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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1269: G20 - Keine Einigung über neue Wege


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

G20
Keine Einigung über neue Wege

Von Andy Kilmister


Für die Staats- und Regierungschefs ist das Wichtigste am G20-Gipfel, dass er stattgefunden hat. Eine gemeinsame Linie zur Bewältigung der Krise ist nicht in Sicht.


Das Hauptziel des G20-Gipfels war, eine Spaltung zwischen den Ländern mit einem Exportüberschuss, wie China, Japan und der BRD, und Ländern mit einem Handelsbilanzdefizit, wie die USA und Großbritannien, zu vermeiden. Vor dem Treffen hatten Merkel und Sarkozy eine Krisenanalyse vorgetragen, die die Verantwortung für die Krise auf den schuldenbasierten, spekulativen "angelsächsischen" Kapitalismus abschob; sie hatten sich skeptisch gegenüber britischen und US-amerikanischen Plänen geäußert, die Wirtschaft durch Steigerung der Nachfrage anzukurbeln. Sarkozy hatte in seinen Äußerungen sogar erkennen lassen, er wolle die einheimische Industrie privilegieren und evtl. protektionistische Maßnahmen unterstützen.

Ein zentrales Anliegen des Gipfels war deshalb, die Zunahme solcher Differenzen zu stoppen und Frankreich und Deutschland zu einer gemeinsamen Haltung zu bewegen. Das wurde weitgehend erreicht und ist, zusammen mit einigen ermutigenden Wirtschaftsdaten in den Tagen nach dem Gipfel, der Grund dafür, warum die Aktienkurse wieder angezogen haben.

Das wichtigste Ereignis in der Vorbereitungsphase des Gipfels war die Unterstützung des japanischen Premierministers für ein weiteres Konjunkturprogramm. Damit war die Einheitsfront der Überschussländer am Ende; im Anschluss daran folgte während des Gipfels die Übereinkunft zwischen den USA und China. Diese beiden Schritte ließen das deutsch-französische Paar isoliert zurück und zwangen sie, der allgemeinen Erklärung zuzustimmen.

Die Kosten dieses Agreements sind jedoch hoch für alle, die mehr Geld in den globalen Wirtschaftskreislauf pumpen wollen. Es soll kein weiteres Konjunkturprogramm geben. Die Gesamthöhe der auf dem Gipfel in Aussicht gestellten neuen Ausgaben liegt näher bei 300 Mrd. Dollar als bei den 1,1 Billionen, von denen Gordon Brown spricht. Zwei Drittel davon bestehen in sog. Sonderziehungsrechten des IWF. Sie teilen sich auf nach den Stimmanteilen, die ein Mitglied im IWF hat; das bedeutet, dass 44% dieser Summe sich auf die G7 verteilen.

Viele Beschlüsse über die Finanzierung von Exporten stellen nichts anderes als eine Umverteilung von Mitteln aus anderen Haushaltsposten dar; und ein großer Teil der Extraausgaben für den IWF wurde entweder bereits im Vorfeld angekündigt oder ist vorübergehend und von Abmachungen abhängig, die in den nachfolgenden Monaten noch zu treffen sein werden.

Der Gipfel hat großen Nachdruck auf den Freihandel mit all seinen Ungleichheiten gelegt. Dabei ist selbst auf praktischer Ebene längst nicht klar, dass der Zusammenbruch des internationalen Handels dem Mangel an seiner Finanzierung geschuldet ist - das Problem ist eher die Verknappung der Nachfrage durch die Rezession. Es ist auch wahrscheinlich, dass der IWF seine gestiegene Bedeutung dazu nutzen wird, den Schuldnern dieselben Bedingungen aufzubürden wie in den letzten zwei Jahrzehnten. Ein Beispiel dafür ist Lettland. Der IWF hat weitere Kreditzahlungen an das Land unterbrochen, bis es nicht drastische Ausgabenkürzungen vornimmt; dabei wird die lettische Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um 12% sinken. Die neue Regierung hat die Minister gebeten, Vorschläge zu unterbreiten, wie 20, 30 oder auch 40% der geplanten Ausgaben bis Mitte April eingespart werden können - um den Forderungen des IWF nachzukommen.

