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ROTFUCHS/166: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 212 - September 2015


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 212, September 2015



Inhalt

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Faschisten im Europaparlament

Nur Monate nach dem im November 1989 durch die Außenminister der Staaten des Europarates gefaßten Beschluß, Kontakt zur DDR aufzunehmen, stattete dessen Generalsekretärin Catherine Lalumière dem bereits auf verlorenem Posten stehenden zweiten deutschen Staat einen kurzen Besuch ab. Die Visite fand zu einer Zeit statt, in der bekanntgeworden war, daß Frankreichs Präsident François Mitterrand, die britische Premierministerin Margaret Thatcher und der italienische Außenminister Giulio Andreotti angesichts der sich abzeichnenden Vereinnahmung der DDR durch die BRD ernste Bedenken gegen das damit potentiell verbundene Wiedererstehen Großdeutschlands geäußert hatten.

Damals noch Leiter der Sektion Kapitalistische Länder in der außenpolitischen Redaktion des alten ND, wurde ich mit der Berichterstattung über die Begegnung des letzten authentischen DDR-Regierungschefs mit Madame Lalumière beauftragt. Hans Modrow, später selbst Europaabgeordneter der PDS, begleitete die Politikerin nach Cecilienhof, der Gedenkstätte des Potsdamer Abkommens. Dort ergab es sich, daß ich von der Generalsekretärin des Europarats nach Strasbourg eingeladen wurde. Mir sollte Gelegenheit gegeben werden, mich mit der Arbeitsweise hier angesiedelter Institutionen - vor allem des Europaparlaments - vertraut zu machen. Mandatsträger unterschiedlicher politischer Richtungen seien zu Gesprächen mit einem Journalisten aus der DDR bereit.

Ohne auch nur im geringsten ahnen zu können, daß ich 2014 selbst einmal auf der Liste der DKP für das Europaparlament kandidieren würde, hatte ich in Strasbourg eine Reihe sehr aufschlußreicher Begegnungen. Am meisten beeindruckte mich die Ex-Präsidentin des Europaparlaments und mehrmalige französische Ministerin Simone Veil. Als ich die Résistance-Kämpferin, die Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte, um ihre Meinung zur Bonner Strategie der "deutschen Wiedervereinigung" bat, bestand deren Antwort aus drei Worten: "Horreur, monsieur, horreur!" ("Horror, Monsieur, Horror!")

An diese Worte erinnerte mich ein Vorgang, der sich im Juni 2015 an gleicher Stelle zutrug: die Formierung einer faschistischen Fraktion im Europaparlament. Die Gruppierung wird von der bereits ihren Einzug in den Pariser Elysee-Palast anvisierenden Marine Le Pen, Vorsitzende des Auschwitz leugnenden rechtsradikalen französischen Zusammenschlusses Front National, und Geert Wilders - Hollands Ausländerhasser Nr. 1 - angeführt. Schon seit mehreren Wahlperioden sah man in Strasbourg Abgeordnete einer ganzen Reihe faschistischer und faschistoider Parteien aus Ungarn, Polen, Österreich, Griechenland, Finnland, Dänemark und weiteren Staaten, zu denen sich im Mai 2014 eine starke Gruppe prononciert Rechter von der die Tories bei den Europawahlen weit in den Schatten stellenden britischen UKIP gesellte. Graduelle Unterschiede und interne Differenzen erschweren es bis heute, alle Mandatsträger aus Formationen dieser Grundorientierung unter einen Hut zu bringen.

In Gaucks und Merkels neuem Großdeutschland, das die mutigen und stolzen Griechen am Nasenring vorzuführen bestrebt ist, begnügen sich solche Kräfte schon längst nicht mehr mit dem "rechten Rand". Sie haben sich auch in Zentren der politischen Willensbildung wie der Regierungspartei CSU etabliert. Die Vorgänge auf dem Essener Parteitag der Allianz für Deutschland (AfD), der mit einer eklatanten Niederlage des "rechtskonservativ-wirtschaftsliberalen" Flügels um Henkel und Lucke sowie dem Triumph der Pegida-Anhängerschaft endete, widerspiegelten die Neuformierung des teils noch getarnt, teils bereits unmaskiert agierenden neuen deutschen Faschismus.

Angesichts dieser wie ein Damoklesschwert über uns schwebenden Gefahr muß jede Bagatellisierung des Geschehens entschieden zurückgewiesen werden. Das betrifft nicht zuletzt die Sprache. Im Gleichklang bedienen sich die tonangebenden Medien und entsprechende politische Kräfte, aber auch nur deren Wortschöpfungen aufgreifende Blätter und Parteien anderen Zuschnitts des Begriffs "Rechtspopulismus". Dabei handelt es sich um Irreführung pur. Populisten sind Personen oder Gruppierungen, die dem "Volk" - in der Regel aus demagogischen Beweggründen - nach dem Munde reden. Auch die Hinzufügung des Wortes rechts sorgt hier nicht für Klarheit. Das gleichgeschaltete Gerede vom "Rechtspopulismus" verschleiert nur das Wesen der Dinge: die Aushöhlung und Unterwanderung der bürgerlichen Demokratie mit dem Ziel ihrer Zerstörung.

Ideologische Nebelwerfer dieser Art waren übrigens bereits in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Einsatz: Um Hunderttausende deutsche Proletarier in die Totschlägerbanden der SA zu locken, tarnte sich Hitlers NSDAP mit einem "rechtspopulistischen" Namen: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.

"Avante!", die Wochenzeitung der portugiesischen Kommunisten, kommentierte die in Teilen Europas entstandene bedrohliche Situation mit den Worten: "Einmal mehr in der Geschichte erleben wir die Schaffung einer politischen Reserve als Antwort der herrschenden Klassen, die ihr Regiment in Zeiten der Krise durch Terror sichern wollen. Höhepunkt des Rechtsrucks im Europaparlament ist die Favorisierung der durch einen Putsch ans Ruder gekommenen rechtsextremen Kräfte der Ukraine durch die Mehrheit der Abgeordneten."

Angesichts des dargestellten Geschehens sollten wir in der Benennung der Akteure und ihrer Ziele nicht zögerlich sein. Zur Abwehr der faschistischen Attacke müssen auch die Mittel der Sprache als Waffe eingesetzt werden. Jede verbale Verharmlosung einer Gefahr schmälert die Kampfbereitschaft jener, welche sich ihr entgegenzustellen bereit sind.

Klaus Steiniger

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Exponenten der braunen Welle

Rechtsextreme Parteien in der EU

Die nachfolgende Aufstellung listet nur Parteien auf, die bei der letzten EU-Wahl kandidiert haben und mehr als 5 Prozent erreichten. ln Staaten, in denen mehrere rechtsextreme Parteien kandidiert haben, wurde in der Regel aus Platzgründen nur die jeweils stärkste aufgeführt.



Rechtsextreme Parteien in der EU

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Der Westen verspielt den Frieden in Europa

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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In Moskau fehlten am 9. Mai die Richtigen

Russophobe NATO-Politiker hätten ohnehin nicht auf die Ehrentribüne gehört

Noch einmal möchte ich zu bereits vor Monaten Erlebtem und Empfundenem zurückkehren. Als ich am 9. Mai die Moskauer Feierlichkeiten zum Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus am Bildschirm verfolgte, beseelten mich sehr gemischte Gefühle. Wie viele Deutsche, die Dankbarkeit für die Befreiung ihrer Heimat von der verbrecherischsten Form des Imperialismus empfanden, die es bisher auf dem Boden ihres Landes und wohl auch weltweit gegeben hat, schämte ich mich als daran Unbeteiligter. Der Anblick der unendlich vielen Fotos gefallener oder ums Leben gebrachter Sowjetbürger, die von deren Angehörigen und Nachkommen während des Gedenkmarsches in der russischen Hauptstadt emporgehalten wurden, ließ mich an die 27 Millionen Kriegstoten der UdSSR denken. Zugleich aber war ich von der kleinkarierten Arroganz und deutschen Großmannssucht der Kanzlerin wie des Bundespräsidenten angewidert, die dem Weltereignis auf dem Roten Platz wie alle anderen NATO-Spitzenpolitiker ferngeblieben waren. 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges rammten die beiden obersten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland im Namen ihres Staates damit Pflöcke der Schande ein, die Generationen überdauern werden.

Welche Art deutscher Repräsentanten hätte ich mir auf der Ehrentribüne in Moskau gewünscht? Mir fielen da ohne Zweifel etliche ein, doch gewiß nicht jene, welche mich in ihren Reden bisweilen an die Propagandisten eines Josef Goebbels in puncto Haß und Herrenmenschendünkel erinnern. Ihre Russophobie und antirussische Verleumdungslust stehen in einer üblen Tradition.

Wenn mich heute jemand fragen würde, womit die BRD den Nachweis der von ihr selbst eingeforderten Rechtsnachfolge des 3. Reiches am eklatantesten liefert, dann würden mir zwei Aspekte in den Sinn kommen. Erstens drückt sich dieses Erbe darin aus, daß sie von denselben sozialen "Eliten" beherrscht wird, die auch in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Politik Nazideutschlands aus dem Hintergrund steuerten. Zweitens zeigt sich diese Traditionslinie im nahtlosen Übergang vom Antisowjetismus und pathologischen Antikommunismus zum ungezügelten Russenhaß unserer Tage. Der alte imperiale Drang nach Osten und die nie wirklich überwundene Herrenmenschenideologie sind darin vereint. Die BRD ist einfach außerstande, die Millionen und aber Millionen Sowjetbürger, welche der faschistischen Aggression zum Opfer fielen, auch nur in Rechnung zu stellen, geschweige denn zu ehren. Für ihre imperialistische Führung und die mit ihr verbundenen Kräfte sind die ermordeten "Russen" noch immer tote Feinde, um die man nicht trauern muß. Sie verzeihen dem heutigen Rußland, das sie trotz gravierender Unterschiede ganz automatisch in die Nachfolge der Sowjetunion stellen, die ihnen 1945 zugefügte Niederlage ebensowenig, wie sie der DDR dafür Pardon geben, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende gesetzt zu haben.

Auf ihre Weise haben sie sogar recht: Die Menschen der Sowjetunion waren tatsächlich Feinde des deutschen Imperialismus, und das heute wieder erstarkte Rußland hindert die NATO-Mächte durch Putins die nationale Würde wahrenden Kurs daran, ihre imperialen Gelüste voll auszuleben.

Seit 1990 sind wir einstigen DDR-Bürger einem Deutschland zugeschlagen worden, dessen Aggressivität nach innen und außen immer bedrohlichere Dimensionen annimmt. Gegen meinen Willen bin auch ich Bürger eines Landes, das Kriege führt oder sich an ihnen dadurch beteiligt, daß es todbringende Waffen in Krisengebiete exportiert.

Was aber hat das alles mit dem 9. Mai 2015 in Moskau zu tun? Will ich denn wirklich, daß die gefallenen Rotarmisten und die getöteten Zivilisten des einstigen Sowjetlandes heute durch Repräsentanten des deutschen Imperialismus wie Merkel und Gauck "geehrt" werden? Gleicht das nicht eher einer Schmähung? Diese folgte ja auf dem Fuße, indem die Bundeskanzlerin einen Aufenthalt an der Moskwa am Tage danach dazu nutzte, eine souveräne Entscheidung der russischen Führung und der Bevölkerung der Krim auf empörende Weise zu attackieren.

Offen gestanden: Ich habe die beiden Repräsentanten des Deutschland der "alten Eliten" bei der Siegesparade in Moskau nicht vermißt. Wären sie am 9. Mai dort gewesen, hätte man die Vertreter jener Kräfte auf der Ehrentribüne gesehen, die trotz neuen Dekors und höchst unterschiedlicher eigener Biographien die Rechtsnachfolger jenes Deutschlands vertreten hätten, das 1941 über die Sowjetunion herfiel. Damit wäre weder den Toten noch den überlebenden Veteranen Ehre erwiesen worden.

Ich besitze ein Bändchen des Berliner Kinderbuchverlags aus dem Jahre 1953, das ich antiquarisch irgendwann mal erworben habe. Sein Titel lautet "Freundschaft, Drushba, Amitié". Es enthält den Briefwechsel Junger Pioniere der damals noch jüngeren DDR mit Schriftstellern aus aller Welt. Darin kommen die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, die Trauer über die Wunden des Krieges und die frisch aufkeimende Freundschaft zwischen Kindern und Autoren zum Ausdruck. An einer Stelle wird Johannes R. Becher zitiert: "Ich bin Deutscher. Aber ein Deutscher sein heißt nicht, die Welt mit Schrecken überziehn. Von solchen Deutschen Deutschland zu befrein, dazu ward mir mein Dichteramt verliehn."

Bis 1990 war ein Drittel des Landes bereits von Schrecken erzeugenden Deutschen befreit. Dann vermochten die Kräfte des Gestern - die Rechtsnachfolger des 3. Reiches - das Rad der Geschichte noch einmal zurückzudrehen.

Als Optimist betrachte ich indes die derzeitige Armseligkeit der Repräsentation dieses Deutschlands - bei aller vordergründigen Pracht und Herrlichkeit, die etwas anderes einreden soll - als Symptom des Verfalls und des Niedergangs. Alle, die wirklich ein neues Deutschland wollen, müssen sich mit der Überzeugung ausrüsten, daß die heute Mächtigen eines Tages mit Sicherheit Geschichte sein werden. Wer kämpfen will, braucht einen langen Atem.

Ulrich Guhl

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Europas Schuldenkrise ist nicht vom Himmel gefallen

In der bürgerlichen Gesellschaft sind die kapitalistischen Verhältnisse vielfältig. Als typisch erweisen sich nicht mehr Unternehmer, die selbst mitgearbeitet, ihren Betrieb aufgebaut und geleitet haben. Die derzeit bei den 0,003 % der Erdbevölkerung ausmachenden Superreichen, die über mehr als 30 Millionen Dollar verfügen, vorhandenen Vermögen sind in den meisten Fällen geerbt, die ursprünglichen und jetzigen Besitzer weitgehend unbekannt.

Heutige Kapitalisten übergeben ihr Vermögen in der Regel an Dienstleistungsgesellschaften und Banken. Sie erwarten, daß diese es vermehren - wie, ist ihnen völlig egal. Hunderttausende Banker und Bankangestellte stehen dafür weltweit bereit. Deren Arbeitsweise hat Sahra Wagenknecht gründlich untersucht und in ihren Schriften allgemeinverständlich dargelegt.

Wenn heute über die Finanzkrise berichtet wird, dann stehen die Banken in der Kritik, nicht aber die tatsächlichen Kapitalbesitzer, für welche die Banken gearbeitet und deren Vermögen sie vervielfacht haben. Unter jenen, die auf diese Weise in einen Finanzierungsnotstand geraten sind, befinden sich ganze Volkswirtschaften, da die betroffenen Staaten gezielt überschuldet wurden. Das eklatanteste Beispiel liefert Griechenland, das sich der Würgeschlinge der Kapitalbesitzer und der sie repräsentierenden Troika nicht zu entwinden vermag.

Die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ständig angewachsenen Vermögen der Ultrareichen finden seit den 90ern nicht mehr genügend Anlagemöglichkeiten, weil durch die als "neoliberal" bezeichnete Wirtschaftspolitik der führenden kapitalistischen Industrieländer fast schon alles privatisiert worden ist.

Die Banken gingen deshalb dazu über, mit dem ihnen "anvertrauten" Vermögen auf den Geldmärkten zu spekulieren. Bekannt sind Entwicklungen wie der künstlich erzeugte Immobilienboom in den USA und die berüchtigten Hedgefonds, die Blasen gleichend den Anlegern anfangs Luft verschaffen und hohe Profite bringen. Doch jede Blase platzt einmal, wobei das vorgespiegelte Kapital damit auf seinen Realwert zurückfällt. Das normale Ergebnis ist der Verlust der Vermögen, die zur Spekulation eingesetzt wurden. Ganz einfach: Die meisten Banken in den Industrieländern haben sich total verspekuliert, so daß die von ihnen verzockten Vermögen der Kapitalisten in den Schornstein geschrieben werden mußten.

Damit aber die Multimillionäre und Milliardäre dennoch keine Verluste erleiden, haben die Regierungen der kapitalistischen Länder die Banken über "Rettungsfonds" mit Milliardensummen ausgestattet. Dazu mußten diese Kredite aufnehmen und Schulden ausweisen, die auf Jahrzehnte hinaus nicht getilgt werden können. Immer wieder geht es um neue Kredite, um die alten zu bezahlen. Griechenland und auch andere Länder, die sie in Anspruch genommen haben, erhalten neue Kredite nur unter der Bedingung, den Lebensstandard der Massen weiterhin drastisch zu senken.

Von der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission werden konkrete Maßnahmen zur Lohn- und Rentensenkung, zum Verkauf staatlichen Eigentums und zur Entlassung von Personal gefordert, womit man demokratische Bemühungen in den betroffenen Ländern unterläuft.

Wolfgang Eife, Berlin

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Zu Rußlands ökonomischer und sozialer Verfaßtheit

Den Hinweisen und Schlußfolgerungen Klaus Steinigers in seinem Leitartikel "Zur Mär vom russischen Imperialismus" stimme ich uneingeschränkt zu. Aufgrund eigener jüngster Erlebnisse möchte ich folgende Hinweise zu den aktuellen Verhältnissen in den Nachfolgestaaten der durch Jelzin eigenmächtig aufgelösten Sowjetunion geben. Unlängst besuchten meine Frau und ich zwei Wochen Sankt Petersburg und das Leningrader Gebiet - die Region um die Metropole an der Newa. Vor gut einem Jahr konnten wir uns in Armenien etwas eingehender umsehen, um die dortigen Verhältnisse in Augenschein zu nehmen und die Unterschiede zur Zeit vor 25 Jahren zu konstatieren.

Grundsätzlich muß man sagen, daß die Oligarchenherrschaft beide Länder wirtschaftspolitisch in einen äußerst bedenklichen, ja brisanten Zustand versetzt hat. Sehr viele Produktionsbetriebe - in Armenien alle, in Nordwestrußland einschließlich der Millionenstadt Sankt Petersburg eine große Zahl - wurden von den neuen "Herren" nach Verhökerung des Inventars einfach dichtgemacht. Heute findet man dort immer mehr verfallende Industrieruinen und -brachen.

In Armenien und in abgeschwächter Form auch in Rußland haben Millionen Menschen so ihre Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten verloren. In Armenien vollzieht sich ein massenhafter Exodus ins westliche Ausland, der insbesondere die Jugend des Landes erfaßt hat.

Durch diese katastrophalen Verhältnisse in der Wirtschaft geht das produktive Wissen und Können aus sowjetischen Zeiten mehr und mehr verloren. Es findet keine Weitergabe an junge Nachwuchsfachleute mehr statt. Beide von uns besuchten Länder sind inzwischen ganz überwiegend zu bloßen Rohstofflieferanten für ausländische Firmen geworden, woran nur die Gaunerschicht der Oligarchen profitiert. Aber auch bei der geologischen Erkundung einheimischer Rohstoffe hat sich der Staat aus Kostengründen zurückgezogen. In Rußland wie Armenien gibt es kein Ministerium für Geologie und keine staatliche Rohstoffprospektion mehr. Der Russischen Föderation mangelt es übrigens auch an einigen strategischen Rohstoffen.

Aus unserer Sicht dürften sich diese destruktiven Prozesse in der Wirtschaft mittelfristig auf die Verteidigungsfähigkeit vor allem Rußlands auswirken, weil moderne Waffensysteme ein hohes wissenschaftlich-technisches Niveau zur Voraussetzung haben. Auch das für die Entwicklung der russischen Gesellschaft zu erwartende Szenarium ist düster, denn es findet im Lande keine harmonische soziale Entwicklung mehr statt. Das zeigt sich u. a. im enormen Wachstum weniger Riesenstädte mit zunehmenden Problemen einerseits und der Verödung vieler Landstriche andererseits.

Aus unserer Sicht könnte für die russische Gesellschaft nur eine wirkliche Wiedergesundung erreicht werden, wenn demokratische Kräfte die Macht im Lande erringen und der Gesellschaft eine neue Perspektive auf der Grundlage zuverlässig verwalteten Volkseigentum geben würden. Bislang aber sind jene, welche das Riesenland auf den Weg einer solcher Entwicklung voranbringen und führen könnten, in ihrem politischen Einfluß auf die Gesellschaft insgesamt noch zu schwach. Es gelang der russischen Führung unter Putin zwar, den gierigen Zugriff ausländischer Mächte und Magnaten zunächst einmal abzuwehren, doch schon sind die Appelle oligarchenhöriger Kräfte wieder zu vernehmen, Rußland müsse sich für mehr Investitionen aus dem westlichen Ausland öffnen, um seine Finanzengpässe zu verringern. Hinzu kommen unablässige militärstrategische Drohungen aus dem Pentagon und dem NATO-Hauptquartier.

Unter den geschilderten Bedingungen scheint mir die weitere Entwicklung der russischen Gesellschaft noch völlig offen zu sein.

Dr. Werner Klisch, Wernigerode

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Schwerter statt Pflugscharen

Amtskirchen befürworten NATO-Kriegspolitik gegen Widerstand aufrechter Christen

Geht es um das Verhältnis von Marxisten und Kirche, so stößt man bei deren Anhängern auf durchaus gegensätzliche Grundauffassungen: Die einen betonen die metaphysische Grundlage und die staatstragende Rolle der Amtskirchen, die anderen das ethisch-pazifistische und soziale Engagement ihrer besten Exponenten - bis hin zur lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Marx und Engels wiesen bereits auf das widersprüchliche Verhältnis der Religion zu einer "verkehrten Welt" hin, das der bourgeoise Staat und die kapitalistische Gesellschaft fortwährend produzieren. Theologische Haltungen wandeln sich in ihrer Sicht "aus den wirklichen Lebensverhältnissen heraus". Das religiöse Elend sei einerseits Ausdruck des wirklichen Elends, zugleich aber auch der Protest gegen dieses.

Aus einer solchen Ambivalenz speist sich der Ansatz fortschrittlicher, ethisch-sozial orientierter Strömungen unter christlichen Theologen. Von kommunistischen Pastoren wie Dieter Frielinghaus bis hin zu Pazifistinnen wie der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann reicht das Spektrum jener Christen, die wir zu Recht als engagierte Kampfgenossen oder faktische Bündnispartner betrachten.

Die Zeiten, als Margot Käßmann sich kritisch zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan äußerte oder deutsche Waffenexporte anprangerte, wirken indes wie verflogen. Meldete die Nachrichtenagentur dpa noch am 23. 9. 2014, daß 67 % der Bürger bei Meinungsumfragen gegen Waffenexporte in den Nordirak gestimmt hätten, so erfuhr man nur einen Monat später vom selbst die Meinungsmanipulation arrangierenden ZDF-Politbarometer, 62 % der Deutschen befürworteten inzwischen den Kriegseintritt der USA in Syrien und Irak, weil sie Angst vor IS-Anschlägen auch in der BRD hätten.

Gauck, Lieberknecht und andere Kriegsbefürworter in den Kirchen scheinen also den Durchbruch erreicht zu haben. Die Deutsche Bischofskonferenz, die EKD und der katholische Militärbischof - im Bunde mit zahlreichen Christen in der Bundeswehr und "Militärtraditionalisten" - sind für Waffenlieferungen und Kampfeinsätze als "letztes Mittel gegen den Terrorismus".

Daß die Spitzen der USA und der NATO den Sturz der Assad-Regierung und die totale Verwüstung ganz Syriens mit Hilfe einer von ihnen "empfohlenen" Flugverbotszone und der Aufstellung einer 15.000 Mann starken Söldnertruppe systematisch vorangetrieben haben, wird dabei nicht einmal am Rande erwähnt. Zustände, die militärische Interventionen imperialistischer Staaten in Libyen, Afghanistan, Irak und zuvor bereits in Kosovo vorsätzlich ausgelöst haben, fordern täglich eine hohe Zahl an Menschenleben.

Ganze Heerscharen von Kriegs- und Hungerflüchtlingen ertrinken, verdursten oder werden als Internierte Opfer brutaler Gewalt und gnadenloser Diskriminierung. Sogar diese von den westlichen Machtzentren selbst geschaffenen Probleme nutzen Spitzenkräfte des Imperialismus skrupellos zum weiteren Anfachen ausländerfeindlicher Ressentiments. Migrations- und Paßgesetze werden systematisch verschärft, während man die Überwachung und den Demokratieabbau forciert. NATO-Einsätze sollen künftig jeglicher Zustimmungspflicht des Parlaments entzogen werden. USA-Präsident Obama verkündet unterdessen die "Rettung der Menschheit" durch eine Allianz unter Führung der USA, der sich alle unterzuordnen hätten. Und Rußland steht längst wieder auf der "Liste der Bösen". Zur Kompensation angeblicher oder tatsächlicher Defizite erhöht die Bundeswehr unterdessen ihren Etat für Rüstungszwecke. Ein neues Panzerbataillon für Osteinsätze wurde in Berge-Hohne aufgestellt. Selbst die Ebola-Epidemie in Westafrika suchte man dafür zu nutzen, Truppenkontingente zu "rein humanitären Zwecken" dorthin zu verlegen.

