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ROTFUCHS/147: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 193 - Februar 2014


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 193, Februar 2014



Inhalt

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Viel Feind, viel Ehr?

Zu DDR-Zeiten kursierten nicht wenige politische Witze, an deren Pointiertheit sich Nichtgenossen wie Genossen gleichermaßen rieben und erfreuten, zumal sie oftmals in tatsächliche Schwachstellen stachen. Auch dieser "Joke" machte damals die Runde: Ein Liebespaar sitzt am Ostseestrand und blickt auf den Horizont, an dem gerade die Sonne versinkt. Statt sie zu küssen, sagt er: "Blutrot wie unsere Fahne!"

Die kleine Satire hat einen tieferen Sinn. Sie soll uns sagen: Übertreibt es nicht! Laßt die Kirche im Dorf! Bekennermut, hohe Motiviertheit und leidenschaftliches Engagement für die gute Sache vertragen sich allemal mit Gelassenheit, Verzicht auf ein Übermaß an Superlativen und der Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen.

Dabei sind ja die Fronten klar, wissen wir doch sehr genau um die Unterschiede im Dialog mit Freund und Feind. Der Klassenkampf ist keineswegs eine Erfindung von Marx, Engels und Lenin oder anderer "verbohrter Kommunisten", sondern seit dem Beginn der Klassengesellschaft eine objektive Realität, die niemand wegretuschieren kann. Die fundamentale Erkenntnis, daß Barrikaden stets zwei Seiten haben, müssen Marxisten mit kühlem Kopf, weitem Blick und einem großen Herzen verinnerlichen. Das soll auch jenen gehören, die noch nicht den Stand ihrer Erkenntnis erreicht haben oder - obwohl aus den eigenen Klassenreihen - gar nicht auf diesen emporgehoben werden können.

Linke, die nicht begreifen, daß die Erdbevölkerung ganz überwiegend nicht aus Kommunisten und Sozialisten besteht, Revolution mit drei R schreiben und sich der Tatsache verschließen, daß zu unabdingbarer Prinzipienfestigkeit auch ein hohes Maß an Toleranz sowie ein Nerv für anständige Andersdenkende gehören, haben schon verloren, bevor sie auch nur in den Kampf gezogen sind.

Die alte kaiserlich-deutsche Parole "Viel Feind, viel Ehr" ist nicht die unsere. Dabei wissen wir sehr genau, daß wir stets von Feinden umgeben sind, die auf der ganzen Tastatur ihres klassenbedingten Hasses spielen, der sich gegen all jene richtet, die ihnen in die Karten zu schauen vermögen oder auch nur aus der Reihe tanzen.

Seinen Aufstieg zur am meisten verbreiteten, auflagenstärksten marxistischen Monatsschrift in deutscher Sprache verdankt der "RotFuchs" nicht zuletzt der Tatsache, daß seine Macher kein Süppchen nur für Feinschmecker kochen, sondern auch viele erreichen wollen, die Sektierer niemals in ihr Boot holen würden. Nicht zuletzt befinden sich im Autorenkreis des RF ein SPD-Genosse aus Bayern und ein evangelisch-lutherischer Theologe aus Thüringen. Wir sind sehr froh über die Bereitschaft solcher Weggefährten, am gemeinsamen Strick zu ziehen.

"Ich danke Dir für Deine ehrliche Toleranz gegenüber einem Mitglied der NDPD Bolzscher Gesinnung und katholischen Glaubens", schrieb Dr. Wilfried Meißner aus Chemnitz an den RF-Chefredakteur.

Wir alle stehen für unveräußerliche humanistische Ideale und Ideen, die Marxisten unter uns zu jener Weltanschauung, für die schon 1848 mit dem Kommunistischen Manifest der Grundstein gelegt wurde. Unsere früh getroffene Entscheidung, den "RotFuchs" als Tribüne für in Deutschland lebende Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch erscheinen zu lassen, trug der Tatsache Rechnung, daß die Mehrheit standhaft gebliebener Linker - zumindest im Osten - derzeit politisch gar nicht organisiert ist. Inzwischen reicht diese Bandbreite nicht mehr aus, da weitere antifaschistisch-demokratische Kräfte zu uns gestoßen sind.

Übrigens trügt die Vorstellung, junge und jüngere Menschen fänden nicht zu uns. Sicher besuchen nicht allzu viele von ihnen Versammlungen der Alten und mögen auch nicht unbedingt Gedrucktes. Doch wer sind eigentlich jene 35.000, welche schon am ersten Tag anklicken, wenn die Homepage mit dem aktuellen RF im Internet erscheint? Lauter Greise?

Wir stehen weder für dogmatisches Ghettodenken noch für opportunistisches Alles und Nichts, sind aber für großzügiges Reagieren im Hinblick auf zeitweilig "abhanden gekommene" Genossen. In der keineswegs vom Himmel gefallenen konterrevolutionären Zeit, die Ende 1989 für die DDR-Bürger anbrach, verloren auch viele bis dahin treue Mitstreiter vorübergehend die Orientierung. Während karrieresüchtige Glücksritter sofort die Fronten wechselten, nahmen die kampflose Preisgabe und der Verlust des schwer Errungenen, nicht zuletzt aber auch Enttäuschung über das Versagen eigener so manchen von ihnen den klaren Blick. Etliche kehrten später in unsere Reihen zurück - sie fanden den Weg auch dank des RF, der ihnen zur politischen Heimat wurde. Dabei haben unsere Prinzipien und Verhaltensnormen untereinander wie im Umgang mit Außenstehenden gewiß eine Rolle gespielt: Sich niemals über andere erheben, aber auch keine Unterwürfigkeit bekunden; immer das sagen, was man denkt, nicht aber das, was andere gerne hören möchten; das eigene Licht nicht unter den Scheffel stellen, die vorhandenen Potenzen aber ebensowenig unter dem Vergrößerungsglas betrachten; Kompliziertes so sagen, daß es jeder versteht, ohne dabei in sprachlichen Primitivismus zu verfallen; soziale Prozesse weder antreiben wollen noch hinter den Ereignissen hertraben.

Dieser Tage rief mich ein russischer Genosse und langjähriger Leser des RF aus Moskau an. Dort erfahre dieser nicht wenig Resonanz. Enkel eines schon 1904 in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands eingetretenen Veteranen und Sohn eines Generals der Sowjetarmee, erinnerte er mich an die Lage nach der niedergeschlagenen russischen Revolution von 1905. Der Sieg der konterrevolutionären Soldateska des Zaren habe auch die Reihen der Bolschewiki gelichtet. Doch schon kurz nach der Jahrhundertwende seien viele Revolutionäre von der damals Leninschen "Iskra" mit unverzichtbaren Erkenntnissen und Visionen ausgerüstet worden, die sich in schwerer Zeit bewährten. Da gebe es durchaus Parallelen ...

Klaus Steiniger

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Grüße aus Bayern

Ein Trio in Grafenwöhr

Welche Möglichkeiten es im "Reich des Bösen", wie US-Präsident Ronald Reagan einst die sozialistischen Staaten genannt hat, tatsächlich gab, wird mir immer klarer: Auf was für Propaganda-Lügen sind wir im Westen nur hereingefallen! Euch in der DDR standen viele Türen offen. Ihr konntet Berufe erlernen und ausüben, hattet ein intensives und interessantes Arbeitsleben, während in der ach so demokratischen Gesellschaft des Westens alles nur mit Geld funktioniert. Was ich damit sagen will: Freiheit und Demokratie waren in der DDR wesentlich höher entwickelt als in der BRD. Doch die Berichterstattung und Interpretation unserer Medien stellte die Dinge auf den Kopf. Die reinste Geschichtsfälschung war angesagt.

Meine aus der Slowakei stammende Frau Viera und mein 1949 geborener rußlanddeutscher Freund Wladimir Justus bestätigen nach jeder Lektüre die Richtigkeit der im "RotFuchs" getroffenen Feststellungen. Wenn Wladimir nur die Begriffe Glasnost und Perestroika hört, schießen ihm sofort die Namen der Verräter in den Kopf: Gorbatschow, Jakowlew, Schewardnadse und Jelzin, die nicht zuletzt durch das Schüren nationalistischen Haders die Sowjetunion zu Fall gebracht haben. Wenn wir miteinander diskutieren - Wladimir ist in unserem Ortsverband der Partei Die Linke, deren Kommunistischer Plattform wir alle drei angehören, mein Stellvertreter - bezieht er einen Standpunkt, den er durch mich so mitteilen möchte:

Wer vorurteilsfrei an die Dinge herangehe und die jetzt in seiner einstigen Heimat eingetretene Lage nüchtern bewerte, gestern und heute vergleiche, der müsse sagen: An die Stelle des schöpferischen Aufbaus zu sowjetischen Zeiten ist auf wirtschaftlichem Gebiet ein drastischer Produktionsabfall in Stadt und Land getreten. Die Industrie wird immer mehr auf einen primitiven, ausschließlich rohstoffgewinnenden Sektor reduziert. Ganze Wirtschaftszweige sind verschwunden: der Maschinenbau, die Elektronik, die Werkzeugindustrie, der Gerätebau, die Bodenverbesserung durch Fruchtfolgen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Landwirtschaft steht kurz vor dem Ruin. Die Unabhängigkeit in der Lebensmittelbereitstellung gehe verloren. Soweit Wladimir.

Zur Erläuterung: Mein Freund war Hauptmann der sowjetischen Grenztruppen, ist auch heute noch oft in der ehemaligen UdSSR unterwegs. So weiß er, wovon er spricht. Fast alle Sowjetrepubliken hätten sich - berichtet er - in Länder der dritten Welt verwandelt. Heute stammten bereits 40 bis 50 Prozent der in der einstigen UdSSR verbrauchten Lebensmittel aus Importen.

Die ökonomische Ursache der Krise liege im Lande selbst, nämlich im privatkapitalistischen Eigentum, in der Militarisierung der russischen Industrie und der planlosen Wirtschaftsführung. Seit 2010 habe die Bevölkerung jährlich um 800.000 Menschen abgenommen. Millionen seien ohne Arbeit und Auskommen. Die Gesellschaft befinde sich in einem moralischen Verfall. Die Zahl der Hungernden, Obdach- und Arbeitslosen sei inzwischen Legion. An die Stelle der Einheit von Patriotismus und proletarischem Internationalismus, von Kollektivgeist, Ehrgefühl und Gerechtigkeitssinn seien der Bereicherungskult und die Vergötterung des Besitzes bei gleichzeitiger Verachtung von Armut und horrendem Alkoholismus getreten. Das die Zeiten und Generationen verknüpfende Band drohe zu zerreißen.

Zusammenfassend möchten wir dem "RotFuchs" von ganzem Herzen wünschen, daß seine Artikel die Zeiten überdauern, damit die heutige Geschichtsfälschung eines Tages auch mit seiner Hilfe korrigiert werden kann.

Euer Kampf ist bewundernswert. Wir wünschen Euch Kraft!

Herzliche sozialistische Grüße auch im Namen von Viera und Wladimir!

Hannes Färber, Stadtrat der Partei Die Linke, Grafenwöhr

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Neue Ostberliner Freunde

Im Dezember-RF des Jahres 2012 wurde mein kleiner Leserbrief, in dem ich die Frage stellte, warum der NDR im Kinderprogramm 22 Jahre nach der "Wiedervereinigung" Zuschauern im Alter von 7 bis 13 ein so "schlimmes Bild über die DDR" vermittele, abgedruckt. Im Januar 2013 rief mich daraufhin ein "RotFuchs"-Leser aus Ostberlin an. Er erklärte mir das WARUM und versprach, mir weiteres Material zukommen zu lassen. So entstand ein Kontakt zu dieser Ostberliner Familie. Wir telefonieren wöchentlich mehrmals, tauschen rege Informationen zur DDR-Geschichte, aber auch über die Zeit nach der "Wende", aus. Im Laufe der Monate unseres freundlichen Kontakts entwickelte sich ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu unseren neugewonnenen Freunden. Höhepunkt war ein Besuch in Ostberlin. Die Freunde organisierten für uns ein Quartier. Meine Frau und ich verbrachten fünf wunderschöne Tage in Ostberlin.

Wir waren in der Vergangenheit schon dreimal mit niederbayerischen Reiseunternehmen in Berlin gewesen. Bei deren Stadtführungen wurde uns niemals Wichtiges aus DDR-Zeiten gezeigt. Unsere Ostberliner Freunde führten uns jedoch zu Orten, von denen wir noch nie etwas gehört hatten: zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde, dem jüdischen Friedhof in Weißensee, der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, der Gedenktafel am einstigen Sitz des ZK der KPD in der Rosenthaler Straße und zum sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park.

Wäre ich im Sommer 2012 nicht zufällig auf die Homepage des RF gestoßen, hätten wir nie so wunderbare und liebevolle Menschen im Osten Berlins kennengelernt. Unser Wissen über die DDR wäre sicher noch von der BRD-Propaganda geprägt. Dank des "RotFuchs" und unserer lieben Ostberliner Freunde, die mit viel Geduld alle ihnen gestellten Fragen beantworten, ist es uns gelungen, die von der Alt-BRD betriebene Hetze gegen die DDR zu entzaubern.

Hier in Niederbayern finde ich keine Menschen, die meine Fragen beantworten würden oder könnten. Meistens kommt die Gegenfrage: "Warum bist du denn nicht nach drüben gegangen?"

Johann Weber, Ruhstorf

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Sie sagen Stalinismus und meinen Leninismus

Auch Marx im Visier

Die Begriffe Stalinismus, Diktatur, Terror, Gewalt, Unfreiheit und Unrechtsstaat werden unablässig in den Vordergrund gerückt und mit dem Sozialismus gleichgesetzt. Interessierte Kreise schufen bewußt ein wildes Durcheinander bei Attributen wie links, linksradikal, kommunistisch, sozialistisch oder totalitär. Eine wahre Renaissance erlebt einmal mehr die Debatte um den Begriff "Stalinismus". Dabei scheint es so, daß Persönlichkeiten wie Stalin in der derzeit "populären" Geschichtsschreibung generell eine größere Rolle zugemessen wird als Lenin, der die Bolschewiki in die Oktoberrevolution führte. Eine Schrift nach der anderen kommt über Stalin heraus, weit weniger über Lenin.

In der deutschen Politik und Geschichtsschreibung ist der Begriff "Stalinismus" seit dem Anschluß der DDR an die BRD zu einem der am häufigsten gebrauchten Schlagworte geworden. Ursprünglich bezog er sich ausschließlich auf die Sowjetunion und den Machtmißbrauch durch und unter Stalin sowie das von ihm und anderen geprägte zentralistische Sozialismus-Modell. Inzwischen wird er immer stärker von den Gegnern des Sozialismus zur Diffamierung aller linken Bestrebungen unter bewußter Verdrehung und Verwässerung exakter Termini mißbraucht, um das angeblich undemokratische, ja sogar verbrecherische Wesen des Kommunismus darzustellen. Besonders beliebt ist es, Lenin als Ausgangspunkt oder Verursacher des "Stalinismus" vorzuführen.

Der Dokumentarfilm "Stalins Tod", den die ARD im Rahmen ihrer Rubrik "Geschichte im Ersten" anläßlich der 60. Wiederkehr des Ablebens des langjährigen Führers der Sowjetunion präsentierte, paßte sehr gut in den Sensationsjournalismus unserer Tage. Nicht jedem wird übrigens eine solche "Ehre" zuteil. Stalins Part kommt manchen im Kontext der "Aufarbeitung" der Geschichte der DDR sehr zupaß. Mit ihm läßt sich die Idee des Sozialismus/Kommunismus besonders wirkungsvoll verunglimpfen. Stalin erscheint in dem erwähnten Film auf seltsame Weise von den historischen Ereignissen abgekoppelt. Die Sensation, auf seiner Datsche, wo er auch gestorben ist, gedreht zu haben und die Aussagen von Zeitzeugen, eines Doubles und des Sohnes von Chruschtschow stehen im Vordergrund. Vermittelt wird, daß Stalin groß gewesen sei, weil er den Zweiten Weltkrieg gewonnen und sein Land zur Weltmacht geführt habe. Vor allem aber, weil man ihn als einen großen sozialistischen Diktator betrachten müsse. Das paßt hervorragend in die Unrechtsstaatsdiskussion über den Sozialismus.

Durch den oftmaligen Vergleich Stalins und Hitlers wird unterstellt, der Sozialismus sei ebenso verbrecherisch wie der deutsche Faschismus gewesen. Das ist eine bestimmte Art von Geschichtsschreibung, welche die Stalin zugeordneten Verbrechen bei der Betrachtung des Sozialismus in den Mittelpunkt stellt.

Diese Kanonade wird auch von "Reformern" - zuerst in der PDS, nun in der Partei Die Linke - gegen die nach ihrer Meinung noch nicht in der BRD Angekommenen oder "in Linientreue" zur Sowjetunion und zur DDR verharrenden Genossen gerichtet. Sie werden nicht nur als Stalinisten, sondern nunmehr sogar als Leninisten etikettiert, was eine Verunglimpfung sein soll. Dabei treffen sich eigentlich konträre Tendenzen - konservative Rechte und "linke Reformer". Inzwischen gibt es nämlich eine starke Annäherung, wenn nicht sogar Übereinstimmung beider Positionen. Da fragt man sich, was daran noch "links" sein soll.

Während Jörg Baberowski in seinem vom Beck Verlag herausgebrachten Buch "Verbrannte Erde" die Darstellung des "Stalinismus" bei den Bolschewiki - in dürftiger Kürze - beginnt und über Lenin wie die Oktoberrevolution nahezu hinweggeht, gibt es dort keine einzige Literaturangabe zu ihm. Noch deutlicher ist das in Wolfgang Ruges "Lenin - Vorgänger Stalins. Eine politische Biographie", wobei bereits der Titel den ganzen Inhalt verrät. Da ist von der angeblichen Realitätsferne und dem "Wunschdenken eines Mannes, der nur über höchst unvollkommene Kenntnisse in der Staatsführung, in der Wirtschaftsorganisation und in der Verwaltungstechnik verfügt", die Rede. Michael Brie, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, schloß sich dem in seinen neuesten Ergüssen an. Er ging sogar noch weiter, indem er den "Stalinismus" ganz ausließ und erklärte: "Als ich gebeten wurde, zum Thema 'Bruch mit dem Stalinismus als System' zu sprechen, habe ich vorgeschlagen, den Terminus Stalinismus durch Leninismus zu ersetzen." Nach seiner Auffassung sei "eine sozialistische Demokratie ... nur möglich, wenn auch der Sozialismus eine plurale Eigentumsgrundlage erhält. Lebensfähig kann er nur sein, wenn er nicht nur eine freie Assoziation der Individuen, sondern eine Assoziation von wirtschaftlichen Unternehmungen ist, die wirtschaftsdemokratisch kontrolliert werden."

Hatten wir das nicht schon? Das Ganze erinnert an Gorbatschow. Brie ist sich nicht zu schade, an diesen, der inzwischen sogar von seinen imperialistischen Fürsprechern in den Schatten gedrängt wurde, und dessen Glasnost anzuknüpfen, welche die Sowjetunion zum Untergang und Rußland an den Rand des Ruins gebracht hat.

Zu solchen Schlüssen kann man nur kommen, wenn man Demokratie vom eigentlichen Ziel - dem Sozialismus - loslöst und allein vom bürgerlichen Demokratiebegriff ausgeht. Was meint Brie eigentlich bei all dem? "Es gibt ... kein Zurück zu Marx und Luxemburg, sondern nur ein Vorwärts zu einem Sozialismus oder Luxemburgismus 2.0." Kein Zurück zu Luxemburg, aber vorwärts zum Luxemburgismus? Brie weiß, was das heißt: "Die Geschichte der Linken kann neu begonnen werden. Es wird auf jeden Fall eine völlig neue Geschichte." Welche Vermessenheit!

Wichtige Ereignisse, Perioden von Bedeutung haben stets ihre Spuren hinterlassen. Die DDR war ein solcher bemerkenswerter historischer Vorstoß, der am Ende zwar fehlschlug, aber tiefe Spuren gegraben hat. Das Allerwichtigste: Sie und ihre Bruderstaaten haben bewiesen, daß der Sozialismus funktionieren kann, daß es geht. Man muß nur den Fernseher einschalten, dann wird man ohne Unterlaß an die DDR, häufig zur gleichen Zeit auf verschiedenen Kanälen, erinnert. Statt entnervt abzuschalten, bricht sich bei vielen ein befreiendes Lachen Bahn: Die können ohne uns nicht auskommen! "Brie ist offenkundig angesichts der vielgestaltigen Marx-Renaissance unserer Tage zutiefst beunruhigt", schrieb Götz Dieckmann dazu in seinem höchst lesenswerten Beitrag, den der "RF" im August 2013 brachte.

Siegrid Baumann, Seegebiet Mansfelder Land

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Wie man Springers Konzernchef für Linke salonfähig machen wollte

Trauerspiel im Deutschen Theater

Gregor Gysi - die Nr. 1 der Linkspartei für Talkshows und Parlamentstribünen - hat seine Fans schon so einige Male in Schwierigkeiten gebracht. Man denke nur an sein frappierend volksnahes, vor allem Hartz-IV-Bezieher motivierendes Wahlplakat "Reichtum für alle!" oder auch an seinen auf eigene Initiative erfolgten zweistündigen Besuch beim Berliner US-Botschafter, von dem die staunende Welt nur dadurch etwas erfuhr, daß die Enthüllungsplattform Wikileaks mit geheimen Depeschen unzähliger anderer Diplomaten an das State Department auch den Bericht seines Filialleiters an der Spree ins Internet stellte.

Wer glaubte, daß derlei nicht noch zu toppen wäre, unterlag einem Irrtum. Das Trauerspiel, das der Selbstinszenierer Mitte November 2013 auf der Bühne des Berliner Deutschen Theaters bot, stellte alles Bisherige weit in den Schatten. Gregor Gysi - er hatte schon im Dezember 1989 beim Sonderparteitag in der Dynamohalle den Designer des Revisionismus Eduard Bernstein, Lenin ersetzend, unter die ideologischen Väter der damaligen SED-PDS eingereiht - begrüßte an jenem Tag einen besonders illustren Gast. Sein Gegenüber beim "Small Talk", wie Briten und Amerikaner substanzloses Plaudern nennen, war kein anderer als der Springerkonzernchef Mathias Döpfner. Im Rahmen der Reihe "Gregor Gysi trifft Zeitgenossen" genoß der Einladende dessen Gegenwart.

Bei der Lektüre des nun Folgenden werden redliche Mitglieder der Linkspartei - und sie bilden deren übergroße Mehrheit - vermutlich den Atem anhalten. Denn tiefer kann man bei der Auswahl eines Gesprächspartners wohl kaum sinken.

Doch gemach: War Gysis Entscheidung für den obersten Springer-Mann bereits der Griff in eine äußerst anrüchige Kiste, so wurde dieser Vorgang durch die ND-"Würdigung" des makabren Geschehens aus der Feder von Hans-Dieter Schütt (hds) noch ins Maßlose gesteigert. Unter der Überschrift: "Teppichhändler und Schöngeist" ließ die "Sozialistische Tageszeitung" ihren pensionierten Alles-und-immer-Schreiber einmal mehr wortgewaltig aus dem vollen schöpfen. "Der Sinn dieser Gesprächsreihe ist Annäherung, der Kern der Befragungen liegt im Verständnis, das Resultat - so ganz sonntagsmorgengemäß - könnte Revision sein: der Vorurteile und Ressentiments", schrieb hds einleitend. Er verallgemeinerte sein Verständnis für die Wirksamkeit der täglich Millionen verabreichten Giftdosis aus vier großen Buchstaben, indem er "das Geschäft mit dem Niedersten" zum Allernormalsten erklärte. "Es stimmt ..., daß wir neugierig auf Klatsch und Tratsch sind, was Entspannung und Lust auf ungehemmte Primitivität einschließt, weil etwas nicht aus den Menschen herauszutreiben ist: die Gier nach dem Halbseidenen, dem Schlüpfrigen, dem Derben, dem Dolldreisten, dem Glitzer und der Gala, dem Bunten und dem Blöden." Mit dieser Sicht auf den Menschen - Maxim Gorki hatte bekanntlich eine absolut konträre Vorstellung von ihm - zeigt Schütt einmal mehr, wes Geistes Kind er ist. Er verdeutlicht zugleich, wen Gregor Gysi da im anderen Sessel hat Platz nehmen lassen.

Herr Döpfner, vom Jahrgang 1963 und seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer-AG, durch Schütt nicht ohne Wärme als "souveräner Schlaks aus Bonn" ins Spiel gebracht - erhielt noch ein anderes Zückerli zugesteckt. Es heiße, er sei "der Zögling der Springer-Witwe" gewesen, weil er blaue Augen habe und so gut Chopin spiele, goß auch Gysi Honig auf sein Gegenüber. Und Schütt, der als aufstiegsbewußter DDR-Karrierist auch einmal Chefredakteur der "Jungen Welt" war, überschlug sich geradezu: Man könne sich Döpfner als Chefredakteur gut vorstellen "so, wie ein Chefredakteur sein muß", liebkoste er verbal den Oberkanonier der Dreckschleuderbatterien des Hauses Springer.

Natürlich verteidige Döpfner den Konzern, enthüllte Schütt etwas völlig Neues. Er ließ seine Leser dann wissen: Günter Grass hätte - wie Gregor Gysi im DT - betont, der jetzige sei "von allen bisherigen Springer-Chefs der Libertärste". Und zu Döpfners "Wochenpost"-Karriere fügte der Toprenegat des ND allwissend hinzu, es habe sich dabei um ein Blatt gehandelt, "das zu DDR-Zeiten durchaus Subversivität ausstrahlte". Döpfner habe als dessen zeitweiliger Chef nach der Devise "Bewahren, beruhigen und befeuern" gehandelt.

Doch am Ende fanden Springers Konzernboß und Gregor Gysi, der einst in etwas Marxismus kurz und leicht gebadet wurde, sich inzwischen aber längst abgetrocknet hat, etwas enorm Verbindendes. Schütt kommentierte Döpfners Part in deren "kurzem Gespräch über den Sozialismus" folgendermaßen: "Daß man ihn als Vorstellung in Geist und Gemüt haben und halten" könne, betrachtet dieser als "natürliches Streben ... Eine gerechte Welt wollen wir alle." Doch das Wesen des Menschen ... Gysi habe bei dieser Gelegenheit "ein kleines Ungemach eingestanden". Das noch immer von nicht wenigen ehrlichen Linken für schweres Kaliber gehaltene ideologische Leichtgewicht habe darüber geklagt, "daß Linken das Boulevardeske überhaupt nicht gelingt. Die Militanz der Ernsthaftigkeit, die Verklemmtheit in Genüssen" stünden dem im Wege. "Zu vielem am Menschen" werde "nur funktionale Bedeutung fürs Weltverändernde beigemessen", meinte Gysi.

Der träume von einer "linken Boulevard-Zeitung", schrieb hds. Hatte er sich deshalb den Spezialisten von "Bild" auf die Bühne geholt? Diese "mediale Gattung" - so belehrte ihn Döpfner - könne "man wohl kaum in rechts oder links einteilen". Und ND-Autor Schütt ließ den Springer-Star "mit der entschiedenen Kühle des Strategen, der nicht nur wittert, sondern weiß", von der Zukunft des Zeitungsmachens "schwärmen".

"Wir werden einander nicht los, und dabei soll es bleiben", sagte Gysi, der sich sonst überall als Sozialist darstellt, am Ende des Plauderstündchens. Auch hier half Schütt: Er meine damit "die Medaille und deren Kehrseite".

Zwischen dem Appell des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels, keinen Meter Boden an den Klassenfeind abzutreten, und Lenins kühner Weitsicht auf der einen, dem Trauerspiel im Deutschen Theater auf der anderen Seite liegen Welten.

hds zeigte sich im Resümee seiner schmählichen Huldigung voll zufrieden: "Auftrag erfüllt: Verständnis, Annäherung. Im Schlußapplaus steht - sehr jungenhaft - ein Gewinner. Im Frieden mit seinem Geschäft: Auf weichen Teppichen, fernab des höheren Sinnes, wird auch der größte Schöngeist irgendwann müde."

Bedarf es noch eines weiteren Kommentars? Ich gebe auf.

Klaus Steiniger

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Bemerkungen des langjährigen DKP-Vorsitzenden Herbert Mies zu einem RF-Beitrag

"Nostalgisches" aus Mannheim

Kommunisten sollten Klaus Steiniger dafür dankbar sein, daß er mit seinem sehr anregenden Beitrag "Über Junge und Alte" im Dezember-"RotFuchs" einen wichtigen Aspekt unseres Kampfes thematisiert hat: das Verhältnis zwischen den Generationen. Obwohl er dabei in erster Linie die Situation auf dem Gebiet der einstigen DDR im Auge hat, regte er auch mich zum Nachdenken über die Entwicklung der Beziehungen älterer Kommunisten in Westdeutschland zu jüngeren und jungen Menschen an. Dabei geht es mir vor allem um die Frage eines entwickelten oder unterentwickelten gegenseitigen Vertrauens. Einen solchen Prozeß habe ich 70 Jahre lang mit Erfolgen und Defiziten im Westen der BRD mitgestaltend erlebt.

Uns allen muß klar sein: Eine junge Generation ist - was Erfahrungen und Erkenntnisse betrifft - nicht mit einer anderen gleichzusetzen. Wie ein Volk in seiner Gesamtheit differenziert betrachtet und bewertet werden muß, so gilt das auch für dessen Jugend. Als Kommunisten hatten wir vor allem jenen Teil junger Menschen im Auge, der - wenn oftmals auch nur vage - fortschrittlichen Ideen und Überlegungen gegenüber aufgeschlossen war. Schon bald nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus wandten wir uns mit der Losung, "Wir heißen Euch hoffen ..." an alle aufbauwilligen Jugendlichen, zu denen wir ja selbst gehörten. Deshalb sprachen wir damals von der "Aufbau-Generation". Ihr folgte in den 50er und 60er Jahren die "Ohne-uns-Generation", die sich der Wiederaufrüstung und dem erneuten Militärdienst für den deutschen Imperialismus verweigerte. Dann spielten linke und marxistische Gedanken unter Teilen der Jugend eine wachsende Rolle. Jetzt hatten wir es mit nicht wenigen jungen Westdeutschen zu tun, die sich mit großer Willenskraft zur Gesellschaftsveränderung bekannten. Für mich war das die "Aufbruch-Generation". Die jetzt die politische Arena betraten, waren junge Leute, welche ein politisches Kraftzentrum suchten, dem sie vertrauen konnten. Für den, der das nicht erkannte, fuhr der Zug ohne Kommunisten ab. Auch solches mußte ich erleben.

