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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1273: Opel - Roland Müller-Heidenreich über Stimmung in Belegschaft


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Opel Bochum
"Das größte Widerstandspotenzial liegt in der Weigerung zum Verzicht"
Roland Müller-Heidenreich über die Stimmung in der Belegschaft und die Kampfperspektiven

Von Jochen Gester


2004 machten sich die Opelaner in Bochum zum Topthema. Sie setzten sich damals mit einem "wilden" Streik gegen geplante Werksschließungen zur Wehr. Die damalige Drohung steht heute in verschärfter Form wieder auf der Tagesordnung, nur dass Massenentlassungen in der aktuellen Krise eine viel größere Zahl von abhängig Beschäftigten treffen als damals. Umso dringender stellt sich deshalb die Frage, ob wir auch 2009 auf ein Signal aus Bochum hoffen können und wenn ja, was sein Inhalt sein könnte.

Die Botschaft "Wir zahlen nicht für eure Krise" ist in Bochum sehr populär geworden, offenbar zum Leidwesen des IG-Metalll-Vorstands. Hatte Bertold Huber zu Ostern noch erklärt, die im Mai fällige Tariferhöhung, für die eine Öffnungsklausel vereinbart wurde, dürfe nur "im Einzelfall" verschoben werden, so erstreckt sich laut Pressemeldungen dieser Einzelfall mittlerweile auf die Hälfte aller tarifgebundenen Betriebe.

In Bochum gibt es Anlass zur Hoffnung, dass eine Belegschaft, die im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, nicht mehr bereit ist, den billigen Jakob zu spielen. Über die Situation vor Ort befragte Jochen Gester den Kollegen Roland Müller-Heidenreich. Roland ist Maschinenschlosser und arbeitet seit 28 Jahren bei Opel in Bochum. Seit 26 Jahren ist er Mitglied der Gruppe "Gegenwehr ohne Grenzen" (GoG).


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SOZ: Der Kampf gegen den Abbau von Arbeitsplätzen im Bochumer Opelwerk geht über Jahrzehnte. Immer wieder gab es ein Aufbäumen der Belegschaft und eine Verzögerung des Abbaus. Es wurden immer weniger. Aber es ging weiter. Wirst du am Ende des Jahres noch Opelaner sein?

MÜLLER-HEIDENREICH: Diese Beschreibung ist richtig. Zu Beginn der Standortsicherungsverträge Ende 1993 waren wir noch weit über 19.000 Beschäftigte. Mit jedem Vertrag, der eigentlich den Standort oder die Zukunft sichern sollte, wurden 3.000 Leute abgebaut. Vor allem 2000 und 2004 haben wir dagegen gute Arbeitskämpfe geführt und dabei viel gelernt.

Möglicherweise werden diese Kampferfahrungen bald abgerufen werden. Denn, ob mit staatlicher Hilfe oder mit der anderer Investoren: Ich kann mir momentan kaum vorstellen, dass Opel in der gegenwärtigen Form überlebt. Aber vielleicht haben wir Ende des Jahres schon eine neue Arbeitskleidung, so einen weißen Umhang und ein Kopftuch mit Stirnband.


SOZ: Die Diskussion, ob man "Opel retten" darf oder nicht, läuft seit Wochen. Wie reagiert die Belegschaft darauf? Wie bewertest du die Stimmung unter den Kollegen? Haben sie das Werk im Kopf schon abhakt?

MÜLLER-HEIDENREICH: Die Stimmung der Kolleginnen und Kollegen ist, was ihre Zukunft betrifft, abwartend. Diskussionen und Einschätzungen der neuesten Gerüchte laufen natürlich täglich. Viele Vertrauensleute hoffen auf die Intervention des Staates. Die Betriebsversammlung bei Opel Rüsselsheim mit dem Auftritt Merkels wurde schon mit Interesse verfolgt. Gerade die Loslösung von General Motors weckt viele Hoffnungen. Viele sind überzeugt, dass sie gute Arbeit machen, und hoffen zu überleben, wenn sie nur das Bleigewicht von General Motors los sind. Doch es ist keinesfalls so, dass Konkurrenzfähigkeit das Überleben sichert.


SOZ: Auf der Belegschaftsversammlung am 30. März ging es hoch her. IG-Metall-Vertreter wurden beschimpft, Kollegen drohten mit Austritt, sollte die Gewerkschaft Lohnansprüche abtreten. Kannst du mehr darüber erzählen, wie es dazu kam?

MÜLLER-HEIDENREICH: Auf der Betriebsversammlung sind 20 bis 25 Kollegen aufgetreten, fast alle haben gegen einen Verzicht auf die aktuelle Auszahlung der Tariferhöhung (zum 1. Mai) gesprochen, wie ihn die IG Metall im Rahmen ihres Finanzierungskonzepts für Opel empfiehlt. Der Betriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel musste darum bitten, den IG-Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhardt doch seine Meinung sagen zu lassen; er hatte es aber schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die erste Lohnerhöhung von 2,1% aus dem Tarifvertrag wurde ja am 1. Februar fällig; die wurde schon von Opel nicht ausgezahlt.

Viele regen sich darüber auf, dass wir seit 16 Jahren am laufenden Band verzichten und die außerbetrieblichen Lohnbestandteile für die Masse der Beschäftigten weggeschmolzen sind.


SOZ: Die IG Metall wollte eine Abstimmung in der Belegschaft durchführen lassen, um deren Zustimmung zum Verzicht zu belegen. Warum wurde das jetzt verschoben? Fürchtet die IG Metall, dass sie diese Zustimmung nicht bekommt?

