. "Du bist ein unfähiger Baumeister. Das Haus, das Du gebaut hast, ist häßlich, die Wände sind undicht, es zieht, im Dach ist ein Loch, da regnet es rein, es ist kalt, und weil die Fenster blind sind, ist es dunkel im Haus! Wir wollen hier nicht drin wohnen."

Also versuchte ich, die Fehler zu korrigieren, aber wenn ich hier ein Loch flicken wollte, mußte ich an anderer Stelle einen Stein wegnehmen, und dort gab es dann wieder ein neues, oft noch viel größeres Loch. Täglich baute ich an meinem Haus herum, aber eine wirklich gute Lösung wollte mir einfach nicht gelingen.

Ein alter Nachbar hatte mir manchmal bei meiner Bauerei zugeschaut und mich dabei belächelt, wenn ich im Garten saß und versuchte, ein Loch in der Hauswand zu reparieren, wobei ein viel größeres entstand.

Eines Tages stand er dann vor mir und brachte mir ein großes altes Puppenhaus. "Das ist noch von meiner Tochter, ich hab es ein bißchen repariert und verschönert, da können Deine Puppen viel besser drin wohnen." Am selben Tag noch zogen meine Puppen um, es gab nun ein dichtes Dach, durch die Fenster konnte man hindurchsehen. Es gab Lampen mit elektrischem Licht, ein Badezimmer mit Badewanne und Toilette und sogar eine Heizung. Meine Puppen waren glücklich, glaube ich. Aber nach einiger Zeit hörte ich auf, mit dem Puppenhaus zu spielen. Sei's, weil ich zur Schule kam und andere Interessen entwickelte, oder aber, weil es einfach nicht mehr mein Haus war, an dem ich mit so viel Kreativität und Einsatz gearbeitet hatte.

Seitdem sind viele Jahre vergangen, aber irgendwie hat sich meine Kindheitsgeschichte in meinem Leben als erwachsener Mensch noch einmal wiederholt. 1945, nachdem ein finsterer Abschnitt unserer Geschichte zu Ende gegangen war, wurde einem Teil des deutschen Volkes von einem, der sich als großer Bruder empfand, ein Geschenk gemacht, das viele so gar nicht haben wollten. Die Bausteine hießen Volkseigene Betriebe, kollektive Landwirtschaft, Kinderkrippen, Kindergarten, Polytechnische Oberschulen, Pionierorganisation, Freie Deutsche Jugend, SED, CDU, LDPD, FDGB, einheitliche Sozialversicherung, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung, erschwinglicher Wohnraum für alle, kostenlose Gesundheitsbetreuung und anderes mehr.

Die Menschen erhielten den Auftrag, mit diesen Steinen ein Haus zu bauen, in dem sich alle wohl und geborgen fühlen konnten, aber auch hier gab es keinen Bauplan und kein für ihre Verhältnisse taugliches Schema. Ihr Haus sollte erst ein Musterhaus werden. Viele gingen mit Mut, Fleiß und Begeisterung daran, dieses Haus zu errichten. Oft kamen sie nicht so recht voran, weil auch ihre Bausteine nicht immer richtig zusammenpaßten und hier ebenfalls so manches Loch gestopft werden mußte, wobei an anderer Stelle ein größeres Loch entstand. Jeder Versuch, die begrenzten Möglichkeiten zu erweitern, scheiterte an fehlenden Ressourcen oder wurde vom großen Bruder gestoppt. Außerdem alterten die Projektanten und Bauherren mit den Jahren immer mehr, und es gelang ihnen auch nicht, den internationalen Fortschritt zu erkennen und für ihr Vorhaben auszunutzen. Trotzdem wurde fleißig daran gearbeitet, das Musterhaus zu errichten, von dem niemand wirklich wußte, wie es am Ende einmal aussehen würde.

Oft wurden wir bei diesen Bemühungen von unserem reichen Nachbarn mitleidig belächelt. Der hatte mit Hilfe vermögender Freunde sein altes Haus längst saniert und umgebaut. Er zeigte uns Bilder davon, wie schön und groß es geworden war, aber wir bekamen immer nur die prächtige Fassade zu sehen, den Hinterhof ließ er weg.

So schürten diese Bilder Neid und Wut, und manchem Arbeiter auf unserer Baustelle ging es nicht mehr schnell genug voran. Am Ende wurde viel Kraft und Energie darangesetzt, das halbfertige Haus niederzureißen, das bereits Erreichte zu zertrampeln und sich dem reichen Nachbarn in die Arme zu werfen. Dabei war es auch unwichtig, ob diejenigen, die fleißig und mit Enthusiasmus das neue Haus errichten wollten, damit einverstanden waren, auf das von ihnen Geschaffene zu verzichten. Sie wurden nicht gefragt, und ihre Einwände wurden nicht gehört.

Doch längst nicht alle konnten in die schönen Vorderhäuser des reichen Nachbarn einziehen, viele verschlug es auch in die Hinterhöfe. Hier können sie wieder mit neuen Bausteinen spielen. Diese heißen nun Zweiklassengesellschaft, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Suppenküche, Kinderarmut, soziale Kälte, Kriminalität. Die Frage ist nur, wie lange sie bereit sind, diese Bausteine hinzunehmen.

Obwohl meine Familie und ich persönlich von einer Hinterhauswohnung verschont geblieben sind, denn wir haben alle eine Arbeit gefunden, wenn auch meine Kinder dafür 700 Kilometer von daheim entfernt wohnen müssen, und somit die Chance für eine etwas sicherere Zukunft gegeben ist, hätte ich doch sehr gern erlebt, wie unser Projekt eines schönen Zuhauses mit Geborgenheit und Sicherheit für alle Menschen vollendet worden wäre. Doch nun haben auch künftige Generationen hierzulande kein Musterhaus, das ihnen als Vorbild für neue und noch vollkommenere Häuser dienen könnte. Schade eigentlich ...

Renate Heilmann


*


2. Rückfall in die Steinzeit

Als Sohn einer gehörlosen ungelernten Arbeiterin zu Beginn des II. Weltkrieges geboren, wurde ich nach dem Tod des im Osten gefallenen Vaters früh zur Halbwaise. Nach Schulabschluß und normaler Lehre meldete ich mich 1958 freiwillig zu den Grenztruppen der DDR. Ich vergesse nie die haßerfüllten Rufe westdeutscher Zöllner an der Staatsgrenze im Harz, die mich als "Kommunistenschwein" beschimpften. So etwas formt!

Mein Abitur holte ich in Jena und Halle an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät nach, um dann ein Studium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena - kurz FSU - in Körperkultur und Geschichte aufzunehmen. Die FSU, an der ich 1989 Doktorand war, wurde nach der "Wende" gründlichst von ihrem Lehrpersonal gesäubert. Sie verdient ihren Namen schon längst nicht mehr. "Denn dort, wo Sklaven knien, Despoten walten, wo sich die eitle Aftergröße bläht, da kann die Kunst das Edle nicht gestalten", schrieb Schiller. Nach 20jähriger Tätigkeit als Lehrer, davon ein Jahrzehnt als Stellvertretender Direktor einer Polytechnischen Oberschule, habe ich mir solides fachliches Wissen, vor allem in Fragen der Erziehung, angeeignet. An vielen westdeutschen Schulen ist Erziehung ja verpönt.

Meine Frau, zuletzt Stellvertretende Schulleiterin für die Unterstufe, erlebte die Zeit nach 1989/90 als Trauma. Jeden Tag, nach Schulschluß, gab es bei uns nur einen Kommentar zum übergestülpten BRD-Schulsystem: Rückfall in die Steinzeit! Meine Frau hat die Situation psychisch nicht verkraftet. Krebs und Tod waren die Folgen.

Übrigens schweigt die ostdeutsche Krebsstatistik über die sprunghaft gestiegene Anzahl der durch Arbeitslosigkeit, Enteignung und politische Diffamierung vieler Bürger bedingten Erkrankungs- und Todesfälle. Wie viele Menschen bezahlten den Weg in die "Freiheit" mit dem Leben! Das wird konsequent vertuscht, denn es gibt ja nur noch die "Mauer-Toten" - eine winzige Minderheit im Vergleich mit jenen, welche angesichts der kapitalistischen Wirklichkeit verzweifelten. Das war unter den Teppich gekehrter psychischer Mord!

Begriffe wie Ehrlichkeit, Anstand und Rücksichtnahme sind seit dem Anschluß der DDR an die BRD aus unserem Sprachgebrauch verschwunden. Die historische Tatsache, daß die Zwangsvereinigung zur Auslöschung eines übergroßen Teils der DDR-Intelligenz geführt hat, kann niemand bestreiten. Dabei nehme ich die Wendehälse aus, die sich im Staat der Kapitalisten etablieren konnten. "Bildung für die Reichen!" heißt jetzt die Devise. Je ungebildeter die Masse, um so leichter ist die Regentschaft. Brot und Spiele genügen, wie es schon die Römer im Altertum praktizierten. Die Verblödung durch die Medien ist absolut gewollt. Wir bezeichneten dies früher als die "verschleierte Diktatur der Bourgeoisie". Aus einem Land der Dichter und Denker ist ein Land der Konzerne und Banker geworden.

Meine Heimat war die DDR mit all ihren Defiziten und Schwächen. Sie war der Versuch, den Menschen und nicht das Geld in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu stellen. Allein daraus resultieren die Haßtiraden, Verleugnungen und Lügen der Machthaber des Kapitals und ihrer politischen Handlanger.

Fazit: Ich bin kein Bürger der BRD geworden. Den Bürger der DDR gibt es nicht mehr. Ergo: Ich bin ein Fremder im eigenen Land, wie andere dies auch schon postuliert haben.

Klaus-Peter Lange, Jena


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3. Peitschenhiebe gegen den Verstand

Mit Leidenschaft und wortgewaltig führte uns Klaus Steiniger - wie immer eigentlich - in den November-"RotFuchs". Ja, er ist unerträglich geworden, der Schwall von Lügen und primitiven Dummheiten, dieses ideologische Bombardement, das auf die Köpfe der Bundesbürger zum "Wendejubeltag" einschlug und das seitdem nicht aufgehört hat. Den meisten einst Trunkenen ist das Jubeln allerdings längst vergangen, und verkatert finden sie die Propaganda höchstens zum Kotzen.

Hier wird nicht nur kommunistisches, linkes Gedankengut angegriffen, sondern der Versuch unternommen, jegliches humanistisch-kritische Denken in Grund und Boden zu bomben. So niveaulos, daß sich vereinzelt auch Wendeverursacher dagegen verwahren. Ein Körnchen Wahrheit in den Ozean der Lügen gestreut, das ihm nichts von seinem ätzenden Geschmack nimmt. Tag für Tag schlagen Lügen wie Peitschenhiebe auf den Verstand ein. Es wäre interessant, finanzielle Schätzungen darüber anzustellen, mit welchem Aufwand Filme, Fernsehspiele, Rundfunksendungen, Bücher, Artikel und Bilder im Rahmen dieser Kampagne produziert worden sind. Selbst Themen ohne jeglichen DDR-Bezug müssen mit einem böswilligen Schlenker versehen werden. Sogar Prominente kommen mit einem opportunistisch-antikommunistischen Schlußsatz daher, auch wenn ihnen bisher gesunder Menschenverstand eigen schien. Leute breiten ihre "reichen DDR-Erfahrungen" aus, die erst nach 1989 geboren wurden, oder andere, deren einzige Berührung mit unserem Staat eine reibungslose Transitreise war.

Und in dieser Konfrontation bemerke ich an mir, daß ich manches an unserer DDR-Praxis entschuldige, was mir damals unverzeihlich schien. Ich befürchte, diese politisch-historische Unschärfe erwächst nicht allein aus der menschlichen Schwäche, Vergangenes eher in milden Tönen zu sehen. Betrachte ich rückblickend nicht vieles durch die Brille vermeintlicher Notwendigkeiten? Verschwimmt nicht der objektive Blick im Haß auf wuchernde Lügen?

Klaus Steiniger spricht in seiner Analyse unseres Scheiterns sowohl von den Möglichkeiten eines materiell überlegenen Gegners als auch vom Verrat Gorbatschows. Aber er erwähnt auch, daß der Sozialismus der DDR "durch Inkompetenz in der Stunde der Bewährung gelähmter Steuerleute auf der Brücke gefallen" sei. Sie, so Steiniger, "gaben die Zukunft kampflos auf".

Hat wirklich nur die letzte Führungsriege unser Schiff auf Sand gesetzt? Auch ich war im Herbst 89 enttäuscht, als der unfähige Kapitän ausgewechselt worden war, aber keiner ins Steuerrad griff. Aus heutiger Sicht würde sich mein Vorwurf aber nicht auf ein Herbstversagen reduzieren. Die Besatzung war doch schon lange Zeit an Bord! Da gab es Navigatoren, die bemerken mußten, wie wir vom Kurs abkamen - von Jahr zu Jahr weiter. Und da gab es Maschinisten, die spürten, daß die Kessel nicht mehr unter Dampf standen - von Jahr zu Jahr weniger.

Bei allen äußeren Faktoren - die See war wild, das Klima rauh - haben wir das Schiff selbst mit auf Sand gesetzt. Und ich denke, daß die meisten RF-Leser zur Besatzung gehörten, nicht aber zu den passiven Passagieren, auch wenn sie nicht selbst auf der Brücke standen.

Bernd Gutte, Görlitz


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4. Der größte Diebstahl aller Zeiten

Ich bin 87 und so dazu in der Lage, die Dinge aufgrund des Selbsterlebten zu bewerten. Das Spektakel, das sich 1989/90 vollzog und 20 Jahre später seine Fortsetzung fand, hatte viele Facetten. Dazu gehörten Konferenzen, Symposien, Wanderausstellungen, Fernsehproduktionen und Festakte mit "Prominenten". Es ging um die Perfektionierung von Gehirnwäsche, besonders bei Ostdeutschen. Die gesamte Bevölkerung wurde eingeseift und sollte durch gestandene Konterrevolutionäre davon überzeugt werden, daß dem 3. Oktober 1990 eine grandiose Revolution vorausgegangen sei. Die stabsmäßige Vorbereitung der "Jubiläen" 2009 und 2010 läßt keinen Zweifel daran, daß die Herrschenden beim Über-den-Löffel-Balbieren weder Kosten noch Mühe scheuen. Warum solcher Aufwand? Wären die Erfahrungen der einstigen DDR-Bürger nach der angeblichen Wende nur positiver Natur gewesen, hätte man sich den Rummel sparen können.

Zum Märchen von der sogenannten Revolution gehört die Behauptung, sie sei die friedlichste in unserer Geschichte gewesen. Doch halten wir uns an die Tatsachen: Nach der Einführung der D-Mark im Juli 1990 und infolge des brachialen Wirkens der "Treuhand" ging die Industrieproduktion der DDR innerhalb eines Jahres um 67 % zurück. Im Maschinenbau betrug das Minus 70 %, in der Elektronik 75 % und bei der Feinmechanik sogar 86 %. In drei Jahren hat diese "Anstalt" 3244 Betriebe platt und 1,2 Millionen Menschen arbeitslos gemacht. Und dies, obwohl der dann ermordete Treuhandchef Rohwedder ausdrücklich festgestellt hatte, daß 80 % der Betriebe hätten weiterbestehen können. Durch die systematische Plünderung des DDR-Volksvermögens im Volumen von 1,4 Billionen D-Mark - sie erfolgte unter der Kontrolle des Finanzstaatssekretärs der Kohl-Regierung und heutigen Bundespräsidenten Horst Köhler - verloren 2,6 Millionen DDR-Bürger ihre Arbeit. Die Ersparnisse wurden halbiert, obwohl die Binnenkaufkraft der DDR-Mark 1,07 DM entsprach. Mehr als 300.000 Rentner aus der DDR erhielten wegen sogenannter Staatsnähe eine Strafrente - ein Teil ist noch immer davon betroffen.

Wirtschaftskriminelle unter dem Dach der "Treuhand" stahlen in kurzer Zeit das Kollektiveigentum von 16 Millionen Bürgern der DDR durch rigorose Privatisierung. Die kurze Zeit ihres Wirkens war die bisher umfassendste De-Industrialisierung in der deutschen Geschichte. Einem modernen Staat - der DDR - wurde seine ökonomische Basis genommen. Gibt es etwas Friedfertigeres?

Die Wiederherstellung früherer Gesellschaftsverhältnisse bezeichnete Marx als Konterrevolution. Die Preisgabe ihrer Staatsgrenze bildete nur den Auftakt zur konterrevolutionären Liquidierung der DDR.

Heute schreiben die zeitweiligen Sieger der Geschichte so, wie es ihrem Klassendenken entspricht. Nach uns Kommende werden den Mut zur Gerechtigkeit haben und ihren Verlauf wahrhaftiger deuten.

Albert Oehme, Gera


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5. Obwohl ich nicht IM werden wollte ...

Es ist für einen Zeitzeugen (der heute natürlich mit seiner Wahrnehmung nicht als solcher auftreten darf) erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit die Existenz der DDR auf Worte wie "Mauer", "Schießbefehl" und "Stasi" reduziert wird.

Trotz meiner begründeten Ablehnung einer Mitarbeit bei unserer Staatssicherheit kam ich nicht nach Bautzen, sondern wurde sogar gefördert, konnte eine Tätigkeit beim Indonesischen Fernsehen aufnehmen. Dort war ich einmal Ohrenzeuge einer Klage des damaligen Präsidenten Sukarno, daß er in seinem Land nicht tun und lassen dürfe, was er wolle. Der Hintergrund dazu: Die DDR unterhielt in Jakarta lediglich ein Generalkonsulat. Sukarno hätte daraus gern eine Botschaft gemacht. Aber daran hinderte ihn die berüchtigte Hallsteindoktrin der Bonner diplomatischen Alleinvertretungsanmaßung, die heute fast nur noch Insider kennen. Die BRD hätte auf Grund dieser Doktrin ihre Beziehungen zu Sukarnos Land sofort abgebrochen, was aus indonesischer Sicht natürlich nicht wünschenswert gewesen wäre. Ich betrachtete das damals als mit Scheinheiligkeit getarnten BRD-Imperialismus.

Frau Merkel bedankte sich unlängst vor dem Kongreß der USA für deren Beitrag zur "Wiedervereinigung Deutschlands". Sie erhielt stehende Ovationen. Dabei waren es doch gerade die Vereinigten Staaten und deren westliche Verbündete, welche die Spaltung systematisch vorangetrieben hatten. Ich rede hier nicht vom Morgenthauplan und anderen USA-Projekten zur Zerstückelung und Vernichtung Deutschlands. Unser Ruf "Deutsche an einen Tisch!" wurde mit der Proklamierung einer separaten Bundesrepublik beantwortet. Die Brüder und Schwestern der "Soffjet-Zone" wurden knallhart ausgegrenzt. Seht zu, wo ihr bleibt!

Was war da eigentlich anderes möglich, als unseren eigenen Staat zu gründen? Allerdings einen, der "von drüben" mit allen Mitteln bekämpft wurde, weil er eine Alternative zum Kapitalismus darstellte, die man bedrohlich fand. Westdeutsche, die den Sozialismus trotzdem bejahten, wanderten zu Tausenden ins Gefängnis oder wurden mit Berufsverboten überzogen. Ganz rechtsstaatlich, versteht sich.

Perfide führte man in Westberlin die D-Mark ein und machte diesen Teil der Stadt zur Insel. Die "Insulaner", ein RIAS-Kabarett des Kalten Krieges, "hofften unbeirrt, daß ihre Insel mal ein schönes Festland wird". So jedenfalls lautete ihr jeweiliger Programm-Abgesang. Dabei wurde völlig unterschlagen, wer Westberlin eigentlich zur Insel gemacht hatte. Die Mauer gab es ja noch gar nicht. Viele Künstler aus dem Westteil der Stadt arbeiteten im Osten, bei Opern und Theatern, beim DDR-Fernsehen und beim Kabarett "Die Distel". Das sah man "drüben" mit Mißtrauen. Da waren Störmanöver aller Art angesagt. Die Folgen: Blockade und Luftbrücke. Das eine nannte man im RIAS verbrecherisch, das andere feierte man als Heldentat. "Völker, schaut auf diese Stadt!" hieß die Parole.

Wer hier was provoziert hatte, wird heute nicht mehr gesagt. Die später daraus unvermeidlicherweise erwachsene "Mauer" aber dient als Stigma für einen "Unrechtsstaat".

Der wirkliche Zeitzeuge hat in der BRD kein Recht, seine Meinung öffentlich zu äußern. Er wird von systemtreuen "Gutmenschen" sofort in die Schranken gewiesen und als Ewiggestriger diffamiert.

Joachim Loeb, Berlin


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6. Die Devise hieß "Ausbluten!"

In meiner Tätigkeit als Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises Bad Doberan (1952-1960) trug ich zeitweilig auch die Verantwortung für das Gesundheitswesen. Ich war damals 24 Jahre alt und Mitglied der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands. Eines Tages rief mich der Direktor des Kreiskrankenhauses Dr. Bergling an und bat um Rat, wie er sich verhalten solle. Er bekomme ständig Anrufe mit der Aufforderung, die DDR sofort zu verlassen, da er sonst von der "Stasi" abgeholt werde. Trotz meiner Konsultationen mit den entsprechenden Organen und meiner eindringlichen Beteuerung, daß gegen ihn überhaupt nichts vorliege, verließ der Arzt bald darauf die DDR. Wahrscheinlich war der auf ihn ausgeübte Druck doch zu stark gewesen.

Mediziner, Wissenschaftler und Ingenieure wurden seit der ersten Stunde der DDR durch BRD-Stellen systematisch bedroht, bearbeitet und abgeworben, um den "anderen" deutschen Staat ausblu ten zu lassen. War die Abwehr solcher aggressiven Machenschaften nicht das souveräne Recht der DDR?

Darüber, daß die Mauer heute nicht mehr besteht, bin ich froh, aber wie es zu ihrer Errichtung gekommen ist und bei wem die Schuld an der Teilung Deutschlands gelegen hat, steht auf einem ganz anderen Blatt. Mitten in den Verhandlungen über die Schaffung eines aus den vier Besatzungszonen bestehenden gesamtdeutschen Staates wurden in den USA bereits Banknoten für den westlichen Landesteil gedruckt und heimlich herübergeschafft. Dann ging es Schlag auf Schlag. Der separaten Währungsreform folgte die einseitige Ausrufung der Bundesrepublik. Mit dem Marshallplan zauberte man im Westen eine Wohlstandskulisse, um die erst nach der BRD entstandene DDR, die sich vorgenommen hatte, eine bessere Gesellschaft ohne Ausbeutung und kriegerische Absichten zu errichten, in die Knie zu zwingen. Solche Tatsachen sollte man sich stets vor Augen führen.

Karl Kossakowski, Rostock


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7. Vom Katechetenseminar zur Kommunistischen Plattform

Als Sohn eines Wehrmachtsoffiziers wurde ich 1945 geboren. Er fiel noch Ende Februar in Elsaß-Lothringen. Im Haus der Eltern meiner Mutter - einer Pfarrersfamilie - wuchs ich auf. Die Großeltern väterlicherseits waren Beamte und wohnten in Magdeburg. Meine Mutter war Assistentin in einer Privatapotheke. Als Angestelltenkind mußte ich einen Zensurendurchschnitt von 1,4 aufweisen. Obwohl evangelisch erzogen, mit Konfirmation und aktiver Arbeit in der Jungen Gemeinde, kam ich auf die Erweiterte Oberschule (EOS), was andere heute für unmöglich halten. Die Mitgliedschaft bei Pionieren und FDJ standen dazu nicht im Gegensatz.

Mein Berufswunsch war Apotheker oder Arzt. Doch 1961 war ich in eine Unannehmlichkeit verwickelt. "Warum haben Sie Flugblätter, die vom Klassenfeind abgeworfen wurden, nicht abgegeben?" wollte der Direktor wissen. Ich beteuerte meine Unschuld. So blieb es bei einer "Abmahnung". Im Wiederholungsfalle stünde das Verlassen der EOS zur Debatte, deutete man mir an. Das rigorose Vorgehen schockte mich. Politisch war ich verunsichert. Ich fand im Jungmännerkreis der evangelischen Gemeinde Halt. Nun hieß mein neuer Berufswunsch: Geistlicher. Im Katechetischen Oberseminar (KOS) begann ich ein Theologiestudium. Als ich feststellte, daß mir diese Berufsrichtung nicht lag, versuchte ich mich auf Anraten des KOS in einem praktischen Beruf zu bewähren. Nach der Ausbildung als Zierpflanzengärtner in einem Privatbetrieb ging ich an die Ingenieurschule für Gartenbau nach Quedlinburg. Dort legte ich das Staatsexamen ab. In der Zwischenzeit war ich Mitglied der LDPD geworden. Zunächst arbeitete ich als Anbauberater in Staßfurt.

Von hier verschlug es mich für drei Jahre zur NVA, wo ich eine Unteroffiziersschule der Landstreitkräfte absolvierte. Von 1970 bis 1973 war ich Ausbilder und Militärstreifenführer bei der 9. Panzerdivision in Torgelow. Bereits auf der Ingenieurschule und später bei der NVA gaben mir erfahrene Genossen wieder Rückhalt. So wurde ich ein vom Sozialismus überzeugter Liberaldemokrat. Nach einer hauptamtlichen Tätigkeit bei der LDPD wechselte ich das Fach. Ich stieg in die Forstwirtschaft ein, wo ich bis 1998 tätig war. In der Freizeit nahm ich gesellschaftliche Aufgaben wahr, so als Mitglied im Konsumgenossenschaftsbeirat, im Ausschuß der Nationalen Front, im Naturschutz und bei der LDPD.

Nachdem ich aus dieser Partei ausgetreten war, schloß ich mich zunächst der DBD an. Nach 1989 bekleidete ich Funktionen in der Grünen Partei. Als einer ihrer Kreistagsabgeordneten arbeitete ich gut mit der SED/PDS zusammen. Heute bin ich Mitglied der Partei Die Linke. Ich gehöre dem Landesvorstand Sachsen-Anhalt der Kommunistischen Plattform sowie der Leitung der RF-Regionalgruppe Harz an.

Udo Hammelsbeck, Drübeck

Raute

Wir sind doch alle Schweizer

Organisationen der extremen deutschen Rechten kündigten aus Anlaß des Minarett-Bauverbots eine "Solidaritätskampagne" für die Schweiz an. Man werde unter dem Motto "Wir sind alle Schweizer" für die Verbotsentscheidung werben und zudem für vergleichbare Maßnahmen in Deutschland eintreten, heißt es bei der Vereinigung "Pro Köln". Eine der gegenwärtig erfolgreichsten Organisationen der extremen Rechten in Westdeutschland, will diese Gruppierung ein gleichartiges Bauverbot auf regionaler Ebene verankern - im Baugesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, während die Republikaner einen EU-weiten Volksentscheid gegen Minarette anstreben. Improvisierten Umfragen zufolge sprechen sich auch in Deutschland klare Mehrheiten für eine Einschränkung der Religionsfreiheit gegenüber Muslimen aus. Berlin, das seit 2001 parallel zum Krieg in Afghanistan antiislamische Haltungen gestärkt hat, reagiert reserviert. Während Befürworter christlicher Integrationsmodelle Vorteile aus dem Schweizer Minarett-Bauverbot zu ziehen suchen, sieht die Mehrheit des Establishments die politischen und ökonomischen Expansionsvorhaben in Richtung Mittelost durch antiislamische Exzesse bedroht. Das Ergebnis des Referendums in der Schweiz könne der Wirtschaft, heißt es in Unternehmerkreisen, "auf längere Sicht schaden".

german-foreign-policy.com


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Schweiz macht's vor:
Nach dem Minarettverbot jetzt das Kirchturmverbot für ganz Deutschland!
Satirischer Vorschlag

Raute

Vor 60 Jahren wurde das Ministerium für Staatssicherheit der DDR geschaffen

Kühler Kopf, heißes Herz, saubere Hände

Der am 8. Februar anstehende 60. Jahrestag der Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR ist mir Veranlassung, mich seiner Gründerväter zu erinnern. Deren Biographien zeichnen sich in aller Regel durch Teilnahme am aktiven Widerstand gegen den Faschismus aus. Diese Generation von Kommunisten zahlte dafür mit Zuchthaus, Konzentrationslager oder Exil. Nicht wenige standen im bewaffneten Kampf als Interbrigadisten in Spanien oder als rote Partisanen im Osten Europas. Ihnen wurde 1950 die Aufgabe übertragen, einen antifaschistischen, sozialistischen Nachrichtendienst zum Schutz der gerade erst in der Formierung befindlichen DDR aufzubauen.

Unseren Dank dafür können wir dieser Generation von Klassenkämpfern heute nicht mehr persönlich abstatten. Doch wir verneigen uns vor ihrem Mut und ihrer Lebensleistung.

In den schon früher entstandenen Nachrichtendiensten der BRD gaben nicht selten die einstigen Peiniger unserer Genossen aus der Zeit des Faschismus den Ton an. Sie standen auf der anderen Seite der Barrikade. Ihre Lebensläufe wurden durch "Heldentaten" im Kampf gegen den Kommunismus charakterisiert. In den Diensten der BRD - von der Organisation Gehlen angefangen - tummelten sich die alten Eliten Hitlers.