Doch in all diesen Etappen des Ringens um Bewußtseinsentwicklung waren wir stets um ein enges Vertrauensverhältnis zwischen den Generationen bemüht. Immerhin gelang es uns, mit der schlagkräftigen SDAJ und dem durchaus einflußreichen Marxistischen Studentenbund Spartakus (MSB), aber auch in vielfältigen Jugendbündnissen unser Wort zur Geltung zu bringen. Noch heute vermerke ich nicht ohne Genugtuung, daß ich es immer für falsch gehalten habe, das Verhältnis zwischen der DKP und jungen Menschen auf die These zu reduzieren, der Jugendverband sei die "Kampfreserve der Partei". Nein, das ist er nicht, sondern ihr jugendlicher Partner. Deshalb müssen die Beziehungen zwischen beiden auch partnerschaftlichen Charakter tragen. Ich jedenfalls habe es so gehalten. So war ich froh, daß die "Komsomolskaja Prawda" am Beginn der 70er Jahre über Meinungsäußerungen zu meiner These in einer Reihe kommunistischer Parteien und Jugendverbände zustimmend berichtete.

Aus einem angedachten Leserbrief zum RF-Leitartikel "Über Junge und Alte" ist nun ein kleiner "nostalgischer Beitrag" geworden. Ich kann mich dem Lob Georg Fülberths für den "RotFuchs" und Klaus Steiniger, das in Gestalt eines Leserbriefs ebenfalls im RF 191 erschien, nur anschließen.

Herbert Mies, Mannheim

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Als sechs Millionen Deutsche die KPD wählten

Bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 - unmittelbar vor der Machtauslieferung an die Hitlerfaschisten durch das deutsche Kapital und deren politische Sachwalter - wurde folgendes Ergebnis erzielt:

KPD
SPD
Zentrum
Bayerische Volkspartei
Deutschnationale
NSDAP
5.980.200 Stimmen
7.248.000 Stimmen
4.230.000 Stimmen
1.094.600 Stimmen
2.959.000 Stimmen
11.737.000 Stimmen
16,9 %
20,4 %
11,9 %
3,1 %
8,6 %
33,1 %
100 Abgeordnete
121 Abgeordnete
70 Abgeordnete
20 Abgeordnete
52 Abgeordnete
196 Abgeordnete

Den Rest der Stimmen erhielten Splitterparteien.

Die Nazis erlitten erhebliche Stimmenverluste, während jeder sechste Wahlberechtigte für die KPD votierte. Deren Vormarsch und der Abstieg der Nazis setzten sich bei den Kommunalwahlen am 13. November in Lübeck und Sachsen sowie am 4. Dezember in Thüringen fort.


Auf der Liste der DKP zu den Europawahlen im Mai steht übrigens auch der Name des RF-Chefredakteurs Dr. Klaus Steiniger.

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Statt verwaschener Formulierungen Klartext reden!

Erinnern an den Klassenfeind

Für Interessierte, die sich der Mühe unterziehen, dem Grundsatzprogramm der "Linken" nahekommen zu wollen, bleiben am Ende der Lektüre mehr Fragen als Antworten. Bereits das Diagonal-Lesen des Dokuments muß bei Marxisten und standhaft gebliebenen Sozialisten erhebliche Bedenken auslösen, dient doch das Mega-Papier kaum einer Kursnahme auf die Umwandlung der Gesellschaft in absehbarer Zeit.

Leider übernehmen vormalige Leisetreter und heutige Neo-Lobbyisten immer mehr das Ruder. Sie ziehen mit oftmals flotter, ja sogar unverschämter Zunge über die "böse DDR" her, ohne dabei notwendige Differenzierungen vorzunehmen. "Die Linke" - zumindest in Teilen - zieht als Programmfazit das wohl endgültige Verlassen elementarer und wissenschaftlich fundierter Positionen des Marxismus-Leninismus. Wie manche, die sich sonst vor SED und DDR wie der Teufel vor dem Weihwasser scheuen, kopieren sie dennoch recht genüßlich die Gabe gewisser Vorläufer, tatsächlich prägnante Aussagen des Programms in leere Worthülsen zu verwandeln. Wie in der DDR frage ich mich erneut, ob die Verfasser tatsächlich von solchem Sendungsbewußtsein erfüllt sind, sie lieferten einen wirksamen Beitrag zu fortschrittlichen Veränderungen der Gesellschaft. Lobenswerte Ausnahmen bilden dabei zweifellos die Stellung zu Kriegen und gewisse leider recht allgemein gehaltene Formulierungen zu sozialer Gerechtigkeit und Solidarität.

Ich möchte hinzufügen, daß etliche Abgeordnete der PDL in den Parlamenten aller Ebenen eine gute, oftmals sogar hervorragende Arbeit leisten, aber immer häufiger vor Fragen gestellt werden, die sich auf die praktische Realisierung einzelner Punkte des Grundsatzprogramms beziehen. Dieses Papier deutet leider nur visionär in eine ferne und undefinierbare Zukunft.

Eine seltene Chance, an weite Kreise der Bevölkerung heranzukommen, hätte wohl die Initiative zu einer bundesweiten Unterschriftenaktion für längst überfällige Wandlungen im Bankwesen geboten. Doch die PDL ließ nur unmaßgeblich Zorn und Protest über die Bankenmafia verlauten. Allein der Verweis darauf, man verkörpere in dieser Sache die "Guten" und "Gerechten", reicht einfach nicht aus.

Bestimmte Vorgänge haften demgegenüber in meinem Gedächtnis. Wie Gabi Zimmer, Roland Claus und Gregor Gysi bewiesen haben, müssen Linke nicht automatisch immer Standpunkte vertreten und Haltungen an den Tag legen, die tatsächlich links sind. Die eine stellt sich in Brüssel außenpolitisch ein Armutszeugnis aus, wird aber erneut als Top-Kandidatin ins Spiel gebracht, der andere war sich nicht zu schade, bei US-Präsident George W. Bush sein Bedauern über das korrekte Verhalten den Krieg verurteilender Abgeordneter der eigenen Partei zu bekunden, und der Dritte im Bunde will die DDR auf keinen Fall wiederhaben. Er plädiert seit dem Dezember 1989 für "dritte Wege". So etwas kann man nicht vergessen.

"Die Linke" vermag landesweit nur Profil zu gewinnen, wenn sie sich an die Spitze wirklich greifender Initiativen stellt. Ich meine dabei z. B. eine Unterschriftenaktion, die es der BRD-Bevölkerung ermöglichen würde, fortan durch Volksentscheide über legislative Vorhaben direkt zu befinden. Oder wenn sie eine Initiative einleiten würde, die darauf abzielt, das Leben aller bereits kurz- oder mittelfristig etwas erträglicher zu gestalten und die vielgepriesene soziale Gerechtigkeit nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Dadurch würde die PDL als praktischer Sachwalter einer solidarischen Gesellschaftsidee wirklich wahrgenommen, so daß sich andere Parteien im Wahlkampf nicht mit Forderungen "Made in PDS/PDL" schmücken könnten, deren ursprüngliche Herkunft viele Bundesbürger inzwischen vergessen haben. Nur durch den erneuten Zugriff auf solche eigenen Konzepte bestünde aus meiner Sicht die Möglichkeit, dem Erfurter Parteiprogramm wirkliches Leben einzuhauchen.

Fundamentale Fragen müssen jetzt, hier, europa- und weltweit gestellt und beantwortet werden: Wie wirkt sich die forcierte Automation in der Produktion des von Marx im "Kapital" nachgewiesenen Mehrwerts aus? Gibt es einen Gegenpol, um dem Börsenhandel mit de facto nicht existentem Geld Paroli zu bieten? Wie kann der Teufelskreis, der eine ständige Überproduktion verlangt, obwohl der Bedarf längst mehrfach gedeckt ist, zugunsten einer gerechten Verteilung und nachhaltigen Rohstoffverwendung unterbrochen werden? Wieso zahlt die Gesellschaft die Zeche für brachiale Stellenstreichungen bei Firmen, indem sie die Arbeitslosigkeit durch staatliche Kompensation finanziert, zugleich aber den Maximalprofit der Unternehmen nicht antastet?

Wenn uns politische Traumtänzer dauernd vorhalten, in der DDR hätten wir eine Diktatur gehabt, dann sollten wir darauf nicht mit der Antwort zögern: Ja, 1990 wechselten die Diktaturen. Erst gab es die Diktatur des Proletariats, die zugegebenermaßen nicht ohne Defizite war, jetzt aber herrscht bei uns die unmaskierte Diktatur des Kapitals. Wer will dieser Feststellung widersprechen?

"Manche Menschen sind der Meinung, daß man am Klassenkampf teilnehmen könne, aber nicht müsse. Sie meinen, wenn man nicht kämpfe, habe man sich dem Klassenkampf entzogen. Aber das ist ein schwerer Irrtum. Da der Imperialismus nicht danach fragt, ob er den Klassenkampf gegen den Werktätigen führen soll oder nicht, sondern ihn führt, nimmt jeder Mensch am Klassenkampf teil. Fragt sich nur, ob als Objekt, Trottel, Leiche - oder als Subjekt, Kämpfer, Sieger. Die Werktätigen führen also den Klassenkampf nicht deshalb, weil sie so blutrünstig sind ... Sie führen ihn zur Selbsterhaltung und wissen dabei, je lascher sie ihn führen, je länger zieht er sich hin, und desto größer sind die Opfer. Je entschlossener sie ihn führen, desto schneller überwinden sie ihn durch ihren Sieg", schrieb Rudolf Herrnstadt schon 1949 in seinem damals spektakulären ND-Artikel "Über 'die Russen' und über uns". Und auch das sollte man sich einprägen.

Die großbürgerliche "New York Times" veröffentlichte im November 2006 dieses freimütige Bekenntnis von Warren E. Buffett: "Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die den Krieg führt, und wir gewinnen ihn, wir besitzen die finanziellen Massenvernichtungsmittel ..." Gemeint sind hier Börsen, Banken, Kredite und Lobbyisten.

Diese Äußerung stammt direkt vom Klassenfeind. Denn Mr. Buffett ist der viertreichste Mensch der Welt (geschätztes Privatvermögen ca. 53,5 Milliarden Dollar). Er scheint sich seiner Sache recht sicher zu sein, wenn er so unverhohlen den Anspruch des Kapitals verkündet. An uns ist es, Leuten dieses Schlages eine Abfuhr zu erteilen.

Thomas Kuhlbrodt, Zeitz

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Der Eintrittspreis in den Regierungszirkus heißt Kapitulation

Fragwürdige Koalitionsangebote

Um während der Koalitionsverhandlungen mit der CDU Druck auf den potentiellen Partner auszuüben, zog der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ein ganz besonderes Kaninchen aus dem imaginären Zylinder: Er ließ einen Parteitagsbeschluß herbeiführen, durch den die Linkspartei ab 2017 als denkbarer Partner für Koalitionen in Betracht gezogen wird. Dafür stellte er nur eine Bedingung: Die PDL müsse sich bis dahin den Positionen der SPD entscheidend "annähern", sprich: die EU-Mehrheitspolitik sowie "Werte" und Verpflichtungen aus dem NATO-Bündnis anerkennen, ja sogar mitvertreten.

Kröche die PDL auf diesen Leim, dann wären auch in Sachfragen bei künftigen Koalitionsverhandlungen keine Blumentöpfe mit deren "deutlicher Handschrift" mehr zu gewinnen. Denn die Spielregeln einer Teilhabe am System und seiner Machtsphäre würden durch die SPD bestimmt, während die PDL lediglich eine Partei wäre, welche die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus publikumswirksam abzufedern hätte, wenn der Unwille des Wahlvolkes zu stark anschwillt. So bestünde ihre Funktion vor allem darin, den "Druck der Straße" im Interesse der Herrschenden zu kanalisieren.

"Warum eigentlich?" fragte Ellen Brombacher von der Kommunistische Plattform der Partei Die Linke. Warum wurde bei der Annahme eines Textvorschlags für eine Ausstellung über einst in der UdSSR arbeitende, später umgebrachte Genossinnen und Genossen auf der PDL-Vorstandssitzung am 18. Oktober 2013 ein unverzichtbarer Satz gestrichen? Er lautete: "Sie (die Ausstellung) informiert und erweckt nicht den Eindruck, der Totalitarismus-Ideologie das Wort zu reden."

Dieselben Kräfte, welche eine "von Fall zu Fall"-Befürwortung "stabilisierender", UN-mandatierter Kriegseinsätze im Sinne von Joschka Fischer befürworten, nähern sich längst der Totalitarismus-Doktrin notorischer Antikommunisten oder sind bereit, sie als marginale Hürde auf dem Weg zur "Regierungsfähigkeit" einfach zu überspringen. Ihre bisherigen Äußerungen und Aktivitäten in bezug auf die "verbrannte und abgehakte Geschichte des real existierenden Sozialismus" liegen genau auf dieser Linie. Ein unnützes Hindernis muß bis 2017 aus dem Wege geräumt sein.

Am 3. Juni 2013 begrüßte der Bundestag den von CDU und FDP vorgelegten "Bericht zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur" und ein Programm zur verstärkten Fortsetzung der bisherigen Linie. Neben der Errichtung eines "Mahnmals für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft" werden die alten Schwerpunkte "Gedenk- und Mahnstätten mit medialer didaktischer Aufbereitung, Zeitzeugendarbietungen in Schulen und Bildungseinrichtungen (seit 2011 fanden ca. 1000 Veranstaltungen mit rund 50.000 Teilnehmern statt - J.-H. M.), Verlängerung und Zugangsausweitung für Auskunftssuchende" im Rahmen des "Stasi-Unterlagengesetzes" weiter verfolgt. Für diese "hehren Zwecke" durfte der BRD-Steuerzahler bisher 100 Millionen Euro (!) pro Jahr berappen. "Undemokratischen Kräften und Tendenzen zur Verharmlosung und Verklärung der DDR-Diktatur" solle dadurch entgegengetreten werden, daß man deren "Opfer" als "Vorkämpfer für Freiheit, Demokratie und ein vereintes Deutschland" politisch und gesellschaftlich stärker würdige. Das Ziel der weiteren "Aufarbeitung" bestehe darin, "gerade die junge Generation, die keine eigenen Erfahrungen mit der deutschen Teilung gemacht hat ... anhand der Diktaturgeschichte Deutschlands verstärkt für den Wert von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu sensibilisieren", heißt es da phrasenreich. Das sei auch "ein wichtiger Baustein unserer wertegebundenen Außenpolitik".

Das ist Totalitarismus-Doktrin in Reinkultur! Wissenschaftlich sind dabei lediglich die didaktischen und psychologischen Methoden, wobei die unverhohlene politische Absicht schon auf den ersten Blick erkennbar wird.

"Freiheit und Demokratie" nach bundesdeutscher Art, wie in den USA, Griechenland, Portugal, Italien oder Ungarn, Irak, Afghanistan und Syrien? All das steht auf dem Boden "freier marktwirtschaftlicher Entfaltung" und ohne die "Wege des Marxismus", die "alle nach Moskau führen", wie die CDU 1952 im Wahlkampf plakatierte. Es handelt sich um die Kröte, welche jene schlucken müssen, die für die Einheitsbrei-Parteien des bundesdeutschen Machtkartells "regierungsfähig" werden wollen.

Dabei wurmt auch anspruchsvollere Mitarbeiter an diesem Projekt, wie man einer Beilage der bundeseigenen Zeitschrift "Das Parlament" entnehmen konnte, durchaus die Einseitigkeit und Banalität der Schwerpunktsetzung auf "Stasi" und "Mauer". Schon die "Sabrow-Kommission", die unter der Regierung aus SPD und Grünen installiert wurde, wies 2006 auf Geschichtswidriges und die Wirksamkeit der Delegitimierungsprogramme beeinträchtigende Mängel einer allzu ahistorisch-primitiven Darstellungsweise hin. Die Widersprüchlichkeit (von Schatten und Licht) des Lebens in der DDR dürfe nicht unterschlagen, sondern müsse berücksichtigt werden, auch die Einbindungen in den Ost-West-Konflikt. Nur mit differenzierterer und vielseitigerer Taktik auf höherem Niveau könne man überzeugend das Ziel der DDR-Abwertung erreichen und für das eigene System wirkungsvoll werben. Gefährlich seien die sozialistischen Ideale und deren teilweise Umsetzung in der DDR, da das weitgehend intakte Erinnerungsvermögen noch lebender Zeitzeugen ständig ins Bewußtsein anderer gerückt werden könnte.

Die Knabes und Neumanns haben sich dennoch mit ihrer Totschlagsmethode im Bundestag bis heute durchsetzen können. Das geschah mit Billigung von SPD und Grünen sowie unter dem Protest sozialistisch gesinnter PDL-Abgeordneter, die in der Fraktion indes nicht die Mehrheit verkörpern. Sie unterstützen die ernstzunehmende Kritik fortschrittlicher Geschichtslehrer aus Kreisen der Gewerkschaft GEW und linksorientierter Wissenschaftler, welche die primitive Massenverhetzung mit der definitiven Absicht, alle marxistischen und auf Systemveränderung zielenden Ideen "zu verbrennen", so nicht umzusetzen bereit sind.

Eine widerspruchslose Akzeptanz der Verunglimpfung des realen Sozialismus, der - trotz seiner Etappenniederlage - seit 1917 die Welt entscheidend verändert hat und weiterwirken wird, läßt sich nur aus schäbigstem Opportunismus und naiver Arglosigkeit gegenüber den Propagandalügen der "westlichen Wertegemeinschaft" sowie mit blindem Vertrauen in das System der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie erklären. In Konjunkturzeiten päppelt man die Wähler mit Versprechungen und Zusagen, in Krisenzeiten schlägt man um so brutaler zu.

Von bewußt agierenden Agenten einmal abgesehen, mischen sich in einer pluralistischen Partei wie der PDL Verfechter solcher Positionen mit den Auffassungen sehr vieler redlich um Fortschritt bemühter Mitglieder, die vorerst (noch) dagegenhalten können. Jedenfalls so lange, wie ein Vorstand nicht die "Büchse der Pandora" öffnet, um dem erlauchten Machthaberzirkel aus CDU und SPD sowie bestimmenden Teilen der Grünen beitreten zu dürfen.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Bürgerliche Placebos und marxistische Medikamente

Ein seltsames Manifest

Handelt jetzt! Das globale Manifest zur Rettung der Wirtschaft" heißt ein 2013 im Westend-Verlag herausgekommenes Buch von Rainer Flaßbeck, Paul Davidson, James Galbraith, Richard Koo und Jayati Ghosh. Darin wird die "Belebung der Weltkonjunktur" als strategisches Ziel proklamiert. Dabei geht man von einer "Wirtschaft als solcher" aus. Die optimale Gestaltung der Lebensbedingungen der Erdbewohner spielt für die Autoren keine Rolle.

Im "Manifest" wird eine fundamentale Kehrtwende beschworen. Hierfür bedürfe es einer "Erneuerung der marktwirtschaftlichen Ordnung". Diese - der Kapitalismus - soll nach wie vor dominant bleiben, obwohl mit Kritik an gewissen Zuständen nicht gespart wird. "Der Neoliberalismus ist gescheitert ...", heißt es da, "nur vollständig neues Denken kann eine Wende bringen".

Von den Autoren werden die Krisenerscheinungen des Systems lediglich als "Folgen ökonomischer Irrlehren" erklärt. Der Widerspruch zwischen den vermeintlichen Zielstellungen des "Manifests" und den vorgeblich kritischen Wertungen des Bestehenden dürfte wohl kaum die Schlußfolgerung rechtfertigen, es handele sich hierbei um einen tatsächlichen Wandel.

Als Gebot der Stunde bezeichnen die Verfasser "eine ernsthafte internationale Kooperation und eine sofortige Beendigung der Austeritätspolitik - also des Sparkurses. Eine "aktive und expansive Finanzpolitik" sei "absolut unumgänglich". Sie müsse "die Rolle eines Stabilisators" wahrnehmen. Die Vorschläge laufen allein auf eine Stärkung der Machtpositionen des Finanzkapitals hinaus. Mehrfach wird nach einem verstärkten Eingreifen des Staates gerufen. Der solle eine "korrektive Wirkung" erreichen. Der Marktwirtschaft wird für den Fall Überlegenheit bescheinigt, daß es ihr gelingt, "alle Bevölkerungsgruppen an den von Kapital (!) und Arbeit erarbeiteten Ergebnissen" zu beteiligen.

Ein erstaunliches Vorhaben, wenn andererseits die Grundpfeiler der Marx'schen Kapitalismustheorie nicht angetastet werden, denen zufolge ein Kapitalismus ohne Mehrwert nicht vorstellbar ist. Insgesamt handelt es sich demnach um einen Versuch, dem Bären das Fell zu waschen, ohne es naß zu machen, um eine weitere Rettungsaktion, mit der dem maroden System wieder auf die Beine geholfen werden soll.

Die ganze Analyse bleibt an der Oberfläche. Viele Anregungen sind bewußt allgemein gehalten und lassen jene Fragen offen, welche die Alltagsprobleme der Menschen betreffen. Die vorangegangenen Etappen des Kapitalismus werden völlig ignoriert, obwohl für alle die gleichen Grund- und Ausgangspositionen gelten.

Deshalb ist es geboten, bestimmte Faktoren ins Gedächtnis zu rufen. An erster Stelle steht hier das Privateigentum an den Produktionsmitteln (PM). Es manifestiert sich in vielfacher Form (Unternehmen, Konzerne, Banken usw.) und hat zur Folge, daß deren wirtschaftliche Aktivitäten zuallererst durch Kategorien wie Umsatz und Profit, weitaus weniger aber von gesamtwirtschaftlichen Belangen bestimmt werden.

Mit zunehmender Kapazität der Konzerne ergibt sich auf Grund ihrer ökonomischen Potenz eine Machtposition, die dazu benutzt wird, auch extreme politische Ziele ins Auge zu fassen. Das wird durch autoritären Führungs- und Leitungsstil in den Unternehmen, also das völlige Fehlen innerbetrieblicher Demokratie, erleichtert. Verbunden mit dieser Eigenheit des Privateigentums an den PM ist die Akkumulation des Gewinns und der Einsatz dieser Mittel für die weitere Expansion im nationalen und internationalen Rahmen. Besonderes Gewicht besitzt die Quote der Akkumulation - der Mehrwert - also jener Teil des Wertes, der über die Entlohnung des Arbeiters und die Selbstkosten für das Unternehmen hinaus anfällt. Was für den Unternehmer eine Wachstumsquote ist, heißt in der Sprache des Arbeiters Ausbeutung.

Ein weiteres wesentliches Merkmal des Kapitalismus ist die Konkurrenz. Sie beruht auf der Vielzahl bestehender Unternehmen, besonders gleichartiger, auf Basis des Privateigentums. Konkurrenz fördert einerseits das Streben nach technischer und technologischer Überlegenheit, führt andererseits aber zu Lohndrückerei und unsicheren Arbeitsplätzen. Die Existenz von Unternehmen mit einer gleichen Produktionspalette ist eine der Ursachen von Mehrbelastungen des Marktes. Man denke nur an die Autoindustrie.

In dem zur Debatte stehenden Buch spielen die Grundelemente des kapitalistischen Systems eine Nebenrolle. Ausbeutung, Ungleichheit, Unsicherheit sowie die Ausnutzung von Notsituationen bleiben unerwähnt. Sie aber rechtfertigen schon allein die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu überwinden. Natürlich hätten auch seine Auswirkungen auf sozialem Gebiet eingehender behandelt werden müssen. Doch für die Autoren ist das ein Tabu. Nicht nur die menschenunwürdige Arbeitslosigkeit gehört zu den ständigen Begleiterscheinungen des Kapitalismus, sondern auch prekäre Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit sowie Perspektivlosigkeit und allgemeine Unsicherheit sind dem hinzuzurechnen. Diese Charakteristika des Systems bestehen unabhängig von verschiedenen Etappen seiner Entwicklung, wobei sie mehr oder weniger phasenbedingt zu den Ursachen der Krisenerscheinungen gehören.

So reich an inneren Widersprüchen wie der Kapitalismus selbst sind auch die Rettungsideen seiner Apologeten. Ihr Schicksal ist es zu scheitern. Doch es gibt einen Ausweg. Karl Marx, dessen Vorläufer und Nachfolger weisen ihn uns.

Gemeinwohl und Gemeineigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln - also die Aufhebung des Kapitalverhältnisses - sind für Marxisten das A und O.

Heinz Gliemann, Wismar

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DDR wie BRD gehörten zeitweilig dem UN-Sicherheitsrat an

Die Uneinigen bei den Vereinten Nationen

Hinter den beiden deutschen Staaten lag bereits eine 24jährige Geschichte, als sie am 18. September 1973 in ein und demselben Verfahren UNO-Mitglieder wurden. Die Beziehungen zwischen ihnen waren in den 50er und 60er Jahren keineswegs brüderlich oder schwesterlich gewesen. Die BRD wollte die DDR permanent schlucken, bis diese durch die Schutzmaßnahmen vom 13. August 1961 der Ostexpansion einen Riegel vorschob. Galt bis dahin für die BRD-Außenpolitik im Hinblick auf die DDR Bonns berüchtigte Hallsteindoktrin der Alleinvertretungsanmaßung, so orientierte sich die Brandt-Regierung in dieser Frage neu. Ergebnis: In einem widerspruchsvollen Prozeß gingen Brandt (und Bahr) zur ebenfalls imperialistischen Strategie eines "Wandels durch Annäherung" über. Das geschah in Abstimmung mit Kennedys Politik des "Peaceful Change" (friedlicher Wechsel). Erst mit dem 1972 abgeschlossenen Grundlagenvertrag zwischen DDR und BRD entstanden Bedingungen, welche die Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO ermöglichten.

DDR-Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht hatte zwar schon am 28. Februar 1966 einen entsprechenden Antrag gestellt, doch das Aufnahmeverfahren für UNO-Mitglieder verlangte, daß keine der fünf Vetomächte Einspruch erhob. Mit anderen Worten: Entweder wurden beide deutsche Staaten oder keiner von ihnen akzeptiert. Die DDR stand für Friedenspflicht, das Streben nach Abrüstung und Völkerfreundschaft. Bonn verfolgte bekanntlich einen konträren Kurs. Viele UNO-Mitgliedsstaaten stellten sich nach der Einbeziehung von DDR und BRD die bange Frage: Werden die deutsch-deutschen "Querelen" nun auch auf die Vereinten Nationen übertragen?

BRD-Kanzler Brandt erklärte bei der Aufnahmezeremonie in New York: "Wir sind nicht hierhergekommen, die Vereinten Nationen als Klagemauer für die deutschen Probleme zu betrachten oder um Forderungen zu stellen, die hier ohnehin nicht erfüllt werden können." DDR-Außenminister Otto Winzer unterstrich, daß im Grundlagenvertrag die Regeln für friedliche Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten endgültig und unbefristet festgelegt worden seien.

Die Vertreter von DDR und BRD bei der UNO sind diesen Grundsätzen bis zum September 1990 treu geblieben. Die UNO und deren Institutionen wurden kein Ort für wechselseitige Beschuldigungen. Auch BRD-Außenminister Genscher wußte in seinen New Yorker Reden noch nicht, daß die DDR - wie er später meinte - ein "Unrechtsstaat" sei. Natürlich bedeutete das keineswegs, daß es zwischen den UNO-Diplomaten beider deutscher Staaten "brüderliche" oder freundschaftliche Beziehungen gegeben hätte. Otto Winzer hatte schon 1973 auf die Gegensätzlichkeit der jeweiligen Entwicklung und ihrer Außenpolitik hingewiesen.

Der Mitarbeiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung Wilhelm Bruns hat in seinem Buch "Die Uneinigen bei den Vereinten Nationen" und in einer Reihe von Studien das Abstimmungsverhalten von DDR und BRD in der UNO gründlich analysiert und dokumentiert. Aus seinen Recherchen ergibt sich: Für die DDR galt die Regel, generell mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Staaten zu votieren. Andererseits berücksichtigte die BRD ihre "Westorientierung", was sie oft in Konfliktsituationen brachte und häufig gegen eigene Interessen handeln ließ.

Bei den Abstimmungen zu Apartheid, Neokolonialismus, dem Nahostkonflikt und ähnlichen Themen fielen die entgegengesetzten Positionen beider deutscher Staaten besonders ins Gewicht. So stimmte die DDR mit der überwältigenden Mehrheit der anderen UNO-Mitglieder stets gegen die Apartheid, während sich die BRD in dieser Frage meist vornehm der Stimme enthielt.

In den 70er und 80er Jahren wurde die völkerrechtswidrige Aggressions- und Okkupationspolitik Israels immer aufs neue verurteilt. Die DDR war auch hier auf seiten der Mehrheit, während es für die BRD zunehmend schwieriger wurde, Balance zu halten. Die Entscheidung in Sachen Sicherheit, Frieden, Abrüstung und Entkolonialisierung ähnelte dem. Allein 1977 gehörte die DDR bei mehr als 20 hierzu eingebrachten Resolutionen zu den Unterzeichnern.

In der 1995 entstandenen Studie "Deutschland und die Vereinten Nationen" wurde rückblickend festgestellt, daß die BRD bei etwa zwei Dritteln der UNO-Plenarabstimmungen von der Mehrheit abwich, während sich die DDR überwiegend in deren Kreis befand. Die häufige BRD-Abstinenz wurde am New Yorker East River spöttisch als "The German Vote" belächelt. Beide deutsche Staaten waren, was heute etwas in Vergessenheit geraten sein dürfte, für jeweils zwei Jahre Nichtständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Wie ich aus persönlichem Erleben weiß, hat sich der stellvertretende DDR-Außenminister Peter Florin auch auf dem UNO-Parkett hohes Ansehen erworben.

In den Institutionen der Vereinten Nationen gab es übrigens keinerlei Vorgänge, welche das Ende der DDR befördert oder begünstigt hätten. Selbst in der Rede Genschers vom September 1989 fehlte ein solches Signal.

Seit dem 3. Oktober 1990 gibt es anstelle der beiden deutschen Staaten nur noch die BRD in den UNO-Gremien. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte der Abgang der DDR geradezu als Posse bezeichnet werden. Ihm waren die Zwei-plus-vier-Verhandlungen vorausgegangen. Gorbatschows UdSSR-Verbündeter der DDR und Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat - bot bald darauf den sozialistischen deutschen Bruderstaat wie Sauerbier an. Markus Meckel, de Maizières grotesker Außenminister, vertrat in allen Verhandlungen Genschers Forderungen, nicht aber die Interessen von DDR-Bürgern.

Doch es gab bei der Geschichte noch eine Peinlichkeit: Selbst in der Endphase des Bestehens der DDR mußte die BRD den von ihr verhaßten Staat wie bisher formell als souveränen und gleichberechtigten Partner anerkennen, um deren Unterschrift unter den Zwei-plus-vier-Vertrag zu erlangen. Wenig später wurde die DDR in der UNO regelrecht stranguliert. Die Prozedur war absolut würdelos. Im September 1990 schrieb "DDR"-Ministerpräsident Lothar de Maizière an UN-Generalsekretär Perez de Cuellar, diesen Staat gebe es nicht mehr. Er möge alle UN-Mitglieder und Institutionen davon in Kenntnis setzen. Genscher wiederum ließ den Generalsekretär nach der Annexion der DDR wissen, daß sich "beide deutsche Staaten in einem Staat vereinigt" hätten.

