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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1246: Weltwasserforum in Istanbul 16.-22. März 2009


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Weltwasserforum in Istanbul 16.-22.März 2009
Die Türkei verkauft Seen und Flüsse

Von Dorothea Härlin


Seit Jahren verkauft die Türkei Wasser an andere Länder. An Euphrat und Tigris entstehen immer mehr Staudämme. Menschen werden umgesiedelt, oft haben sie keine Lebensgrundlage, weil ihnen die Seen und Flüsse samt den Fischen und das Wasser fehlen. Jetzt hat die türkische Regierung eine neue Idee. Sie will alle Gewässer bis hin zum Grundwasser 49 Jahre lang privaten Betreibern überlassen.


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Wir Menschen bestehen zu ca. 70% aus Wasser. Kein Leben auf diesem Planeten ohne das kostbare Nass. Höchstens Luft ist noch lebensnotwendiger. Und doch haben weltweit über eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, alle zehn Sekunden stirbt ein Kind an den Folgen von Wassermangel - während ich den Text nur abtippe, sind es 180, während Sie ihn lesen weitere 60 vielleicht. Nach UN-Berichten leiden 2,6 Milliarden Menschen unter den hygienischen Folgen von Wassermangel.

Auf dem Europäischen Sozialforum (ESF) im September 2008 in Malmö begann Susan George ihre Rede auf der Gründungsveranstaltung des Europäischen Wassernetzwerks mit einer Vision: "Stellt euch mal vor, wir lebten hier auf dem Mars", begann sie. Dann erzählte sie die Geschichte einer Delegation, die auf den Planeten Erde geschickt wird, um nach neuen Kapitalanlagemöglichkeiten zu suchen. Sie kehrt begeistert zurück, denn sie wurde fündig. "Dort gibt es ein Gut", berichtet sie, "das jedes Lebewesen braucht, das aber knapp ist und nicht beliebig zu vermehren." In der kapitalistischen Logik das ideale Wirtschaftsgut, eine Gewinnquelle ohne Ende. Die Marsmenschen jubeln und kauften das gesamte Wasser des Planeten Erde.

Science Fiction? Schön wär's! Nicht einmal zwanzig Jahre ist es her, da haben nicht Marsmenschen, sondern Strategen der Weltbank in trauter Eintracht mit der OECD und den großen Wasserkonzernen diese Profitquelle entdeckt. Die kurze Geschichte der Wasserprivatisierung beginnt mit dem Kauf von Wasserbetrieben, die bis dato in kommunalem Besitz waren. Ausgangsland war Frankreich, wo die Wasserwirtschaft traditionell zu einem Großteil in privaten Händen ist, genauer genommen in den Händen von Suez, Veolia (ehemals Vivandi) und Saur.

Etwas später entdeckte auch RWE die sagenhafte Quelle und kaufte die Londoner Wasserwerke. Als die dringend notwendige Instandhaltung der aus Viktorianischer Zeit stammenden Rohrleitungen die Profitquelle zum Versiegen zu bringen drohte, weil die Londoner Aufsichtsbehörde keine exorbitanten Preiserhöhungen mehr genehmigte, wurde "Thames Water" an einen australischen Hedgefonds weiterverkauften. Ihren Anteil an den Berliner Wasserbetrieben hingegen behielt RWE, hier sind die Verträge weit vorteilhafter.

Die Pariser Wasserwirtschaft wird Ende 2009 wieder in kommunale Hände zurückkommen. Was von der kritischen Wasserbewegung als großen Sieg über den inzwischen zur Nr.1 aufgestiegenen Konzern Veolia feiert, könnte sich beim zweiten Hinsehen als neuer Trick entpuppen. Denn auch in Paris sind die hundertjährigen Rohrleitungen verrottet, es muss viel ins Wassernetz investiert werden. Da mag es günstiger sein, wenn Veolia Environnement die teure moderne Technik dafür der Gemeinde Paris verkauft. Dies wird nur zu vermeiden sein, wenn die Wasseraktivisten auf Management und Politik weiter ein wachsames Auge werfen.


49 Jahre

Manche linke Analysten höre ich in diesen Tagen der Weltwirtschaftskrise sagen: "Der Neoliberalismus ist am Ende" und klagen, dass den Globalisierungskritikern der Feind abhanden gekommen ist.