Das alles wird in der Kirchendebatte von rechten Kreisen als "Christenpflicht" dargestellt, die zu verweigern "verantwortungslos und unsittlich" wäre. Was wirklich dahintersteckt, erfährt man nicht zuletzt auch aus Leserbriefen an deutsche Tageszeitungen. "Millionen Christen und deren Priester sind ausdrücklich keine Pazifisten", liest man dort. Margot Käßmann wurde die Auswanderung nach Kostarika nahegelegt, da sie eine "notorische Hochgradpazifistin" sei, "die sich mit der ihr eigenen Hybris die alleinige Deutungshoheit auf Gottes Worte anmaßt". Ihre Haltung sei "Gesäusel auf einer Insel". Dieser Anfeindung folgten alttestamentarische Bibelzitate, die mit der grotesken Behauptung verbunden wurden, Jesus sei ein Befürworter des Soldatentums und des Krieges gewesen.

Das aber zeigt deutlich, daß sich unter den derzeit rund 48 Millionen Mitgliedern beider großer Kirchen Deutschlands nicht wenige militaristische "Schläfer" verbergen, die inzwischen Morgenluft wittern.

Zugleich schrumpft in einer sich profanisierenden und säkularisierenden Gesellschaft die Zahl eingetragener Konfessionsanhänger ständig. Viele betrachten die Kirche nur noch als eine Art Service-Einrichtung für familiäre "Wellness" und bestimmte Dienstleistungen. Das zeigen ganze Austrittswellen anläßlich der neuen Kapitalertragssteuer-Bestimmungen. Die Kindesmißbrauchs-Skandale und üble Geschehnisse im Zusammenhang mit dem tariflichen Sonderstatus kirchlicher Einrichtungen beschleunigten diesen Trend.

Doch der Staat ist darauf angewiesen, die Zustimmung der Kirche als einer einflußreichen moralischen Institution für seine den Frieden untergrabende Politik zu erlangen. Das scheint erreicht zu sein, seitdem Frau Merkel ausgerechnet am vorjährigen Weltfriedenstag ihre neue Rüstungsoffensive starten konnte, die sie ohne moralische Skrupel als angebliches Zeichen "mitmenschlicher Verantwortung für den Frieden" auszugeben wagte.

Wie viele Christen in kleinen Arbeitskreisen und einzelnen Gemeinden noch pazifistisch engagiert sind, läßt sich nicht mit Exaktheit bestimmen. Fest steht jedoch, daß sie hierzulande in der Amtskirche schlechte Karten haben. Darum kommt es für uns heute mehr denn je darauf an, unsere humanistisch gesinnten Bündnispartner in den Kirchen zu unterstützen und ihnen Mut zu machen, den innerkirchlichen Kriegsbefürwortern aufrecht entgegenzutreten.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Martin Luther war kein Pazifist

Zur Haltung des Reformators gegenüber "Aufrührern" und der Obrigkeit

Wir Deutschen sind Deutsche und bleiben Deutsche, das heißt Säue und unvernünftige Bestien."

Dieser Satz stammt von Martin Luther. Ich fand ihn im "Spiegel" (13/2014), der über eine Tagung zur Militärseelsorge berichtete. Es handelt sich um starken Tobak auch für jene, die manche derben Sprüche des Reformators bereits kennen. Die Worte Luthers reizten mich zu weiteren Recherchen, wofür ich durchaus persönliche Gründe habe. Mich konfirmierte nämlich 1942 ein Pastor Treu in der Görlitzer Peterskirche. Er tat es unter Berufung auf die Bibel und Luther, wobei er seine Aufgabe darin sah, uns auf den Heldentod für Gott, Führer und Vaterland vorzubereiten. Die heutige politische Situation stellt Geistliche vor eine ähnliche Frage wie einst deren Amtsvorgänger: Wie hältst du es mit Krieg und Kriegsdienst? Soll ich mich an den Text der Bergpredigt halten oder für den Sieg der Bundeswehr bei deren Militäreinsätzen beten?

Als Joachim Gauck US-Präsident Bush im Bundestag begrüßte, behauptete er, "wir hier im Osten" hätten 1989 vom Reformator Luther gelernt, "ohne Gewalt mächtig zu werden".

Der Exaktheit halber sei aus Luthers am 4. Mai 1525 veröffentlichter Schrift "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" zitiert: "Drumb soll hie zuschmeißen, wurgen und stechen, heimlich oder offenlich, wer da kann, und gedenken, daß nicht Giftigers, Schädlichers und Teufelichers sein kann, denn ein aufrührischer Mensch. Gleich als wenn man einen tollen Hund todtschlahen muß; schlägst du nicht, so schlägt er dich, und ein ganz Land mit dir."

Luthers Gebot lautete: Ein "Aufrührer" ist totzuschlagen wie ein toller Hund. Das empfahl er den Fürsten auch im Falle seines Amtsbruders Thomas Müntzer, der die Bauern bis zur Selbstaufopferung unterstützt hatte.

Im vergangenen Jahr geschah etwas nicht nur für Gauck Bemerkenswertes, das indes in der Berichterstattung der Medien nahezu unterging: Am 30. Juni 2014 schrieben die im Osten angesiedelten Pfarrer Klaus Galley und Siegfried Menthal, denen sich weitere Amtsbrüder anschlossen, dem Bundespräsidenten einen Brief. Sie erinnerten ihn daran, daß die Kirchen 1989 militärischer Gewalt abgeschworen hätten. Die Geistlichen protestierten gegen Gaucks "Rechtfertigung" von Bundeswehreinsätzen. Der aber überließ dem Chef seines Präsidialamtes Davis Gill die Antwort. Und was tat der? Er berief sich darauf, daß Gauck ja nur Luthers Spuren folge und verwies zugleich auf die Barmer Erklärung der protestantischen Kirche von 1934, die Hitlers Politik als "Wohltat" gewürdigt hatte. Als Gaucks und Gills Motto könnte Luthers Satz gelten: "Ein Mensch, sonderlich ein Christ, muß ein Kriegsmann sein und mit den Feinden in Haaren liegen." Immerhin scheint Luther Gewissensbisse gehabt zu haben, als er gestand: "Prediger sind die größten Totschläger ... Ich, Martin Luther, hab im Aufruhr alle Bauern erschlagen, denn ich hab sie heißen totschlagen - all ihr Blut ist auf meinem Hals."

Kommen wir zum eingangs angeführten Zitat. Es stammt aus einer etwa 20 Seiten umfassenden Schrift des Reformators aus dem Jahre 1526 mit dem Titel "Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können". Anlaß für deren Entstehung war die Sorge des Ritters Assa von Kram, daß sein Kriegshandwerk mit seinem christlichen Gewissen kollidiere. Als Luther sich der Gewissensqualen des Mannes annahm, lagen der Bauernkrieg sowie der Massenmord an den Aufständischen und die Hinrichtung Thomas Müntzers bereits ein Jahr zurück.

Ein promovierter Kirchenhistoriker warnte mich in einem Brief mit Recht davor, Luthers Aussagen im Verhältnis 1:1 auf unsere Gegenwart zu übertragen. Daran will ich mich natürlich halten. Man wird seine Position nur verstehen können, wenn man sich vor Augen führt, was damals geschah. Luther betrachtete den Aufstand der Bauern als Anarchie und Verletzung der göttlichen Ordnung. Für ihn war der Stand der "Kriegsleute" notwendig, um Bosheit und Gewalt der Welt zu begegnen und das Chaos "in Schach zu halten". Aufgrund der "Bosheit der Menschen" hielt Luther den Pazifismus der Täuferbewegung für eine Utopie mit anarchischen Folgen.

"Den Kriegsleuten" wollte der Reformator ein gutes Gewissen verschaffen, damit sie besser für Siege kämpfen, die Gott ihnen gebe. Luthers Rechtfertigung lautete: "Was ist Krieg anders, denn Unrecht und Böses strafen? Warum kriegt man, denn daß man Friede und Gehorsam haben will?"

Das "Amt des Soldaten" sei so nötig und nützlich wie "Essen oder Trinken oder sonst ein anderes Tun".

Noch ganz unter dem Eindruck des Bauernkrieges von 1525 schrieb Luther: "Aufruhr ist des Todes schuldig ... als eine Sünde gegen die Obrigkeit." Er kannte Leute, die "rechte Bösewichte" als "Oberherrn" nicht ertragen wollten, überzog sie jedoch mit Spott und Häme: "Den anderen, die sich gern ihr gutes Gewissen bewahren wollen, sagen wir folgendes: Gott hat uns in der Welt der Herrschaft des Teufels unterworfen. Wir haben hier also kein Paradies, sondern müssen zu jeder Stunde auf alles Unglück gefaßt sein an Leib, Weib, Kind, Gut und Ehre."

Aufschlußreich sind auch die Äußerungen des Reformators zu "Kriegsleuten", die als Söldner, für "Dienst- oder Manngeld", als Lehnsherren oder auf andere Weise die Truppen für Kriege stellten. Er teilte das Volk in zwei große Gruppen ein - die Ackerbauern und die Kriegsleute: "Der Ackerbau soll ernähren, und der Kriegsdienst soll wehren." Die Kaiser und Fürsten sollten für die Balance sorgen, daß die Krieger ernährt, die Bauern geschützt werden ... "Unnütze Leute sollte man aus dem Lande jagen."

Luther beschäftigte auch die Frage, wie ein Soldat bezahlt werden solle. Er fand: "Weil ein Soldat von Gott das Geschick zum Kämpfen bekommen hat, kann er damit wie mit seiner Kunst und seinem Handwerk jedem dienen, der ihn haben will, und dafür seinen Lohn wie für eine Arbeit annehmen." Söldner, die in den Ländern umherirren und Krieg in einem wilden Leben suchen, könnten allerdings vor Gott nicht gut bestehen, es sei denn, ihr Landesherr "erlaubt oder wünscht, daß sie für einen anderen in den Krieg ziehen".

Am Ende seiner Darlegungen riet Martin Luther dem "ehrenfesten Ritter Assa von Kram", wie er sich bei einer Schlacht verhalten müsse. Nach einem speziellen Kriegsgebot sollte er das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser sprechen: "Und dann ziehe vom Leder und schlage dazwischen in Gottes Namen."

Zweifellos ist der Brief Luthers an Assa von Kram ein Dokument seiner Zeit, und der Leser könnte ihn daher mit einiger Verwunderung zur Seite legen. Doch die Grundstruktur der Argumentation des Reformators ist mit seinem Tod nicht aus der Welt verschwunden.

Wer wie ich - und damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück - unter dem Faschismus Religions- und Konfirmandenunterricht erhielt, erfuhr dort eine "modernisierte" Neuauflage so mancher Ratschläge aus dem 16. Jahrhundert.

Wer die Entstehung der Bundeswehr mit ihren Militärbischöfen, die aggressive Ausrichtung der NATO-Politik und die Begründung von Auslandseinsätzen der Truppe durch die Bundesregierung kennt, darf kein ruhiges Gewissen haben, solange Christentum, Bibel und Reformation derart mißbraucht werden.

Prof. Dr. Horst Schneider

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"Transformation" oder Systemwechsel?

Nachdenken über Programm und Praxis der Europäischen Linkspartei

Während die PDS/PDL zu den Gründungsmitgliedern der Europäischen Linkspartei (ELP) gehört, bemühte sich die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) unter ihrer damaligen Führung um einen bis heute bestehenden Beobachterstatus. Er ist Gegenstand inhaltlicher Auseinandersetzungen. Inzwischen wird nämlich in der DKP und nicht nur in ihr über die Einschätzung des Charakters der ELP heftig gestritten. Dabei geht es vor allem auch um die Frage, ob dieser Zusammenschluß tatsächlich dazu in der Lage ist, fortschrittlicher Politik in Europa Impulse zu geben und ob sich die DKP - wenn ja, in welcher Form - weiterhin an einem nichtmarxistischen Projekt beteiligen solle.

In diesem Zusammenhang dürfte es nützlich sein, das 2004 beschlossene ELP-Programm auf den Prüfstand zu stellen. Es gewährt der Beschreibung gegenwärtiger Zustände in der Europäischen Union breiten Raum: Armut, Frauenunterdrückung, Militarisierung, Privatisierung öffentlichen Eigentums, Zerstörung sozialer Sicherungssysteme, Raubbau an der Natur, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Demokratieabbau und Rassismus - alles Mißstände, die deutlich gegeißelt werden. Dies dürfte ohne Zweifel in der DKP auf einhellige Zustimmung stoßen. Zudem stellt das Programm fest: "Das sozialdemokratische Konzept des dritten Weges ist in Europa gescheitert ..." Auch diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf und weckt Neugier auf daraus gezogene Schlußfolgerungen.

Was aber bietet die ELP konkret an? Ihr Selbstverständnis sei in den Traditionen von Sozialismus, Kommunismus, Feminismus, Ökologie, Frieden, Humanismus, Antifaschismus und liberalem Denken begründet.

Ein wirklich buntes Kaleidoskop, das Linken in Europa da angeboten wird! Der Sozialdemokratie bescheinigt man Bankrott, während zugleich der bürgerliche Liberalismus eingemeindet werden soll.

Als Ziel der eigenen Politik wird die den RF-Lesern bereits bekannte "Transformation" des Kapitalismus benannt. Wohin soll denn da was "transformiert" werden? Doch nicht etwa zum Sozialismus! Dies bleibt ein Geheimnis der Autoren des Programms. Übrigens erscheint das Wort Sozialismus im gesamten Dokument kein einziges Mal. Stattdessen beschränkt man sich auf Werte wie Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Da es aber praktisch keine Partei gibt, die den Krieg und die soziale Ungerechtigkeit offen als ihre programmatischen Ziele benennt, ist man mit solcherlei Auskünften so schlau wie zuvor.

Die angebotene "Werteorientierung" erinnert fatal an den Weg der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg. Lediglich der Zusatz "Mit freundlichen Grüßen aus Bad Godesberg", der hier angebracht wäre, fehlt. Ist die Sozialdemokratie also doch nicht so ganz gescheitert? Oder erlebt sie hier gar eine Renaissance?

Die inzwischen bereits abgegriffene und eindeutig identifizierte "Transformations"-Theorie geht davon aus, daß es im Kapitalismus schon Ansätze gebe, die sich in Richtung einer Systemalternative weiterentwickeln ließen. Es handelt sich also um die definitive Absage an die von Marxisten-Leninisten aus gutem Grund erklärte Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs mit dem kapitalistischen System.

Abgesehen von solchen antimarxistischen Kernaussagen enthält das Programm auch eine ganze Reihe Forderungen, die im gesamten linken Spektrum konsensfähig sind: erweiterte Rechte für Lohnabhängige, keine Privatisierung öffentlicher Daseinsfürsorge, Zugang zu Bildung, Wasser, Nahrung und Gesundheit ohne jede Diskriminierung. Dabei sollen der Stabilitätspakt und die Politik der Europäischen Zentralbank "infrage gestellt" werden. Verlangt wird zugleich auch eine Distanzierung von der Politik solcher Institutionen wie WTO, IWF und NATO. Die Europäische Union, der das Programm den Charakter eines "Raums für alternative Politik" bescheinigt, soll durch "Kompetenzerweiterung ihrer gewählten Institutionen" umgestaltet werden. Der Charakter der EU als Instrument vor allem bundesdeutscher Großmachtpolitik bleibt dabei ausgespart, da sie ja generell nicht auf Ablehnung stößt.

Fazit: Wir haben es hier mit einem sozialdemokratisch geprägten Dokument zu tun. Berechtigte Kritik wird mit ebenso berechtigten Einzelforderungen verbunden. Dies alles aber erscheint eingebettet in die grundsätzliche Akzeptanz des Bestehenden. Zwar wird das Motiv des "Antikapitalismus" bemüht, aber in einer Weise, daß man sich mit "etwas mehr Demokratie" in eine andere Gesellschaft "hineintransformieren" könne, von der man allerdings nicht viel mehr zu sagen weiß, als daß sie schöner sein werde als die bestehende.

Wenn wir nun in Betracht ziehen wollen, zu welcher praktischen Politik dieser Aufguß an Beliebigkeit führt, dann stoßen wir auch hier auf Merkwürdigkeiten. Die wichtigsten Mitgliedsparteien der ELP sind derzeit neben der PDL die französische PCF und die griechische Syriza. In einem Interview mit der in Hamburg erscheinenden Wochenzeitung "Die Zeit" unterbreitete einer ihrer Politiker den Vorschlag, die BRD solle doch in der Europäischen Union die "Hegemonie" übernehmen. Doch leidet Griechenland nicht gerade darunter, daß Berlin diesen Gedanken längst umgesetzt und sich an die Spitze der Erpresser Athens begeben hat? Was die PCF betrifft, so billigte sie erst vor geraumer Zeit den neokolonialistischen Kampfeinsatz der französischen Armee in Mali.

Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß es für eine kommunistische Partei keinen Grund gibt, sich um eine Mitgliedschaft in der ELP zu bemühen. Das schließt natürlich Aktionseinheit bei konsensfähigen Fragen nicht aus.

Von Befürwortern eines ELP-Beitritts in der DKP wird gelegentlich auf Lenin verwiesen, der in seinem Werk "Der 'linke Radikalismus' - die Kinderkrankheit im Kommunismus" vor jeglichem selbstisolierenden Sektierertum gewarnt hatte. Doch dieser Verweis geht hier daneben. Lenin erläuterte in der genannten Schrift, warum sich Kommunisten auch an Parlamentswahlen und der Arbeit in nichtrevolutionären Gewerkschaften beteiligen sollten. Er warnte zugleich nachdrücklich davor, Widersprüche im gegnerischen Lager ungenutzt zu lassen und Kompromisse in jedem Fall als Verrat zu brandmarken. Keinesfalls aber stellte der Führer der Bolschewiki die organisatorische Eigenständigkeit und die ideologische Geschlossenheit der kommunistischen Parteien infrage oder empfahl ihnen gar den Anschluß an internationale Vereinigungen der Sozialdemokratie.

Die DKP dürfte besser beraten sein, wenn sie sich an der Schaffung einer neuen internationalen Kooperation kommunistischer Parteien beteiligt, als dubiosen Vereinigungen - mit welchem Status auch immer - angehören zu wollen. Es dürfte klar sein, daß es sich dabei nicht um eine "Neuauflage" der alten Komintern handeln kann, die ihren Platz in der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung hatte, sondern um einen Zusammenschluß, der heutigen Bedingungen entspricht. Dieser sollte mit Dachorganisationen wie der ELP auf jenen Feldern als selbständiger und gleichberechtigter Bündnispartner zusammenwirken, wo das Maß an Gemeinsamkeiten ausreicht.

Erik Höhne, Neuss am Rhein

Unser Autor ist Vorsitzender der Geschichtskommission der DKP.

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Helden des Roten Oktober Michail Iwanowitsch Kalinin und Michail Wassiljewitsch Frunse

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Keine Sympathie für Plattmacher

Warum ein einstiger DDR-Athlet dem Sportbetrieb der BRD nichts abzugewinnen vermag

Wir leben im Jahr vieler Erinnerungsdaten - erfreulicher und weniger erfreulicherer Art. Im Oktober werden uns anläßlich des 25. Jahrestages der vermeintlichen Wiedervereinigung viele Jubelchöre in die Ohren geblasen werden. Als sich ein jahrhundertelang zu Rußland gehörender Gebietsteil auf der Grundlage des Willens einer überwältigenden Mehrheit seiner Bürger wieder mit Rußland vereinte, wurde dieser Vorgang von Frau Merkel als "verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion" bezeichnet. Mit welchen Attributen sollte man nach diesem Muster die Vereinnahmung eines souveränen Mitgliedsstaates der Vereinten Nationen durch einen anderen, ebenfalls souveränen Staat mit Zugehörigkeit zur UNO, eigentlich versehen? Wir werden es erleben. Aber schon vor dem Oktober-"Jubiläum" gibt es Anlässe zum Nachdenken.

Vor 25 Jahren, am 7. Juni 1990, hatte die nur noch formelle letzte DDR-Regierung unter Lothar de Maizière die Verordnung des Ministerrates der DDR vom 30. November 1972 über die "Verantwortung der Betriebe und staatlichen Einrichtungen auf dem Gebiet von Körperkultur und Sport" annulliert. Damit beseitigte sie eines der besten deutschen Sportentwicklungsgesetze, auf dem in nicht geringem Maße das Geheimnis sportlicher Erfolge der DDR beruhte. Nur 14 Tage später beschlagnahmte diese Regierung das Gesamtvermögen des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) im Werte von 2,5 Milliarden DM.

Schon unter den Fittichen der BRD wurden die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS), die seit 1965 Spezialschulen für den sportlichen Nachwuchs waren, ebenso aufgelöst wie die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig oder der Sportmedizinische Dienst der DDR mit seinen 185 Kreisberatungsstellen. Sämtliche Sportärzte und Mitarbeiter wurden beruflich in die Wüste geschickt. Man liquidierte zugleich die Sportklubs. Viele dort tätig gewesene Trainer wurden dann freudigen Herzens in anderen Ländern aufgenommen.

Aus Sporterfolgen der DDR machte man plötzlich wieder oder erstmals deutsche Erfolge. Athleten, die bereit waren, auf das Grundgesetz als oktroyierten Verfassungsersatz Hosianna zu singen, wurden eingekauft und sollten nun unter den Klängen des von den Nazis als Hymne pervertierten Deutschland-Liedes Erfolge für die BRD erringen.

Ob sich Katharina Witt eigentlich dessen bewußt ist, daß sie auf dem Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere, als sie sportliche Triumphe feierte, gar keine Deutsche war? Über die Olympischen Winterspiele 1988 in Calgary berichtete damals die "Tagesschau: "Am Abend gab es die Entscheidung im Eiskunstläufen der Damen. Es gewann Katarina Witt (DDR) vor Elizabeth Manley (Kanada) und Debby Thoms (USA). Beste Deutsche auf Platz 6 war Claudia Leistner." Ähnliche Meldungen gab es damals zuhauf.

Ich ernte immer wieder Mißfallensäußerungen, daß ich mich bei Sportveranstaltungen nicht den Jubeltönen anderer anschließe, wenn deutsche Sportler, auf deren Trikots der Bundesadler prangt, einen Sieg oder einen der drei ersten Plätze erringen. Dabei wird mir dann stets die Frage gestellt, ob ich denn überhaupt keinen Funken Patriotismus in mir verspürte. Klare Antwort: Nein - im Sport nicht mehr!

Als Patriot wird umgangssprachlich jemand bezeichnet, der sich für das Land und das Volk einsetzt, dem er durch Geburt angehört. Teil dessen ist aber auch das Bewußtsein, sich mit diesem Vaterland identifizieren zu können. Das kann nur dann der Fall sein, wenn man im jeweiligen Staat als vollwertiger Bürger betrachtet und behandelt wird.

In der BRD bin ich das nicht. Wie Millionen andere werde ich diskriminiert und degradiert. 40 Jahre meines Lebens werden einem Unrechtsphantom zugeordnet, meine Lebensleistung betrachtet man als minderwertig und sogar strafwürdig. Gerade und besonders die seit 1990 geltenden gesamtdeutschen Sportverhältnisse haben mir "den Patriotismus" gründlich ausgetrieben. Dies, weil Verunglimpfung, Verleumdung und Ignoranz gegenüber allem, was auf sportlichem Gebiet in der DDR geleistet worden ist, nun zum bestimmendem Ton im Konzert des DDR-"Delegitimierungsorchesters" geworden ist.

Wer mich kennt, wird sich hüten, mir unterstellen zu wollen, ich wäre dem Sport abhold oder stünde ihm sogar feindselig gegenüber, weil er mit Mühen, Plagen und Anstrengungen verbunden wäre. Nun ist ja Sport wirklich nicht jedermanns Sache: Hin- und Hergerenne, Hoch- und Weitgehopse, Hin- und Hergeschwimme, einem Ball nachlaufen, ihn über oder in Netze schlagen, werfen, auf Scheiben oder Tontauben schießen und vieles mehr. Dies alles würde doch nur die Auffassung des einstigen britischen Premiers Winston Churchill bestätigen: "No sports!" (Sport kommt nicht infrage.) Für mich trifft dies nicht zu, wobei ich mit Sport nicht den Vergnügungs- oder Freizeitsport meine, sondern jenen, welcher eben mit Mühen, Plagen, Anstrengungen, aber auch mit unvergeßlichen Erlebnissen und Freuden verbunden ist.

Meine "sportliche Laufbahn" begann 1941 beim Königsberger Ruderklub (KRC) im "Riemenvierer mit". Damals war ich zwölf. Tennisspieler oder Turner beginnen meist schon als Fünf- bis Achtjährige. In diesem Alter betätigte ich mich noch als Balljunge auf Tennisplätzen. Als der Krieg dem Sportrudern ein Ende setzte, dauerte es sechs Jahre, bis ich wieder Tritt faßte: Diesmal war es Volleyball, und ich gelangte dabei bis in das DDR-Spitzentrio. In den 50er Jahren war das gleichbedeutend mit der Spitze in beiden deutschen Staaten, da Volleyball in der BRD damals nicht ernst genommen wurde, weil man der Meinung war, diese Disziplin sei "zu östlich geprägt". Ich gehörte also einer der drei DDR-Spitzenmannschaften an. Überdies war ich Schiedsrichter der Oberliga und führte nach einer Sportverletzung eine andere Mannschaft als Trainer von der Bezirksklasse über die Bezirksliga in die DDR-Liga, also in die zweithöchste Spielklasse der DDR.

Ohne selbst aktiv zu sein, schlägt mein Herz noch immer für den Sport, wenn auch nicht gerade für den der BRD. Ich habe nichts gegen deren Athleten und ziehe den Hut vor ihren Leistungen, sofern sie nicht ausschließlich dem Kommerz untergeordnet werden. Allerdings gebührt mein Respekt nicht dem Sportsystem und dem Staat, für den sich die Aktiven abrackern. Dessen Intoleranz gegenüber den "Brüdern und Schwestern" im Osten, seine Verachtung für deren Erfolge, sind eigentlich kulturell hochstehender Menschen unwürdig und einmalig in der Geschichte des Sports.