Neben Aktivisten der ersten Stunde nahmen in der Staatssicherheit der DDR auch Vertreter der neuen Generation ihren Platz ein. Heute, 60 Jahre danach, befinden auch sie sich bereits im letzten Abschnitt ihres Lebens. Leider haben sich die Reihen dieser Mitstreiter schon stark gelichtet.

Am 8. Februar 1950 stand ich in Dresden als junger Mann Anfang 20 vor dem Personalchef der Länderverwaltung Sachsen des MfS. Er hieß Erich Bär. Zu seiner Lebensgeschichte gehörten zehn Jahre Zuchthaus und die Hölle von Buchenwald. Nach meiner Einstellung erteilte er mir den Auftrag, mich beim Leiter der Abteilung IV, Erich Schürrmann, zu melden. Der wiederum hatte in der Nazizeit eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Hochverrat verbüßen müssen. Genosse Schürrmann ließ mich wissen, daß die Abteilung IV für die Spionageabwehr zuständig sei. Er als deren Leiter und ich als sein einziger Mitarbeiter - wir beide stellten in der Geburtsstunde des MfS die gesamte Spionageabwehr des Landes Sachsen dar. Dabei hatten wir noch nie etwas mit Spionen oder Spionage zu tun gehabt. Wie sollten wir da an die uns gestellte Aufgabe bloß herangehen?

Erich Schürrmann fragte mich nach meinem erlernten Beruf. Ich erwiderte, ich sei Tischler. Er knüpfte direkt daran an: Bevor ich mein erstes Möbelstück gefertigt hätte, sei ich doch gezwungen gewesen, den Umgang mit dem Werkzeug zu erlernen. Er, Maler von Beruf, habe zunächst alte Anstriche und Tapeten entfernt, bevor er dazu imstande gewesen sei, erstmals ein Zimmer zu renovieren. So müßten wir auch jetzt vorgehen, um Schritt für Schritt in unseren neuen Beruf hineinzufinden. Es schien mir plausibel. Was allerdings zum Werkzeug einer Spionageabwehr gehörte und wie man damit umzugehen hatte - das blieb mir vorerst noch ein Rätsel.

So suchten wir Hilfe und Unterstützung bei den Begründern des ersten sozialistischen Nachrichtendienstes, also bei unseren sowjetischen Genossen. Sie waren von der ersten Stunde des MfS an gute Lehrmeister, die fest an unserer Seite standen. Ich erinnere mich meiner ersten Begegnung. Der sowjetische Genosse gab mir den Rat, ein altes russisches Sprichwort im Kopf zu behalten: "Eilig hat es nur jener, welcher einen Floh fangen will." Nie habe ich es vergessen. In nahezu 40 Dienstjahren suchte ich mich daran zu halten. Unseren Kampfgefährten aus der UdSSR haben wir es zu verdanken, daß wir die Instrumentarien zur Spionagebekämpfung kennenlernten und immer besser beherrschten.

Ich denke an einen Erfahrungsaustausch in den 80er Jahren zurück. Beratungsgegenstand war die vom BND betriebene Militärspionage gegen die sozialistischen Staaten. An der Spitze der sowjetischen Teilnehmer stand Generalleutnant Wolkow. Nach Gesprächen in Berlin besuchte die Delegation auch die Bezirksverwaltung des MfS in Gera, für die ich Verantwortung trug. Einigkeit herrschte bei den Gesprächen darüber, daß die Abwehr der gegnerischen Geheimdienstoperationen in erster Linie auf Friedenssicherung ausgerichtet sein müsse. Der Ausschaltung des Überraschungsmoments wurde außerordentliche Bedeutung beigemessen. Das setzte eine enge Kooperation zwischen der Abwehr und den Aufklärungsorganen des MfS voraus.

Als sehr aufschlußreich erwiesen sich übrigens schriftliche Ratschläge des BND an seine Militärspione, wie sie sich einem Zugriff durch uns entziehen könnten. Pullach behauptete ernsthaft, daß seinen Leuten nur dann Gefahr drohe, wenn sie in Ausübung nachrichtendienstlicher Arbeit selbst Fehler begingen. Indes kann ich mich an kaum einen Vorgang erinnern, bei dem die Enttarnung von Spionen des Gegners auf deren eigene Fehler zurückzuführen gewesen wäre.

Mit einem meiner einstigen sowjetischen Partner verbindet mich noch heute feste Freundschaft. Es bereitet uns beiden Freude, wenn wir einander von Zeit zu Zeit in den Spalten des "RotFuchs" begegnen. Es handelt sich um Oberst a. D. Witali Korotkow aus Moskau.

Es bleibt festzuhalten, daß die 40jährige Geschichte der DDR-Staatssicherheit von deren Mitarbeitern geschrieben worden ist. Wir überlassen es nicht dem Klassenfeind, sie auf seine Weise darzustellen. Bestenfalls sind unsere Gegner dazu in der Lage, ihren zeitweiligen Sieg über den europäischen Sozialismus auszukosten.

Der 60. Jahrestag des MfS ist ein Anlaß, auch jenen Tausenden und Abertausenden zu danken, welche uns in der Arbeit selbstlos unterstützten. Fest mit uns verbunden, setzten sie sich für den Schutz unserer sozialistischen Heimat ein. Sie haben es in keiner Weise verdient, auch von gewissen "Linken" wie Verfemte behandelt zu werden.

Mögen die Medien und Politiker im Dienste des Kapitals wie deren Nachbeter hier und dort über die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) des MfS auch wie die Wölfe herfallen: Kenner der Materie wissen sehr genau, daß kein einziger ernstzunehmender Geheimdienst auf menschliche Quellen verzichten kann. Gleich ob man sie IM oder V-Leute nennt - ihre Mitarbeit ist für Nachrichtendienste jeglicher Orientierung unverzichtbar.

Der 3. Oktober 2010 wird von jenen, die den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus abgeschafft haben, zu einer Art "Befreiungsfest" hochstilisiert. Angeblich brachte er der Bevölkerung im Osten "das Ende des SED-Regimes und des Stasi-Terrors". Was spielt es da schon für eine Rolle, wenn von den 17 Millionen früheren DDR-Bürgern gerade einmal zwei Prozent jemals in ihrem Leben etwas mit dem MfS zu tun hatten?! Unter diesen finden sich wegen Sabotage, Terrors, Spionage und anderer staatsfeindlicher Verbrechen verurteilte Feinde der DDR. Bedauerlicherweise zählen dazu aber auch Menschen, deren Konflikt mit dem MfS auf einer bisweilen überzogenen Sicherheitspolitik der Parteiführung beruhte. Die rabiate Diffamierung des MfS darf nicht dazu führen, das Gefühl der Verantwortung für Fehler und Irrtümer auf diesem Gebiet zu verlieren.

Am 60. Jahrestag der Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR bleiben wir der Wahrheit verpflichtet. Wir halten uns an die Maxime des ersten Leiters der sowjetischen Tscheka, Felix Dzierzynski, der von seinen Mitarbeitern einen kühlen Kopf, ein heißes Herz und saubere Hände forderte.

Generalmajor a.D. Dr. Dieter Lehmann, Dresden

Raute

Über zu Kreuze Gekrochene und unbeirrbar Weiterkämpfende

Spreu und Weizen

In welchem Tollhaus befinden wir uns eigentlich? Da stellt eine Genossin ihr Amt zur Verfügung, "um es nicht zu beschädigen". Welches Amt wird hier wohl beschädigt? Offenbar das einer Vizepräsidentin in einem bürgerlichen Landesparlament! Eine andere Genossin verzichtet freiwillig auf einen Ministerposten "um der Sache willen". Welche Sache ist hier gemeint? Geht es darum, wer der beste Pfleger am Krankenbett des siechen Kapitalismus ist?

Eine dritte Genossin legt sogar ihr Mandat nieder, weil sie der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS einst Informationen übermittelt hat und nun ihrer Partei "nicht schaden" will. Für solche Informationen hat der aufrechte Kommunist Rainer Rupp etliche Jahre in Saarbrücken im Knast gesessen - verurteilt von einem Klassenrevanche übenden Gericht des deutschen Imperialismus.

Ein weiterer Genosse will mit Hilfe des letzten DDR-Innenministers Dr. Diestel sein Landtagsmandat behalten, obwohl die "guten" IMs diesen "bösen" IM dazu auffordern, es niederzulegen.

Zu meiner operativen Zeit gab es verschiedene Kategorien von Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS. Sie hießen IMS, IMV oder IMB. Heute haben wir eine neue Kategorisierung: Es gibt ehemalige IMs, die sich schämen und bereuen, aber darüber schon immer gesprochen haben. Da sind IMs, die bedauern und Abbitte tun, sich aber nicht mehr an alles erinnern können. Und schließlich fehlt es nicht an IMs, die so tun, als ob sie das erste Mal davon erfahren, daß es so etwas überhaupt gegeben hat. Wo bleiben jene, welche stolz auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS waren und es heute noch sind? Natürlich gibt es sie, aber diese wollen nicht mitregieren, haben also keinen Grund, sich zu verleugnen. Aber können wir tatsächlich Bekennermut von Genossen in dieser Gesellschaft, die so tief im Antikommunismus versunken ist, erwarten? Immerhin müssen alle, die sich freimütig zu ihrer Mitarbeit bekennen, damit rechnen, nicht nur vom Klassenfeind, sondern auch in den eigenen Reihen diskriminiert und diskreditiert zu werden.

Wie kann sich überhaupt eine Partei als linksorientiert bezeichnen, die sich freiwillig einer so unwürdigen Prozedur wie der "Stasi-Überprüfung" unterwirft? Wieso tritt die PDL nicht wie früher konsequent für die Abschaffung der berüchtigten Gauck-Birthler-Behörde ein, die mit ihren unsäglichen Verleumdungskampagnen nicht wenige aufrechte DDR-Bürger in den Freitod getrieben hat? Warum wählt sie sogar eine neu eingeführte Birthler-Landesbeauftragte in Brandenburg mit?

Ich halte es mit den Aussagen von Herbert Kierstein und Gotthold Schramm, die in ihrem Buch "Freischützen des Rechtsstaates" (edition ost) die Feststellung getroffen haben: "Die Illusion lebt bei nicht wenigen Funktionären und Mandatsträgern, die auf Posten und Pöstchen in der bürgerlich-kapitalistischen Republik aus sind, weiter. Wie steht die Partei Die Linke zur DDR und ihren Institutionen, insbesondere zum MfS? Das bleibt die Gretchenfrage. Solange nicht die Haltung zur Vergangenheit klar ist, wird es auch keine Klarheit für die Wähler darüber geben, wohin die Partei steuert. Vielleicht liegt ihre Zukunft schon hinter ihr."

Die Gretchenfrage heißt für mich nicht nur, wie ich es mit der Religion halte, sondern auch, wie man für Karriere und Macht alles aufgeben kann, was man einst als lieb und teuer betrachtete.

Besonders unaufrichtig ist die Stellung zum MfS und dessen IMs bei ehemals leitenden Funktionären der SED, die sich inzwischen gewandelt oder angepaßt haben. Sie wissen doch genau, daß es im MfS strikte Anweisungen gab, keine hauptamtlichen Mitarbeiter der Partei anzuwerben. Erstens, weil das MfS darauf vertrauen konnte, von Genossen in solchen Positionen jegliche Unterstützung zu erhalten. Zweitens, weil sich das MfS aus prinzipiellen Gründen nicht über die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse erheben durfte und wollte. Diese Maximen wurden in der Praxis weitgehend befolgt. In jedem administrativen Kreis der DDR gab es eine Einsatzleitung, die nicht den Chefs der Kreisdienststelle des MfS und des Volkspolizeikreisamtes (VPKA) unterstand, sondern dem 1. Sekretär der SED-Kreisleitung.

Sicherlich waren die operativen Mitarbeiter des MfS auch für die politisch-moralische Erziehung der ihnen anvertrauten, ja meist von ihnen selbst geworbenen IMs verantwortlich. Nicht in jedem Falle war es möglich, aus den Betreffenden Marxisten zu machen, erwies sich dies doch als ein langer Prozeß. Außerdem mußte ja nicht jeder Staatsratsvorsitzender werden!

Wie verhält es sich nun mit jenen, welche heute beschämt die Augen niederschlagen und sich tausendmal bei Hinz und Kunz entschuldigen? Man stelle sich vor, es wäre notwendig gewesen, Leuten dieser Art Aufgaben zu übertragen, die Mut erfordert hätten: Wären sie dann ebenso standhaft geblieben wie Gabriele Gast oder Rainer Rupp, oder hätten sie beim ersten verlockenden Angebot der Kapitalisten nicht uns und die Sache verraten?

Doch es gibt genügend Leute, die sich zum Staat und seinen Sicherheitsorganen mannhaft bekennen. Spreu und Weizen haben sich getrennt. Die der Sache Treugebliebenen wissen um den Wert der ehemals hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter. Sie standen zum Staat DDR, der Frieden und Antifaschismus verkörperte. Einem Staat, der mit dazu beitrug, daß 40 Jahre von Europa kein Krieg ausging. Diese Standhaften sind ein Schatz. Den zu Kreuze Kriechenden sei gesagt: Die euch heute loben, verachten und benutzen euch nur.

Den Schwankenden rufen wir die Mahnung Bertolt Brechts ins Gedächtnis:

... Und was immer ich auch noch lerne,
Das bleibt das Einmaleins:
Nichts habe ich jemals gemeinsam
Mit der Sache des Klassenfeinds ...

Konstantin Brandt, Berlin

Raute

Nachdenken über erste Schlußfolgerungen aus unserer Niederlage

An Grundauffassungen der Klassiker festhalten!

So mancher stellt sich angesichts unserer Niederlage und der ständig auf uns einwirkenden bürgerlichen Ideologie in Stunden des Nachdenkens die Frage: Was ist eigentlich bei meinem persönlichen Einsatz herausgekommen, lohnt sich der weitere Kampf überhaupt, kann meine bisherige weltanschaulich-politische Überzeugung weiter Leitbild sein?

Hier hilft es, sich ständig auf die Grunderkenntnisse der marxistisch-leninistischen Wissenschaft zu besinnen, wichtige Werke von Marx, Engels und Lenin zu Rate zu ziehen und daraus Zuversicht zu schöpfen.

Es bleibt bei der von den marxistischen Klassikern gewonnenen Erkenntnis, daß auch die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft objektiven Gesetzen unterliegt. Das wird von Engels in seiner Schrift "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" sehr anschaulich dargestellt. Es bleibt auch bei der in Marxens "Kapital" umfassend begründeten These, daß der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privatkapitalistischen Aneignung ihrer Ergebnisse, der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital, Arbeiterklasse und Bourgeoisie der Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft ist. Das wird heute sogar von etlichen bürgerlichen Theoretikern nicht mehr ernsthaft bestritten. Es geht also darum, die Übereinstimmung zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und deren gesellschaftlicher Aneignung herzustellen. Mit anderen Worten: Überwindung der kapitalistischen und deren Ersetzung durch sozialistische Produktionsverhältnisse lautet das marxistische Gebot. Damit verbunden ist die Grundfrage jeder revolutionären Umwälzung: die Lösung der Eigentums- und Machtfrage im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts.

Diese kann nur darin bestehen, daß an die Stelle des kapitalistischen Eigentums das gesellschaftliche Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln tritt und die politische Macht der Bourgeoisie gebrochen wird. An deren Stelle muß die Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten treten. Marx hat das besonders in Auswertung der Lehren der Pariser Kommune unterstrichen. Lenins Werk "Staat und Revolution" ist in diesem Zusammenhang unverzichtbar.

Die Aufgabe für einen längeren Zeitraum besteht darin, diese Grundfragen - auch in Auseinandersetzung mit unseren Fehlern beim ersten Anlauf - wissenschaftlichtheoretisch zu behandeln. Wie muß das sozialistische Eigentum als gesellschaftliches Verhältnis im Marxschen Sinne aussehen, daß es von den Menschen auch erlebt, angenommen und bewußt gestaltet wird? Und zwar nicht nur im nationalen Rahmen, sondern in den internationalen Beziehungen der den Sozialismus aufbauenden Länder.

Unsere früheren Auffassungen von einem "Grundmodell des Sozialismus" und einem Katalog "allgemeingültiger Gesetze der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus" haben sich in der Praxis als dem entscheidenden Kriterium der Wahrheit so nicht bestätigt. Dennoch bin ich der Meinung: Die Überwindung des Kapitalismus und die Herausbildung des Sozialismus können nur nach einem gesamtgesellschaftlichen Plan erfolgen. Es hat sich erwiesen, daß "der Markt" wohl in den Auseinandersetzungen zwischen kapitalistischen Kräften etwas "richten" kann, als bestimmendes Gestaltungsinstrument beim Aufbau einer von Ausbeutung freien Gesellschaft aber untauglich ist. Dabei muß die Rolle des Marktes auch unter sozialistischen Produktionsverhältnissen in Auseinandersetzung mit früheren negierenden Auffassungen solide erarbeitet werden.

Die planmäßige Entwicklung setzt die Führung durch eine marxistisch-leninistische Partei voraus. Mit einer pluralistisch angelegten Partei ist das nicht zu machen. Nebenbei bemerkt: Keine der bürgerlichen Parteien praktiziert den Pluralismus. Innerparteiliche Opposition und andere Grundkonzeptionen werden nur zugelassen, solange die von den bestimmenden Kreisen formulierte Linie dadurch nicht in Gefahr gerät.

Auf der Grundlage des Eigentums als gesellschaftliches Verhältnis steht die Frage: Wie müssen die dem Sozialismus innewohnenden Triebkräfte als dialektische Einheit materieller und ideeller Stimuli so erschlossen werden, daß sie den Triebkräften menschlichen Handelns in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung - Profitgier der herrschenden Klasse und Existenzangst der Masse der Bevölkerung - überlegen sind?

Wie muß die Macht, dem Wesen der sozialistischen Demokratie entsprechend, gehandhabt werden? Die Lösung der Machtfrage schließt auch ein, daß in der sozialistischen Revolution eine Opposition gegen die neue Gesellschaftsordnung nicht zugelassen werden darf. Unabdingbar aber ist ein Wettbewerb um die beste Konzeption, die beste Lösung, der unter Parteien und gesellschaftlichen Bewegungen ausgetragen wird und auch in Wahlen seinen Ausdruck finden kann. Es steht die Frage des künftigen Verhältnisses zwischen traditionellen Parteien und vielfältigen Bürgerinitiativen, Vereinen und anderen politischen Organisationsformen.

Notwendig ist eine umfassende politischideologische Arbeit der führenden Partei, wobei deren weltanschauliche Grundposition mit der von den Menschen erlebten tagtäglichen Praxis übereinstimmen muß. Die sicht- und wahrnehmbare Nichtübereinstimmung war in der späten DDR eine der Ursachen für die Trennung großer Bevölkerungsteile von der Partei und die Kluft zwischen Führung und Mitgliedschaft der SED.

Es wird nicht möglich sein, bereits jetzt Lösungen für diese hier aufgeworfenen Fragen im Detail zu erarbeiten, aber herantasten müssen wir uns an sie.

Aus der Sicht dieser unverzichtbaren theoretischen Vorbedingungen hat der gegenwärtig von der Linkspartei gepflegte weltanschauliche Pluralismus, der im Kern vor allem eine bewußte Abstinenz gegenüber den Grundauffassungen des Marxismus-Leninismus darstellt, auf Dauer keinen Bestand. Diese Position kann nur in einer wissenschaftlichen Diskussion über das zu erarbeitende Parteiprogramm und in der Praxis des Kampfes überwunden werden. Sie werden zu weiteren Erkenntnissen führen. Deshalb muß nach meiner Meinung der aktuellen Politik der Partei Die Linke auf der Grundlage des Bundestagswahlprogramms Unterstützung gelten. Viele der hier formulierten Aufgaben erscheinen mir geeignet, die Macht des Kapitals einzugrenzen, Schlimmeres von der Arbeiterklasse und deren Verbündeten abzuwehren, Errungenes der Klassenkämpfe zu verteidigen und vielleicht den einen oder anderen Erfolg zu erreichen. Aber die Grundmotivation - Reformen zur "Verbesserung des Kapitalismus" - halte ich für falsch. Diese können nur als Schritte zur Vorbereitung wirklicher sozialer Umwälzungen, zur revolutionären Lösung der Eigentums- und Machtfrage begriffen werden.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Nicht Resignation und Pessimismus, sondern entschlossener Kampf auf der Grundlage marxistisch-leninistischer Erkenntnisse gegen das Kapital müssen unser Handeln bestimmen. Und zwar als Revolutionäre, nicht aber als "Reformer".

Dr. Dr. Ernst Albrecht, Dormagen

Raute

Wie der Intimus eines Nazi-Blutrichters in Brüssel Karriere macht

Filbingers Oettinger - ein Bündel an Energie

Bis zur letzten Stunde des Faschismus gehörte Marinestabsrichter Hans Filbinger zu den aufstrebenden Männern Hitler-Deutschlands. Förderlich war ihm seine NS-Karriere von 1933 an. Bis 1945 gehörte er der NSDAP an. Sein steiler Aufstieg ging nach dem Sieg der Alliierten weiter. Schon 1966 war er Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er blieb es bis 1978.

Zwischenzeitlich hatte der bekannte Schriftsteller Rolf Hochhuth ans Licht gebracht, daß Filbinger den Soldaten Walter Gröger drei Wochen vor Kriegsende, am 16. März 1945, hatte exekutieren lassen. Vom Militärgericht war Gröger zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden, doch Filbinger ordnete die Ermordung an.

Filbingers Aufstieg machte den Abstieg des deutsch-polnisch-jüdischen Historikers Joseph Wulf, der drei Jahre Auschwitz überstanden hatte, unausweichlich. Dieser hatte wohl als Erster die Mistgabel ergriffen, um die Naziverbrechen, in die Filbinger verstrickt war, aufzuwühlen. Aber es gab genügend Leute, die dem entgegenwirkten. So wurde für Wulf nicht die Vergangenheit zum Problem, sondern die Gegenwart. Von keinem Institut wurde er zur ständigen Mitarbeit auf seinem Gebiet berufen. Man warf ihm unterschwellig sogar zynisch Befangenheit vor, weil er zu den Opfern des Nazismus gehört habe.

Aus Briefen und Unterlagen geht hervor, daß Joseph Wulf unter einer wohl totalen Abschirmung durch das Münchner Institut für Zeitgeschichte und dessen Direktor Martin Broszat litt. Der war selbst Mitglied der Nazipartei gewesen und beschäftigte sich weniger mit der Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen als vielmehr mit der Vertreibung von Deutschen aus den Ostgebieten. Dafür gab es staatliche Aufträge. Joseph Wulf hatte die Hintertreibung seiner Forschungen in unsagbar vielen Facetten und die Beschönigung, Verharmlosung des "Nationalsozialismus" nicht mehr ertragen können. Am 10. Oktober 1974 stürzte er sich 61jährig aus dem Fenster seiner Wohnung. Seinem Sohn David hatte er noch geschrieben:

"Ich habe hier 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht, und das alles hatte keine Wirkung. Du kannst Dich bei den Deutschen tot dokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein - und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen."

Blutrichter Filbinger war hingegen 94 Jahre, als er 2007 verstarb. Die Trauerrede hielt sein Amtsnachfolger, Ministerpräsident Günter Oettinger. In dessen Text stand folgender Satz: "Anders als in einigen Nachrufen zu lesen, gilt es festzuhalten: Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil. Er war ein Gegner des NS-Regimes ... Es bleibt festzuhalten: Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte."

Die Empörung war groß, dennoch bekräftigte Oettinger seine Aussage drei Tage später noch einmal. Im Ausland horchte man auf. Angela Merkel hatte allerdings schnell begriffen, wie gefährlich diese "Dummheit" des Ministerpräsidenten für das Image der Bundesrepublik sein mußte. Sie zog gewissermaßen die Notbremse, griff zum Telefonhörer, und am 16. April distanzierte sich Oettinger dann plötzlich von seiner Reinwaschung Filbingers. Ein Skandal!

Abgesehen von diesem "Ausrutscher" wurde man seit dem Untergang der DDR nicht mehr mit handfesten Vorwürfen über eine braun gefärbte Republik belästigt. Nun herrschten andere Verhältnisse. Selbst Joseph Wulf konnte postmortal wieder in die Öffentlichkeit vordringen.

Man verlegte seine sämtlichen Werke. 1992 wurde im Berliner Haus der Wannseekonferenz eine Gedenkstätte über den Holocaust errichtet, für die Wulf zehn Jahre lang vergeblich gekämpft hatte. Die "Abrechnung" mit dem deutschen Faschismus erfolgt sonst ungestört von Joseph Wulf seither fast nur noch auf unterhaltsame Art per Bildschirm. Die Mörder werden dabei nicht selten zu bedauernswerten Witzgestalten. Man hat ja jetzt die DDR "aufzuarbeiten", und zwar so gründlich, daß allen die Lust auf jegliche Art Sozialismus vergehen soll.

Was indes den CDU-Rechtsaußen Günter Oettinger betrifft, so hat auch er seine Karriere fortgesetzt. Er wurde durch Merkel aus Baden-Württemberg nach Brüssel abgeschoben.

Warum ließ sich der erst 1953 geborene, also naziunverdächtige Oettinger eigentlich so stark mit dem Altnazi Filbinger vom Jahrgang 1913 ein? Der hatte 1978 das "Studienzentrum Weikersheim" auf dem gleichnamigen Schloß gegründet. Oettinger trat ihm bei. Dieses Zentrum gilt als extrem rechts und als ein Signalgeber in der CDU. Zur Finanzierung wurde eine eigene Stiftung "zur Förderung christlichen Glaubens" installiert. Unter den Gründungsmitgliedern befand sich Paul Carell, der Pressesprecher bei Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop gewesen war! Sein Chef wurde bekanntlich 1946 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet.

Natürlich ist die "europäische Vereinigung" ein Vorrangthema dieser faschistoiden CDU-Stiftung, wie ja auch die "Wiedervereinigung Deutschlands" bei ihr Priorität genoß.

Der Freund und Protegé des Naziblutrichters Filbinger ist jetzt EU-Kommissar für Energie in Brüssel. Mit anderen Worten: Ein unbedarfter "Experte" mehr!

Hans Brandt,
Banzkow

Unser Autor war viele Jahre Chefredakteur der "Schweriner Volkszeitung".

Raute

Gesine Lötzsch: Merkels sechstes Ziel

In ihrer Regierungserklärung nannte Angela Merkel fünf Punkte, die sie umsetzen will. Ein sechster Punkt fehlte: Sie wird alles tun, um ihren persönlichen Machterhalt zu sichern. Jeder Versuch einer Alternative zur neoliberalen Politik wird im Keim erstickt.

­... (Die Kanzlerin) kann sich der Unterstützung ihrer engen Freunde aus Banken und Medien versichern - allen voran Josef Ackermann und Friede Springer. Es ist jetzt schon klar, daß die Krisenkosten nicht von den Banken getragen, sondern auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Die Menschen, die keine Schuld an der Krise haben, müssen ihre Kosten tragen.

Arme Menschen werden auch noch von Leuten wie Hans-Olaf Henkel verhöhnt. Er meint, daß die Krise doch nur die Reichen ärmer gemacht habe, die Armen erhielten doch stabil alle Leistungen. Herr Henkel spricht wider besseres Wissen. Die geplanten Steuersenkungen für Unternehmen und Erben werden nicht die Konjunktur beflügeln, sondern zusätzliche Löcher in die Kassen von Ländern und Kommunen reißen. Der Berliner Finanzsenator hat ausgerechnet, daß die Steuersenkungen Berlin 700 Millionen Euro kosten werden. Das entspricht einem Gegenwert von 100.000 Kita-Plätzen! CDU/CSU und FDP werden alles versuchen, mittels finanzieller Daumenschrauben Projekte, die uns wichtig sind, zu zerstören. Widerstand tut also not.

Dr. Gesine Lötzsch, MdB
in "info links", Berlin-Lichtenberg

Raute

Die vier unbewiesenen Behauptungen der Dresdner "Gefälligkeitskommission"

Laßt die Toten ruhen!

Seit ich von den Bemühungen der Stadtoberen Dresdens vor einigen Jahren hörte, man wolle "reale" Opferzahlen beim angloamerikanischen Bomberangriff am 13. und 14. Februar 1945 auf die Elbestadt ermitteln und habe das bereits mit Erfolg getan, stelle ich mir die Frage: Wem nützt das? Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, der durch die Alliierten und die DDR angenommenen Zahl von 35.000 Toten zu widersprechen. Gelten sollte der Grundsatz: Laßt die Toten ruhen!

Die Bombenangriffe auf Dresden richteten sich nahezu ausschließlich gegen Zivilisten. Wirtschafts- und Verkehrsobjekte wurden weitgehend ausgespart, so der Güterbahnhof Dresden-Neustadt oder Zeiss-Ikon in Dresden-Striesen. Die Behauptung, es sei um die Vernichtung von in der Stadt hergestelltem Kriegsgerät gegangen, besitzt kein solides Fundament.

Ich selbst bin gebürtiger Dresdner und habe die Feuerhölle in der Nacht vom 13. zum 14. Februar als damals 8½jähriger Schüler erlebt. Zu der Zeit wohnten wir in Striesens Holbeinstraße 90. Ich weiß nur noch, daß mich meine Mutter, die einen Kolonialwarenladen betrieb, durch die Feuerhölle von dort über die Albertbrücke, wie sie mir später sagte, zu meinen Großeltern nach Dresden-Neustadt geführt hat. Ich glaube nicht, daß es mir allein gelungen wäre, weil ich mein Umfeld bis zur Schule selten verließ. Ich habe auf dem Weg nach Neustadt auf den Straßen unzählige Tote gesehen.