Der Gipfel scheiterte völlig an der Aufgabe, substanzielle Schritte zur Bekämpfung des Klimawandels zu beschließen; ökologische Fragen wurden ans Ende verschoben und nur höchst vage behandelt. Es ist schnell klar geworden, wie gering der Prozentsatz der Ausgaben ist, die in Großbritannien und in den USA für grüne Initiativen ausgegeben werden.

Das größte Problem, das sich für das globale Kapital aus dem Gipfel ergibt, ist, dass es keine Selbstverpflichtung der Überschussländer gegeben hat, ihre Binnennachfrage zu steigern, damit die Weltwirtschaft wieder ins Gleichgewicht kommt. Die bisher von Japan, China und Deutschland in Aussicht gestellten Ausgabenprogramme scheinen alles zu sein, was angeboten wird. Zusammen mit den Ausgaben der USA und Großbritanniens mag das ausreichen für einen schwachen Aufschwung Ende des Jahres; diese Perspektive ist es, die die Märkte wieder beflügelt hat. Aber sie reicht keinesfalls aus, die Krise dauerhaft zu lösen. Der Überhang von akkumuliertem, keinen Profit bringenden Kapital bleibt ebenso bestehen wie die Ungleichgewichte in den Ausgaben innerhalb und zwischen den Ländern. Angesichts dessen verschaffen die auf dem Gipfel beschlossenen Maßnahmen nur eine kurze Atempause vor dem nächsten Abschwung.

(Übersetzung: Angela Klein)


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KASTEN I

Fossilarmer Aufschwung abgelehnt

Umweltorganisationen sind sich einig: Der größte Verlierer des G20-Gipfels ist der Klimawandel - obwohl Gordon Brown sich auf dem Gipfel für ein fossilarmes Wachstum und "grüne Arbeitsplätze" stark gemacht hat.


"Trotz der Zusicherung, an einem ganzheitlichen, grünen und nachhaltigen Aufschwung zu arbeiten, ist wenig für einen Kurswechsel getan worden", erklärt der Geschäftsführer von Friends of the Earth, Andy Atkins. "Das Wirtschaftssystem und die globale Umwelt befinden sich auf einem fatalen Kollisionskurs."

Die britische Regierung ist mit ihrem Vorhaben gescheitert, auf dem Gipfel eine Übereinkunft zu erreichen, dass ein nennenswerter Anteil der Mittel für die Belebung der Wirtschaft in fossilarme Projekte gesteckt wird. Nicholas Stern, der 2007 vorgerechnet hatte, was der Klimawandel für Kosten verursacht, hatte empfohlen, 20% der Ausgaben für Konjunkturprogramme in Projekte zu stecken, die dem Klimawandel entgegentreten.

Die offizielle Gipfelerklärung enthält zu dieser Frage nur die nochmalige Absichtserklärung, dass es auf der UN-Konferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 ein Abkommen geben soll, aber keine konkreten Maßnahmen. Der Geschäftsführer von Greenpeace, John Sauven, klagt: "Hunderte Milliarden konnten für den IWF und die Weltbank aufgetrieben werden, aber für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft gibt es kein Geld, nur vage Ziele, Reden über Reden und Übereinkünfte übereinzukommen."

Der Guardian zitiert Stimmen aus dem britischen Außenministerium, China habe die Opposition gegen klarere grüne Festlegungen angeführt. "Das Wort vom fossilarmen Aufschwung ruft Angst vor einem Protektionismus der reichen Länder durch die Hintertür hervor, schreibt die britische Tageszeitung. Es besteht die Befürchtung, dass Länder mit höheren Umweltstandards Importzölle auf Güter aus Ländern mit niedrigeren Umweltstandards erheben. Nach wie vor besteht die Neigung, die Erfordernisse des Klimawandels erst anzugehen, wenn die Wirtschaftskrise überwunden ist. "Das ist unglaublich kurzsichtig", sagt David Norman vom World Wildlife Fund. "Wenn wir jetzt nicht energische Maßnahmen gegen die Erderwärmung ergreifen, werden die Konsequenzen viel schlimmer sein als die globale Finanzkrise."