Prof. Dr. Klaus Kannapin, Neuenhagen

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Gedanken und Bedenken eines in Portugal lebenden deutschen Kommunisten

Brief aus der Algarve

Derzeit bin ich nach längerer Unterbrechung aus Krankheitsgründen mit einer Lese-Aufholjagd befaßt. Zu dem in der Zwischenzeit liegengebliebenen wichtigen Material gehören auch etliche "RotFüchse". Einige Beiträge, mit denen ich mich gründlicher beschäftigte, brachten mich zum Grübeln. Das betrifft besonders auch die Märzausgabe, in der es um den Verlauf der Ereignisse im Spätherbst 1989 ging.

Ohne die konkrete Situation selbst miterlebt zu haben, frage ich mich: Hätte sich damals tatsächlich alles so abspielen müssen, wie es dann gekommen ist? Zu Problemen, bei denen wir möglicherweise nicht ganz übereinstimmen, bitte ich die Redaktion und die Leser um ihre Hilfe. Als die Konterrevolution 1989/90 ihren Höhepunkt erreichte, übersiedelte ich gerade aus dem Ruhrpott, wo ich als kommunistisch organisierter Arbeiter tätig gewesen war, mit meiner damaligen Lebensgefährtin nach Portugal. Wir bemühten uns dort um den Aufbau einer neuen Existenz.

Das war gerade jene Zeit, in der ich gezwungenermaßen die Nachrichtensendungen nicht immer verfolgen konnte. So sind meine Erkenntnisse und mein Wissensstand zwangsläufig lückenhaft.

Ich möchte mich, wenn auch verspätet, zum Artikel der von mir hoch geachteten Genossen Heinz Keßler und Fritz Streletz äußern.

In der Märzausgabe gingen sie davon aus, daß in der damaligen Situation ein Schußwaffengebrauch völlig ausgeschlossen werden mußte. Damit bin ich vollkommen einverstanden. Ich stelle mir aber die Frage, warum die NVA und die anderen Sicherheitsorgane der DDR in jener dramatischen Zeit in den Kasernen bleiben mußten. Warum schickte man nicht mit der DDR verbundene Militärs mit Lkws auf die Straßen, deren Spruchbänder hätten heißen können: "Wir wollen unseren Staat reformieren, aber im Sozialismus bleiben"? Agitation in diesem Sinne war doch nicht verboten. An allen wichtigen Verkehrsknotenpunkten hätten verläßliche Angehörige der NVA - ohne Waffen - stehen sollen, um den auf eine Liquidierung der DDR Setzenden im Innern wie außerhalb der Landesgrenzen zu bedeuten: Wir kapitulieren nicht kampflos!

Die beiden Autoren erinnern daran, daß es kein Gesetz zum Einsatz der NVA im Landesinnern gegeben habe. Doch in welcher revolutionären oder auch konterrevolutionären Situation kann man sich allein auf Paragrafen berufen? Vielleicht unterschätze ich aber auch den Auflösungsprozeß, der zu dieser Zeit bereits in der DDR in vollem Gange gewesen sein muß.

Eine Bemerkung zu dem in aller Eile formulierten und buchstäblich über das Knie gebrochenen Reisegesetz, das dann auch noch vorzeitig bekanntgegeben wurde: Nach meinem Eindruck hat die Mehrheit der DDR-Bevölkerung - zumindest lange Zeit - hinter ihrem Staat und der Partei gestanden.

Das von der "Opposition" und deren Hintermännern im Westen ins Spiel gebrachte Verlangen nach allgemeiner Reisefreiheit sollte doch nichts anderes sein als die Legalisierung von Republikfluchten. Warum ging man in dieser Frage nicht rechtzeitig zur Gegenoffensive über und erklärte: Ein neues Reisegesetz kann es nicht so auf die Schnelle geben, weil dieses - wie das etliche Male zuvor in der DDR bereits mit Erfolg praktiziert worden ist - zunächst von der Bevölkerung öffentlich diskutiert werden muß.

Wer indes die DDR verlassen möchte - bitte! In 14 Tagen sind sämtliche Rathäuser und Gemeinderäte dazu in der Lage, entsprechende Anträge entgegenzunehmen. Allerdings unter einer Bedingung: Jeder, der Interesse an einer legalen Ausreise hat, muß zuvor die Aufwendungen des Staates für sein Studium und seine Berufsausbildung an diesen zurückzahlen. Die Anträge werden binnen 14 Tagen bearbeitet, und nach Genehmigung kommt der Ausreisende für seine von der DDR verauslagten Mittel auf. Er muß dann die Republik innerhalb weiterer zwei Wochen unter Paßabgabe verlassen haben. Garantiert hätten so manche darüber nachzudenken begonnen, zumal die Ausreise auf einmal keine verbotene Angelegenheit mehr war.

Stattdessen entstand in der DDR eine panikartige Atmosphäre mit epidemischen Massenfluchten, wie sie schlimmer nicht hätte sein können.

Wie aber kam es zu dieser Situation? Der in meinen Augen gravierendste Faktor war das immer schnellere Auseinanderdriften zwischen dem, was Partei und Presse verkündeten, und der tatsächlich erlebbaren Realität. Außerdem war offenbar ein immer größer werdendes Geflecht persönlicher Beziehungen und Abhängigkeiten entstanden.

Ich sage das alles nicht als ein außenstehender Besserwisser, sondern als jahrzehntelang organisierter Kommunist. Während ich in der BRD Mitglied der DKP war, gehöre ich hier in der Algarve nicht nur der Portugiesischen Kommunistischen Partei an, sondern bin auch deren Abgeordneter in der Assembleia Municipal, der Stadtverordnetenversammlung von Aljezur.

Ich frage mich als ein aufs engste mit der DDR verbunden gewesener Genosse aus der alten BRD, wie gestandene Funktionäre, darunter einst ige KZ-Häftlinge und Zuchthausinsassen mit bitterer Erfahrung, die den Faschisten mutig Paroli geboten hatten, so gravierende Fehlentwicklungen zulassen konnten. Manches dürfte auch damit im Zusammenhang gestanden haben, daß die Tätigkeit in bürokratischen Apparaten der Partei und des Staates für etliche zu einer lebenslangen "Aufgabe" geworden war. Aus meiner Sicht sollten Funktionsträger nicht länger als ein bis zwei Wahlperioden im Amt bleiben.

Wenn wir Kommunisten der Bevölkerung eine Alternative zum jetzigen System anbieten wollen, darf ein solches Herangehen nicht fehlen. Die neuen gemäßigt linken Bewegungen - in Griechenland und im Portugal benachbarten Spanien - erhielten solchen Wählerzulauf, weil sie auf Transparenz und maximale Einbeziehung der Massen setzten. Liebe Genossen vom "RotFuchs"! Vielleicht erscheint manches von dem, was ich hier nach dem Maß meiner Kenntnisse aufgeschrieben habe, in Euren Augen recht ungereimt. Aber ich wollte Euch einfach mal mein Herz ausschütten.

Hermann Janssen, Aljezur (Portugal)

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In der BRD unvorstellbar: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Die Tatsache, daß Oppositionspolitiker aus den Reihen der Partei Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen ihre Gesichter bei der Demonstration zum sogenannten Equal Pay Day - dabei ging es um gleiche Entlohnung von Frauen und Männern - in die Fernsehkameras hielten, scheint verständlich zu sein. Als sich jedoch Merkels junge Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) dieser Runde hinzugesellte, zeigte das freiheitlich-demokratische System der BRD seine paradoxe Seite. Die Szene vermittelte nämlich vordergründig den Eindruck, als wolle das Kabinettsmitglied aus Merkels Stall gegen die Politik der eigenen Regierung revoltieren.

Das aber ist mit Gewißheit ganz und gar nicht Sache der SPD in ihrer mit dem Godesberger Parteitag eingeleiteten derzeitigen Verfaßtheit. Das Bundesfamilienministerium ließ zwischendurch noch verlauten, seine Chefin "kämpfe" um die Einführung eines Entgeltgleichheitsgesetzes. Die Floskeln "Wir kämpfen" und "Das ist mit uns nicht zu machen" gehören inzwischen zum Standardvokabular von Spitzenpolitikern der SPD, die sich indes nur in tollkühnen Ankündigungen ergehen.

Manuela Schwesig setzt übrigens auf "Transparenz von Löhnen und Gehältern". Man glaubt, man habe sich verhört! Denn wer heutzutage in einer kapitalistischen Firma über sein Einkommen auch nur ein Sterbenswörtchen verliert, kann mit einer sofortigen Abmahnung, wenn nicht gleich mit Kündigung rechnen. Und manchen Männern, die der gleichen Tätigkeit wie in ein und demselben Unternehmen beschäftigte Frauen nachgehen, würde bei Offenlegung der betrieblichen Entgeltstrukturen und der bei Löhnen und Gehältern zutage tretenden Differenzen die Spucke wegbleiben. Wie soll da eine Anpassung von Frauenlöhnen an Männerbezüge überhaupt vonstatten gehen? Orientiert man sich am Kollegen mit dem niedrigsten Bruttobezug oder an dem mit dem höchsten?

Die Unternehmerseite ging bereits auf die Barrikaden und warnte heuchlerisch vor einem Klima des Mißtrauens und des Einander-Ausforschens, das zu "Unfrieden" in den Betrieben führen werde. Damit dürfte sie wohl kaum das Verhältnis von Arbeitern und Angestellten untereinander im Auge haben, sondern Gefahr für das von ihnen geschaffene Willkürregime wittern.

Das Thema der gerechten Entlohnung von Frauen und Männern, das in der DDR überhaupt nicht aufgeworfen werden mußte, ist so alt wie die BRD selbst. Es wäre illusorisch zu glauben, daß eine tatsächliche Anpassung der Löhne und Gehälter unter kapitalistischen Bedingungen vollzogen werden könnte. Schließlich ist ja die Profitmaximierung das A und O dieser Gesellschaftsordnung.

Rico Jalowietzki

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Der Mindestlohn in Europa

In 21 von 28 EU-Mitgliedsstaaten gilt bereits ein branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn. Ausnahmen sind Dänemark, Finnland, ltalien, Österreich, Schweden und Zypern. In den meisten dieser Länder herrscht jedoch eine wesentlich höhere Bindung durch Tarifverträge, als dies zur Zeit in Deutschland der Fall ist.


Höhe des Mindestlohns in 18 europäischen Ländern

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Zur Fettlebe von Hartz-IV-Beziehern in der verschwenderischen BRD

Wie die Made im Speck

Der Sachlichkeit halber verzichten wir hier auf jede Vorrede und kommen sofort zum Kern der Dinge: der Prasserei und Völlerei verwöhnter und auf der faulen Haut liegender Hartz-IV-Empfänger im bundesdeutschen Wohlfahrts- und Wohlfühlstaat. Macht Euch doch selbst ein Bild, liebe RF-Leser!

Mara und Mike Otto, Berlin


Gültige Hartz-IV-Bezüge in Euro, aufgeschlüsselt nach Einzelposten

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Orientierungshilfe für BAK Shalom

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Die "Befriedung" Iraks

Wie die USA einen modernen arabischen Staat sukzessive zerschlugen

Sieger sind kaum jemals objektiv, wenn sie über Vorgänge berichten, die zu ihrer Herrschaft geführt haben. Seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach dem 1. Weltkrieg haben vor allem Großbritannien, Frankreich und die USA die Entwicklung der Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten bestimmt, die zunächst zur Etablierung Israels und später zur systematischen Zerschlagung einer Reihe arabischer Staaten geführt haben.

Verfolgen wir die Ereignisse chronologisch. Die Herausforderung an den Kolonialismus entsprang nicht religiösen Motiven, sondern wurde durch einen erwachenden arabischen Nationalismus ausgelöst. Die ägyptische Revolution patriotisch gesinnter Armeeoffiziere führte zur Ablösung König Faruks, einer britischen Marionette. 1956 nationalisierte der Anführer der militärischen Akteure, Gamal Abdel Nasser, den Suezkanal. Großbritannien, Frankreich und Israel griffen daraufhin Ägypten an, mußten sich aber unter internationalem Druck wieder zurückziehen. Trotz allen Lamentierens, die Araber würden außerstande sein, den Kanal operationsfähig zu halten, funktionierte alles ganz normal. Nassers Außenpolitik war vom Geist positiver Neutralität im Kalten Krieg geprägt. Er unterstützte die Gruppe der nichtpaktgebundenen Staaten und vollzog die Gründung einer Vereinten Arabischen Republik mit Syrien, die jedoch nur von kurzer Dauer war. Im Lande selbst verteilte Nasser Grund und Boden an notleidende Fedayeen und sorgte für eine neue Verfassung, wodurch die republikanische Staatsform gefestigt wurde.

In Algerien führte die Revolution von 1962 zur Ablösung der französischen Kolonialherrschaft. In Libyen, einem der ölreichsten Länder, brachte eine Volksrevolution 1968 den national orientierten und Reformen ins Auge fassenden Offizier Ghaddafi ans Ruder. 1958 bereiteten irakische Offiziere der Haschemiten-Monarchie ein Ende. General Kassem nationalisierte das zuvor von ausländischen Konzernen geförderte Öl. Er gründete auch die erste Einheit der Palästinensischen Befreiungsarmee, die von Israel usurpiertes Land zurückerobern sollte. Zu dieser Zeit entstand die Arabische Sozialistische Baathpartei, unter deren Führung Irak auf dem Wege war, ein säkularer, unabhängiger Staat zu werden.

Abdul Haq al-Ani und Tariq al-Ani - die Autoren des Buches "Völkermord in Irak. Die Vernichtung eines modernen Staates" - betrachten den Zionismus als eine aktive politische Bewegung mit einer klaren Ideologie. Sie halten ihn für den "mächtigsten politischen Spieler der Welt". Großbritannien und die Vereinigten Staaten sicherten Israel - dem neuen Staat auf dem Boden Palästinas - ihre totale Unterstützung zu, wodurch eine zuverlässige westliche Machtbasis im Nahen Osten entstand. Zur Strategie der Absicherung Israels vor den das Land umgebenden arabischen Staaten sind die imperialistischen Mächte bestrebt, interarabische Glaubenskonflikte maximal anzustacheln. Daß diese Rechnung aufgegangen ist, zeigte der Angriff des Sunniten Saddam Hussein auf den schiitisch geführten Staat Iran, der 1980 begann und sich zu einem achtjährigen blutigen Konflikt auswuchs. Der historische Zusammenprall von Sunniten und Schiiten dauert bis heute an und wird vom Ölgiganten Saudi-Arabien finanziert, welcher sich der extrem-sunnitischen Wahabi-Sekte verschrieben hat. Hinter dem Rauchvorhang vorgespiegelter Demokratisierungsabsichten verbirgt sich eine umfassende Strategie. Die unstete Politik arabischer Staaten lud westliche Organisationen buchstäblich zur Intervention ein. Hier soll die "Internationale Krisen-Gruppe" unter Leitung von Zbigniew Brzezinski genannt sein, die durch den Milliardär George Soros, einen Rothschild-Protegé, finanziert wird.

Bereits zu Jahresbeginn 1997 gründeten sogenannte Neokonservative in den USA das "Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert" (PNAC) mit der erklärten Zielsetzung, eine uneingeschränkte zionistische Hegemonie im Nahen Osten sowie den Sturz der Baath-Regierungen in Syrien und Irak herbeizuführen. Das Ergebnis dieser Politik des "Teile und herrsche!" war nicht etwa ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern die sich ursprünglich mit dem Segen der USA vollziehende Formierung einer extremistischen Gattung gnadenlosen Terrors um jeden Preis: des Islamischen Staates (IS), der das Ziel verfolgt, ein neues Kalifat in Irak und Syrien zu gründen.

Die jahrelange Vorbereitung des Überfalls auf Irak bestätigt die These, daß es sich nicht so sehr um eine Saudi-Revanche für den 11. September handelte, sondern vor allem um den Plan, Saddam Hussein - ein Hindernis für die Strategie der Unterjochung arabischer Länder - aus dem Wege zu räumen. Dabei war das irakische Öl die begehrte und anvisierte Beute.

Im Verlauf von mehr als zwölf Jahren wurden Irak massiven Luftangriffen und die Regierung in Bagdad oktroyierten Flugverbotszonen ausgesetzt. Bereits im November 1998 beschuldigte die CIA den irakischen Staatschef, für die Entwicklung chemischer und biologischer Kampfstoffe zur Massenvernichtung gesorgt zu haben, obwohl diese Unterstellung frei erfunden war.

Ein Schein der Legitimität wurde der USA-Aggression durch die Einbeziehung Saudi-Arabiens, Kuwaits, Bahrains, Omans, Katars und anderer Mini-Staaten verliehen, die selbst nicht dazu imstande gewesen wären, Bagdad anzugreifen. Die CIA versuchte, irakische Offiziere durch Bestechung großen Stils zum Überlaufen zu bewegen. Als US-Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat "Beweise" für Iraks Massenvernichtungswaffen unterbreitete, wurde dieses Täuschungsmanöver des Generals sofort durch internationale Beobachter ins rechte Licht gerückt und zurückgewiesen. Am 5. Januar 2003 präsentierte Powell dem Gremium "Dokumente" zur Existenz von Trainingslagern der al-Qaida in Nordirak. Doch auch dieser Trick verfing nicht.

Am 20. März 2003 fielen mit der Operation "Schock und Schreck" insgesamt 466.985 Angehörige der U.S. Army, 40.906 Briten, 2050 Australier, 180 Polen und 31 Kanadier über Irak her. Nach UNO-Schätzungen wurden zwischen 1100 und 2200 Tonnen Uran-Munition über dem angegriffenen Land abgeworfen.

Bereits 1998 hatte der US-Kongreß ein "Irak-Befreiungsgesetz" verabschiedet. Drei Jahre nach dem Fall Bagdads (2003) berichtete Iraks Planungsministerium, daß 6 % der Bevölkerung des einst als wohlhabend geltenden Landes inzwischen in Armut leben. 54 % der Iraker müßten mit einem Dollar am Tag auskommen. Das Welternährungsprogramm stelle Essensportionen für 8 Millionen hungernde Landesbürger bereit. Die Autoren des erwähnten Buches sind der Ansicht, daß die Strategie der USA nicht allein auf einen Regimewechsel zielte, sondern vor allem auch bezweckte, Irak in einen vorindustriellen Zustand zurückzuversetzen - in eine soziale Wüste, die den Griff nach den Bodenschätzen des ölreichen Landes zwischen Euphrat und Tigris nicht aufzuhalten vermochte.

Dem "Lancet-Magazine" war zu entnehmen, daß nach Angaben britischer Ärzte bis 2010 insgesamt 1,45 Millionen Irakis getötet und 7,7 Millionen zu Flüchtlingen gemacht wurden, während 5 Millionen Kinder ihre Eltern verloren. Hinzu kommt etwa 1 Million Vermißter. Und all das bei einer Bevölkerungszahl von 30 Millionen.

Dr. Vera Butler, Melbourne

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Die nüchterne Sprache der Tatsachen

Ein Buch vertreibt den Nebel um die "innerdeutsche Grenze"

Klaus Emmerichs neues Buch trägt zwar den nüchternen Titel "Die Grenzkommission beider deutscher Staaten - Aufgaben, Tätigkeit und Dokumente", dürfte aber in der Debatte zu dieser Thematik - nicht zuletzt auch in der Linkspartei - von hohem Aktualitätswert sein. Als ich dem Autor vor etlichen Jahren erstmals begegnete, war ich als Gast Teilnehmer einer Besprechung der PDS-Landtagsfraktion von Mecklenburg-Vorpommern mit den persönlichen Mitarbeitern der Abgeordneten sowie Verantwortlichen in den Landeswahlbüros. Klaus Emmerich hatte damals die Aufgabe eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der Fraktion übernommen, zu der noch einige am Marxismus festhaltende Abgeordnete mit der Fraktionschefin Catarina Muth gehörten. Diese engagierten sich nicht nur selbst, sondern vermochten auch, ihre Ansichten teilende Genossen um sich zu scharen.

Als sich die Situation plötzlich veränderte, weil der Drang nach Regierungsbeteiligung immer stärker wurde, kehrte Klaus Emmerich in seinen Beruf zurück und ließ sich in Schwerin und Crivitz als Rechtsanwalt nieder. Doch der linksorientierte Jurist konnte im System der BRD weder Reichtümer erwerben noch Einfluß gewinnen. Und das, obwohl seine fachliche Autorität über jeden Zweifel erhaben ist.

Schon 1989/90 berief man Klaus Emmerich zum Sekretär der Arbeitsgruppe des Zentralen Runden Tisches "Neue Verfassung der DDR". Darüber hat er sein aufschlußreiches Buch "In guter Verfassung?" veröffentlicht. Hier griff der versierte Rechtskenner bereits 2010 das später von professionellen Brunnenvergiftern arg strapazierte Thema vom angeblichen Unrechtsstaat DDR und dem vermeintlichen sozialen Rechtsstaat BRD vorausschauend auf. Auch aus seiner intimen Kenntnis der Auswirkungen einer PDS-Regierungsbeteiligung auf Landesebene kam für ihn die spätere Herabsetzung der DDR durch führende PDL-Politiker in Thüringen und anderswo nicht überraschend.

Als Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR gehörte der Autor des hier besprochenen Buches zu den Beratern der Delegation seines sozialistischen Staates in der Grenzkommission aus Vertretern der DDR und der BRD. Diese nahm am 4. September 1973 ihre Arbeit zur Grenzmarkierung bei Lübeck auf. Man kann Klaus Emmerich also mit Fug und Recht als Insider betrachten.

An einstigen Übergängen der DDR-Staatsgrenze zur BRD stehen heute fast überall geschichtsverfälschende Schilder mit Aufschriften wie "Deutsche Teilung 1945-1990", "Hier war die innerdeutsche Grenze von 1945 bis 1990" oder: "Hier waren Deutschland und Europa bis zum 18. November 1989, 8.30 Uhr geteilt".

Die zwischen den Alliierten der Antihitlerkoalition bereits im Frühjahr 1945 vereinbarten Zonengrenzen als "innerdeutsche Grenze" zu bezeichnen, entspricht nicht den seinerzeitigen Realitäten. Doch die seit 1949 bestehende Grenze zwischen zwei souveränen deutschen Staaten in dieser Weise darzustellen, schlägt dem Faß den Boden aus.

Denn sie war von deren Existenz nicht zu trennen. Ihr Verlauf wurde durch Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten und den Siegermächten, die ihre jeweiligen Besatzungszonen abgegrenzt hatten, klar bestimmt.

Der "Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland" vom 21. Dezember 1972 - verkürzt als Grundlagenvertrag bezeichnet - formulierte im Artikel 3 unter Bezugnahme auf die UNO-Charta: "Beide deutsche Staaten werden ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen und sich der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt enthalten. Sie bekräftigen die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität."

Mit dieser Formel wurde dokumentiert, daß es sich bei der Grenze zwischen der DDR und der BRD um eine Staatsgrenze handelte, die nicht als "innerdeutsch" betrachtet werden konnte. Da diese irreführende Vokabel in der bundesdeutschen Gegenwart aber zum ständigen Sprachgebrauch gehört, muß man von gezielter politischer Irreführung ausgehen. Diese gipfelt darin, daß die Eigenstaatlichkeit wie die Rechtssubjektivität nicht nur der DDR geleugnet wird, sondern gleich beider deutscher Staaten, da zwischen ihnen eine völkerrechtlich garantierte Staatsgrenze verlief.

Wer mehr zu dieser Problematik erfahren will, sollte unbedingt zu Dr. Emmerichs Buch greifen.

Konstantin Brandt

Klaus Emmerich: Die Grenzkommission beider deutscher Staaten. Aufgaben, Tätigkeit und Dokumente. Books on Demand GmbH, Norderstedt 2014, 124 S., 9,90 €

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RF-Extra

Versuch einer nüchternen Bewertung der "Republikflucht" in den Westen

Stand die DDR vor dem "Ausbluten"?

Bis zum 13. August 1961 hatten nach westlichen Angaben 2,6 Millionen Menschen die DDR verlassen. Von ihrer Gründung bis heute werden die "Fluchten" in die BRD als angeblicher Beweis für die Erfolglosigkeit einer sozialistischen Alternative in der DDR präsentiert, um zugleich auch einen moralischen Anspruch auf die "Wiedervereinigung" geltend zu machen. Mit diesem Argument hoffte man alle noch so treffsicheren Entgegnungen der DDR-Verteidiger entkräften zu können.

Allerdings ermöglichen seriöse Quellen und wissenschaftliches Herangehen an die Thematik einen anderen Blick, der zur prinzipiellen Infragestellung dieses Propaganda-Dauerbrenners führt.

Zunächst einmal sind Massenfluchten nach dem Sieg einer Revolution und in scharf zugespitzten Klassenkampfsituationen eine häufige, ja sogar normale Erscheinung. Zu Fluchtwellen kommt es in der Regel vor allem während der ersten Jahre des Bestehens einer neuen sozialen Ordnung. Erfahrungsgemäß ebben sie dann quantitativ wieder ab, können allerdings zeitweise erneut in erheblichem Maße anschwellen.