Die "Nachweise der Dresdner Historikerkommission" sind voller unbewiesener Behauptungen. Ich antworte sinngemäß mit der Feststellung des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt: Die Leute, die heute vom Krieg reden und darüber Entscheidungen treffen, haben ihn nicht erlebt und keine Vorstellungen davon, welches Leid Krieg über die Menschen bringt.

Nach dem Bombardement wollten die Dresdner zuerst nur Frieden und dann etwas zu essen, zu trinken sowie ein Dach über dem Kopf, damit sie existieren konnten. Politische Querelen nach der Befreiung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten, wie sie von Altvorderen der SPD unterstellt werden, interessierten damals niemanden. Wir wollten einfach leben. Meine Mutter mußte von einer Kleinunternehmerin auf ein Mietzimmer für uns heruntergehen, weil die Wohnung meiner Großeltern noch Anfang März auch ausgebombt worden war. Mein Vater befand sich in Kriegsgefangenschaft. Das in jener schweren Zeit Erlebte legte in mir den Keim, Sozialist zu werden.

Die von der "Dresdner Historikerkommission" vorgetragenen vier Argumente gegen die statistisch angeblich zu hohe Opferzahl sind unseriös. Zu den vier "Argumenten":

Erste Behauptung: Es habe keine "unentdeckten Keller-Toten" gegeben. Wer soll denn die "sorgfältige Beräumung" einer Trümmerwüste veranlaßt haben? Wer war verantwortlich? Zuerst der bereits angeschlagene Nazi-Staatsapparat, danach die Besatzungsmacht und schließlich die neuen Kommunalorgane. Erst nach dem 8. Mai 1945 konnte an die Trümmerbeseitigung herangegangen werden. Nach dem Inferno gab es keine "ordnungsgemäße" Verwaltung, die wie nach einer Brandkatastrophe alles sauber klären konnte. Die Dresdner haben sich zunächst um sich selbst gekümmert. Dann kam die Rote Armee, die Ordnung zu schaffen suchte. Es ging darum, das Leben zu reorganisieren, nicht aber, wie die Historikerbeamten meinen, die Toten zu zählen, was in der Ruinenlandschaft der Stadt so gar nicht möglich war. Meine Mutter war Trümmerfrau, die angesengte Steine klopfte, damit diese wieder verbaut werden konnten.

2006 habe ich meine Geburtsstadt besucht. Ich war überall, wo ich gelebt hatte. Von der Holbeinstraße 90 ist nichts übriggeblieben. In deren unmittelbarer Umgebung steht nur noch ein vom 13. Februar 1945 offenbar verschontes Gebäude, alle anderen Wohnhäuser wurden zu DDR-Zeiten, weit nach 1950, neu errichtet. Außerdem gibt es immer noch Baulücken. Wo sind die ehemaligen Bewohner geblieben? Kamen sie alle um, vermochten sie vor den Flammen zu fliehen oder verbrannten sie? Einige, mit denen ich sprechen konnte, waren erst später zugezogen und hatten überwiegend keine Vorstellung davon, was damals überhaupt geschehen war.

Zweite Behauptung: Die Temperaturen seien nicht so hoch gewesen wie unterstellt. Ich habe einen guten Bekannten, zehn Jahre älter als ich, der in Erlangen wohnt und für Siemens arbeitete. Er hat am 14. Februar Geburtstag, begeht diesen Tag aber nicht, weil seine Eltern und andere Verwandte, die in der Nähe der Frauenkirche ein Geschäft hatten, nach der Feuersbrunst nicht mehr aufzufinden waren. Sie wurden zu Asche, wie alles ringsherum.

Er konnte seine Eltern also nicht beisetzen lassen. Es gibt gesicherte Aussagen, daß die Temperaturen rund um die Frauenkirche etwa 1100 Grad Celsius betrugen, mehr als in einem Krematorium. Noch Lebende, die dem Feuer entkommen wollten, wurden in dieses hineingezogen. Die "Kommission" geht von einem normalen Brand in einem Stadtzentrum aus. Ob die Standesämter und Bestattungsinstitute, die es bis zum 13. Februar gab, erhalten geblieben sind, weiß niemand. Es wird aber unterstellt. Außer acht läßt die "Kommission" auch die Tatsache, daß auf dem Altmarkt und nicht nur dort Leichenberge aufgehäuft und mit Flammenwerfern verbrannt wurden, um Seuchen zu vermeiden.

Dritte Behauptung: Es wird erklärt, "die auswärtigen Flüchtlinge" seien "registriert gewesen". Es ist absoluter Unsinn zu glauben, daß jene, die täglich zu Tausenden auf dem Hauptbahnhof und anderen Dresdener Bahnhöfen ankamen, samt und sonders erfaßt worden seien. Für die Flüchtlinge galt: Dresden ist eine Weltkulturstadt, welche auch die westlichen Bomberverbände - sowjetische kannte man nicht - wohl kaum angreifen würden. Sonst wären sie nie dorthin gekommen. Wir hatten z. B. meine Tante und einen ihrer Söhne am 13. Februar in unserer Wohnung. Ohne sich registrieren zu lassen, kamen sie direkt zu ihren Verwandten. Vielleicht hätten sie sich am nächsten Tag ja eintragen lassen. Das gilt auch für unzählige andere Flüchtlinge.

Vierte Behauptung: Es habe keinen Tieffliegerbeschuß auf Zivilisten gegeben, heißt es. Ich selbst kann mich nicht erinnern, ob wir in der Nacht beschossen worden sind oder nicht. Aber Bekannte haben mir bestätigt, daß Tiefflieger auf die Elbwiesen ausgewichene Bürger Dresdens und auswärtige Flüchtlinge unter Feuer genommen haben. Es herrschte Krieg. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Daß Krieg etwas Furchtbares ist, vor Zivilisten niemals Halt macht und unvorstellbares Leid über die Menschen bringt, sollte man denen, die Kundus und den Afghanistan-Krieg zu verantworten haben, ins Stammbuch schreiben.

Gemeinsam gilt es heute, in Dresden jene Horden neuer Nazis abzuwehren, die auch in diesem Jahr in der Elbmetropole aufmarschieren und zur Ablenkung von den Genozid-Verbrechen der deutschen Faschisten gegen den "Bomben-Holocaust" protestieren wollen.

Werner Vanselow,
Ebensfeld (Oberfranken)

Raute

Vom westlichen Ausland wurde der DDR nichts geschenkt

Das eigentliche deutsche Wirtschaftswunder

Im RF Nr. 139 lobt der ehemalige Minister für Wissenschaft und Technik der DDR die Erfolge der Hauptabteilung Wissenschaftlich-Technische Aufklärung des MfS. Er bestätigt, wie intensiv die WTA mit den volkswirtschaftlichen Prozessen verflochten war und wie die gewonnenen Informationen für neue Lösungen und ein schnelleres Erreichen volkswirtschaftlicher Ziele in der DDR genutzt werden konnten. Die persönlichen Leistungen und Verdienste der DDR-Aufklärer im Interesse von Wirtschaft und Bevölkerung ihres Landes möchte ich in keiner Weise schmälern. Der berechnete Nutzen aus deren Erkenntnissen wird auf 1,5 Mrd. Mark der DDR pro Jahr beziffert. Doch bereits diese Zahl läßt erkennen, wie begrenzt unsere Chancen blieben, die wissenschaftlich-technische Blockade seitens der westlichen Industriestaaten insgesamt zu durchbrechen.

Schon die Ausgangslage der Industrie in der Sowjetischen Besatzungszone war gegenüber der im Westen erschreckend schlecht. Die Zahl der verbliebenen Betriebe wurde infolge der Reparationsleistungen an die UdSSR weiter verringert. Das verschonte Potential paßte in seinen Proportionen kaum zueinander. Um innerhalb der Industrie und unter den Volkswirtschaftszweigen eine einigermaßen arbeitende Einheit als Voraussetzung für ein gesamtvolkswirtschaftliches Wachstum herzustellen, waren gewaltige Investitionen erforderlich. Vor allem ging es auch um technisches Know-how, das es im Osten infolge der Teilung des Landes gar nicht oder nicht mehr gab.

Eine uneingeschränkte Einbeziehung in die internationale Arbeitsteilung wäre unter diesen Umständen eine Vorbedingung für einen kontinuierlichen Aufbau und das Wachstum der DDR-Wirtschaft gewesen. Die gab es aber nicht. Unser relativ kleines Land konnte nicht annähernd und gleichzeitig auf allen Gebieten von Wissenschaft und Technik forschen und entwickeln. Das vermögen nicht einmal die ganz Großen.

Demgegenüber bestanden in Westdeutschland von Beginn an günstigere Bedingungen wie eigene Rohstoffvorkommen, größere industrielle Bestände in einer vorteilhaften Proportionalität. Darüber hinaus war es für die dortige Industrie infolge des uneingeschränkten Handels leichter, ihren technologischen Rückstand zum Beispiel gegenüber den USA aufzuholen. Die Industrie in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR wurde hingegen durch gezielte handelspolitische Maßnahmen und durch die Gesetzgebung der westlichen Verbündeten von der internationalen Arbeitsteilung ausgeschlossen.

Bereits vor Gründung der beiden deutschen Staaten schränkte insbesondere das Gesetz Nr. 53 der Militärregierung den Handel und die Wirtschaftskooperation mit den "Ostblock"staaten ganz entscheidend ein und stellte Zuwiderhandlungen unter harte Strafe. Wegen angeblichen Verstoßes gegen dieses Gesetz wurden auch nach 1989 Wirtschaftsfunktionäre aus der DDR, bar jeder Rechtsgrundlage, angeklagt.

Die NATO tat ein übriges: Sie schuf mit COCOM ein Koordinierungs- und Kontrollorgan in Paris, das alle Warenlieferungen und Leistungen in die "Ostblock"länder zu prüfen, zu genehmigen oder zu verbieten hatte. Auf dem Index standen sogenannte strategische Güter und Leistungen, die in einer Liste mit tausend Positionen erfaßt waren.

Aus eigenem Erleben kann ich berichten, wie ich als Leiter eines DDR-Unternehmens im westlichen Ausland einige Produktionsmittel einkaufen wollte, die weder bei uns noch in anderen sozialistischen Ländern hergestellt werden konnten, weil der Gesamtbedarf im Inland den Entwicklungs- und Produktionsaufwand nicht gerechtfertigt hätte. Durch die Eingliederung der gewünschten Ausrüstung in meinen Betrieb wären auf einer bestimmten Produktionslinie beträchtliche Produktivitätssteigerungen möglich gewesen. Der westliche Hersteller führte mir bereitwillig die Funktionen des Wirtschaftsgutes vor, um am Ende der Verhandlungen zu erklären, eine Lieferung könne erst erfolgen, wenn der Kaufvertrag von "Paris" genehmigt würde. Die Einwilligung wurde nicht erteilt, was vorauszusehen war. Militärstrategische Bedeutung hatten die sonst frei handelbaren Güter keineswegs.

Angesichts der Summe von ökonomischen Problemen, mit denen die DDR belastet war, stellen die im Verlauf ihrer Existenz hervorgebrachten wissenschaftlich-technischen Leistungen sowie die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Zuwachsraten einen bewunderungswürdigen Erfolg dar. Immerhin konnte sich unser Staat auch wirtschaftlich an den Industrienationen dieser Welt messen. In den 60er Jahren sah sich ein westdeutsches wirtschaftswissenschaftliches Institut nach einer Analyse der Entwicklung in beiden deutschen Staaten sogar zu der Feststellung veranlaßt, daß sich das "Wirtschaftswunder" nicht in der BRD, sondern eigentlich in der DDR vollzogen habe. Ergänzend dazu muß man sagen, daß die wirtschaftlichen Resultate allein auf die Fähigkeiten, das Können, den Fleiß und vor allem auf die Einstellung eines großen Teils der arbeitenden Menschen gegenüber ihrer Aufgabe, ihrer Gesellschaft und ihrem Land zurückzuführen sind. Von außen wurde der Bevölkerung der DDR absolut nichts geschenkt. Eher das Gegenteil war der Fall.

Die ungeschminkten Untersuchungsergebnisse konnten möglicherweise auch als Warnung an gewisse Kreise des Westens vor einer aufkommenden politischen und wirtschaftlichen Konkurrenz verstanden werden. Einst hatte die CIA dem amerikanischen Präsidenten vorgerechnet, daß in der Sowjetunion zum Beispiel eine 16-Zoll-Drehbank in nur 200 Arbeitsstunden produziert wird, während in einer westeuropäischen Fabrik 600 bis 800 Arbeitsstunden dafür nötig sind. Das wurde als ein politisch-ökonomischer Sieg der UdSSR ausgemalt. Hier wie dort waren solche Äußerungen bei Regierenden imperialistischer Länder dazu angetan, den Kalten Krieg auf wirtschaftlichem Gebiet zu intensivieren. Kenner dieser Materie, so Ulfkotte in seinem Buch "Marktplatz der Diebe", bestätigen, daß der BND die DDR wirtschaftlich intensiv ausspioniert hat. Und Schmidt-Eenboom fügt dem in seiner Veröffentlichung über den Bundesnachrichtendienst hinzu: "Im strategischen Bereich war sie (die Tätigkeit des BND - der Verf.) darauf gerichtet, die gesamtwirtschaftliche Lage zu beurteilen und Anhaltspunkte für Finanzoperationen zur Schwächung der Planwirtschaft zu finden. Wirtschaftsspionage wurde nicht nur betrieben, um ein Gesamtbild der Wirtschaft zu erhalten, sondern auch direkt gegen Kombinate und Betriebe eingesetzt."

Natürlich verschweigen die Feinde der DDR in ihren Tiraden all jene Umstände, die sich aus der internationalen Situation gegen die Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft in unserem Land gerichtet haben. Sogar solche, die sich noch ein reales Bild erhalten haben, umgehen in ihren Analysen die äußeren negativen Einflüsse auf die DDR und versuchen den Eindruck zu vermitteln, nur innere Fehlentscheidungen hätten zu dem Desaster am Ende geführt. Diese spielten zweifellos eine Rolle, aber auch andere Faktoren wie die hier aufgeführten besaßen maßgebliches Gewicht.

Dr. Manfred Böttcher

Unser Autor war Generaldirektor der DEWAG.

Raute

General Schönbohm will das Feindbild schärfen

"Ich werde in Uniform beigesetzt"

Als im vergangenen November der CDU-Politiker Jörg Schönbohm, Brandenburgs Ex-Innenminister, seinen Hut nahm, titelten Printmedien: "Ex-Bundeswehrgeneral verläßt das Schlachtfeld". Doch dieser Mann, der stets nach dem Motto "Viel Feind, viel Ehr" gehandelt hatte, verkündete in einer Botschaft, er wolle nunmehr für Brandenburg und darüber hinaus "das Feindbild schärfen". Johanna Wanka, Brandenburgs CDU-Vorsitzende, erklärte, es gehe darum, "die rot-rote Pest zu verjagen".

Aber gehen wir der Reihe nach. Anläßlich seines 70. Geburtstages gab Schönbohm dem Springerblatt "Berliner Morgenpost" seinerzeit ein bemerkenswertes Interview. 35 Jahre seines beruflichen Lebens habe er bei der Truppe verbracht, ehe er in die Berliner und brandenburgische Politik eingestiegen sei. Schon damals legte er großen Wert darauf, auch weiterhin als Militär zu gelten. "Ich werde in Uniform beigesetzt.", erklärte er der ihn befragenden Zeitung. "Sehen Sie sich eher als General oder als Politiker?", wollte diese wissen. Schönbohms unmißverständliche Antwort: "Als General wußte ich, wo der Feind steht. In der Politik ist man immer überrascht, wo er herkommt."

Mit 72 Jahren ist Schönbohm unterdessen aus dem Berufsleben ausgeschieden. 1990 kam der in Bad Saarow Geborene und bei Kriegsende als Kind mit seiner Familie in den Westen Gelangte wieder in den Osten Deutschlands zurück. Generalleutnant der Bundeswehr, betätigte er sich als Abwickler der Nationalen Volksarmee der DDR, wobei er erstmals eng mit Ostdeutschland in Berührung kam. Dabei hat er ganze Arbeit geleistet.

"Mein Leben ist so", sagt Schönbohm, der gerade sein 450 Seiten starkes Buch "Wilde Schwermut" vorlegte. "Ich bin wieder zu Hause, ein Kreis hat sich geschlossen. Darum habe ich das Recht, dazu mal etwas zu sagen."

Mitte November 2009 ist Schönbohm nach Jakarta geflogen und hat dort einige Vorträge gehalten. Fast drohend hörte sich seine Bemerkung an: "Wenn ich zurückkomme, bin ich ein Neuer." Anläßlich des "Mauerfall"-Jubiläums hat er eine Debatte angestoßen. Seine Themen: das "kollektive Beleidigtsein" der Ostdeutschen, die "Gefahren der Entbürgerlichung", die "Wiederbelebung des Christentums".

Eine Kostprobe davon haben Schönbohm und die regionale CDU-Spitze im Zusammenhang mit der Wahl von Volkmar Schöneburg (Die Linke) zum brandenburgischen Justizminister geliefert. Vorurteile, falsche Deutung tatsächlicher geschichtlicher Abläufe, Unterstellungen - das alles sind keine guten Voraussetzungen für einen sachlichen Disput. In Leserbriefspalten auflagenstarker Zeitungen des Bundeslandes findet man zunehmend Meinungen Brandenburger Bürger, die sich die "Lust des Beleidigtseins" nicht austreiben lassen. So schreibt z. B. Manfred Edelmann aus Kleinmachnow, wo auch Schönbohm wohnt: "Es ist erstaunlich, wie hartnäckig er sich immer wieder mit dem Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen auseinandersetzt ... Erstaunlich ist aber auch, wie wenig es ihm gelingt, den Kern der Problematik zu erkennen, den Hintergrund des 'kollektiven Beleidigtseins', wie er es nennt." Kristina Göpel aus Fichtenwalde hat ihm per Leserbrief ins Stammbuch geschrieben: "Wer sich der Geschichte der DDR-Bürger nicht sachlich, sondern mit herablassender Angriffslust nähert, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen sich das verbitten."

Fassen wir zusammen: Schönbohm hatte - den eigenen Aussagen zufolge - schon immer ein unverrückbares Feindbild als einer der führenden Militärs der Bundesrepublik (alt), und er hat es unverändert als Politiker der Bundesrepublik (neu) beibehalten. Es ist schwer vorstellbar, daß er als "Privatier" seine Ansichten ändert.

Oberst a. D. Dr. Dieter Langer,
Königs Wusterhausen

Raute

Brandenburgs PDL läßt sich "einbinden", "entschärfen" und "neutralisieren"

Platzeck bleibt Platzhirsch

Das Brandenburger Koalitionspapier von SPD und Linkspartei läßt wesentliche Fragen offen. Es macht blind gegenüber grundsätzlichen Ansprüchen an die weitere Entwicklung:

Wahlsieger ist vor allem die SPD. Ihre strategische Konzeption ging voll auf. (... Die Linke "einbinden", "entschärfen" und "neutralisieren"). Lothar Bisky stellte das so dar: "... noch keine neue Politik in Brandenburg, aber eine Chance". Und Ministerpräsident Mathias Platzeck bestätigte diese Lageeinschätzung mit seiner Bemerkung: "Die SPD rückt damit nicht nach links." Und: "Der Umgang mit der Vergangenheit wird sich nicht ändern." Die maßgeblichen Leute der Brandenburger PDL sind darauf inzwischen voll eingestiegen.

Zahlreiche Menschen in unseren Dörfern sitzen buchstäblich auf gepackten Koffern, weil ihr Ort nicht sicher vor dem auch im Interesse des Vattenfall-Konzerns von der Koalition als Priorität festgemachten Motto ist: "Erst mal weiter mit dem Braunkohleabbau". Seit langem hatte die PDL diesbezüglich eine "Wende ohne Verzug" proklamiert und war damit auch in den Wahlkampf gezogen. In einer Stellungnahme von linksaktiven Mitgliedern der Partei, Gewerkschaftern, Studenten-Organen und der Jugendorganisation "Solid" wird ein solcher Sinneswandel, wie er sich binnen kurzem abgezeichnet hat, ohne Umschweife als Wahlbetrug charakterisiert. Genauso verhält es sich beim Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Hier wurde von der Koalition behauptet, Brandenburg beschäftige im Verhältnis zu den Gesamtarbeitskräften zu viele öffentlich Bedienstete. In Wahrheit liegen die Vergleichszahlen in zehn von fünfzehn Bundesländern viel höher.

Schon vor einiger Zeit verlautete, in Brandenburg sollten nach "struktureller Neuordnung" nur noch 100 von 150 Regionen gefördert werden. Die Koalition duckt sich hier vor klarer Positionierung.

Übrigens ist von der Beschaffung neuer Arbeitsplätze zwar die Rede, allerdings "unter Finanzierungsvorbehalt vom Bund", was bei derzeit 146.440 im Land offiziell registrierten Erwerbslosen eher als Witz gelten mag.

Die ganze Konzeption der Landespolitik ist kein Stück progressiver als ohne die PDL. Wenn diese nicht zu verhindern imstande ist, daß die Partei wie die SPD nur im Schlepptau ihrer miteinander kungelnden Fraktionen agiert, ohne daß die Basis als "Souverän" mehr Gewicht gewinnt, dann wird es ihr nicht anders ergehen als der SPD im Bundesmaßstab - ja noch weit schlimmer. Damit das nicht eintritt, müssen wir offen über alle brennenden Probleme reden.

Kurt Körner,
Panketal

Raute

Wie geistliche Gaukler die DDR auf die politische Guillotine brachten

Kleriker der Konterrevolution

"Urbi et Gorbi. Christen als Wegbereiter der Wende", heißt ein Titel Joachim Jauers, während sich Christian Führer dafür entschied, seine Schrift unter das Motto "Und wir sind dabeigewesen. Die Revolution, die aus der Kirche kam" zu stellen.

Inmitten der inflationierten Berichte über den "Herbst 1989" erregen diese beiden Bücher wegen der Autoren und deren Behauptung, die "Revolution" sei "aus der Kirche gekommen" besonderes Interesse.

Bei Christian Jauer handelt es sich um "einen der kenntnisreichsten Zeitzeugen", der "auf allen Schauplätzen dabei" war ("Das Parlament"), bei Christian Führer um jenen Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, welcher gewissermaßen zur Ikone der Leipziger Montagsdemonstrationen geworden ist.

Joachim Jauer schreibt über Solidarnosc, den polnischen Papst und Lech Walesa, er war in Sopron beim "europäischen Picknick" und in der Prager BRD-Botschaft dabei, als dort die illegale Ausreise von DDR-Bürgern "legalisiert" wurde. Er kennt jene, welche in Rumänien Ceausescu und dessen Frau Weihnachten 1989 erschossen haben. Und immer fand er: Kirchenleute (auch Christen?) standen im Zentrum der konterrevolutionären Aktionen.

Über den Anteil der einzelnen Akteure gibt es eifersüchtigen Streit, an dem auch führende Politiker beteiligt sind. Als die Adenauer-Stiftung und das Haus Springer die "Väter der Einheit" George Bush, Helmut Kohl und Michail Gorbatschow gefeiert hatten, meldete sich Lech Walesa in BILD am 2. November 2009 zu Wort: "Es macht mich heute traurig, daß Helden aus denen gemacht werden, die keine waren." Gorbatschow habe weder den Kommunismus noch die Berliner Mauer stürzen wollen. Walesa fügte hinzu: "Die Wahrheit ist, daß Papst Johannes Paul II. zu 50 Prozent zum Mauerfall beigetragen hat, 30 Prozent die Solidarnosc und Lech Walesa, aber nur 20 Prozent der Rest der Welt."

Wenn 20 % des "Heldentums" noch zu vergeben sind, dann fragt sich natürlich, wieviel da für Helmut Kohl und Christian Führer abfällt. Der evangelische Bischof Huber urteilte: "Die Veränderungen von 1989 in der DDR und in Polen wären ohne die Kirchen nicht zustandegekommen." ("Der Spiegel" 20/2008)

Wer Hubers Urteil zustimmt, müßte natürlich fragen: Warum haben die Kirchen die Aktivitäten gegen die sozialistischen Regierungen organisieren helfen? Wie haben sie das getan? Und was ist das Ergebnis?

Christian Führer hatte genügend Platz, darauf zu antworten. Zu den Gründen gibt er so gut wie keine Auskunft. Die evangelischen Bischöfe hatten der DDR nicht den Krieg erklärt und die Formel von der "Kirche im Sozialismus" war interpretierbar. Ihre Erklärung vom 15. Februar 1968 im Kloster Lehnin an Walter Ulbricht lautete: "Als Staatsbürger eines sozialistischen Staates sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, den Sozialismus als eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens zu verwirklichen."

Bei der katholischen Kirche war das anders. Der Vatikan ist ja nicht nur Kirchenführung, sondern auch Staat. Als Polens Kardinal Wojtyla zum Papst Johannes Paul II. aufstieg, rief er öffentlich zum Sturz der gottlosen Staatsmacht auf, wie das schon seine Vorgänger getan hatten. Er fand in Walesa und Solidarnosc seine "willigen Helfer". Johannes Paul II. verkündete auf seiner ersten triumphalen Polenreise: "Habt keine Angst! Öffnet, reißt die Tore auf für Christus. Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme für seine rettende Macht."

Christus, dessen Reich nicht von dieser Welt war, wurde nun als "rettende Macht" ins Feld geführt. Joachim Jauer beschreibt die Wirkung des Papst-Auftritts. In vielen Büchern ist die Rolle Woitylas beim Sturz des Sozialismus längst enthüllt.

Christian Führer schreibt seine Biographie so, als hätte ihn Gott beauftragt, seinen Kampf in Leipzig zu führen. Wenn man aber genauer nachliest, dann wohnten die Ratgeber wohl doch nicht im Himmel, sondern lenkten Medien und entwarfen Strategien. Ein Kuriosum nebenbei: In der Weimarer Republik zählten die Dibelius und Co. zu jenen, welche die Novemberrevolution schmähten. 1938 segneten sie dann den "Führer".

51 Jahre später drapierten sich Pfarrer als "Revolutionäre" und ließen sich dafür 2009 von kriegführenden Politikern Orden der BRD anheften.

Wie gewannen die Kirchen jene Massen, ohne die eine Restauration in Osteuropa kaum möglich gewesen wäre? Auch der Aufbau des Sozialismus bedurfte ja der Unterstützung der Massen, wie wir von Lenin wissen. Gehen wir von den Gegebenheiten aus:

- Die Kirchen und Pfarrer wirkten legal.
- Sie stützten sich auf eine jahrhundertealte Tradition, zu der Gehorsam der Gläubigen gegenüber Gott gehört.
- Die großen Glaubensgemeinschaften werden zentral geführt, die katholische Kirche geradezu totalitär.
- Die Kirchen haben stabile Strukturen und ergebene Kader.
- Räume, Finanzen, karitative Einrichtungen usw. erleichtern ihre Arbeit.
- Regierungen und Medien folgen ihnen in beachtlichem Maße.
- Mit der Beichte als Informationsquelle und dem Vatikan als Völkerrechtssubjekt hat die katholische Kirche enorme Machtmittel in der Hand.
- Der Antikommunismus - auch in kirchlichem Gewand - ist tief verwurzelt.

Pius XI. erklärte 1937 in seiner Enzyklika "Divini Redemptoris" (Göttliche Erlöser): "Der Kommunismus ist in seinem innersten Kern schlecht, und es darf sich auf keinem Gebiet mit ihm auf Zusammenarbeit einlassen, wer immer die christliche Kultur retten will."

- Nicht wenige Kirchenleute ließen sich zum Mißbrauch von Bibeltexten im politischen Kampf verleiten. So verwandelte Eppelmann die pazifistischen Worte "Schwerter zu Pflugscharen" in eine Losung zur Entwaffnung der DDR, nicht aber für weltweite Abrüstung. Ein weiteres Beispiel lieferte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, während eines ökumenischen Gottesdienstes in der Berliner Gethsemane-Kirche. Er zitierte aus der Bibel, Psalm 18: "Mit meinem Gott überspringe ich Mauern." Das habe den Christen in der DDR stets Zuversicht gegeben. So besehen war der "Herbst 1989" göttliches Werk, und die "Helden" von damals bildeten das Fußvolk des Allmächtigen. Das bezeugen Jauer und Führer auf ihre Weise.

Helmut Kohl spürte das "Wunder Gottes" etwas anders: "Wenn der Mantel Gottes durch die Geschichte weht, muß man zuspringen und ihn festhalten. Dazu gehört nicht nur Mut. Es bedarf vielmehr einer Paarung von Mut und Klugheit." Und so vollbrachte auch Kohl sein Wunder - mit der Hilfe des Allmächtigen.

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Bekommt Angela Merkel bald Post von einem Abgeordneten ihrer eigenen Fraktion?

Eppelmann, geh du voran ...