Im September 2013 waren es 23 Jahre her, daß dieses auf die bekannte Weise "wiedervereinigte" BRD-Deutschland der UNO angehört. Ist die Welt mit dessen Unterstützung sicherer und friedlicher geworden? Oder zählt der imperialistische deutsche Staat nicht zu jenen, welche das Völkerrecht permanent brechen und unterlaufen?

In penetranter Manier setzt die BRD ohne Unterlaß ihre Forderung nach einem Ständigen Sitz im Sicherheitsrat auf die Tagesordnung, während zugleich die Furcht vor diesem Deutschland in immer mehr Ländern zunimmt. Berlin verwendet Begriffe wie "Normalität" und "Verantwortungsübernahme" immer dann, wenn "Auslandseinsätze" der Bundeswehr-Interventen zu begründen sind. Wo bleiben da die Erfüllung des Vermächtnisses der Millionen Opfer des deutschen Faschismus, die Forderungen des Grundgesetzes und des Völkerrechts? Und: Wie wird die BRD den hehren Prinzipien der UNO-Charta gerecht?

Prof. Dr. Horst Schneider

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Stefan Liebichs Brückenschlag zur Wall Street

Am 30. November wählte das "Forum demokratischer Sozialismus" (FdS) Stefarn Liebich zu einem seiner drei Sprecher. Dieser erinnerte dabei an Lothar Bisky und dessen "strategisches Dreieck" aus "Protest, Gestaltungsanspruch und über die derzeitigen Verhältnisse hinausweisender demokratisch-sozialistischer Alternativen"...

Liebich ist für uns kein Unbekannter. In der Berliner PDL-Basisorganisation am Humannplatz besucht er uns fast jedes Jahr. Er ist 41, war zu DDR-Zeiten noch Pionier und dann FDJ-Funktionär, wurde 1989 Mitbegründer der "Jungen Linken" und mit 18 Mitglied der PDS. Er studierte Wirtschaftsinformatik, arbeitete beim US-Konzern IBM, war PDS-Landesvorsitzender und Mitglied des Abgeordnetenhauses. 2009 nahm er Thierse (SPD) als Direktkandidat den Bundestags-Wahlkreis 76 (Pankow/Prenzlauer Berg) ab und verwies auch 2013 alle dortigen Konkurrenten auf die Plätze. Im Bundestag gehört er dem Auswärtigen Ausschuß und als Stellvertretendes Mitglied dem Verteidigungsausschuß sowie dem Ausschuß für Angelegenheiten der EU an. Gregor Gysi ließ er wissen, er sei bereit, auch in der Fraktion "mehr Verantwortung" zu übernehmen.

Nachdem die von ihm 2007 initiierte innerparteiliche Strömung FdS, in der sich der "reformorientierte Flügel" der Linkspartei organisiert, seine "13 Thesen" zum Programmentwurf der Partei veröffentlicht hatte, gab es in unserer Mitgliederversammlung einen Disput mit ihm über die "Wandlungsfähigkeit" des Kapitalismus, die Haltung zur NATO und zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr, in dem er wie die Katze um den heißen Brei schlich, ohne von seinen Positionen abzurücken. Dann wurde auf dem Erfurter Parteitag das Programm beschlossen, in welchem Kriege und Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie Rüstungsexporte abgelehnt werden. Das hinderte Liebich nicht, gemeinsam mit Gerry Woop in der Reihe "WeltTrends" unter dem Titel "Linke Außenpolitik: Reformperspektiven" eine Schrift herauszubringen, in der erneut "im Einzelfall völkerrechtskonforme Zwangsmaßnahmen bis hin zu militärisch ergänzten UN-Missionen" für richtig befunden werden.

Natürlich reagierten die bürgerlichen Medien postwendend: "Führende Außenpolitiker der Linkspartei gegen den weltfremden 'streng-pazifistischen Kurs' der Partei ... fordern eine Diskussion", titelte der "Spiegel", der Liebich so zitierte: "Stößt nicht eine Verabsolutierung des Einmischungsverbots moralisch und juristisch an eine Grenze, wenn es um Genozid bzw. Massenmord geht?" In den "Nachbemerkungen" des Heftes, in dem übrigens auch Gregor Gysi und André Brie zu Wort kommen, beklagt das Duo Liebich/Woop zwei spezifische Merkmale der Linken: das Bestreben durch die DDR geprägter Parteimitglieder, die Welt in Gute und Böse einzuteilen und das "Formulieren radikaler Ziele und Visionen" durch im Westen sozialisierte Genossen.

Wie paßt das alles doch so gut zusammen: Die SPD "öffnet" sich einem denkbaren Zusammengehen mit der Linkspartei, stellt jedoch als Bedingung, diese müsse sich der BRD-Staatsräson fügen, während die "Realos" in der PDL bemüht sind, die Partei darauf vorzubereiten! Er könne die von der SPD verlangten Zugeständnisse alle unterschreiben, erklärte Liebich dem "Tagesspiegel", um ja keine Zweifel an der "Regierungsfähigkeit" der PDL aufkommen zu lassen.

Lehrt uns die Geschichte nicht, wohin es führt, wenn aus einer vormals sozialistischen eine "demokratisch-sozialistische Reformpartei" wird? Genau das geschah unter maßgeblicher Mitwirkung Eduard Bernsteins - jenes Mannes, auf den sich bereits der "Außerordentliche Parteitag der SED/PDS" im Dezember 1989 berief. War Bernsteins Forderung nicht auch eine Regierungskoalition mit den bürgerlichen Parteien? Rechtfertigte er nicht zunächst die Kolonialpolitik des deutschen Imperialismus und dann Weltkrieg wie "Burgfrieden"? Warnte er nicht ausdrücklich vor dem Antimilitarismus Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs?

Zurück zu Liebich. Kürzlich las ich, er sei stolz darauf, Mitglied der "Atlantik-Brücke" zu sein. Ich informierte mich und fand heraus: 1952 ließen einige Spitzenleute aus Wirtschaft, Hochfinanz, Staat und Medien der BRD dieses private "Politik-Beratungs-Institut" ins Vereinsregister von Berlin-Charlottenburg eintragen; das Wort "Brücke" weist auf die Absicht hin, das Zusammenwirken von USA und BRD auf ökonomischem, politischem, militärischem und ideologischem Gebiet zu fördern. Initiator war seinerzeit der in der BRD residierende US-Hochkommissar John J. McCloy, Adenauer-Schwager und Großbankier. Als Geldgeber betätigten sich die Deutsche Bank und führende Konzerne. Zu den Mitgliedern dieses Klubs gehören heute neben ehemaligen und noch amtierenden Bundespräsidenten, Kanzlern, Außen- und Kriegsministern die Top-Manager von über der Hälfte aller deutschen DAX-Unternehmen, die Spitzen der Medienkonzerne und Verlage, hochrangige Offiziere der Bundeswehr, die Vorsitzenden von CDU, SPD und Grünen sowie - man höre und staune - Stefan Liebich von der Linkspartei. Vorstandsvorsitzender ist der CDU-Politiker Friedrich Merz. Die US-Schwesterorganisation nennt sich "American Council on Germany". Zu ihr gehören neben den Vertretern der großen Bankhäuser und Konzerne "Prominente" wie Henry Kissinger, Vernon A. Walters, George Bush sen. und Condoleezza Rice.

Die Atlantik-Brücke hat sich zu einer der einflußreichsten Organisationen der BRD entwickelt. Sie fördert die persönlichen Beziehungen zwischen BRD- und USA-Führungskräften aus Politik, Wirtschaft, Militär und Medien, wirkt aktiv auf die Ausrichtung der "öffentlichen Meinung" ein und organisiert den Informations- und Personalaustausch. Sie kümmert sich um die "Young Leaders" - aufstrebende Führungskader, die besonders gefördert werden. Übrigens: Um die Mitgliedschaft in dem illustren Klub kann man sich nicht bewerben - man wird auserwählt. Einer dieser Auserwählten ist der "Sozialist" Stefan Liebich!

Das haben die Wähler im September 2013 sicher nicht gewußt. Jene, welche damals für die Linkspartei stimmten, votierten für sie vor allem wegen ihrer Anti-Kriegs-Position. Wenn Leute wie Liebich diese jetzt verlassen und sich einer eventuellen Regierungsbeteiligung 2017 wegen auf die Seite der NATO-Befürworter begeben, werden wir sie nicht noch einmal wählen.

Sollten sich in der Parteiführung die Befürworter von NATO und Kriegseinsätzen durchsetzen, würde die PDL überflüssig. Dann müßten wir nicht nur solchen "Young Leaders", sondern auch der Partei selbst ade sagen. Lassen wir es nicht dazu kommen!

Dr. Ernst Heinz

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Wilhelm Bahnik ging für Spaniens Freiheit in den Tod

Ein Held der Interbrigaden

Das Leben des Helden dieser Geschichte hatte am 15. Mai 1900 in Gnesen, einer Kleinstadt in Pommern, begonnen. Dort wuchs der Sohn des Eisenbahnarbeiters Friedrich und der Köchin Wilhelmine Bahnik auf, besuchte die Volksschule und begann die Ausbildung an einer Handelsschule. Beenden durfte er sie nicht, denn der Kaiser schickte den 17jährigen in den 1. Weltkrieg, den er unversehrt überlebte. 1919 zog die Familie nach Magdeburg, weil sich der Vater in der großen Industriestadt an der Elbe ein besseres Leben erhoffte. Diese war damals eine Hochburg der Sozialdemokratie, so daß Wilhelm, der bei einer Versicherungsfirma arbeitete, die Bekanntschaft von Mitgliedern der SPD machte. Noch völlig unbeleckt, begann er sich für Politik zu interessieren. 1921 trat er der SPD bei.

Doch bald schon begriff er, wer die Revolution von 1918/19, die darauf folgenden Arbeiteraufstände in München, im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland mit Waffengewalt blutig niedergeschlagen hatte. Maßlos enttäuscht und desillusioniert verließ er die SPD nach nur zweijähriger Mitgliedschaft und wurde Kommunist. Dafür nahm er in Kauf, daß ihn seine Firma fristlos entließ. Die Magdeburger Kapitalisten setzten ihn auf die schwarze Liste. In den folgenden Jahren mußte er Gelegenheitsarbeiten in der Industrie, bei der Reichsbahn, in der Hafenwirtschaft und zuletzt in einer Druckerei leisten.

Um so mehr engagierte sich Wilhelm Bahnik für die KPD, zuerst als deren politischer Leiter in der Neuen Neustadt, dann in der Bezirksleitung Magdeburg-Anhalt. Besonders interessierte er sich für Militärpolitik. Schon die ersten Jahre der Weimarer Republik hatten gezeigt, daß Reichswehr, Sicherheits-, Schutz- und Geheimpolizei vom bürgerlich-sozialdemokratischen Staat rücksichtslos gegen das Volk eingesetzt wurden. Bahnik studierte aufmerksam die dazu von der Partei herausgegebenen Materialien, vor allem die militärpolitische Zeitschrift "Oktober". Zugleich arbeitete er eng mit Ernst Schneller, dem Vorsitzenden des Ständigen Militärischen Rates bei der Zentrale der KPD, zusammen. Mit seinen Genossen der Bezirksleitung druckte er in Magdeburg und Dessau illegale Schriften, welche sie in Dienststellen und Unterkünfte schleusten. Sie suchten das Gespräch mit Soldaten und Polizisten, prangerten Mißstände und Mißhandlungen in den Einheiten an.

Da das die Machthaber in Rage versetzte, nahmen sie Wilhelm Bahnik für zehn Monate in Untersuchungshaft, bis ihn das in Leipzig angesiedelte Reichsgericht am 3. April 1928 zu 2 Jahren und 9 Monaten Zuchthaus verurteilte. Er trat die Haft in Gollnow/Pommern - dem größten Zuchthaus der Weimarer Republik für politische Gefangene - an, mußte seine Strafe jedoch nicht bis zum Ende absitzen, weil es der KPD und der Roten Hilfe gelang, ihn und weitere Genossen freizukämpfen. So konnte er seine Arbeit fortsetzen und mit seiner Frau Charlotte eine Familie gründen.

Der Herbst 1930 veränderte sein Leben erneut. Die Partei schickte den Dreißigjährigen zum Studium an eine militärpolitische Schule nach Moskau. Danach blieb er nur noch kurze Zeit in Magdeburg, weil ihm die KPD eine leitende Funktion in der Abteilung Militärpolitik des Zentralkomitees übertrug. Unter den Parteinamen "Theo", "Martin" und "Ewald" arbeitete er im Ruhrgebiet, an der Saar und in seinem ehemaligen Bezirk Anhalt. Als die Faschisten an die Macht kamen, brachte er Frau und Sohn über die CSR auf sowjetisches Territorium in Sicherheit. Er selbst blieb als Weinhändler getarnt in Berlin, wo er mit den Genossinnen Luise Kraushaar und Leni Berner die illegale Arbeit fortsetzte. Schließlich ging auch er auf Parteibeschluß gerade noch rechtzeitig nach Moskau, bevor ihn die Nazijustiz 1936 in Abwesenheit zum Tode verurteilte.

Nach Absolvierung eines Lehrgangs an der Sonderschule der Moskauer Militärakademie in Rjasan traf Wilhelm Bahnik am 15. Oktober 1936 im spanischen Albacete ein. Dort befand sich die Basis der Internationalen Brigaden, wo der politisch und militärisch ausgebildete deutsche Antifaschist dringend gebraucht wurde. Unter dem Pseudonym "Fernando" übernahm er die Aufgabe, die deutschen Freiwilligen auf deren politische und militärische Eignung zu prüfen, um sie entsprechenden Einheiten zuzuführen und auf den Fronteinsatz vorzubereiten. In dieser Funktion war er maßgeblich an der Aufstellung der ersten Bataillone der Internationalen Brigaden beteiligt. Die Leitung der Basis übertrug ihm auch den Aufbau der Spionageabwehr.

Im Herbst 1937 entsprach man dem langgehegten Wunsch Wilhelm Bahniks, selbst an die Front zu gehen und gegen die Faschisten zu kämpfen. Er wurde zunächst der Maschinengewehr-Kompanie des Bataillons "Edgar André" der XI. Internationalen Brigade zugeteilt. In den Winterkämpfen 1938 bei Teruel versetzte man ihn zum Stab. Als seine Einheit im März bei Belchite den Rückzug der spanisch-republikanischen Truppen sicherte, wurde Wilhelm Bahnik schwer verwundet.

Drei Tage schleppte ihn der kleine Trupp über die Berge Aragoniens. Mehrere Male hatte Bahnik darum gebeten, ihn zurückzulassen. Seine Genossen sollten sich zu den eigenen Linien durchschlagen und den Kampf fortsetzen. Dann aber waren die Verfolger so nahe herangerückt, daß sie alle in Gefahr gerieten, den Franco-Faschisten in die Hände zu fallen. Nun bat er nicht mehr, jetzt gab er Befehl. Noch zögernd und schweren Herzens verabschiedeten sich die Kämpfer mit einem letzten "Rot Front!" Sie hörten den Schuß. So endete am 12. März 1938 das Leben des Kommunisten und Interbrigadisten Wilhelm Bahnik.

Günter Freyer

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"Ich vertrat die Genossen des DDR-Außenministeriums auf dem Sonderparteitag" der SED/PDS im November 1989

Wortmeldung eines Delegierten

Euer Blatt ständig, teilweise mit kritischem Blick, manchmal auch nur flüchtig lesend, erlaube ich mir ein Wort zum Artikel "Der Putsch in der Dynamo-Halle", der in der Dezember-Ausgabe veröffentlicht wurde. Als Nichthistoriker verzichte ich gern auf ein Mittun in Debatten, die jenen vorbehalten sein mögen, deren Kenntnisse in der Geschichte eines untergegangenen Staates umfassender sind als meine. Der genannte Beitrag veranlaßt mich aber als Teilnehmer des Außerordentlichen Parteitages der SED-PDS im Dezember 1989 zu einigen Bemerkungen.

Der Autor des Artikels bezeichnet das Ereignis aus heutiger Sicht als "Putschparteitag". Vergessen sollte man bei der Bewertung dieses markanten politischen Vorgangs indes nicht, daß darüber nach einem gehörigen Zeitabstand leichter zu befinden ist als im Augenblick seines Stattfindens. Den Parteitag als "Türöffner" für die "Konterrevolution" in der DDR zu bezeichnen, halte ich für eine Behauptung, die der damaligen Situation in der DDR und der SED kaum gerecht wird. Fand er nicht in einem Augenblick statt, in dem sich deren politisches Ableben bereits recht deutlich abzeichnete? Erinnern wir uns nur einiger Daten des Herbstes 1989:

  • Am 18. Oktober wird Erich Honecker "auf eigenen Wunsch" von allen Ämtern entbunden. Egon Krenz tritt sein Amt als neuer Generalsekretär der SED an.
  • Das alte Politbüro der SED demissioniert am 8. November. Es findet die Neuwahl eines verkleinerten Politbüros statt.
  • Am Tag zuvor erklärt die Regierung der DDR geschlossen ihren Rücktritt. Die gleiche Entscheidung hatten die Vorsitzenden der CDU und der NDPD bereits getroffen.
  • Die Öffnung der Grenzen zur BRD und zu Westberlin erfolgte, wie man heute zu wissen glaubt, infolge total unkontrollierter Handlungen Verantwortlicher in der Parteiführung und im zentralen Staatsapparat.

Ein stabiler, in sich gefestigter sozialistischer Staat sieht nach meinem Dafürhalten anders aus. War dieser Parteitag nicht bereits das Abbild einer sehr verworrenen politischen Lage?

Das Anliegen keineswegs weniger seiner Delegierten dürfte doch wohl gewesen sein, Wege für den Erhalt und eine Umgestaltung der DDR suchen zu helfen. Daß dabei auch andere Töne anklangen, deren Noten anders als so manche es wollten, komponiert wurden, dürfte Kenner historischer Vorgänge eigentlich nicht in Erstaunen versetzen. Es gab übrigens auch eine Geschichte von DDR und PDS nach dem Parteitag. Vergessen wir bitte nicht, daß nach besagtem Ereignis eine Modrow-Regierung bemüht war, die DDR innen- wie außenpolitisch in mancher Hinsicht neu zu prägen. Leider zu spät, wie sich erweisen sollte. Doch zurück zum "Putschparteitag". Dem neuen Statut der "neuen Partei" mit den zitierten Passagen, u. a. über die SED-PDS als marxistische sozialistische Partei, aber auch anderen, konnte ich als überzeugter Marxist - und ich glaube, auch viele andere - damals durchaus zustimmen. Spätere Entwicklungen in der Partei fanden dann nicht mehr meine Zustimmung, und ich habe sie aus verschiedenen Gründen verlassen - damit eine politische Heimat, in der ich mich nicht selten kritisch, aber überzeugt vom großen Wert marxistisch-leninistischer Betrachtungen wie gewonnener Erkenntnisse bewegt habe.

Bis heute stehe ich nicht an, meine Überzeugungen und meine Haltung zur DDR aufzugeben, die zu vertreten für mich nicht bloße Pflicht, sondern Sache der Überzeugung von Kopf und Herz war. Daß Kritik an so manchen Erscheinungsbildern des bislang einzigen deutschen sozialistischen Staates nicht falsch gewesen ist, hat auch mein Verhalten bestimmt, weshalb ich vielleicht als Delegierter meines Ministeriums zum Sonderparteitag gewählt wurde.

Eine Vielzahl von Veröffentlichungen hat sich inzwischen mit dem Untergang der DDR befaßt. Den ernstzunehmenden und von Sachkenntnis geprägten unter ihnen kann wohl entnommen werden, daß eine Menge schwerwiegender Gründe zu Erosion und Zusammenbruch nicht nur der DDR, sondern auch eines ganzen Systems sozialistischer Staaten geführt hat. Der gewichtigste unter ihnen verbirgt sich für mich in der Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft unter den Aspekten ihrer politischen, ökonomischen und sonstigen Ausrichtung. Die im Artikel benannte Auflösung der DDR war meines Erachtens von sehr komplexer Art, und es wäre einfältig, das zu übersehen. Diesen Text schreibe ich auch mit dem Bemerken, daß es überzeugte Linke gibt, die es vorziehen, das, was sie zu sagen haben, auf andere, ihnen eigene Weise zu äußern, ohne unbedingt die Spalten des "RotFuchs" zu bemühen, dessen Anliegen ich im übrigen schätze. Ich wünsche der Zeitschrift für ihr künftiges Wirken alles Gute.

Botschafter a. D. Peter Steglich, Berlin

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Zum Stellenwert des Geschehens in der Berliner Dynamo-Halle

Die Messen waren bereits gesungen

Folgte man Prof. Ingo Wagners Argumentation im RF 191, dann hätte der Parteitag der SED/PDS im Dezember 1989 das Ende der DDR eingeläutet. Ich habe den Autor so verstanden: Dieses Ereignis war ein Putschparteitag, weil er sich de facto als "Türöffner" für den Sieg der Konterrevolution in der DDR erwies.

Hat dieser letzte Parteitag der SED wirklich so viel "Ehre" verdient? Besaß er tatsächlich diese entscheidende Bedeutung für die Niederlage des Bemühens, gemeinsam mit den anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft eine ausbeutungsfreie Gesellschaft zu errichten? Schon die internationale Dimension dieser Frage läßt anklingen, daß unsere Niederlage viel weitergehende Ursachen hatte und nicht an einem Parteitag allein festgemacht werden kann. Tun wir das dennoch, so lenkt es unsere Aufmerksamkeit von den wirklichen Ursachen des Geschehens in der Dynamohalle ab. Dabei soll das Gewicht dieses Vorgangs für die Partei und den weiteren Ablauf der sich bereits in vollem Gange befindlichen Konterrevolution nicht geleugnet werden. Der in einer für den Bestand der DDR und der SED so extrem wichtigen Zeit durchgeführte Parteitag hat mit Sicherheit nichts Entscheidendes für den Erhalt der DDR getan. Was aber hätte er in dieser Situation auch tun sollen, was konnte er überhaupt leisten?

Marxisten-Leninisten wissen, daß gesellschaftliche Abläufe, Erscheinungen und Ereignisse stets allseitig zu beurteilen sind, wobei die Frage nach der aktuellen Situation und ihrem Entstehen, den handelnden gesellschaftlichen Kräften, deren Interessen und den Ergebnissen ihres Wirkens gestellt und beantwortet werden muß. Insofern ist die Aufklärung der Ursachen unserer Niederlage viel umfassender und komplizierter. Der "RotFuchs" hat dazu schon einen bedeutenden Beitrag geleistet. Jede neue Ausgabe unserer Zeitschrift erwarte ich mit Spannung, gerade auch wegen der dazu geführten Diskussion.

Nun aber zurück zum "Putschparteitag". Welche gesellschaftliche Situation war im Dezember 1989 entstanden? Wie war die Lage in der SED? Welche Entwicklungen hatten zu ihr geführt? Wer waren die handelnden oder auch die in Passivität verharrenden Kräfte? Wie war es um die alles entscheidende Machtfrage bestellt? Welche Rolle spielten die Volksmassen, auch und gerade deshalb, weil sie sich 1989/1990 nicht mehr auf die Seite des Sozialismus gestellt, sondern vielmehr für die Ablösung der Diktatur des Proletariats durch die Diktatur der Bourgeoisie optiert haben? Auch hier wäre eine differenzierte Bewertung notwendig.

Wie hatte sich die Situation in der DDR bis zum Dezember 1989 entwickelt? Erich Honeckers Wort von den "jähen Wendungen", auf die man gefaßt sein müsse, haftet mir noch im Gedächtnis. Vielen Genossen war bewußt, daß sich die Situation in der DDR immer mehr zuspitzte. Der Widerstand gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung wuchs an, wenn auch zuerst noch von kleinen Personenkreisen ausgehend, aber bereits mit massiver Unterstützung der bourgeoisen Medien, Parteien und Geheimdienste.

Die übergroße Mehrheit der DDR-Bürger schwieg vorerst noch. Die Parteiführung machte weiter wie bisher. Sie negierte die Probleme und ließ die Presse mit Erfolgsmeldungen füllen. Die letzten Parteitage waren reine Jubelveranstaltungen und keine Foren der kollektiven Meinungsbildung zu notwendigen Veränderungen, um die Klassenauseinandersetzung siegreich zu gestalten und den im Aufbau befindlichen Sozialismus theoretisch und praktisch weiter voranzubringen. Warum sollten sie auch eine solche Rolle spielen, wenn nicht einmal an der Spitze dieser kritische Geist herrschte und von einem Kollektiv der Parteiführung keine Rede mehr sein konnte?

Ich erinnere daran, daß die zunehmende Zahl von Bürgern, welche die DDR verlassen wollten, ignoriert und zur Sache des MfS und des Innenministeriums erklärt wurde. Was interessierten die Parteiführung die Ursachen! Selbst die zunehmende Aggressivität beim Verlassen der DDR wie die Besetzung von Botschaften in der DDR und in sozialistischen Bruderländern war kein Anlaß zum Umdenken und Handeln. Ungarn zwang man faktisch zur Öffnung der Grenze. In völliger Verkennung der Realitäten ließ man den Zug voller Besetzer der Prager BRD-Botschaft durch die DDR fahren - mit den uns Älteren noch bekannten Folgen in Dresden.

Die Informationspolitik der Partei funktionierte nach dem Motto: Prügelt den Überbringer der schlechten Nachricht! Die Parteiführung schuf eine Atmosphäre der Lethargie. Damit lähmte sie die Parteiorganisationen und deren Mitglieder, statt sie auf die heranreifenden Ereignisse einzustellen. Das sollte sich in der Zeit, als der Kampf gegen die Konterrevolution geführt werden mußte, als entscheidendes Defizit erweisen.

Das Politbüro hatte das Vertrauen des Volkes und auch vieler dem Sozialismus treu ergebener Genossen verloren. Vielleicht auch deshalb, weil seine Mitglieder nur noch Huldigungen, aber keine echten und kontroversen Diskussionen mit den Werktätigen mehr gewohnt waren.

Erinnert sei auch an die unsere Verfassung verletzende, völlig unnötige und realitätsferne Fälschung der Ergebnisse der Kommunalwahlen im Frühjahr 1989. Damit gab man den antisozialistischen Kräften im Inneren eine Steilvorlage, die diese gemeinsam mit ihren Verbündeten im Westen zur Intensivierung ihres antisozialistischen Kampfes nutzten. Auch außerhalb der DDR entwickelte sich Bedrohliches. Die VR Polen bewegte sich immer weiter vom Sozialismus weg. Mit einer Restauration des Kapitalismus mußte dort gerechnet werden. Die Sowjetunion war unter Gorbatschow zu einem äußerst fragwürdigen Bündnispartner geworden.

Unsere führenden Genossen hatten ja genügend dagegen gewettert. Völlig zu Recht. Wo aber blieben die Schlußfolgerungen?

Wir haben darauf gewartet und gehofft, daß sich in der Parteiführung auch personell etwas ändern würde - hin zu mehr Realismus und Nüchternheit. Aber es kam der Zeitpunkt, da es dafür zu spät war. Der handelnde Teil des Volkes verweigerte die Gefolgschaft, die Mehrheit schwieg, und Partei wie Staat waren gelähmt. Schließlich öffnete ein Politbüromitglied am 7. November 1989 dem Gegner auch noch unsere Grenzen. Schon bald darauf fand der Außerordentliche Parteitag statt. Hunderttausende SED-Mitglieder hatten zu diesem Zeitpunkt bereits ihre Dokumente hingeworfen.

Und dieser Parteitag soll das Ende der DDR eingeläutet haben? Das war doch schon längst passiert. Die eigenen Bataillone waren geschwächt, verunsichert und in ihrem Handlungsspielraum eingeengt. Bereits Monate vor dem Parteitag waren keine ernsthaften und entschiedenen Versuche zur Verteidigung der DDR mehr unternommen worden. Damit meine ich nicht den Einsatz der bewaffneten Macht, sondern die Mobilisierung der Menschen, die am Erhalt der DDR interessiert waren und dem weiteren Vordringen der Konterrevolution hätten Widerstand entgegensetzen können und wollen.

Jürgen Stenker, Halle (Saale)

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Ein Mitstreiter Bebels, auf den Lübtheens SPD stolz sein sollte

Erinnern an Franz Thaele

Sand und Salz in Rot - wie gleich festzustellen sein wird, in proletarischem Rot. Ort der Handlung ist Lübtheen in der als Griese Gegend bezeichneten Region im Südwesten Mecklenburgs nahe der Elbe, in deren Urstromtal. Der Name stammt vom grauen, alles bedeckenden Sand. Tief darunter liegt ein mächtiges Salzgebirge, das hier und dort als Diapire bezeichnete Salzstöcke nach oben preßte. Einer davon konnte vor 150 Jahren bei dem genannten Ort entdeckt werden. Jahrzehntelang wurde hier schwieriger Schachtbau betrieben, bis man dem begehrten Kalisalz auf die Spur kam, so daß am 2. August 1906 mit dem Abbau begonnen werden konnte. Bereits 1900 hatte man in der Nachbargemeinde Jessenitz einen Salzschacht fündig gemacht.

Griese Gegend hieß soviel wie dünn besiedeltes Land: Hier lebten die Menschen von der Pflugarbeit. So war der Arbeitskräftebedarf beider Schächte nicht aus dem nahen Umland zu befriedigen. Dennoch war es nicht schwer, Bergarbeiter anzuwerben, weil sich die Kali-Funde schnell in ganz Deutschland herumsprachen.

Zu Jahresbeginn 1902 kam der 24jährige Sozialdemokrat und Bergmann Franz Thaele aus dem Staßfurter Kalirevier dorthin, sah, daß seine Lübtheener Genossen sich noch nicht zusammengeschlossen hatten, und gründete eine SPD-Ortsgruppe. Handwerksmeister und Gesellen vom zwei Jahrzehnte zuvor gegründeten örtlichen Arbeiterbildungsverein wechselten zu ihr über.

Im Juni 1903 erfolgte die Gründung des Arbeiter-Turnvereins "Veritas 03", wenig später entstand der fortschrittliche Radfahrer-Verein "Solidarität". Genosse Thaele setzte auf Agitation in den umliegenden Dörfern. Zunächst rührte sich die Grubenleitung nicht. Doch das Großherzogliche Amt in Hagenow ließ Thaele und dessen SPD-Genossen unter Beobachtung stellen. In einem seiner Berichte an das Schweriner Innenministerium liest man: "Als der Zigarrenmacher Genz bestattet wurde, trug man einen Kranz mit großer roter Schleife voran."

1907 wurde Genossen Thaele seitens der Grube ohne Angabe von Gründen gekündigt, wobei offensichtlich war, daß seine Entlassung in der Absicht erfolgte, ihn aus Lübtheen zu vertreiben. Doch unser Mann wich nicht und setzte seine politische Arbeit fort. Er sattelte zum Dachdecker um.