Nach der Oktoberrevolution flüchteten aus Rußland zwischen 1918 und 1924 allein mehr als 1,2 Millionen Menschen nach Polen. Mit der Vertreibung der faschistischen Okkupanten aus der UdSSR bildeten vor allem ukrainische und belorussische Nazikollaborateure eine weitere Fluchtwelle. Bis zur Liquidierung der UdSSR durch Jelzin und seinen Klüngel, denen Gorbatschow den Weg geöffnet hatte, verließen über drei Millionen Menschen das Land.

Nicht anders verhielt es sich in Polen. Nach Errichtung der Volksmacht emigrierten im Zeitraum von 1946 bis 1989 rund 3,6 Millionen Landesbürger, 71 % davon bis 1950, weitere 11 % bis 1960. Etwa eine Viertelmillion Polen setzte sich dann bis 1980 in jedem Jahrzehnt ab. Doch im Unterschied zur BRD wurde mit diesen Zahlen recht nüchtern umgegangen, zumal die meisten Abwanderer, besonders seit 1960, rein wirtschaftliche Motive hatten. Anders verhielt es sich mit den bis 1948 geflohenen etwa 100.000 polnischen Juden, die den Faschismus überlebt hatten. Für sie war die Auswanderung - vorrangig nach Israel - keine Option gegen Volkspolen, sondern in erster Linie eine Flucht vor dem rabiaten Antisemitismus bewaffneter Konterrevolutionäre, die noch jahrelang auf polnischem Territorium ihr Unwesen trieben und heute als "Unabhängigkeitskämpfer" gefeiert werden.

In der DDR fand eine volksdemokratische Revolution mit sozialistischer Zielsetzung statt, die durch die Anwesenheit sowjetischer Truppen erleichtert und abgesichert wurde. Daß sich die Angehörigen der vormals herrschenden Klassen und deren politischer Anhang einer solchen Entwicklung zu entziehen gedachten, verstand sich von selbst. Ihre Massenflucht zeugt eher von der Tiefe des Umsturzes und der Stabilisierung der neuen Gesellschaftsordnung. Angehörige der Bourgeoisie und ihnen dienstbarer Schichten verließen das Land, weil die Chancen einer kapitalistischen Restauration der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse geschwunden waren. Die Illusion, die in diesem Kampf unterlegenen Angehörigen der gegnerischen Klasse und deren Gefolgschaft halten zu wollen oder zu können, gab es nicht.

In der Struktur der Nachkriegsbevölkerung auf späterem DDR-Gebiet gab es eine sehr wesentliche Besonderheit, die nicht verschwiegen werden sollte: die politisch-ideologische Verfaßtheit eines nicht geringen Teils der aus den vormals deutschen Ostgebieten und anderen europäischen Ländern ausgesiedelten Menschen.

Die Bevölkerung in Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen hatte im Gegensatz zu der mehrheitlich christdemokratisch orientierten westdeutschen und der überwiegend die Sozialdemokraten bei Wahlen unterstützenden zentraldeutschen Einwohnerschaft zu Zeiten der Weimarer Republik zunächst massiv für die Deutschnationalen und dann majoritär für Hitlers NSDAP gestimmt. Ein Drittel der sich als Sudetendeutsche bezeichnenden Bürger der CSR unterstützte die Faschisten Henleins. Auch die überwiegende Mehrheit der Deutschen in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien war ähnlich orientiert.

12 Millionen Menschen aus den genannten Regionen wurden 1945/46 umgesiedelt. 1949/50 lebten 4,3 Millionen von diesen Maßnahmen Betroffene in der DDR - etwa 23 % der Bevölkerung. Die hohe Konzentration von Umsiedlern ergab sich daraus, daß die Sowjetische Besatzungszone den betroffenen Gebieten territorial am nächsten lag und viele der Neubürger auf eine baldige Rückkehr in ihre frühere Heimat hofften. Ein erheblicher Teil von ihnen fühlte sich in der durch Marxisten und deren Bündnispartner regierten DDR aus den bereits genannten Gründen politisch unbehaglich: Die Rote Armee war allenthalben präsent und bildete den Schutzschirm für die neue Entwicklung. Überdies ließ die DDR-Führung keinen Zweifel daran aufkommen, die Nachkriegsgrenzen zu akzeptieren und vertraglich abzusichern. Für Revanchisten war hier kein Platz.

Die konsequente Abrechnung mit dem Faschismus aber entsprach nicht den Vorstellungen jener, welche auf Grenzveränderungen setzten. Das war vor allem der Fall, nachdem sich die Beziehungen der DDR zu Volkspolen und der CSR enger gestalteten. Ein zusätzlicher Umstand sollte hier nicht unerwähnt bleiben. Die DDR-Organe besaßen nun Zugriff auf verläßliche Nachweisquellen über die faschistische Vergangenheit nicht weniger Umsiedler.

Der Trend einer Abwanderung nach Westdeutschland, wo dem Revanchismus eine staatlich geförderte Heimstatt geboten wurde, war so erklärlich. Auch der schon bald erkennbare höhere Lebensstandard im Westen, der durch die Nichtzahlung von Reparationen und den Marshallplan abgesichert wurde, verhieß mehr als ein mit großen Mühen verbundener schrittweiser sozialer Aufstieg im Osten. Immerhin sollte am Ende jeder fünfte abgewanderte DDR-Bürger von gesellschaftlicher Relevanz ein Umgesiedelter sein.

Zudem versprach die BRD diesen nicht nur eine politisch-moralische "Würdigung", sondern auch handfeste materielle Kompensation des Verlusts ihrer Besitztümer in der früheren Heimat. 1949 lebten in der BRD etwa 12 % aller Umsiedler. Diese Zahl sollte in den folgenden Jahrzehnten auf rund 20 % anwachsen. Sie stieg von 7,7 Millionen (1949) auf 10,4 Millionen (1981) an. Andererseits ging die Einwohnerschaft der DDR von 18,4 Millionen (1950) auf 17,2 Millionen (1960) zurück. Man kann also davon ausgehen, daß kein geringer Teil der "Republikflüchtigen" aus den früheren Ostgebieten stammte.

Die West-Übersiedlungen alteingesessener DDR-Bürger, von denen etliche legal ausreisten, erfolgten nicht zuletzt aufgrund sie erheblich begünstigender Faktoren. Im Gegensatz zu den vor anderen Revolutionen Flüchtenden gingen sie viele Jahre völlig gefahrlos in ein angrenzendes Land mit gleicher Sprache und ähnlicher Kultur. Außerdem warb sie die BRD mit erheblichen materiellen Mitteln gezielt ab, um ihr eigenes Defizit an Fachleuten und Arbeitskräften bestimmter Wirtschaftszweige zu kompensieren. So befanden sich die ohne staatliche Genehmigung Abwandernden in einer privilegierten Position. "Republikflüchtige" wie legale Umsiedler aus der DDR gingen oft nicht ins ungewisse. Besonders gut Ausgebildete hatten sich über Verwandte, Freunde und Institutionen schon lange vor ihrem Weggang eine oftmals lukrative Stellung im Westen gesichert. Viele Fachleute wurden zielgerichtet mit für sie vorbereiteten Arbeitsverträgen zu günstigen Konditionen abgeworben.

Die von der BRD und ihren Medien verbreitete These, die Übersiedler hätten sich in erster Linie für "Freiheit und Demokratie" entschieden, trifft so nicht zu. Nur ein Teil der bis 1961 Abgewanderten fällte mit seiner Flucht in den Westen eine bewußte politische Entscheidung gegen die DDR. Zur Verblüffung der sie nach ihrer Ankunft in der BRD befragenden Medienmeute lobte fast jeder zweite Übersiedler gewisse Vorzüge des Lebens in der DDR. Das politische System der BRD war den meisten weithin unbekannt und stand auch nicht im Mittelpunkt ihres Interesses.

Eine Umsiedlung aus der DDR war ganz überwiegend nicht mit Gefahr für Leib und Leben verbunden. Man konnte die imaginäre und offene Grenze nach Westberlin mehr als ein Jahrzehnt lang völlig ungehindert überschreiten. Damals arbeiteten etwa 63.000 DDR-Bürger in Westberlin, welche die Grenze zweimal täglich passierten.

Die bis 1961 dorthin abwanderten, mußten nicht bei Nacht und Nebel hohe Mauern überwinden, sondern fuhren am hellichten Tag mit der S- oder U-Bahn für 20 Pfennig über die in Berlin als Sektorengrenze bezeichnete DDR-Staatsgrenze, an der es nur sporadisch Kontrollen gab. Diese Leichtigkeit des Abhauenkönnens verführte ganze Familien und besonders viele junge Leute zu diesem Schritt.

Bis heute fehlt es an exakten Daten zu dieser Problematik. Allein eine umstrittene Befragung von 3000 DDR-Flüchtigen, die im Juli 1961 erfolgt sein soll, bildet die bis heute einzige offizielle Darstellung aller "Fluchtmotive" bis 1989.

Unterzieht man die von den Befragten angegebenen Gründe einer seriösen Analyse, dann ergibt sich folgendes Bild: 22 % hatten politische Motive. Bei 12 % erfolgte die Übersiedlung mit dem Ziel der Familienzusammenführung. 8 % waren Personen, die gegen DDR-Gesetze verstoßen hatten und mit Bestrafung rechnen mußten. 2 % wollten ihre Ehe aufkündigen und gingen zumeist mit neuen Partnern in den Westen. 9 % strebten - dieser Untersuchung zufolge - nach einem höheren Lebensstandard. Das darf in Zweifel gezogen werden, zumal nur 53 % der Befragten überhaupt bereit waren, Aussagen hierzu zu machen. Es ist also davon auszugehen, daß ihr Anteil den der aus politischen Motiven Weggegangenen um ein Mehrfaches überstiegen haben dürfte.

Für die meisten Übersiedler in den Westen gab es keinen unmittelbaren Zwang oder eine direkte Bedrohung. Die illegale Ausreise wurde mehrheitlich wie bei Emigranten über einen längeren Zeitraum vorbereitet.

Die Gründe für die Republikflucht hingen zweifellos eng mit der Existenz eines anderen deutschsprachigen Staates zusammen. Die meisten Übersiedler hätten sich vermutlich nicht zur Emigration entschlossen, wenn es sich bei dem Zielland beispielsweise um Frankreich oder skandinavische Länder gehandelt hätte.

Bei allen Problemen, die der DDR durch eine Vielzahl von Fluchten und Übersiedlungen entstanden, waren diese trotz der eintretenden Schwächung zu keinem Zeitpunkt für den sozialistischen deutschen Staat existenzgefährdend. Niemals drohten der DDR die Menschen davonzulaufen. Der Bevölkerungsschwund erreichte im Jahresdurchschnitt knapp ein Prozent. Die über sowjetische Kanäle wie Lutsch nach Moskau weitergemeldete Übertreibung, die DDR stünde "buchstäblich vor dem Ausbluten", entsprach nicht den Tatsachen.

Angesichts der anhaltenden Verleumdungskampagne gegen die DDR scheint die Frage wichtiger, warum es die überwältigende Mehrheit ihrer Bürger eigentlich vorgezogen hat, selbst unter massivstem Druck des reicheren deutschen Staates und seiner alles durchdringenden Medien in ihrem Land zu bleiben, um unter schwierigeren Lebensbedingungen ein besseres Deutschland aufzubauen.

Dr. Bernhard Majorow

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Als sich das Osmanische Reich mit Blut besudelte

Zum Völkermord an den Armeniern

Über das tragische Schicksal der christlich-armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich (bis zu seiner Auflösung, 1922, anschließend Republik Türkei) wurde anläßlich der 100jährigen Wiederkehr des Gemetzels in der Presse ausführlich berichtet. Die Tatsache, daß es sich bei der Vertreibung und dem Mord an den Armeniern zugleich um die größte Christenverfolgung der Weltgeschichte handelte, die sich auch nach dem Ende des 1. Weltkrieges fortsetzte (Vertreibung der Assyrer und Griechen im Rahmen der "Türkisierung"), wurde nur am Rande erwähnt. Noch knapper schrieb die Konzernpresse über das "Wegsehen" des kaiserlich-deutschen Verbündeten angesichts der offensichtlichen Untaten und die Beihilfe seiner Militärmission im Land am Bosporus bei der "kriegsbedingten Umsiedlung" der Armenier. So heißt es noch immer in der offiziellen türkischen Staatsversion.

Doch welcher halbwegs aufgeklärte BRD-Bürger mußte nicht den Kopf schütteln ob des rhetorischen Hakenschlagens im Vorfeld der Bundestagsdebatte, als es um den längst überfälligen Begriff "Völkermord" ging. Frau Merkel vermied das Wort Genozid und saß mit gesenktem Kopf so da, als ob sie schliefe ... In den Jahren 1895/96 waren etwa 300.000 Armenier Massakern im Osmanischen Reich zum Opfer gefallen, während sich die christlichen Staaten Europas in recht ergebnisloser Diplomatie erschöpften. Und selbst diese unterblieb, nachdem es sich unter den nach einer Militärrevolte an die Macht gelangten Jungtürken den von Deutschland angeführten Mittelmächten im Herbst 1914 angeschlossen hatte. Im Inneren betrieb Ankara die Schaffung eines türkischen Nationalstaates ohne jegliche Konzessionen an im Lande lebende Minderheiten. Aber gegen alles, was nicht türkisch war, wurde seit 1914 mit zunehmender Härte eingeschritten. Im Juni 1915 begann der von langer Hand vorbereitete Genozid an den Armeniern. Innenminister Talaat verschickte seine Umsiedlungs- und Ausrottungsbefehle in alle Landesteile.

Einspruch dagegen erhoben, hinhaltenden Widerstand leisteten und tatkräftige Hilfe erwiesen dieser großen Volksgruppe etliche internationale Organisationen und Einzelpersönlichkeiten, die nicht wenigen Armeniern - speziell vielen Waisenkindern - das Leben retteten. Aber "mit eiserner Logik" verfolgten die Jungtürken Enver und Talaat ihren ideologisch begründeten Amoklauf, dem 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen.

Wie aber reagierte der Bündnisgenosse Preußen unter Kaiser Wilhelm II., wie Reichskanzler Bethmann-Hollweg, wie das deutsche Außenministerium, denen unablässig detaillierte Berichte zugingen? Noch glaubte man dort an den Sieg an allen Fronten, eine Aufgabe des Bündnisses mit der Türkei stand daher außer Frage. Nicht einmal zu einer geharnischten Demarche konnte sich die Berliner Wilhelmstraße aufraffen. Man rieb sich offiziell nicht an der menschenverachtenden Innenpolitik der Jungtürken, hatte man diesen Staat doch in der Vorbereitung des großen Krieges zum südöstlichen Verbündeten mit Stoßrichtung Rußland langfristig aufgebaut, wobei man von seiner vorteilhaften geopolitischen Lage und den kriegerischen Traditionen dieses früheren Weltreichs ausging. Über diese deutsch-türkische Liaison, die Ursachen des schrecklichen Geschehens einschließlich der Schilderung erschütternder Einzelheiten des unsäglichen Leids der Armenier berichtet Heinrich Vierbücher in seiner Schrift "Armenien 1915", die im Bremer Donat-Verlag erschienen ist.

Der Autor, SPD-Mitglied, vielseitig begabter Autodidakt, erlernte englisch, französisch, arabisch und türkisch. Bereits nach seiner Rekrutenzeit wurde er 1915 als Dolmetscher beim kaiserlichen Marschall Otto Liman von Sanders in Konstantinopel eingesetzt, der sich erfolgreich gegen die Massendeportationen von Armeniern gewehrt hatte. "Und es war die Erfahrung von Smyrna, die Vierbücher veranlaßte ..., die Frage nach der deutschen Mitverantwortung konsequenter als andere vor und nach ihm aufzuwerfen", schreibt Herausgeber Donat in seinem Nachwort.

Vierbücher, der drei Jahre als Übersetzer in der Türkei tätig war, konnte sich frei im Lande bewegen. Er wurde so ein authentischer Zeitzeuge des dortigen Geschehens.

"Der türkische Soldat war der ärmste Sklave des Militarismus ...; beim türkischen Militär war das Denken noch mehr ein Verbrechen als beim deutschen. Nie habe ich bei meinem jahrelangen Aufenthalt in der Türkei einen anderen Eindruck als den der dumpfen Verzweiflung gehabt; von einer Begeisterung, die die Herzen erfaßte, konnten nur deutsche Kriegsberichterstatter schreiben ... Der türkische Soldat wurde geschlagen ..., seine Familie konnte hungern. In Lumpen gekleidet, zum Teil barfuß, ... die Füße mit Stoff-Fetzen umhüllt ... Die Ernährung war ein Fraß, da die wertvolleren Nahrungsmittel von den Intendanten und Offizieren gestohlen wurden", stellte Vierbücher fest.

Und von diesem Verbündeten erhoffte sich der kaiserlich-deutsche Generalstab Großes im Krieg gegen Rußland. Er unterstützte deshalb die Türkei mit Unmengen an Reichsmark und Gold, auch wegen der angestrebten deutschen Vorherrschaft im Orient! Vor allem auch deshalb wurde der Bau der unvollendet gebliebenen Bagdadbahn in Angriff genommen. Der türkische Feldzug gegen Rußland wurde dann zum Desaster: Von 80.000 Mann kamen nur 20.000 zurück.

Weiter charakterisiert der Autor die neuen Machthaber: "Die jungtürkische Herrschaft stand vom ersten Tag an unter dem Zeichen der Diktatur ... Es ging nicht um neues Werden, nicht um Emporhebung des Volkes, sondern um die Befriedigung einzelner Menschen, denen das Volk nichts, die Selbstüberschätzung aber alles war. Die Jungtürken waren ebenso unfähig wie die Alttürken ..."

Am 21. April 1915 beschloß die türkische Regierung die Ausrottung des armenischen Volkes. Als erstes wurden in Konstantinopel etwa 590 von 600 armenischen Intellektuellen ermordet. "Allgemein wurden die Städte und Dörfer umzingelt und die Männer aufgefordert, ihre Waffen abzugeben ... Wer im Besitz von Waffen war, erlitt auf der Stelle den Tod durch Erschießen ... Die Männer wurden ­... oft schon in der Nähe des Ortes umgebracht."

Frauen und Kinder mußten sich dann innerhalb weniger Stunden nur mit Handgepäck zum Abtransport bereithalten - es ging meist zu Fuß über Tage in unbekannte Richtung unter unvorstellbaren Entbehrungen und Erniedrigungen: Vergewaltigungen ereigneten sich am hellen Tage, Frauen wurden von Gendarmerieoffizieren aus der Menge herausgerissen und an die Männer der Durchgangsorte verschenkt. Es gab nirgends Unterkünfte und keinerlei Verpflegung ...

Die Menschenmassen aus Trapezunt und Erzerum wurden bis zur Stadt Erzingan im Hochland Ostanatoliens und am 8., 9. und 10. Juni 1915 durch das Euphrattal zur Kemach-Schlucht getrieben. "Nur ein Bruchteil der Zehntausende erreichte diesen Ort. Berge von Leichen und Halbtoten wurden in den gähnenden Abgrund hinabgeschleudert ... Ein Blutstrom sickerte träge die Felswände hinab und vermischte sich mit den reißenden Fluten." Seriöse Schätzungen gehen von 25.000 Toten allein an diesem Schreckensort aus! Aber viele weitere Geschehnisse führt der Autor an, bei denen überall Massenmord an Armeniern - unterstützt auch von der manipulierten Bevölkerung - mit Tausenden Toten betrieben wurde. Ein Befehl des Innenministers Talaat lautete: "Es ist bereits mitgeteilt worden, daß die Regierung ... beschlossen hat, alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten ..."

Der Völkerbund appellierte dreimal vergeblich, die Entente brach jedes Versprechen. Der Friedensvertrag von Sevres sprach den Armeniern zwar ein Gebiet im Kaukasus zu, was aber Kemal Pascha (Atatürk) zu verhindern wußte. 1922 zerriß er den Friedensvertrag und warf 1,5 Millionen Griechen "unter barbarischen Umständen" aus dem Land. "Er konnte mit dem Besitz von Petroleumquellen in Mossul auftrumpfen. Und um des Petroleums willen sind die Armenier um ihre Zukunft betrogen worden." Kemal Pascha setzte 1923 in Lausanne einen Friedensvertrag durch, der ihm den Generalpardon brachte.

"Und das Leben oder Sterben eines kleinen Volkes ist eine Bagatelle, wenn dieses Volk die Torheit begangen hat, keine Goldminen und Petroleumfelder zu besitzen", konstatierte Vierbücher.

Über einen weiteren Hauptort des Genozids an den Armeniern - die Todesmärsche ohne Rückkehr in die syrische Wüste - berichtet der deutsche Konsul in Aleppo, Walter Rößler, im Buch "Entscheidung in Aleppo" von Kai Seyffarth, das ebenfalls im Donat-Verlag erschienen ist.

Gestützt auf Rößlers Berichte aus der letzten größeren Ansiedlung nach Osten und Station der damals im Bau befindlichen Bagdadbahn, schildert Seyffarth die zunehmende Eskalation bei der Armenier-Vertreibung. Im Amt mußte Rößler zwar vorsichtig agieren, tat das aber mit Zivilcourage. Dabei blieb er ein kaiserlich-preußischer Beamter, der glaubte, daß seine insgesamt über 200 Depeschen und Berichte oft haarsträubenden Inhalts an seinen Botschafter und ans Auswärtige Amt (AA) etwas bewirken könnten.

Rößler erkannte bald, daß es sich um ein koordiniertes Ausrottungsprogramm der türkischen Behörden handelte. Dagegen engagierte er sich in einem Netzwerk zur Rettung von Armeniern in und um Aleppo, das von Missionarinnen aus der Schweiz, Deutschland und Skandinavien, Vertretern europäischer und amerikanischer Hilfsorganisationen, deutschen Professoren und Lehrern, Kaufleuten, Offizieren sowie Ingenieuren der Bagdadbahn organisiert wurde, denen man die armenischen Arbeiter weggeholt hatte. Konsul Rößler übernahm dabei drei entscheidende Aufgaben: Intervention gegen Maßnahmen bei türkischen Stellen, verschlüsselte Weiterleitung ausländischer Zuwendungen und Nachrichtenübermittlung per Diplomatenpost.

Aleppo war Durchgangsstation für Hunderttausende armenischer Deportierter auf ihrem "Fußmarsch in den Tod". Angeblich wollte man sie in Mesopotamien ansiedeln, was hieß, sie in die dortige Wüste zu schicken, um sie elend verschmachten zu lassen. Die Monate Juli bis September 1915 wurden zum "Sommer des Todes". Anschließend gab es im Osmanischen Reich nur noch der Zahl nach nennenswerte Gruppen von Armeniern in Konstantinopel, Smyrna und Aleppo sowie in den Todeslagern Syriens und Mesopotamiens.

Aufschlußreich ist die Tatsache, daß Rößler drei Jahre nach seiner Rückkehr aus Aleppo als Zeuge der Verteidigung im Prozeß gegen den armenischen Attentäter Salomon Teilirian aussagen sollte. Dabei ging es am 15. März 1921 um einen tödlichen Anschlag auf den ehemaligen Innenminister und Großwesir Talaat Pascha, der sich mit Wissen des Auswärtigen Amtes unter falschem Namen in Deutschland aufgehalten hatte. Infolge von Bedenken des AA (!) kam es aber nicht zur Prozeßbeteiligung Rößlers, der unter Eid ja die Wahrheit über den Massenmörder Talaat hätte aussagen müssen.

Sensationellerweise erfolgte am 3. Juni 1921 sogar der Freispruch des jungen Mannes durch das Berliner Schwurgericht, nicht zuletzt auch aufgrund der emotionalen Schilderung der an seinen Schwestern und seiner Mutter begangenen Mordtaten. Jahre später stellte sich heraus, daß Teilirian gar nicht am Tatort gewesen war, also die Unwahrheit gesagt hatte.

Hans-Joachim Wagner, Berlin


Heinrich Vierbücher: Armenien 1915. Donat-Verlag, Bremen 2004, 104 S., eine Karte, 12 €, ISBN 3-934836-73-9

Kai Seyffarth: Entscheidung in Aleppo. Walter Rößler (1871-1929) - Helfer der verfolgten Armenier. Donat-Verlag, Bremen 2015, 352 S., diverse Abbildungen, eine Karte, 16,80 €, ISBN 978-3-943425-53-6


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Lebendig ans Kreuz geschlagene junge Armenierinnen

Ende RF-Extra

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Varoufakis: Man hätte ebensogut die schwedische Nationalhymne singen können

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Vom Kongreß der Erneuerung zum Kongreß der Solidarität

Belgiens PTB auf Erfolgskurs

Die Partei der Arbeit Belgiens - auf flämisch und französisch als PvdA/PTB abgekürzt - ist derzeit wohl Europas am schnellsten wachsende und Einfluß gewinnende marxistische Partei. Zählte sie noch vor wenigen Jahren nicht mehr als 2000 eingeschriebene Mitglieder, so konnte der im Juni auf dem "Kongreß der Solidarität" (wie der Parteitag bezeichnet wurde) wiedergewählte Parteivorsitzende Peter Mertens von inzwischen 10.000 Genossinnen und Genossen berichten. Bis 2020 sollen es 17.000 sein.

Waren auf die Liste der PTB 2007 nicht mehr als 50.000 Stimmen entfallen, so votierte 2014 bereits eine Viertelmillion wahlberechtigter Landesbürger für die Partei, was zum Einzug von zwei PTB-Mandatsträgern in das Nationalparlament führte.