Der frischgebackene Kriegsminister aus adligem Geblüt führte sich damit ein, daß er sogleich eine zusätzliche Einheit Soldaten nach Afghanistan entsandte. In der CDU denkt man laut darüber nach, das zum Hindukusch entsandte Truppenkontingent perspektivisch bis auf 10.000 Mann aufzustocken. Die Verlängerung des Interventionsmandats ging im Bundestag bereits "routinemäßig" durch. Das Kriegsheldentum feiert fröhliche Urständ, und alle alten Kriegslügen-Muster haben Hochkonjunktur, wie der Fall Jung offenbarte. Immerhin gehört die BRD zu den größten Rüstungsexporteuren der Welt. Da muß das Führen von Kriegen angeschoben werden.

Dieser Tage fand ich in einem Büchlein "Schwerter zu Pflugscharen" den Brief Pfarrer Rainer Eppelmanns an Erich Honecker vom Juli 1981. Lange vor seinem Aufstieg zum Verteidigungs- und Abrüstungsminister einer bereits bis zur Unkenntlichkeit deformierten DDR unterbreitete Eppelmann dem Adressaten des Schreibens seine in 16 Punkte gegliederten Vorschläge und Forderungen. Sie lauteten wörtlich:

"1. Verbot der Herstellung, des Verkaufs, des Besitzes und der Einfuhr von Kriegsspielzeug.

2. Verbot der Verherrlichung des Soldatseins im Unterricht, in Schulbüchern und in der außerschulischen Arbeit.

3. Abschaffung der organisierten Besuche von Kindergarten-Gruppen und Schulklassen in Kasernen.

4. Abschaffung des Wehrunterrichts, der vormilitärischen Ausbildung in Schule und Berufsausbildung.

5. Dafür Einführung des Fachs Friedens- und Lebenskunde mit zum Beispiel folgenden Inhalten: Möglichkeiten der gewaltfreien Lösung von Konflikten, Fragen der Partnerschaft zwischen Mann und Frau und des Zusammenlebens in der Familie, Erziehungsfragen, Umweltschutzkunde und Einführung in die Psychologie.

6. Abschaffung der finanziellen und beruflichen Bevorzugung von Schülern, Lehrlingen und Studenten, die eine militärische Laufbahn einschlagen wollen.

7. Gleichzeitige Abschaffung der Benachteiligungen für solche Schüler, Lehrlinge und Studenten, die keine militärische Laufbahn einschlagen.

8. Volle Gleichberechtigung des Wehrersatzdienstes und Abschaffung der beruflichen Benachteiligungen für Bausoldaten.

9. Umwandlung des Wehrersatzdienstes in einen von der NVA unabhängigen Sozialdienst.

10. Abschaffung der Bevorzugung für aus dem mehrjährigen Militärdienst Ausscheidende.

11. Keine großangelegten Feiern von militärischen Ehrengarden und keine Präsentation von militärischem Material bei Volksfesten und ähnlichem, zum Beispiel beim ND-Pressefest, Blumenfest in Weißensee.

12. Verzicht auf militärische Demonstration bei Staatsfeiertagen und dem Besuch von Staatsoberhäuptern.

13. Keine Differenzierung und Benachteiligungen mehr für Schüler, Lehrlinge und Studenten, die pazifistische Überzeugungen äußern.

14. Treten Sie öffentlich für eine kernwaffenfreie Zone in Mitteleuropa ein.

15. Treten Sie öffentlich für den Abzug aller ausländischen Truppen aus allen Ländern Europas ein.

16. Treten Sie öffentlich für eine schrittweise totale Abrüstung ein."

So weit der Text. Mein Vorschlag: Der CDU-Abgeordnete Eppelmann sollte seine Forderungen nahezu wortgleich der Kriegskanzlerin seiner Fraktion umgehend übersenden. Was meint der Herr Pfarrer dazu?

Roland Winkler,
Remseck

Raute

Brief aus der Heldenstadt

Hollywood in Germany?

Ein Schulfreund, der vor über 50 Jahren in die Vereinigten Staaten emigrierte und jetzt regelmäßig zu Klassentreffen nach Leipzig kommt - er war dort ein erfolgreicher Kleinunternehmer - traf mir gegenüber die Feststellung: "Alle USA-Präsidenten haben ihre Wahlkampfversprechen gegenüber der Bevölkerung nicht eingehalten." Auch Barack Obama werde sich entsprechend verhalten.

Die in der BRD Regierenden - von Kohl bis Merkel - gleichen diesen amerikanischen Vorbildern wie ein Ei dem anderen. Merkels Wahlkampfversprechen, sie wolle "Arbeitsplätze sichern", ist wie ein Muster ohne Wert. Erstens besitzt jeder deutsche Unternehmer einen Freibrief, sein Geld von der Bank zu holen und eine beliebige Firma im Ausland zu gründen, was ja massenhaft geschehen ist. Zweitens melden sich in der BRD nach dem aktuellen Stand jährlich etwa 9 Millionen Menschen arbeitslos - in 10 Jahren also 90 Millionen. Sie beenden ihre jeweilige Tätigkeit sicher nicht immer freiwillig ...

Angie will weiter "Kanzlerin aller Deutschen" sein. Da darf man doch mal die Frage aufwerfen, wann sie ihre politischen Gegner empfangen wird ... Zum Beispiel den Vorstand des "RotFuchs"-Fördervereins. Das wäre doch richtig toll. Hollywood in Germany!

Die Heldenstadt Leipzig, aus der ich berichte, befand sich im letzten Oktober unter einer regelrechten Weihrauch-Nebelglocke. Unsere 20 Oberbürgerrechtler schwelgten im Gedenken an ihre ruhmreichen Taten. Danach waren sie wie vom Erdboden verschluckt. Verständlich, gibt es doch hier eine Menge Leute, die nicht nur interessiert, was zu einem bestimmten Zeitpunkt geschieht, sondern die wissen wollen, was anschließend kommt. Und genau davon wollen sich die Damen und Herren "Revolutionäre" nur allzu gerne abkoppeln.

Nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft und dem Scheitern verzweifelter Bemühungen, die übriggebliebene Schrumpf-Ökonomie auf niedrigem Niveau zu stabilisieren, ist das neue Elend in der Arbeitsagentur für jeden sichtbar. In deren Gebäude herrscht ein regelrechter Dauerbelagerungszustand. Das Quelle-Desaster, das Leipzig mit 700 Menschen betrifft, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Der wiedererstandene Raubtierkapitalismus steht nicht in Ludwig Erhards Wirtschaftswunder-Büchern. Nur ein Schicksal von vielen: das einer Leipziger "Leistungsträger"-Familie aus meinem Umfeld. Die Großeltern, inzwischen Rentner, kämpften als Metallbau-Unternehmer jahrelang mit den Folgen der Insolvenz. Die Tochter, eine qualifizierte Bürofachkraft, ist unterdessen von Hartz IV betroffen. Ihr Sohn, 25, Metallhandwerker, schlägt sich auf dem Arbeitsgericht wegen seines seit fünf Monaten ausstehenden Lohnes herum. Sein vorheriger Betrieb war "nur" drei Monate im Rückstand. So etwas wird von unseren professionellen Schönfärbern natürlich als Ausnahme deklariert.

Apropos "friedliche Revolution". Mir ist 1989 kein einziger Demonstrant begegnet, der solche Wunschvorstellungen im Kopf hatte. Leipziger Arbeitslose sprechen da offen von Verrat. Zu Posaunen-Geschmetter, Kerzenflackern, Girlanden und Konfetti gehört, daß die Messemetropole mit knapp 15 % die höchste Arbeitslosenquote der zehn Agenturen des Freistaates Sachsen aufweist. Unter den Großstädten der BRD nimmt sie ebenfalls den ersten Rang ein.

Joachim Spitzner,
Leipzig

Raute

RF-Extra

"Spiegel-TV" erfand "das geheime Frauengefängnis der DDR"

Was geschah in Hoheneck?

Auf VOX "beglückte" uns vor geraumer Zeit eine "Spiegel-TV"-Dokumentation: "Eingesperrt, um frei zu sein - Das geheime Frauengefängnis der DDR".

Gleich zwei dicke Lügen in einem Titel. Was will man auch von einem "Spiegel"-Erzeugnis außer antikommunistischer Verdrehung von Tatsachen erwarten?

Zur Sache: In der Strafvollzugseinrichtung Hoheneck verbüßten weibliche Straftäter ihre Freiheitsstrafen für Mord, Totschlag, Kindesmißhandlung, Raub, Erpressung und andere Delikte, ja auch für Straftaten gegen die Staatsgrenze der DDR im schweren Fall, sogenannte Republikflucht. Nach dem Film waren Mörder also eingesperrt, weil sie nur "frei" sein wollten?

Die Filmemacher werden entgegnen, der Titel beziehe sich nur auf die politischen Gefangenen. Und was ist dann heute mit denen, die in Abschiebegefängnissen sitzen, z. B. in Berlin-Grünau? Sind die dort auch nur eingesperrt, weil sie frei sein wollen, oder haben sie gegen Gesetze verstoßen? Die nächste Lüge ist die Mär vom "Geheimgefängnis".

Ich habe ja Verständnis dafür, daß die Parteisoldatenjournalisten gerne von den immer noch nicht aufgeklärten Geheimgefängnissen der CIA in der EU ablenken wollen, wohin namenlose, gefesselte, mit einer Kapuze überzogene, gefolterte und rechtlose Menschen verbracht wurden. Aber in der DDR gab es keine Geheimgefängnisse.

Die Vollzugseinrichtung Hoheneck stand im Verzeichnis aller Strafvollzugseinrichtungen der DDR mit Anschrift und Telefonnummer. Dieses Verzeichnis lag bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie den Verwaltungen in den Kreisen, Städten und Gemeinden vor. Die Anstalt Hoheneck wurde, wie andere auch, durch die Staatsanwälte für Strafvollzugsaufsicht bei der Bezirksstaatsanwaltschaft und beim Generalstaatsanwalt, durch Kontrollgruppen der Verwaltung Strafvollzug des Innenministeriums und durch die Arbeitsgruppe Strafvollzug der Bezirksbehörde der Volkspolizei regelmäßig kontrolliert. Darüber liegen Kontrollberichte in den Archiven. Ein tolles Geheimgefängnis!

Heute gibt es in Deutschland keine Justizvollzugsanstalt, die durch eine Institution des Bundes kontrolliert wird. Der Strafvollzug ist Ländersache, gehört zum jeweiligen Justizministerium und wird von diesem überwacht. Man kontrolliert sich selbst ...

Alle Gefangenen in Hoheneck bekamen regelmäßig Post und Besuch von ihren Angehörigen. Etwa 600 bis 1000 Verwandte fuhren monatlich aus allen Teilen und Bevölkerungsschichten der DDR nach Hoheneck - und sie fanden das "Geheimgefängnis"!

Für alle Gefangenen in Hoheneck bestand ein Recht auf Arbeit. Sie arbeiteten überwiegend in Produktionsstätten innerhalb der Einrichtung, die Volkseigene Betriebe aus dem Territorium dort schufen oder ausstatteten und waren in der Zeit rentenund krankenversichert. Rund 120 freie Bürger, Arbeiter dieser Betriebe, leiteten die Gefangenen fachlich an. Sie kamen zu Arbeitsbeginn in die Anstalt und gingen nach Arbeitsschluß wieder in ihr Wohnumfeld. Was für ein "Geheimgefängnis"!

Im Film wird durch Aufnahmen aus einem 100 Jahre alten Gefängnis, das seit 10 Jahren stillgelegt ist, mit all den in diesen Jahren verfallenen Gemäuern ein Gefühl des frühen Mittelalters erzeugt: marode, alt, dreckig, verschimmelt, miefig und unmenschlich - totale Hoffnungslosigkeit. Mit solchen Aufnahmen beleidigt man nicht nur die DDR, sondern auch die Frauen, die dort eine Freiheitsstrafe verbüßten. Die Filmemacher haben vergessen, daß auch Mörder und Diebe Menschen sind. Und die Frauen in Hoheneck haben aus eigenem fraulichem Antrieb und durch Anleitung eine solide Ordnung und Sauberkeit gepflegt. Wäre dies in einer Einrichtung, wo viele Menschen auf engem Raum leben, nicht so, käme es zu Seuchen.

Da mancher Leser mir als Kenner des Strafvollzugs der DDR und anderer Länder nicht glauben könnte, will ich auf das Buch einer politischen Gefangenen verweisen, die in Hoheneck eine Freiheitsstrafe wegen Staatsverleumdung verbüßte. In ihrem autobiografischen Buch "Die bröckelnde Festung" (2002) schreibt Gabriele Stötzer u. a.: "'Essen gibt es immer genug, Kartoffeln, Soße und Gemüse können als Nachschlag geholt werden', sagte Karla. 'Zum Frühstück gibt es Brot und Sirup, manchmal Marmelade, dafür immer ein kleines Stück Butter.'

Sie setzten sich an einen der langen grauen Tische mit ebenso langen Holzbänken. Karla wies auf den Kiosk, der mit seinem Fenster in den Essenssaal reichte und in der Mittagspause geöffnet hatte. Hier konnten die Gefangenen für Knastgeld, das aus Scheinen mit einem Stempel der Strafvollzugsanstalt bestand, einkaufen. Neben Kosmetikartikeln, Obst, Zigaretten, Kuchen, Süßigkeiten, Brötchen, Milch, Quark, Vitamintabletten oder Brause auch Papierbons, für die man sich, da es zu jeder Brotmahlzeit nur Malzkaffee gab, Bohnenkaffee oder schwarzen Tee holen konnte. Außer in der Nachtschicht, da gab es besseres Essen: Leber, alle sechs Wochen ein gegrilltes Hähnchen." (S. 35)

Ihr Mann versorgte sie mit allem, wonach sie ihn in ihren Briefen fragte: "Sachen, die sie sich einmal im Monat zum Sprecher (gemeint ist der Besuch des Mannes, D. W.) mitbringen lassen konnte oder die sie sich alle zwei Monate in einem Paket schicken ließ. Die Pakete waren auf zwei oder drei Kilo beschränkt, was von der Erzieherin festgelegt wurde. Die Beigaben zum Sprecher waren auf einen Geldwert von fünfzehn Mark begrenzt. Sie bestellte in den Paketen teure und vom Gewicht her leichte Sachen und zum Sprecher schwerere oder leichtverderbliche Dinge. In den Paketen ließ sie sich Parfüm, Zahnbürsten, Wimpernspiralen, Deostifte, Lidschatten und Schreibwaren schicken. Gegen den immer gleichen Geschmack des Essens bestellte sie sich einen runden Plastikstreuer mit mehreren Gewürzen, Knoblauch- und Fischpasten. Zum Sprecher wechselten Äpfel, Zitronen, Erdbeeren, Kirschen, Himbeeren über das Jahr hin zu Pampelmusen, Bananen und Apfelsinen. Manchmal wünschte sie sich weichgekochte Eier, Pfannkuchen oder sinnlose Dinge wie Blumen, die außerhalb der Geldklausel mitgebracht werden durften. Alles mußte gekauft sein, Selbstgebackenes war verboten." (S. 44)

Wenn man diese Schilderung mit dem "Spiegel"-Film vergleicht, möchte man meinen, Gabriele Stötzer sei in einem anderen Gefängnis gewesen. Übrigens, wenn Insassen bundesdeutscher Vollzugsanstalten lesen, was ein Gefangener im DDR-Knast beim Besuch seiner Angehörigen erhalten konnte, werden sie staunen. Heute darf der Besucher nichts übergeben, was häusliche Gefühle erweckt, sondern nur aus einem Automaten in der Anstalt etwas Abgelagertes ziehen. Auf den 154 Seiten dieses beeindruckenden Buches finden sich keine Hinweise zu Folter, Wasserzelle oder anderen Erfindungen der Gehirne von Geschichtsfälschern.

Es gab in Hoheneck keine Folter und keine Wasserzelle, in der Menschen gequält wurden. Die gezeigte "Wasserzelle" im Kellerverlies ist ein Nachbau und wurde für Filmaufnahmen über die Nazizeit geschaffen. Nun präsentiert der Film eine ehemalige Gefangene, die in den 70er Jahren Zeuge einer Folter gewesen sein will. Also vor rund 40 Jahren. Auf die Nachfrage, warum sie bisher geschwiegen habe, erklärte sie, sie sei von der "Stasi" eingeschüchtert worden. Eine Frage, die im Film nicht gestellt wurde, stelle ich: Warum hat sie sich seit 1990 nicht gemeldet oder Anzeige erstattet?

Ich hoffe, daß nach der Ausstrahlung des Films sofort die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen hat.

Die Filmemacher gehen sehr geschickt vor und präsentieren ihre verdrehten Nachrichten auf eine fiese Art im Stil von Propagandafilmen von vor 1945.

Jedes Gefängnis aus der Kaiserzeit, ob Hoheneck oder Celle bei Hannover, ist von seiner baulichen Anlage, der räumlichen Enge, den dicken Mauern und kleinen Knastfenstern für den Vollzug einer Freiheitsstrafe ungeeignet.

Das wußte man auch in der DDR und baute trotz geringen finanziellen Spielraums in den 70er Jahren zwei neue Vollzugseinrichtungen für weibliche Strafgefangene in Berlin-Grünau und Hohenleuben. Auch dort verbüßten wegen Republikflucht verurteilte Frauen ihre Strafe, aber solche moderneren Gefängnisse hätten sich schlecht für die Hetze gegen die DDR geeignet.

In jedem alten Gefängnis, ob Hohenleuben, Brandenburg-Görden oder Celle, gibt es Kellerverliese, die nicht für den Vollzug genutzt werden. Sie dienen als Lagerräume, sind mit brandschutzsicheren Türen versehen und sollten in Notfällen genutzt werden (z. B. als Luftschutzbunker). Nun diese seit 10 Jahren verfallenen Kellerräume als Dunkelarrest zu verkaufen, ist gelinde gesagt eine arge Täuschung der Öffentlichkeit. Die Disziplinarstrafe "Dunkelarrest" gab es in der DDR nicht. Es gab nur den Freizeitarrest, einfachen Arrest und verschärften Arrest in einer Arreststation. Diese Strafen gibt es auch heute noch im Strafvollzug der EU.

Der Zusammenschnitt von Ton- und Bildaufnahmen ist ebenfalls geschickt gemacht. Wenn die Frauen von Schikanen, Drangsalierungen und Schlägen berichten, entsteht der Eindruck, sie meinten die "Wärterinnen" oder "Wächterinnen". Schon diese unkorrekte Bezeichnung soll Suggestionen an die faschistische Zeit wecken. Im Film erzählen die Frauen aber tatsächlich über die inneren Beziehungen, die Hierarchien und auch Gruppenbildungen im kriminellen Milieu der Gefangenen. Auch keine Besonderheit von Hoheneck, sondern leider Tatsache in jedem Gefängnis. Dort gibt es aus unterschiedlichen Motiven Selbstverstümmlungen, Selbstmordversuche und Suizide. Die Bediensteten kämpfen dagegen an, auch gegen den Willen der Betroffenen. Zur Verhinderung dienen als erste Mittel Einzelunterbringung, Zwangsjacke und Fixierungen am Bett sowie eine verstärkte Kontrolle. Dabei schreien und toben manche Gefangene über lange Zeit. Wenn man dies im Film nicht sagt, entsteht schnell für den nicht Eingeweihten der Eindruck, dies sei nur typisch für das "Unrechtsregime" DDR. Wenn die Selbstmordrate in Hoheneck außergewöhnlich hoch gewesen wäre, wüßte ich das. Ich weiß aber genau, daß die dort diensttuenden Frauen nicht zuließen, daß Gefangene ihre Mitinsassen zu Tode folterten. Das geschah erst im November 2006 in der Justizvollzugsanstalt Siegburg in Nordrhein-Westfalen, wo ein 20jähriger über 10 Stunden gequält und dann erhängt wurde, ohne daß das Personal etwas bemerkte.

Große Empörung will der Film darüber vermitteln, daß in Hoheneck die politischen Gefangenen gemeinsam mit kriminellen Gewaltverbrechern untergebracht waren. Das Normalste im bundesdeutschen Strafvollzug! Man kann dies in den Büchern von Egon Krenz und Klaus-Dieter Baumgarten nachlesen. Das ehemalige Staatsoberhaupt der DDR kam in Moabit in eine verdreckte Zelle, nach Protest sofort in eine andere, auch verdreckte. Er bat dann um Schrubber und Eimer und machte den Dreck weg. Auch wer etwas über Schikanen im heutigen Justizvollzug wissen möchte, lese seine "Gefängnisnotizen".

Der "Spiegel"-Propagandafilm versucht ein negatives Bild über die Strafvollzugsbediensteten in Hoheneck zu zeichnen. Fälschlicherweise wird behauptet, dort seien Volkspolizistinnen tätig gewesen. Ein Historiker, wahrscheinlich im Solde der Birthler-Behörde, sagt im Film: "In den Strafvollzug kamen die, die wo anders nicht tauglich waren." Dies mag auf den einen oder anderen Fall zutreffen, ist aber keinesfalls richtig. Die im Aufsichtsdienst beschäftigten Strafvollzugsangehörigen hatten alle die 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule abgeschlossen, einen Beruf erlernt und einen mehrmonatigen Lehrgang an der Schule für Neueingestellte besucht. Die für 60 bis 80 Gefangene zuständige Erzieherin hatte den Abschluß einer pädagogischen Fachschule oder der Fachschule des Strafvollzugs (Studienzeit zwei Jahre). Außerdem fanden regelmäßige Weiterbildungen statt, nicht nur in ML.

Da viele Bundesdeutsche die Welt nur aus ihrer eigenen Sicht betrachten, verstehen sie nicht, daß die sozialistischen Länder eine ganz andere Herangehensweise an den Vollzug einer Freiheitsstrafe hatten. Man übernahm die sowjetischen Erfahrungen (kollektive gesellschaftlich-nützliche Arbeit, kollektive Unterbringung wie beim Militär, politisch-kulturelle Erziehung, zielgerichtete Wiedereingliederung von Haftbeginn an usw.). Das war bis in die UNO bekannt, und die erzielten Ergebnisse waren es auch. Die Protokolle der Antifolterkommission der UNO und die alle vier Jahre stattfindenden Kongresse "Zur Kriminalitätsvorbeugung und -bekämpfung und der Behandlung von Strafrechtsverletzern" beweisen es. Über das Herangehen beim Vollzug von Freiheitsstrafen kann man unterschiedlicher Meinung sein. Der Strafvollzug der DDR, der Licht und Schatten hatte, wurde nicht durch das MfS bestimmt. Er war eine Zwangsmaßnahme des Staates und griff tief in das persönliche Leben jedes Gefangenen ein. Er war nicht unmenschlich, auch wenn keiner an seine Zeit im Strafvollzug mit Freude zurückdenken wird.

Generalmajor der VP a. D. Dieter Winderlich

Unser Autor war Stellvertreter des Ministers des Innern der DDR, auch verantwortlich für den Strafvollzug.


Aus dem Strafgesetzbuch der DDR

Die sozialistische Rechtsordnung der DDR enthält die allgemein verbindlichen Verhaltensregeln für das Zusammenleben der Menschen, deren Einhaltung im Interesse der Gesellschaft und jedes Bürgers liegt. Das sozialistische Recht der DDR verkörpert den Willen des Volkes, dient dem Schutz der Bürgerrechte und bestätigt die DDR als den wahren deutschen Rechtsstaat.
(Aus der Einleitung)

Die Freiheitsstrafe wird in staatlichen Strafvollzugseinrichtungen vollzogen. Die Strafgefangenen sollen durch eine vom Strafzweck bestimmte, nach ihrer Tat, Persönlichkeit und Strafdauer differenzierte Ordnung, kollektive gesellschaftlich nützliche Arbeit, kulturellerzieherische Einwirkung und Betätigung sowie durch berufliche und allgemeinbildende Förderungsmaßnahmen erzogen werden, künftig die sozialistische Gesetzlichkeit gewissenhaft zu achten und ihr Leben gesellschaftlich verantwortungsbewußt zu gestalten.
(§ 39.4 - Grundsätze und Anwendung der Freiheitsstrafe)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Strafvollzugsanstalt Schloß Hoheneck

Raute

Der Wert des Dollars ist seit 1971 um das Dreißigfache gefallen

Leitwährung oder Leidwährung?

Jean-Paul Sartre sah das 20. Jahrhundert als das Zeitalter des "organisierten Kapitalismus" - im Gegensatz zum chaotischen Kapitalismus der freien Konkurrenz in der Frühzeit der Industrialisierung. Was allerdings die Denker und Theoretiker der Linken unterschätzten, war das Ziel einer zahlenmäßig kleinen Finanzoligarchie, Märkte und Währungen unter ihre Kontrolle zu bringen.

Erstens wurden nationale Wirtschaftsinteressen im Namen der "globalen" Marktfreiheit eingeschränkt. Zweitens mußte eine Symbiose zwischen Kapital und politischen Machtstrukturen geschaffen werden, gleich ob Parlamente oder Urwald-Kaziken, die auf Öl- oder Goldvorkommen saßen. Drittens ging es darum, die Konkurrenz des selbständigen, freien Unternehmertums zugunsten von Marktmonopolen auszuschalten. Im Vordergrund stand jedoch die Kontrolle der Leitwährung, des US-Dollars, im Interesse des Finanzkapitals.

Im Namen der "Marktfreiheit" übt die Finanzoligarchie eine totalitäre Kontrolle über Wirtschaftsvorgänge wie Handel, Investition und Tauschkurse aus. Es herrscht de facto eine Diktatur des Kapitals. Doch bedeutet Marktfreiheit nicht schärfere Konkurrenz, wie sie schon Adam Smith als Mittel zur Preissenkung empfahl? Das Ziel der Verfechter des freien Marktes sind garantierte Monopolpreise. Staatliche Regelungen der Finanzindustrie sind für die Wall Street der absolute Graus, denn im Chaos unkontrollierter Märkte lassen sich Profite leichter und oft sogar steuerfrei erzielen.

Wenn erwirtschaftete Profite in Privattaschen fließen, sind Unternehmen auf laufende Kredite - auf Pump - angewiesen. Die Zinsenlast wird dem Endverbraucher aufgehalst, den Lohnarbeitern und Steuerzahlern, deren Arbeitskraft wirkliche Werte schafft. Auch sie müssen aufs Kreditkarussell, weil ihr Einkommen für größere Anschaffungen nicht ausreicht.

Für das Finanzkapital sind Krisen durchaus profitabel, denn Preisverfall und Ausverkauf bieten günstige Investitionsmöglichkeiten. Ob Wachstum oder Niedergang - das Kapital gewinnt in jedem Falle! Der Öffentlichkeit wird weisgemacht, daß alles nur zu ihrem Besten geschieht, im Namen des freien Wirtschaftswachstums - selbst wenn mit "Wachstum" nur massive Renditen gemeint sind und der Staat seine Steuereinnahmen zur Rettung von Investmentbankern und Finanzmaklern einsetzt, die sich verspekuliert haben. "Die Kreditkrise kann nur überwunden werden, wenn das Finanzsystem wieder funktioniert", tönt es von jenseits des Atlantik - und alles zahlt, denn das Überleben des Kapitalismus steht ja auf dem Spiel. Die Unsummen an Steuergeldern, die Washington seit Oktober 2008 zur Sanierung der "Casinokapitalisten" der Wall Street, die sich übernommen hatten, verausgabte, lassen nichts für soziale Wohlfahrtsprojekte übrig, es sei denn, daß die Lohnsteuern in den USA erhöht würden - entgegen Präsident Obamas Wahlversprechen.

Dessen Reformpläne drohen zu scheitern. Seine Finanzberater weisen auf schrumpfende Steuereinnahmen und wachsende Kosten der fortlaufenden Stabilisierung des Finanzwesens (oder der Fütterung der Pleitegeier) hin, die im Finanzjahr 2009 um 24 % steigen sollten, von den horrenden Kriegskosten (Irak und Afghanistan) einmal ganz zu schweigen. Das Defizit für 2010 soll 11,2 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Eine Allgemeine Krankenversicherung, wie sie Obama vorschwebt, wäre daher nur bei bedeutender Steuererhöhung möglich. Gier nach Geld und Macht zersetzt die Moral einer Gesellschaft. Konsum auf Pump ist heute das Leitmotiv, anstelle von Werten wie ehrliche Arbeitsleistung und Sparsamkeit, die als hinterweltlerisch verpönt sind. Die Vereinigten Staaten sanken von der führenden Industrienation früherer Tage zu einem verschwenderischen Verbraucher von Gütern ab, die durch andere Nationen geschaffen werden.

Schon 2001 stand die USA-Auslandsverschuldung bei 3,5 Billionen Dollar, etwa 35 % der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im September 2003 entfielen 70 % des amerikanischen Bruttosozialprodukts auf den Konsum. Verbrauch wird als Produkt gebucht, denn Handel wirft Profite ab. Wie groß aber wäre das wirkliche Bruttosozialprodukt der USA, gemessen an der Warenproduktion, d. h. der Schaffung neuer Werte?

Im Jahr 2004 erwirtschaftete die amerikanische Industrie nur etwa 10 % an Renditen im Vergleich zu 44 % des Finanzsektors, der am unproduktiven Geldumsatz verdient. Raymond Dalio von "Bridgewater Associates" kommentierte: "Die Einnahmen aus der Warenproduktion sind jämmerlich im Vergleich zu den Profiten, die durch Geldmanipulationen zu machen sind."