Soviel zu den Anfängen der organisierten Arbeiterbewegung in der Griesen Gegend, der aber sehr bald der Boden entzogen wurde, da beide Schächte - fachmännisch ausgedrückt - absoffen.

Auch heute gibt es in Lübtheen eine SPD-Ortsgruppe. 2002 feierte sie ihr 100jähriges Bestehen. In der offiziellen Festschrift "650 Jahre Lübtheen" erinnert kein einziger Satz an Genossen Thaele aus der einst glorreichen SPD August Bebels.

Siegfried Spantig, Hagenow

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"RotFuchs"-Wegbereiter (9): Ghassem Niknafs

Als Kind einer Beamtenfamilie 1942 in Iran geboren, habe ich sehr früh die Brutalität des Imperialismus in meiner Heimat kennenlernen müssen. Als Zehnjähriger war ich Zeuge des US-gelenkten Militärputsches gegen Irans nationale Regierung Mossadegh, wobei ein Mitschüler von den Putschisten angeschossen wurde. Der Polizeichef meiner Geburtsstadt Kerman, ein Mitstreiter Mossadeghs, wurde von den Söldnern der Putschisten zuerst mit Schlagstöcken malträtiert und dann durch Messerstiche ermordet. Es folgte die Hinrichtung unzähliger Patrioten - vor allem von Offizieren der Armee, die der Tudeh-Partei angehörten. Tausende und aber Tausende Demokraten wurden festgenommen, Wellen furchtbaren Terrors prägten auf Dauer auch die neuere Geschichte Irans.

Mein Leben und Lernen in der BRD begann mit einer Besichtigung der "Berliner Mauer" im Rahmen einer Klassenreise. Drei meiner unbelehrbaren Lehrer am Studienkolleg Hamburg erzählten im Unterricht immer neue Horrorgeschichten aus der Zeit ihrer Kriegsgefangenschaft in der UdSSR. Sie taten das so, als hätte man sie dorthin zu einer Urlaubsreise eingeladen.

Beim Besuch des Schahs im Jahre 1967 prügelten die aus Teheran mitgebrachten Schlägertrupps unter BRD-Polizeischutz auf iranische Demokraten ein, während uns als den konsequentesten Gegnern der Diktatur Prozesse wegen "Landfriedensbruchs" angehängt wurden!

Doch das Leben hierzulande eröffnete uns auch größere Chancen: Einerseits ließen sich gewisse demokratische Spielräume für Protestaktionen gegen die Willkür in Iran nutzen, andererseits hatten wir jetzt - vor allem dank der Existenz der DDR - Zugang zur Literatur der marxistischen Klassiker, was uns politische Zusammenhänge besser verstehen ließ.

Die Kraft der internationalen Solidarität überwand oftmals Terror und Unterdrückung in meiner Heimat. So mußte das Todesurteil gegen den derzeitigen Generalsekretär der kommunistischen Tudeh-Partei noch unter dem Schahregime aufgehoben werden. Allerdings konnte er erst im Zuge der Revolution von 1979 aus der Haft befreit werden. Auch in der Islamischen Republik, die dem folgte, zeigte der internationale Druck Wirkung.

Die Niederlage des Sozialismus und die Annexion der DDR versetzten den Fortschrittskräften Europas einen schweren Schlag. In der BRD konnten - aus meiner Sicht - leider allzuwenig links Eingestellte begreifen, von welcher zentralen Bedeutung es hätte sein müssen, die Errungenschaften der DDR zu verinnerlichen und zu verteidigen.

Während des 13. Parteitags der DKP, deren Mitglied ich auch bin, lernte ich 1997 Genossen Klaus Steiniger kennen, der damals Berliner Bezirksvorsitzender der Partei und Redakteur der Zeitschrift "Anstoß" war.

Mit großem Interesse verfolgte ich das Wirken der eine gewisse Rolle im Kampf gegen opportunistische Tendenzen innerhalb der Partei spielenden Gruppe Berlin-Nordost. Seit Jahren gehöre ich dem Vorstand des RF-Fördervereins an. Heute ist der "RotFuchs" als marxistische Publikation aus der politischen Landschaft der BRD nicht mehr wegzudenken. Ich betrachte ihn als Orientierungspunkt bei der Suche nach einer gemeinsamen Basis organisierter und nichtorganisierter Kommunisten, Sozialisten und anderer fortschrittlicher Kräfte. Auch auf internationaler Ebene unterstützt die Zeitschrift klassenorientiert, zuverlässig und wegweisend deren vielfältige Kämpfe.

Ghassem Niknafs, Hamburg

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Friedrich Karl Kaul schöpfte aus seiner bewegten Biographie

Ein Anwalt als Literat

Den meisten, die ihn kannten, ist Friedrich Karl Kaul vor allem als Strafverteidiger durch seinen engagierten Einsatz für von der Adenauer-Justiz verfolgte Antifaschisten unvergeßlich geworden. Auch sein Wirken im KPD-Verbotsprozeß, der 1954 bis 1956 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe stattfand und als Vertreter der Nebenklage im Auschwitz-Prozeß, sowie seine zahllosen Ratgebersendungen im Rundfunk und im Fernsehen der DDR haben sich vielen eingeprägt. Doch auch sein literarisches Schaffen brachte ihm kaum weniger Popularität ein. Der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus der Emigration Zurückgekehrte nahm seinen Wohn- und Arbeitssitz im Osten Deutschlands, wo wenig später die DDR gegründet wurde. Von Beginn an setzte er sich für eine konsequent antifaschistische und später sozialistische Entwicklung ein, wobei sein Denken vor allem auch durch eigene Erlebnisse als Häftling der Nazikonzentrationslager Lichtenburg und Dachau geprägt war.

Bereits im US-Exil hatte er damit begonnen, erste literarische Texte zu verfassen. Dabei handelte es sich zunächst um Romane, die FKK - wie er später allgemein genannt wurde - aufgrund von selbst Erfahrenem schrieb oder denen er historische Kriminalfälle zugrundelegte. Bereits 1953 erschienen seine Arbeiten "Der Ring" und "Mord im Grunewald". Der zweite Titel befaßte sich mit dem Tötungsverbrechen an Walter Rathenau, einem Außenminister der Weimarer Republik, der sich vor allem durch den 1922 mit der Sowjetunion abgeschlossenen Rapallovertrag profiliert hatte. 1955 folgte "Der Weg ins Nichts". Er spielt in der Zeit nach der Inflation von 1923. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein aufgrund falscher Aussagen wegen angeblichen Verrats an eine fremde Macht zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilter Unschuldiger.

In den 1956 und 1959 erschienenen Romanen "Die Doppelschlinge" und "Es wird Zeit, daß Du nach Hause kommst" verarbeitete FKK eigene Erlebnisse seiner Emigrationszeit in Lateinamerika. In "Der blaue Aktendeckel" (1958) schildert er einen authentischen Fall, der sich in der BRD der frühen 50er Jahre ereignete. Einem versierten Anwalt gelingt es, der Gerechtigkeit trotz widriger Umstände zum Durchbruch zu verhelfen. Parallel dazu erschien ab 1954 die dreibändige Reihe zu merkwürdigen Kriminalfällen in der Zeit der Weimarer Republik, mit welcher der Autor das Genre des einst von Friedrich Schiller begründeten Pitavals neu belebte. Kaul verdeutlichte, wie die Justiz aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst zum Verbrechen wird. Erste anwaltliche "Erlebnisse und Erfahrungen mit westdeutschen und Westberliner Gerichten" verarbeitete er in den beiden Bänden "Ankläger auf der Anklagebank" (1952/53) und "Ich fordere Freispruch" (1955).

Die aus der Feder von FKK stammenden Romane erfuhren mehrere Auflagen und erfreuten sich bei der Leserschaft großer Beliebtheit. In den 60er Jahren setzte er dann die Pitaval-Reihe mit Fällen aus der Kaiserzeit "So wahr mir Gott helfe" und einem Berliner Pitaval "Von der Stadtvogtei bis Moabit" fort. In dieser Phase kamen auch stärker wissenschaftlich geprägte Arbeiten hinzu, darunter "Der Fall des Herschel Grynszpan" (1965), "Ärzte in Auschwitz" (1968), "Geschichte des Reichsgerichts 1933-1945" (erschienen 1971) und "Nazimordaktion T 4" (1973).

In den Jahren 1972, 1978 und 1981 vervollständigten "In Robe und Krawatte", "Der Verteidiger hat das Wort" und "Menschen vor Gericht" die Reihe geschilderter Fälle aus eigener anwaltlicher Praxis. Etliche der hinter die Kulissen der bürgerlichen Klassenjustiz leuchtenden Enthüllungen Kauls wurden vom Fernsehen der DDR verfilmt (so entstanden von 1958-1978 an die 50 Pitaval-Sendungen).

Kurz vor seinem Tod im April 1981 erschien noch die Publikation "... ist zu exekutieren!". Sie befaßte sich vor allem mit dem KPD-Verbot und der vorgespiegelten Verfolgung der Mörder Ernst Thälmanns, die sich jedoch weit eher als eine Verschleppung des Verfahrens herausstellte. Ich empfand es als ehrenvoll, dieses Buch 2006 unter Fortschreibung weiterer Entwicklungen neu herausbringen zu können. Es lohnt sich allemal, in das umfangreiche schriftstellerische Werk Friedrich Karl Kauls wieder einmal hineinzuschauen oder erstmals von ihm Besitz zu ergreifen. Leider sind seine Titel fast nur noch antiquarisch erhältlich.

Rechtsanwalt Ralph Dobrawa

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Friedensaktivist Hermann Siemering: Die schlimmste Nacht meines Lebens

Als Bremen in Schutt und Asche sank

Der folgende Beitrag, den ich verkürzt anbiete, entstand Anfang 1960. Ich fand ihn 1994 unter meinen Papieren wieder. Da ich im Vorjahr per Zufall zum Offenen Kanal / Bürgerrundfunk gekommen war, machte ich aus meinen Erlebnissen einen Film. Genau 50 Jahre nach dem thematisierten Ereignis - am 18./19. August 1994 - lief dieser einstündige Streifen im OK Bremen. Er hatte Erfolg. Viele ältere Leute wollten ihn haben. Der Film trug den Titel "Meinen Enkelkindern gewidmet".

Wir Alten - ich bin 81 - haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den nachfolgenden Generationen unsere Erfahrungen mitzuteilen. Inzwischen habe ich schon über 20 Jahre einen festen Sendeplatz - einmal im Monat eine halbe Stunde. Dabei geht es nicht nur um Krieg und Frieden, sondern auch darum, wer die Schuldigen an Kriegen waren, und die Tatsache, daß deren Nachfolger heute schon wieder am Wirken sind.

Auch meine Frau ist sehr aktiv. Seit mehr als 30 Jahren steht sie Woche für Woche mit anderen Bremerinnen auf dem Marktplatz Mahnwache gegen Kriege, für Frieden und Abrüstung.

Meine Filme und Kommentare behandeln auch soziale Themen. Inzwischen bin ich über 500 Mal auf Sendung gegangen, und meine Frau hat sicher bald 1500 Mal auf Bremens Marktplatz gestanden. Ich sage immer, daß ich eine Sauwut auf Leute in unserem Alter habe, die ihren Nachkommen eigenes Erleben aus der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit verschweigen. Jeder sollte nach eigenem Ermessen, soweit es gesundheitlich noch geht, dazu beitragen, vergangene Schrecknisse ins allgemeine Bewußtsein zu heben. Unser Motto sollte nicht heißen: "Es muß etwas geschehen", sondern "Ich muß etwas tun!"

Nun zum alten Text:

Wir schrieben den 18. August 1944. Ein Tag, an dem der Himmel leuchtend blau war und die Sonne fast unerträglich heiß schien. Gerne wäre ich baden gegangen, denn was sollte ein zwölfjähriger Junge schon für andere Wünsche haben bei einem so herrlichen Sommerwetter! Doch meine Mutter hatte mir verboten, mich außer Rufweite vom Haus zu entfernen. Dafür gab es gute Gründe. Als ich einmal nicht auf sie hörte und mit einem gleichaltrigen Jungen spielen gegangen war, wurde gerade Fliegeralarm ausgelöst. Wie gehetzt war ich nach Hause gelaufen, bevor die Flak einsetzte und die ersten Bomben fielen. Mutter hatte damals nicht mit mir geschimpft, nur in ihren Augen war so etwas wie Angst zu lesen - Angst um das Leben, für das damals keiner mehr einen Pfifferling zu geben bereit war. Vier lange Stunden saßen wir im überfüllten Bunker auf demselben Platz wie immer.

Doch plötzlich heulten die Sirenen zur Entwarnung und ein Aufatmen ging durch die Reihen der Wartenden. Man konnte die Gedanken jedes einzelnen lesen. Es ist ja mal wieder gutgegangen. Das war der 18. August 1944.

Am späten Abend desselben Tages wurden wir noch einmal durch scheußliches Sirenengeheul in Panik versetzt. Es riß uns aus dem Schlaf. Aufgestanden, das Notdürftigste ergriffen und wieder zum Bunker. Wir hatten diesmal das Gepäck in der Wohnung gelassen, denn im Radio war die Meldung gekommen, die feindlichen Bomberverbände würden an unserer Stadt vorbei in Richtung Berlin fliegen. Fast zwei Stunden saßen wir schon im Bunker. Die Stimmung war etwas aufgelockerter als am Tage. Der Raum war nicht ganz voll, weil wahrscheinlich viele die Radiomeldung gehört hatten und annahmen, es würde ja nicht so schlimm werden.

Doch plötzlich kam der Bunkerwart und teilte mit, die feindlichen Bomberverbände seien von Berlin aus auf dem Rückflug in Richtung Bremen.

Dann folgte die Nacht des Grauens. Ich werde sie nie in meinem Leben vergessen. Nur eine reichliche halbe Stunde bombardierten die Flugzeuge unsere Stadt - danach war ein Drittel Bremens dem Erdboden gleichgemacht. Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, um die Schrecken dieser Nacht zu schildern, oder der am darauffolgenden Tage, als wir zwischen verkohlten Leichen meinen Vater zu finden versuchten, der nicht bei uns im Bunker gewesen war. Man könnte darüber berichten, wie noch tags danach Menschen vor unseren Augen bei lebendigem Leibe durch Phosphor verbrannten, oder wie wir selbst versuchten, aus der Feuerzone zu entweichen und nach mehreren Stunden endlich an jener Stelle standen, wo zuvor unser Haus gewesen war. Nun hatten wir zum dritten Mal alles verloren und nur noch unser nacktes Leben gerettet. Die Kleidung an unseren Leibern war versengt, teilweise hatten wir sie selbst in Fetzen gerissen, um sie uns als Schutz gegen den Rauch und die Flammen der brennenden Häuser vor den Mund zu halten.

Aber nochmals zurück zum Bunker. Drinnen war das Heulen des Feuersturms zu hören, und dann drangen einzelne Nachrichten zu uns, die ganze westliche Vorstadt Bremens sei in Schutt und Asche gesunken und um den Bunker herum lägen tote Menschen. Die Betroffenen hätten nach dem Einsetzen des Bombenhagels noch versucht, hier Schutz zu finden.

Man hielt sich gegenseitig an den Armen fest und verdammte den Krieg. Die Worte einer jungen Frau, die einen etwa sechsjährigen Jungen auf dem Arm hielt, klingen mir noch heute im Ohr: "Lieber zehn Jahre bei Wasser und trocken Brot - wenn nur der Krieg endlich vorbei wäre. Mein Mann ist auch schon gefallen."

Ich will meine Erinnerungen an den 18. und 19. August 1944 nicht ohne ein Wort der Mahnung beenden: Laßt uns Ältere die Schrecken des Krieges niemals vergessen! Laßt uns, denen bei Sirenengeheul noch immer ein eiskalter Schauer über den Rücken läuft, den Enkeln und Urenkeln aus eigener Erfahrung erzählen, wie schlimm Kriege sind.

Hermann Siemering, Bremen

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RF-Extra
Über Licht und Schatten im deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat

Gründe für Stolz und Schmerz

In seinem Beitrag "Eigene Defizite nicht bagatellisieren!" warf Siegfried Schubert schon im RF 186 berechtigterweise Fragen auf, die wohl allen mit der DDR Verbundenen auf den Nägeln brennen. Welche Verantwortung für deren Untergang tragen wir selbst? Dennoch können wir trotz des Ausgangs der Dinge stolz darauf sein, daß es den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat in der deutschen Geschichte überhaupt gegeben hat. Nur wenn man davon ausgeht, daß es in historisch überschaubarer Zeit Möglichkeiten für einen neuen Anlauf gibt, macht es Sinn, sich mit Licht und Schatten der eigenen Vergangenheit gründlich zu befassen.

Ohne Zweifel gilt es nicht nur Defizite zu analysieren, sondern auch das Entstehen, Werden, Wachsen und Vergehen der DDR vor dem Hintergrund der konkreten inneren und äußeren Bedingungen allseitig zu betrachten. Wenn es darum geht, heutigen wie künftigen Mitstreitern Erkenntnisse über die DDR zu vermitteln, sollte man zuerst die Frage beantworten, wie es denn überhaupt möglich war, eine solche Gesellschaft zu errichten: ohne Arbeitslosigkeit und Zukunftsängste, frei von sozialer Würdelosigkeit, Fremdenhaß und Kriegsgelüsten.

In den Programmen der maßgeblichen BRD-Parteien sind solche Errungenschaften nicht einmal angedacht: Arbeitslosigkeit 0 %, Obdachlosigkeit 0 %, Beseitigung des tiefen Grabens zwischen arm und reich, echte Frauenbefreiung, soziale Sicherheit für alle. Das waren für uns Selbstverständlichkeiten, obwohl es auch eine Vielzahl noch ungelöster Probleme gab, die mehrheitlich hätten bewältigt werden können.

Bei all dem ist zu bedenken, daß die Erbauer der DDR und jene, die 40 Jahre lang für die Bewahrung des Errungenen sorgten, den überprüfbaren Nachweis der Möglichkeit einer Alternative zum Kapitalismus erbrachten. Vor allem diese Tatsache muß künftigen Generationen vermittelt werden. Als Wesensmerkmale einer ausbeutungsfreien Gesellschaft sollten auch in Zukunft das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln sowie die planmäßige Gestaltung aller wirtschaftlichen und sozialen Prozesse unter der Leitung einer politischen Kraft mit entsprechender Zielsetzung gelten.

Es reicht dabei nicht aus, unter Weiterbestehen kapitalistischer Grundstrukturen durch bloßen Politikwechsel echte Veränderungen bewirken zu wollen, obwohl um Reformen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse arbeitender Menschen ständig gekämpft werden muß.

Es ist bedrückend, wenn selbst unter politischen Kräften, die für sich in Anspruch nehmen, Linke zu sein, mit Blick auf die DDR fast nur abfällige, beleidigende Etiketten verteilt werden. Eine solche Pauschalisierung trägt dem Wesen des tatsächlichen Lebens in der DDR in keiner Weise Rechnung.

Nun zu meiner Sicht auf die Niederlage des Sozialismus in der DDR. Ich glaube, daß drei Faktoren unser Schicksal besiegelt haben: ein übermächtiger Feind, ein in die Hände von Verrätern geratenes ursprüngliches Freundesland und die Unfähigkeit von Teilen der eigenen Führung. Ohne von unseren Fehlern und Defiziten ablenken zu wollen, muß man klar erkennen, daß die DDR selbst dann, wenn sie makellos gewesen wäre, wohl kaum Überlebenschancen gehabt hätte. Das beziehe ich nicht nur auf das unmittelbare Ende - das Fallenlassen durch die Clique Gorbatschows -, sondern auch auf fast ihre gesamte Existenzdauer.

Seitens der BRD und deren NATO-Verbündeter wurde ohne Unterlaß alles unternommen, die DDR zu untergraben und zu beseitigen. Egon Bahr soll einmal auf die Frage nach dem Feindbild der BRD geantwortet haben: Die DDR mußte weg! Dazu war der BRD jedes Mittel recht, militärische Maßnahmen inbegriffen.

Es steht außer Zweifel, daß es die DDR ohne die Befreiung durch die Rote Armee sowie die Unterstützung auf den verschiedensten Gebieten nie gegeben hätte. Zugleich ist zu bemerken, daß dieses unerläßliche Bündnis erst für die SBZ, dann für die DDR von Beginn an mit erheblichen Hypotheken belastet war. Beide erbrachten etwa 98 % aller deutschen Reparationsleistungen an die UdSSR - eine zwingende Konsequenz des von Hitlerdeutschland entfachten Krieges. Die Sowjetunion konnte im Unterschied zu den Westalliierten angesichts der unermeßlichen Kriegsschäden nicht auf Reparationen verzichten. Dadurch und infolge der Marshallplan-Injektionen für den Westen war die DDR de facto von Beginn an ökonomisch derart ins Hintertreffen geraten, daß dieser Abstand niemals mehr aufgeholt werden konnte.

Massive Erschwernisse ergaben sich für die DDR-Wirtschaft vor allem auch aus der Systemkonfrontation. Die Ausgaben der DDR für die Beschaffung von Waffen und Ausrüstungen für die Truppe sowie den Unterhalt der Nationalen Volksarmee brachten sie an den Rand ihrer Leistungskraft. Die Bürde des Kalten Krieges, der damit tatsächlich "kalt" blieb, drückte die DDR weitaus mehr als ihren imperialistischen Widerpart.

Die DDR war als relativ kleines, rohstoffarmes und dennoch industriell hochentwickeltes Land extrem außenwirtschaftsabhängig. Das betraf nicht nur Rohstoffe, sondern auch moderne Technologien wie die Mikroelektronik. Eine angedachte Zusammenarbeit mit der UdSSR konnte indes nicht verwirklicht werden, obwohl man dort über alle wissenschaftlichen, technischen und materiellen Voraussetzungen zur Produktion modernster Entwicklungen verfügte, sie aber fast ausschließlich für militärische Zwecke und die Raumfahrtprogramme einsetzte. So verfolgte die DDR ihr außerordentlich ehrgeiziges, die eigenen Möglichkeiten überforderndes Mikroelektronikprogramm.

Mit ihren etwa 16 Millionen Einwohnern und ohne nennenswerte eigene Rohstoffe - von Braunkohle abgesehen - bewegte sie sich stets unterhalb jener "kritischen Masse", die eine autarke Existenz ermöglicht hätte. So wäre sie auch ohne den finalen Todesstoß durch Gorbatschows Verrat wohl kaum dazu in der Lage gewesen, sich auf Dauer zu behaupten. Hinzu kam der Widerspruch, daß SED und DDR nicht nur verbal, sondern auch praktisch alles nur Mögliche unternahmen, um die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung immer besser befriedigen zu können, während andererseits große Teile der dadurch Begünstigten sie am Ende unter massivem Einfluß der Westmedien "abwählten". Man kann die Sache auch umdrehen. Jene Parteien in der BRD, die für Arbeitslosigkeit, Krisen und Kriege die politische Verantwortung tragen, werden stets wiedergewählt, wobei sich lediglich die Anteile innerhalb dieser "Einheitspartei" verschieben.

Wie aber kann man es sich erklären, daß so viele Bürger der DDR den Rücken zuwandten, obwohl sie nachweislich eine menschenwürdigere und gerechtere Gesellschaft verkörperte?

Ein Hauptgrund besteht wohl darin, daß für sehr viele Menschen der Wert der DDR-Errungenschaften durch Gewöhnung für völlig normal gehalten wurde, während zugleich Fragen wie die lückenhafte Versorgung mit bestimmten Lebensmitteln und technischen Konsumgütern sowie die marode Bausubstanz, besonders aber die stark eingeschränkte Reisefreiheit negativ ins Gewicht fielen. Wenn DDR-Bürger Vergleiche mit den Lebensverhältnissen in der BRD anstellten, bezogen sich diese nicht auf Bildung, Gesundheit und Jobsicherheit, sondern auf Mallorca, Mercedes und überquellende Regale. Das waren auch die eigentlichen "Fluchtgründe" für die meisten jener, welche die DDR verließen oder am Ende abwählten. Andere Argumente wie angeblich fehlende Freiheit, ein Mangel an Demokratie oder "Stasi-Bespitzelung" wurden eher vorgeschoben und vom Westen eingeredet, als wirklich empfunden.

Natürlich ist die Frage legitim, ob die erwähnten Defizite zwangsläufig hätten auftreten müssen oder ob sie in Teilen vermeidbar gewesen wären.

Offensichtlich wurden die Möglichkeiten, welche die Planwirtschaft bietet, bei weitem nicht ausgeschöpft, wobei man sie als ein Kernstück des sozialistischen Systems nicht in Frage stellen sollte. Selbst unter den bestehenden Einschränkungen bewies das System der DDR seine Vorzüge gegenüber der ungebremsten kapitalistischen Marktwirtschaft. Doch die planwirtschaftliche Praxis war leider oftmals weit eher eine zentralistische Kommandowirtschaft als die gemeinschaftliche demokratische Erarbeitung aufeinander abgestimmter ökonomischer Entscheidungen, an denen alle Kombinate, Betriebe, gesellschaftlichen Gremien und vor allem die Werktätigen selbst unmittelbar teilnehmen konnten. Die SED-Führung tat kaum etwas, solche Methoden der Leitung, Planung und Organisation der Volkswirtschaft zu entwickeln, welche die notwendige Effektivität bewirkt hätten.

Die unter Walter Ulbricht begonnenen Arbeiten an einem Neuen Ökonomischen System wurden nach dem Wechsel an der Parteispitze jäh abgebrochen. Seitdem herrschte mehr oder weniger Stillstand, während die Probleme blieben.

Der Plan wurde so von oben nach unten zu einem Druckinstrument für das "Herauspressen" höherer Leistungen. Das entscheidende Kriterium für deren Anerkennung war die Planerfüllung. Die Interessen der Betriebe und Kombinate konzentrierten sich daher auf die Ausarbeitung möglichst "weicher" Pläne und das Zurückhalten von Reserven statt auf deren Erschließung.

Wertkategorien wie Preis, Gewinn und Kredit wurden mehr als formale Rechengrößen betrachtet, denn als Maßstäbe für hohe Effektivität. Das Leistungsprinzip, dessen Notwendigkeit in Worten stets beteuert wurde, kam leider kaum zum Tragen. Löhne und Gehälter wurden mehr oder weniger nach Tabellen, nicht aber nach echter Leistung und Verantwortung gezahlt. Generaldirektoren oft riesiger Kombinate "verdienten" in der Regel nicht einmal 4000 DDR-Mark im Monat - Beträge, über die mancher Handwerker in der DDR nur müde lächelte. Prämien wurden nicht selten sogar auch dann ausgezahlt, wenn der Plan gar nicht erfüllt worden war.

Die vielbeschworene "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" wurde dadurch gravierend verletzt, daß soziale Maßnahmen - so richtig und notwendig sie waren - losgelöst von den tatsächlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten durchgesetzt wurden. So entstand durch die zweifellos gut Gemeinte "Politik stabiler Verbraucherpreise" und extrem niedriger Mieten ein Kaufkraftüberhang, der häufig eine nicht zu befriedigende Nachfrage in bezug auf Konsumgüter und Dienstleistungen hervorrief. Ergebnis dessen war dann das von den Westmedien ständig strapazierte Gerede von einer "DDR-Mangelwirtschaft".

Diese und viele andere Probleme waren der Führung durchaus bekannt. Sie wurden von staatlichen Organen, gesellschaftlichen Einrichtungen sowie in zahlreichen Eingaben der Bürger klar benannt, durch die Führungsspitzen der Partei aber ignoriert. Selbst als mit dem Auftreten Gorbatschows Mitte der 80er Jahre eine gewisse - auf Ahnungslosigkeit beruhende - Aufbruchstimmung bei vielen DDR-Bürgern zu spüren war, verharrte die Führung in Reglosigkeit. Man kann nur ahnen, daß insbesondere Erich Honecker vom Gefühl der Ohnmacht, Überforderung und Verzweiflung erdrückt wurde. Das fand nicht zuletzt in seiner Entscheidung Ausdruck, den 12. Parteitag der SED, der planmäßig erst 1991 stattfinden sollte, auf 1990 vorzuverlegen.

Es sind aber sicher nicht nur die lückenhafte Versorgungsdecke und die fehlende Reisefreiheit für die "Abwahl" unseres Systems ausschlaggebend gewesen. Antipathien nicht weniger Menschen gegen die Partei breiteten sich im Laufe der Zeit aus. Die verantwortlichen Genossen wurden als unfähig und unwillig empfunden, sich abzeichnende Konfliktsituationen rechtzeitig erkennen, geschweige denn angehen zu können und zu wollen. Dazu trugen die oftmals penetrante Manier der politisch-ideologischen "Erziehungsarbeit", die im Widerspruch zur empfundenen Wirklichkeit stehende Selbstbeweihräucherung und Lobhudelei sowie der als Entmündigung der Bürger empfundene Wahlmodus bei. Das Vertuschen offenkundiger Probleme rief Verärgerung hervor.

Es träfe wohl kaum den Kern der Sache, wollte man all das lediglich als Ausdruck von Dummheit oder Altersblindheit abtun. Auch ganz konkrete Umstände haben zu solchen "Unsinnigkeiten" beigetragen. So war die Furcht davor, daß bei kritischen oder gar selbstkritischen Äußerungen aus den eigenen Reihen der politische und soziale Gegner sofort versuchen würde, diese lautstark über die Medien für seine eigene Anti-DDR-Propaganda zu nutzen, sehr verbreitet. Immer mehr gelang es den Westsendern, deren Informationsquellen nicht nur aus kritischen Äußerungen von DDR-Bürgern Zufluß erhielten, in den Augen vieler weit glaubwürdiger zu erscheinen als der Selbstzufriedenheitskult der eigenen Medien. Die jahrelange Schönfärberei trug keine Früchte.

Ein anderes Thema war der Umgang mit "Dissidenten", also Andersdenkenden, unter denen sich nicht wenige Gegner der DDR befanden. Dieser Begriff wird im heutigen Sprachgebrauch völlig einseitig benutzt, indem sie immer die "Guten" sind, die von den "Bösen" aus SED und Stasi verfolgt, bespitzelt und sogar eingesperrt wurden.

Tatsächlich verbargen sich unter dem Deckmantel der Dissidenz aber auch etliche Gruppierungen, die mehr oder weniger offen gegen das Gesellschaftssystem der DDR operierten. Daß die imperialistischen Dienste dabei eine besondere Aktie hatten, muß wohl nicht näher erläutert werden. So war der Einsatz adäquater Mittel und Methoden in der Auseinandersetzung mit echten Feinden des Sozialismus nicht nur legitim, sondern auch eine existentielle Schutzmaßnahme. Immerhin ist in der DDR niemand auf die Idee gekommen, das Land mit Soldaten und Panzern am Hindukusch "zu verteidigen", was man inzwischen in der BRD als absolute Normalität betrachtet.