Der jüngste Parteikongreß im Palais von Heyzel brachte die dynamische linke Formation wieder ein Stück voran. Während ihrer strategischen Orientierung ohne Zweifel die marxistische Theorie in ihren drei Bestandteilen zugrunde liegt, versteht es die PTB unter Vermeidung dogmatischer Positionen und sektiererischer Enge zugleich, auch jene Schichten der arbeitenden Bevölkerung, der Jugend und der Immigranten zu erreichen, die mit der revolutionären Theorie noch nicht in Berührung gekommen sind. Das drückt sich nicht zuletzt auch in der Vermeidung einer kopflastigen oder nur Eingeweihten zugängliche Terminologie aus. Die PTB zeigt damit anderen marxistischen Kräften, wie man komplizierte Dinge einfach und so erklären kann, daß selbst Außenstehenden der Zugang zur eigenen Erkenntnis erleichtert wird.

Besonders positiv wirkte sich die Erneuerung und Verjüngung der PTB-Führung aus. Auf dem "Kongreß der Solidarität" hielt der erst etwas über 40jährige, hochgebildete und außergewöhnlich kommunikative Parteivorsitzende Peter Mertens eine programmatische Rede. Mit seinem Namen verbindet sich eine echte Wende in der Politik der PTB, die 2008 mit dem "Kongreß der Erneuerung" eingeleitet wurde.

Die Bedeutung jenes Kongresses kann man nur ermessen, wenn man sich mit der gesamten Entwicklung der PTB vertraut macht, die ursprünglich als abgeschirmte Kaderorganisation ohne hinreichende Verbindungen mit der Arbeiterklasse und breiteren Volksschichten durch eine Gruppe linksgerichteter Studenten ins Leben gerufen worden war. Innere Auseinandersetzungen kosteten viel Kraft, bis sich in einem jahrelangen Klärungsprozeß solide marxistische Kräfte innerhalb der Partei und ihrer Führung durchzusetzen vermochten.

Doch bereits aus zurückliegender Zeit gibt es Beachtliches zu vermelden. So schuf die PTB ein landesweites Netz von Ärztehäusern für die ärmeren Schichten der Bevölkerung, wobei die Tatsache zu Buche schlug, daß sich unter den Parteigründern etliche Medizinstudenten befunden hatten. Doch der Weg zu einer einflußreicheren Partei mit klarer Kursnahme wurde erst nach dem bereits erwähnten "Congrès du Renouveau" - dem Erneuerungskongreß - konsequent und erfolgreich eingeschlagen. Dabei hatten außer Peter Mertens, der mit dem Bestseller "Wie können sie es wagen" auch ein theoretisch gewichtiges Buch schrieb, gestandene und neu hinzugekommene Kampfgefährten großen Anteil. Zur Vertiefung der ideologischen Debatte trägt nicht zuletzt auch die von Herwig Lerouge herausgegebene theoretische Zeitschrift "Études Marxistes" erfolgreich bei.

Der "Congrès de la Solidarité" hat nun weitere Pflöcke eingeschlagen und der Partei neue Einflußsphären erschlossen. Interesse erweckte die mehrfarbige neue Parteifahne, auf der neben den roten und gelben Sternen erstmals auch ein grüner Stern zu entdecken war, was auf die Absicht einer Verstärkung ökologischer Aspekte im Wirken der PTB schließen läßt.

Nach dem Parteitag befragte die PTBMonatszeitschrift "Solidaire" eine Reihe von Delegierten und Gästen nach ihren Eindrücken. Die 27jährige Irina Meeusen aus Antwerpen sagte dem Reporter: "Wir konzentrieren uns heute auf den sozialen Kampf und arbeiten für Alternativen und konstruktive Lösungen im Hinblick auf die drängendsten Probleme. Doch wir müssen zugleich tiefer über den Gesellschaftstyp nachdenken, den wir wollen und verteidigen." Es gehe um Ausgeglichenheit zwischen der Wahrung prinzipieller Grundlagen der PTB - des Marxismus - und klugem Herangehen an neue Fragen, welche die Entwicklung der Gesellschaft in Belgien aufwerfe.

Peter Mertens, der die enthusiastische und zugleich warmherzige Atmosphäre des Kongresses hervorhob, sagte zum gleichen Thema: "Nach dem Fall der Berliner Mauer haben die Ideologen der Bourgeoisie das Ende der Debatte über ein neues Gesellschaftsmodell verkündet und dekretiert, daß es zum Kapitalismus keine Alternative gebe. Inzwischen aber wird in Teilen Europas und besonders in Lateinamerika von neuen Generationen über Gesellschaftsmodelle ohne Ausbeutung diskutiert. In den Dokumenten der PTB über den Sozialismus im 21. Jahrhundert wird eine Reihe zum Ziel führender Pisten angeboten." Ein neuer Wind wehe auch in Spanien und Griechenland. Doch wenn ein Volk wie das hellenische eine andere Option als die von Washington, Berlin und Brüssel vorgegebene treffe, dann zähle das in deren Augen überhaupt nicht. Das einzige, was für sie Geltung habe, sei das Diktat der Europäischen Kommission. Diese "Aristokraten des Geldes" verkündeten ohne Skrupel, daß es keinen anderen Weg gebe als den von ihnen diktierten Austeritätskurs.

Angesichts solcher Tatsachen hat die PTB den Völkern Griechenlands und Spaniens auf sehr spezifische Weise ihre Solidarität bewiesen. Raoul Hedebouw, einer der beiden PTB-Abgeordneten, begab sich nach Athen, um dort im Plenum des griechischen Parlaments den Standpunkt seiner belgischen Genossen zur EU darzulegen. Und nicht zufällig wurde der junge Spanier José Enrique Alonso Velasco von der erfolgreichen Bewegung gegen die Zwangsexmittierungen auf dem Kongreß im Palais de Heyzel mit großer Wärme empfangen.

Übrigens: Dem dort gewählten Nationalrat der PTB - er ist das höchste Führungsgremium der Partei - gehören 30 der 45 Mitglieder erstmals an.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Kuba erwartet Papst Franziskus

Bereits im Juli teilte die in Havanna erscheinende Tageszeitung "Granma", die den bevorstehenden Besuch des Pontifex maximus in der karibischen Inselrepublik ankündigte, Einzelheiten des Programms für den Aufenthalt des Papstes mit. Es beruht auf einer Vereinbarung zwischen dem Vatikan, der kubanischen Regierung und der Konferenz der katholischen Bischöfe Kubas.

Am 19. September würden die kubanische Regierung und die Bevölkerung Havannas Franziskus "den allerherzlichsten Empfang" bereiten, hieß es in der Verlautbarung. Am darauf folgenden Tage werde der Papst auf dem hauptstädtischen Platz der Revolution "José Martí" eine öffentliche Messe abhalten. Anschließend statte er dem Präsidenten des Staats- und des Ministerrates der Republik Kuba, Armeegeneral Raúl Castro Ruz, einen Höflichkeitsbesuch ab, um zum Tagesabschluß in der Kathedrale von Havanna mit Geistlichen, Gläubigen und Seminaristen zusammenzutreffen. Im Kulturzentrum "Felix Varela" werde der Papst überdies von jungen Leuten willkommen geheißen.

Am 21. September begebe sich der Heilige Vater nach Holguin, um auf dem dortigen Platz der Revolution "Calixto Garcia Iñiguez" eine weitere Messe zu zelebrieren. Noch am selben Tag reise er nach Santiago de Cuba weiter, wo er in der Basílica eine dritte Messe lesen werde. Er wolle auch dort anwesende kubanische Familien begrüßen.

Das Organ der KP Kubas deutet die zu erwartende Atmosphäre an, wenn es schreibt: "Während seines Besuchs wird Papst Franziskus vom Volk und der Regierung Kubas mit Achtung, Zuneigung und Gastfreundschaft umgeben sein."

Am 27. September werde der Pontifex maximus in der Heldenstadt durch die Bevölkerung Santiagos und die kubanischen Repräsentanten verabschiedet.

RF, gestützt auf "Granma", Havanna


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Am 9. Juli bereitete Boliviens erster indigener Staatschef Evo Morales dem aus Ekuador kommenden ersten lateinamerikanischen Papst einen überaus herzlichen Empfang. Nach einer Umarmung beider Männer überreichte Morales, den Franziskus "Bruder Präsident" nannte, dem Oberhaupt der katholischen Kirche ein künstlerisch gestaltetes Kruzifix auf Hammer und Sichel. Bei einer Messe in der Kathedrale von La Paz hielt der für seinen Wagemut bekannte Papst - Presseberichten zufolge - eine "kapitalismuskritische Rede".

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Die "Cuban Five" auf Robben Island

In der zweiten Junihälfte besuchten die fünf Kundschafter der Seguridad del Estado - Gerardo Hernández, Ramon Labañino, Antonio Guerrero, Fernando González und René González -, die wegen ihrer Aufklärertätigkeit unter exilkubanischen Terroristen in Miami mehr als 16 Jahre in den USA eingekerkert waren, die Republik Südafrika. Am 23. Juni begaben sie sich auf die zwölf Kilometer vor Kapstadts Küste gelegene einstige Zuchthausinsel Robben Island, wo Nelson Mandela 18 seiner insgesamt 27 Haftjahre unter qualvollsten Bedingungen hatte zubringen müssen. Ahmed Kathadra, einer der engsten Kampf- und Leidensgefährten des südafrikanischen Nationalhelden, führte sie in dessen unvorstellbar enge und feuchte einstige Zelle.

Bevor die "Cuban Five" Robben Island verließen, erinnerte Fernando González daran, daß Fidel Castro am selben Tag vor 14 Jahren mit Blick auf das weitere Schicksal der in den USA zu hohen Freiheitsstrafen und lebenslänglicher Haft Verurteilten seine feste Überzeugung geäußert habe: "Sie werden ganz bestimmt nach Kuba zurückkehren."

Gerardo Hernández schrieb in das Besucherbuch der am 1. Januar 1997 in ein Museum umgewandelten und 1999 durch die UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Zuchthausinsel: "Es war uns eine große Ehre, gemeinsam mit einigen der tapferen Kampfgenossen Nelson Mandelas diesen Ort besuchen zu können. Sie waren für uns fünf Kubaner in den Kerkern der Vereinigten Staaten eine Quelle der Inspiration und Stärkung, mehr als 16 Jahre dem Druck des Feindes standzuhalten."

In Südafrika wurden die "Cuban Five" durch die ANC-Fraktion des Parlaments empfangen. Lechesa Tsenoli, Vizepräsident der Nationalversammlung, hieß sie als beispielhafte Kämpfer und ermutigende Vorbilder herzlich willkommen.

Er hob bei dieser Gelegenheit die Tatsache hervor, daß Kuba immer treu und zuverlässig an der Seite jener gestanden habe, die sich in Südafrika für die Beseitigung der Apartheid eingesetzt hätten. Die "Cuban Five" trafen auch mit ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe sowie den Führern der Gewerkschaftszentrale COSATU und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) zusammen.

Nach ihrem am 3. Juli abgeschlossenen Südafrika-Besuch begaben sich die fünf als "Helden Kubas" dekorierten Kämpfer zunächst nach Namibia, um ihre Afrikareise in Angola abzuschließen. Dort hatten drei von ihnen - Gerardo, Fernando und René - einst als kubanische Internationalisten an der Seite der MPLA gegen die Invasoren des südafrikanischen Apartheidregimes an der Front gestanden.

RF, gestützt auf Prensa Latina

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Zwei Parteienblöcke wetteifern um die Gunst der USA und der NATO

Was aus Albanien geworden ist

Die sowjetische Führung unter Nikita Chruschtschow verkündete Anfang der 60er Jahre ein Verdikt gegen die unbotmäßige Partei der Arbeit Albaniens (PPSH) und Enver Hoxha (1908-1985), der sie seit ihrer Gründung 1941 bis zu seinem Tod als Erster Sekretär des ZK geführt hat. Es kulminierte am Jahresende 1961 im einseitigen Abbruch der diplomatischen und aller anderen Beziehungen zur seinerzeitigen Volksrepublik Albanien. Nicht alle folgten der Moskauer Vorgabe ganz: Statt der Botschafter amtierten rund 25 Jahre Geschäftsträger in Tirana und in Berlin, wobei die DDR einer der größten Handelspartner des kleinen Landes an der Adria mit seinen knapp 3,2 Millionen Einwohnern (1989) blieb. Für DDR-Bürger war Albanien seitdem nur noch eine Terra incognita. Die Normalisierung der staatlichen Beziehungen zwischen der DDR und Albanien, das sich ab Mitte der 80er Jahre als Sozialistische Volksrepublik bezeichnete, änderte daran wenig.

Die Konterrevolution der Jahre 1989 bis 1991 machte um Albanien keinen Bogen. Es kam zu einem totalen Zusammenbruch von Industrie und Landwirtschaft, ja sogar der staatlichen Strukturen. Die Armee zerfiel, die Waffenarsenale wurden geplündert. Das führte 1997 zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Analphabetentum und Bandenkriminalität sowie die Blutrache erlebten nach einem halben Jahrhundert ihre Wiederkehr. Es kam zu einer massenhaften Emigration vor allem jüngerer Menschen. Etwa eine halbe Million Albaner soll seither auf Dauer im Ausland leben - meist als dort ungeliebte Billigstarbeiter.

Wenden wir uns nun der Parteienlandschaft Albaniens zu, wie sie sich in 25 Jahren Kapitalismus herausgebildet hat. Sie unterscheidet sich erheblich von den Strukturen früherer Sowjetrepubliken und der anderen ehemals sozialistischen Staaten Europas.

Ähnlich wie dort "sozialdemokratisierte" sich auch die bislang herrschende Partei PPSH, die 1989 knapp 150.000 Mitglieder hatte. Eine Zeitlang konnte sie nach ihrer Umbenennung in Sozialistische Partei (SP) noch weiterregieren. Doch bald übernahm die am 12. Dezember 1990 gegründete "Demokratische Partei" (DP) unter Führung des Renegaten Sali Berisha das Ruder. Seither wechseln sich beide Parteien in der Regierung ab. Doch seit den Wahlen zur Nationalversammlung im Jahre 2013 schlossen sich von den etwa 70 bestehenden Parteien rund 60 zu zwei großen Blöcken zusammen.

Der erste Block mit der demagogischen Bezeichnung "Allianz für Arbeit, Wohlfahrt und Integration" aus 25 Parteien, geführt von Berishas damals regierender DP, kann als bürgerlich bezeichnet werden. Er steht für engste Anbindung an die NATO und das Streben in die EU, verbunden mit totaler Unterwerfung unter die US-Politik. Die meisten Gründer und Führer der neuentstehenden Parteien dieses "demokratischen" Blocks waren zuvor Mitglieder der PPSH. Berishas Block bekam zur Wahl aber nur noch 40,7 % der Stimmen und 57 Mandate.

Bemerkenswerter für unsere Betrachtung ist daher der siegreiche zweite Block "Allianz für ein europäisches Albanien" aus 37 Parteien, geführt von der Sozialistischen Partei - dem Rechtsnachfolger der PPSH. Die Führer der exkommunistischen SP, die sich selbst als sozialdemokratisch definiert, wetteifern übrigens mit der DP darin, wer von ihnen am US- und NATO-hörigsten ist. Der Block erhielt 57,7 % der Stimmen und 83 Mandate.

Was Albanien jedoch von anderen Staaten Osteuropas unterscheidet: Dem von der SP geführten Block gehören sogar gleich fünf sich als marxistisch-leninistisch bezeichnende Nachfolgeparteien der PPSH an, die sich zu jener positiv bekennen. Die bekannteste und aktivste von ihnen ist die Kommunistische Partei Albaniens (PKSH). Ihr Initiator war 1991 Hysni Milloshi (1946-2012), bis zu seinem Tode Erster Sekretär des ZK. Auf einem Vereinigungskongreß im Jahre 2006 schlossen sich dieser Partei weitere kommunistische Kleinstparteien an. Bei allen bisherigen Wahlen erhielt die KP stets deutlich weniger als 10.000 Stimmen. Als einzige unter den PPSH-Nachfolgern leistet die PKSH internationale Arbeit und beteiligte sich sporadisch an den von der KP Griechenlands organisierten Treffen und Initiativen der kommunistischen und Arbeiterparteien.

Programmatisch unterscheiden sich die in Albanien bestehenden kommunistischen Parteien kaum voneinander: Strategisches Ziel ist der Sozialismus, also die Wiederherstellung sozialistischer Produktionsverhältnisse in Industrie, Bergbau und Landwirtschaft und die Wiedererrichtung der Volksmacht. Sie treten für eine blockfreie Außenpolitik ein. Was den albanischen Weg zum Sozialismus zwischen 1944 und 1991 angeht, werden die sehr erheblichen Deformationen dieser Jahre nicht deutlich genug benannt. Die zahlreichen kommunistischen Klein- und Kleinstparteien sind trotz der Mitgliedschaft in einem Wahlblock untereinander überaus heftig zerstritten und verschleißen ihre Kräfte überwiegend in Fraktionskämpfen. Vergangenheitsdebatten beherrschen das Parteileben, was zu immer neuen Spaltungen und Fusionen sowie zu Parteiwechseln führt.

Zum Abschluß des Berichts noch etwas Erfreuliches: Aus Anlaß des 70. Jahrestages der Befreiung Gjirokastras, der Geburtsstadt Enver Hoxhas, durch die von ihm geführte Antifaschistische Nationale Befreiungsarmee fand dort im September 2014 eine von der Stadtverwaltung organisierte öffentliche Großveranstaltung statt, an der sogar Regierungsmitglieder aus Tirana teilnahmen.

Es waren aber nicht nur einige der wenigen noch lebenden hochbetagten Veteranen des antifaschistischen Befreiungskampfes erschienen, sondern Menschen aller Altersgruppen. An der Demonstration nahmen auch Hunderte Schüler teil, die symbolisch rote Pionierhalstücher trugen. Man sah Fahnen in gleicher Farbe und Spruchbänder, die an vergangene Zeiten der Volksmacht erinnerten. Gerade dieser Teil der Demonstration erhielt den lebhaften Applaus nicht weniger Einwohner.

Siegfried R. Krebs


Der Autor bedankt sich bei der in Wien in der Emigration lebenden Germanistin und Linguistin Shpresa Musaj für deren Übersetzungsarbeiten, Hinweise und Erlebnisberichte.

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Als 300.000 junge Franco-Kanadier eine rechte Regierung zu Fall brachten

Der legendäre Studentenstreik in Québec

Im Februar 2012 begann in Kanadas französischsprachiger Provinz Québec eine sich bis in den September fortsetzende Kampfaktion von außergewöhnlicher Durchsetzungskraft. Es handelt sich um ein in der kanadischen Presse monatelang für Schlagzeilen sorgendes, aber im Ausland kaum beachtetes Ereignis. Drei Viertel der an Québecs Universitäten, Hoch- und Fachschulen Studierenden traten in einen von wachsenden Teilen der übrigen Bevölkerung unterstützten unbefristeten Streik, um einen Frontalangriff der rechtsgerichteten Provinzregierung abzuwehren.

Um was ging es? Das von der Liberalen Partei bereits seit neun Jahren gestellte Kabinett hatte kurzerhand vollendete Tatsachen schaffen und die bis dahin niedrigsten Studiengebühren ganz Nordamerikas in Stufen um 75 % erhöhen wollen. Das Ziel war eine Angleichung der Sätze an die bei Elite-Universitäten in den USA und im englischsprachigen Teil Kanadas geltenden Modalitäten. Demgegenüber waren die Tarife in Québec ausgesprochen maßvoll und auch für Kinder ärmerer Familien erschwinglich. Mit "nur" 1500 kanadischen Dollars stellten sie gewissermaßen eine "Anomalie" dar.

Um diesen Zustand zu beheben und die Herbeiführung "landesüblicher Konditionen" zu ermöglichen, verkündete das Québecer Provinzkabinett eine Übernahme der in anderen Landesteilen geltenden Verhältnisse.

Raymond Bachand, der damals als Finanzminister amtierte, bezeichnete den Angriff auf den Etat geringverdienender Familien und oftmals noch zu Nebenjobs gezwungener Studenten als "kulturelle Revolution".

Die Protestaktionen gegen diese wurden von einer sich als "Breite Koalition für gewerkschaftliche Solidarität der Studenten" bezeichnende Organisation getragen. Deren Sprecher war der damals erst 23jährige Gabriel Nadeau-Dubois, der jetzt ein spannendes und bereits preisgekröntes Buch "Den Kopf behalten!" über die Kämpfe im Frühjahr und Sommer 2012 vorgelegt hat. Er gewährte der belgischen Monatszeitschrift "Solidaire" ein Interview, auf dessen Kernaussagen wir zurückgreifen.

"Meine Eltern haben sich als Aktivisten der Studentenbewegung während eines Streiks in Québec kennengelernt. So war es völlig normal, daß ich mich ebenfalls engagierte", berichtete Gabriel.

Bei der Aktion von 2012 sei es um ganz konkrete Dinge gegangen, wobei man das langfristige Ziel - ein völlig gebührenfreies Studium für alle - nicht aus den Augen verloren habe. Die rechtsgerichtete Provinzregierung Québecs habe mit einem so lange anhaltenden Widerstand der Studenten nicht gerechnet. Doch nach etwa zwei Monaten sei sie zu der Erkenntnis gezwungen worden, daß es sich inzwischen um weit mehr als eine Blockierung von Hochschultoren und Hörsälen gehandelt habe. Linke politische Parteien und die Unions hätten die Reihen der streikenden Studenten verstärkt.

Die Bewegung sei aus sehr kleinen Anfängen stürmisch gewachsen, sagte Gabriel. Als die Frage eines studentischen Ausstandes erstmals in einer Vollversammlung aufgeworfen worden sei, hätten nur zwölf der 1800 Anwesenden dafür gestimmt. Doch bereits in den folgenden Beratungen habe sich ein gegenteiliger Schneeball-Effekt gezeigt. Jetzt sei das Kräfteverhältnis genau umgekehrt gewesen: Drei Viertel aller Studenten Québecs weigerten sich, in ihre Seminarräume zurückzukehren. Sie seien in ganz kurzer Zeit enorm politisiert worden.

"Wir machen jeden Tag Politik", stellte Gabriel Nadeau-Dubois fest. "In normalen Zeiten wird sie hierzulande allerdings nur einmal in vier Jahren veranstaltet. Man wählt, und die Sache hat sich erledigt. Das zumindest ist es, was die Führer wollen. Doch Politik ist viel mehr als eine bloße Stimmabgabe."

Die Jugend Québecs habe einen Erziehungsprozeß durchlaufen, der zu einer Radikalisierung geführt habe. Dagegen hätten die Widersacher des Studentenstreiks Tricks aller Art angewendet. So seien von den sehr minoritären Befürwortern der drastischen Gebührenerhöhung plötzlich eigene "Streikposten" aufgestellt worden, um die Aktion zu unterlaufen. Sie hätten Zugänge zur Universität blockiert und erklärt: "Wir lehnen den Streik ab, fügen uns aber den Beschlüssen der Mehrheit."

Doch solche Täuschungsmanöver hätten nicht verfangen. Am Ende sei die Regierung zum Rücktritt gezwungen worden, und die geplante Gebührenerhöhung habe nicht stattgefunden. Übrigens ist den Akt ionen von 2012 in diesem Jahr ein weiterer "heißer Frühling" gefolgt. Am 12. März 2015 kündigten 30.000 Studenten Québecs einen zweiwöchigen Sozialstreik an, der mit einer machtvollen Straßendemonstration gegen die Austeritätspolitik einer weiteren rechtsliberalen Provinzregierung seinen Anfang genommen habe.

Die inzwischen auch gewerkschaftlich fest verankerte Bewegung der künftigen Akademiker hat unterdessen ein neues Kampfziel ins Auge gefaßt: den Widerstand gegen den multinationalen Konzern TransCanada, der eine 4600 km lange Ölleitung - den Oleoduc - mit ernsten Risiken für die Umwelt und das soziale Leben im Lande zu errichten beabsichtigt.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin unter schwarzen Freunden

Als mich die DDR nach Guinea entsandte (5)

1.3.1975
Unter den Schülern ist eine gewisse Nervosität zu spüren. Ist das ein Gerücht oder schon beschlossene Sache, daß die Studenten, zu denen auch unsere Schüler gehören, ihr Studium unterbrechen und einen großangelegten Landeinsatz durchführen sollen? Es läßt sich nicht leugnen, die Versorgung mit Lebensmitteln wird immer schlechter, zumindest in der Stadt. Nicht selten kamen die Schüler ohne Frühstück zum Unterricht. Verständlich, daß hier etwas unternommen werden muß.

3.3.1975
Heute wurde bekannt, daß dieser Einsatz tatsächlich stattfinden wird. Sie sind aufgeregt wie vor einer großen Reise und können sich nicht mehr recht auf den Unterricht konzentrieren. Ich will wissen wie sie zur Grünen Revolution stehen. Kurz gesagt - sie stehen voll dahinter. Natürlich gibt es auch Vorbehalte einzelner. Cece hat Angst, daß er alles wieder vergißt. Roger möchte fertig werden, um endlich Geld zu verdienen. Keba und Karifala müssen sich von ihren Mädchen trennen. Die meisten nehmen's als Abenteuer, als willkommene Unterbrechung des Schulalltags.

Dieser tatkräftige körperliche Einsatz bei der Feldbestellung wird mit einer zweiten ebenso wichtigen Aufgabe verbunden, der Alphabetisierung. Das ist das Zauberwort, der Schlüssel für jede weitere Entwicklung. In Guinea und anderen ehemaligen Kolonialländern kompliziert sich dieser Prozeß durch die verschiedenen Sprachgruppen. In Guinea gibt es mindestens acht davon. Jedes Land braucht aber eine Amtssprache, die jedem geläufig sein muß. Würde man eine dieser Sprachen zur Amtssprache erklären, käme es unweigerlich zu Konflikten. So muß wohl oder übel die Sprache der verhaßten Kolonialherren in der nächsten Zeit noch als allgemeines Kommunikationsmittel dienen.