Trotz statistischer Manipulationen wuchs das Bruttosozialprodukt der USA zwischen 1999 und 2006 nur von 9,3 Billionen auf 13,2 Billionen Dollar. Um die ermattende Wirtschaft anzukurbeln, erhöhte die Federal Reserve (Fed) in den fünf Jahren zwischen 1997 und 2002 die weltweiten Dollar-Reserven um 32 % auf 14 Billionen.

Aggressive und einflußreiche Investmentbanker und Makler verlangten nach immer neuen Kreditspritzen des US-Zentralbanksystems, der Fed. Warum auch Eigenkapital riskieren, wenn die Geldpolitik billigste Anleihen für spekulative Geschäftemacherei bereitstellt!

Schon seit den 70er Jahren, zwischen 1972 und 1994, hatte die zügellose Geldpolitik der Fed die Öl- und Rohstoffpreise (in US-Dollars) um 188 % in die Höhe getrieben. Dasselbe wiederholte sich jetzt, 30 Jahre später: Die sinkende Kaufkraft des Dollars trieb den Weltmarktpreis für Reis (Thai 100 % B-Grad) von 196,89 Dollar pro Tonne im Jahr 2002 auf 334,45 Dollar (2007) in die Höhe. Ein Jahr später stieg er sogar auf 696,54 Dollar, mehr als das Doppelte. Verlierer sind die Ärmsten Asiens, deren Hauptnahrung Reis ist.

Wenn man Gold - das Geldmetall, welches Karl Marx "universelles Äquivalent" nannte -, als Maß der Dollarinflation annimmt, dann bedeutet eine Preissteigerung von 35 Dollar pro Feinunze (dem Preis, der von 1935 bis 1971 galt) auf 1050 Dollar im Jahr 2009, daß die gleiche Goldmenge, in US-Währung gerechnet, inzwischen 30mal mehr kostet. Es ist das wirkliche Ausmaß der heutigen Dollar-Inflation.

Obamas Wirtschaftsberater Lawrence Summers und Finanzminister Timothy Geithner beteuern laufend, das Wohl und Wehe der amerikanischen Wirtschaft hänge von der Entlastung des Finanzsektors ab. Doch bis jetzt haben sie noch kein konstruktives Konzept zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit, zur Krisenkontrolle, geliefert. Im September 2009 stand die offiziell zugegebene Arbeitslosigkeit in den USA bei 9,8 %. Insgesamt sind etwa 16 Millionen Menschen betroffen.

Allein in Pittsburgh, wo sich im letzten September die G20 trafen, sind 93.250 Einwohner arbeitslos.

Über der Autoindustrie kreist der Pleitegeier. Detroit ist eine Spukstadt aus leerstehenden Wohnhäusern und Werkhallen. General Motors gab im März 2009 einen Jahresverlust von 47 % bekannt, gefolgt von Toyota mit 46 %.

Da hat Opel nicht viel zu hoffen und kann ohne Regierungshilfe nicht überleben - ein Exempel der wahnwitzigen Superinvestition und Überproduktion in der Automobilbranche. Aber wie zutreffend auch die Theorie sein mag, so löst sie nicht das Problem: Wohin mit den Hunderttausenden qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland, England, Spanien, Japan, die in der boomenden Autoindustrie jahrelang ihr Einkommen fanden?

Dollarkredite stimulierten die globale Wirtschaftsexpansion der Finanzoligarchie und schufen Exportmärkte für die Industrieländer. Zugleich wurden die Entwicklungsländer unter Beihilfe korrupter Regierungen nach Strich und Faden ausgebeutet.

Die asiatische Währungskrise von 1997/98 wurde durch Spekulanten wie George Soros verursacht, die Währungen wie Aktienmärkte Thailands, Malaysias, Indonesiens, der Philippinen und Südkoreas zum Einsturz brachten. Katastrophale Bankrotte und Massenarbeitslosigkeit waren die Folge. Der Internationale Währungsfonds (IWF), damals von Horst Köhler geleitet, machte den freien Marktzugang für das Auslandskapital zur Bedingung jeglicher Überbrückungsanleihen. Man fügte die Anerkennung westlicher "Menschenrechtsprinzipien" hinzu. Malaysias Premierminister Dr. Mahathir Mohammad sagte dazu am 9. Februar 1998: "... Hilfe wird jetzt von der Einführung von Menschenrechten abhängig gemacht. Wie sehen denn die Menschenrechte von Millionen aus, die ihre Arbeit verloren haben und jetzt ruiniert sind? Die Entwertung ihres Geldes hat ihre Ersparnisse vernichtet. Es waren nicht die Regierungen ihrer Länder, die das taten. Es sind die 'Marktkräfte', die von gewissen Regierungen entfesselt wurden. Sind diese nicht ebenfalls der Verletzung von Menschenrechten schuldig?

Wir sehen so viel Selbstgerechtigkeit und Heuchelei, daß wir das Vertrauen in die Prediger von Menschenrechten verloren haben. In Wirklichkeit ist das Prinzip 'Macht hat recht' weiterhin gültig."

Das Zusammenspiel des IWF mit den Interessen des Finanzkapitals - den "Heuschrecken" - ermöglichte es den Parasiten, wertvolle Produktionsanlagen in den asiatischen Entwicklungsländern zu einem Spottpreis aufzukaufen, zu zerstückeln und zu verscheuern. Ihr Ziel war nicht langfristige Investition, sondern schneller Umsatz und Maximalprofit. Nach uns die Sintflut!

Heute zielen die Finanzstrategen vor allem auf Kontinuität: Die Kontrolle über die Geldpolitik, über politische und wirtschaftliche Strukturen muß erhalten bleiben. Wichtig ist daher, Vertrauen in den Kapitalismus zu propagieren, den Sozialismus als Schreckgespenst zu verunglimpfen und die praktisch wertlosen grünen Papierfetzen weiter im Umlauf zu halten, vor allem in den hochverschuldeten früheren RGW-Staaten: Mitgegangen, mitgefangen. Rette sich, wer kann!

Dr. Vera Butler,
Melbourne

Ende RF-Extra

Raute

Obamas "Change" ist ein Wechsel auf die Vergangenheit

Viel Geschwätz und wenig Wolle

Seit einem Jahr ist Barack Obama nun Präsident der Vereinigten Staaten. Große Erwartungen wurden international an seinen Amtsantritt geknüpft. Als "Heilsbringer" oder "Hoffnungsträger" betrachteten ihn viele. Er ist jung, dynamisch, intelligent, redegewandt und sieht blendend aus. Gegenüber seinem verruchten Vorgänger schlug er zunächst neue Töne an. Seine Rhetorik wirkt verblüffend - verglichen mit dem dümmlichen Gestammel eines George W. Bush. Obama artikulierte sogar die Vision einer atomwaffenfreien Welt. Anfangs äußerte er die Absicht einer Beendigung der durch das Pentagon angezettelten Kriege. Dann - groteskerweise bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an das Staatsoberhaupt einer in Aggressionen verstrickten Weltmacht - ließ er die Katze aus dem Sack: "Ich bin nicht hergekommen, um hier eine Lösung des Krieges anzubieten", erklärte der USA-Präsident in Oslo.

Der erste Schwarze im Weißen Haus hatte zuvor die "Lösung der Afghanistanfrage", also einen Erfolg im längst verlorenen Krieg, zur "Schlüsselfrage der nationalen Sicherheit" gemacht. Er forderte, den Krieg "richtig auszustatten", was sich als massive Truppenaufstockung erwies. Über 100.000 GIs sollen eine "neue Afghanistan-Strategie" durchsetzen. Unter Kriegsverbrecher Bush waren dort "nur" 32.000 US-Soldaten im Einsatz. Mit der neuerlichen Truppenverstärkung um zunächst 30.000 Mann dürfte das Kampfgeschehen im neunten Kriegsjahr eine dramatische Verschärfung erfahren. Zerstörung, Tod und Haß werden eskalieren.

Die US-Intervention wurde unterdessen auf Pakistan ausgedehnt. Die Zahl der Angriffe unbemannter, aber schwer bestückter "Drohnen" soll deutlich erhöht werden. So will es der Friedensnobelpreisträger. Auch die CIA-Aktivitäten werden ausgeweitet. Obama hat den höchsten Militärhaushalt der USA-Geschichte unterschrieben. 680 Milliarden Dollar stehen 2010 nicht nur für die gegenwärtige Kriegführung, sondern auch für die Entwicklung neuartiger bunkerbrechender Atomwaffen bereit. Trotz vollmundiger Versprechungen des Gegenteils wird im "Nuclear Posture Review" der Einsatz von Kernwaffen durch Washington auch weiterhin geplant.

Unter der von 156 Staaten ratifizierten Konvention zum Verbot von Landminen fehlt weiterhin die Signatur der USA.

Die Pläne für einen sogenannten Raketenschirm in Mitteleuropa sind trotz wortreicher Täuschungsmanöver keinesfalls vom Tisch. Eine ständige militärische Präsenz in allen Regionen der Welt, vor allem mit Hilfe seegestützter Systeme im Mittelmeer und in nordeuropäischen Gewässern, ist "angedacht". Im Falle der Umsetzung solcher Pläne wäre die Destabilisierung der Lage in den betroffenen Regionen eine überschaubare Folge.

Die gegen Rußland gerichtete Einkreisungspolitik im Zuge der NATO-Osterweiterung soll fortgesetzt werden. Es geht Washington vor allem darum, die Ukraine und Georgien in den Kriegspakt einzubinden. Obamas Vizepräsident Biden betonte anläßlich eines Besuchs beider Länder, die Obama-Administration stünde "immer an der Seite" Georgiens, das einen vom Hasardeur Saakaschwili angezettelten Krieg gegen Rußland begonnen hatte. Die Streitkräfte Tbilissis werden gegenwärtig mit modernen US-Waffen neu ausgerüstet.

Das seit Jahrzehnten von Washington über Kuba verhängte Embargo wurde um ein weiteres Jahr verlängert. Im April 2009 hatte Obamas Administration provokatorisch den sozialistischen Karibikstaat in die Liste jener Länder aufgenommen, welche angeblich den Terrorismus unterstützen.

In Bogotá wurde mit dem reaktionären Uribe-Regime ein Vertrag über die Nutzung von sieben Militärstützpunkten durch die US-Armee unterzeichnet. Fidel Castro verwies darauf, daß diese Abmachung "einer Annexion Kolumbiens durch die Vereinigten Staaten gleichkommt".

Der von CIA-Seilschaften in Honduras unterstützte Putsch gegen den rechtmäßigen Präsidenten Zelaya wurde durch Obama nicht verurteilt. Von den Staaten der OAS geforderte Schritte blieben aus.

Im Nahostkonflikt haben sich die hochgesteckten Ankündigungen, man werde eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung befördern, als heiße Luft erwiesen.

In den seit Jahren unternommenen Attacken gegen Teherans Nuklearpolitik - das zentralasiatische Land hat bekanntlich den Nichtweiterverbreitungsvertrag unterzeichnet - gab Obama unzweideutig zu verstehen: "Ich habe ganz klar gesagt, daß ich hinsichtlich Irans keine Option vom Tisch nehme."

Die massenhaften Menschenrechtsverletzungen während der Bush-Ära werden von der heutigen Administration nicht aufgearbeitet. Die Folterknechte bleiben ungestraft. Obama sprach in diesem Zusammenhang sogar von "Pflichterfüllung ... im guten Glauben an den Frontlinien einer gefährlichen Welt". Im übrigen fehle ihm die Zeit "zu einer Untersuchung der Politik der vergangenen acht Jahre".

In zwölf Monaten Präsidentschaft ist der durch den Friedensnobelpreisträger angekündigte Wechsel (Change) ausgeblieben. Es handelt sich vielmehr um einen Wechsel auf die Vergangenheit. Auch neue Töne können das Festhalten an den alten Weltherrschaftszielen des USA-Imperialismus nicht überspielen. Obama hat, als er seine Administration berief, vom "Pragmatismus des Gebrauchs der Macht" gesprochen. Die USA müßten in der Rolle des "World Leaders" (Weltführers) bleiben. Mit dem Festhalten am ehemaligen CIA-Direktor und Kriegsminister Bushs, Gates, als Pentagon-Chef beließ Obama einen Spitzenvertreter des Militärisch-Industriellen Komplexes, überdies einen Republikaner, in seinem Kabinett.

In der Person von James Jones, einem ehemaligen Aufsichtsratsmitglied des viertgrößten US-Ölkonzerns, machte Obama einen Experten für weitere Ressourcenkriege zum Chefberater für Nationale Sicherheit.

Die "neue Strategie", von welcher der USA-Präsident und seine führenden Militärs ständig reden, soll angesichts zunehmender Überreizung der Möglichkeiten Washingtons dessen Führungsrolle durch höhere Beiträge der anderen NATO-Mitglieder gewährleisten. Das dürfte sich nicht nur auf die Kriegführung gegen Afghanistan beschränken, sondern auch die Ermächtigung einschließen, "präventiv zur Verhinderung von Konflikten", wie man Aggressionsakte zu umschreiben pflegt, weltweit einzugreifen. Dafür steht die NATO parat.

Es ist nicht damit zu rechnen, daß die schwarz-gelbe Regierungskoalition der BRD der überseeischen Führungsmacht ihre Gefolgschaft versagen wird.

Prof. Dr. Georg Grasnick

Raute

Verfassungskonformer Regierungswechsel oder "Kommunistenputsch"?

Februar 1948: Weichenstellung in Prag

Zu Jahresbeginn 1948 schienen die Bedingungen für eine Konterrevolution in der Tschechoslowakei am günstigsten zu sein: Hier gab es zwar einen Kommunisten als Ministerpräsidenten, und die KSC war stärkste Fraktion, doch der Staatspräsident und eine Reihe bürgerlicher Parteien verfügten über beachtlichen Einfluß in diesem Land mit einer in parlamentarischen Gepflogenheiten erfahrenen Bourgeoisie und einer besonders breiten kleinbürgerlichen Schicht. Zudem standen in der CSR seit dem Herbst 1945 keine sowjetischen Truppen mehr. Die Konterrevolution sollte den Charakter eines Staatstreichs tragen. Aktionen der Volksmassen wurden nicht einkalkuliert, sondern eher die des Anhangs bürgerlicher Parteien. Insgesamt rechnete man mit einem gewaltlosen Verlauf, so daß es zu keinem Konflikt zwischen Ost und West kommen würde.

Eine gelungene innere Konterrevolution während eines volksdemokratischen Revolutionsprozesses hätte weitgehende politische, wirtschaftliche und letztlich auch militärstrategische Bedeutung gehabt: Die CSR war das am höchsten entwickelte kapitalistische Land Osteuropas. Es besaß eine gewisse Vorbildwirkung für westeuropäische Staaten mit starken kommunistischen Parteien, vor allem aber für die sich herausbildenden osteuropäischen Volksdemokratien. Der Sieg der Konterrevolution in der CSR hätte als Beweis für die Unmöglichkeit einer sozialistischen Umwälzung in einem ökonomisch und sozial fortgeschrittenen Land gedient, Pessimismus und theoretische Auseinandersetzungen mit ungewissem Ausgang in der Arbeiterbewegung ausgelöst. Auch dadurch wäre leicht zu vermitteln gewesen, daß eine Revolution nur bei Anwesenheit sowjetischer Truppen möglich gewesen wäre. Der Verlust der tschechoslowakischen Volksdemokratie hätte das spätere sozialistische Osteuropa erheblich geschwächt, militärstrategisch und geographisch gespalten sowie die ein Jahr später gegründete NATO bis an die sowjetische Grenze herangeführt.

Das Ziel der tschechoslowakischen Bourgeoisie bestand darin, die von den Linken mit Mühe durchgesetzten volksdemokratischen Veränderungen abzufangen. Hierzu sollte auf legalem Wege die von Kommunisten geführte Regierung durch Demission ihrer bürgerlichen Minister zum Rücktritt veranlaßt werden. Da die KSC zwar stärkste Regierungspartei, jedoch auf die Unterstützung der bürgerlichen Parteien angewiesen war, um eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen, verhieß das durchaus Aussicht auf Erfolg. Der mit den Rechten im Bunde stehende Staatspräsident Edvard Benes hätte dann eine Beamtenregierung ohne Beteiligung der Kommunisten ernennen oder sie zu Zugeständnissen zwingen können. Unter einer derartigen Konstellation hätte man das Kräfteverhältnis bis zu Neuwahlen zu verändern vermocht. Damit wäre die volksdemokratische Entwicklung in der CSR möglicherweise beendet gewesen.

Als am 20. Februar 1948 zwölf bürgerliche Kabinettsmitglieder wegen Unstimmigkeiten mit dem kommunistischen Innenminister aus der Regierung austraten, brach eine Regierungskrise aus. Durch die politische Meisterschaft der Kommunisten konnte diese jedoch in eine völlige Machtübernahme durch die Linken umgewandelt werden. Die KSC war hierauf vorbereitet und hielt überraschende Lösungen bereit. Zunächst einmal trat die Regierung unter dem KSC-Vorsitzenden Klement Gottwald nicht zurück, denn sie war mit 54 % ihres Bestandes laut Verfassung noch immer handlungsfähig.

Da alle Parteien - auch die der zurückgetretenen Minister - dem 1945 in Kosice gemeinsam beschlossenen Programm verpflichtet waren und der Nationalen Front angehörten, so daß es formell keine Oppositionsparteien gab, wurden die demissionierten Minister jetzt von der Regierung als außerhalb der Nationalen Front stehend erklärt. Damit betrachtete man sie offiziell als Gegner der seit der Befreiung vom deutschen Faschismus herrschenden Verhältnisse. Gegen sie und ihre Zeitungsredaktionen wurden im Interesse der Sicherheit des Staates liegende Maßnahmen ergriffen.

Nun waren es die bürgerlichen Parteien, die unerwarteterweise in der Krise steckten, denn ein Ausscheren aus dem nationalen Konsens hätte ernste Folgen für sie gehabt. Zugleich machte Gottwald dem Staatspräsidenten klar, daß er den Rücktritt der Minister annehmen müsse. Der KSC-Führer wollte nur diejenigen Politiker in sein Kabinett aufnehmen, welche sich an das Programm der Nationalen Front hielten und ihren programmfeindlichen Parteiführungen widersprachen. Damit hatte Gottwald unter Ausnutzung von Formen des bürgerlichen Parlamentarismus Zwist in jene Parteien getragen, in denen man nun um Positionen fürchtete. Machtgerangel begannen. Neben Karrieristen kamen nun vor allem die Linken der betroffenen Parteien zum Zuge. Sie verlangten die Rückkehr zur abgesprochenen Politik.

Mit diesen Maßnahmen allein hätte die Linke zwar ihre Position wahren, jedoch kaum einen grundsätzlichen Wandel zu ihren Gunsten erreichen können. Daher mobilisierten die Kommunisten am 21. Februar die Volksmassen. Überall fanden machtvolle Demonstrationen statt, wurden die Anhänger der reaktionären Staatsstreichspolitik aus den Ämtern gedrängt. Betriebsräte sicherten Fabriken vor Anschlägen, GewerKSChaften und Bauernvertretungen bekannten sich zur Regierung und forderten von Benes weitergehende soziale und politische Veränderungen. Die Rechten gaben jedoch nicht auf und organisierten am 23. Februar vor dem Sitz des Staatspräsidenten eine Kundgebung von Studenten und Angehörigen rechter Jugendorganisationen.

Daraufhin stellte sich die Armeeführung hinter die Regierung. Zugleich entstanden in Prag aus Arbeitern bewaffnete Volksmilizen, deren Stärke schnell auf 18.000 Mann anwuchs. Ihr späterer Aufmarsch, der von der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse kündete, wird bis heute von den Rechten als Putsch gewertet. Die Entscheidung erzwangen hingegen die gewaltigen Aktionen der Linken wie ein eintägiger Generalstreik und die Massendemonstration am 25. Februar auf dem Prager Wenzelsplatz. Hier forderten über 250.000 Menschen die Annahme der Rücktritts der rechten Minister und die Bildung einer neuen Regierung unter Führung der Kommunisten mit Vertretern der fortschrittlichen Flügel der bürgerlichen Parteien.

Benes konnte das nun eindeutig veränderte Kräfteverhältnis nicht mehr ignorieren und ging am gleichen Tag auf alle Forderungen der Kommunisten ein. Allein die Zusammensetzung der neuen Regierung war ein deutlicher Sieg. Hatten die Kommunisten vorher 35 % der Ressorts, dann besetzten die jetzt die Hälfte. Von den anderen Parteien wurden nur Politiker mit linker Orientierung in das Kabinett aufgenommen. Nun war der Weg für über 40 Jahre sozialistischer Entwicklung frei, obwohl sie keineswegs konfliktlos verlief. Alles vollzog sich ohne Gewalt und verfassungskonform. Auch daher war der Februarsieg der revolutionären Kräfte die schwerste Niederlage für die tschechoslowakische Bourgeoisie und eine enorme Schlappe ihrer Stützen im westlichen Ausland.

Dr. Bernhard Majorow

Raute

Wie die "tatsächliche Regierung" der USA den Präsidenten von Honduras stürzen ließ

Störenfried Zelaya

Die honduranische Krise wurde schließlich von der "falschen Seite" gelöst: Es erfolgte die Konsolidierung des Putschregimes und die Institutionalisierung der illegitimen Wahlen, die am 29. November stattfanden und bei denen der Latifundist und Rechtspolitiker Porfirio Lobo zum Präsidenten "gekürt" wurde, womit die "Normalisierung des demokratischen Lebens" und die "Beendigung des Interims-Regimes" von Micheletti erreicht wurden. Lobo ist der Führer der erzreaktionären Nationalpartei. Er kam auf 55,9 % der abgegebenen Stimmen, wobei die Wahlenthaltung in einigen Gebieten bis zu 65 % betrug. Die antiimperialistische Opposition hatte zum Boykott aufgerufen.

Washington verschleierte von Beginn an den Staatsstreich der honduranischen Oligarchie, um die groben Menschenrechtsverletzungen und die Beschneidung der demokratischen Freiheiten unter den Teppich zu kehren. Der Ausgang der Ereignisse wurde von verschiedenen Abgeordneten der Republikaner-Fraktion im USA-Kongreß gewissermaßen vorweggenommen, die als eine ihrer Bedingungen zur Bestätigung von Arturo Valenzuela als Mann des U.S. State Department für Interamerikanische Angelegenheiten die volle Anerkennung jener Wahlen stellte, welche auf Grund ihrer unheilbaren "Anomalien" für ungültig hätten erklärt werden müssen.

Wie Pagina/12 berichtete, zog der republikanische Senator des USA-Bundesstaates Süd-Carolina, Jim DeMint, sein Veto gegen die Kandidatur von Valenzuela zurück, weil ihm - wie er Medienberichten zufolge mitteilte - Außenministerin Hillary Clinton garantiert hätte, "daß die USA das Ergebnis der honduranischen Wahlen anerkennen werden, unabhängig davon, ob Manuel Zelaya wieder in sein Amt als Präsident eingesetzt wird oder nicht".

Dieser "Ausgang" der Krise besitzt eine Bedeutung, die weit über Honduras hinausgeht: Sie markiert den Beginn einer neuen Etappe, in der die Vereinigten Staaten ihre traditionelle Unterstützung für Militärputsche und den imperialistischen Interessen dienende autoritäre Regimes wieder aufnehmen. Von jetzt ab wird aus USA-Sicht wieder jenes Regime demokratisch sein, welches sich bedingungslos den nordamerikanischen Absichten unterwirft. Als autoritär, populistisch oder despotisch aber gelten fortan Politiker und Staaten, die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung verteidigen. Kolumbiens Uribe und Mexikos Calderón sind in diesem Sinne Demokraten. Dabei spielt es keine Rolle, daß der eine ständig die Menschenrechte verletzt und enge Beziehungen mit Drogenhändlern unterhält, während der andere von heute auf morgen 46.000 Arbeiter der Elektrizitätsgesellschaft Luz y Fuerza del Centro entläßt und eine forcierte Militarisierung des politischen Lebens in seinem Lande fordert. Venezuelas Chávez, Ekuadors Correa und Boliviens Morales stellen im Gegensatz dazu eine "Gefahr" für ihre Nachbarn dar, da sie soziale Reformen vorantreiben und so den Samen für Zwietracht in der Region legen. Hier taucht einmal mehr die konservative Theorie auf, den Klassenkampf nicht als eine Folge der dem Kapitalismus innewohnenden sozialen Widersprüche zu begreifen, sondern als Werk eines perversen Agenten, der - mit riesiger Macht ausgestattet - den Virus des Hasses und des Konflikts verbreitet, um eine vor seinem unheilvollen Auftauchen harmonisch gewesene Gesellschaft zu zerstören.

Der globale Machtverfall der USA bedeutet nicht notwendigerweise eine gleichwertige Verringerung der Kontrollkapazität in ihrer traditionellen "Einflußsphäre". Zweifellos ist die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten über ihre Nachbarn südlich des Río Bravo geschwächt; aber sie ist weit davon entfernt, verschwunden zu sein.

Obamas Initiativen in bezug auf Honduras waren durch Schwankungen gekennzeichnet - ein Ausdruck der beiden sich um die Formulierung der USA-Außenpolitik streitenden Linien. Eine, reaktionär bis ins Mark und absolut von den strategischen Erwägungen des Militärisch-Industriellen Komplexes ausgehend, findet in Hillary Clinton ihre herausragendste Sprecherin; die andere, viel diffuser und versprengter, unterhielte gerne etwas respektvollere Beziehungen mit den Staaten der Region, obgleich dies nicht die Abkehr vom Vorherrschaftsdünkel der Vergangenheit bedeutet, sondern nur eine gewisse Anpassung an neue Gegebenheiten. Diese Linie hatte zunächst ihren wichtigsten Verfechter in Obama selbst. Dabei sah sich der Präsident jedoch eindeutig von seinen Rivalen ausgehebelt.

Klar ist, daß Obama eine kaum marginale Kontrolle über den USA-Staatsapparat besitzt. Anders ausgedrückt: Es muß einmal mehr unterschieden werden zwischen der tatsächlichen Regierung der Vereinigten Staaten und ihrer angeblichen Regierung, die sich in Gestalt des Präsidenten symbolisiert. Das Problem besteht darin, daß die Aushöhlung der US-Demokratie im letzten halben Jahrhundert eine starke Einschränkung des Spielraums des Präsidenten bewirkt hat. Gore Vidal stellte fest, daß eine unheilvolle Verflechtung aus führenden Monopolen und deren Lobby, den Streitkräften, professionellen Politikern und großen Medien die nordamerikanische Gesellschaft dazu drängt, eine der tatsächlichen Regierung entsprechende Politik zu machen.

Hätte Obama Entschlossenheit bei der sofortigen Wiedereinsetzung Zelayas als Präsident von Honduras gezeigt, wäre die Geschichte vermutlich anders gelaufen. Er hatte Mittel an der Hand, um es zu tun: Er hätte die vorübergehende Blockierung der Geldüberweisungen von in den USA lebenden honduranischen Immigranten dekretieren oder in der mittelamerikanischen Republik niedergelassene USA-Unternehmen anweisen können, Pläne für ihren eventuellen Rückzug vorzubereiten. Er hätte auch die in US-Banken aufbewahrten Fonds der Politiker des Regimes und der Oligarchie einzufrieren oder ihr protziges Eigentum in Florida zu beschlagnahmen vermocht. Das alles sind bekannte Gesten. Sie wurden fast ausnahmslos von George W. Bush angewendet, um den sicheren Sieg Shafik Handals, des Kandidaten der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí bei den Wahlen 2004 in El Salvador, zu verhindern. Warum wurde ähnliches nicht auch bei dieser Gelegenheit versucht? Die Antwort liegt auf der Hand: weil die Politik der tatsächlichen Regierung der USA für Honduras etwas anderes vorsah und weil sich der Bewohner des Weißen Hauses dieser Entscheidung zu beugen hatte.

Atilio Borón

Übersetzung: Isolda Bohler

Raute

Über Schweine, die von Grippe leben

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Wie die VR China der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise begegnet

Beijing navigiert in stürmischen Gewässern

Die kapitalistische Weltfinanzkrise beeinflußt die chinesische Wirtschaft ohne Zweifel in erheblichem Maße. Seit dem 3. Quartal 2008 sank der Import aus dem westlichen Ausland. Auch die Exporte der VR gingen infolge schwächerer Nachfrage spürbar zurück. Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) sollte im Jahr 2007 um 11 % zunehmen, die reale Wachstumsrate aber betrug sogar 13 %. Für 2008 waren 10 % vorgesehen, doch im 4. Quartal zeigte die Kurve plötzlich nach unten, blieb dann aber noch bei 6,8 % stehen. Diese negative Tendenz setzte sich im 1. Quartal 2009 mit 6,1 % fort.

Die chinesische Regierung ergriff sofort entschiedene Maßnahmen zur Stärkung der eigenen Währung. In Anbetracht der zum Teil in den Vereinigten Staaten angelegten enormen Valutareserven Beijings trug sie - im eigenen Interesse - zur Stabilisierung der Weltfinanzen und damit auch des USA-Bankensystems bei. Zugleich wurden energische Schritte zur Anhebung des Lebensstandards der weit unter dem Niveau der Städte lebenden ländlichen Bevölkerung - der Masse der Chinesen - unternommen.