Leider haben führende Kräfte der seinerzeitigen PDS - ich denke dabei vor allem an die Professoren Brie und Klein - eine absolut negative Haltung zur DDR eingenommen und ihr sozialistisches System verdammt. Sie alle waren in der DDR Mitglieder der SED, viele von ihnen geachtete, ja sogar geehrte Persönlichkeiten!

Was wäre passiert, wenn der 12. Parteitag 1990 tatsächlich stattgefunden hätte und sie dort zu Nachfolgern von Honecker, Hager, Sindermann und anderen gewählt worden wären? Ich bin davon überzeugt, daß die DDR und der Sozialismus schon nach kurzer Zeit den Bach hinuntergegangen wären. So hatte es durchaus seine guten Gründe, daß die damaligen Oberen auch das eigene politische Umfeld im Auge behielten.

Als Kommunisten und Sozialisten müssen wir uns stets der Tatsache bewußt sein, daß der Kapitalismus eine Art "Perpetuum mobile" ist. Er vermag sich immer wieder selbst zu regenerieren. Bricht er irgendwo zusammen, wie z. B. nach den beiden Weltkriegen, entsteht in aller Regel - sehen wir von den Ergebnissen der Oktoberrevolution ab - wieder Kapitalismus. Die Befreiung durch die Rote Armee hat die Deutschen im Osten vor diesem Schicksal bewahrt. Zerbricht aber der Sozialismus, dann entsteht ebenfalls Kapitalismus. Das bedeutet, daß Sozialismus täglich neu erobert werden muß, daß ein ständiger Kampf darum zu führen ist, auftretende Probleme wie neue Entwicklungschancen zu erkennen und unter Einbeziehung möglichst vieler Menschen notwendige Entscheidungen konsequent durchzusetzen. Es müßte eine solche Atmosphäre herrschen, in der jeder sich ständig aufgefordert fühlt zu kritisieren, Vorschläge zu unterbreiten und eigene Initiativen zu entwickeln. Der größte Fehler war die Losung "Nur keine Fehlerdiskussion!"

Das bedeutet andererseits aber auch, nicht zuzulassen, daß sich in der Gesellschaft Kräfte etablieren und entfalten können, die ein Zurückdrängen in vorsozialistische Verhältnisse anstreben.

Peter Elz, Königs Wusterhausen

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Dossier von Jo Cottenier in "Solidaire", Brüssel

Wohin geht China?

Das Mitglied des Politbüros der Partei der Arbeit Belgiens (PTB) Jo Cottenier - er zählt zu den theoretischen Köpfen der Kommunisten seines Landes - veröffentlichte am 28. November 2013 in der Wochenzeitung "Solidaire" ein den Ergebnissen des 3. Plenums des ZK der KP Chinas gewidmetes doppelseitiges Dossier unter der Schlagzeile: Wohin geht China?

Wir fassen die Meinungsäußerung dieses namhaften marxistischen Denkers und erfahrenen Parteiführers im folgenden zusammen, ohne deren inhaltliche Aussagen zu verändern.


Genau ein Jahr nach dem 18. Parteitag, der eine neue Führung der KP formiert und Staatspräsident Xi Jinping berufen habe, seien vom 3. Plenum des ZK der KP Chinas tiefgreifende Reformen beschlossen worden, schreibt Cottenier einleitend. Den Dokumenten des Parteitags sei zu entnehmen gewesen, daß die Position der Kommunistischen Partei und die zentrale Rolle der Staatsunternehmen in strategischen Bereichen der Wirtschaft unverändert beibehalten würden.

Die großbürgerlichen Medien und jene Beobachter, welche den chinesischen Sozialismus so bald wie möglich verschwinden sehen möchten, seien dadurch enttäuscht worden. Sie wären nicht damit zufrieden, daß China lediglich den Weg zum Kapitalismus eingeschlagen habe und die KP Chinas einen an Gorbatschow erinnernden Weg gehe. Dennoch seien die Dinge erst im Begriff, sich zu entwickeln.

Jo Cottenier verweist darauf, daß ein 3. Plenum nicht zum ersten Mal in der Geschichte der KP Chinas einen wichtigen strategischen Schwenk vorgenommen habe. Die erste große Wende - sie betraf die Landwirtschaft - sei vom 3. Plenum des 11. ZK (es war vom 11. Parteitag der KP Chinas gewählt worden und erhielt deshalb diese Numerierung) im Jahre 1978 vollzogen worden. Dieses Plenum habe am Beginn einer langsamen Liberalisierung in der Wirtschaft gestanden. Der von ihm eingeleitete Prozeß führte zur Herausbildung eines freien Marktes, auf dem die staatlichen Unternehmen mit buchstäblich über Nacht aus dem Boden schießenden privaten Betrieben konkurrieren mußten. Im Laufe der Jahre vergrößerte sich dann dieser Markt ständig und verdrängte allmählich die bestimmende Rolle der Planwirtschaft.

1993 habe dann das 3. Plenum des 14. ZK stattgefunden, schreibt Cottenier. Es beschloß, die Planwirtschaft vollständig durch eine umfassende Marktwirtschaft zu ersetzen. Der Markt bildete fortan die Basis der ökonomischen Regulierung: Nichtrentable Unternehmen wurden kurzerhand mit den entsprechenden Konsequenzen für die Beschäftigten dichtgemacht. Der Staat konzentrierte sich nun auf die ihm verbliebenen 500 bis 1000 großen Komplexe in den wichtigsten Bereichen. Zur gleichen Zeit wurde den Privatfirmen freie Bahn eingeräumt. Oder, genauer gesagt, fast. Denn eine Reihe von Barrieren blieb bestehen - darunter das Staatsmonopol im Finanzsektor, im Energiebereich, in der Telekommunikation und in der Raumforschung.

Um 2001 in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen zu werden, mußte China die Existenz "eines wirklich freien Marktes" nachweisen. Dennoch hörten die Denunziationen in der unmittelbar folgenden Zeit nicht auf, der Staat unterstütze weiterhin indirekt die in öffentlichem Eigentum stehenden großen Unternehmen. Ihnen würden von den ebenfalls staatlichen Banken bevorzugt Kredite zu günstigen Zinsbedingungen eingeräumt, während die Privatbetriebe bei ebenfalls existenten nichtoffiziellen Schattenbanken zu ungünstigeren Konditionen um Mittel nachsuchen müßten. Überdies besäßen die Staatsunternehmen das Privileg der Vereinbarung von Jointventures mit ausländischen Firmen.

Im Laufe der Monate sei man in den chinesischen Medien solchen Argumenten gegenüber immer aufgeschlossener gewesen, was dazu geführt habe, daß die Privatunternehmen der Wirtschaft ihren Stempel ständig wirksamer aufgedrückt hätten.

Das 3. Plenum des 18. ZK verkündete nun, daß der Markt fortan anstelle des bisher in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffs fundamental die entscheidende Rolle spielen werde. In China besitze ein solcher Austausch von Vokabeln eine radikale Bedeutung, bemerkt Jo Cottenier. Für Präsident Xi Jinping bedeute er eine neue theoretische Konzeption der Rolle des Marktes. "China muß das Grundgesetz der Marktwirtschaft respektieren und sich mit den Problemen befassen, die ein unterentwickeltes Marktsystem, die übertriebene Einmischung des Staates und die ungenügende Kontrolle des Marktes aufwerfen", gab er vor.

Worin bestehen die Reformen konkret?

In erster Linie zieht sich der Staat zurück und trifft eine Wahl der Investitionen und der Aufteilung des Kapitals. Diese würden nicht mehr wie bisher staatlicherseits kontrolliert, sondern der "unsichtbaren Hand des Marktes" überlassen. Der Staat gestatte mittels des freien Marktes "ehrlicher als zuvor" die Konkurrenz zwischen Unternehmen in öffentlicher und privater Hand.

Man rechne damit, daß "der Markt" die Problematik der gegenwärtig vorhandenen Überkapazitäten bei der Erzeugung von Stahl, Aluminium, Zement und im Schiffbau "zu lösen" vermöge, berichtet Cottenier. Die Konkurrenz werde diese zum Verschwinden bringen.

Die Bauern, die bisher keine privaten Bodenparzellen besitzen, sollen künftig die von ihnen genutzten Flächen erwerben und verkaufen können.

Eine wichtige Reform betrifft die Dienstleistungen insgesamt und den Finanzsektor im besonderen. Auf diesen Gebieten "öffnet sich" China uneingeschränkt ausländischen Investitionen. Das gelte sowohl für den Finanzbereich als auch für den Bildungssektor, die Kultur und das Gesundheitswesen. Es handele sich also um eine einschneidende Entwicklung auf diesen Gebieten. Dem Auslandskapital werde die Gründung kleiner und mittlerer Privatbanken gestattet. Das bisherige Staatsmonopol werde aufgehoben, was den Privatunternehmen, die sich ab sofort vom Druck staatlicher Kreditinstitute befreit sähen, neue Möglichkeiten eröffne.

"Das aber ist erst der Anfang", schreibt Cottenier. In Shanghai solle ein "Pilotprojekt" erprobt werden, welches später landesweit Schule machen könnte: Eine 29 Quadratkilometer große Zone mit freier Konvertierbarkeit der chinesischen Währung und beliebigen Investitionsmöglichkeiten für ausländische Firmen, Banken und Versicherungen werde eingerichtet. Damit wolle Shanghai der Rolle Hongkongs auf diesem Gebiet noch schärfer Konkurrenz machen. Bisher besonders geschützte Bereiche wie Wasserversorgung, Öl, Gas, Elektrizität, Eisenbahnen und Telekommunikation würden schrittweise dem Markt und damit der "Konkurrenz" geöffnet. Man erhoffe sich davon ein ökonomisches Wachstum sowie höhere Produktivität und Effizienz.

Innovation und wachsende Kaufkraft der chinesischen Bevölkerung gelten bei all dem als Lokomotiven weiter anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums. Dabei spielen Maßnahmen zur Stimulierung des "nichtöffentlichen Sektors" eine dominierende Rolle. Aus diesem Grund sollen weitere Stimuli für das Entstehen neuer Privatunternehmen geschaffen werden.

All das wird in China als "dritte große Reform" auf dem seit 1978 und 1992 beschrittenen Weg bezeichnet - ein Paket von Maßnahmen, die den Sozialismus voranbringen sollen. Tatsächlich handele es sich um eine Ökonomie, die sich im Kern von der kapitalistischen kaum noch unterscheidet, allerdings bei Aufrechterhaltung einer sozialistischen Staatsstruktur und der Führung durch eine kommunistische Partei, die 82 Millionen nominelle Mitglieder ausweisen kann. Nach dem 3. Plenum des 18. ZK (es besteht aus 204 Mitgliedern und 169 Kandidaten) darf man wohl die Frage stellen, wie lange der Anspruch noch realistisch ist, sich auf einem sozialistischen Weg zu befinden. China weiche immer stärker vom klassischen Konzept des Sozialismus ab. Die Fünfjahrpläne hätten nichts mehr mit einer Planwirtschaft gemein, sondern stellten lediglich eine "Orientierung in großen Zügen" dar. Das Paradoxum aber bestehe darin, daß man - um den "Plan" verwirklichen zu können - immer stärker auf das Wachstum des Marktes setze.

Jo Cottenier fährt fort: Die Kommunisten des fernöstlichen Riesenlandes sprächen von einem "Sozialismus chinesischer Prägung". Um diesen zu definieren, bedienten sie sich seit Jahrzehnten des Arguments, China befände sich erst in der "Anfangsphase der Herausbildung einer sozialistischen Gesellschaft".

Das aber erfordere eine wirtschaftliche Liberalisierung, wobei man früher oder später die Handbremse ziehen werde. Doch die in den vergangenen zehn Jahren getroffenen Entscheidungen deuten darauf hin, daß das Streben nach Wachstum um jeden Preis die einzige Grundlage sei, während die sozialistische Ideologie mehr und mehr im Hintergrund verschwinde. Und je schneller man diesen Weg weiterverfolge, um so schwieriger werde es, diesen Kurs eines Tages ändern zu wollen.

Eine andere markante Entscheidung des 3. Plenums besteht in der Schaffung einer Sicherheitskommission unter der direkten Führung von Xi Jinping, die für alle diesbezüglichen inneren und äußeren Probleme zuständig ist. Bekanntermaßen sucht die US-Regierung um jeden Preis ihre Vorherrschaft in der Welt aufrechtzuerhalten, wobei sie das Gewicht Chinas voll in Betracht zieht. Das überaus schnelle ökonomische Wachstum und der Vorstoß auf den zweiten Rang in der Weltwirtschaft haben US-Präsident Obama bekanntlich dazu veranlaßt, die süd- und ostasiatische Region offiziell zur wichtigsten Interessenzone der Vereinigten Staaten zu erklären. Die imperialistische Militärstrategie wurde entsprechend modifiziert und die globale Truppenverteilung geändert. Die Anwesenheit einer Flotte der U.S. Navy im Südchinesischen Meer sowie die Forcierung der militärischen Zusammenarbeit mit Japan und den Philippinen zeugen davon, daß es das Pentagon ernst meint.

Es gibt bereits aktuelle und potentielle Konfliktherde in der Region: den Status Taiwans, das ein unteilbarer Bestandteil Chinas ist; den sich zuspitzenden Streit um von Japan wie China gleichermaßen beanspruchte Inseln; Tibet.

Die Entscheidung des 3. Planums, eine Sicherheitskommission ins Leben zu rufen, ist ein Indiz dafür, daß die chinesische Führung auf diese Herausforderungen reagiert und die zunehmenden Spannungen in Rechnung stellt.

Nach "Solidaire", Brüssel, 28. November 2013

Übersetzung: K. S.

Ende RF-Extra

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Über Krokodilstränen und echte Trauer

Nelson Mandelas historisches Format

Freunde und Feinde eines von der Apartheid erlösten Südafrika, Aufrichtige und Heuchler bekundeten offiziell Trauer um einen der ganz Großen im Befreiungskampf unterdrückter Völker: den Mitbegründer des heute am Kap regierenden ANC und das langjährige Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) Nelson Mandela. Niemand ist vom überwiegend schwarzen Teil seiner Landsleute, aber auch vielen Weißen, wohl je so geliebt worden wie er, den 27 Jahre Rassistenhaft nicht aus der Bahn hatten werfen können.

Die Krokodilstränen, von denen das ND mit Blick auf eine "mittrauernde" Merkel und ihresgleichen am Tage nach der Todesmeldung zu Recht gesprochen hat, tun wir als eine Widerwärtigkeit ab. Die überschwenglichen Nachrufe Scheinheiliger aller Schattierungen stoßen bei uns ins Leere. Hier soll nur von echten Kampfgefährten des Verstorbenen bekundetes Beileid Erwähnung finden.

Madiba (Stammesältester), wie ihn sein Volk nannte, und Mkhulu (Großvater), wie ihn die Seinen riefen, wird ohne Zweifel als ein Titan unter den Kämpfern gegen den Rassenwahn in die Geschichte der Menschheit eingehen.

Noch im Gefängnis, war er bereits eine lebende Legende. Die weiße südafrikanische Regierung wollte ihn aber nicht als Ikone in die Geschichte eingehen lassen. So bot sie Mandela 1984 die Freilassung unter der Bedingung an, daß er sich in eines der als Bantustans bezeichneten Stammesreservate zurückziehe, die von Nachfahren der aus niederländischer Wurzel stammenden Buren errichtet worden waren. Offiziell als angeblich von Pretoria unabhängige Reservate geschaffen, waren sie in Wahrheit nichts anderes als riesige Ghettos.

Auch Präsident Pieter Botha schlug Mandela vor, dafür freigelassen zu werden, daß er auf den bewaffneten Kampf gegen das Apartheidregime verzichte, den er mit speziellen Kräften des ANC einst selbst ins Leben gerufen und angeführt hatte, nachdem er in Ghandis gewaltlosem Widerstand keine Befreiungschance mehr erblickte. Seine Antwort lautete: "Gefangene können keine Verträge schließen. Nur freie Menschen können verhandeln!" Damals verlas Nelsons Tochter Zinzi im Stadion von Soweto vor Tausenden einen Brief, den sie von ihrem Vater aus dem Gefängnis erhalten hatte: "Ich kann und will keinen Kompromiß mit der Regierung eingehen, solange weder ich noch Ihr, das Volk, in Freiheit leben. Eure Freiheit und meine können nicht voneinander getrennt werden."

Die Ausstrahlung Mandelas war so stark, daß selbst Präsident Botha, der seine Haftentlassung verhindert hatte, Jahre später erklären mußte: "Meine erste Begegnung mit Mandela in Freiheit war beeindruckend, und ich werde seine Worte nie vergessen. In ihnen waren weder Bitterkeit noch Rachedurst, kein Schatten eines Hasses. Er versuchte bei dem Gespräch in keinem Moment die Tatsache zu nutzen oder auch nur zu erwähnen, daß er 27 Jahre im Gefängnis gewesen war."

Nach dem grandiosen Sieg der von Zehntausenden kubanischen Kämpfern unterstützten Befreiungsbewegungen MPLA und SWAPO aus Moçambique und Namibia blieb Pretoria keine andere Wahl, als den Weg zur Abschaffung des besonders von den USA, Großbritannien und der BRD unterstützten Apartheidregimes freizugeben und den legendären Häftling aus dem Hochsicherheitsgefängnis auf Robben Island zu entlassen. Südafrikas Präsident Frederick de Clerk wich 1990 unter dem Druck der schwarzen Bevölkerung des eigenen Landes und einer mächtigen internationalen Solidaritätsbewegung - vor allem auch der sozialistischen Länder mit Kuba an der Spitze - zurück.

Damals hatte Mandela noch enorm viel Kraft und Mut, den Kampf fortsetzen zu können. Eine seiner vielen Auslandsreisen führte ihn 1991 nach Kuba, wo es zu einem bewegenden Treffen mit Fidel Castro kam. Dessen Bruder und Amtsnachfolger Raúl zählte konsequenterweise zu den hohen Staatsgästen, die an der Beisetzung Madibas teilnahmen.

Nelson Mandela war der erste schwarze und freigewählte Präsident Südafrikas. 1990 verzichtete er auf das hohe Amt, fünf Jahre später zog er sich aus dem öffentlichen Leben weitgehend zurück. Dennoch war er nach wie vor bei vielen Veranstaltungen zugegen. Sein 95. Geburtstag, den er - obwohl durch Krankheit und Alter schon stark geschwächt - noch erleben konnte, wurde von der überwältigenden Mehrheit der Südafrikaner wie ein Nationalfeiertag begangen.

Während Nelson Mandela seinen Idealen und seinem Lebenswerk bis zuletzt treu blieb, beschritten nicht wenige seiner einstigen Weggefährten unter dem Druck einer immer einflußreicheren schwarzen Bourgeoisie und mancher ausländischen Kondolierer inzwischen ganz andere Wege.

Um so größeres Gewicht besitzen jene Haltelinien, die Madiba schon 1961 in die Worte faßte: "Ich habe immer das Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft gehegt, in der die Menschen in Harmonie und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben können. ... Es ist ein Ideal, für das ich zu leben gedenke und für das ich, wenn nötig, auch zu sterben bereit bin."

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Erinnern an Chris Hani, den am 10. April 1993 - unmittelbar vor dem Ende der Apartheid - durch einen weißen Rassisten erschossenen Generalsekretär der KP Südafrikas (SACP). Er war Stabschef von Umkhonto we Sizwe - des von Nelson Mandela gegründeten "bewaffneten Arms" des ANC.

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Sozialisten, Kommunisten und Christdemokraten in einem Boot

"Neue Mehrheit" triumphierte in Chile

In Chile wurde die von der einst durch Salvador Allende geführten Sozialistischen Partei aufgestellte Ärztin Michelle Bachelet am 15. Dezember mit einem Stimmenanteil von über 62 % zur neuen Staatspräsidentin gewählt. Schon einmal - von 2006 bis 2010 - hatte sie dieses Amt bekleidet. Damals lastete das Erbe der Ära Pinochets noch stark auf der Andenrepublik. Auch der Einfluß der zu Zeiten Luis Corvalans, Pablo Nerudas und Gladys Marins starken KP Chiles kam damals noch nicht wieder hinreichend zum Tragen. So war es möglich, daß der faschistoide Politiker Sebastian Piñera für vier Jahre als Präsident in die Moneda einziehen konnte. Er war das erste Staatsoberhaupt aus der politischen Rechten Chiles, dem das nach Pinochets Sturz im Jahre 1990 gelang. Nach der Rückkehr zu einer fragilen bürgerlichen Demokratie war das Land zunächst von Kräften der linken Mitte regiert worden.

Der jüngste Wahlsieg wurde erstmals wieder durch ein Parteienbündnis der Linken und des Zentrums - die Christdemokraten waren dabei mit im Boot - unter der Bezeichnung "Neue Mehrheit" errungen. Ihm gehört auch die KP Chiles an. Unter anderem wurden als deren Vertreter die nicht nur im Inland für Schlagzeilen sorgende Anführerin des nationalen Studentenstreiks Camila Vallejo und die Vorsitzende des Kommunistischen Jugendverbandes Karol Cariola ins Parlament gewählt.

Michelle Bachelet ist die Tochter eines 1973 zu Allende haltenden und an den Folgen von Haft und Folter verstorbenen Generals. Nach dem Pinochet-Putsch lebte sie wie viele Mitglieder der SP gemeinsam mit ihrer Mutter in der DDR, wo sie auch das Medizinstudium abschloß.

In der Wahlkampagne bekannte sich Michelle Bachelet eindeutig zu linken Positionen. Sie kündigte an, in den ersten 100 Tagen ihrer Präsidentschaft 50 soziale Verbesserungen einführen zu wollen, darunter die Schaffung eines staatlichen Rentenfonds neben der bisher allein bestehenden privaten "Altersvorsorge". Außerdem wolle sie für erhebliche Investitionen im Bildungssektor Sorge tragen. Es handelt sich dabei um Schritte, mit denen der gravierenden Ungleichheit zwischen einer winzigen schwerreichen "Oberschicht" und der Masse der Landesbürger entgegengewirkt werden soll. In Chile gilt der "freie Markt" bis heute gewissermaßen als sakrosankt.

Auch Michelle Bachelet wagte ihn in ihrer ersten Amtszeit nicht anzutasten. So unternahm sie damals fast keinerlei Schritte zur Eindämmung der Armut - von der Einführung einer bescheidenen Witwenrente abgesehen. Gerade deshalb hatte Piñera mit seinen großspurigen Versprechungen leichtes Spiel. Da er dann jedoch nicht ein Jota davon einlöste und sich die bestehenden Mißstände sogar noch potenzierten, gaben ihm die Chilenen den Laufpaß.

Seit dem Ende der PinochetÄra bestimmen immer mehr Nachgeborene das politische Klima im Land. Sie wollen nicht, daß sich die Eltern für die Begleichung der enorm hohen Studiengebühren ihrer Kinder verschulden. Sie stellen auch die Frage nach der Beseitigung der krassen Unterschiede zwischen öffentlicher und privater Gesundheitsfürsorge, entfallen doch auf einen vom Staat angestellten Arzt 920, auf einen frei praktizierenden Mediziner aber nur 279 Patienten.

Die in den letzten Jahrzehnten unveränderte soziale Misere erklärt die hochprozentige Abstinenz an den Wahlurnen. So lag die Abstimmungsbeteiligung im Jahr 2012, als über die Zusammensetzung der Stadträte entschieden wurde, noch unter 40 %. Jetzt könnte Chile in gewisser Weise an einem Wendepunkt stehen. Obwohl breite Schichten seiner Bürger den meisten Politikern nicht vertrauen, glauben sie zugleich an die eigene Kraft. Das zeigte sich am deutlichsten in der landesweiten Unterstützung des bereits erwähnten Studentenstreiks. Um wirklich etwas zu erreichen, bedürfte es allerdings tiefgreifender Verfassungsänderungen, da die derzeitige Konstitution noch aus den Tagen der Pinochet-Ära stammt und so den Streitkräften ein erhebliches Interventions- und Entscheidungsrecht gegenüber gewählten Volksvertretern einräumt. Beispielsweise wird ein Fünftel aller Senatoren vom Militär bestimmt, ohne daß die Präsidentin dagegen einschreiten kann, selbst selbst bei einer linken Parlamentsmehrheit.

Wenn Chile der Hinterlassenschaft Pinochets tatsächlich ein Ende bereiten will, muß sich sein Volk dieser konstitutionellen Fessel entledigen. Michelle Bachelet hat schon während der Wahlkampagne die Absicht durchblicken lassen, "Kommissionen einsetzen zu wollen, um mögliche Wege zu einer Modifikation der Verfassung zu erkunden". Das trägt dem innenpolitischen Kräfteverhältnis zwar Rechnung, bedeutet aber nicht allzuviel.

Chiles weitere Entwicklung bleibt also spannend.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Eine Ehrung Allendes
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Neu erschienen

Das "RotFuchs"-Jahresinhaltsverzeichnis 2013 kann ab sofort beim Vertrieb (Tel. 030/2 41 26 73 oder unter WDockhorn@t-online.de) angefordert werden.

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Zur Destabilisierung der Ukraine
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die militärische Komponente der "Anbindung"

Eine ausführliche Analyse der Kiewer Vorgänge bestätigt die Absicht, die anvisierte Anbindung der Ukraine an die EU mit einer Nutzung ihrer Truppen für deutsch-europäische Kriege zu kombinieren. Wie einer gemeinsamen Untersuchung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und des Kiewer "Center for Army, Conversion and Disarmament Studies", zu entnehmen ist, geht es bei der angestrebten EU-Assoziierung "unzweifelhaft" auch um die Eingliederung der Ukraine "in die Sicherheitskomponente der EU", die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik". Seit 1991 hat Kiew regelmäßig mit der NATO kooperiert und auch Soldaten in deren Kriege entsandt. Inzwischen werden ukrainische Militärs zunehmend in EU-Truppen (Battle Groups) und EU-Interventionen (Atalanta) eingesetzt. Jenseits des Nutzens für deutsch-europäische Kriege weisen US-Spezialisten darauf hin, daß die militärpolitische Einbindung der Ukraine in die EU und ihre Lösung von Rußland strategisch hohe Bedeutung besitzen: Ohne die Ukraine sei Rußland nicht zu verteidigen, heißt es.

"Informationen zur deutschen Außenpolitik"
(german-foreign-policy), 11.12.2013

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Wer Kiew hat, kann Rußland zwingen

Im Verlauf des 1. Weltkrieges wurden die Beziehungen zwischen Deutschland und der damals noch nicht als Staat existierenden Ukraine besonders von den Aktivitäten und Anschauungen der in der "Zentralstelle für Auslandsdienst" im Auswärtigen Amt tätigen Paul Rohrbach und Matthias Erzberger geprägt. Vorrang hatten zu diesem Zeitpunkt die dort entwickelten Konzepte, wie der Krieg gegen Rußland zu gewinnen und damit dem deutschen Imperialismus mehr Einfluß auf dieses Riesenreich zu sichern sei. 1914 formulierte Erzberger seine Vorstellungen über das Vorgehen Deutschlands nach der Zerschlagung Rußlands. Rohrbach schrieb in seinem 1916 veröffentlichten "Politischen Wanderbuch" unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Schwäche Rußlands: "Ohne die Ukraine ist Rußland nichts. Hat es kein Eisen, keine Kohle, kein Korn, keine Häfen! Alles große Leben in Rußland muß versiegen, wenn ein Feind die Ukraine packt. Wenn aber der Tag kommt, an dem Rußland das Schicksal herausfordert, und dann hat zufällig dort, wo bei uns die Entscheidungen getroffen werden, jemand soviel Kenntnis von den Dingen und soviel Entschlossenheit, daß er die ukrainische Bewegung richtig loszubinden weiß - dann, ja dann könnte Rußland zertrümmert werden. Wer Kiew hat, kann Rußland zwingen!"

In der Folgezeit waren die deutschen Aktivitäten gegenüber der Ukraine von der Unterstützung gewaltbereiter nationalistischer Kräfte bestimmt. Sie fanden ihren vorläufigen Höhepunkt in der Gründung der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) im Jahre 1929. Um den Einfluß Deutschlands auf das Entstehen dieser Organisation zu verschleiern, erfolgte die Gründung in Wien. Nach dem 2. Weltkrieg konnte Rohrbach seine Strategie in Zusammenarbeit mit in die BRD geflohenen ukrainischen Nationalisten bis zu seinem Tod im Jahre 1956 fortsetzen.

Nach dem Zerfall der UdSSR und der Erklärung der Eigenstaatlichkeit der Ukraine gehörte Deutschland zu den ersten Staaten, welche Kiew anerkannten. Nicht zu übersehen ist die Unterstützung der BRD für nationalistische Kräfte in der Ukraine. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Treffen des seinerzeitigen Geheimdienstkoordinators der Bundesregierung, Ronald Pofalla, mit "Dissidenten" aus der Ukraine und Belorußland im Jahre 2012, in dessen Verlauf ihnen jegliche Unterstützung zugesagt wurde.

Dietmar Hänel, Flöha

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Venezuela: Überwältigender Sieg der Linken

Bei den Kommunalwahlen, die am 9. Dezember in Venezuela stattfanden, haben die rechten Kräfte vom "Tisch der Demokratischen Einheit" (MUD) und ihr faschistoider Kern um den derzeitigen Oppositionsführer Henrique Capriles zum vierten Mal in Folge eine Schlappe erlitten. Der einstige Gegenspieler von Hugo Chávez - ein ehemaliger Mitarbeiter der US-Botschaft und mutmaßlicher CIA-Agent - hatte vor dem Wahlakt erklärt, es handle sich bei der Abstimmung um ein Plebiszit über das weitere Schicksal des derzeitigen Präsidenten Maduro. Dieser ehemalige Busfahrer, erfahrene Politiker und Amtsnachfolger des im März 2013 verstorbenen großen lateinamerikanischen Politikers setzt an der Spitze der Chavistas und ihrer Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) dessen Kampf noch entschlossener fort. Im Maduro unterstützenden Großen Patriotischen Pol Simón Bolívar spielt die KP Venezuelas, die erstmals neun Rathäuser eroberte, eine wichtige Rolle.

Nach offiziellen Angaben entfielen auf die PSUV 49,24 % des Votums, während die in sich uneinheitliche, bürgerliche und proimperialistische Opposition trotz umfassender Unterstützung durch die USA nur 42,72 % erhielt. Rund 8 % gingen an andere politische Gruppierungen. Gewählt wurden 337 Bürgermeister, darunter 250 der PSUV. Überdies waren 2445 Stadtverordnetenmandate neu zu besetzen. Die Wahlbeteiligung lag bei 58,5 %, wodurch klar wurde, daß die Reaktion ihr erhofftes Mobilisierungsziel in keiner Weise zu erreichen vermochte.