Präsident Sekou Touré hält jeden Morgen in seinem langsamen, deutlich akzentuierten Französisch eine kurze Ansprache an sein Volk über Radio Conakry, in der er wichtige Tagesfragen erörtert. Wen aber erreicht er damit? Wer besitzt ein Rundfunkgerät oder kann die Tageszeitung "Horoya" lesen? So soll also ab zweitem Schuljahr Französisch gelehrt werden, was landesweit aber so schnell niemals möglich sein kann. Unsere Schüler werden Ansprachen des Präsidenten und Artikel in die jeweilige Landessprache übersetzen und vielleicht auch kommentieren und so Mittler sein zwischen dem Neuen und dem Alten. Welch schöne Aufgabe für die jungen Menschen!

Ich muß die Aktion "A la campagne!" (Aufs Land!) richtig finden, obwohl viele andere aus unserer Vertretung da skeptisch sind. Ich gebe zu, daß das Ziel die eine Seite ist, die Durchführung aber eine andere, weitaus problematischere. Doch immerhin - es geschieht etwas. Wie anders als durch die Erschließung eigener Quellen kann das Ernährungsproblem gelöst werden? Durch Importe, durch Almosen ganz bestimmt nicht. Sicher wird auch in den nächsten Jahren noch nicht genug Reis geerntet werden. Wir müssen lernen, in geschichtlichen Zeiträumen zu denken.

Das Jahr der Unabhängigkeit war für Guinea das Jahr Null. Mit welch anderen Voraussetzungen haben wir in der sowjetisch besetzten Zone 1945 begonnen! Wir hatten eine Industrie, wenn auch zum größten Teil zertrümmert, aber wir besaßen Erfahrungen, hatten kaum Analphabeten, eine organisierte Verwaltung. Wenn ich das alles überdenke, wird mir wieder einmal klar, wie selbstgerecht und ungerecht wir Europäer immer wieder über die Entwicklungsländer urteilen. Auch das Regieren will gelernt sein! Ich habe alle Hochachtung vor ihrem Wirklichkeitssinn, der genau die Forderung des Tages erkannt hat: mit eigenen Kräften der Versorgungslage Herr zu werden.

Was aber wird mit uns Lehrern während des Landeinsatzes? Die Antwort erhalten wir bald. Wir sollen "Skripten" verfassen, eine Art Lehrbriefe, mit deren Hilfe die Ausbildung im Selbststudium fortgesetzt werden kann. Die Mädchen werden weiter in der Schule lernen, damit später die Plätze für die Jungen frei sind. Ich habe mich also hingesetzt und Lehrbriefe verfaßt, was mir viel Spaß bereitet hat. Als ich mit dem ersten zu Diakite kam, bedankte er sich wie immer bei ähnlichen Gelegenheiten überschwenglich. Aber ich war wohl die einzige, die sich mit diesem putzigen Auftrag befaßte.

Abends hatte ich Gäste - Ismael, der kluge, dunkelschöne Urwaldsohn - war auch dabei. Er entstammt einer hochangesehenen Häuptlingsfamilie.

Die Unterhaltung riß nicht ab und mündete bald in den riesigen Fragenkomplex, wie die Sache mit dem Kapitalismus wohl weitergehen und auch von den Entwicklungsländern aufgenommen werden wird. Ismael lenkte das Gespräch und glättete die Wogen. Nächstes Jahr soll er als Instrukteur für "ideologische Aufklärung" nach Boke gehen, wo das für die Aluminiumherstellung notwendige Bauxit gewonnen wird. Guinea besitzt zwei Drittel aller Bauxitvorkommen der Erde!

Vor der Unabhängigkeitserklärung 1956 wurden sie von einem kapitalistischen Trust abgebaut, dem die USA, Frankreich, England, die Schweiz und die BRD angehörten. Danach stellte man die Förderung zunächst ein. Sie kam aber in den 60er Jahren wieder in Gang - allerdings mit dem Unterschied, daß Guinea nun immerhin zur Hälfte daran beteiligt ist. Verständlich, daß das enge Nebeneinander kapitalistischer Firmen mit der jetzt sozialistisch orientierten ehemaligen französischen Kolonie zu Spannungen führen muß. Ismael wird der Richtige sein, in Boke Einfluß zu gewinnen und in der Arbeiterschaft eine Keimzelle sozialistischen Denkens zu schaffen. Aber ohne wirtschaftliche Erfolge, die sich in einer Verbesserung des täglichen Lebens des ganzen Volkes widerspiegeln, verpufft alle schöne Theorie! Widersprüche sind einkalkuliert. Eine gesellschaftliche Systemänderung, also eine Revolution, ist niemals von heute auf morgen zu erreichen.

3.8.1975
Die Zeit verrinnt, das dritte Jahr hat schon begonnen. Meine Schüler sind wohlbehalten aus dem Landeinsatz zurückgekommen. Nur einer, Ibrahim, ist nicht dabei. Er habe im Fluß gebadet, sei dabei von einer Giftschlange gebissen worden und schon 20 Minuten später tot gewesen. Ach Ibrahim, wie sah er nur aus, auf welcher Bank saß er? Ja, dort in der Mitte, ein kleiner dicklicher Junge war er. Wir legen eine Gedenkminute für ihn ein.

In kürzester Zeit müssen sie jetzt das Pensum nachholen. Die wenigsten haben mit den Lehrbriefen gearbeitet. Das war vorauszusehen. Die Zwischenprüfung haben alle bestanden, auch Tirow Sow, der Schwächste. Ich wage den Einwand, er hätte doch rein gar nichts gewußt. Diakite macht ein verschlossenes Gesicht: Die Weiße hat sich nicht in unsere Angelegenheiten einzumischen. "Er hat bestanden", sagt er mit Nachdruck. "Er hat während der Campagne sehr gut gearbeitet." Nur das zählt jetzt. Warum auch nicht? Reis anbauen ist vorerst wichtiger als Leukozyten zählen. Ich muß kapieren, daß in einem ausgeplünderten Land nicht alles zu gleicher Zeit in guter Qualität anlaufen kann.

Renate Teller, Worpswede

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Begegnung mit Grândola Vila Morena

In der Nacht zum 25. April 1974 übertrug der Sender Radio Club Português ein damals verbotenes, inzwischen aber in aller Welt bekanntes Lied des herausragenden portugiesischen Komponisten José Afonso. Es war das Signal für die Erhebung von antifaschistischen Offizieren geführter Einheiten der Armee gegen die seit 1926 bestehende faschistische Diktator Salazars und Caetanos. Die Volksmassen, vor allem das von der Portugiesischen Kommunistischen Partei geführte Industrieproletariat, kamen den aufständischen Militärs sofort zu Hilfe. Mit dem Sieg der Nelkenrevolution begann ein zweijähriger Prozeß tiefgreifender Umwälzungen, dem die von der NATO und einer Reihe imperialistischer Staaten - vor allem der BRD und den USA - inspirierte Konterrevolution ein Ende bereitete.

Eine Portugalreise führte uns unlängst in das alentejanische Landstädtchen Grândola. Nach Bewältigung anfänglicher Kontaktschwierigkeiten trafen wir dort auf den Uhrmacher und Kommunisten Pedro Costa - einen alten Freund des Genossen Steiniger aus seiner Zeit als ND-Korrespondent in Portugal. Dessen Freude war groß, als wir ihm herzliche Grüße aus Berlin übermittelten. Die Verständigung gestaltete sich etwas kompliziert, da wir des Portugiesischen leider nicht mächtig sind. Als wir Pedro auf dessen Nachfrage, ob es sich um "Klaus" handele, dies bestätigten, trat ein Lächeln freudiger Erinnerung in sein Gesicht. Trotz bereits fortgeschrittenen Alters und des Verlusts seiner Frau, die eine Zeitlang Grândolas kommunistische Bürgermeisterin gewesen war, machte Pedro einen ungebrochenen Eindruck.

In der Stadt des berühmten Afonso-Liedes nahmen wir auch das dort errichtete Denkmal mit Noten und Text von "Grândola, Vila Morena" und einer überdimensionalen Nelke des April in Augenschein. Der Abstecher in die kleine Kreisstadt, die seit den letzten Kommunalwahlen wieder von den Kommunisten verwaltet wird, war ein Höhepunkt unserer Portugalreise.

Alfred Krommel/Günter Waldeck, Lamstedt

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Mein Vater war Kindergruppenleiter in Heinrich Vogelers Worpsweder Heim

Der Artikel von Marianne Walz über Heinrich Vogeler im Juli-RF veranlaßte mich, in schriftlichen Hinterlassenschaften meines Vaters Richard Thiede, Leipzig, nachzuschauen.

"Bei mir gab es keine besondere Trennung zwischen 'Kinderland'- und Jugendarbeit. Es war ein fließender Prozeß, der meine politische Entwicklung bestimmte. Auch wenn es uns als Arbeiterjugend im 1. Weltkrieg und den nachfolgenden 20er Jahren dreckig ging, waren für uns Klassenbewußtsein und ein fester Klassenstandpunkt Herzenssache.

Wir waren und blieben vielseitig in Bewegung. Nichts konnte uns umwerfen, auch wenn es in den Reihen der organisierten Jugend damals sehr bunt ausgesehen hat", las ich dort.

1978 notierte mein Vater: "Nach dem 1. Weltkrieg und der Novemberrevolution lautete bekanntlich die Parole: 'Der Kaiser ging, die Generale blieben.' Das galt für die gesamte Beamtenschaft, den Polizei- und Justizapparat sowie die alte Lehrergilde. Diese wirkte weiter als Jugendvergifter. Das war der Ausgangspunkt für den Kampf um ein Schulsystem, das allen Kindern armer Herkunft und ohne Geldbeutel eine neue, freie, einheitliche, weltliche, sozialistische Bildung vermitteln sollte.

In diesem Sinne betätigte sich auch Heinrich Vogeler vorbildlich und aktiv. Viel Wert wurde auf die Erziehung der Erzieher gelegt. Die Kindergruppenleiter, darunter auch ich, wurden geschult, mußten sich mit pädagogischen Fragen befassen und an Aussprachen in den Helfer-Zusammenkünften beteiligen. Damals las ich u. a. Heinrich Vogelers Buch 'Die Arbeitsschule als Aufbauzelle der klassenlosen menschlichen Gesellschaft'. In diesem Geist wirkte eine Vielzahl sozialistischer und kommunistischer Lehrer ..."

Mein Vater schrieb: "Der Maler Heinrich Vogeler stellte seine Künstlerklause, ein Bauernanwesen im Künstlerdorf Worpswede (Lüneburger Heide) in diesen Jahren der Roten Hilfe als Kinderheim zur Verfügung. Sein enger Helferkreis waren Jugendgenossen aus verschiedenen linken Organisationen - Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten. Seine Wirtschaft wurde von zeitweiligen Hilfskräften aus der wandernden Jugend unterstützt. Ich selber hatte etwa drei Monate meiner Wanderschaft durch Deutschland dort Torf gestochen und so für die Winterbefeuerung mit gesorgt ... All das und weitaus mehr - das Zusammengehörigkeitsgefühl und die gegenseitige Hilfe - waren gelebte Solidarität, die bis heute in uns fest verankert ist."

Soweit die Notizen meines Vaters. Ich selbst besitze noch Heinrich Vogelers "Arbeitsschule" und weitere Bücher dieser Art.

Der damalige Zusammenhalt der organisierten sozialistisch-kommunistisch-syndikalistischen Jugend sollte Beispiel für die Überwindung heute leider noch bestehender Uneinigkeit unter Linkskräften, Friedensfreunden und Kriegsgegnern sein. Mit Toleranz, Geduld und unter Zurückstellung von Rechthaberei wie dem Verzicht auf das "Kochen des eigenen Süppchens" sollten wir uns alle um die Schaffung eines notwendigen Gegenpols zum Deutschland der Kriegstreiber und ihrer politischen Erfüllungsgehilfen bemühen.

Gert Thiede, Suhl

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Der Maler und Kommunist Walter Womacka war Realist und Visionär

Einer, der Farbe bekannte

Der Maler Walter Womacka (1925-2010) hat in der Blütezeit seines Schaffens, die fast deckungsgleich mit 40 Jahren DDR war, Hunderte wirkgewaltige Bilder und zugleich Zeichen in seine Stadt Berlin, sein Land und das Bewußtsein der Menschen gesetzt. Als Rektor der Kunsthochschule wirkte er ab 1968 zwanzig Jahre lang für die Heranbildung einer Generation junger Bildkünstler, Architekten und Formgestalter. Walter Womacka hat die Zeichen seiner Epoche in einer kunstgeschichtlich gültigen Weise imaginiert, interpretiert und visualisiert. Das kennzeichnet ihn als einen Großen der Bildkunst. Am 18. September jährt sich Walter Womackas Todestag zum fünften Male.


Wer sich in der einstigen DDR-Hauptstadt rings um den Alexanderplatz umschaut - wie zuvor die Mitte einer Weltmetropole - erkennt die baulich-bildlichen Zeugen des Arbeiter-und-Bauern-Staates.

Walter Womacka hat sie geschaffen oder maßgeblich geprägt: Das architektonische Ensemble mit dem Haus des Lehrers und dem Kongreßzentrum, das Haus des Reisens und der emaillierte "Brunnen der Völkerfreundschaft" geben einen Teil des Hauptwerkes wieder. Von dem 125 Meter lang den Baukörper umlaufenden und 7 Meter hohen Fries aus Mosaiksteinen blicken selbstbewußt die Gestalten der Arbeiter und Bauern, Gelehrten und Studierenden, der Mütter, Kinder und Soldaten. Farbenfroh und hart konturiert zeigen sie sich, dabei realistisch und harmonisch komponiert. Solcherart bejahende Darstellungen, die auch ohne Verschlüsselungen lesbar sind, kommen intellektualistisch angehauchten bürgerlichen Kunstliebhabern eher in die Quere. Doch die unvoreingenommenen Betrachter und erst recht die Mitstreiter des Sozialisten und Kommunisten Womacka haben das Ensemble auf dem Alex zu seiner Einweihung 1964 vielfach diskutiert und in Besitz genommen.

Begonnen hatte Walter Womacka, der 1952 an der Dresdener Hochschule für Bildende Künste diplomiert worden war, mit Tafelmalereien und Druckgrafiken. Er zeigte vor allem produktiv schaffende Menschen, von der harten Tagesarbeit oder vom Lebenswerk ausruhend oder auf dem Feld, bei der Fischerei oder in der Fabrik. Die ins Bild Gesetzten strahlen Stolz, Zukunftsgewißheit und Klassenbewußtsein aus.

Als er die anspruchsvollen Aufträge für die Gestaltung der Berliner Mitte übernahm, hatte er mit seiner Bildsprache bereits Millionen von DDR-Bürgern erreicht. Sein Bild "Junges Paar am Strand" war 1962 zu einem kaum wiederholbaren Publikumserfolg gediehen. Die Ästhetik aus Liebe, jugendlicher Frische und Meer begeisterte auf eine bis heute einzigartige Weise. Doch unpolitisch ist es keinesfalls. Das junge Paar am Strand ist sich der Geborgenheit sicher. Es kostet unbeschwert und angstfrei die Zartheit und den Zauber der ersten, erregenden Berührung aus. Das Bild hing millionenfach reproduziert in Jugendzimmern der DDR und des Auslands. Es gelangte 1973 aus dem Nachlaß Walter Ulbrichts, der es vom Maler als Geschenk empfangen hatte, in die Dresdener Galerie Neue Meister.

Das Hohelied auf überschäumende Lebenslust klingt auch in Hunderten Blättern, Tafeln, Wandfriesen durch, auf denen Womacka Blumen, Landschaften, Stadtansichten, Liebes- und Familienglück darstellte. Mit Porträts von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte erweiterte er seine "Fangemeinde" auch international. Kern der bildkünstlerischen Mission Womackas blieb jedoch die befreite Arbeit im Sozialismus.

Auf das Tafelbild für den Wandschmuck im durch die Sieger auf Zeit abgerissenen "Palast der Republik" malte Womacka 1975 den Traum der Kommunisten: Hinter sich die Befreiten, vor sich im Blick das Bedrohliche, die mit Laokoon-Griff zu fassende Schlange des Feindes. Diese Tafel und andere bewegliche Bildobjekte verschwanden nach 1990 in Depots und Privatsammlungen. Präsent bleiben einige der baugebundenen Werke, andere Wand- oder Glasbilder wurden zusammen mit den Gebäuden vernichtet.

In seinen 2004 beim Verlag Das Neue Berlin veröffentlichten Erinnerungen "Farbe bekennen" hat Walter Womacka seine Haltung dargestellt. Er bekennt sich zum kommunistischen Geschichts- und Menschenbild. "Ich bin, seit ich politisch denke, davon überzeugt, daß soziale Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden nicht von einer Gesellschaft gestiftet werden können, in der das Geld der Maßstab aller Dinge ist", erklärt er. Anläßlich einer seiner letzten Vernissagen - 2004 in Eisenhüttenstadt - erwähnt er ein Beispiel: "Viele freuen sich, daß das Bild 'Am Strand' nun doch in der Ausstellung hängt. Zunächst sah es so aus, daß die Auflagen des jetzigen Eigentümers die finanziellen Möglichkeiten der Veranstalter überfordern würden." Der jetzige Eigentümer: das Bundesvermögensamt! Es hält offenbar ein berühmtes Bild, das mit Gewißheit auf dem kapitalistischen Kunstmarkt Riesensummen einbrächte, wie ein Pfand fest. Baugebundene Bilder hingegen wie das Wandbild am Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der DDR hätten Kosten verursacht, um sie vor der Abrißbirne zu retten, und wurden vernichtet. Beschämend für jene, welche die Kunst dem Kapitalmarkt unterwarfen.

Walter Womacka hat seine Gedanken seit der angeblichen Wende verbildlicht, so auf drei Tafeln gleichen Titels. "Nachdenken I, II und III" zeigen die Scheinwelt des Kapitals. Ein Covergirl vor Autoschrottbergen, ein weiteres vor schmerzvoll Schreienden und die notorischen drei (Menschen-)Affen, die Sehen, Hören und Reden verweigern. Dazu gesellt sich eine dritte, grell gestylte Frauengestalt vor den Horrorvisionen der Angst und Vereinsamung. Den Untergang des Sozialismus in Europa malt Womacka als tödlich getroffenen Kampfstier vor rotem Tuch, darunter zwei 1995er "Stern"-Titelbilder mit Gorbatschow-Porträt.

Der Traum von der befreiten Arbeit hat sich nicht erfüllt - vorerst. Was die Bildwerke Walter Womackas heute bewirken können: Streitgespräche über die Vision auszulösen und Konsequenzen zu erörtern. Und Anregungen vermitteln an zeitgenössische, dem Realismus verpflichtete Bildkünstler, sich des Sujets "der arbeitende Mensch und seine Würde" mit kritischer Intention anzunehmen. Am 22. Dezember würde Walter Womacka 90 Jahre alt.

Marianne Walz

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Die Grafikerin Gertrud Zucker illustrierte die Bücher des 2015 verstorbenen Autors

Erinnern an Peter Abraham

Peter Abraham lernte ich im Zug auf der Rückfahrt von den Tagen der Kinder- und Jugendliteratur kennen, die alljährlich in einer DDR-Bezirkshauptstadt stattfanden. Schriftsteller und Illustratoren trafen sich mit Bibliothekaren und Lehrern, um dann in die umliegenden Städte und Dörfer auszuschwärmen und ihre neuesten Bücher in Schulen und Bibliotheken vorzustellen.

Wir hatten Kinder im gleichen Alter, und vor allem frönten wir gleichermaßen einer Leidenschaft - dem Segelsport. Von da an verbrachten wir viele Sommer gemeinsam auf Elbe und Oder, auf dem Schweriner See, vor Hiddensee und auf der Müritz. So blieb es nicht aus, daß wir auch gemeinsam Kinderbücher in die Welt setzten. Mir gefielen Peter Abrahams Erzählfreude, sein Humor, die Art, wie er schrieb, und ihm muß es mit mir genauso gegangen sein. Auch der Kinderbuchverlag unterstützte unsere Zusammenarbeit. Wir machten zusammen "Das Schulgespenst", das viele Auf lagen hatte und - von Rolf Losansky verfilmt - ein großer Erfolg bei Kindern und Eltern wurde.

Sein Debüt hatte Peter Abraham aber mit "Die Schüsse der Arche Noah", bebildert von Klaus Ensikat - ein Paukenschlag, wie ich finde (verfilmt von Egon Schlegel). Es ist ein Schelmenroman, in dem er seine höchst merkwürdige einzigartige Kindheit verarbeitet. Das Engagement seines Vaters gegen den Faschismus, mit Pässe- und Lebensmittelkartenfälschen, um jüdischen Mitbürgern zu helfen, blieb neben Lustigem und Kauzigem sein lebenslanges Thema. Es kränkte ihn nach der "Wende" sehr, daß ein Buch wie "Pianke" unbeachtet blieb und nicht für würdig befunden wurde, wieder aufgelegt zu werden, obwohl es in der DDR Schulstoff war, oder vielleicht gerade deshalb! Er fand, daß es ein wichtiges Buch wäre, welches vor Faschismus und Krieg warnt, eindringlich geschrieben für Kinder und darum so nötig in der heutigen Zeit - eindrucksvoll auch die Verfilmung von Gunter Friedrich.

Ich möchte darin erinnern, was für großartige Menschen das Kulturleben der DDR ausgemacht haben. Peter Abraham war schon krank, als ich ihm mit ein paar Bildern zu einem seiner Texte eine Freude machen wollte. Mit Hilfe der Cheflektorin des ehemaligen Kinderbuchverlags Berlin, Dr. Katrin Pieper, ist bei LeiV Leipzig ein Bilderbuch daraus geworden. Ob er es allerdings noch mit Bewußtsein aufgenommen hat, weiß ich nicht. Es heißt "Greta und ihr Krickelkrakel". Mich hat es noch einmal glücklich gemacht.

Gertrud Zucker, Bad Saarow

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Compañera Christa: Für junge und jung gebliebene RotFüchse

Ein Schlüssel im Ozean?

Weiße Elefanten begegnen uns auf dem Weg nach Mawanella. Es gibt sie also wirklich, denke ich, und über ihnen wiegen sich die Palmen im leichten Wind. Wir fahren vorbei an Reisfeldern, rot blühenden Bäumen, an Hütten mit Palmstroh gedeckt. Davor stehen junge Frauen mit Kindern, bunt gekleidet wie Blumen. Durch Hitze und Staub fahren wir und wissen nicht, was uns erwartet.

Gunasena Vithana, der Kulturverantwortliche des Zentralkomitees der KP Sri Lankas, und Thomas Kupfer, Kulturattaché unserer DDR-Botschaft in Colombo, begleiten uns.

Wir erreichen die Stadthalle von Mawanella. Im Saal blicken uns 70 bis 80 freundliche fremde Gesichter entgegen. Wir werden sehr herzlich begrüßt. In unserer Anwesenheit soll eine neue Freundschaftsgesellschaft Sri Lanka - DDR gegründet werden.

Wir werden hier über unser Land erzählen, über Kunst und Kultur. Und Willi Meinck, mein Reisegefährte, liest in englischer Sprache einen Essay über Martin Wickramasinghe, den kürzlich verstorbenen berühmtesten Dichter des Landes. So steht es in meinem Reisetagebuch.

Wir schreiben das Jahr 1982. Die Insel Sri Lanka (früher Ceylon) unter der Regierung von Frau Bandaranaike war eines der ersten jener Länder, welche die DDR anerkannt hatten und diplomatische Beziehungen zu ihr aufnahmen. Willy Meinck, Autor der bekannten Marco-Polo-Bücher, und ich sind Gäste des Ministeriums für Kultur in Colombo. 1981 war der Premierminister Sri Lankas, Ranasinghe Premadasa, zu Gast in der DDR gewesen. Im Rahmen eines Kulturabkommens zwischen der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka und der DDR gab es einen ständigen Austausch von Kultur und Künstlern beider Länder.

Das ermöglichte uns die vierwöchige Studienreise durch dieses Land, von dem Ernst Haeckel einst schwärmte, es sei "das Herz des Paradieses".

Nach dem Empfang im Kulturministerium führt uns die Südtour nach Galle, Matara und Kogalla zum Martin Wickramasinghe Memorial. Dann stehen wir am Grab dieses ehrwürdigen Dichters, dessen Leben und Werk tief in seinem Volk verwurzelt war - ein Gorki Sri Lankas. Magischer Zauber herrscht hier, der süßschwere Geruch der Blüten betäubt uns, und im lauen Wind flüstern die Bäume. Gunasena Vithana begleitet uns. Willy ist mit ihm befreundet. Guna war schon einige Male Gast in der DDR, ein schmaler Singhalese im weißen Gewand, Dichter und Kommunist, der vor kurzem für seine Werke mit dem Lotospreis ausgezeichnet wurde. Was wir in diesen vier Wochen in Sri Lanka erlebt haben, ist in Kürze schwer zu beschreiben.