MÜLLER-HEIDENREICH: Dass die IG Metall sich gezwungen sah, so eine Abstimmung unter den Mitgliedern durchzuführen, ist an sich schon ein Zeichen dafür, dass in Bochum die Glocken anders schlagen. Das hat was mit der Selbstständigkeit zu tun, mit der wir 2004 den Kampf geführt haben. Ich weiß nicht, wie die Abstimmung ausgeht. Viele sagen 50:50. Ich denke, dass die Mehrheit nicht verzichten will, bin aber nicht enttäuscht, wenn es nicht so ist. Es wird ja zum Teil so dargestellt, als würde davon die Existenz von Opel abhängen. Verschoben wurde die Abstimmung nun auf den 21. April, weil zu viele Mitglieder die Abstimmungsunterlagen nicht rechtzeitig zu Hause im Briefkasten gehabt haben sollen.


SOZ: Mit welcher Orientierung versucht die GoG in den Konflikt einzugreifen? Wie kann ein erfolgreiches Widerstandskonzept entstehen?

MÜLLER-HEIDENREICH: Wir versuchen möglichst keine Illusionen zu erzeugen. Wir favorisieren nicht irgendein Modell, z.B. staatliche Beteiligung, staatliche Bürgschaft, irgendeinen Investor oder Ähnliches. Wir müssen unsere Haut so teuer wie möglich verkaufen. Wir können die Krise des Kapitals nicht lösen. Das können die ja selbst nicht. Wir sollen aber die sein, die dafür zahlen.

Entscheidend ist, dass wir bleiben, wenn nötig auch ohne Standort Opel. Dafür bräuchten wir Arbeitslosengeld bis zum Ende der Arbeitslosigkeit und eine Abschaffung von Hartz IV. Auf dieser Grundlage können wir uns mit anderen Krisenopfern zusammenschließen.

Je größer der Widerstand und je breiter die Protestbewegung, desto größer werden die Bemühungen von Politik und Kapital sein, uns zu befrieden. Von einem Widerstandskonzept kann man gegenwärtig nicht reden. Dazu hängt alles zu sehr in der Luft. Und ob es dann erfolgreich ist, weiß man eh erst, wenn es zum Tragen kommt. Am ehesten liegt das Widerstandspotenzial momentan in der Weigerung zum Verzicht. Möglich, dass sich hieraus etwas entwickelt.


SOZ: Der Gesamtbetriebsrat von Opel und die IGM suchen den Schulterschuss mit dem europäischen Management von General Motors, der Landesregierung und dem Kanzleramt. Ihr Kampf für die Erhaltung der Betriebe liest sich wie ein Werbeprospekt für Investoren. Wie sieht es mit dem Schulterschluss der Belegschaften aus, die von Schließungen betroffen sind? Gucken wir hier in ein schwarzes Loch?

MÜLLER-HEIDENREICH: Der Schulterschluss der Belegschaften ist, abgesehen vom Europäischen Aktionstag, eher kärglich. Die Betriebsräte der einzelnen Standorte trauen sich ja nicht mehr über den Weg. Jeder kocht sein eigenes Standortsüppchen. Das können die Belegschaften nur durchbrechen, wenn sie nach vorne gehen. Learning by doing, solidarisieren im Kampf. Auch in schwarzen Löchern gibt es Materieteilchen und unter Umständen eine gewaltige Energie.

Auch ohne den direkten Schulterschluss mit Kollegen aus anderen Werken kann wieder was ins Rollen kommen, wenn eine Belegschaft anfängt, aus der Reihe zu tanzen. Die ist dann sofort Bezugspunkt für viele. Doch die Situation ist dafür eher schwieriger geworden.

Uns fehlen mittlerweile einige der Leute, mit denen wir uns in der Vergangenheit auf Zuruf vernetzen konnten, um gemeinsam einen Arbeitskampf zu organisieren. Sie haben den Betrieb verlassen.


SOZ: Wäre nicht eine Werksbesetzung eine notwendige Vorbedingung dafür, überhaupt eine andere Perspektive zu eröffnen als die von oben vorgesehene? Fehlen dafür die Voraussetzungen oder greift das ins Leere?

MÜLLER-HEIDENREICH: Der Hauptgrund, warum in der Belegschaft noch relative Ruhe herrscht, ist, dass wir keine Antwort haben auf die Frage: Wie können wir uns wehren? Für was kämpfen wir? Gegen wen oder an wen wenden wir uns? Die selbstständige Orientierung ist heute unvergleichlich schwieriger als in der Vergangenheit. Im Moment halte ich es für wichtiger, den Protest auf die Straße zu tragen, in die Stadt, auf Straßenkreuzungen usw., sich mit anderen Belegschaften zu verbinden, z.B. hier in Bochum mit Thyssen-Kollegen und anderen, für politische Forderungen einzutreten wie "Weg mit Hartz IV", "Verlängerung und Erhöhung des ALG I", "10 Euro Mindestlohn".

Wenn wir eine Perspektive eröffnen wollen, können wir nicht darauf setzen, unbedingt Opel wieder in Gang zu bekommen, damit es uns dann wieder gut geht. Das trägt eh nur bis zur nächsten Krise. Wir müssen diese Wirtschaftsordnung angreifen, die solche Krisen zwangsläufig hervorbringt. Solange unsere Arbeitskraft eine Ware bleibt und wir nicht darüber entscheiden können, was mit dem von uns produzierten Reichtum passiert, ist es schwer, an eine andere Perspektive zu denken.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 24. Jg., Mai 2009, Seite 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2009