Der MUD-Politiker António Lederma konnte sich als Oberbürgermeister von Caracas für die Amtsperiode bis 2017 behaupten, während die Verwaltung des wichtigsten und am dichtesten besiedelten hauptstädtischen Bezirks auch weiterhin in den Händen der PSUV verbleibt. Das Spitzenamt von Maracaibo - Venezuelas zweitgrößter Stadt - war der MUD ebenfalls nicht zu entreißen, während Valencia - die drittgrößte Stadt - von ihr neu erobert wurde. Im Vorfeld des Votums hatten die im Auftrag des US-Imperialismus agierende venezolanische Großbourgeoisie und deren Parteien alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die durch sie herbeigeführte instabile Versorgungslage der Regierung in die Schuhe zu schieben und Unruhen zu schüren.

Während die kapitalistische Finanz- und Wirtschaftskrise auch im ölreichsten Land Lateinamerikas ein drastisches Absinken des Lebensstandards bewirkte - die Jahres-Inflationsrate liegt mit weiter steigender Tendenz derzeit bei 40 % - setzte Präsident Maduro die bewußt herbeigeführten Versorgungsengpässe bei Milch, Hygieneartikeln und anderen Produkten auf seine Agenda. Am 20. November ließ er sich vom Parlament zunächst auf ein Jahr befristete Sondervollmachten erteilen, um per Dekret gegen Korruption und Wirtschaftssabotage der Unternehmer vorgehen zu können. Er nutzte die ihm eingeräumten Möglichkeiten zur Anordnung von Preissenkungen für bestimmte Artikel des täglichen Bedarfs.

Nach der Inbesitznahme der meisten Rathäuser stellte er im Fernsehsender VTV die Frage: "Ist das ein Sieg für die Revolution oder nicht? Wir haben 63 % aller Metropolen der Bundesstaaten Venezuelas gewonnen - 75 % der 40 großen Städte des Landes."

Auch die traditionsreiche "Tribuna Popular" - das Organ der zum Maduro-Lager gehörenden KP Venezuelas - feierte den Triumph der Linkskräfte. "Die Gemeindewahlen stellen einen großartigen Sieg für das venezolanische Volk dar", erklärte KPV-Generalsekretär Oscar Figueroa dem Blatt in einer ersten Stellungnahme. Der ruhige Verlauf des Wahlaktes sei der aktiven Teilnahme der Volksmassen, dem korrekten Handeln des Nationalen Wahlrates, dem loyalen Verhalten der Bolivarischen Streitkräfte, anderen staatlichen Einrichtungen und den sich in den Wahllokalen engagierenden Bürgern zu verdanken.

Aus Sicht der Kommunisten bedeuten Verlauf wie Ausgang der Abstimmung, daß der Verschwörungsplan der Konterrevolutionäre vereitelt worden ist.

"Die Niederlage, welche der faschistische Kern der politisch reaktionären Kräfte beim Umsetzen der Instruktionen des US-Imperialismus erlitten hat, um diese Wahlen zur Herbeiführung einer Staatskrise voller Gewalt werden zu lassen, ist überwältigend", stellte Figueroa fest. Er verwies jedoch auf nach wie vor drohende Gefahren. Trotz des Debakels der Reaktion an den Wahlurnen müsse mit weiteren Verschwörungen gerechnet werden, da der Imperialismus auch in Zukunft gegen den revolutionären Umgestaltungsprozeß in Venezuela vorgehen werde. Der KPV vermittle die zeitweilige Niederlage des Imperialismus und der faschistischen Reaktion jedoch eine wichtige Lehre: Ein Voranschreiten des gesellschaftlichen Veränderungsprozesses und die Verteidigung der sozialen Errungenschaften seien möglich. Die Aufgabe in der derzeitigen Etappe bestehe darin, "das Erreichte zu festigen und zu vertiefen".

RF, gestützt auf "Tribuna Popular", Caracas

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Honduras - Hochburg der Wahlfälscher

Da die am 24. November in der mittelamerikanischen Republik Honduras abgehaltenen Wahlen allzu offensichtlich gefälscht worden sind, sahen sich deren Behörden zu einer Neuzählung der Stimmen gezwungen. Schon kurz nach dem Votum hatte man ein "Endergebnis" verkündet: Es bescherte dem Rechtskandidaten Juan Orlando Hernández, einem Günstling der US-Botschaft und der im Lande seit Jahren wühlenden FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, 36 Prozent, während der von linken Kräften unterstützten Bewerberin Xiomara Castro nur 29 % zugebilligt wurden.

Deren Mann Manuel Zelaya war im November 2005 zum honduranischen Präsidenten gewählt und 2009 - ebenfalls unter koordinierter Rädelsführerschaft von FDP-Stiftung und CIA - weggeputscht worden. Zuvor hatte er noch sein Land in die Bolivarianische Allianz der Völker Amerikas (ALBA) - ein Befreiungsbündnis, dem u. a. Kuba, Venezuela, Bolivien, Ekuador und Nikaragua angehören - geführt.

Bei den folgenden Wahlen installierte der Imperialismus in Honduras mit dem rechtsgerichteten Porfirio Lobo abermals eine seiner Marionetten.

Als sich unter dessen Regiment die zu Zeiten Zelayas deutlich verminderte krasse Armut rasch wieder steigerte und Honduras in der internationalen Mord-Skala den Rang Nr. 1 "eroberte" (81 Tötungsverbrechen auf 100.000 Einwohner) mußte man Lobo fallen lassen und die Kandidatur von Xiomara Castro als Kandidatin der mit Unterstützung einflußreicher Linkskräfte formierten Partei LIBRE gestatten. In den ersten 15 Monaten deren Bestehens wurden 39 Führer der neuen Allianz umgebracht, sechs weitere ihrer Anhänger zunächst entführt und dann ebenfalls ermordet.

Während zahlreiche Lebende als "verstorben" aus den Listen der Stimmberechtigten gestrichen wurden, hauchte man zugleich etlichen Toten neuen Atem ein. So blieb den Machthabern in Tegucigalpa nur der Ausweg, mit dem Zählen noch einmal von vorne zu beginnen.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Systemwechsel statt Klimawechsel!

Während des mehr oder weniger ins Leere gelaufenen vorjährigen Warschauer Klimagipfels zogen am 16. November mehr als 2000 Demonstranten, die über den Verlauf des Treffens empört waren und ihren Forderungen Geltung verschaffen wollten, bei Hundekälte durch die Straßen der polnischen Hauptstadt. In den vordersten Reihen der 700 allein aus Belgien angereisten Umweltaktivisten sorgte ein großes Kontingent von Genossen der Partei der Arbeit (PTB) und ihres weder zu übersehenden noch zu überhörenden Jugendverbandes Comac für eine merkliche Erhitzung der frostigen Atmosphäre. "Systemwechsel statt Klimawechsel!" lautete ihre Hauptlosung. Andere belgische Zusammenschlüsse waren ebenfalls zahlreich und gut vertreten. Etliche Nichtregierungsorganisationen (NGO) kapitalistischer Staaten mit oftmals allzu deutlichem Regierungshintergrund - sie sind ja besonders aus Afghanistan und Syrien hinlänglich bekannt - distanzierten sich durch demonstrative Abwesenheit von der Willensbekundung.

Bis 2020 soll der CO2-Ausstoß in Europa um ein Fünftel gesenkt werden, wobei er in Belgien seit nunmehr 20 Jahren noch weit über dem kontinentalen Durchschnitt liegt. Bezeichnend für die Situation war übrigens die Tatsache, daß in Warschau parallel zur Debatte über Klimaveränderungen ein von den Umweltschützern heftig attackierter, weil konträre Ziele verfolgender Kohlegipfel stattfand, auf dem die an der massiven Weiterverwendung fossiler Energieträger interessierten kapitalistischen Konzerne paradierten.

Da sich während der beiden Treffen die folgenschwere Tropensturm-Katastrophe auf den Philippinen ereignete, schlugen auch in Warschau die Wogen hoch.

Fast zeitgleich mit den geschilderten Ereignissen beendete das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die Arbeit an verschiedenen Kapiteln seines alle sieben Jahre vorgelegten Berichts. Obwohl die 5. globale Einschätzung erst im März veröffentlicht werden soll, sind bereits einige fundamentale Untersuchungsergebnisse bekanntgeworden. Die sich fortsetzende allgemeine Klimaerwärmung wird in weiten Regionen der Welt zur abermaligen Zunahme außergewöhnlich starker Niederschläge, in anderen zu neuen Dürrekatastrophen führen. Der ozeanische Meeresspiegel steigt weiter an. Immer mehr Völker oder Teile von ihnen müssen damit rechnen, von solchen Katastrophen betroffen zu werden. Der Druck auf die Landwirtschaft und die Zunahme außergewöhnlich starker Niederschläge, in anderen zu neuen Dürrekatastrophen führen. Der ozeanische Meeresspiegel steigt weiter an. Immer mehr Völker oder Teile von ihnen müssen damit rechnen, von solchen Katastrophen betroffen zu werden. Der Druck auf die Landwirtschaft und die Wasserversorgungssysteme nimmt abermals zu. Die Folgen dieser Katastrophen sind die Gefährdung in Küstennähe lebender Menschen und damit verbundene neue Fluchtwellen.

Der IPCC-Bericht spricht - wie aus dem bereits vorliegenden Entwurf entnommen werden kann - von einem Anwachsen der Armut, verstärktem Wasser- und Nahrungsmangel, voraussehbaren Flutkatastrophen bei gleichzeitig anhaltender Versteppung bislang beackerbarer Flächen, einer weiteren Versäuerung der Meere, Überfischung, die zur Stillegung ganzer Fangflotten führt, sowie dem Aussterben von Tierrassen und Pflanzenarten. Doch der Klimawandel hängt nicht nur mit der weiteren Erwärmung der Erde und der Meere zusammen. Auch die natürlichen und die menschlichen Systeme haben nach Auffassung der IPCC ihren Anteil daran. Denn Dürren und daraus resultierende Ernteausfälle führen zu sofortigen Preiserhöhungen für agrarische Produkte, was den ohnehin grassierenden Hunger noch verschärft.

Akuter Trinkwassermangel zwingt Betroffene dazu, verunreinigte Reservoire anzugreifen. Im vergangenen Jahrzehnt führten in die Höhe schießende Nahrungsgüterpreise in etlichen Ländern zu Hungerrevolten.

"Der Klimawechsel ist also weder die einzige noch die Hauptursache für die Probleme der Welt", resümierte auch die kommunistische "People's World". "Aber er verschärft alle anderen Notstände, vor allem den Zugang zu Proteinen."

Längst sind viele Konzerne dazu übergegangen, die Folgen von Umweltveränderungen auf ihre Profiterwirtschaftung zu analysieren. So veröffentlichte z. B. Chevron seine "Prinzipien, um dem Klimawandel zu begegnen". Darin heißt es: "Eine breite und ausgeglichene Behandlung aller Sektoren der Wirtschaft ist notwendig, um sicherzustellen, daß kein Sektor und keine Company unverhältnismäßig belastet wird." Mit anderen Worten: Eigennutz geht vor Gemeinsinn.

So werden sich die Umweltschützer mit der Arbeiterbewegung und anderen fortschrittlichen Kräften verbinden müssen, um wirksam gegen die heuchlerischen "Rettungsbemühungen" der Konzerne vorzugehen. Wie richtig war da die Losung der belgischen PTB-Genossen, daß es nicht um den Klimawechsel, sondern um einen Systemwechsel geht!

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, und "People's World", New York

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Die rote Schwester

Die Schwester des früheren belgischen Premierministers und jetzigen Präsidenten des Europarates Herman Van Rompuy ist der marxistischen PTB beigetreten. Bei den vorangegangenen Kommunal- und Regionalwahlen hatte die couragierte Tine Van Rompuy bereits als Unabhängige auf der Liste der PTB+ kandidiert. Gegenüber der flämischen Zeitung "De Zondag" erklärte sie: "In der Vergangenheit hatte ich bereits große Sympathien für die Partei, ohne ihr beitreten zu wollen. Jetzt bin ich den nächsten Schritt gegangen und kann mich noch besser in die PTB einbringen. In dieser Partei fühle ich mich sehr wohl."

Tine Van Rompuy hatte sich besonders für die Forderung der belgischen Kommunisten nach Einführung einer Millionärssteuer und deren landesweites Ärztehäuser-Projekt "Medizin für das Volk" engagiert. Mit Blick auf die allgemeinen Wahlen, die in Belgien am 25. Mai stattfinden, erklärte die Schwester des EU-Patriarchen: "Nach letzten Meinungsumfragen könnten wir mit Peter Mertens und Raoul Hedebrouw zwei Sitze im Nationalparlament erobern. Doch das ist nur unser Mindestziel."

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Madagaskar: Kandidat der Rechten fiel durch

Die Rieseninsel Madagaskar vor der ostafrikanischen Küste wurde erstmals vor rund 2000 Jahren durch Seefahrer aus Borneo angesteuert. Heute leben dort 22 Millionen Menschen - ein buntes Völkergemisch, wobei die Vorfahren der meisten Madagassen vom Schwarzen Kontinent eingewandert sind. Ein Territorium mit einer einzigartigen Flora und Fauna, ist auch die politische Landschaft Madagaskars recht abwechslungsreich.

Schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, die am 25. Oktober 2013 stattfanden und dann am 20. Dezember abgeschlossen wurden, lagen zwei Favoriten in Front: Den Spitzenrang eroberte der die Sache der Oligarchen des Inselreiches und mit ihm verbundener Kreise des Auslandskapitals vertretende Jean Louis Robinson mit einem Stimmenanteil von 21,1 %, während sein Hauptgegenspieler Hery Rajaonarimampianina 15,9 % einbringen konnte.

Lange Zeit ein unabhängiges Königreich, hatte sich Paris 1896 den Inselstaat unterworfen und bis zur Unabhängigkeit Madagaskars im Jahre 1968 als Kolonie ausgeplündert.

Die erste - übrigens äußerst autoritäre - Regierung des neuen Staates unter Präsident Philibert Tsiranana war im Grunde nur eine Fortsetzung des Gewesenen. Sie wurde indes nach einigen Jahren gestürzt, was erhebliche Veränderungen im politischem Stil und Inhalt des in Tananarive verfolgten Kurses mit sich brachte. Die Nachfolger verstanden es, sich mehr und mehr von der europäischen Kontrolle zu lösen, wobei sie in der UdSSR und deren Bündnispartnern, aber auch in der VR China mit ihrem Ersuchen um Partnerschaft Gehör fanden.

Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Europas blieb Madagaskar nichts weiter übrig, als sich westlichen Investitionen und dem damit verbundenen Raubbau an seinen Ressourcen vollends zu öffnen. Inzwischen ist der Inselstaat hochgradig von "Auslandshilfe" abhängig. So gilt Madagaskar einerseits - was seine Vorkommen an Gold, Kobalt, Nickel und Öl betrifft - als eine der reichsten Regionen Afrikas, andererseits ist die überwiegende Mehrheit der Menschen dort bettelarm. Mehr als neun Zehnteln der Landesbürger, die vorrangig in bescheidenster Agrarwirtschaft tätig sind, stehen jeweils nur etwa zwei Dollar pro Tag zur Verfügung. Hinzu kommen negative Klimaeinflüsse, die immer wieder Hungerkatastrophen ausgelöst haben.

Die tiefe Unzufriedenheit der Massen mit ihrer bedrückenden Situation hat der oftmals noch diffusen Protestbewegung in den letzten Jahrzehnten immer wieder Auftrieb gegeben und in Tananarive Regierende aus dem Amt gejagt.

Unter der Präsidentschaft von Mike Ravolomanana (2002-2011) konnten zusätzliche Investoren angelockt und gewisse ökonomische Fortschritte erzielt werden, die den Durchschnitts-Madagassen indes nicht zugute kamen. Der Präsident kooperierte vor allem mit dem gigantischen südkoreanischen Logistikkonzern Daewoo, dem er vertraglich etwa die Hälfte der bestellbaren Ackerfläche Madagaskars für die Erzeugung von Nahrungsmitteln für den Markt des fernöstlichen Landes anbot. Während dadurch 45.000 Arbeitsplätze entstehen sollten, befürchteten Millionen arme Bauern ihre Vertreibung.

2009 forderte Andry Rajoelina, der junge Bürgermeister der Hauptstadt, den autoritär regierenden Präsidenten heraus. Der ließ daraufhin den Fernsehsender des Rebellen dichtmachen und versuchte, ihn aus dem Amt zu jagen. Bei gewaltsamen Zusammenstößen fanden mehr als 100 Menschen den Tod. Da aber die Streitkräfte für Rajoelina Partei ergriffen, wurde er der nächste Staatschef. Seine erste Handlung war die Aufkündigung des schändlichen Abkommens mit Daewoo.

Die USA, die EU, die Afrikanische Union, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank rächten sich dafür an Madagaskar durch Verweigerung weiterer Hilfsgelder. Zugleich sanken die ausländischen Investitionen im Zeitraum von 2009 bis 2013 auf 46 Mill. Dollar. Vor fünf Jahren hatten sie noch 1,36 Mrd. betragen. Die meisten Ausländer verließen die Insel. Die ohnehin äußerst dürftigen Lebensbedingungen der Madagassen verschlechterten sich dramatisch.

Nach langen Verhandlungen kam es zu Neuwahlen. Weder Ravolomanana noch Rajoelina durften diesmal kandidieren. Die Anhänger des alten Despoten konzentrierten sich auf die Unterstützung Robinsons, während sich das Rajoelina-Lager hinter Rajaonarimampianina stellte. Bei der Stichwahl im Dezember erhielt der vom Westen gehaßte Rajaonarimampianina 53,5 % der Stimmen, während der Favorit der Plünderer Madagaskars unterlag.

RF, gestützt auf "People's World", New York

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40.000 Afrikaner studierten in Kuba

• Fast 40.000 junge Afrikaner haben laut "Granma Internacional" bisher in Kuba eine Hochschulausbildung erhalten. Unter ihnen befinden sich allein etwa 8000 Äthiopier. Das wurde auf einer Konferenz der Afrikanischen Solidarität mit Kuba bekanntgegeben, die vom 21. bis 23. September 2012 in Addis Abeba stattfand. Vor 49 Jahren leitete Kuba seine Aktivitäten auf dem afrikanischen Kontinent mit der Entsendung einer Ärztebrigade in das Algerien Ben Bellas ein. Dafür hatte Che Guevara, damals Fidels Wirtschaftsminister, nach einem spektakulären Besuch in Algier gesorgt.

• Zu den Großtaten der Kubaner bei der Zerschlagung kolonialer und neokolonialistischer Operationen auf dem Schwarzen Kontinent gehörte die Entsendung Zehntausender Kämpfer, die an der Seite der Befreiungsbewegungen von Angola, Moçambique und Namibia - der MPLA, der FRELIMO und der SWAPO - kämpften und dabei ihr Leben einsetzten. Die schwarze Bevölkerung Südafrikas verdankt nicht zuletzt diesem internationalistischen Engagement ihre Erlösung von der Apartheid.

RF

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Wie das bürgerliche Vorkriegspolen zwischen alle Stühle fiel

Warschaus Vabanquespiel

Mit der ungerechtfertigten Glorifizierung des bürgerlichen Zwischenkriegspolens wird heute eine genauso unverfrorene Geschichtsfälschung betrieben wie in bezug auf Volkspolen. Vor allem dessen Außenpolitik wird als besonders erfolgreich, weil angeblich unabhängig, gepriesen. Hierbei hebt man die antisowjetische Stoßrichtung besonders hervor. Sie habe Polen einen geachteten Platz in Europa verschafft. Jene Sicht ist heute weit verbreitet, obwohl das Gegenteil in Darstellungen und Dokumenten zutage tritt. Dem 1918 neu entstandenen Polen wurde nur seine Nordgrenze durch den Versailler Vertrag zugesichert. Um alle anderen Grenzen mußte Warschau bis 1921 kämpfen.

Der Versuch, die Ukraine, Belorußland und Litauen in von Polen abhängige antisowjetische Staaten zu verwandeln - noch immer eine Vorstellung Warschaus - schlug fehl und bescherte dem neuen Staat mit etwa 300.000 Toten fast so viele Opfer wie der 1. Weltkrieg.

Die Ergebnisse dieser Kämpfe brachten Polen weder regionale Stabilisierung noch außen- und innenpolitische Sicherheit: Es war nahezu völlig von Feinden umgeben. Rumänien, das ebenfalls der UdSSR Gebiete geraubt hatte, war der einzige (und wie sich später herausstellen sollte unzuverlässige) Bündnispartner Polens in der Region. Als die Rote Armee 1939 im Osten Polens einrückte, versagte Rumänien die Unterstützung und internierte obendrein auch noch die zunächst nach Bukarest geflohene polnische Regierung.

Deutschland hatte die auf Versailles beruhende polnische Grenze überhaupt nicht akzeptiert. Litauen, dem Polen seine Hauptstadt gestohlen hatte, konnte erst 1938 unter Gewaltandrohung zur diplomatischen Anerkennung Warschaus gezwungen werden.

Die UdSSR entwickelte sich daher faktisch zu Litauens Schutzmacht. Dadurch erhielt es 1939 seine Hauptstadt zurück. Ein propolnisches Bündnis der baltischen Staaten gegen die UdSSR kam unter diesen Voraussetzungen nicht zustande. Zudem wollten die Balten, die bei sich die Sowjetmacht mit fremder Hilfe zunächst niedergeschlagen hatten, die UdSSR nicht provozieren. Mehr als freundliche Gesten konnte Polen von ihnen also nicht erwarten.

Die junge Sowjetmacht hatte durch das heute noch zelebrierte "Wunder an der Weichsel" eine militärische Niederlage und einen demütigenden Friedensvertrag hinnehmen, auf Westbelorußland und die Westukraine verzichten müssen. Doch dieser überschwenglich gefeierte Pyrrhussieg hatte auch Polen in eine verhängnisvolle Lage gebracht, machten doch diese Territorien etwa die Hälfte seines Staatsgebietes aus. Sie waren in der Mehrzahl von Nichtpolen besiedelt, die entweder einen Anschluß an die Sowjetunion oder einen rechtsbürgerlichen ukrainischen Staat wollten. Hier waren Kommunisten und deren Anhänger weit stärker als im polnischen Kernland. Ihnen verdankte die KP Polens ihre Fraktion im Sejm.

Das Land hatte sich also ein erhebliches innenpolitisches Sicherheitsrisiko eingehandelt, das auch die UdSSR ins Kalkül zog. Schon 1923 signalisierte sie ungeachtet des bestehenden Friedensvertrages in einer Note ihr unvermindertes Interesse an diesen Gebieten. Berl in wie Moskau rechneten im Falle eines Krieges auf die Rückgewinnung dieser Gebiete.

Auch Warschaus Verhältnis zur CSR war schlecht. Es ging von einem baldigen staatlichen Untergang des südlichen Nachbarn aus und wollte sich an der Beute beteiligen. In Prag dachte man ähnlich über Polen, unterstützte die ukrainischen Nationalisten, gewährte polnischen Kommunisten Asyl und liebäugelte mit einer gemeinsamen Grenze zur UdSSR.

Polen hatte durch seine "Nachkriegskriege" enorm an politischem Prestige verloren. Während das unterdrückte Land vor dem 1. Weltkrieg die Sympathie der Fortschrittskräfte Europas, vor allem der Arbeiterbewegung - Marx, Engels und Lenin hatten seine Unabhängigkeit gefordert - besaß, galt das Zwischenkriegspolen als Störenfried. So wurde es nicht zum Emigrationsland für Antifaschisten, die vor den Nazis flohen. Im Gegensatz zu den heute in Warschau am Ruder Befindlichen erkannte die damalige polnische Führung ihre schwache außenpolitische Position und weitgehende Isolierung. Anfangs hoffte man noch, durch ein Bündnis mit Frankreich den Status quo wahren zu können. Doch Paris versuchte schon bald, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen. Ende der 20er Jahre konnte Warschau weder gegen Deutschland noch gegen die UdSSR mit Frankreichs Hilfe rechnen.

Auf der Grundlage des 1932 geschlossenen Nichtangriffsvertrages mit der UdSSR und einer 1934 mit Nazi-Deutschland vereinbarten Gewaltverzichtserklärung betrieb Warschau in einer nahezu verzweifelten Situation seine "Politik des gleichen Abstandes" zu Moskau und Berlin. Damit hatte man sich aber selbst die Hände gebunden. Ein Bündnis gegen Hitlerdeutschland mit der UdSSR oder umgekehrt kam nicht in Frage. So blieben alle europäischen und vor allem sowjetischen Bemühungen um kollektive Sicherheit erfolglos.

Die Angst vor der UdSSR lag wie ein Schatten auf der Warschauer Führung und trieb sie letztlich in das Fahrwasser der deutsch-faschistischen Außenpolitik. Polen galt - vor allem nach seiner Komplizenschaft bei der Zerschlagung der CSR und der Besetzung des Olsa-Gebietes - de facto als Parteigänger der Nazis. Damit verlor es weitere Sympathien auch im Westen. Dennoch hielt Warschau strikt an der Fiktion seines angeblichen unabhängigen Kurses fest.

Als Polen dann durch Hitler massiv bedroht wurde, versprach der Westen pro forma Unterstützung, die man aber von vorneherein nicht zu gewähren gedachte. Auf die zugesagte Hilfe vertrauend und nach wie vor ein Bündnis mit der UdSSR strikt ablehnend, war Polen in der Stunde des faschistischen Überfalls völlig isoliert. Der Illusion einer "von niemandem abhängigen Außenpolitik" folgten deren Fiasko und damit die nationale Katastrophe.

Dr. Bernhard Majorow

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Briefmarken offenbaren den Charakter eines Staates

Philatelistische Visitenkarte der DDR (9)

Die DDR wäre ihrer Klassennatur nach kein sozialistischer Staat gewesen, hätte sie sich nicht als Arbeiter-und-Bauern-Macht definiert. Ihre sozialen Strukturen waren auch organisatorisch stabil untersetzt. In den frühen Jahren nach der demokratischen Bodenreform spielte vor allem die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe/Bäuerliche Handelsgenossenschaft (VdgB/BHG) eine maßgebliche Rolle. Ihre Aufgabe war es nicht zuletzt, der Landbevölkerung im allgemeinen und den Inhabern einzelbäuerlicher Betriebe im besonderen den "Schritt vom Ich zum Wir" nahezubringen und zu erleichtern. "Das Dorf" und die dort Lebenden waren auch in der politischen Struktur des Landes fest verankert.

Zu den vier anderen Parteien der DDR - sie alle erkannten die führende Rolle der Arbeiterklasse und der SED an - gehörte neben die Mittelständler und Freiberufler, zumindest partiell, vertretenden Liberal- und Nationaldemokraten aus LDPD und NDPD sowie der DDR-CDU als der Partei in den sozialistischen Aufbau einbezogener Christen auch die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD). Mit der SED war sie auf dem Lande eine starke und allenthalben präsente gesellschaftsverändernde Kraft, deren aktives Wirken bei der zunächst schrittweisen, dann aber umfassenden sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft unverzichtbar war.

Mandatsträger der DBD gehörten sämtlichen gewählten Organen der Staatsmacht an - sie waren von der Gemeindevertretung bis zum Staatsrat der DDR in diesen fest verankert. Um es konkret zu machen: Der leider verstorbene langjährige "RotFuchs"-Mitstreiter Leonhard Helmschrott - er gehörte später der DKP an - versah nicht nur die Aufgaben des Chefredakteurs der DBD-Tageszeitung "Bauernecho", sondern leitete zeitweilig auch die Volkskammerfraktion seiner Partei und war Mitglied des Staatsrates. - Das Gewicht einzel- und genossenschaftsbäuerlicher Kräfte, die ebenfalls Eigentümer ihres Grund und Bodens geblieben waren, diesen aber wie ihr Vieh zwar oftmals zögernd, am Ende aber recht bewußt in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) eingebracht hatten, widerspiegelten nicht zuletzt auch etliche Serien graphisch eindrucksvoll gestalteter Postwertzeichen. Im Laufe der Jahre erschienen, zeugten sie von der technisch-organisatorischen und sozialen Entwicklung auf dem Lande und brachten das Gewicht der den Staat mittragenden Klasse zum Ausdruck.

Heute machen wir unsere Leser mit einer kleinen Auswahl von DDR-Briefmarken bekannt, die in einem Staat der Kapitalisten und Großagrarier wohl kaum denkbar gewesen wären. Es handelt sich um die Serien "Zehn Jahre Bodenreform" (1955) und "Moderne Technik in der Landwirtschaft" (1977) sowie die Einzel-Edition 35 Jahre LPG (1987).

Rainer Albert, Zwickau

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Wie die BRD Georg Büchners plötzlich gewahr wurde

Vom Ruhm eines hessischen Rebellen

Er kämpfte mit den Aufrührern des Vormärz um 1835 gegen obrigkeitsstaatliche Unterdrückung und bittere soziale Not; als Verfasser des Revolutionsaufrufes "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" im "Hessischen Landboten" war er steckbrieflich gesucht und verfolgt. Als der gerade 23jährige 1837 im Exil verstarb, hinterließ er ein schriftstellerisches Werk, das in der Weltliteratur einen herausragenden Platz einnimmt. Im Oktober 2013 jährte sich der Geburtstag Georg Büchners zum 200. Male. Die öffentlichen Ehrungen, besonders in der südhessischen Herkunftsregion des Dichters, überboten einander an Glanz und Glorie. Doch bleiben Fragen und Zweifel an der Aufrichtigkeit von offiziös-beflissenen Würdigungen für den Rebellen Georg Büchner.

Geboren am 14. Oktober 1813 im südhessischen Goddelau als Sohn eines Arztes, wurde Georg Büchner zum Dichter des kämpferischen Aufbegehrens gegen die rückständigen halbfeudalen Verhältnisse seiner Zeit. Das Drama "Woyzeck", die Tragödie eines in Armut vegetierenden Menschen, der - entrechtet und seiner Würde beraubt - zum Mörder wird, kennen heute Generationen von Schülerinnen und Schülern aus dem Literaturunterricht. Das erschütternde Drama ist das weltweit am meisten gespielte Theaterstück.

Mit diesem und anderen Werken gelang es Georg Büchner zehn Jahre vor Erscheinen von Marx' "Manifest der Kommunistischen Partei", "Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur seiner Zeit tiefgründig zu erfassen und durch Erkenntnis des Grundwiderspruchs seiner Epoche erstmals ein Menschenbild aus der revolutionären Sicht der Unterdrückten zu entwerfen", heißt es im "Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller", herausgegeben 1972 im VEB Bibliographisches Institut Leipzig.

Wie kommt es, daß ein Dichter von so rebellischer Kühnheit heute in der Bundesrepublik Deutschland posthum mit Ehren überhäuft wird? In einem Staat der Bankpaläste und der verschämten Armut also, in dem die Reste der Teilhabe-Chancen von gesellschaftlich Benachteiligten mit Instrumenten wie der Agenda 2010 verramscht werden, und die Verachtung der sogenannten Unterschichten wieder hoffähig, ja modisch angesagt ist?