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KASTEN II

Soziale Bewegungen aus Südkorea fordern weltweiten Dialog über neues Wirtschaftsmodell

Die südkoreanische Gewerkschaft KCTU, der koreanische Bauernverband und andere soziale Bewegungen, die alle im Weltsozialforum aktiv sind, haben Ende März, nach dem Treffen der Finanzminister und Zentralbankchefs zur Vorbereitung des G20-Gipfels, eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Darin unterstreichen sie:


- Wir stellen in Frage, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen uns einer Lösung näher führen. Wir stellen auch in Frage, dass die führenden Vertreter der G20 und geladene Organisationen wie die WTO, der IWF die Weltbank und andere sich hinstellen und behaupten, sie könnten die Probleme lösen, die sie geschaffen haben. Diese Organisationen haben alle daran gearbeitet, die neoliberalen Reformen in Kraft zu setzen. Sie haben die Regeln gemacht, die die Wirtschaft an den Abgrund geführt hat. Man kann ihnen nicht erlauben, dass sie uns die Kosten dafür aufbürden.

- Die Ursache der gegenwärtigen Krise sind nicht riskantes Management und undurchsichtige Finanzprodukte; es ist ein dem Kapitalismus systemimmanenter Widerspruch. Die Maßnahmen der G20 stützen ein gescheitertes System, es ist aber das System selbst, das eine Generalüberholung braucht. Wirkliche Lösungen setzen am Schutz der Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Familien an.

- Die Unterzeichneten fordern eine Regulierung und Kontrolle des Finanzkapitals der Art, dass das Finanzkapital nicht länger die Realwirtschaft kontrolliert. Die Zentralbank muss der öffentlichen, demokratischen Kontrolle unterworfen sein; um die Spekulation zu unterbinden, muss ein globales Besteuerungssystem für alle Finanztransaktionen geschaffen werden.
Wir lehnen bedingungslose Rettungspläne für Finanzinstitute ab, denn sie wälzen die Kosten der Krise nur auf die arbeitende Bevölkerung ab. Die Verluste aus Finanzspekulationen müssen von den Beteiligten selbst getragen werden.

- Die falsche Kontroverse zwischen "Protektionismus" und "Freihandel" muss überwunden werden; es muss ein faires, globales Handelssystem geschaffen werden, das die Arbeit gerecht bewertet. Insbesondere lehnen wir strikt jedes weitere Freihandelsabkommen ab, wie es derzeit von der südkoreanischen Regierung mit den USA und der EU ausgehandelt wird.

- Die Schaffung ordentlicher Arbeitsplätze, das Verbot von Entlassungen und der Schutz der Löhne sind eine Voraussetzung für die Überwindung der Krise. Arbeitsgesetze, die die Beschäftigung in der Vergangenheit prekarisiert haben, und gewerkschaftsfeindliche Gesetze müssen aufgehoben werden. Die Arbeitsunsicherheit durch befristete Jobs muss aufhören; sichere Arbeitsplätze müssen im öffentlichen Dienst und im Umweltbereich geschaffen werden. Lohnkürzungen, die die Große Depression der 30er Jahre verschärft haben, müssen vermieden werden. Der soziale Schutz muss ausgedehnt werden.

- Handel und Investitionen müssen weltweit neu geregelt werden. Es muss ein Dialog beginnen über ökologisch und sozial nachhaltige Wirtschaftsmodelle. An diesem Prozess müssen Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft und andere Interessengruppen beteiligt werden. Die Ausrichtung und die Regeln für internationale Finanzorganisationen müssen von Grund auf überholt werden.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 24. Jg., Mai 2009, Seite 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
(VsP, www.vsp-vernetzt.de)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2009