Doch die Auswirkungen der kapitalistischen Krise machten auch um die VR keinen Bogen. Ende 2008/Anfang 2009 mußten etliche Betriebe ihre Produktion drosseln, einige sogar einstellen. 20 Millionen Beschäftigte waren gezwungen, in ihre Dörfer zurückzukehren.

In dieser Situation vollzog China einen qualitativen Umbau der ökonomischen und sozialen Struktur des Landes. Vor allem war der Agrarsektor betroffen. Im Zuge der Rentabilitätssteigerung geht es u. a. um die Vergrößerung der bäuerlichen Betriebe, die durchschnittlich 1 ha Boden bearbeiten. Die Versorgung von Produktionsgenossenschaften und erweiterten Individualbetrieben mit Landmaschinen und Tierzuchttechnik soll stärker angekurbelt werden, wobei Großgrundbesitz nicht zugelassen wird.

Maßnahmen der Regierung gelten besonders auch dem Sozialversicherungs- und Gesundheitswesen. Der gewachsenen Nachfrage bei Haushaltsgeräten und -maschinen soll besser entsprochen werden.

Im Ergebnis all dieser Strukturveränderungen konnte ein volkswirtschaftlicher Umschwung eingeleitet werden. Die ungünstigen Auswirkungen der Krise auf China wurden zum Teil abgefangen. Im 2. Quartal 2009 stieg das BIP der Volksrepublik wieder auf 7,9 %, im 3. Quartal auf 9 %, und für das letzte Quartal wurde ein Zuwachs von mindestens 10 % prognostiziert. Auf das gesamte Jahr gerechnet ist von reichlich 8 % Wachstum auszugehen. Das ist das Drei- bis Vierfache des von den hochentwickelten kapitalistischen Staaten USA und BRD Vermeldeten.

In den letzten Jahren ist die VR China zur dritten Weltwirtschaftsmacht aufgestiegen. Gemeinsam mit Indien und Brasilien gehört sie zu den sich ökonomisch am schnellsten entwickelnden Staaten. Die frühere "Weltregierung" der G7 gehört inzwischen der Vergangenheit an und mußte in die G20 umgewandelt werden. Barack Obama wurde von den tonangebenden Kreisen des USA-Imperialismus als Hauptaufgabe gestellt, die Hegemonie der Vereinigten Staaten in einer unipolaren Welt zu bewahren. Das dürfte sich unter diesen Bedingungen als nicht erfüllbar erweisen.

Doch wo es Licht gibt, da ist auch Schatten. In der VR China bestehen sich verschärfende soziale Widersprüche. Während die Staatsmacht fest in Händen der den sozialistischen Weg gehenden Kräfte liegt, findet im Land ein heftiger Klassenkampf statt. Der kapitalistische Sektor hat zum wirtschaftlichen Aufstieg beigetragen. Staat und Recht der VR China sorgen dafür, daß die seine Bedingungen regelnden Gesetze strikt eingehalten werden. Doch man darf sich nicht täuschen. Die neue Bourgeoisie unterhält zahlreiche Kontakte zu ihren "Klassengenossen" in den kapitalistischen Ländern und verfolgt durchaus eigene Interessen. So mancher träumt davon, ökonomische Macht eines Tages auch in politische zu verwandeln.

Die KP Chinas verfügt über hinreichende Erfahrungen im Umgang mit der Konterrevolution. Im Juni 1989 wurde ein entsprechender Vorstoß auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing militärisch niedergeschlagen. Die Partei kann sich auf die Masse der arbeitenden Bevölkerung stützen. Doch eine in komplizierten Zeiten wachsende Unzufriedenheit - vor allem unter den 20 Millionen Arbeitslosen - darf nicht übersehen werden. Jedes Jahr verlassen über 6 Millionen Absolventen die Universitäten und Hochschulen. Nicht alle können eine ihren Wünschen entsprechende Tätigkeit aufnehmen. Über all diese in den letzten Jahren angestauten Probleme wurde auf dem Plenum des ZK der KP Chinas im September 2009 mit großer Offenheit diskutiert.

Zu beachten ist, daß sich ein bedeutender Teil des Nationalvermögens unterdessen in den Händen großer Firmen - nicht zuletzt mit Kapital aus Hongkong, Taiwan und Macao - befindet, deren finanzielles Hinterland viele Milliarden Dollar beträgt. Ausländische Unternehmen repräsentieren inzwischen nur noch etwa 10 % des Privatkapitals. Dieses besitzt Positionen in den modernen Industriezweigen.

Die Zahl der Dollarmilliardäre soll jetzt 130, die der Personen mit einem Vermögen von mehr als 1,5 Millionen Dollar etwa 825.000 betragen.

Natürlich bereitet diese Entwicklung der Führung der KP Chinas, die von marxistischen Positionen und eigenen Erfahrungen ausgeht, nicht wenig Kopfzerbrechen, zumal die Ideologie des Privateigentums gerade auch unter Jugendlichen um sich greift. Die Partei schätzt die Risiken und Gefahren nüchtern ein und führt unter den gegebenen Bedingungen einen entschiedenen Kampf für den Sozialismus. Strikte Gesetze regeln, daß die akkumulierten Mittel vor allem für den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung im Land verwendet werden. Hinzu kommt die weit gefächerte und wirksame politisch-ideologische Bildungsarbeit der KP. Besonders wichtig ist die Tatsache, daß sich die Massenmedien fest in der Hand der auf den sozialistischen Weg orientierten Kräfte befinden. Gegen Gesetzesbrecher wird mit aller notwendigen Strenge vorgegangen. Erst unlängst wurde der Chef eines riesigen Konzerns für Elektrogeräte, der vor wenigen Jahren Chinas erster Dollarmilliardär gewesen war, wegen krimineller Machenschaften in Beijing vor Gericht gestellt und zu einer langjährigen Freiheitsstrafe sowie zur Zahlung von 214 Millionen Dollar verurteilt. Korruption wird als eine Form des Klassenkampfes zur Demoralisierung von Vertretern der Partei und der Volksmacht betrachtet und streng geahndet.

Wie man sieht, weiß man in der VR China durchaus, auf wen die Verteidiger des hart Errungenen ihr Feuer zu richten haben.

Prof. Dr. Zbigniew Wiktor, Wroclaw,

Unser Autor ist zur Zeit Gastprofessor an der Universität Wuhan, Volksrepublik China

Raute

Spaniens "El País" vermittelt Falschbild von Rumänien

72 % trauern dem "Kommunismus" nach

Spaniens großbürgerliche Tageszeitung "El País" berichtete unlängst in einem Beitrag über die katastrophale Situation, die Rumänien wie die übrigen osteuropäischen Länder heute durchmacht. 20 Jahre nach dem vom Westen glorifizierten Fall der Berliner Mauer (und obwohl die zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten weiterbestehende Mauer immer höher wird) ist die Situation in Rumänien schlimmer als je zuvor. Während der Kapitalismus seinen großen Triumph als angeblich einziges und unersetzbares System feiert, verlieren die Rumänen massenhaft ihre Arbeit, bekommen keine Rente, leiden unter der Kälte und beginnen, eine gewisse Mangelversorgung zu spüren.

"El País" beschreibt die Situation in den Krankenhäusern und zitiert in diesem Zusammenhang den Leiter der Kardiologie von Giurgiu, Mihai Petre, der erklärt: "Niemals durchlitten wir eine Krise solcher Charakteristik. Wir müssen die Patienten in die Apotheken schicken, damit sie sich dort ihre Medikamente selbst kaufen." Aber liest man irgendeine Beschreibung der "Revolution" von 89, eine den Staatsstreich rechtfertigende Kritik am kommunistischen System, dann sieht man, daß die Situation damals nicht im geringsten so chaotisch wie heute war.

Die einzige von den rechtsliberalen rumänischen Politikern vorgeschlagene Lösung besteht in der erneuten Geldforderung an den Internationalen Währungsfonds, den Privatsektor zu unterstützen und den öffentlichen Bereich gleichzeitig auszudünnen. Anders ausgedrückt: die Unternehmen statt der Bürger zu begünstigen.

Wenn der Vizepräsident der regierenden Liberal-Demokratischen Partei, Theodor Stolojan, gegenüber "El País" betont, die Lösung bestehe darin, "wieder ausländische Investitionen anzulocken", dann möchte er eigentlich sagen, man müsse die Löhne der Arbeiter erneut senken, damit die westlichen Unternehmen es vorziehen, sich hier niederzulassen, nicht aber in ihren eigenen Ländern, in denen sie das Dreifache zu zahlen hätten. Es geht also darum, daß die Arbeiter der einen wie der anderen Seite verlieren und die Unternehmer den Reibach machen.

Dasselbe drückt auch der von "El País" zitierte frühere Finanzminister Ilie Serbanescu auf seine Weise aus: "Die Mehrheit der sich in Rumänien befindlichen Firmen gehört ausländischen Investoren, so daß wir, um wirtschaftlich wieder aufzusteigen, von ihnen abhängen." Mit keiner Silbe erwähnt der Mann die Möglichkeit der Förderung einer Politik, mit der die Rumänen ihre eigenen Betriebe schaffen könnten, um die Hörigkeit gegenüber dem Westen zu verringern.

Der zweite Abschnitt des "El País"-Artikels trägt die Überschrift: "Die kommunistische Vetternwirtschaft besteht fort." Dort werden so unglaubliche Lügen aufgetischt wie diese, in der "rumänischen Revolution" habe es 10.000 Tote gegeben. Tatsächlich waren es 1104 Tote und 3352 Verletzte. Die fast 9000 zusätzlichen Toten erfindet die Zeitung, damit "die Linie stimmt", wobei sie jeglichen Anstand vermissen läßt. Natürlich waren nicht alle Betroffenen Opfer der Securitate (Staatssicherheit), wie "El País" kühn behauptet.

Ein großer Teil wurde von der Armee getötet. "Ceausescu befahl, jeden, der sich bewegt, niederzuschießen", ist eine der vielen Unterstellungen des Blattes. Sie werden nicht hinterfragt, obwohl nicht wenige der beim Aufruhr 1989 ums Leben Gekommenen den Tod fanden, als Rumäniens damaliger Präsident und dessen Frau nach einem Scheinprozeß bereits hingerichtet worden waren. Man ließ Ceausescu keine Zeit. Er konnte weder öffentlich sprechen oder sich ordnungsgemäß verteidigen noch seine Memoiren schreiben, wie es Erich Honecker tat.

Selbstverständlich gibt "El País" einmal mehr die Schuld an allen Übeln des Kapitalismus dem vorangegangenen System. Die Zeitung unterstellt dem Sozialismus sogar mit einer das Delirium erreichenden Unverschämtheit, die "kommunistische Vetternwirtschaft" sei schuld an der heutigen Misere.

"Die in der kommunistischen Periode geschaffenen Netze sind weiter intakt", behauptet Adrian Cioflanca, Historiker und Mitglied einer rumänischen Präsidentenkommission "zum Studium des Kommunismus". Es ist anzunehmen, daß Leute dieses Schlages noch in 500 Jahren dasselbe sagen werden. Man schiebt die Schuld an den eigenen Mißständen "Gespenstern der Vergangenheit" zu. Tatsächlich gelang es weder den Massenmedien noch den jetzt tonangebenden Politikern in Bukarest, dem Volk die Vorstellung zu vermitteln, alles Negative im Land sei "die Schuld der Kommunisten". Werden die Straßen nicht asphaltiert, hat der Kommunismus die Schuld. Sind die Renten niedrig, liegt es an Ceausescu! So einfach ist das.

In parteiischer Borniertheit bringt "El País" in dem zitierten Artikel nur Aussagen von Antikommunisten. Ohne die Ergebnisse einer erst unlängst in der Tageszeitung "Jurnalul de Bucarest" veröffentlichten Umfrage zu berücksichtigen, der zufolge 72 % der Rumänen den "Zeiten des Kommunismus" nachtrauern. Auch kein anderer Kommentar und keine kapitalismuskritische Stimme wird angeführt, um die ständig größer werdende Sehnsucht nach dem Sozialismus in ganz Zentral- und Osteuropa begreiflich zu machen.

Das Blatt der spanischen Großbourgeoisie unterschlägt natürlich auch die Berichte junger Kommunisten, die den politischen Wechsel vor 20 Jahren selbst erlebten. Unter ihnen befand sich Virgil Zbaganu, der die KP nach dem Staatsstreich 1989 wieder aufzubauen versuchte und dann auf zweifelhafte Weise vom Zug überfahren wurde. Laut Zbaganu kam der Ruf: "Nieder mit dem Kommunismus!" nicht aus dem rumänischen Volk, sondern wurde von jenseits der Landesgrenzen gezielt hineingetragen.

Im Gegensatz dazu standen auf den ersten von Rumänen bei Demonstrationen gezeigten Transparenten Forderungen wie das Verlangen: "Die Fabriken in Arbeiterhand!" Keinesfalls wollten die einfachen Bürger das, was dann in diesen angeblich paradiesischen Jahren geschah, als sich plötzlich die Fabriken in den Händen nur weniger Kapitalisten zu konzentrieren begannen.

José Luis Forneo, Rebelión

Übersetzung: Isolda Bohler

Raute

Neu: Jahresregister 2009

Ein thematisch gegliedertes Verzeichnis aller im vergangenen Jahr im "RotFuchs" erschienenen Artikel kann gegen eine Spende beim Vertrieb angefordert werden (Tel. [030] 241 26 73).

Raute

"Internationaler Terrorismus" ist kein klassenindifferenter Begriff

Den Nebel durchdringen!

Der Begriff "Internationaler Terrorismus" findet in Öffentlichkeit und Politik bereits seit Jahrzehnten - mal mehr, mal weniger auffällig - Anwendung. Trotzdem gibt es bis heute keine weltweit verbindliche Definition. Die Folge davon ist, daß er beliebig gebraucht und mißbraucht werden kann. Die bürgerlichen Medien nutzten diesen Umstand in der Vergangenheit, um die UdSSR und deren Verbündete mit diesem Attribut zu belegen. Nach Selbstaufgabe der sozialistischen Gemeinschaft in Europa richtet dieselbe Propaganda, besonders die der USA, den Begriff nun gegen alle, die den Interessen des Kapitals im Wege standen, stehen oder stehen könnten. Es lohnt sich deshalb, zum eigenen Verständnis des Platzes im Klassenkampf der Gegenwart sein Werden knapp zu skizzieren.

Terrorismus mit internationalem Charakter war bereits ein Element zahlreicher imperialistischer Aggressionen: 1945/49 in China, 1947/49 in Griechenland, 1950/53 in Korea, 1953 in Iran und 1954 in Guatemala. Die Kette solcher Beispiele ließe sich beliebig verlängern und reicht bis in die Gegenwart. Sie belegen: Hauptakteur des internationalen Terrorismus nach 1945 waren und sind die Vereinigten Staaten von Amerika als Hauptmacht des Imperialismus.

Natürlich hatte niemand daran Interesse, seine eigenen Untaten in dieser Weise gebrandmarkt zu sehen. Doch auch Washington konnte nicht verhindern, daß das von ihm ausgehende Gewaltgeschehen und die damit verbundenen Verbrechen mehr und mehr in das Blickfeld einer alarmierten Weltöffentlichkeit gerieten und das nicht zuletzt dank der Wachsamkeit der sozialistischen Staaten.

Zur Charakterisierung des völkerrechtlich relevanten Ausmaßes terroristischer Aktionen, deren globaler Angriffsrichtung, Wirkung und Verantwortlichkeit erschien das Merkmal "international" durchaus angebracht. So war verständlich, daß dieser Begriff auch Eingang in die außenpolitische Praxis, die Publizistik und den Journalismus vieler Länder fand. Sein "Makel" bestand allerdings von Beginn an darin, daß damit das Entscheidende - der sozialpolitische Inhalt, die Klassengebundenheit seiner Ursachen und seine gesellschaftliche Funktion - völlig ausgespart blieb.

In Abhängigkeit vom jeweiligen Klassenstandpunkt verwendeten die Vertreter der sozialistischen Länder die zwei Worte lediglich dann, wenn sie grenzübergreifende Operationen charakterisieren wollten, während ihre Feinde alles unternahmen, den Begriff massiv in ihre antikommunistische Bedrohungs- und Terrorismuslüge gegen die Staaten des Sozialismus und andere antiimperialistische Bewegungen einzuspannen. Die imperialistischen Mächte pervertierten ihn zum ideologischen Kampfbegriff und versuchten, damit dauerhaft und weltweit aufzutrumpfen. Solche Bestrebungen gab es nicht erst seit George W. Bush und dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001. Bereits der Mord an dem christdemokratischen Politiker und Staatsmann Aldo Moro, der sich am 9. Mai 1978 in Italien zutrug, oder der Anschlag auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 ebenfalls in Rom waren mit einer umfassenden Kampagne verbunden. Es ging darum, sozialistische Staaten und deren Sicherheitsorgane als angebliche Drahtzieher in Verruf zu bringen.

Dennoch schlug die gegen die UdSSR und deren Verbündete gerichtete Kampagne fehl. Während sich der ideologische Kampfbegriff zunächst kaum durchsetzte, ließen sich auch die Vorstellungen der sozialistischen Staaten länderübergreifend wenig zur Geltung bringen. Sie blieben weitgehend dem Verständnis jedes einzelnen überlassen. Selbst in der UdSSR, der DDR und anderen Bruderländern sprach man bisweilen pauschal vom "internationalen Terrorismus" oder "Terrorismus" schlechthin, wohl wissend, daß "Ost" und "West" prinzipiell gegensätzliche Auffassungen in dieser Frage hatten.

Seine höchste Konjunktur erlebte der Begriff nach dem 11. September 2001. Nun wurde er benötigt, um den Weltherrschaftsanspruch des US-Imperialismus mit Hilfe eines scheinbar jedes Mittel rechtfertigenden "Antiterrorkampfes" durchzusetzen und dabei von den Verbrechen der CIA und des Pentagons abzulenken. In diesen Zusammenhang wurde, wie nicht anders zu erwarten war, auch die angebliche Komplizenschaft Kubas, Venezuelas und Boliviens "eingeordnet".

Doch auch der neuerliche Versuch, endlich unter antikommunistischen Vorzeichen die Deutungshoheit in dieser Frage zu erlangen, brachte nicht das ersehnte Ergebnis. Unter "internationalem Terrorismus" wird nach wie vor absolut Konträres verstanden: Der Staatsterrorismus imperialistischer Mächte, der Terrorismus fortschrittsfeindlicher Gruppierungen vom Schlage Al-Qaidas und schließlich - in der Absicht der Diffamierung oder einfach aus Unkenntnis - der gerechte bewaffnete Kampf von Befreiungsbewegungen. Dabei tut es der bürgerlichen Propaganda besonders weh, daß sie es trotz überwiegender Systemhoheit bis heute nicht vermocht hat, ihre alleinige Interpretation des hier behandelten Begriffs in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Die Lüge vom Antiterrorkampf, der ja in Wahrheit ganz überwiegend selbst internationaler Terrorismus ist, blieb in der Welt indes fast unwidersprochen.

Leider muß vermerkt werden, daß nach wie vor eine umfassende marxistisch-leninistische Theorie zum Terrorismus als Gesamterscheinung und damit auch die entsprechende Begriffsbestimmung fehlt. So ist unser offensives ideologisches Potential in diesem Falle eingeschränkt. Immerhin gab es dazu vor längerer Zeit im "RotFuchs" eine Diskussion mit der Absicht, Ansätze der Problematik zu klären.

Dr. Udo Stegemann

Raute

Schmerzhafte Wiederbegegnung mit Rußlands Hauptstadt (Teil 1)

Zehn Tage in Moskau

Als Mitglied einer Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats habe ich Moskau nach 15 Jahren wiedergesehen. Damals, bei meinem letzten Besuch, durchlebte Rußland, das sich gerade im Übergang zum Kapitalismus befand, chaotische Tage.

Über dem Großen Kremlpalast weht jetzt die neue Fahne der Russischen Föderation, in der aufgrund einer 2009 getroffenen Entscheidung der zweiköpfige Zarenadler der Romanows figuriert. Tief in mein Gedächtnis eingegraben haben sich die Bilder und Gefühle, die ich beim Durchqueren einer Stadt aufnahm und empfand, welche ich in der Agonie der Perestrojka und des Beginns der Regentschaft Jelzins erlebte. Was mir indes als Vergleichsmaßstab bleibt, ist die Erinnerung an Moskau, das ich mehr als ein Dutzend Mal besucht habe, als es noch die Hauptstadt der UdSSR war, eines untergegangenen Landes.

In der zeitgenössischen Geschichte gibt es kein Ereignis, das mit dem gesellschaftlichen Erdbeben vergleichbar wäre, welches durch das Verschwinden der Sowjetunion hervorgerufen wurde.

Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, kompliziert und unvollkommen, wurde durch einen erbitterten und lang anhaltenden Klassenkampf charakterisiert. Der Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus vollzog sich schnell, chaotisch und wild. Bei der Zerstörung der ökonomischen Strukturen des Sowjetstaates ging alles so rasch, absurd und gewalttätig vonstatten, daß die Vorstellungskraft kaum ausreicht, um den Prozeß gedanklich zu begleiten.

Das Moskau der Multimilliardäre und der Armen, die durch eine blutarme Mittelschicht voneinander getrennt sind, die allein dadurch überlebte, daß sie einer doppelten oder dreifachen Beschäftigung nachging, war durch eine unbeschreibliche Atmosphäre sozialer Barbarei gekennzeichnet, die nach dem Ende der UdSSR durch Jelzin angeheizt und beschirmt wurde.

Die Zerstörung des gesellschaftlichen Eigentums von Betrieben, die einer Bürokratie unterstanden, welche viele Prinzipien und Werte des Sozialismus längst über Bord geworfen hatte, konkretisierte sich durch kriminelle Mechanismen, deren Wirken die Anhäufung kolossaler Reichtümer in Rekordzeit gestattete.

Das System der "Gutscheine" wurde im Westen als eine demokratische Variante dargestellt, um die Gesamtheit der Werktätigen in kollektive Eigentümer ihrer Unternehmen zu verwandeln. In der Praxis funktionierte es aber als ein Instrumentarium zur Schaffung von Reichtum und Macht in den Händen einer herrschenden Klasse vom Zuschnitt der Mafia. Die dominierende Unordnung, das Fehlen jeglicher sozialer Sicherheit, das Verschwinden von Rechten und Garantien, die galoppierende Arbeitslosigkeit sowie der allgemeine Mangel trugen dazu bei, daß die Werktätigen in ganz kurzer Frist die erhaltenen "Anteile", die sie als Papiere ohne Wert betrachteten, für einen Spottpreis verkauften. Frühere Direktoren der Betriebe und hohe Staatsfunktionäre waren die hauptsächlichen Nutznießer dieses Prozesses der Irreführung von Arbeitern und Angestellten.

Der Verkauf ganzer Fabriken ins Ausland - oftmals für weniger als ein Zehntel ihres eigentlichen Wertes - begünstigte ebenfalls das Entstehen einer Generation von Millionären. Die 90er Jahre sind in die Geschichte Rußlands als das Jahrzehnt der Mafia, als eine Periode des gesellschaftlichen Chaos eingegangen, während derer die Kriminalität mafioser Gruppen ihren Höhepunkt erreichte. Diese kontrollierten die zentrale Macht und schufen dem ungezügelten Kapitalismus freie Bahn. Fast alles im Verband des wirtschaftlichen Lebens war ungesetzlich. Doch dieses Riesenmaß an Illegalität wurde als ein nahezu natürliches Phänomen hingenommen.

Der Aufstieg Putins zur Präsidentschaft markierte den Beginn einer Umwandlung des Systems. Der Nachfolger Jelzins begriff nämlich, daß es dringend notwendig war, der durch die Mafia abgesicherten Phase des wilden Kapitalismus ein Ende zu setzen und im Land einen Kapitalismus mit festen Regeln und einem Erscheinungsbild zu schaffen, das sich vom westlichen neoliberalen Modell inspirieren läßt. Die Fortsetzung einer antisozialen Politik in Rußland besitzt die Besonderheit, von den USA und den Regierungen der EU gebilligt und gefördert zu werden. Ab 2001 erlebte man die Legalisierung des vorausgegangenen Diebstahls. Die Korruption größten Ausmaßes hält an. Sie hat neue Formen angenommen.

Die Regierung Putins gewann Ansehen, woran es Jelzin gebrach. Moskau ist heute ein gespenstisches Monster, das ein Riesenmaß des im größten Land der Welt produzierten Reichtums an sich zieht und verdaut. Dort konzentrieren sich die Profite aus Erdgas, Öl, Diamanten und Gold in den Händen einer Klasse von Feinden des Volkes. Der junge russische Kapitalismus hat es verstanden, den mit dem Schweiß und dem Leid der Völker des an natürlichen Ressourcen reichsten Territoriums des Planeten erzeugten Mehrwert zu akkumulieren.

Moskau ist eine Stadt von schockierender Ungleichheit. Die arrogante Prosperität in den Vierteln der Neureichen, die sich wie eine Vitrine des 21. Jahrhunderts zur Schau stellen, ist das Privileg einer verschwindenden Minderheit. In der Riesenmetropole koexistieren Armut und Elend mit der abgeschlossenen Welt der Klasse von Multimilliardären mafiosen Ursprungs.

Fast alles, was vorher an öffentlichen Dienstleistungen kostenlos war oder nur einen symbolischen Preis hatte, muß jetzt bezahlt werden. Das alte Gesundheitssystem ist beseitigt worden. Nach dem Gesetz gilt Vorsorge wie Behandlung noch als unentgeltlich. Aber die Krankenhäuser respektieren das nicht. Außer Erster Hilfe muß für fast alles geblecht werden. Die Korruption erfaßt die Verwaltungsmitarbeiter, die Ärzte, die Schwestern und Pfleger, die Gesamtheit der Dienste. Medikamente sind sehr teuer.

Was Löhne und Gehälter betrifft, so sehen sich die Werktätigen in der Praxis den Unternehmern wehrlos ausgeliefert. Es gibt keinen nationalen Mindestlohn. Statt dessen haben die Machtorgane jeder Region ein Minimaleinkommen als "Überlebenshilfe" eingeführt. In der Mehrzahl der Städte liegt es unter 3000 Rubel (67 Euro). Diese Summe reicht nicht einmal zur Gewährleistung einer miserablen Kost.

Die Gewerkschaften sind unfähig, die Rechte der Arbeitenden zu verteidigen. Sie beschränken sich auf die Fassade einer Organisation, ohne ihre gesellschaftliche Funktion zu erfüllen. Kollektive und individuelle Entlassungen werden durch sie nicht verhindert. Die Unterschiede bei den Löhnen sind enorm, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor.

Ich fragte einen Freund, wie er mit so niedrigen Einkünften angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten zurechtkomme. "Die das können, haben noch einen anderen Job. Fast alle besitzen Eigentumswohnungen. Mein Bruder meistert z. B. seine Ernährungsprobleme durch den Anbau von Obst und Gemüse auf früherem Sowchosland sowie durch Geflügelzucht", erzählte er mir. "Doch fast alle sind davon überzeugt, daß man zu Sowjetzeiten viel besser gelebt hat."

Miguel Urbano Rodrigues

Aus "Initiative Communiste", Frankreich Der Autor war Parlamentsabgeordneter der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) und Direktor der Tageszeitung "O Diário".

Raute

Der Song vom allerschönsten Sterben

Als ich jung war wie du, lag ich im ärgsten Dreck.
Jene mit den gierigen Händen wollten mich draufgehen lassen
und mit Heil und Segen verbraten:
Du Habenichts, du Wegesser, du bist einer zuviel.
Stirb den Tod fürs teure Vaterland!

Ich kam davon. Aber frage nicht wie.
Zwar schweigen die Waffen,
der Finger am Abzug und der laute Stacheldraht,
nicht aber verstummte das Gebrüll aus dem Gestern:
Töte den Feind, töte ihn. Er oder du. Sprung auf denn.
Die Sonderration Schnaps im Bauch senge,
sprenge, lobe den Galgen und die MP.
Sei Richter und Gericht. Kein Pardon. Auf ihn drauf.
Sei Deutschland.
Über Kimme und Korn mähe und dresche ihn nieder.

Wen rührte das Röcheln?
Wen grämten die Flüche und wen das Beißen
der geschändeten Leiber ins Gras?
Ging ich denn allein am Stock,
der hieß blind, dumpf und taub?
Mich näßte fremdes Blut, die Pisse der Angst
und unter Stars und Stripes wie Vieh gefangen,
der bittere Schweiß.

Wo jemals strafte der Himmel so eine müde Herde?
Wann je brannte Durst in solch Kehlen ohne Zahl
und der Hunger schnitt mir mit Messern ins Gedärm?
Auf den Latrinen hockte das flotte Verrecken:
Verrecken, Verrecken.
Wovon ich rede? Du hast keine Ahnung?
Schont dich deine Jugend oder die Gnade des Vergessens?
Mich nicht.

Nach dem stählernen Gewitter über einem Meer von Tränen
ging im Osten die Sonne auf.
Wer vergab mir und warf mich nicht in den Turm?
Stück um Stück zahlte ich die Schuld
aus den Scheunen meines Glückes zurück.

Ich habe Städte und Werke aus Ruinen gebaut.
In widrigen Winden Flüsse gestaut
und den Schlaf an die Nacht verschenkt.
Das habe ich.
Die Lippen der Liebsten und das Flehen der Geige,
es schien, ich hätte alles vergessen.
Und fandest du mich im Mantel der Pflicht und nanntest mich stolz?
Mich prügelte, mich hieb,
mich stieß in den Rücken die Zeit
wie der Sprengbombenuhren gefährliches Ticken.