Büchner zum Ruhme und entsprechend des Beschlusses der schwarz-gelben Bundesregierung vom Januar 2013 hat das Bundesfinanzministerium eine Sondermünze im Wert von 10 Euro herausgegeben. Einer Alleinerziehenden mit Hartz IV oder einem geringverdienenden "Aufstocker" ist per Gesetz monatlich weniger als dieser Betrag für Kino, Theater, Bücherkäufe oder Museem zugemessen. Ob einer der vom kulturellen Leben Ausgeschlossenen im Lande der Dichter und Denker ein solches Silberstück mit Büchners Bildnis wohl für ein Theaterticket zu "Lenz", "Dantons Tod" oder "Woyzeck" ausgibt? Doch mit dem geprägten Geldstück im Nennwert zweier Tagessätze nicht genug! Zum Nennwert von 58 Cent hat die Bundespost eine Sondermarke mit dem polizeilichen Steckbrief editiert.

Zahllos waren die anderen feierlichen Weihen, die Georg Büchner 2013 besonders in seiner Heimatregion um Darmstadt zuteil wurden. Neben Sonderausstellungen, Büchner-Projektwochen in Schulen, universitären Veranstaltungen, Vorträgen, feuilletonistischen Beiträgen oder Lesungen ragen die Inszenierungen im Darmstädter Staatstheater am Georg-Büchner-Platz hervor. Und zur offiziellen akademischen Festveranstaltung des SPD-geführten Landkreises Groß-Gerau, wo des Dichters Geburtshaus im Riedstädter Ortssteil Goddelau mit der seit 1997 darin befindlichen Gedenkausstellung steht, hielten der Kreisbeigeordnete sowie der amtierende Bürgermeister derart kämpferische Reden, als hätten sie Büchners Fanal von den Hütten und Palästen ab sofort in ihr Programm genommen.

Bürgermeister Amend ließ wissen, "daß sich die Gemeinde schon 1987 für die Herausgabe einer Büchner-Sondermarke zum 150. Todestag eingesetzt" habe - "damals leider ohne Erfolg". Er führte die seinerzeitige Ablehnung des Bundespostministeriums an. Die DDR habe demgegenüber schon 1963 eine Büchner-Sondermarke ausgegeben. Zumal der sozialistische deutsche Staat mit dem DEFA-Film "Addio, piccola mia" ein weiteres Denkmal für Georg Büchner gesetzt hatte, schien den damaligen Bonner Wertzeichen-Verantwortlichen im Kalten Krieg offenbar Abstand zu diesem geboten.

Weit aufrichtiger schien da die Festansprache des Marburger Professors Dr. Burghard Dedner. Die zwingende Folgerichtigkeit im "Hessischen Landboten" von 1834, mit der Georg Büchner das schamlose Ausplündern der Arbeitenden anprangerte, liege unter anderem in seiner Beweisführung durch statistische Daten aus dem damaligen Großherzogtum Hessen. Dedner nannte sozialökonomische Kennziffern, die analoge Ausbeutungsverhältnisse unserer Tage - nur auf weit höherem Produktivitätsniveau - erkennen lassen.

Ein besonders deutliches Indiz für falsche Töne in der offiziellen Büchner-Ehrung 2013 erkennt Rudi Hechler. Der Schriftsetzer und Literaturfreund ist DKP-Gründungsmitglied und arbeitet in der sehr erfolgreichen Ortsgruppe Mörfelden-Walldorf nahe Riedstadt. "Im Januar 1975 stand im ND ein Artikel Erik Neutschs: ... Er erfuhr in dem 5500 Einwohner zählenden Dorf, wie wenig man sich in Goddelau um den 'großen Sohn' kümmerte", schrieb Hechler im November 2013 im dortigen "blickpunkt". Weiter erfährt man: "Die DKP im Kreis Groß-Gerau forderte damals die Erhaltung des Geburtshauses und die Einrichtung einer Gedenkstätte. (...) Der Kultusminister von Hessen schrieb: 'Georg Büchner ist zwar in Goddelau geboren, eine sonst irgendwie geartete Verbindung zu Goddelau besteht jedoch nicht.'"

Nunmehr vermeinen die zu Büchner-Enthusiasten gewandelten bundes- und landesbehördlichen Kulturhüter dessen Erbe offenbar besitzergreifend und politisch eigennützig vermarkten zu können. Was würde wohl der Geehrte dazu sagen? Vielleicht würde er einen "Bundesdeutschen Landboten" herausgeben und wiederum anklagen: "Seht nur, was man (...) aus dem Staat gemacht hat; seht, was es heißt: die Ordnung im Staate erhalten!"

Marianne Walz, Gernsheim (Hessen)

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Renaissance für Paul Dessaus Musik

Wenn ein Künstler der DDR eine hohe staatliche Auszeichnung erhalten hatte, war er nach dem Anschluß seines sozialistischen Staates an die BRD für die nunmehr auch im Osten Herrschenden nicht mehr tragbar. Man mußte Pfarrer mit bestimmten politischen Ambitionen gewesen oder angeblich verfolgt worden sein, um hofiert zu werden oder sogar einen wichtigen Posten zugeschanzt zu bekommen, für den man eigentlich mehrere Nummern zu klein war.

Der gebürtige Hamburger Paul Dessau (1894 bis 1979) wurde von der DDR für seine Kunst wohl zu häufig dekoriert, denn bis heute wird er gern übergangen und sein Werk wegen des Bekenntnisses zum Sozialismus abqualifiziert. Da spielt es keine Rolle, daß er des öfteren mit kulturpolitischen Instanzen der DDR in Konflikt geriet - wegen seiner Musik, der Zwölftontechnik und seines Eintretens für die Werke anderer Fehlinterpretierter.

Schon in frühen Jahren beschäftigte sich Paul Dessau mit Tönen und Klängen. Er nahm Geigenunterricht, schlug dann aber die Laufbahn eines Dirigenten ein. 1912 wurde er als Korrepetitor am Stadttheater Hamburg und wenige Jahre später an der Kölner Oper engagiert, wo er einige Zeit mit Otto Klemperer zusammenarbeitete.

Dessau schuf auch selbst Musik. In den 20er Jahren lernte er Bertolt Brecht kennen und kreierte einige Konzertwerke für Arbeiter-Kinderchöre. 1933 emigrierte Paul Dessau nach Paris, zumal die Nazis seine Kompositionen als minderwertig einstuften und ihm das Arbeiten verboten.

In der Zeit des Exils beschäftigte er sich mit der Zwölftonmusik, entwickelte unter einem Pseudonym verschiedene politische Marschlieder - darunter die legendäre "Thälmannkolonne" - und war Schöpfer der musikalischen Untermalung für Bert Brechts Schauspiel "Furcht und Elend des Dritten Reiches".

Da der Künstler bereits 1928 Disneys Frühwerk "Alice im Cartoonland" vertonte, konnte er nach der Flucht aus Frankreich in Hollywood Fuß fassen und für dortige Filmstudios als Komponist und Arrangeur arbeiten. 1946 trat er der KP der USA bei. Zwei Jahre später kehrte er nach Deutschland zurück. Hier entwickelte er - abermals mit Brecht - Opern wie das anfangs von der DDR-Partei- und Staatsführung kritisch betrachtete "Verhör des Lukullus". Er schuf die Klänge zu "Mutter Courage" (1949) - jenem gewaltigen Stück, welches am Deutschen Theater seine Premiere erlebte -, und zum "Kaukasischen Kreidekreis".

Nach Brechts plötzlichem Tod im Jahre 1956 wandte sich Dessau erneut der Zwölftonmusik zu und lenkte so die Bewunderung der jungen Avantgarde auf sich. Während er Mitglied der Akademie der Künste der DDR wurde und sogar lange Zeit deren Vizepräsident war, unterrichtete er weiter an der Zeuthener Grundschule, um die Idee der Musikerziehung in einem sozialistischen Staat zu unterstreichen.

Nun hat es Brilliant Classics (Edel) "gewagt", eine Sammlung von Paul Dessaus Musik herauszubringen. Die Firma, die fast den kompletten Katalog von Eterna (DDR) übernahm, daraus fleißig veröffentlicht und mit der Wiederauflage bekannter und begehrter Klassik-LPs, eingespielt von DDR-Künstlern, bei Sammlern und Liebhabern auf sich aufmerksam macht, präsentiert nun eine 12-CD-Box mit einstmals bekannten Sinfonien, Klaviermusik, Liedern und den vier Opern "Die Verurteilung des Lukullus", "Puntila", "Einstein" und "Leonce und Lena".

So gibt es eine Wiederbegegnung mit wundervollen Künstlern der DDR, die bis heute unvergeßlich sind: Gisela May, Theo Adam, Peter Schreier, der Staatskapelle Berlin und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig, um nur einige zu nennen.

Endlich kann man sich wieder ganz auf die Musik Paul Dessaus einlassen und besonders beim Hören der Sinfonien begeistert sein. So ist die Orchestermusik No. 3 "Lenin" einfach großartig. Sie läßt den Hörer nicht mehr los, zumal einzelne Momente sehr anrührend sind, sich verknappt auftun und so die Erinnerung an einen ganz besonderen Menschen aufrechterhalten. Wer sich nun der Tonsprache Dessaus weiter nähert und ganz hineinfinden möchte, sollte zunächst die Musik von "Mutter Courage und ihre Kinder" konzentriert aufnehmen und sich an den von der überragenden DDR-Künstlerin Gisela May gesungenen Liedern erfreuen, sie fest in sein Herz einschließen. CD 11 und 12 enthalten Dessaus letzte Oper "Einstein" aus dem Jahre 1974, die ein Dranbleiben erforderlich macht. Denn alles beginnt recht plakativ und spärlich. Doch schon beim Erkennen einiger Bach-Zitate ändert sich die Substanz. Die sparsame Instrumentierung wird zum Fanal, die immer kräftiger werdenden Akkorde beginnen zu leuchten, alles erscheint aufregend, vielsagend und hörenswert.

Thomas Behlert

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Griff in die literarische Schatztruhe (16)

Einst erfolgreiche DDR-Schriftsteller dem Vergessen entreißen

Die gebürtige Dresdnerin und gelernte Schneiderin Annemarie Reinhard nahm ihre Tätigkeit als freischaffende Schriftstellerin 1949 auf. Sie legte eine Reihe von Kinderbüchern, Erzählungen und Romanen vor. In ihrem Erstling "Treibgut" (1949) zeichnete sie den Weg zweier elternloser Kinder bei Kriegsende nach. Das Buch fand große Beachtung, da es von Optimismus und warmherziger Menschlichkeit getragen war. Einzelne Erzählungen der Autorin erschienen in Anthologien, wie "Wegweiser" und "In diese Zeit hineingeboren".

In dem unterhaltsamen Betriebsroman "In den Sommer hinein" (1953) schilderte sie die positive Entwicklung zweier junger Arbeiterinnen. In ihrem Roman "Tag im Nebel" (1958) berichtete Annemarie Reinhard "von der Kraft des Internationalismus" (Walther Victor) und dem "Aufruhr in einer kleinen Stadt" (Marianne Lange). Im Zentrum des Werkes stand die Heimkehr zweier junger Deutscher in eine kleine Stadt im Schwarzwald. Man hatte sie in die Fremdenlegion gepreßt.

Nach einer mehrmonatigen Reise durch die Volksrepublik China 1957 legte die Autorin 1960 ihr Buch "Sieben Körner Reis" vor. In bewegenden Porträts berichtete sie vom Mut und Fleiß der Frauen nach dem Sieg der Volksbefreiungsarmee und der Gründung des neuen China.

Es folgte ihr Kinderbuch "Brigitte macht die Probe" (1963) über die persönlichkeitsbildende Kraft der Arbeit. Ein weiterer besonderer Wurf gelang der Autorin mit ihrem Kinderbuch "Flucht aus Hohenwaldau" (1970), in dem sie einprägsam versuchte, hinter die faschistischen Euthanasieverbrechen zu leuchten. Das Buch löste in der "Deutschen Lehrerzeitung" eine lebhafte Diskussion über die literarischen Ansprüche von Kindern aus.

1976 verstarb die erst 55jährige Literatin. Deren aussagestarke Bücher waren nach allen Regeln der Kunst gebaut: Eindrucksvolle Episoden, differenziert gestaltete Figuren und gelungene Detailschilderungen prägten sie. Die Autorin griff in ihren Werken wichtige Fragen des Lebens in der DDR auf und ging soziale Themen mutig an.

Dieter Fechner

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Angst vor Fidel

Das Wetter im vorjährigen August war warm, trocken und sonnig. Da hält's auch das faulste Krokodil im Ei nicht aus. Und so schlüpften Antonio, Tango, Coco-Chanel und Fidel im Hoyerswerdaer Zoo ans Licht der Welt. Insgesamt waren es sieben Rautenkrokodile, was schon an sich eine kleine Sensation bedeutete, kommen doch solche Zeitgenossen außer in Tiergärten sonst ausschließlich in Kuba vor.

Dem heißen August folgte ein angenehmer Spätherbst, und die niedlichen kleinen Kerle versprachen dem Zoo in der Oberlausitz steigende Besucherzahlen und Berühmtheit über den bescheidenen Kreis fachlich Interessierter hinaus. Das ging so, bis Ende Oktober finstere Gewitterwolken aufzogen.

Der Kulturkonvent-Vorsitzende und Görlitzer Landrat Bernd Lange (CDU) hatte Wind von der Sache bekommen und begab sich nun bei einer Sitzung in den Dschungel der Förderparagraphen: Er halte den Namen Fidel mit den Leitlinien des Kulturraumes für unvereinbar. Diese Institution unterstützt kulturelle Einrichtungen in den Kreisen Bautzen und Görlitz mit staatlichen Geldern.

Auch Thomas Pilz, ein Politiker der Grünen, der dem Oberlausitzer Kulturbeirat vorsteht, hielt es da nicht länger auf seinem Stuhl: Mit Groll in der Stimme zog er nicht etwa gegen die Zootierhaltung vom Leder - nein, er ballte heftig die Faust gegen Klein-Fidel.

"Fidel Castro steht für eine sozialistische Kultur", gab er von sich. Zur Debatte stehe hier ein "Ex-Diktator". Und weiter: "Wie viele Künstler sitzen in Kuba im Knast, weil sie auch nur das tun, was der Kulturraum in unserer Region fördert!", donnerte er los. Der Name lasse "einen selbstkritischen Umgang mit fast 40 Jahren Diktaturgeschichte" vermissen. "Wenn der Zoo Hoyerswerda ausgerechnet mit Fidel wirbt, dann muß er es sich gefallen lassen, daß nachgefragt wird", offenbarte der Mann seine Dürftigkeit.

Wird die ohnehin limitierte Förderung gekürzt oder gar gestrichen, steht Sachsens drittgrößter Zoo mit seinen 30 Mitarbeitern und über 1000 Tieren vor dem Aus. Den Zooverantwortlichen blieb nur die vage Hoffnung, daß aus Fidel noch eine Fideline werden könnte, da das Geschlecht des Tieres noch nicht feststellbar ist.

Währenddessen hält man sich in Ostsachsen den Bauch vor Lachen. Die Posse könnte ja aus dem russischen Satiremagazin "Krokodil" entnommen worden sein, gäbe es das noch. Doch Pustekuchen!

Jetzt macht ein Gerücht die Runde, der Kulturkonvent wolle fortan auch Heimatzoos verstärkt beobachten Dort würden nämlich verdächtig viele rote Füchse präsentiert, unter denen sich ja auch ein Rotfuchs befinden könnte.

Bernd Gutte

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Eine gute Frage küßt Leben wach, auch solches, das nur noch Erinnerung zu sein schien.

Corona ist jung und weiß vieles nur, wie es ihr erzählt wurde. Das reicht ihr nicht. Sie fragt in einem Leserbrief an den RF, ob es denn stimme, daß die Lektorate in der DDR die Rockmusik behindert und feindlich behandelt haben.

Ich will dir gern antworten, Corona: als Autorin, Jurorin, kurzzeitige Lektorin und dann Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst, das vorher nur als Alibi existierte. Neben mir arbeiteten im Präsidium Rockkünstler wie Tony Krahl von "City" und Puhdy-Meyer, sie gehörten zu den Vizepräsidenten.

Ja, es gab Behinderungen. Aber mit den Lektoraten hatte das wenig zu tun, denn die besaßen ohnehin nur eine beratende Funktion und gar keinen Einfluß auf die angebotenen Werke. Wer sie dort vorstellte, wollte das Geld und die Technik des Rundfunks für die Produktion. Wurde das vom Lektorat abgelehnt, konnten die Künstler zum nächsten potentiellen Partner gehen, und mit mehr oder weniger Anläufen hat es immer geklappt. In den Bezirken gab es gut gefüllte Geldtöpfe für die Kultur, und viel Ehrgeiz, vor den Arbeiterfestspielen oder anderen landesweiten Ereignissen solche Ideen zu finden, die an Medaillen denken ließen. Man brauchte sich gegenseitig und handelte im Alltag so.

Man konnte auch direkt zur einzigen DDR-Plattenfirma gehen. Deren Chefs waren zu begeistern, auch wenn andere abgelehnt hatten. Solange es nur um unterschiedlichen Geschmack ging, bekam eigentlich jeder seine Chance. Ich unterlasse die lange Liste unserer Stars, die das beweist. Wir waren damals nicht arm an Liedern, an alten und ruhmreichen, an solchen aus dem Volk und vom Kampf unterwegs, auch zunehmend Gesängen aus der ganzen Welt. Wir übertrugen die Texte, wie bei Theodorakis, in unsere Sprache und ließen die jiddischen bei ihrem kostbaren Ursprung. Damals waren wir überreich an unterforderten Talenten. Was uns fehlte, war der Paukenschlag, der unvergleichliche Moment, wo etwas ganz Neues, Ansteckendes, aufgetaucht wäre. Ja, wir waren begeistert von Pete Seeger, Perry Friedman, Joan Baez.

Aber das waren nicht wir, nicht unser zündendes Eingreifen in die Kämpfe unserer Zeit, nicht die künstlerische Darbietung unserer Haltung zu den Dingen des Alltags, der Welt, unserer Epoche. Es fehlte die Musik, mit der sich Zorn und Liebe, Ungeduld und Vorschlag unwiderstehlich gestalten ließen.

Wir wurden aufgehalten, denn ein Eishauch war durch unser kleines, eigentlich warmes Land gegangen. Die Partei hatte sich vor einem Plenum über Wirtschaft gedrückt und sich statt dessen auf die Kultur gestürzt, vor allem auf die Kunst, von der die meisten Funktionäre entweder kaum etwas verstanden - oder sie knickten vor der geballten Ladung angesagter Verdikte ein. So wurden fertige Filme in den Keller geschickt, Bücher blieben ungedruckt, Karrieren wurden aufgehalten, zumindest entmutigt. Es traf Mattheuers wunderbares Bildnis "Die Ausgezeichnete" ebenso wie Kabaretts oder unsere Lieder über die Gegenwart. Die Reue trat bald ein. Aber für einen historischen Augenblick verschlug es der Kunst den heißen Atem und die kühle Kraft der Gabe.

Einige Künstler hauten unter glaubwürdigen Vorwänden ab. Sie waren nicht mehr dabei, als das Wunder geschah. Wir hatten vorher immer nur das Bestehende verbessern wollen und gesichert. Aber dann kam wie über Nacht, gemacht aus Leichtigkeit und Lärm, etwas Neues, und daran hatten viele Künstler aus aller Welt teil.

Natürlich meldeten sich sofort wieder die üblichen Mahner und Verhinderer, die mit diesem "Yeah, yeah" nichts zu tun haben wollten. Aber es war, als ob im Zaubergarten die Wasserfinger anspringen, in Gold und Silber, aber auch in überzeugendem Grau, wenn es nötig war. Was da entstand, war so ansteckend, daß die sogenannten E-Künstler "mitmischten".

Es entstanden ganz neue Formen und Darbietungen in Fülle, großer Spaß und tiefer Ernst. Es griff über, strömte und war Freisetzung für Inhalt. Die Möglichkeiten der Rockmusik forderten uns heraus. Und wir, die wir mit ihr gearbeitet haben, entdeckten uns selber neu und wehrten uns gegen Widerstände. Im Rundfunk sagte der Chefredakteur für Musik Wilhelm Penndorf zu Einwendern gegen Töne und Haarlänge "Ihr wollt also den Arbeiterjungs aus Liverpool ihre Musik verbieten. Und ihre Frisur."

Meine Rockballade "Als ich fortging" bezeugt, daß man Kulturfunktionärin, Fan und ausübende Künstlerin gleichzeitig sein konnte.

Was die DDR-Rocker geschaffen haben, kann sich hören lassen. Und niemand anders hatte die wilde, laute und zärtliche Tamara, "Lift" und City, die Puhdys, Electra, einen hochbegabten Demmler und den Gundermann. Wir konnten Gastgeber sein und beim Jazz und Rock jedem Vergleich standhalten.

Wir können es noch, noch.

Die Probleme bestanden früher im Beschaffen des Equipments, denn unser Publikum urteilte nach seiner Hörgewohnheit.

Das größte Problem: Erst ab 1986 konnten wir erreichen, daß auch die Rocker zunehmend international erste Erfahrungen sammeln durften. Da waren unsere Soprane und Tenöre schon rund um die Welt geseppelt. Vorbei!

Ich genieße ihn noch immer, diesen einzigartigen Atem der Lieder - die aus aller Welt und unsere.

Corona, ich danke dir für die Frage.


Die Rockballade "Als ich fortging" entstand 1986 nach einer Komposition von Dirk Michaelis. Wir schildern darin eine persönliche Entscheidungssituation. Seit der Veröffentlichung gibt es von diesem Lied weltweit 32 Cover-Versionen und Hunderte von Auslegungen. Es wurde ohne unser Zutun zum "schönsten Abschiedslied von der DDR" erklärt, was allein durch das Entstehungsjahr widerlegt wird. Wir haben nichts dagegen, daß andere es als die "schönste Liebesballade der DDR" bezeichneten.

Neben "Am Fenster" und "Über sieben Brücken" hat sie einen besonderen Platz.



Als ich fortging, war die Straße steil
kehr wieder um
nimm an ihrem Kummer teil
mach sie heil

Als ich fortging, war der Asphalt heiß
kehr wieder um
red ihr aus um jeden Preis
was sie weiß

Nichts ist unendlich
so sieh das doch ein
ich weiß, du willst unendlich sein
schwach und klein

Feuer brennt nieder
wenn's keiner mehr nährt
kenn ja selber
was dir heut widerfährt

Als ich fortging, warn die Arme leer
kehr wieder um
mach's ihr leichter, einmal mehr
nicht so schwer

Als ich fortging, kam ein Wind so wach
warf mich nicht um
unter ihrem Tränendach
war ich schwach

Nichts ist unendlich
so sieh das doch ein
ich weiß, du willst unendlich sein
schwach und klein

Nichts ist von Dauer
was keiner recht will
auch die Trauer wird dann sein
schwach und klein

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Leserbriefe an RotFuchs

An der Politik der SPD - einem Gemisch aus Lüge und Täuschung - hat sich seit 1914, in welcher Koalition auch immer sie gewesen sein mag, bis heute nichts geändert. Keineswegs anders verhält es sich bei der sogenannten großen Koalition mit der CDU/CSU. Kurt Tucholsky spießte solches Gebaren 1933 satirisch so auf: "Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August Reformistische Partei oder Partei des kleineren Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas . Vielen Arbeitern hätte der Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So macht der Laden seine Geschäfte unter einem ehemals guten Namen."

Uwe Moldenhauer, Altena


"Hat denn die heutige Sozialdemokratie noch irgend etwas mit einer sozialistischen Partei zu schaffen? Könnt Ihr Euch August Bebel oder Wilhelm Liebknecht in den Reihen dieser Partei vorstellen, z. B. als Hamburger Bürgermeister, Seite an Seite mit den Pfeffersäcken. Oder Karl Marx und Friedrich Engels als Koalitionsminister in der Preußenregierung? Das ist unmöglich! ... Alles, was die SPD den Massen im Laufe der letzten Jahre erzählt hat, erwies sich als Lug und Trug. ­... Wir wissen, daß wir im Namen von Hunderten und Tausenden sozialdemokratischer Arbeiter sprechen, wenn wir die sozialdemokratischen Führer des dauernden skrupellosen Arbeiterverrats anklagen und ihnen zurufen: Was habt Ihr aus der Partei August Bebels und Wilhelm Liebknechts gemacht? Aus einer Partei der Sozialisten habt Ihr eine Partei der Polizeipräsidenten, eine Partei der Minister, eine Partei gemacht, die den unglaublichsten Klassenverrat gegen das Proletariat begeht. ... Unser Appell geht an alle sozialdemokratischen Klassengenossen. Wir rufen ihnen zu: Macht Schluß mit denen, die Euch jahraus, jahrein betrogen und verraten haben!"
So sprach nicht erst Oskar Lafontaine 2013, sondern schon Ernst Thälmann im September 1931.

Cihad Rebehn, Essen


Das hätte die Occupy-Bewegung, die ihr Protestcamp in der Wall Street vor den Palästen der Banken-Verbrecher aufgeschlagen hatte, mal machen sollen! Wie Klitschko in ganz Kiew Barrikaden errichten und zum Sturz der Regierung aufrufen! Auch ohne solcherlei Gewaltakte räumte die US-Staatsmacht das Occupy-Lager einfach ab. Für Kiew aber heulen sie Rotz und Wasser, geben sie den Befehl: Der ukrainische Präsident darf nicht auf das Militär zurückgreifen, sonst setzt es Repressalien.
Seit der Oktoberrevolution geht es um die Verhinderung jeder echten Alternative zu den Plänen des Kapitals. Damit hängt auch Klitschkos Konterrevolution zusammen. Aufgeweckte bürgerliche Presseleute fragen: Wie finanziert der überhaupt seine Partei? Das liegt doch auf der Hand: CIA und BND haben ja auch die orangefarbenen Lumpen - die Textilien wie die sich damit Drapierenden - gekauft.
Übrigens: Seit der Oktobernummer ist der RF-Inhalt irgendwie treffender. Applaus!

Manfred Lowey, Kamen


Herr Klitschko sollte es lieber beim Boxen belassen. Seine politischen Auftritte in der Ukraine polarisieren nur in seinem eigenen Interesse und im Interesse seiner Hintermänner. Ich zumindest kann an der Haltung von Janukowitsch nichts Frevelhaftes erkennen. Die Anlehnung der Ukraine an Rußland hat historische Hintergründe und ist für das Land sinnvoller als die Orientierung auf eine EU, die politisch und ökonomisch auf der Verliererstrecke marschiert. Das verlogene Theater um die Ex-Oligarchin Julia Timoschenko ist kaum noch auszuhalten!

Bernd Passoth, Gera


Am 10. Dezember 2012 wurde an der früheren Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus in Dresden eine neue Dauerausstellung unter dem Motto "Verurteilt. Inhaftiert. Hingerichtet" eröffnet. Zufällig wurde ich mit einem am Aufbau beteiligten Mitarbeiter bekannt, der mich um Materialien zur Dokumentation des antifaschistischen Widerstandes bat. Da sich meine gesamte Familie aktiv am Kampf gegen das Nazi-Regime beteiligt hatte, war das kein Problem: Die Schreibmaschine, auf der die Flugblätter entstanden, gibt es noch. Mitarbeiter, welche diese Zeit nicht selbst erlebt hatten, engagierten sich sehr. So hatte ich gehofft, daß das Motto der DDR-Gedenkstätte "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!" weiterhin Geltung haben würde. Doch schon am Tag der Eröffnung mußte ich etwas ganz anderes feststellen. Im ersten Teil der Exposition wird tatsächlich an den antifaschistischen Widerstand und die Opfer des Faschismus erinnert.
Doch die zweite Abteilung trägt den Titel: "Strafjustiz der sowjetischen Besatzungsmacht". Dort wird Mutschmann, der sächsische Nazigauleiter, den die sowjetische Justiz wegen von ihm begangener Verbrechen verurteilte, als "Opfer" dargestellt. Die dritte Abteilung - sie betrifft "Opfer der politischen Strafjustiz in der DDR" - schließt sich an. Der Terrorist Johannes Burianek, der schwerste Straftaten beging und gestand, wird hier als "Opfer der DDR-Justiz" präsentiert. Er wurde nach geltendem Recht und aufgrund von Beweisen zum Tode verurteilt und hingerichtet, durch die BRD-Justiz aber rehabilitiert.

Peter Jahn, Dresden


Mit Freude habe ich im Dezember-RF gelesen, daß Gisela Steineckert jetzt zu unseren Autoren gehört. Bei der Erwähnung dieses Namens denke ich sofort liebevoll an den Oktoberklub, an das Lied "Komm, wir malen eine Sonne" oder an die Eulenspiegel-Zeit zurück.
Gisela Steineckert gehört für mich zu den großen Künstlerinnen der DDR und der Gegenwart, nicht nur, weil sie vielseitig engagiert war und ist. Ihre Gedichte und Lieder sind feinfühlig und tiefgründig, dabei aber sehr einfach. Ich fühle mich von ihr angesprochen, weil sie mit Witz und Verstand zwischenmenschliche Beziehungen darstellt.
Gisela hat den Mut zu bekennen, daß sie gern in unserer DDR gelebt hat. Sie steht für linke Positionen und eine antifaschistische Haltung. Das bringt einem in der BRD bekanntlich nicht nur Freunde ein. Für mich ist sie ein Vorbild, wie sie mit 82 noch so viel Power hat, unermüdlich durch das Land tourt und ihrem Publikum Wertvolles vermittelt. Ihr Text "Mein neues Nein" im "RotFuchs" hat mich zutiefst berührt. Ich stimme ihr zu: Wir Frauen und Mütter hatten in der DDR alle Entwicklungschancen, was berechtigte Kritik im Detail natürlich nicht ausschließt.

Ingrid Buchhorn, Güstrow


Klaus Steiniger gebührt aus meiner Sicht eine doppelte Gratulation: einmal dafür, daß es ihm gelungen ist, seinen eigenen Nachwuchs in die richtige Spur zu setzen, was man dem ausgezeichneten Leitartikel "Über Junge und Alte" entnehmen kann. Zweitens dafür, daß er Gisela Steineckert offenbar fest an unsere Zeitschrift hat binden können. Es ist für uns Alte - ich bin 91 -, die wir zur Aufbaugeneration nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten und in der gesellschaftlichen Entwicklung der jungen DDR die Zukunft eines gesamtdeutschen Staates erblickten, immer wieder deprimierend, wenn wir auf Meinungen 20- bis 30jähriger stoßen, denen inzwischen ein absolut unsinniges Bild vom ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden beigebracht wurde. Ich höre aber auch von Älteren, die es eigentlich besser wissen müßten, die törichte Auffassung, daß die uns nachfolgenden Generationen angeblich völlig andere Probleme als wir hätten, weil sie in einer ganz anderen Zeit leben. Keine Frage: Wissenschaft und Technik haben gewaltige Sprünge gemacht, geblieben aber ist das von der kapitalistischen Produktionsweise und den entsprechenden Eigentumsverhältnissen bestimmte Wesen der Dinge: der Klassenkampf, die zunehmend geschickter verschleierte Ausbeutung, die heimtückische Art, Kriege anzuzetteln oder sich in diese einzumischen.
Hier gibt es für marxistisch-leninistisch Gebildete ein weites Betätigungsfeld.