Wir hatten Meetings mit Freundschaftsgesellschaften, mit singhalesischen und tamilischen Schriftstellern der People's Writers Front Colombo, besuchten tamilische und singhalesische Schulen, trafen den Völkerkundler Prof. Anuradha Senevira, der zwei Jahre bei Prof. Mode an der Universität Halle seine Doktorarbeit schrieb, begegneten dem jungen Regisseur Aryatna Vithana, der in der DDR an der Hochschule für Film und Fernsehen studiert hatte, lernten die Schauspielerin Somalatha Subamasinghe, Direktorin der Kinder- und Jugend-Theaterschule in Colombo und Vorsitzende der Brecht-Gesellschaft in Sri Lanka kennen. Auch sie war mehr als ein Jahr in der DDR bei Kurt Bennewitz am Weimarer Theater tätig gewesen.

Auf der Nordtour erlebte ich eine Überraschung der besonderen Art, die unsere Botschaft in Colombo und der Gouvernements-Agent von Trincomalee, Mr. Lionel Fernando, vorbereitet hatten. In einem Freiluftkino für 900 Zuschauer lief unser DEFA-Kinderspielfilm "Ein Schneemann für Afrika", den ich 1976 geschrieben hatte. Die Kleinen und die Großen waren gleichermaßen begeistert und behängten uns mit Blumenketten.

Doch uns erwarteten noch weitere Höhepunkte. In der heiligen Stadt Kandy empfing uns der 81jährige buddhistische Oberpriester Mahatera Nyana Ponika, der während der Zeit des Faschismus als junger Mann von Deutschland nach Ceylon geflüchtet war und jetzt eine Hütte im Garten der Könige von Kandy bewohnte. Er gewährte uns ein Interview in deutscher Sprache. Wir sprachen über grundlegende Gemeinsamkeiten von Marxismus und Buddhismus sowie dessen friedensstiftende Aura. Über die politische Weltlage war der Mahatera bestens informiert. Zum Abschied schenkte er uns sein Buch "Gleichmaß des Geistes" in deutscher Sprache. Das Buch trägt noch den Geruch der Ferne und ist von Termiten angefressen. So liegt es jetzt vor mir.

Einen wunderbaren Künstler lernten wir in seinem Atelier kennen, den Maler George Keyt, den man den "Picasso Asiens" nannte. Er lebte in den 20er Jahren in Paris und hatte Pablo Picasso als Lehrmeister. Keyts Bilder atmen eine berauschende Sinnlichkeit, bereichert durch die Farbenwelt der Tropen. Wir waren auch beim Neujahrsfest zugegen, das in Sri Lanka Mitte April gefeiert wird, besuchten in Thulhiriya das mit Hilfe der DDR gebaute Textilkombinat "Tultex", fuhren mit Fischern auf dem Indischen Ozean zum Nachtfang. Nach drei Wochen blickte mich aus dem Spiegel eine braunhäutige Frau im Sari an.

Und da kam er, der ungezügelte Gedanke, den Hausschlüssel in den Indian Ocean zu werfen ... Aber wir sind heimgekehrt, hatten die honigsüße Frucht des Lotos gekostet, aber wollten Kunde bringen von diesem uns befreundeten, herrlichen Land und seinen wunderbaren, sanften, friedvollen Menschen. Wenige Wochen später erfuhren wir aus den Zeitungen von sich zuspitzenden Spannungen zwischen Tamilen und Singhalesen, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten, welche viele Jahre lang anhielten. Für uns war das kaum vorstellbar.

Sri Lanka im Herzen, schreibe ich diese Zeilen ...

Christa Kozik

*

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Der Krieg hatte ein hübsches Gesicht. So erwartungsvoll sah ich meine Mutter nie vorher lächeln; mit einer Art Hoffnung, für die es wohl vorher keinen Grund gegeben hatte.

Ich war acht Jahre alt, meine Mutter wies mich an, wie ich die eingeweichten Strümpfe waschen und hängen solle.

Sie selber müsse sofort zu Oma und Opa, weil heute in der Nacht wahrscheinlich der Krieg ausbricht. Und dabei lächelte sie, als würde eine zweite günstigere Hoch-Zeit für sie ausbrechen.

Es kam für sie gar nicht schlecht. Der versoffene Ehemann wurde für sechs Jahre eingezogen, sie bekam zum ersten Mal in ihrem Leben monatlich die gleiche Summe ausgezahlt, und als die ersten Bomben auf Berlin fielen, steckte sie drei ihrer Kinder am Schlesischen Bahnhof ohne nähere Erläuterung in ein Zugabteil.

Wo wir dann hinkamen, zeigte der Krieg ein anderes Gesicht. Die Natur verhielt sich zwar so, als verfüge sie noch immer über Jahreszeiten, über Himmel und Erde, aber es gab keine kundigen starken Männer mehr, nur die Frauen, die Kinder und neben den Kriegsgefangenen - richtigen Menschen, wirklich! und ganz anders als der Ostmark-Altnazi, unser Oberlehrer, sie uns nahebringen wollte, um uns von ihnen fernzuhalten. Nicht grüßen, keine Antwort geben, sie mit Schweigen strafen. Wofür?

Über diese Frage ist viel Leben gegangen, das ich so und nicht anders haben wollte. Es muß ja nicht stimmen, warum und wie alles begonnen hat. Aber seltsam ist doch, daß ich dieses glückliche Lächeln meiner Mutter bei der Mitteilung, der Krieg werde ausbrechen, nie vergessen habe.

Ich war erst siebzehn Jahre alt, und meine ersten Schwiegereltern waren gutmütige einfache Leute, lebten in ihrer engen Wohnung in ihrer kleinen Stadt, hatten ihre lebenslange Liebe, ihr immer gleiches Sonntagsessen, vorher geliebtes Karnickel, sie strebten nach "Schafskopf" in der Freizeit und ehernen Regeln für den Rest der Menschheit.

Zufall, daß wir einmal am tödlich langweiligen Kaffeetisch über den Krieg sprachen. Diese beiden, zwei schlichte Menschen, hatten "alles verloren."

Ich wußte bis dahin nicht, daß sie außer dem sichtbaren Zeug je etwas besessen hatten. Der kleingewachsene schmale Mann war Grobschmied bei der Eisenbahn, kriegsuntauglich, und er hat nicht viel verdient. Zu einer Urlaubsreise etwa hatte es nie gelangt, aber der Sohn durfte studieren. Nach dem Krieg, "wo sie alles verloren" hatten. Was?! Was hatten sie verloren? Nun ja, sie hatten jeden Monat 25 Reichsmark eingezahlt.

Nach dem Endsieg sollten sie einen Bauernhof in der Ukraine kriegen. Nein, sie hatten den Leuten nichts getan, sie kannten die ja gar nicht. Ich fragte, wo "die" denn geblieben wären, wenn andere ihren kuhwarmen Stall und ihre Betten übernommen hätten.

Mit siebzehn fragt man weiter, auch wenn Schwiegermutter dann beleidigt weint und ihr Hermann "das nicht erträgt". Sie hat niemandem was getan.

Was jene Zeit mit all ihren grauenvollen, lebenslangen Versehrtheiten für jeden vernunftbegabten Menschen, für jeden, der sich auf Moral beruft, wirklich zu bedeuten hatte, welch eine grauenvolle Vision sich da verbrecherisch austobte, welche Lehren die Menschheit daraus ziehen müßte, das wollte ich wissen. Es trieb mich auf einen Weg, weit weg von den ehemals Meinen.

Nur: Immer, wenn ich denke, wir seien jetzt ein historisches Stück weiter, und zwar in der richtigen Richtung, dann war es doch wieder Taktik und gehörte zur Strategie.

"Der Krieg hat's geschafft. Jetzt is' er um uns rum" sagt ein Altmieter im Hausflur, wo man sich beim Sortieren der Werbung aus dem Briefkasten trifft.

Wir sehen uns an und nicken. Das haben wir auch früher gemacht und immer gewußt, was gerade damit gemeint war. Ehe ich gehe, sage ich aber noch: "Das wußten wir doch schon seit den Siebzigern."

"Die Mütterlichen" greifen anders nach einem Kind, das Trost braucht. Das "Mütterliche" hat sich langsam vom Geschlechtlichen getrennt. Es gibt mütterliche Männer wie Frauen. Außer natürlich, die konfrontierte Person hat gerade Dringenderes zu tun, als sich mit der Angst eines weinenden Kindes zu befassen. "Ich kann doch deswegen nicht die Gesetze ändern", sagt die derzeitige Kanzlerin der Deutschen.

Daß sie selber kein Kind hat, ist nicht wichtig. Man kann ihr einen Platz an einem Verhandlungstisch überlassen, und sie wird 19 Stunden lang gegen die Rechte eines anderen Landes auftreten, obwohl auch dieses tapfer widerstehende, aber der Erpressung unterliegende Land einmal unter den deutschen Eroberern gelitten hat. Darüber gab es in der DDR-Literatur zu lesen, ich erinnere mich an die Novelle von Franz Fühmann.

"Ehe der Krieg beginnt / wird das Volk verarmt / bis es die Feinde schlagen muß, als wärs der eignen Armut Schluß ... / Wenn keins sich mehr des anderen erbarmt / sich nur nach dem Sterben noch umarmt / dann riechst du den Krieg im Wind / ehe der Krieg beginnt."

Damals, das war 1992. Und die letzte Zeilen hießen: "Und das Leben verdirbt / wenn nur eine Stadt wie Sarajevo stirbt."

Allons, enfants de la Patrie? Wer mit wem?

Eine Zeitlang haben wir in der DDR zu glauben gewagt, uns und unseren Kindern bliebe jeder weitere Krieg erspart, denn es brauchte keines neuen Beweises, daß es für Waffen in der modernen Welt der Technik keinen Sieg mehr gibt. Aber es haben sich neue Namen für alte Konflikte, Gegnerschaften und alte Rechnungen gefunden. Wieder werden Berg und Meer, Himmel und Erde bemüht, um die Stärke gegeneinander auszuloten und aufzurüsten.

Die alte Frage: Cui bono? läßt sich aber immer noch, scheinbar altmodisch, beantworten. Und wenn eine Seite keinen Nutzen anstrebt, so fürchtet sie doch die Niederlage und den unendlichen Schaden. Also tun alle Seiten, als ob sie sich nur schützen.

Wir wissen, wie der Irakkrieg begründet wurde, wie der Zwist zwischen den Israelis und den Palästinensern am Leben gehalten wird; auch, von wem die nun so gefährlichen Gesinnungstäter, nicht glaubwürdiger als einst die Kreuzritter, so ausgestattet wurden, wie sie jetzt, seltsamerweise, nicht zu besiegen sind.

Es kann uns nicht gleichgültig sein, was Rußland widerfährt, wie die Verleumdung und Unterstellung zur Tarnung eigener Ansprüche als Weltherrschaft bemüht wird.

"Kind, ich wünsch dir einen Frieden / der noch deinen Kindern taugt / wo der Wald ein grün' Versteck ist / und das Feld nicht ausgelaugt ... Kind, ich wünsch dir einen Frieden / aber das Vergessen nicht / wünsch dir langen, tiefen Frieden / und ein menschliches Gesicht ..."

In Weimar lebte vor Jahrhunderten ein sehr kluger Mensch. Er hat bis in sein Alter an einem Stück geschrieben, darin gibt es eine Vision. Im 2. Teil, 5. Akt:

"Eröffn' ich Räume vielen Millionen / Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen."



Frieden wie das eigne Leben

Soll der Mensch den Menschen nie mehr
nach der Schlacht betrauern
muß auf dieser Erde eben
Frieden wie das eigne Leben
kostbar sein und dauern

Daß die Bäume und die Leute
ganz normale Jahrzeit haben
daß sie üppig umgehn können
mit den schönen Gaben

Daß uns Felder, Wald und Wiesen
nicht an Giften sterben
grüne Wälder, satte Erde
wolln wir vererben

Städte, um darin zu wohnen
schöner, als mans kannte
ohne Angst soll Liebe aufblühn
und das ihr Verwandte

Unsre Arbeit reiht dies Land hier
zu den schönen Ländern
was uns noch nicht gut gediehn ist
laßt uns verändern

Aus G. Steineckert: Nun leb mit mir.
Verlag Neues Leben, Berlin 1976

*

Leserbriefe an RotFuchs

Die Idee, den 70. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus in Moskau mitzuerleben, kam mir bereits im vergangenen Dezember. Damals begann gerade eine neue Welle der Hetze gegen Rußland, untermalt mit bösartigen Lügen zur historischen Befreiungstat der Sowjetarmee. Wir waren vom 5. bis 12. Mai in Moskau - zwar nur zu zweit, aber voller Begeisterung. Als Deutsche mit guten Absichten trafen wir auf gleichgestimmte Gäste aus Rostock und Riesa.
Der Parade am 9. Mai folgte die Demonstration, bei der die Kinder, Enkel und Urenkel Bilder ihrer im Großen Vaterländischen Krieg gefallenen Eltern, Groß- und Urgroßeltern mitgeführten. Es war sehr bewegend. An Straßenkreuzungen standen Gruppen mit Instrumenten, die uns bekannte russische Lieder sangen. Dort blieb ich natürlich stehen und sang einfach mit. Der russische Mensch ist ganz anders, als er BRD-Bürgern heute durch die Medien eingeredet wird. Ich habe das schon vor sechs Jahren auf der heute wieder russischen Krim erlebt, speziell in Sewastopol, wo junge Leute die Toten des 2. Weltkrieges ehrten. Wir dürfen nie vergessen, daß die Völker der Sowjetunion den höchsten Blutzoll im Kampf gegen den Faschismus erbracht haben. Das kann Deutschland nie wiedergutmachen. Was wir indes können, ist das Gedenken an die Toten und die Erinnerung an den Sieg der Roten Armee wachzuhalten.

Norbert Glaske, Eberswalde


Im Vorfeld des 50. Jahrestages der Veröffentlichung des Braunbuches am 2. Juli 1965 stellten interventionistische Künstlerinnen und Künstler im U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord die Frage: Wer war Albert Norden? Sie hatten dazu eine thematische Installation in einem Ladenlokal am dortigen Cecilienplatz eingerichtet. Diese machte die Besucher mit der Vita des Genossen Albert Norden und dem Entstehen des international vielbeachteten, von den BRD-Oberen aus gutem Grund gefürchteten Braunbuches bekannt. Es beweist die personelle Kontinuität zwischen dem 3. Reich und dessen Bonner Rechtsnachfolgerin.
Unmittelbar nach 1990 begannen die Eliten der BRD, die Namen der Widerstandskämpfer gegen den deutschen Faschismus aus dem öffentlichen Raum Ostberlins zu entfernen. Der Sohn des in Theresienstadt ermordeten deutschen Oberrabbiners Joseph Norden war ihnen ein besonderer Dorn im Auge. Ihm verziehen sie das Braunbuch, das sie zutiefst getroffen hatte, in keiner Weise. Darin waren Hans Globke, der Kommentator der Nürnberger Judengesetze, Bundeskanzler Kiesinger, Baden-Württembergs Ministerpräsident Filbinger, Bundesinnenminister Schröder und andere Nazis in Spitzenpositionen der BRD - insgesamt 2300 Personen - entlarvt worden. Aus Rache dafür wurde der Name Albert Nordens 1992 vom Straßenschild in Marzahn-Kaulsdorf getilgt. Die Straße heißt wieder nach der Naziheroine und Kronprinzessin Cecilie Auguste Marie Herzogin zu Mecklenburg-Schwerin.

Herbert Rubisch, Berlin


Nie wieder Krieg! Diesen Ruf vernahm man unablässig nach dem fürchterlichen Mordfeldzug der deutschen Faschisten. Kriegsministerin von der Leyen scheint besorgt zu sein, daß sie nicht sämtliche Kriegsschauplätze der Welt mit ihren Soldaten zu beschicken vermag. Ihre jungen "Leutnants" müssen wie Hausierer Klinken putzen, wo das Kanonenfutter zu finden ist: an Schulen, Universitäten und ähnlichen Einrichtungen. Dort stellt man den Jugendlichen und oft sogar noch Kindern die Bundeswehr in den leuchtendsten Farben dar, als ob es für sie keine bessere Zukunft gäbe! Das "As im Ärmel" spielt bei der Werbung keine Rolle, aber Frau von der Leyen wird sich auch um "schöne Zinksärge" zu kümmern wissen.
Als 91jährige rufe ich Euch zu: Laßt Euch nicht in diese Falle locken!

Elisabeth Monsig, Gartz


Auf einer von Cuba si organisierten Rundreise konnten wir 1994 an Ort und Stelle erleben, welche schlimmen Folgen der völlig alleingelassene sozialistische Inselstaat nach dem Sieg von Konterrevolutionen in den Warschauer Vertragsstaaten Europas zur Folge gehabt hat. Doch unter der Führung von Fidel Castro stand Kuba die unendlich schwere "Sonderperiode" durch. Bis heute dauert trotz eingetretener Lockerungen die 1962 verhängte US-Blockade an. Als wir jetzt wieder drei Wochen auf der Insel waren, beruhigte uns sehr, wie überzeugend die kubanischen Genossen aus unserem Versagen gelernt haben. Sie versichern, auch unter den neuen Bedingungen anderswo begangene Fehler zu vermeiden.
Ein politischer Höhepunkt der Reise erwartete uns im Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) in Havanna. Hier trafen wir mit Fernando González, einem der nach langjähriger US-Haft freigekämpften fünf kubanischen Kundschafter, zusammen, der sich auch bei uns herzlich für die Solidarität bedankte.
Wenn wir das 1994 in Kuba Gesehene mit unseren jetzigen Eindrücken vergleichen, können wir unseren Freunden nur höchste Bewunderung zollen. Auch deswegen bitten wir Euch, weiterhin mit schärfster und wenn nötig auch mit bissigster Zunge im besten linken Monatsblatt deutscher Sprache die Wahrheit über die Entwicklung in Kuba und der Welt zu schreiben.

Dietmar Rausch, Gera


Ohne Zweifel hat der Zusammenbruch der mit der Sowjetunion verbunden gewesenen sozialistischen Staaten Europas den stockreaktionären Kräften in den USA und nicht nur dort einen enormen Schub verschafft. Besonders ausgeprägt sind diese Wirkungen im militärischen Bereich. "Hannibal ante portas" hieß es einst. Doch dieses Mal sind es NATO-Raketen fast "vor den Toren" Moskaus! Der "russische Bär" reagiert kaltblütig darauf. Denn im Ernstfalle wäre auch das Land am anderen Ufer des Atlantiks erstmals von Gegenschlägen atomarer Art betroffen.
Es geht den USA und der NATO darum, den Bären gehörig zu reizen. Dafür gibt es vielerlei Methoden, und man kann sich nicht allein auf auswärtige Kräfte verlassen. Wichtig ist den Gegnern Rußlands vielmehr, im Lande selbst zumindest mittelfristig stärker Fuß zu fassen. Das funktioniert erfahrungsgemäß ziemlich einfach, denn Unzufriedene gibt es schließlich überall. Derartige Konstrukte könnten aus allen möglichen Anlässen zu Demonstrationen aufrufen, die sich zu Unruhen ausweiten lassen. Es ist naheliegend, daß dieser vorerst noch kleine Teil der russischen Gesellschaft Putin und seiner Politik nicht nur mit Haß begegnet, sondern auch auf dessen Abgang hinarbeitet.

Dr. agr. Günther Freudenberg, Bernburg


In der letzten Woche jedes Monats warte ich fiebernd auf den Beginn des nächsten, um endlich den neuen "RotFuchs" aus dem Briefkasten nehmen zu können. Interessante und aufschlußreiche Artikel sind dafür verantwortlich, daß man stundenlang mit dem Lesen verbringt. Jetzt aber will ich mich selbst kurz zu einem Thema äußern. Bekanntlich hat Nikita Chruschtschow, Sohn eines ukrainischen Bergarbeiters und in den 50er Jahren Generalsekretär der KPdSU, die zuvor Bestandteil des russischen Zarenreiches und der RSFSR gewesene Halbinsel Krim willkürlich der Ukrainischen SSR zugeschlagen. Inzwischen wurden die ehemaligen Sowjetrepubliken eigenständige Nationalstaaten, darunter auch die Ukraine. Die Krim kehrte nach einem völkerrechtlich einwandfreien Referendum zu Rußland zurück. Chruschtschows Willkürakt wurde von der überwältigenden Mehrheit der Krimbewohner aufgehoben. Es ist grotesk, das als "Völkerrechtsverbrechen" zu bezeichnen, wie es Frau Merkel in Moskau getan hat.
In Wahrheit geht es um etwas ganz anderes: die strategische Bedeutung der Krim, einer Halbinsel zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer. Was noch viel wichtiger ist: Der russische Strom Don mündet ins Asowsche Meer und ist durch den Wolga-Don-Kanal mit der Wolga, die im Kaspischen Meer mündet, verbunden. Das sind strategische Wege in das Innere Rußlands. Putin hat den entsprechenden Überlegungen der NATO-Strategen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Klaus Glaser, Schwarzenberg


Die Krim ist weder ur-russisches noch ur-ukrainisches Gebiet, sondern war Jahrhunderte von nichtslawischen Völkern besiedelt. Von 1478 bis 1783/92 hatte das Kahnat der Krimtataren und -nogaier, welches weite Teile des "ukrainischen" Festlands umfaßte, eine Art "Assoziierungsabkommen" mit der "Hohen Pforte" des Osmanischen Reiches. Diese Vorgeschichte sollte nicht im Interesse einer "glatten" Geschichtsdarstellung unterschlagen werden.

Dr. Hermann Wollner, Berlin


Am 4. Juli fand am hiesigen Denkmal für die ermordeten drei Antifaschisten Max Niklas, Walter Richter und Artur Thiermann eine Veranstaltung zu ihren Ehren statt. Auf den Tag genau vor 80 Jahren waren die drei Widerstandskämpfer umgebracht worden. Die Feier wurde vom Verein AKuBiZ e. V. Pirna ausgerichtet. Die Tochter des einzigen Überlebenden Hans Müller gab einen kurzen Einblick in das kampferfüllte Leben ihres Vaters.
Mitglieder unserer RF-Lesergruppe werden die Pflege des Denkmals übernehmen, da die Altenberger Stadtverwaltung wenig Interesse daran bekundet hat. Zu DDR-Zeiten wurden an dieser Stelle junge Sportler der SG Dynamo Zinnwald in das Bezirkstrainingszentrum aufgenommen. Es trug den Ehrennamen "Max Niklas".

Peter Roetsch, Altenberg


In den 90er Jahren hielt ich mich aus geschäftlichen Gründen wiederholt in Belarus auf. Unter anderem auch in Neswitsch, ungefähr 20 km von Minsk entfernt. In dieser kleinen Stadt gab es ein Schloß, das früher dem polnischen Fürsten Radziwill gehört hatte. Es diente jetzt als Sanatorium. Der Direktor des dortigen Flachskombinats lud uns zu einem Rundgang durch den weitläufigen Schloßpark ein. Dabei kamen wir an einer Eiche vorbei, in deren unmittelbarem Umfeld während des Krieges 5000 Juden von Deutschen erschossen worden waren.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Landrat von Neswitsch. Sein Onkel kam während des Krieges im KZ Buchenwald um. Er erzählte mir vom Besuch einer Delegation aus Nordrhein-Westfalen.
Zu vorgerückter Stunde habe ihm einer der Gäste vorgemacht, wie sein Vater als Nazi-Flieger am "Rußlandfeldzug" teilgenommen hätte. Mit Gesten und Bemerkungen machte er nach, wie dieser Minsk aus der Luft bombardiert und beschossen habe. Ich schämte mich für diesen Deutschen.
Mit der gleichen Arroganz werden von gewissen BRD-Bürgern Vorgänge in der Ukraine, die man selbst mitinszeniert hat, bewertet. Da erdreistet sich eine deutsche Kanzlerin - zumal noch in der DDR sozialisiert - nach zwei verheerenden Kriegen, die ihre Landsleute vom Zaun brachen, den Russen und anderen Völkern in der Welt vorschreiben zu wollen, was sie zu tun und zu lassen hätten. Von Leuten dieses Schlages will ich nicht regiert werden. Ich habe sie nicht gewählt und empfinde für ihre Politik nur Verachtung.

Reiner Neubert, Berlin


Ich bekomme Ihre Zeitung immer von meiner Bekannten aus Leipzig zugesandt. Gestern stockte mir der Atem, als ich im Zusammenhang mit Griechenland das Wort "Treuhandfonds" vernahm. Hinzu kamen die Termini Staatsbesitz, Verkaufsplan und Deregulierung - alles Begriffe, die wir aus der DDR-Schlußphase, als man uns zum Kotau zwang, noch im Gedächtnis haben. Wenn es so weitergeht, wird Berlin sicher bald zur Hauptstadt Europas!

Adelheid Krinke, Chemnitz


Mit seinem Artikel zu Griechenland hat Klaus Steiniger bei mir und meiner Frau Erinnerungen geweckt. Es ist zwar schon über ein halbes Jahrhundert her - aber am 2. Dezember 1960 standen wir am Fuße jener Fahnenstange, von welcher Manolis Glezos einst die Nazi-Flagge heruntergerissen hatte.
Als Direktor des Pädagogischen Instituts Kyritz hatte mir die FDJ-Kreisleitung vorgeschlagen, auf eigene Kosten an einer Mittelmeerkreuzfahrt von Jugendtourist teilzunehmen. Anschließend habe ich über das von uns Erlebte in der Märkischen Volksstimme eine mehrteilige Reportage veröffentlicht.