He, wer schlägt da die Augen nieder?
Hattest du etwa auch gepennt
und im Schlaf der Gerechten
die Norm gemächlich geschruppt? Wofür?
Laß fragen den anderen, laß ihn höhnen.
Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber hat er denn Recht?
Her mit meinen schwieligen Händen. Soll er sie fragen.
Her mit Hacke und Schaufel.
Her mit dem Mut und wieder Mut.
Nein, kein Erbarmen.
Schmitzte die Peitsche, gegen wen?
Die Not ging mit Träumen schwanger.
Sie gebar Wunder. In der Wiege strampelte das Morgen
und die schwärenden Wunden heilten.
Sage bloß, du wüßtest nicht,
was mir dann am Pranger geschah:
das schallende Gelächter.

Hast du dich auch über mich lustig gemacht?
Die Sieger rissen mit schmutzigen Fingern
die Narben wieder auf.
Und solche, die Verbrecher der Verbrechen,
hießen mich einen Verbrecher.
Jene, die mir die Jugend stahlen
und auf meine Torheit setzten.
Jene, die mich schuldig werden ließen.
Jene, die ich aus meinem Haus warf,
die ungestraft zurückkamen und mich ausraubten.
Jene, denen ich nie ein guter Deutscher war.
Eben die.
Ich sei kein guter Deutscher?
Oh, wie ich diese lieben Brüder liebe.

Du aber mimst auf Candlelight,
und singst mit denen in deiner Heldenstadt
heldische Gesänge.
Du schluckst, wie ich einst ihre Noten.
Dann übe auch den Song vom allerschönsten Sterben.

Marschiere. Friß die Glut der Granaten.
Schmore und denke an sie, die du liebst.
Sie ruft dich. Du fliegst ihr entgegen.
Komm doch, komm. Wo bleibst du, wo?
Warum kommst du nicht?
Sie wird nie mehr kommen, niemals mehr, nie.
Du aber fliegst in deinem Wahn und fliegst,
bevor du krepierst.
Schmecke noch einmal die Krume Erde und heule:
Wasser, einen einzigen Schluck.
Wasser! Ich verbrenne. Rette mich, rette!

Es ist aus mit dir, für immer aus.
Hilft denn kein gnädiger Gott? Nein, es gibt keinen.
Der das duldet, so ein Monster darf es nicht geben.
Jetzt denkst du an mich, krümmst dich und krümmst.
Jetzt erst packt dich die Reue, die dich zerschmettert.
Hilf mir, Mutter, hilf. Mutter! Mutter!
Bei deiner Mutter, schreie!
Schreie mit mir, schreie, schreie!

Rudi W. Berger


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

A. Gomez: Fluch dem Kriege!

Raute

"Fitsche grüne" - ein mitteldeutscher Fastnachtsbrauch

Das Volksbrauchtum zur Fastnachtszeit kennt zahlreiche Formen, die je nach dem Charakter der Landschaft vielgestaltig ausgedrückt werden. Die übereinstimmenden Merkmale bestehen in Maskenfesten, ausgelassener Fröhlichkeit, lustigem Treiben, Scherz, Spott und Lärm. Damit sollte der Winter mit seinen bösen Geistern vertrieben werden. Heimatforscher Alfred Nier, Weißenfels, sah in der Fastnachtszeit ein uraltes "Vorfrühlingsfest".

Am deutlichsten tritt dieser Gedanke beim "Frischmachen" hervor, einer mitteldeutschen Fastnachtssitte, die noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts besonders in der Zeitzer und Hohenmölsener Gegend praktiziert wurde. Ich kann mich daran noch deutlich erinnern: Wir Kinder gingen damals in Meineweh am Fastnachtsdienstag lustig verkleidet von Haus zu Haus und sangen diese Anfangsverszeilen:

"Fitsche, fitsche grüne,
wir wolln uns was verdiene,
Äpfel, Nüss' und Pfefferscheibn
und ein Gläschen Branntewein."

Dieses Liedchen, das allerdings in verschiedenen Versionen gesungen wurde, gehört zum "Frischmachen", das schon 1162 urkundlich erwähnt sein soll. Die Burschen und Mädchen versahen sich mit Birkenruten, womit sie dann die Dorfbewohner leicht schlugen - "fitschelten" -, was ihnen eine Gabe einbrachte. Durch das Berühren mit den ersten frischen Baumtrieben sollte sich die Kraft des mit dem Frühling nahenden neuen Lebens symbolisch übertragen. Mancherorts wurde das Fitscheln allerdings mit heftigem Peitschen verwechselt, und es kam bisweilen zu Schlägereien. 1898 wurde z. B. in Meuselwitz das Peitschen polizeilich verboten.

Ist der Fitsche-Grüne-Brauch wohl weitgehend in Vergessenheit geraten, so sind Fastnachtsumzüge und Maskentanzveranstaltungen auch heute bekannt. In Zeitz und Gera fanden z. B. Maskenbälle (Redouten) schon seit dem 18. Jahrhundert im Rathaussaal statt. Übrigens soll sich nach Überlieferung das Winteraustreiben in Leipzig als "Hurenprozession" im Fastnachtsbrauch widergespiegelt haben. Als 1409 die Universität errichtet wurde, standen vor dem Halleschen Tor jene anrüchigen Frauenhäuser, die spottweise das "5. Kollegium" geheißen haben sollen.

Die leichten Frauen hielten zur Fastnachtszeit ihre Prozession mit dem an einer langen Stange vorangetragenen Strohmann ab. Das Lied vom Tod (Winter) singend, zogen sie zur Parthe, wo sie die Puppe ersäuften.

In früheren Zeiten lag die Durchführung der Fastnachtsumzüge in den Händen von Handwerksgesellen. Dabei hat man sie sehr oft benutzt, um Kritik an den herrschenden Gesellschaftszuständen zu üben. Laut Alfred Nier wird 1525 aus Naumburg berichtet: "Zu Fasnachten trugen couragierte Gesellen spottend eine Papstmaske durch die Gassen; etliche ritten als Kardinäle und Bischöfe verkleidet einher oder führten als Mönche und Nonnen maskiert ausgelassene Tänze auf."

Mitteldeutsche Fastnachtsbräuche wurden in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Monatszeitschrift "Zeitzer Heimat" mehrfach behandelt.

Günther Röska, Leipzig

Raute

"Wir müssen nicht, aber wir wollen, und weil wir wollen, müssen wir"

Berliner Pädagogenchor bestand die Feuerprobe

Im Juli 2008 erschien im "RotFuchs" mein Artikel über ein Hanns-Eisler-Programm des Berliner Chorverbandes während eines Sängertreffens in Bremen, an dem auch der Konzertchor Berliner Pädagogen (KBP) beteiligt war. Diesem Ensemble bin ich als Siebzehnjähriger beigetreten und gehöre ihm seitdem an. Es hat mein Leben maßgeblich mit geprägt.

Der KBP feierte im vergangenen Herbst sein sechzigjähriges Bestehen. Als "Junger Chor Berliner Lehrerinnen und Lehrer" 1949 von Prof. Erwin Klest gegründet, nahm er besonders in den Jahren nach 1960 unter Leitung des Verdienten Lehrers des Volkes Hans-Eckardt Thomas als Gemischter Chor des Berliner Lehrerensembles "Dr. Theodor Neubauer" eine hervorragende Entwicklung zum Oberstufenchor in der Laienchorbewegung der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Das Lehrerensemble wurde 1990 aufgelöst, der Chor und auch andere Gruppen indes blieben bestehen. Es scheint sich also gelohnt zu haben.

Als am 10. Oktober 2009 unser Festkonzert stattfand, traten auch das "Theater im 12. Stock e. V." (gemeint ist der 12. Stock vom Haus des Lehrers am Berliner Alexanderplatz), heute als Zimmertheater im Kulturhaus Karlshorst bekannt, das "Volksinstrumentenorchester in Berlin e. V." und das Bläserquintett des Berlin-Brandenburgischen Sinfonieorchesters auf, alles Nachfolgegruppen unseres damaligen Ensembles. In der Moderation durch dessen letzten Leiter Horst Wickert und in Grußworten wurde dann auch gebührend auf die alte Verbundenheit hingewiesen.

Es war eine bemerkenswerte Leistung, welche die Berliner Lehrerschaft während der vier Jahrzehnte DDR mit unserem Ensemble aufzuweisen hatte, zählte es doch zu den größten und erfolgreichsten seiner Zeit und seiner Zunft:

Im obersten Stockwerk des HdL und in der benachbarten Kongreßhalle gab es unzählige Sinfonie- und Chorkonzerte, Estraden- und Ensembleprogramme, Kabarett-, Literatur- und Zauberkunstveranstaltungen. Mehrere Tanzmusikformationen und Ballettgruppen traten bei Geselligkeiten von Lehrerkollegien und Betriebskollektiven auf. Der Spielbetrieb im 12. Stock war an den Wochenenden über Monate im voraus ausverkauft. Aufmerksame Zuschauer und Zuhörer, lachende Gesichter und herzlicher Beifall waren unser Lohn. Die Mehrzahl der Gruppen stellte sich in Abständen republikweiten Leistungsvergleichen, die mit Bravour bewältigt wurden. Sie waren für viele ähnliche Volkskunstkollektive im Land Vorbild. Auftrittsreisen in befreundete Staaten gehörten zu den Höhepunkten im Leben jeder Gruppe.

Es ist hier unmöglich, alles aufzuzählen, was es gegeben hat. Für meinen Chor kann ich sagen, daß er seine Mitglieder zu einer leistungsfähigen Gemeinschaft zusammenschmiedete, welche die Persönlichkeit des einzelnen forderte und förderte. Das trug zur Selbstverwirklichung jedes Mitwirkenden bei. Das Bewußtsein, mitgestaltet, Einfluß genommen, die Möglichkeiten der Künste genutzt und damit Menschen unterhalten, gebildet und erzogen zu haben, ist seitdem fest in mir und anderen verwurzelt. Jeder von uns hat sich dieser Aufgabe freiwillig gestellt, jeder hätte sich ihr auch ohne weiteres verweigern können. Es war eine Form der Freiheit, wie sie der sozialistischen Gesellschaft wesenseigen ist. Daß diese noch verbesserungswürdig gewesen wäre, steht hier nicht zur Debatte. Doch die Angst vor dem nächsten Tag gab es bei uns nicht. Gerade sie verhindert heute freies Denken, freie Entfaltung. Wer kann sich da frei fühlen, wenn die Existenz bedroht ist? Nicht gefragt und nicht gebraucht zu werden ist menschenverachtend. Die Würde des Menschen ist unter heutigen Bedingungen eben nicht unantastbar.

Gerade deshalb haften die Erfahrungen jener Zeit in Berichten, Chroniken, Büchern und Bildern im Gedächtnis. Sie bleiben unvergessen! Unsere Chormaxime lautete: "Wir müssen nicht, aber wir wollen, und weil wir wollen, müssen wir." Könnte das nicht ein Motto für die Zukunft sein?

Horst Birkholz

Raute

Der Lyrikerin Eva Strittmatter zum 80.

Dichter "können ihr Land aufheben"

Als ihr erster Gedichtband "Ich mach ein Lied aus Stille" (1973) in die Buchläden kam, hatte sie, neben Kinderbüchern und Literaturkritik, schon mehr als 20 Jahre Verse geschrieben. Das Buch wurde ein literarisches Ereignis. Ein neuer Ton bereicherte die Lyrik. "Es freut mich nur sehr", schrieb davon berührt Schriftstellerkollege Hermann Kant, "daß wir wieder eine gefunden haben, die des Dichters alte Gebärde nicht scheut und ihr Ohr an die Erde legt und auch an unsere Brust ... Es ist Wahrheit, und davon brauchen wir viel."

Eva Strittmatter, am 8. Februar 1930 in Neuruppin geboren, stand da schon in des Lebens Mitte. Sie hatte eine erste Ehe hinter sich und Kinder, nun konfliktreiche Jahre mit dem neuen Lebensgefährten Erwin, den Umzug nach Schulzenhof und viel, viel Arbeit auf dem häuslichen Anwesen dort, auch neuen Nachwuchs. Erwin Strittmatters literarische Neulinge las und beurteilte sie als erste, war Hörerin, Kritikerin, Ermunterin.

Daneben erforderte Leser- und Freundespost enorm viel Kraft und Zeit. Hunderte Briefe, Anfragen, Bitten, Wünsche, Dankesworte Monat für Monat, Jahr für Jahr. Die Dichterin stellte sich dieser Bürde an Vertrauen, das ihrem Mann und ihr entgegengebracht wurde. Einen farbigen, authentischen Eindruck davon geben ihre "Briefe aus Schulzenhof" (Aufbau-Verlag 1977, 1990, 1995). Sie sind Werkstattauskünfte und ein Widerschein dessen, welchen Rang sich die schöngeistige Literatur im Alltagsleben der DDR erworben hatte. Einschließlich der Sorgen, Nöte und Freuden eines Schriftstellers. Nichts ist hier geschönt oder geschminkt. Leben pur.

In Weimar hatte ich sie, neben Erwin, des öfteren lesen gehört, in den Internationalen Hochschulferienkursen für Germanistik der DDR, von der Universität Jena getragen. Eine Weimar-Exkursion war immer drin. Auch ein Besuch bei Walther Victor, dem frühen Förderer vom Schriftstellerverband. Die Lyrikerin faszinierte mit ihrer leisen, schwebenden Stimme, Gefühle des Glücks, des Bedrängtseins, der Freude über Naturentdeckungen, des Zorns, aber auch der Dankbarkeit ausdrückend.

Von den für die kleine DDR sagenhaften Auflagenhöhen ihrer Gedichtbände ("Mondschnee liegt auf den Wiesen", "Die eine Rose überwältigt alles", "Zwiegespräch", "Heliotrop" u. a.) können heutige Neu-Lyriker nur träumen. Als Nachdichterin von Puschkin-Versen für eine weitere Werkausgabe hat sich Eva Strittmatter ebenfalls verdient gemacht.

Nach dem Ende der DDR widmete sie sich dem Abschluß der "Briefe aus Schulzenhof" und den Tonbandaufzeichnungen Erwin Strittmatters "Vor der Verwandlung" (Aufbau-Verlag 1995). Sie überraschte auch mit neuen Gedichtbänden.

Eva Strittmatters Sprache versteht jeder. Ihre Lyrik ist Bekenntnis: "Die Dichter sind schwach wie jedermann. Aber: Sie können ihr Land aufheben."

Werner Voigt, Kromsdorf

Raute

Archie und der Müggelsee

Seit Archie in Berlin weilt - inzwischen sind das über 55 Jahre - zieht es ihn immer wieder mal an den Müggelsee. Früher durchforschte er das Gelände um das Gewässer, fuhr mit Stadt- und Straßenbahn dicht ran bis vor das Strandbad, alles sagenhaft preiswert damals. Später drehte er mit dem Rennrad seine Runden um den Müggelsee, über Köpenick, Erkner und Rahnsdorf, fuhr kreuz und quer, rauf und runter - Rübezahl, Teufelssee, Müggelturm, An- und Aussichten vielfältiger Art. Als Student und auch später war der Müggelsee für ihn Erholungsgebiet für Wochenenden und Freizeit. Er kam mit wenig Geld über die Runden, Transport und Nahrung waren billig, Sport und Spiel kosteten nichts, teilweise Eintritt frei.

Das FKK-Gelände war besonders schön, direkt am See, bewaldet, mit Büschen bewachsen, sanitäre Einrichtungen und Duschmöglichkeit, Imbiß mit gemütlichen Sitzmöbeln, Riesen-Schachspiele, Unterhaltung für Jung und Alt. Archie konnte ganze Tage dort verbringen, lesen und sogar studieren. Es gab auch Zeiten, da fuhr er ins Grünauer Strandbad, weil das näher lag. Aber der Müggelsee war nicht zu übertreffen.

Archie war auch schon mal im Strandbad Wannsee, aber dort ging ihm alles gegen den Strich, vor allem die unerträgliche Amerikanisierung, die unsäglich hohen Preise und die aufdringliche Werbung. Auch um den übrigen Wannsee herum war es für ihn ungemütlich, z. T. elitär und NS-belastet. Immer, wenn sie den fröhlichen Bade-Schlager mit Conny Froboess "Pack die Badehose ein ..." hörten, sagte sein Freund mit dem in Westberlin zugelassenen Motorrad NSU/Max: "Los, komm. Wir fahren hin." Aber es war nie dasselbe wie am Müggelsee. Schon die unterschiedliche Währung erwies sich als Barriere, korrumpierte die Beziehungen, machte Besuche dieser Art stets schwierig und leicht illegal. Deswegen fühlte sich Archie am Müggelsee wohler, wo er von diesen Dingen weit entfernt zu sein schien. Er war dort einfach zu Hause und am Wannsee nicht, ein wesentlicher Unterschied, den viele Westdeutsche, und vor allem die BRD-Regierung, bis heute nicht begreifen wollen.

Aber der See in den Müggelbergen hatte auch seine Tücken. Die Einheimischen sagten, bei Schlechtwetter und Gewitter konnte er für kleinere Boote und Segelschiffe bedrohlich werden. Sie wußten von vielen schrecklichen Begebenheiten zu berichten. Archie selbst, damals ein guter Schwimmer, kämpfte einmal lange im Wasser, um bei jäh aufkommendem böigem Wind an Land zu gelangen, als ihm die kurzen Wellen hart ins Gesicht schlugen. Das hatte ihn damals überrascht, eine Warnung, nie wieder so weit hinauszuschwimmen. Ein unbekannter älterer Mann war ihm mit einem Boot zu Hilfe gekommen. Er bewirtete Archie danach auf seinem Grundstück mit Kaffee und Kuchen zur Stärkung. Später erzählte er ihm noch Geschichten aus der Nazi-Zeit, wie er und andere Genossen als kommunistische Kuriere unter Lebensgefahr nachts auf dem See unterwegs waren.

Archie weiß nicht, ob in der Jetztzeit noch alle Zugänge zum Wasser öffentlich sind. In der "Berliner Zeitung" konnte man im Jahr 2009 Gegenteiliges lesen. Dabei ging es um den Potsdamer Griebnitzsee. Die Überschrift lautete: "Klassenkämpfe am Seeufer".

Seit über 35 Jahren wohnt Archie am Treptower Park in Berlin, fast direkt gegenüber der Anlegestelle der einstigen Weißen Flotte der DDR, nur getrennt durch das baumbestandene Gelände.

Die große Müggelsee-Rundfahrt war für die ganze Familie oft ein Ereignis. Man brach auf, ließ es sich wohl sein, aß und trank auf dem Dampfer, ohne sehr auf die Preise achten zu müssen. Brause, Bier, ein guter Schnaps oder ein Magenbitter gehörten dazu. Man verspeiste Bock- oder Bratwurst mit reichlich Kartoffelsalat oder ein Schnitzel. Im Nu waren fünf Stunden herum.

Ab 1990 passierte das kaum noch. Es war einfach zu teuer. Das scharfe Schwert der Marktwirtschaft hatte zugeschlagen. Jetzt mußte sich nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen alles rechnen. Der Dampfer, die Speisen und das Bier, das Personal - alles wurde mit dem Maß des Profits gemessen. Für den sogenannten kleinen Mann rechnete sich nichts mehr. Also fuhr man mit der einst auf Dichter getauften Flotte nicht mehr rund um den Müggelsee. Aus, Schluß.

Wen interessiert das? Eine solche Geschichte will keiner hören oder gar in den bürgerlichen Printmedien drucken. Dort bevorzugt man blutrünstige Stories darüber, wie sehr die DDR-Bevölkerung gelitten hat und was sie alles entbehren mußte, von Bananen bis Pornographie. Und jetzt darf Abend für Abend am Bildschirm, Tag für Tag am Zeitungskiosk auf alles gespuckt werden, was mit der DDR zu tun hatte.

Zwangsläufig fallen einem dann solche Geschichten ein wie die mit dem Müggelsee als Beispiel. Wie maßlos muß 40 Jahre lang die Wut des Kapitals über die Existenz der DDR gewesen sein, meint Archie, der sich gerade in der achten Etage des Köpenicker Krankenhauses unweit des Müggelsees aufhalten muß, in der Neige seiner Jahre. Er grübelt über sein Leben nach und hört den Sensenmann hinter der Zimmertür sein Gerät wetzen. Der Patient hat vieles in seinem Leben zu bereuen. Nicht, was er getan und vollbracht hat, eher das, was er lieber hätte bleiben lassen sollen. Späte Einsichten und Erkenntnisse, wenn sie nicht korrigierbar sind, können in schlaflosen Nächten quälend sein.

Aber seinen Einsatz und sein Einstehen für die DDR wird Archie auch vor seinem höchsten Richter verteidigen, ohne jegliche Reue, mit gutem Gewissen und soliden Argumenten, deren Stichhaltigkeit gerade die kapitalistische Krise unserer Tage beweist.

Von allen Seen in Deutschland verbindet Archie den Müggelsee am meisten mit der DDR. Dazu kommen noch die Kategorien Glaube, Hoffnung, Liebe: Glaube an den Sozialismus, den absolut notwendigen, Hoffnung auf die Wissenschaft, die marxistische, und Liebe zu den Badenixen am Müggelsee, den zukünftigen Müttern.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Auf dem Weg zur Errichtung eines klerikalfaschistischen Systems ist Polens Regierung einen Schritt weitergegangen. Präsident Kaczynski unterzeichnete einen Gesetzentwurf, welcher Besitz und Handel mit kommunistischen Symbolen ahndet. Vorgesehen sind Geld- und Haftstrafen bis zu zwei Jahren. Damit ist Polen das dritte ehemals sozialistische Land (nach Ungarn und Tschechien), welches kommunistische Symbole verbietet. In Tschechien wurde der Kommunistische Jugendverband außerhalb des Gesetzes gestellt, weil er die Vergesellschaftung der Produktionsmittel gefordert hatte. Kommunisten und Sozialisten, darunter viele polnische, haben ungezählte Opfer im Kampf gegen den Faschismus gebracht. Der oben erwähnte Gesetzentwurf kann daher nur als massive Provokation gewertet werden.

Wir protestieren entschieden gegen das Warschauer Verbot und versichern unsere Genossen in Polen unverbrüchlicher Solidarität. Laßt Euch Hammer und Sichel nicht nehmen!

Dominik Gläsner, Zittau (KPF der PDL)


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In nahezu allen Reden der Kanzlerin wird die Vokabel Freiheit hervorgehoben. Gerade diese wurde den Arbeitern und Genossenschaftsbauern der DDR in den Jahren 1989/90 entzogen, was zunehmend auch auf die Werktätigen im westlichen Landesteil zurückschlug. Dabei wird die Ausbeutung immer weniger verschleiert. Überdies geht die Angst um, von den Sicherheitsorganen der BRD beobachtet zu werden und in ein schiefes Licht zu geraten. Die Mehrheit steht allerdings im Schatten.

Anderen empfiehlt die "Kanzlerin aller Deutschen" nicht näher definierte Menschenrechte. Den Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern, Mindestlöhnern und Menschen ohne Obdach, aber auch den meisten im Arbeitsprozeß Stehenden werden in der BRD wichtige soziale Menschenrechte vorenthalten. Für sie liegen Freiheit und Menschenwürde buchstäblich auf der Straße, während die Betuchten wortgewaltig fröhliche Urständ feiern. Die angebliche Leistungsgesellschaft basiert also auf purer Ungerechtigkeit. Unser Kampf muß darauf gerichtet sein, die Betroffenen nicht im Regen stehen zu lassen. Darum bin auch ich Leser des RF.

Hans Nieswand, Potsdam


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Mit dem Schlachtruf "Yes, we can" (Ja, wir können ...) begeisterte der erste schwarze Präsidentschaftskandidat und spätere Staatschef der USA Barack Obama nicht nur die Amerikaner. Milliarden Menschen in aller Welt erhofften sich von ihm einen Wandel in der Politik Washingtons. Wahrscheinlich waren es nur Millionen, die von Beginn an Skepsis hegten. Wie sollte auch ein einzelner Mann das Herrschaftsgebäude des Großkapitals ernsthaft gefährden oder gar zum Einsturz bringen, war er doch a priori nur ein Rädchen im Getriebe des Systems.

Von Massenpsychologen geschickt ausgewählt, mit einem überquellenden Wahlkampfbudget ausgestattet, erblickte Obama seinen Auftrag darin, das Negativimage des Vorgängers im Amt vergessen zu machen. Doch nur elf Monate nach der Thronbesteigung im Weißen Haus hat der USA-Präsident ausgerechnet bei der durch nichts gerechtfertigten Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo eine Brandrede gehalten. Schon zuvor war von ihm in der Militärakademie West Point die "Notwendigkeit" verkündet worden, weitere 30.000 Soldaten nach Afghanistan zu schicken.

Auch Obama benutzte wie George W. Bush die Zerstörung der zwei Türme des New Yorker World Trade Center - das Pendant zum "Überfall auf den Reichssender Gleiwitz" - als Argument für die Ausdehnung des Krieges. Wie immer man ihn beurteilt - es ist die Pflicht des Mannes im Weißen Haus, den Willen jener zu vollstrecken, die in den USA tatsächlich das Sagen haben.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg


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Seit längerer Zeit lese ich intensiv den RF. Die Zeitschrift ist währenddessen inhaltlich zu meiner geworden. Sie half mir unter den uns aufgezwungenen Lebensverhältnissen die eigenen theoretischen und praktischen Überzeugungen durch die Erfahrungen ihrer Autoren und Leserbriefschreiber zu festigen und auf dem aktuellen Wissensstand zu bleiben. Daraus schöpfte ich die Kraft und Argumentationsfähigkeit, nach dem Sieg der Konterrevolution immer und überall meine Weltanschauung zu vertreten. Ich stehe bei allen Problemen, die es gab, und angesichts der Fehler, welche begangen wurden, auch durch mich, zur DDR. Es bedrückt mich zutiefst, daß ich zu wenig getan habe, um das "Jetzige" zu verhindern. Ich muß wissen, wo ich oder wir falsch gehandelt haben, was wir hätten tun oder lieber lassen sollen. In diesem Suchen gibt es Mitstreiter, die den gleichen Weg gehen. Tausende RotFüchse hinter sich zu wissen, vermittelt Kraft, Sicherheit und Inspiration.

Als ein Arbeiter, dem in der DDR die Möglichkeit geboten wurde, Ingenieurökonom und Gesellschaftswissenschaftler zu werden, bin ich aus Selbstachtung und Verantwortung gegenüber meiner Klasse aktiv. Mit viel Anstrengung eignete ich mir die Lehren von Marx, Engels und Lenin an. Sie waren und sind der Leitfaden meines Lebens, ohne daß ich erwarte, sie seien das Nonplusultra für den täglichen Kampf im Detail. Ich halte es für abenteuerlich, den Klassikern die Schuld an unserer Niederlage zu geben, um vom eigenen Unvermögen abzulenken, wie es bestimmte Marx-Verbesserer und Künder eines Dritten Weges tun. Aus den Erfahrungen meines Lebens bitte ich um Aufnahme in den "RotFuchs"-Förderverein.

Manfred Fischer, Pasewalk


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Dem Artikel von Dr. Dieter Rostowski (RF 143) sind exakte Zahlen über deutsche Kriegsgefangene in der UdSSR und deren Rückführung zu entnehmen. Gerade die Anzahl der von der Roten Armee Gefangengenommenen, die meist ausgezehrt und demoralisiert waren, wurde von Herrn Knopp und anderen Geschichtsfälschern im Sinne des Antikommunismus gegen uns eingesetzt.

Daher suchte ich Anfang der 90er Jahre in Darstellungen aller Alliierten der einstigen Antihitlerkoalition nach Tatsachenmaterial. Fündig wurde ich u. a. in dem Buch "Der geplante Tod. Deutsche Kriegsgefangene in amerikanischen und französischen Lagern 1945-1946" des kanadischen Autors James Bacque. Im Ergebnis jahrelanger Recherchen wies Bacque nach, daß nahezu eine Million deutscher Kriegsgefangener in amerikanischen und französischen Lagern an Hunger, Unterernährung, fehlender Hygiene und Unterbringung starben. Besonders makaber ist der Umstand, daß damals unzählige Wehrmachtsverbände unter der Wirkung der faschistischen Propaganda vor der Roten Armee flohen, um in die vermeintlich humanere Gefangenschaft der westlichen Alliierten zu gelangen.

Kapitän zur See a. D. Peter Barth, Berlin


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Das Trommelfeuer eskaliert im Vorfeld des 20. Jahrestages der Einverleibung der DDR durch die BRD. Das Ganze gipfelt in der Verunglimpfung und Verurteilung Inoffizieller Mitarbeiter des MfS, die im gesellschaftlichen Leben Fuß gefaßt und seit 1989 das Vertrauen ihrer Mitbürger (Wähler) erhalten haben. Ist in diesem Zusammenhang die Frage erlaubt, wie man mit Inoffiziellen Mitarbeitern, Quellen und Agenten der westlichen Geheimdienste umgeht? Aus Äußerungen von Insidern (z. B. Dr. Armin Wagner, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg) geht hervor, daß allein der BND als einer der BRD-Geheimdienste in der DDR über 10.000 Agenten verfügt haben soll. In der Birthler-Behörde kann man Auskunft erhalten, wie groß oder besser klein die Anzahl jener IMs war, die an Personen gearbeitet haben. Wie sind denn jene zu beurteilen, welche in den Abwehrdiensteinheiten vorbeugend und schadensabwendend tätig waren?