So ein Quatsch! Genaueres Hinsehen am Beispiel Wasser beweist das Gegenteil. Die jetzige Krise wird genutzt, um eine neue Phase der kapitalistischen Akkumulation einzuläuten. Die letzten öffentlichen Güter wie Bildung, Wasser, die Bahn, Rentenversicherungen, Gesundheitsversorgung u.v.m. stehen zum Verkauf an, soweit sie noch nicht verscherbelt wurden. Selbst die Luft steht zum Verkauf, über den Umweg des Emissionshandels "zur Rettung des Klimas".

Ein Einstieg mit Paukenschlag wird derzeit in einem Musterland des Neoliberalismus, der Türkei, geplant. Nach allen uns vorliegenden, wenn auch akribisch geheim gehaltenen Quellen plant die türkische Regierung, die Nutzungsrechte für Seen, Flüsse und Quellen bis hin zum Grundwasser 49 Jahre lang Privaten zu überlassen. Was sind 49 Jahre? Für viele ist das ein ganzes Leben, die Berliner Mauer stand gerade mal 29 Jahre. Völlig offen ist, in welchem Zustand und zu welchen Bedingungen die Gewässer dann zurückgegeben werden.

Viele Ungläubige, die sich das einfach nicht vorstellen können, fragen nach unseren Beweisen. Wir stützen uns auf Interviews mit dem alten und neuen Umweltminister aus den Jahren 2007 und 2008. Da wird der Euphrat mit 950 Mio. Euro veranschlagt, der Tigris mit 650 Mio. Ein Blick in den Regierungshaushalt 2009 weist Einnahmen von 3,1 Mrd. Euro aus diesen Quellen auf.

Dann ist da noch das 5. Weltwasserforum (WWF). Nicht umsonst wurde für 2009 Istanbul als Austragungsort gewählt. Denn was die türkische Regierung plant, kann getrost als Pilotprojekt der internationalen Wasserkonzerne bezeichnet werden. So plant die CDU in Kiel den Verkauf ihrer Seen; Chile hat schon ganze Flüsse verkauft. Aber dass eine Regierung gleich sämtliche Gewässer zum Verkauf anbietet, das stellt eine neue Stufe der Wasserprivatisierung dar.


SuKo

Karl Marx beschreibt die Einhegung des Gemeindeeigentums (enclosures) in England als die erste Phase des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Nichts andere scheint jetzt zu geschehen: das bisher unangetastete Allgemeingut Wasser soll der menschlichen Gemeinschaft entrissen werden und in privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Hände übergehen. Ich möchte das eine weitere Phase im kapitalistischen Akkumulationsprozess nennen.

Dagegen hat sich im Rahmen des Weltsozialforums (WSF) seit 2001 eine globale Widerstandsbewegung entwickelt, das Water Justice Movement (die Bewegung für Wassergerechtigkeit); ihre Versammlungen werden immer größer, ihre Vernetzung immer dichter. Auf dem diesjährigen WSF 2009 in Belém fanden unter vielen Veranstaltungen zum Thema Wasser auch zwei Treffen statt zur Vorbereitung des Widerstands gegen das 5. WWF in Istanbul.

Wir sind da als Europäer besonders herausgefordert. Immerhin sitzen die Köpfe des selbst ernannten Welt Wasser Rates - Think Tank und Organisator des Weltwasserforums - alle in Europa, genau genommen in den Vorstandsetagen von Suez und Veolia. Deshalb sehen wir es als Aufgabe von uns Europäern, gemeinsam mit der globalen Wasserbewegung in Istanbul gegen die selbstherrlichen Herrscher über Wasser und Tod anzutreten!

Als auf der 1. Europäischen Sommerakademie von Attac im August 2008 ein türkischer Arzt über die Ungeheuerlichkeit in der Türkei informierte, entstand spontan das Projekt SuKo (su = türkisch für Wasser, Ko = Koordination). Hauptziel des Projekts, an dem sich seitdem Ver.di, der BUND, die RLS Allmende und Gegenwind beteiligen, ist zunächst, in Deutschland, in Europa und in der Türkei durch die Verbreitung von Informationen eine breite Basis für den Widerstand zu schaffen. SuKo versteht sich als Teil des Global Justice Water Movement und der Widerstandsbewegung gegen das illegitime 5. WWF.


Dorothea Härlin ist pensionierte Lehrerin und seit Genua Mitglied von Attac Berlin. Sie gehört dem "Berliner Wassertisch" an.
Mehr Informationen auf: www.attac.de/wasser und www.wer-ist-wim.de.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 24. Jg., März 2009, Seite 9
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2009