Helmuth Hellge, Berlin


Pyrrhussiege pflastern den Weg unserer Königin zur erneuten Errichtung eines Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation: Der Grexit ist verhindert und sogar ein "Marxist" ... bekehrt worden. Podemos in Spanien verliert Anhänger, weil alle Patrioten plötzlich lieber in der EU bei "Mutti" bleiben wollen, und auch die "Separatisten" in der Ukraine ziehen ihre schweren Waffen ab, weil einige von ihnen wohl doch lieber an der Seite Poroschenkos von "Mutti" beschenkt werden wollen, statt ihren selbstbestimmten schweren Weg zu gehen. Welch Wunder an Umkehr zu Freiheit, Demokratie und Menschenliebe hat das große liebende Licht der CDU bei all den verirrten Schafen bewirkt. ­... Und noch mehr solche Wunder dürfte Europa erleben, je freigiebiger "Mutti" ihre Gaben an lernwillige Schäfchen verteilt. Am deutschen Wesen soll Europa genesen! Unsere absolute Königin war das "Beste", was Europa passieren konnte. Soviel Größenwahn stellt selbst die USA in den Schatten.

Kornelia Mücksch, Schkeuditz


Kriegsspiele an der russischen Grenze, Ausweitung der Kriege im Nahen Osten und militärische Tests von Waffen zur Vorbereitung eines möglicherweise sogar atomaren Krieges zeigen das Maß der Gefahr. 2013 haben nicht weniger als 46 % aller Staaten an Kriegen oder Bürgerkriegen teilgenommen oder sind von ihnen überzogen worden - so viel wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das soll Normalität werden.
Thomas Bagger, Leiter des Planungsstabs in Steinmeiers Auswärtigem Amt, schreibt in der US-Zeitschrift "The Washington Quarterly": "Es ist sehr wahrscheinlich, daß dauerhafte und parallel verlaufende Krisen nicht mehr die Ausnahme, sondern eher die Regel der Außenpolitik in einer zunehmend zerbrechlichen globalisierten Welt sind."
Daß eine den Globus umspannende Destabilisierung und all diese Kriege etwas mit den Weltmachtambitionen der USA und dem maßgeblich durch die BRD mitgeprägten Kurs der NATO zu tun haben, verschweigt Herr Bagger allerdings.

Horst Neumann, Bad Kleinen


Der Beitrag Zbigniew Wiktors "Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht eines polnischen Marxisten" im Juli-RF hat mir sehr gut gefallen. Wahrscheinlich hätten ihn außer dem "RotFuchs" nicht viele Presseorgane in Deutschland gedruckt. In den einleitenden Sätzen steht, daß am 8. Mai 2015 an dem beeindruckenden Denkmal des polnischen Soldaten und des deutschen Antifaschisten im Berliner Friedrichshain Deutsche und Bürger anderer Nationen die polnischen Helden ehrten. Ich habe den Eindruck, daß den jetzt Polen Regierenden weder das Denkmal noch die Teilnahme von Soldaten ihres Landes am Kampf gegen den Faschismus an der Seite der Roten Armee sonderlich gefallen.
Nationale polnische Verbände waren an den Kämpfen gegen die faschistische deutsche Wehrmacht beteiligt. Sie operierten jedoch nicht selbständig, sondern innerhalb der 1. Belorussischen und der 1. Ukrainischen Front der Roten Armee an verschiedenen Abschnitten. An den Kämpfen um Berlin waren unter sowjetischem Kommando die 1. und die 2. Polnische Armee beteiligt, ferner das 1. Polnische Gemischte Luftkorps mit 390 Kampfflugzeugen, dazu andere polnische Einheiten einschließlich einer Panzer- und einer Kavallerie-Brigade. Polnische Verbände nahmen an den Operationen um den S-Bahnhof Tiergarten und die Charlottenburger Technische Hochschule teil. Am 2. Mai 1945 kapitulierte die Berliner Garnison der Wehrmacht. Bevor die polnischen Divisionen wieder in die 1. Polnische Armee eingegliedert wurden, hißten sie auf der Siegessäule in Tiergarten und auf dem Brandenburger Tor die polnische Flagge. Insgesamt sind in der Berliner Operation 2300 polnische Soldaten gefallen und 8000 verwundet worden.

Dr. Kurt Laser, Berlin


Als ich im Juli-RF die Beiträge "Helden des Roten Oktober" las, freute ich mich, daß neben Feliks Dzierzynski auch Joseph Gutsche geehrt wurde.
Nach der Rückkehr aus Rußland trat Joseph Gutsche zunächst der USPD bei. Er wirkte als militärischer Berater und Organisator bei den bewaffneten Kämpfen in Berlin. 1920 wurde er Mitglied der KPD, nahm am Hamburger Aufstand teil und war danach Mitarbeiter des ZK der Partei. 1923/24 besuchte er einen militärpolitischen Lehrgang in Moskau. Wegen Hochverrats befand er sich anschließend drei Jahre im Zuchthaus Sonnenburg. 1930 emigrierte Joseph Gutsche in die UdSSR, wurde dort Mitglied der KPdSU (B) und war mehr als ein Jahrzehnt Regimentskommissar der Roten Armee. Während des Großen Vaterländischen Krieges nahm er gemeinsam mit seinem 1919 geborenen Sohn Rudolf als Partisan und Aufklärer an den Kämpfen in der Ukraine teil. 1945 kehrte Joseph Gutsche nach Deutschland zurück, wo er sich in KPD und SED organisierte. Zunächst Mitarbeiter der Dresdner Stadtverwaltung und Direktor des Industriekontors, war er von 1947 bis 1949 Präsident des Landeskriminalamtes Sachsen. Anschließend übernahm er als Leiter die Verwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft in Sachsen, die ab Februar 1950 zur Landesverwaltung Sachsen des MfS wurde. 1952 war Joseph Gutsche Leiter der Bezirksverwaltung Dresden des MfS. Ab Januar 1953 übte er leitende Funktionen in der Berliner Zentrale aus. Letzter Dienstgrad des 1957 Berenteten war Generalmajor. Eine Berliner Straße trägt seinen Namen.

Hans-Peter Wokittel, Berlin


In der Juli-Ausgabe des "Deutschen Ärzteblattes" stieß ich auf einen dort nicht alltäglichen Beitrag. Er erinnerte mich an die Situation der DDR vor dem 13. August 1961. Es ging um die massenhafte Abwerbung von Medizinern aus Rumänien. Überschrift "Der weiße Aderlaß scheint nicht zu stoppen". Am gefragtesten seien im Ausland vor allem Fachärzte mit Erfahrung auf einer Intensivstation. In den Westen gingen in der Regel qualifizierte Ärzte und Pfleger, "in die der rumänische Staat viel Geld investiert hat, wovon er nichts zurückerhält". Was die BRD mit den eingesparten Ausbildungskosten an guten Taten vollbringen könnte, vermag man sich kaum vorzustellen. Aber die hiesige Obrigkeit legt lieber alles in Waffen an, natürlich nur zur "Vorwärtsverteidigung".

MR Dr. med. Marlene Reiteritsch, Innernzell


Es ist mir ein Bedürfnis, Euch zu schreiben. Seit einigen Jahren bin ich RF-Abonnentin. In der Juli-Ausgabe beeindruckte mich besonders Klaus Steinigers Leitartikel. Ich kann jedes Wort darin unterstreichen. Insgesamt erscheint mir diese Ausgabe unserer Zeitschrift besonders wichtig zu sein - vor allem für die Jungen, die sonst nicht mehr die Wahrheit darüber erfahren, wie es im Sozialismus war und wo die Welt heute steht. Vor zwei Jahren war ich mit meiner Schwester in Bautzen, um einen Vortrag unseres Täve zu hören. Der Saal war übervoll, so daß wir auf Tischen sitzen mußten. Täve prägte dort einen wichtigen Satz: "Wir müssen 100 Jahre werden, damit wir der Jugend sagen können, wie wir wirklich in der DDR gelebt haben." Seit 1947 bin ich politisch organisiert und tätig. Solange ich lebe, werde ich Marxistin bleiben.

Elfriede Lukas, Zittau


Früher Sekretär für Agitation und Propaganda der SED-Kreisleitung Angermünde, bin ich seit Jahren "RotFuchs"-Leser. Mich freut, daß darin jeder so schreiben kann, wie er die Dinge sieht. Die vordergründigen Phrasen, derer wir uns in der Partei zu DDR-Zeiten nur allzugerne bedienten, haben mehr geschadet als genützt. Natürlich betrachte ich den Sozialismus im Vergleich mit dem Kapitalismus nach wie vor als die weitaus bessere Gesellschaftsordnung und glaube, daß ihm trotz allem die Zukunft gehört, wenn es die Menschen denn wollen.
Noch ein verspätetes Wort zu Hans Rehfeldts Beitrag in der März-Ausgabe über den Wohnungsbau großen Stils bei bezahlbaren Mieten. Die Tatsachen bezweifelt niemand, wenn mich aber Bürger nach der Anzahl der baupolizeilich gesperrten oder abgerissenen Häuser fragten, dann wurde es oftmals kritisch. Denn darüber berichtete man kaum. Von den billigen Mieten konnten nämlich die Altbauwohnungen nicht unterhalten werden. Die Folge war der Verfall historischer Stadtkerne.
Mit der wachsenden Kaufkraft bei stabil niedrigen Preisen hielt unser Warenangebot nicht Schritt, was zur Unzufriedenheit beitrug. Aus meiner Sicht haben wir durch die unzureichende Beherrschung der eigenen Entwicklung oftmals selbst den gegnerischen Einfluß gefördert.

Alfred Wendt, Angermünde


Am 19. Juni sprach Oberst a. D. der NVA Bernd Biedermann, ehemaliger Militärattaché der DDR in Beijing, der auch zeitnah viele Verbindungen zu Politikern, Diplomaten und Armeeangehörigen Rußlands wie Chinas unterhält, im Harzkreis vor einer etwa 40köpfigen Runde. Anwesend waren auch Freunde aus seiner beruflichen Tätigkeit in den 90er Jahren beim Kampfmittel-Räumdienst. In seinem Vortrag dokumentierte unser Gesprächspartner präzise die strategischen und taktischen Schwerpunkte des chinesischen Militärs, die konsequent gegen die aggressiven Militärbasen auf fernöstlichen Inseln, Flugzeugträger der USA sowie Kriegsschiffe Japans und Südkoreas gerichtet sind. Er nahm Bezug auf die wirtschaftliche und politische Annäherung zwischen Rußland und China, wobei die derzeitige Abkehr Europas vom russischen Markt auch für China Bedeutung hat. Rußland ist das flächenmäßig größte und bodenschatzreichste Land sowohl Asiens als auch Europas. Interessant war es zu erfahren, wie sich jüngste Beschlüsse der KP Chinas auf die Lebensqualität des Volkes auswirken und wie die Energiewende mit Atomreaktoren, aber ohne langfristige und kostspielige Aufbewahrung von Brennstäben, bewältigt wird. Es ist gut zu wissen, daß militärische Sicherheit und Unangreifbarkeit in China zu den Grundfesten gehören.

Dipl.-Ing. Dietrich Koschwitz und Dr. med. S. Bertz, Magdeburg


Der "RotFuchs" ist für uns allmonatlich ein wertvolles politisches Bildungsjournal, dessen Lektüre mich geradezu süchtig gemacht hat. Ich melde mich nun zu Klaus Steinigers Leitartikel in der Juli-Ausgabe zu Wort. Der Beitrag "Zur Mär vom russischen Imperialismus" behandelt ein brisantes und umstrittenes Thema. Wir sollten die darin dargelegte Position zur "komplizierten Dialektik" der Lage in Rußland und China emotionslos, ohne Wunschvorstellungen, also sachlich und rationell unterstützen.
Die materiellen und ideellen Voraussetzungen für den Übergang zu einer neuen, höheren Form der Gesellschaft reifen in einem historisch sehr langen Prozeß heran. Marx hat ja ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich eine Gesellschaftsformation nicht einfach überspringen läßt. Wohin Rußland steuert, ist schwer vorauszusagen. Aber ich finde, daß Putins sichere Hand und Lawrows besonnene Außenpolitik beruhigend auf die Entwicklung in der Welt einwirken. Sie halten die Kräfte in den USA und der NATO in ihrer Aggressivität zurück.
Dabei kann China ein wichtiger Faktor sein. Vielleicht braucht es zunächst einen kapitalistischen Weg, um die notwendige Reife für den Sozialismus zu gewinnen. Die Frage, ob China sozialistisch ist oder nicht, erscheint mir müßig. Allerdings finde ich selbst, daß die kapitalistischen Elemente in der chinesischen Wirtschaft keineswegs nur rudimentär sind. Doch am wichtigsten scheint mir zu sein, daß mit Rußland, China und den übrigen BRICS-Staaten eine Achse der Friedenssicherung in der Welt im Entstehen ist.

Arno Reinhold, Schwerin


Mit der Juli-Ausgabe des RF ist es nun amtlich: Die VR China sei - wie Rußland, dessen Gesellschaftsform als "verlauster Kompradoren-Kapitalismus" dargestellt wird, "ebenfalls nicht sozialistisch". Diese Positionsbestimmung erfolgt ohne jede Notwendigkeit für die Herausarbeitung der zutreffenden Thesen des Leitartikels - ist also eine gewollte politische Festlegung. Sie ignoriert die gewaltigen Anstrengungen der KPCh für eine ausgeglichene Entwicklung aller Regionen Chinas zugunsten der Menschen und die damit zusammenhängenden riesigen Planungsleistungen. Ist die "Suche nach der Furt" (Helmut Peters) nun mit Zwischenstopp in der "linken Ecke" abgebrochen?

Dr. Walter Lambrecht, Zingst


Leider gehöre auch ich schon zum alten Eisen. Aber das ist für mich kein Hinderungsgrund, mich politisch zu betätigen. Im vergangenen Jahr habe ich in Wolgast unsere zersplitterten und schwindsüchtigen Basisgruppen der Partei zu einem Ortsverband zusammengeführt. Ich wurde als 87jähriger zum Vorsitzenden vorgeschlagen und nahm die Wahl mit der Bemerkung an: "Kommunist ist man bis zum letzten Atemzug - oder man ist nie ein richtiger Kommunist gewesen."
Am 70. Jahrestag der Befreiung veranlaßten wir den Bürgermeister, vor unserem OdF-Denkmal eine Kundgebung zu organisieren, an der besonders auch Schüler der älteren Jahrgänge teilnahmen. Nach dem Bürgermeister und der Stadtvertretervorsteherin habe ich über Erfahrungen meines Lebens berichtet, wobei ich mich direkt an die jungen Freunde mit den Worten wandte: "Laßt Euch nicht beeinflussen von den Ewiggestrigen und ihren angeblich nationalen Hetzparolen. Sie sind überhaupt nicht national. Ein solcher vorgeblicher Nationalismus war der Ausgangspunkt zweier Weltkriege. Laßt Euch nicht zu Feindschaft und Haß gegen andere Völker verführen ... Was uns trennt, ist nicht die Hautfarbe." ... Ich war auf Pfiffe vorbereitet, doch es gab gerade von den Jugendlichen stürmischen Beifall. Das stimmt doch optimistisch!

Gerhard Scholz, Wolgast


Der 1932 in Dresden geborene Jurist Arnulf Baring machte sich in der BRD als Zeithistoriker, Publizist und Autor einen sehr umstrittenen Namen. 1991 schrieb er über die Menschen der DDR, die gerade erst dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD beigetreten worden waren: "Das Regime hat fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt ... Viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar ..."
Seit geraumer Zeit stehen nun ausgerechnet zwei dieser "Verzwergten" an der Spitze der BRD, weil ihre "verhunzte Ausbildung" und ihre "fehlenden Fachkenntnisse" offensichtlich ausreichen, der politischen Elite dieses Landes noch etwas vorzumachen. Das ist indes kein Grund zum Stolz!
Stolz können wir darauf sein, daß sich immer mehr der in diesem kapitalistischen System "nicht weiter Verwendbaren" um den "RotFuchs" scharen und überlegen, wie dieses Deutschland auf einen menschenfreundlichen und friedlichen politischen Kurs gebracht werden könnte.

Richard Georg Richter, Cloppenburg


Mit großer Aufmerksamkeit habe ich den RF-Artikel über das Vermächtnis antifaschistischer Athleten, darunter auch des Vizepräsidenten des Deutschen Fußballverbandes der DDR, Helmut Behrendt, gelesen. Er kämpfte unermüdlich gegen die Hallstein-Doktrin, die jetzt beim FC Bayern München offenbar ihre Wiederauferstehung feiert. Der beging nämlich pompös einen 25. "Deutschen Fußballmeistertitel". Doch ein deutscher Fußballmeister wird bekanntlich nur bei einer gesamtdeutschen Fußballmeisterschaft gekürt. Zwischen 1949 und 1990 hat es eine solche aber nicht gegeben. Der FC Bayern errang in dieser Zeit zwar elfmal die Bundesligameisterschaft, die aber mit einem gesamtdeutschen Titel nicht mehr zu tun hatte als der Papst mit Luther. Der FCB ignoriert die Tatsache, daß in der DDR ebenfalls Fußballmeisterschaften stattfanden. Niemand kam aber bei uns auf den Gedanken, deren Sieger zu gesamtdeutschen Champions zu erklären. Greift der FCB also auf die Alleinvertretungsanmaßung früherer Tage noch einmal zurück? Immerhin bleiben ihm doch 14 deutsche Fußballmeistertitel, aber nicht 25.

Heinz Behrendt, Plauen (Vogtland)


Die "RotFuchs"-Diskussionen zur PDL verfolge ich mit großem Interesse, zumal ich mir als Sozialist seit einiger Zeit über die Frage eines Beitritts zu dieser Partei den Kopf zerbreche. Die PDL ist eine Sammlungspartei mit uneindeutiger Ausrichtung: Ein linker Teil strebt klar nach Überwindung des Kapitalismus, ein rechter meint über braves parlamentarisches Mitmachen und Regierungsbeteiligungen den Kapitalismus sozialer gestalten zu können und über Reformen möglicherweise zum Sozialismus zu gelangen. Und ein dritter Teil der Partei läßt sich derzeit keinem der beiden Flügel zuordnen. Das Problem der PDL - vor allem im Osten - scheint mir darin zu bestehen, daß jene, welche vor allem nach Mitregieren streben, in den bestimmenden Gremien den Ton angeben.
Andererseits werden jene, welche den Kapitalismus wirklich überwinden wollen, immer mehr an den Rand gedrängt. Unterschiedliche Auffassungen werden kaum noch respektiert. Doch es kann nicht sein, daß Sahra Wagenknechts abweichende Meinung sogar in einer Fraktionssitzung nicht mal angehört wird. Solange ich das Gefühl habe, daß wesentliche Teile der Partei nicht ernsthaft den Sozialismus wollen und sich einer kämpferischen Auseinandersetzung mit dem Kapital verweigern, bleiben bei mir Hemmungen bestehen, dieser Partei beizutreten.

Stefan Dahn, Halle


Das schlimmste Ereignis in der jüngeren Geschichte auf deutschem Boden war die als "Wende" ausgegebene "friedliche Revolution". Der größte Verlust, den uns die Konterrevolution zufügte, bestand vor allem in der nahezu vollständigen Enteignung der DDR-Bürger und ihrer Trennung von den Produktionsmitteln sowie in der diesen Prozeß einleitenden Preisgabe des antifaschistischen Schutzwalls. Bis zum Herbst 1989 standen die von den USA angeführten NATO-Kriegstreiber noch vor der Staatsgrenze zur DDR. Heute halten sie ihre gegen Rußland gerichteten Manöver in Polen, Lettland, der Ukraine und anderen einstigen Staaten des Warschauer Vertrages ab. Ich habe Hochachtung vor Wladimir Putin, der sich in seinen Bemühungen um die Erhaltung des Weltfriedens nicht von den US-Provokateuren aus der Ruhe bringen läßt.

Andreas Herrmann, E-Mail


Ich bin zutiefst empört über einen Artikel aus der unterfränkischen "Mainpost", der Antikommunismus aus der untersten Schublade anbietet. Unter der Schlagzeile "Studie über Zwangsarbeit in der DDR" kommen ein gewisser Herr Wölbern vom Potsdamer Institut für Zeitgeschichte und der Bundesbeauftragte für die "Stasi"-Unterlagen Roland Jahn zum Zuge, von denen das "Forschungsmaterial" in Berlin vorgestellt wurde. "Die Häftlinge in der DDR hatten keine Wahl: Zwischen 15.000 und 30.000 wurden jedes Jahr unter oft widrigen Bedingungen zur Arbeit gezwungen", heißt es in der "Mainpost". "Der Arbeitsschutz war mangelhaft. Häufige Folgen: gequetschte Finger, Schnittwunden, Knochenbrüche, Augenverletzungen, Vergiftung." Sinn und Zweck der Zwangsarbeit sei nicht Rehabilitation gewesen. "Dem System ging es vielmehr um Devisen - verbunden nicht selten mit Schikane gegen politisch Andersdenkende." Die Gefangenen seien für Arbeiten eingesetzt worden, für die sich sonst niemand fand, wird behauptet, wobei die Autoren keine Angaben darüber machen, wo die Häftlinge genau zum Einsatz gelangten. Die Folgeschäden der Zwangsarbeit seien physisch wie psychisch schwer nachweisbar, zieht sich die "Mainpost" auf eine vage Formulierung zurück.

Sonja Navarro, Volkach


Der interessante Beitrag Johann Webers "SBZ und DDR zahlten die Zeche" enthielt sehr wichtige Fakten und Zusammenhänge. Doch ich vermißte die Angabe eines westdeutschen Ökonomen - meines Erachtens eines Professors -, der davon sprach, der Westen schulde der DDR mehr als 700 Milliarden DM. Kennt jemand in der Redaktion oder unter den RF-Lesern zufällig den Namen dieses Mannes und dessen exakte Zahlen?

Dr. Dieter Rostowski, Kamenz

Anmerkung der Redaktion:
Reparationsleistungen der DDR in Höhe von 99,1 Mrd. DM (1953) stehen 2,1 Mrd. DM der BRD gegenüber. Die DDR trug also 97 bis 98 % der Reparationslast Gesamtdeutschlands. Diese Angaben finden sich in einem Aufruf des Bremer Prof. Arno Peters vom 28.11.1989 an die Regierung der Bundesrepublik zur Zahlung ihrer Reparations-Ausgleichs-Schuld an die Menschen in der DDR. Daraus wird abgeleitet: Wenn die Reparationsleistungen gleichmäßig auf die Bürger ganz Deutschlands verteilt worden wären, ergäbe sich unter Berücksichtigung einer Verzinsung von 6 5/8 Prozent eine Ausgleichszahlung der BRD an die Bürger der DDR in Höhe von 727,1 Mrd. DM. Andere Wissenschaftler - so der Kieler Prof. Fritz Baade 1965 - hatten Ausgleichszahlungen an die DDR in Höhe von 110 Mrd. DM vorgeschlagen.


Gehorsam ist ein bedeutendes Ordnungsprinzip in jeder Gesellschaft und im Umgang der Menschen untereinander. Gehorsam ist aber dann nicht sinnvoll und konstruktiv, wenn sich daraus Gefahren für Mensch und Natur ergeben. Der Ordnung Verlangende und Weisungsberechtigte trägt eine große Verantwortung. Ihre Wahrnehmung ist eng mit Ethik, Moral und Menschenwürde verbunden.
Manchmal gilt es, sich über blinden Gehorsam, der auch als Kadavergehorsam bezeichnet wird, hinwegzusetzen. Verlieren Weisungsbefugte im Militär, in Wirtschaft, Kirche und Politik den klaren Blick für das Lebenswürdige und dessen Erhalt, dann ist Gehorsam keine Ermessensfrage mehr. Vielmehr wäre Gehorsamsverweigerung dann die notwendige Alternative mit allen sich daraus für den Handelnden ergebenden nachteiligen Folgen.
Können wir uns guten Gewissens vor solchen Entscheidungen "drücken"?

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Ich habe Angst davor, unsere Kinder und Enkel könnten dereinst über unsere Zeit in der DDR abfällig sprechen, uns gar als Verbrecher anklagen, weil sie der völlig irrationalen Geschichtsklitterung der Sieger Glauben schenken. Diese genießen jeden Tag, an dem weitere Zeitzeugen sterben, und mit jedem, der nicht mehr berichten kann, werden sie stärker. Darum möchte ich die "RotFuchs"-Leser aufrufen, noch mehr als bisher Erinnerungsarbeit zu betreiben, aufzuschreiben, was ihr Leben in der DDR geprägt hat, welche Erfolge und Niederlagen Teil ihres Lebenslaufes waren, welche Hoffnungen und Erwartungen sie in den bisher einzigen sozialistischen Staat auf deutschem Boden setzten.
Auch welche Motive sie bewogen, für ihre Republik einzutreten und zu kämpfen. Denn wie sollen wir nachfolgenden Generationen erklären, warum die DDR eben kein Unrechtsstaat war, wenn unseren Nachkommen permanent "Stasi"-Akten links und rechts um die Ohren gewedelt werden. Du kannst nur Diener oder Opfer sein, Amboß oder Hammer, könnte sich Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen und Mitglied der "Linken", gedacht haben, bevor er eine Koalition mit den Verlierern der Wahl einging. Unter diesen Umständen Flagge zu zeigen, hätte Mut erfordert, an dem es ihm mangelte. Nur so ist zu erklären, daß Die Linke dem ihr diktierten Koalitionsvertrag zugestimmt hat. Nur so ist zu begreifen, daß sie aus reiner Machtgier die SPD in der Mitte überholen will. Uns sollte sich die Frage stellen: Wollen wir das denn? Gibt es nicht eine Alternative dazu?

Jan Bischoff, Neustrelitz

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RotFuchs Nr. 212, 17. Jahrgang, September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2015

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