Und: Wie bewerten unsere landläufigen "Stasi"-Jäger eigentlich den Entscheid des Sofioter Verfassungsgerichts vom 4. Dezember 2009, bulgarische Abgeordnete, die einst Verbindung zum Geheimdienst der Volksrepublik unterhielten, dürften auch weiterhin Spitzenämter im Parlament einnehmen?

Die Widersprüchlichkeit im Umgang mit Angehörigen der Sicherheitsorgane aus den Warschauer Vertragsstaaten wird auch deutlich, wenn man bedenkt, daß ein Generalmajor des KGB zuerst Präsident, dann Ministerpräsident Rußlands werden konnte. Er wird, wie es sich gehört, als Repräsentant geachtet und behandelt.

Dr. Alfred Kleine, Berlin


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Seit einiger Zeit bin ich Leser dieser wunderbaren Zeitschrift. Sie macht mir Mut und gibt mir das Gefühl, daß nicht alles verlorengegangen ist. Vielen, vielen Dank für die tollen Artikel.

Karin Beisbier, Bornow/Beeskow


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Die hysterische Hatz auf Andersdenkende, deren Freiheit eigentlich in dieser "freiheitlich demokratischen Ordnung" gewährleistet sein sollte - speziell auf ehemalige IM des MfS -, sprengt den Rahmen einer Hexenverfolgung aus dem Mittelalter. Selbst Stimmen von SPD-Funktionären, die das Geschehen als Treibjagd qualifizieren, bleiben ungehört. "Dieses ganze Gebaren erinnert mich an das An-den-Pranger-Stellen und ist einer parlamentarischen Demokratie unwürdig", las man in der MAZ. Taub ist dabei die Brandenburger "Linke", die sich in geradezu hündischer Unterwürfigkeit als Oberhäscher - nur um "hoffähig" zu sein - an dieser Schmach beteiligt. Die seinerzeitige Entschuldigung bei George W. Bush war nur der Anfang.

Ich darf betonen, daß ich niemals IM war, es mich persönlich somit nicht betrifft. Dabei ist klar, daß es den "Nicht-IM" nicht ansteht, über die Verpflichtung ihrer Mitbürger und Mitgenossen in einem anderen, untergegangenen Staat vor 20, 30 und mehr Jahren zu urteilen, weil ihnen weder die Umstände noch die tatsächlichen "Folgen" derartiger Zusagen bekannt sind.

Mehr noch: Heute kann überhaupt keine Bewertung der Praktiken der Mitarbeiter des MfS vorgenommen werden, da vorerst nur die Akten einer Seite offen auf dem Tisch liegen. Elementare Voraussetzung einer Bewertung, an der eindeutig niemand interessiert ist, kann nur sein, daß auch sämtliche Aktivitäten aller Organe der anderen Seite gegen die DDR ans Licht der Öffentlichkeit gelangen.

Was heute, auch von der Partei Die Linke, betrieben wird, ist nur mit dem päpstlichen Bann des Mittelalters vergleichbar, der nicht - wie bei vielen Verbrechen - verjährt.

Walter Ruge, Potsdam


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Im RF Nr. 143 hat Wolfgang Clausner die Gretchenfrage so formuliert: Gibt es eine Rechtsdrift der PDL? Es sei betont, daß ich und viele andere Mitglieder der Partei Die Linke die Sorge darum teilen, daß sich die PDL von marxistischen Positionen entfernt und auf kapitalismuskritische statt antikapitalistische Wege gerät.

Wolfgang Clausner schreibt: "Denn immerhin unterzog Gysi im Verein mit seinen Gesinnungsfreunden in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ja die eigene Partei SED-PDS/PDS/Die Linke einem Sozialdemokratisierungsprozeß, durch den sie sich aus einer antikapitalistischen Kraft in eine nur noch 'systemkritische' Formation verwandelte." Wenn sich das so verhielte, wären ich und viele andere nicht mehr Parteimitglieder. Aber übersieht Wolfgang Clausner, daß Lafontaine nicht von Kapitalismuskritik oder Systemwandel spricht, sondern Systemüberwindung einfordert? Und weiß er nichts vom Marxistischen Forum und der Kommunistischen Plattform? Ein seriöses Urteil über diese Partei erfordert mehr Differenziertheit, als sie der Autor aufbringt. In vielen Basisgruppen, bei Seniorentreffs und anderen Veranstaltungen erlebe ich oft, wie für eine klare antikapitalistische Konzeption und Programmatik der Partei gestritten wird. Das alles mit dem Vorwurf einer Sozialdemokratisierung der Gesamtpartei vom Tisch zu fegen, ist keinesfalls hilfreich.

Es sollte aber Einmütigkeit darüber herstellbar sein, daß eine konsequent antikapitalistische Strategie zu erarbeiten ist, die realistisch und mehrheitsfähig sein muß. Denn klar ist, daß für eine Systemüberwindung andere gesellschaftliche Kräfteverhältnisse erforderlich sind, als sie gegenwärtig bestehen. Das heißt zugleich, daß außer einem starken linken Kraftzentrum auch Verbündete einbezogen werden, die möglicherweise nicht in allen Punkten mit uns übereinstimmen. Gegenseitige Schuldzuweisungen, Unterstellungen und Verdächtigungen helfen auf diesem schwierigen Weg keinen Schritt weiter. Die wirkliche Gretchenfrage lautet: Wie hältst du es mit dem Kampf um eine mehrheitsfähige antikapitalistische Strategie?

Prof. Dr. Herbert Meißner (KPF), Oranienburg


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Auch wenn die folgenden Zeilen wie eine Eigenwerbung für meinen Roman "Das Haus im Sandweg" aussehe, komme ich zu diesem Brief aufgrund der Dezemberausgabe des RF. Ihr bringt dort einen Beitrag von Dr. Ernst Heinz zu Hans Paasche. In meinem Roman spielt das erwähnte Treffen der Freideutschen Jugend auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913 eine zentrale Rolle, wofür es familiäre Gründe gibt. Aber im Zusammenhang mit den Studien zu diesem Treffen stieß ich auf Hans Paasche und habe ihn auch - genauer gesagt ein Buch von ihm - in meinen Text eingebaut. Doch über Paasches Herkunft und seinen weiteren Lebensweg wußte ich nichts, hielt es auch nicht für erforderlich, dem nachzugehen. Darum bin ich dankbar für Euren Beitrag. Ich vermute - und das wäre nun ergänzend zu bemerken -, daß Euch ein Detail unbekannt ist: Am Aufgang zur Jugendburg Ludwigstein, unweit vom Hohen Meißner, gibt es einen Baum zur Erinnerung an Hans Paasche. Wenn ich wieder einmal dort hinkomme, suche ich in Erfahrung zu bringen, wer ihn gepflanzt hat.

Dr. Robert Steigerwald, Eschborn


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Ich habe heute in meinem Verband Leipzig-Portitz/Plaussig gebeten, meine Mitgliedschaft ruhen zu lassen. Ob dieser Schritt gerechtfertigt und angemessen ist, kann ich selbst nur schwer beurteilen, zumal es in Plaussig dann nur noch ein einziges PDL-Mitglied gibt. Meine Begründung: Ich habe im TV-Bericht des RBB das "Niedermachen" zweier Abgeordneter der Partei Die Linke gesehen. Soweit ich feststellen konnte, hat sich die Parteileitung nicht vor die beiden Genossen gestellt, denen vorgeworfen wird, vor 20 Jahren für die "Stasi" gearbeitet zu haben. Seit Monaten, gerade jetzt im 20. Jahr der "Wiedervereinigung" werden wir ehemaligen DDR-Bürger in beschämender Art gedemütigt. Wer nicht sichtbar die Mauer zum Einsturz gebracht hat und das mit Filmaufnahmen dokumentieren kann, der war bestimmt ein Mitläufer oder gar bei der "Stasi". Aus Sicht der BRD wird jeder Schlag gegen die DDR als "gute Tat" bewertet.

Es mag stimmen, daß nicht jeder Mitarbeiter des MfS immer korrekt gehandelt hat. Den unfehlbaren Menschen gab es zu keiner Zeit. Aber in aller Regel hat doch der DDR-Dienst auf Handlungen der BRD-Dienste reagiert. Wir durchlebten damals in Ost und West den Kalten Krieg. Jetzt aber ist es höchste Zeit, Frieden in Deutschland wirklich herzustellen. Also bitte die Wahrheit auf den Tisch!

Gerhard Masuch, Leipzig


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Kurze Meldung aus Kassel. Auf der größten bundesweiten Konferenz linker Kräfte aus der Friedensbewegung - dem Friedensratschlag - haben Genosse Karl-Heinz Mruck und ich wie schon im letzten Jahr einen Info-Tisch besetzt. Er wurde von etlichen der etwa 300 Teilnehmer immer wieder aufgesucht. 150 Exemplare der "jungen Welt" und 30 der UZ gingen gratis über den Tisch. Wir hatten auch die RF-Ausgaben Oktober bis Dezember reichlich im Angebot und wurden die Zeitschrift an den zwei Tagen vollständig los. Die farbig aufgemachte Rede Rolf Bertholds auf der Veranstaltung zum 60. Gründungstag der DDR ging rasch weg. Auch die RF-Leitsätze und das Flugblatt zur Vorstellung von Zeitschrift und Verein waren bei uns zu haben. In diesem Jahr stehen wir wieder dort, denn hinter einmal Erreichtes wollen wir nicht zurückfallen.

Ronald Brunkhorst, Kassel


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Danke dem RF für seinen Beitrag zum 100. Geburtstag von Jan Koplowitz. Seit 1985 kannte ich ihn - vor allem auch als Vorsitzenden des Kulturbundes in Berlin-Weißensee - persönlich. Ich schätzte ihn sehr. Er war geradlinig und manchem Funktionär sicher unbequem. Aber Jan hätte nicht Jan geheißen, wenn er anders gewesen wäre. Seine Gespräche mit mir, meist zufälliger Natur, waren stets von Nachdenklichkeit geprägt und mit schelmischem Hintergrund.

Nach dem Tod seiner Frau Ende der 90er Jahre kam Jan Koplowitz die Lebenslust abhanden. Es ging ihm gesundheitlich zunehmend schlechter. Zuletzt besuchten wir ihn wenige Tage vor seinem Ableben im Krankenhaus. Trotz der ihm verabreichten Psychopharmaka (er hatte einen Selbstmordversuch hinter sich) erkannte uns Jan. Aber es war sehr tragisch. Als ich Peter Hacks davon in Kenntnis setzte, schickte er mir eine Karte mit der Abbildung der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals, auf die er schrieb: "Nicht traurig sein."

Ein hilfreicher und aktueller Trost. Gut, daß es den "RotFuchs" gibt.

Heinz-Joachim Reiß, Berlin


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Es ist gut, wenn DDR-Bürger als Persönlichkeiten der Zeitgeschichte durch Euch öffentlich gewürdigt werden. In diesem Sinne habe ich mit Interesse den Beitrag von Eberhard Rebohle im RF 143 über Jan Koplowitz gelesen. Es gibt noch einen anderen Grund, Euch zu schreiben. Ich habe einen Hinweis für Eberhard Rebohle, der ihm vielleicht bei der Suche nach diesem Erich behilflich sein könnte. Übers Internet fand ich im Breslauer Adreßbuch aus dem Jahre 1941 einen Kaufmann Erich Rebohle, Arletiusstraße 34.

Harald Gampig, Berlin


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Vielen Dank für die Zustellung des neuen RF. Der mit einem Beitrag geehrte Schriftsteller Jan Koplowitz war bei meinem Vater sehr oft zu Gast. Sie haben auch fröhliche Stunden in Pankow miteinander verbracht, zugleich aber manches geschaffen. Zum Kreis gehörten noch Georg W. Pijet und Jean Kurt Forest.

Hans Horn, Berlin


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Wie viele andere Beiträge im RF war der Polen-Artikel von Stefan Warynski in Nr. 143 sehr interessant. Er scheint mir für die Diskussion über die verschiedenen Facetten des subjektiven Faktors nicht zuletzt auch beim Sieg der Konterrevolution in der DDR, speziell eben auch zur Rolle der Arbeiterklasse in diesen geschichtlichen Vorgängen, wichtig und anregend zu sein. Wie oft hört man auch bei uns von ehemaligen SED-Mitgliedern: "1989/90 hat uns die Arbeiterklasse verraten. Wie konnte das nur sein?!" Warum allerdings in einem polnischen Beitrag konsequent der mehrfach wiederkehrende Name Poznan falsch geschrieben wurde, mit dem Strich überm a statt überm n, das wissen vielleicht allein die RotFüchse!

Prof. Dr. Bernd Koenitz, Leipzig


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Die Beiträge von Oberst a. D. Dr. Horst Österreich und Rudi Kurz im RF-Extra Nr. 144 sind das Beste, Ehrlichste sowie vergangener und jetziger Realität am meisten Entsprechende, das mir seit langem unter die Augen gekommen ist. Beiden sei Dank!

Ingolf Becker, Schwaan


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Lieber Herr Rudi Kurz! Die Filme, die Sie und Ihre Kollegen damals gedreht haben, gehören zu jenen, welche ich mir im TV noch ansehe - wenn sie denn mal gebracht werden. USA-Mainstream-Kinofilme boykottiere ich. Das MDR-Programm wird nur auf alte DDR-Streifen hin durchforstet. Nach 20 Jahren BRD-Realität erscheinen sie mir wie eine Labung! Sie sind zutiefst human, zeigen menschliche Größe, das Licht der Liebe, aber auch Probleme und Versagen, den Kampf ums Leben. Ohne diese Filme würde mir etwas Großes fehlen. Vielen Dank für Ihr Lebenswerk!

Andrea Morgenstern, Hemmingen


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Der Beitrag von Rudi Kurz im Januar-RF (Der Meineid) hat mich sehr beeindruckt, zumal ich sein Wirken im DEFA-Gelände und bei anderen Gelegenheiten in den 60er Jahren ein wenig wahrnehmen konnte. Rudi war ein Drehbuchautor und Regisseur von besonderem Format. Noch heute sehe ich vor allem Menschen vor mir, die prägende Rollen mit tiefer politischer Aussage spielten. Sie wurden von ihm in einfühlsamer Arbeit vorbereitet, und er stand ihnen auch stets inhaltlich hilfreich zur Seite. Er war eben mehr als nur Drehbuchautor und Regisseur. Menschliche Wärme spürte man allerorts.

Joachim Hauck, Berlin


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Rechtzeitig zum Weihnachtsfest wurde die frohe Botschaft verkündet: Die Schumi-Zeit beginnt wieder. Der siebenfache Formel-1-Weltmeister und Frauenschwarm Michael Schumacher will 2010 wieder über die Pisten rasen. Freudentränen bis zur alten Oma. Das frustrierte Deutschland kann wieder hoffen. Lästige Themen wie Krise, Arbeitslosigkeit, Afghanistankrieg und Umweltzerstörung werden von der Tagesordnung verdrängt. Dafür berichten Medien verschiedenster Schattierungen regelmäßig und ausführlich über das Innen- und Außenleben des deutschen Nationalhelden. Der alte Schlager "Oh, Michael, du bist der Mann..." ist wieder modern.

Günther Röska, Leipzig


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Die Haltung von gewählten Abgeordneten des Potsdamer Landtags, auch der Fraktion "Die Linke" und deren Landesvorstand, in der "Stasi"-Debatte hat jegliche politische Streitkultur vermissen lassen. In einer MDR-Sendung wäre Axel Henschke am liebsten auf allen vieren mit heraushängender Zunge zu Kreuze gekrochen. Der "Unrechtsstaat" DDR und der "Stalinismus" wären schuld an seiner IM-Tätigkeit, erklärte er dort. Welche Mischung aus Schwachsinn und politischer Feigheit! Einst in der DDR angesehene Funktionäre (auch Gerlinde Stobrawa) lassen die Köpfe hängen und bereuen alles.

Findet nicht heute in der BRD eine Rundumüberwachung sämtlicher Bürger durch Geheimdienste und Konzerne statt? Zur politischen Streitkultur gehört auch Bekennermut und Angriff, nicht nur Verteidigung.

Erhard Richter, Berlin


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Der "RotFuchs" ist einer der wenigen Leuchttürme, welche Suchenden und Verirrten Orientierung und Zuversicht geben. Laßt Euer Licht in der Dunkelheit der gesellschaftlichen Gegenwart weiter hell leuchten!

Herbert Kierstein, Bestensee


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Ein Freund von mir war bei seinen Eltern in Brandenburg und hat mir von dort den "RotFuchs" mitgebracht. Als Westberliner habe ich natürlich nur die Geschichten über die böse DDR gehört und war auch heftig indoktriniert. Nun habe ich mir im Laufe der letzten zwei Jahre ein eigenes neues Bild gemacht, unendlich viel gelesen und recherchiert. Viele im RF angebotene Argumente finde ich sehr nachvollziehbar, anderes regt zum Nachdenken an. Deshalb möchte ich die Zeitschrift bestellen.

Andreas Steike, Berlin


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Mit großem Interesse las ich im RF-Oktoberheft 2009 den Artikel von Hildegard Sachse (Erzieher oder Aufpasser?). Hinter jedem Satz, jedem Gedanken, wunderbar klar und treffend formuliert, werden die Vorschulpädagogen stehen, die wie ich für alle Kinder, deren Eltern es wünschten, täglich vorschulische Bildung und Erziehung durch ihre bewußte Arbeit sicherten. Nie ging es darum, die "Rechte" privilegierter Schichten zu sichern.

Gutsituierte Kreise haben heute sehr wohl erkannt, welche bedeutsamen Entwicklungspotenzen in den ersten Lebensjahren eines Menschen liegen. Kostspielige Modelle sichern Bedürfnisse dieser Eltern. Alle Bemühungen zielen auf Privilegierung und Anschluß an Privat- oder Eliteschulen.

Voller Stolz konnte ich 40 Jahre in der DDR für alle Vorschulkinder und deren Mütter arbeiten.

Ursula Fischer, Strausberg


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Ich gehöre zu den Alten. 1936 geboren, habe ich in der KVP sowie in der NVA von 1954 bis 1986 gedient. Beim Fackelzug im Oktober 1949 jubelte auch ich der gerade gegründeten DDR zu. Später bildete ich junge Männer militärisch aus und griff schließlich zum Kugelschreiber, um über jene zu berichten, die sich plagten, das Notwendige zu erlernen, um den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden schützen zu können. Als Offizier und Militärjournalist in der NVA habe ich 32 Jahre an einer Alternative zum Krieg mitgewirkt, an einem Entwurf für ein großartiges Gesellschaftsgemälde. Schmerz erfüllte mich wie Millionen andere, daß man im kleinen Land mit der Zeit so vieles vermasselt hatte. Eine ganze geschichtliche Periode, ein Startversuch in ein menschenwürdigeres Dasein, stürzte auch durch eigenes Unvermögen ab. Auf lange Zeit wurden die Chancen unwiderruflich verspielt. Dabei hatten diese anfangs nicht schlecht gestanden.

Oberstleutnant a. D. Harry Popow, Schöneiche


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Hier soll von einer US-Soziologin berichtet werden, die sich mehrere Monate im Umfeld unseres heldenstädtischen Erwerbslosenzentrums aufhielt und zahlreiche Betroffene befragte. Auch ich erhielt die Möglichkeit eines Vier-Augen-Gesprächs. Dabei beantwortete ich viele Fragen und wollte abschließend selbst wissen: "Wie schätzen Sie eigentlich Ihre Medien ein?" Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: "Es sind die schlechtesten der Welt. Kopflastige Seichtunterhaltung."

Wenn dem so ist, dann sind die deutschen Medien "nur" die mäßigsten in Europa. Auch hier stehen Banalitäten en masse und schönfärberische Lageentstellung im Vordergrund.

Joachim Spitzner, Leipzig


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Peter Franz hat einen sehr informativen Beitrag geschrieben. Eine winzige Korrektur: Hans und Sophie Scholl waren beide evangelisch-lutherischen Glaubens, also nicht katholisch.

Dr. Peter Fisch, Dresden


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Am 29. April 1945 wurden wir auf dem Treck von Pommern auf einem Gutshof kurz vor der Stadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern durch die Front eingeholt. Die ersten Worte, die uns der sowjetische Kommandant entgegenrief - wir waren alle mit erhobenen Armen und einem weißen Stoff-Fetzen in der Hand aus den Kellerräumen ins Freie getreten - lauteten: "Der Krieg ist für Sie aus. Nehmen Sie die Arme herunter, und gehen Sie morgen Ihrer gewohnten Arbeit nach, denn das verlangt das Leben von Ihnen!" Als wir sechs Kinder mit unserem Vater und unserer Tante vor dem Kommandanten standen, nahm er spontan meine dreijährige Schwester Marianne auf den Arm und gab ihr eine Zichorienstange in die Hand.

Wenn ich das Ehrenmal für die gefallenen Sowjetsoldaten in Berlin-Treptow gedanklich vor mir sehe, erkenne ich den Kommandanten mit Marianne auf dem Arm, als wenn sie beide Modell gestanden hätten.

Ernst Gallert, Rudolstadt


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Vielen Dank für die Veröffentlichung meines Artikels über das Prager-Haus als RF-Extra. Leider ist die Bildunterschrift nicht exakt. Das Haus ist bei weitem noch nicht fertig. Wir sind gerade einmal Eigentümer geworden und stellen erste Anträge auf staatliche Fördermittel zur Sanierung. Deshalb müßte die Bildunterschrift richtigerweise lauten: Einweihung der Gedenktafel am Prager-Haus. (Sie erfolgte bereits 1988.)

Peter Franz, Weimar


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Meine Frau ist eine gebürtige Moskauerin. Ihr fiel beim neuen RF-Kalender gleich auf: Lenin wurde nicht geboren, sondern ist nur gestorben.

"RotFuchs"-Fan Peter Müller, Freital


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Der Januar-RF war wie immer eine faktenreiche Fahrt durch unsere Geschichte. mit Zeitzeugen, welche von dem schreiben, was sie erlebten und sich aneignen konnten. Generalmajor a. D. Ölschläger machte darauf aufmerksam, daß der erste Mann im Staate BRD nicht erst bei seinem jüngsten Auftritt in der Heldenstadt absichtsvoll die Unwahrheit zu DDR und SED gesagt hat. Bis zum Januar 1962 stärkten junge DDR-Bürger die bewaffneten Organe ohne allgemeine Wehrpflicht. Zu jenen, welche dem FDJ-Aufgebot im Frühjahr 1952 folgten, gehörten auch mehr als 20 Jungen und Mädchen der FDJ-Grundorganisation "Heinrich Heine" in Berlin-Friedrichshain. Sechs Jahre versah ich meinen Dienst in der Transportpolizei, der ich zugewiesen wurde, bevor ich meinen Beruf als Feinmechaniker wieder aufnahm und später ein Fernstudium in Jena begann.

Herbert Rubisch, Berlin


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Zum Beitrag von Dr. Ing. Helmut Kinne "Unvergessener Alfred Neumann" im RF Nr. 144 möchte ich ergänzend bemerken, daß "Ali" einen auf Initiative Erich Honeckers verfaßten Brief des Politbüros der SED an die KPdSU-Führung in Moskau als einziger nicht unterschrieben hat. In Ihm wurde die Ablösung Walter Ulbrichts gefordert.

Gerhard Frank, Riesa


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Ich bin zwar erst seit kurzem "RotFuchs"-Leser, weiß aber nun, was ich all die Jahre zuvor versäumt und vermißt habe! Seit Oktober 2009 schlägt mein altes Herz noch ein bißchen schneller links.

Horst Körmann, Neubrandenburg


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Ein Gespenst geht um in Europa und der ganzen Welt: Es ist das Gespenst der pathologischen Gier nach Reichtum und Macht einerseits und der Krise, des Bankrotts und der Vernichtung andererseits. Sozialismus und Kommunismus sind keine Gespenster, sondern Tochter und Sohn des Kapitalismus. Er hat sie selbst zur Welt gebracht und seit den Tagen ihrer Geburt verstoßen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Jochen Singer, Leipzig


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Zu Walter Ruges Artikel "Nachdenken über Rosa" und den darauf folgenden Zuschriften: Es geht mir um die Fledderei zu Rosas Randbemerkungen über "die Freiheit Andersdenkender". Dieses Zitat wird immer wieder aus dem Zusammenhang von Rosas Auseinandersetzung mit Äußerungen Lenins und Trotzkis zu Meinungen, Mitteln und Methoden konträrer Wirkungsweisen der Sowjets und der Bolschewiki gerissen. Dabei geht es selbstredend nie um bürgerliches Verständnis von Freiheit und Demokratie, sondern immer um deren Definition im Sinne der Diktatur des Proletariats.

Wer das absichtlich oder unbewußt außer acht läßt, hat Rosas Aussage nicht verstanden oder mißbraucht sie. Das haben Wollenberger-Lengsfeld und Konsorten während der seinerzeitigen LL-Demo getan, indem sie Rosa für ihre antikommunistischen Aufzüge und Hetzreden zum Schaden der DDR benutzten. Geschichtsklitterer aller Art tun das heute nach wie vor.

Schlimm daran ist, daß eine sich sozialistisch nennende Tageszeitung und gewisse Führer einer Partei, die sich mit der SPD perspektivisch vereinigen wollen, in dieser Brühe mitschwimmen.

Siegfried Wunderlich, Plauen


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Die Vorsitzende der Evangelischen Synode, Grünen-Politikerin, Pfarrersgattin und Vizepräsidentin des Bundestages, Frau Göring-Eckardt, fordert Schuldeingeständnisse von Leitungskadern der SED. Zur Gruppe der "Täter" hätten "nicht nur Stasi-Spitzel, sondern auch SED-Funktionäre" gehört, die "ja auch vielen Menschen geschadet haben", verkündete sie im Radiosender MDRInfo. Offensichtlich bemerken die Medienmacher, daß die "Stasi"-Keule nicht mehr so richtig zieht. So erschließt sich die heutige Nomenklatura ein neues Kampffeld, um noch mehr DDR-Bürger stigmatisieren zu können. Aber, ist es denn neu? Verantwortungsträger der SED werden, von Verrätern und Wendehälsen abgesehen, seit 20 Jahren kriminalisiert.

Wer ist nun ein "Täter" im Sinne von Frau Göring-Eckardt? Nach meiner Kenntnis gilt auch im bundesdeutschen Recht die Unschuldsvermutung, bis eine strafbare Tat zweifelsfrei nachgewiesen worden ist und der dafür Verantwortliche rechtskräftig verurteilt wurde.

Die Gleichung der Frau Bundestagsvizepräsidentin aber lautet ganz anders: MfS + SED = Täter. Wie wird diese Hetzjagd im 20. Jahr des Anschlusses der DDR an die BRD weitergehen? Man wird die SED-Mitglieder, die als Arbeiter und Genossenschaftsbauern oder in anderen Bereichen ehrlicher Beschäftigung nachgingen, als Täter identifizieren und diffamieren. Nach den Genossen und FDJlern werden wahrscheinlich dann die seinerzeitigen Jung- und Thälmannpioniere der DDR an die Reihe kommen.

Noch ein Satz an Frau Göring-Eckardt. Als Vizepräsidentin des Bundestages sollten Sie mit dem Täterbegriff differenzierter umgehen und als Synodalpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland, so es ihre knapp bemessene Zeit erlaubt, sich mal an die zehn Gebote erinnern.

Wilfried Steinfath, Berlin


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Mit penetranter Regelmäßigkeit veröffentlichen die Birthler-Behörde und deren Außenstellen die jeweils neuesten Zahlen derer, die Einsicht in ihre angeblich vom MfS angelegten Vorgänge nehmen wollen. Diese Zahlen besitzen jedoch keine Aussagekraft, um die Arbeitsweise des MfS sachlich bewerten zu können. Viel interessanter ist zu erfahren, bei wie vielen Antragstellern auf Akteneinsicht überhaupt Vorgänge angelegt und archiviert worden sind. Eine Gegenüberstellung dieser Zahlen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben, daß es sich bei der "flächendeckenden Überwachung" der DDR-Bürger, die weder technisch noch logistisch realisierbar war, um ein Märchen handelt. Solche Vergleiche werden aber bewußt unterlassen, weil man den Eindruck Antragsteller = Vorgang suggerieren will. Ohne Zweifel befindet sich unter den bei der Birthler-Behörde vorstellig werdenden Menschen eine nicht unerhebliche Anzahl, die Akteneinsicht aus reiner Sensationsgier anstrebt, zumal die Arbeit von Nachrichtendiensten seit jeher vom Hauch des Geheimnisvollen umwittert ist.

Um deutlich zu machen, wie "furchtbar" das Leben in der DDR gewesen sein soll, gab Pfarrer Gauck zum besten: "Ich kenne Leute, die wachen noch heute nachts auf und meinen, in der DDR zu sein."

Dem entgegne ich: Eine wachsende Zahl früherer DDR-Bürger stellt sich inzwischen eine ganz andere Frage. Sie lautet: Was habe ich verbrochen, daß ich seit 1989 unfreiwillig in der BRD leben muß?

Gottfried Fleischhammer, Leipzig

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010