Helmuth Hellge, Berlin


Der Leitartikel "Über Junge und Alte" hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. 1925 geboren, erlebe ich schon die vierte Staatsordnung. Im Herbst 1946 - der Krieg lag hinter mir - machte ich mich auf den Heimweg nach Sachsen. Ich wurde Milchleistungsprüfer, war jeden Tag bei einem anderen Bauern. Alle hörten den RIAS. 1951 wurde ich zu einem Lehrgang für Viehwirtschaftsberater delegiert. Die Dozenten dort beeindruckten mich sehr. Ich spürte, daß sie selbst von dem überzeugt waren, was sie uns im Politunterricht vermittelten. So Sozialist geworden, zog ich nun im Heimatdorf von Bauer zu Bauer. Meine Frau und ich traten bald in die SED ein. Am 21. Dezember 1952 gründeten wir die vierte LPG im Kreis. Wir gingen mit Elan daran, die anderen Bauern von dem neuen Weg zu überzeugen. Dann wurde ich vom Kreis zu einer LPG delegiert, die völlig am Boden lag. Das war eines der größten Abenteuer meines Lebens.
Heute vertritt mein Sohn die Linkspartei in unserem Stadtrat. Viele einstige SED-Mitglieder haben die Segel gestrichen. Schabowski hat es ihnen vorgemacht. Doch wir bleiben unserer Sache treu. Diesen Standpunkt habe ich auch vor einer Schulklasse und in mehreren Bauernversammlungen dargelegt.

Werner Döring, Hohnstein


In jeder Ausgabe lese ich so Merkenswertes, daß ich es ausreiße und archiviere. Auch im Dezember-RF lernte ich Neues und wurde auf Zusammenhänge hingewiesen: Der "Heuchler und Roßtäuscher" Gauck und dessen "Dienerschaft" ist durch Andersens Märchen "Des Kaisers neue Kleider" noch besser zu verstehen. Auch "Schläfer auf Abruf" und "'Christen' löschen Christen aus" fand ich stark. Leider habe ich keinen Platz mehr in meinen Regalen, um alle RF-Nummern vollständig aufzubewahren. Sie wären es wert.

Dr. Manfred Lotze, Hamburg


Die abschließenden Bemerkungen von Dr. Vera Butler in ihrer im RF 191 veröffentlichten Zuschrift, wonach das DDR-Schicksal nicht zuletzt "auch im Zusammenhang mit innenpolitischen Unzulänglichkeiten betrachtet werden" müsse, kann ich aus eigener Erfahrung nur unterstützen.
Ich erinnere mich an die Zeit des Beginns meiner Mitgliedschaft in der SED. Ich trat ihr 1947 als 17jähriger bei. Damals war es üblich, vor jeder Mitgliederversammlung proletarische Kampflieder zu singen. Im Parteilehrjahr arbeiteten wir sehr intensiv die "Geschichte der KPdSU" durch. Später trat dann in zunehmendem Maße der sinnwidrig interpretierte Fürnberg-Text "Die Partei, die Partei, die hat immer recht ..." in den Vordergrund. Die im Statut verankerte Kritik und Selbstkritik von unten geriet mehr oder weniger ins Hintertreffen. Dazu kam später die Tendenz zur Entwicklung einer aufgeblasenen Millionenpartei.
Ich erinnere mich noch daran, wie mir mein Vorgesetzter in der Parteiversammlung nach einem kritischen Diskussionsbeitrag anschließend die Frage stellte, ob ich die Absicht gehabt hätte, eine Kampfabstimmung zu provozieren. Seitdem hielt ich mich mit meinen Aussagen zurück. So ist es wohl auch anderen gegangen. Das hat der Partei in ihrer Entwicklung nicht gutgetan.

Siegfried Schlenker, Olbernhau


Der Artikel einer einstigen protestantischen Pastorin und eines früheren Pfarrers "Wenn immer mehr Särge kommen ..." entspricht zutiefst meiner politischen Position zur Bundeswehr als einer aggressiven Einsatzarmee des deutschen Imperialismus. Die Lektüre dieses Artikels führte mich in meine Kindheits- und Jugendjahre in Breslau, dem heutigen Wroclaw, zurück. Protestantisch erzogen, nahm ich in den 30er Jahren am Konfirmationsunterricht teil, wo uns der Pfarrer die Weltkriegsschlachten an der Somme mit detaillierter Schilderung deutscher Heldentaten schmackhaft zu machen versuchte. Er warf sich mit seinem dort erworbenen Eisernen Kreuz 1. Klasse in Positur.
Später erzog mich die faschistische Führung im Geiste des Völkerhasses. Bei der Beerdigung von Gleichaltrigen verneigten sich die Wehrmachtspfarrer vor den Toten und riefen im Beisein von NS-Führungsoffizieren zum Weitermachen auf.
Die mich außerordentlich berührenden Ausführungen Edda und Helmut Lechners haben diese Erinnerungen wieder erstehen lassen und mich erneut veranlaßt, jenen Angehörigen der Roten Armee und des Nationalkomitees Freies Deutschland zu danken, die mich als Verwundeten nicht nur körperlich genesen ließen, sondern auch über das Wesen imperialistischer Kriege aufklärten.

Armin Lufer, Berlin


"Deutsche, kommt nach Polen, Eure Panzer sind schon dort!" Mit Entsetzen las ich, daß sich Tomasz Kwarcinski vom Stadtrat Zagans - einer zwischen Cottbus und Wroclaw gelegenen Stadt - an den Seelen dortiger Kinder verging. Die Bundeswehr musterte 119 Leopard-Panzer aus, die Polen für 110 Millionen Euro zugesprochen wurden. Zwei Standorte bewarben sich darum. Der erste befindet sich in einem Warschauer Stadtbezirk, der andere ist die 11. Panzerdivision in Zagan. Dortige Schulkinder wurden animiert, mit handgemalten Bildern die "Anschaffung" zu unterstützen. Eifrig malten nun die kleinen Polen den Leopard mit jenem deutschen Hoheitszeichen, unter dem ihre Großeltern ausgeraubt, unterdrückt und umgebracht wurden. Was einst die Waffe der NATO-Krieger war, die auch gegen das sozialistische Polen eingesetzt werden sollte, wird nun durch Kinder des Landes umworben.
Gönnerhaft grinste de Maizière, als er seinem damaligen Warschauer Kollegen die Panzer mit gebender und nehmender Hand überantwortete. Im gut 20 Kilometer entfernten Swietoszów wurden vor elf Jahren schon einmal 120 Leoparden aus der BRD freigelassen. Danach trauerten 40 polnische Mütter und Väter um ihre in Afghanistan gefallenen Söhne.

Cornelia Noack, Beeskow


Ingo Wagners Beitrag "Putsch in der Dynamo-Halle" (RF 191) argumentiert überzeugend. Die DKP hatte zur selben Zeit auch ihre Probleme mit auf Veränderung drängenden "Strömungen". Die Hamburger "Neuerer" um den damaligen Bezirksvorsitzenden Wolfgang Gehrcke machten sich Sorgen wegen der finanziellen Situation der Partei. Die bisherige Unterstützung durch die SED fiel plötzlich weg. Man müsse wahrscheinlich sämtliche hauptamtlichen Mitarbeiter entlassen, das Erscheinen der UZ als Tageszeitung, selbst einer wöchentlichen Ausgabe, sei in Frage gestellt. Er rechne damit, daß sich die DKP demnächst auflösen werde, sagte Gehrcke lt. UZ vom 6.12.1989.
Schon drei Tage später verkündete der NDR seinen Rücktritt. Am selben Tag wurde Gysi in Berlin als Vorsitzender der SED/PDS gewählt. Da lag es nahe, nunmehr "gesamtdeutsch" zu denken und sich nach erfahrenen Helfern umzuschauen.
1989 verlor die DKP - nicht nur in Hamburg - viele Mitglieder. Es waren fast ausnahmslos Genossen, die den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Europas nicht verkrafteten, denen aber auch die "Strömungen" keine Perspektive boten. Die letzte Aktion der "Neuerer" - die Liquidierung der DKP - sollte "Silvester ab 20 Uhr" in der Hamburger Fischauktionshalle gefeiert werden. Motto: "Der letzte Walzer". Es war der Tag, an dem vor 71 Jahren Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die KPD gegründet hatten.
Ich selbst bin Mitglied von KPD und DKP seit 1955.

Kurt Henseleit, Hamburg


Ich schlage die Nr. 191 des RF auf und finde mich als "Held der Dynamo-Halle" wieder! Dann lese ich, daß ich auch noch Putschist gewesen sei, schließlich hätte ich sogar den Untergang der DDR mit eingeleitet. Junge, Junge, ein kleiner bedeutungsloser Genosse und dann auf einmal so entscheidend mitverantwortlich! Jeder weiß, daß die DDR durch Gorbatschow und andere an die BRD verkauft worden ist.
Der Stalin-Kult wurde jahrzehntelang mit großem Eifer betrieben und brachte uns, vor allem als wir Jugendliche waren, in fast religiöse Verzückung. Damit mußte auf diesem Parteitag endgültig Schluß gemacht werden. An eine Aufgabe der DDR war überhaupt nicht zu denken.

Hans Remmel, Neuzelle/OT Kobbeln

Bemerkung der Redaktion: In der DDR hat es seit 1953 keinen Stalin-Kult mehr gegeben!


Am Außerordentlichen Parteitag habe ich als Delegierter mit beschließender Stimme teilgenommen. Ich fuhr nicht in Aufbruchstimmung nach Berlin, sondern mit dem Gedanken: Retten, was zu retten ist - unsere Partei und unser Land. Als "Türöffner" für den Sieg der Konterrevolution fühlte ich mich damals nicht. Auch habe ich nicht die Genossen des MfS zum "Freiwild" erklärt. Im Vorfeld des Parteitages erschien von mir folgender Text:
"Als bei der Demonstration in Spremberg am 28. Oktober, welche auch die 'Lausitzer Rundschau' nicht verheimlicht hat, gefordert wurde: 'Schließt Euch an, wir brauchen jeden Mann', dachte ich, ja, dieser Aufruf entspricht unserer Zeit, denn wir brauchen tatsächlich jeden.
Doch mein Optimismus wurde gedämpft, als es hieß: 'Stasi in die Produktion!' Wußten die vielen friedlichen Demonstranten nicht, daß es westlich von uns nicht nur einen, sondern gleich drei Geheimdienste gibt, deren Auflösung nicht zur Debatte steht?
Ich glaube, was wir jetzt dringend brauchen, ist äußerer Frieden und innere Sicherheit. Das aber nicht gegen unsere Sicherheitsorgane, sondern mit ihnen."
Diese öffentliche Stellungnahme hat mir damals viel Ärger und Anfeindungen eingebracht.

Siegfried Duske, Biedenkopf


Es ist richtig und wichtig, daß Ihr Euch endlich zu China äußert. Die dortige Entwicklung verläuft spannend. Das 3. Plenum hat ja die Weichen in Richtung auf einen privaten Bankensektor gestellt, die Büchse der Pandora ist aber schon längst geöffnet. Wo da am Ende ein Sozialismus herauskommen soll, bleibt in der Tat fraglich. Ja, es verbessern sich die Indikatoren des Landes immer mehr. Ebenso allerdings die soziale Ungleichheit. Mit einer sozialistischen Wirtschaft haben die bestehenden Strukturen wenig zu tun.
In Kuba sehe ich keine Gefahren wie in China. Dort hat man dem "chinesischen Modell" bereits eine klare Absage erteilt. Da es in Kuba nur 3000 Staatsunternehmen bei elf Millionen Einwohnern gibt, bleibt die Wirtschaftsstruktur überschaubar. Außerdem hat Kuba bereits voll ausgebaute und flächendeckende Sozialsysteme sowie eine gut ausgebildete Bevölkerung, für die der Erhalt des Sozialismus Priorität besitzt. Man ist stolz auf das Errungene.
Das künftige kubanische Modell sieht eine effizientere Verwaltung des staatlichen Eigentums vor, ohne die Besitzverhältnisse zu ändern, wobei Marktmechanismen in kontrollierter Umgebung eingesetzt werden. Auch nach Raúl Castro sehe ich für Kubas Zukunft rot. Miguel Diaz-Canel - Klaus und Bruni Steiniger haben ja vor Jahren ausführlich mit ihm sprechen können - scheint wirklich der richtige Mann für den Job Nr. 1 zu sein.

Marcel Kunzmann, Jena


Ich war ab Juni 1949 in der CDU und habe dank eines guten Lehrers an der Berufsschule die Irrungen und Wirrungen der ersten Jahre durchgestanden. Nach dem Herbst 1989 - also nach 40 Jahren - kehrte ich wie Wolfgang Mäder, unser damaliger Neubrandenburger Bezirksvorsitzender, der CDU den Rücken. Ich war übrigens der einzige aus dem Suhler Bezirkssekretariat, der nicht mit wehenden Fahnen zur West-CDU überlief.
Als ich seinerzeit Mäders Vortrag zur Geschichte der DDR-CDU - er lag einer früheren Ausgabe des RF als Sonderdruck bei - seinem Suhler "Amtsbruder" zum Lesen gab, sagte der nur: "Wegschmeißen!" Im November 1989 hatte er noch erklärt, daß an der führenden Rolle der SED "nicht gerüttelt" werde. Schon im Januar 1990 versagte sein Erinnerungsvermögen. Der Träger des Vaterländischen Verdienstordens und Inhaber anderer Dekorationen vergaß völlig, was zuvor sein Leben bestimmt hatte. Ähnlich verhielten sich viele einstige Weggefährten.
Der "RotFuchs" war mir für das neue Engagement ein guter Berater und Begleiter. Ich wünsche Euch weiterhin guten Erfolg bei der Arbeit.

Günter Weiß, Suhl


Seit ich mich für den RF und die "junge Welt" als Lektüre entschieden habe, bin ich immer aktuell und gut informiert. Ich begrüße vor allem Eure gute Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung. Eine Hand-in-Hand-Arbeit aller Linken - vor allem in der Öffentlichkeit - wäre zum Vorteil sämtlicher Beteiligter. Mir gefällt auch der herzliche Umgangston im "RotFuchs", dem ich früher unter Genossen häufiger begegnete.
Als Kameramann beim Regionalfernsehen wurde ich wie Vertreter aus Wirtschaft und Kommunalpolitik des öfteren von der Jägerbrigade 37 der Bundeswehr nach Frankenberg zu Neujahrsempfängen eingeladen.
Bis 2001 ging es in den Ansprachen um Kriegsberichterstattung aus Bosnien und Afghanistan. Man tue alles, daß die Soldaten unversehrt wieder nach Hause kämen, sagte der Kommandeur. Im Januar 2001 sprach man erstmals von der Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee, da mit Wehrpflichtigen keine Wirtschaftskriege zu machen seien. Bei solchen Empfängen erfuhr ich von den Kommandeuren, was sie als "Ultima ratio" für einen Krieg betrachteten. Nach Libyen und Syrien wissen wir es genauer.
Manche Linke, vor allem die "Reformer", preisen in entscheidenden Auseinandersetzungen mit dem Kapitalismus die Innovationskraft der Marktwirtschaft. Wenn man nur die IT-Branche, Handy und Computer betrachtet, ist das Entwicklungstempo durchaus beeindruckend. Doch bei uns in der DDR sprachen wir von der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft. Heute gleiten dem Staat wichtige Prozesse aus der Hand, weil der Markt als heilige Kuh dem Selbstlauf überlassen bleibt. Erfahrene Wirtschaftsjournalisten sollten im RF die innovativen Leistungen des Kapitalismus zumindest relativieren.

Wolfgang Lange, Flöha


Für 2014 wünsche ich mir noch öfter so ehrliche, analytische Beiträge wie den von Horst Neumann im RF 191. Mehrere Jahre im größten Mikroelektronischen Betrieb der DDR in Frankfurt (Oder) für das betriebliche Erholungswesen verantwortlich und überdies Vorsitzender einer Abteilungsgewerkschaftsleitung (AGL), habe ich besonders in den letzten Jahren vor der Konterrevolution öfter als zuvor genau das erlebt, was Genosse Neumann beschreibt. 1969 aus der SED ausgeschlossen, verlor ich weder meine Gesinnung noch meine Bindung zur Arbeiterpartei.
Doch ich merkte, wie Wort und Tat, gelehrte Theorie und Praxis oftmals nicht mehr übereinstimmten. "Halt nicht solche klugen Reden", sagten mir hohe Vorgesetzte. "Du bist auf den Platz gestellt worden, um die Probleme zu lösen. Wenn Du das nicht kannst, bist Du an der falschen Stelle."
Mir war klar, daß ein wichtiges Grundprinzip der Partei - Kritik und Selbstkritik - mißachtet, ja sogar mißbraucht wurde. Jahrzehntelang erfolgreiche Leiter aus Partei und Staat wurden Knall auf Fall abgelöst und auf Arbeitsplätze verbannt, die weit unter ihrem Niveau lagen.
1989/90 ging es dann andersrum: Die BPO löste sich auf, das Direktorat Sozialökonomie wurde liquidiert, die Ferieneinrichtungen, an deren Schaffung ich 20 Jahre maßgeblich mitgearbeitet hatte, verschleuderte man. Auch die Arbeiterwohnheime mit 1500 Plätzen fielen den neuen Herren ebenso zum Opfer wie sieben betriebliche Kindereinrichtungen einschließlich der Pflegestation; die an die Stadt gingen. Der Berufsverkehr wurde reduziert, der Fuhrpark ein privates Unternehmen, unsere beiden Küchen und Kantinen am Ende dem Erdboden gleichgemacht. Wir alle, die wir in der sozialen Betreuung tätig waren, flogen auf die Straße. "Was wollen Sie denn?" fragte mich einer der neuen Herren im Betrieb. "Sie sind 55, gehen in den Vorruhestand und haben ausgesorgt."

Klaus Hilmar Luckau, Aschersleben


Prof. Horst Schneider hat seinen Beitrag im Dezember-RF, der wie immer klasse war, mit "Heuchler und Roßtäuscher" überschrieben. Mir hat er ganz außerordentlich gefallen. Seine Aussagen decken die Überschrift ab, wobei die Bezeichnung Heuchler und Roßtäuscher noch äußerst rücksichtsvoll formuliert wurde, wenn ich daran denke, mit welcher Leidenschaft der oberste "Hüter" der Stasi-Akten Menschen gejagt, berufliche Karrieren zerstört und manch einen mit seinem antikommunistischen Verfolgungswahn in den Tod getrieben hat. Herr Gauck handelte nicht wie ein Christ, eher wie Cäsar, der den Daumen hob oder senkte, wenn über das Schicksal von Menschen entschieden wurde. Seine eigene Biographie hat er geschönt, wobei auch Lückenhaftigkeit als Lüge zu betrachten ist. Dieser BRD-Präsident leistete einen großen Beitrag zur Aufrechterhaltung der inneren Spaltung zwischen den Menschen in Ost und West, ja, er vertiefte sie sogar. Eines muß man ihm allerdings lassen: Sein Talent als Selbstdarsteller ist unübertroffen.

Horst Franzkowiak, Hoyerswerda


Potsdam teilt sich in zwei Lager - in diejenigen, die Frieden wollen und in Kriegsverherrlicher. Diese befürworten den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Der Name spricht für sich! Zahlreiche Diskussionsrunden zu diesem Thema liefen bereits, auch ein erfolgreicher Film über preußische Geschichte von dem Astronomen Dr. Frank Bayer.
Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt! Mit diesem Wissen um das Heute ausgerüstet und angesichts der unrühmlichen deutschen Vergangenheit wäre es zwingend geboten, eine Rekonstruktion dieses kriegsverherrlichenden Kirchengebäudes nicht zuzulassen und nicht zu erlauben, dem mörderischen Krieg auch noch ein Denkmal zu setzen! Doch bei allen Debatten wurden die von Gegnern des Projekts Garnisonkirche präsentierten Argumente durch das jeweilige Podium vom Tisch gefegt.

Elke Prieß, Potsdam


Mal etwas zum sächsischen Geschichtsverständnis: Kürzlich habe ich das Buch "Schöne Grüße aus Pullach" antiquarisch erworben. Es geht dabei um den BND. Recht erstaunt war ich über den eingedruckten Stempel: "Aus dem Bestand der Sächsischen Bibliotheken ausgesondert". Hatte da jemand bei der Bestellung etwa einen Bildband oder einen Heimatroman erwartet? ... Na ja, immerhin haben sie das offensichtlich nicht in den "Bildungsauftrag Sächsischer Bibliotheken" passende Buch diesmal wenigstens nur aussortiert, statt es gleich zu verbrennen. Noch nicht. Das Ganze paßt schön in die Landschaft, was?

Heiko Haase, Eberswalde


Der Kabarettist Dieter Hildebrandt ist im November gestorben. Mit satirischen Mitteln hat er den Volksverarschern aus Politik und Wirtschaft sowie deren Medienlakaien gehörig den Marsch geblasen. Er war ein Künstler von Format mit einem verblüffenden Sinn für Pointen. Tritt Georg Schramm einmal in seine Fußstapfen?

Günther Röska, Leipzig


Vom Jahrgang 1959, besuchte ich zehn Jahre die Polytechnische Oberschule, wurde als Facharbeiter ausgebildet, diente in der NVA und war bis 1989 im VEB Kabelwerk Schwerin tätig. Bis dahin hatte ich einen sicheren Arbeitsplatz, betrieb aktiv Sport und hatte keine Zukunftsängste. Den Kapitalismus kannten wir aus Büchern, von Funk und Fernsehen. Heute müssen wir unter der politischen Diktatur des Kapitals leben - in einem Land mit krassem Reichtum für wenige und himmelschreiender Armut vieler, das zugleich an verbrecherischen Kriegen gegen andere Völker beteiligt ist.
Im Herbst 2010 trat ich der Partei Die Linke bei. Seit Anfang 2013 bin ich Mitglied im RF-Förderverein. Bei den "RotFüchsen" traf ich Genossen, bei denen ich mich von Anfang an unter Gleichgesinnten fühlte. Am 16. November wurde ich - in der Nachfolge Arno Reinholds - zum neuen Vorsitzenden unserer RF-Regionalgruppe Schwerin gewählt.

Peter Dornbruch, Zapel


1946 kam ich, 1931 geboren, als aus der damaligen CSR Ausgesiedelter nach Thüringen. Dort heimisch geworden, war ich zunächst Maschinenschlosserlehrling, dann einige Jahre FDJ-Funktionär, von 1955 bis 1990 Angehöriger der VP, davon 30 Jahre Kriminalist, die letzten zehn Betriebskriminalist im VEB Chemiefaserkombinat "Wilhelm Pieck". Ich habe also die Entwicklung seit den Tagen der SBZ bis zum Ende er DDR hautnah erlebt und bescheiden mitgestaltet.
Aus meiner heutigen Sicht - ich lebe jetzt im Kreis Osnabrück - war die Fluchtbewegung gen Westen die eigentliche "Achillesferse" der DDR. Bis zum Mauerbau 1961 erfolgte ein systematisches Ausbluten, gingen doch nicht etwa Asoziale und Kriminelle von uns weg, sondern in der DDR gut ausgebildete Facharbeiter, Techniker, Ingenieure und Ärzte.
Ich entsinne mich noch genau an die Jahre 1960/61: Als FDJ-Sekretär nahm ich an den zweimal wöchentlich stattfindenden Lagebesprechungen beim Leiter des VPKA Rudolstadt teil. Schwerpunkt waren dabei stets die Berichte des Abteilungsleiters Paß- und Meldewesen zu Republikfluchten über Westberlin oder die Nichtrückkehr von Besuchern, die in der BRD gewesen waren. Als nach dem 13. August 1961 diese Bewegung zeitweilig abebbte, waren wir froh. Doch später stieg die Zahl von Antragstellern auf Ausreise rasch an. Durch die Erstürmung westdeutscher Botschaften und die Flucht über die inzwischen geöffnete Grenze von Ungarn nach Österreich wurden wir mit neuen Problemen konfrontiert. Heute noch schäme ich mich, wenn ich z. B. Bilder vom Besuch des Herrn Strauß in Dresden sehe, der dort von Ausreisewilligen bedrängt wird oder wenn ich das frenetische Freudengebrüll in der Prager Botschaft höre, als Genscher die Ausreisegenehmigung verkündete.
Leider waren es überwiegend junge Leute, die in Krippe, Kindergarten, POS oder EOS gut behütet aufwuchsen, größtenteils eine solide Berufsausbildung oder ein sorgenfreies Studium genossen hatten und bereits über eigenen Wohnraum verfügten.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


Der von Cornelia Noack mit vollem Recht beanstandete Kommentar in der "Märkischen Oderzeitung" vom 16. Oktober 2013 über eine Wiederenthüllung des Wandbilds von Walter Womacka: "Der Mensch - das Maß aller Dinge" gipfelte in der Behauptung, das beanstandete Kunstwerk tue so, als sei die DDR ein Land gewesen, in dem das Prinzip, der Mensch sei das Maß aller Dinge, wirklich hochgehalten wurde. Gemeint ist eine Fassadenwand aus 360 emaillierten Kupferplatten am neuen Standort in der Sperlingsgasse. Der Kommentator behauptet, in Wirklichkeit gehe im Sozialismus der einzelne in der Masse auf.
Den jungen und selbstherrlichen "Sozialismus-Kenner" müßte man fragen, was denn eigentlich so schlimm daran sei, oder ihm in Anlehnung an die "Vier Musketiere" von Alexandre Dumas zurufen: Im Sozialismus gilt eben "Einer für alle, alle für einen!"
Cornelia Noacks Hinweis auf die liebevolle Glasgestaltung Walter Womackas an der einstigen Kinderkrippe in Eisenhüttenstadt, die "heute ein DDR-Dokumentationszentrum" sei, wäre um ein entscheidendes Attribut zu ergänzen: Nach meiner Auffassung handelt es sich eher um ein Anti-DDR-Dokumentationszentrum. Viele vertraute und liebgewonnene Zeugnisse aus unserer alten Heimat werden dort durch ahistorisch geklitterte Inhalte auf Schrifttafeln und weiterem Beiwerk mit dem Ziel "erklärt", die DDR und den Sozialismus zu diskreditieren.

Volker Link, Frankfurt (Oder)


Wenn man nach Demmin fährt, fallen Schilder am Straßenrand auf, die an unseren vor Jahrzehnten ausgelöschten Staat erinnern. An der Hauptstraße zwischen Anklam und Demmin liegt Tutow, wo sich das inzwischen weithin bekannte DDR-Museum befindet. Zunächst arbeitete sein Gründer und Leiter Fred Spiegel mit ehrenamtlichen Helfern auf einem ehemaligen Flugplatz der Sowjetarmee. Inzwischen ist Spiegels Truppe unermüdlich dabei, das gesamte Inventar an der neuen Stelle übersichtlich einzuräumen. Mit viel Liebe werden Sachen aus unserer Kindheit, Schulzeit und späteren Jahren dort aufbewahrt. Auch Exponate aus der frühen DDR und etliche Konsumgüter volkseigener oder genossenschaftlicher Produktion haben dort ihren Platz. Soviel ich auch suchte, ich fand allerdings kein einziges Hinweisschild auf irgendein Arbeitsamt, Obdachlosenasyl oder eine "Tafel". Daß dieses Museum professionellen "Systemkritikern" nicht behagt, ist verständlich.
Mir scheint es gut und verdienstvoll, daß sich dort jeder danach erkundigen kann, wie wir im Arbeiter-und-Bauern-Staat tatsächlich gelebt haben. Die Tatsache, daß uns auch manches mißlungen ist, mindert den Wert des Ganzen in keiner Weise. In Tutow können die Älteren Erinnerungen an sich vorüberziehen lassen. Die Zeitreise in die DDR lohnt sich aber besonders für jene, welche das bessere Deutschland selbst nie erlebt haben: Jüngere, ganz Junge und manche Besucher aus dem Westen. Ihnen offenbart sich eine andere Welt im Kleinen. Übrigens: Kaffee und Kuchen gibt es dort auch.

Dieter Kramp, Grevesmühlen


Die "Wahlgeschenke" der Großkoalitionäre habe ich als Mogelpackung analysiert. "Mindestlohnregelung": Der Einführungstermin wird weit hinausgeschoben. Der Stundenmindestlohn von 8,50 Euro bietet solchen Unternehmern Schlupflöcher, die nicht zahlen können, was in kleineren ostdeutschen Firmen nicht selten der Fall ist, oder die nicht zahlen wollen. Ihnen wird die Möglichkeit eingeräumt, die Arbeitsstundenzahl so zu verringern, daß beim Arbeiter kein Netto-Cent mehr als bisher ankommt. Der Ausweg wäre ein Monatsmindestlohn!
Weiterhin kritikwürdig ist das monatelange Gerede führender Politiker - auch Gregor Gysis - über die sogenannte Angleichung der Bezüge für Ostrentner. Reine Irreführung! Die Regierung kann die Rente ja nicht angleichen, da sie die Unternehmer nicht anzuweisen vermag, gleich hohe Löhne als Grundlage für die Rentenbeiträge und die Rentenentgeltpunkte im Osten zu zahlen. Sie ist lediglich dazu in der Lage, den Rentenwert - er beträgt derzeit etwa 92 % des Westniveaus - auf 100 % anzuheben.
Die dritte Mogelpackung war der schöngefärbte "Bericht zur deutschen Einheit". Darin erklärte man, wie sehr die Arbeitslosigkeit im Osten gesunken sei. Kein Wunder: Bei der enormen Erhöhung der Zahl von Niedriglohnjobs, der Flucht von zweieinhalb Millionen, die sich der wirtschaftlichen Misere im Osten entzogen haben, und 500.000 "freiwilligen" Berufspendlern mit ostdeutscher Adresse.

Joachim Spitzner, Leipzig


Für jeden Sportler, von welchem Kontinent er auch kommt oder wo er trainiert, ist die Möglichkeit einer Teilnahme an der Winterolympiade in Sotschi der höchste Lohn für fleißiges Üben, Freude und Ehre - auch ohne Joachim Gauck! Die Sportwettkämpfe an der russischen Schwarzmeerküste werden nach altbewährten Ritualen stattfinden - mit Einmarsch, olympischem Feuer und olympischem Eid - auch ohne Joachim Gauck! Es wird Erfolge und Niederlagen, Jubel und Enttäuschungen geben - auch ohne Joachim Gauck! Tausende werden den Sportlern zujubeln und Milliarden in aller Welt das Geschehen am Bildschirm verfolgen - auch ohne Joachim Gauck! Wird ihn und Obama jemand vermissen?

Gerda Huberty, Plauen/Neundorf

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RotFuchs Nr. 193, 17. Jahrgang, Februar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2014