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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1312: Die "Schweine"grippe, oder Das Geschäft mit der Angst


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 - September 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die "Schweine"grippe, oder:
Das Geschäft mit der Angst

Von Thadeus Pato


Ein Gespenst geht um auf dem Globus: die "neue Influenza", fälschlicherweise - aber höchst werbewirksam - suggestiv "Schweinegrippe" genannt. Nähme man den Hype, der in den letzten Monaten darum veranstaltet wird, ernst, müsste man meinen, der schwarze Tod des Mittelalters, die Pest, sei in Gestalt eines mutierten Grippevirus wiedergekehrt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedenfalls scheint diese Meinung zu vertreten. Sie hat Pandemiealarm ausgelöst. Allerdings musste sie, um dies tun zu können, zu einem Kunstgriff Zuflucht nehmen. Nach der bisherigen Definition von "Pandemie", die die WHO seinerzeit selbst aufgestellt hat, wäre für die Ausrufung einer solchen erforderlich, dass es sich dabei um eine weltweit in bestimmtem Ausmaß auftretende Erkrankung mit hoher Sterblichkeit handelt.

Doch alle epidemiologischen Daten belegen, dass das völliger Nonsens ist. Die neue Virusvariante unterscheidet sich weder hinsichtlich der Ansteckungsgefahr, noch der Virulenz des Erregers noch der Sterberate wesentlich von der altbekannten Influenza A, die uns alle Jahre wieder heimsucht.

Um es auch für Nichtmediziner verständlich auszudrücken: Es handelt sich um eine banale Grippeerkrankung, die ebenso gefährlich oder ungefährlich ist wie alle anderen auch. Denn was die meisten Menschen ebenfalls nicht wissen: Es gibt um die 200 verschiedene Viren, die eine Grippe auslösen können. Dass immer nur von den Influenzaviren geredet wird, hat den schlichten Grund, dass (bisher) mit den anderen Erregern kein Geschäft zu machen ist.

Fakt ist: Nur etwa 7% der Influenzafälle werden tatsächlich von Influenza-Viren der bisher gängigen Varianten oder der die derzeitige Hysterie hervorbringenden Variante ausgelöst. Die restlichen 93% stammen von verschiedenen anderen Erregern, z.B. den sogenannten Rhinoviren, von denen einige den "echten" Grippeviren in ihrer Gefährlichkeit um nichts nachstehen. Folglich kann man auch gar nicht exakt sagen, wieviele der geschätzten 10000-30000 Todesfälle, die von den jährlich wiederkehrenden Grippewellen in Deutschland gefordert werden, auf welche Virenstämme zurückzuführen sind. Die WHO weiß das natürlich auch, deshalb hat sie, ohne Begründung und ohne großes Aufhebens, das Kriterium der "hohen Sterblichkeit" Anfang Mai 2009 flugs aus ihrer Definition gestrichen.

Für die Pharma- und Impfstoffindustrie ist die "neue Influenza" ebenso eine echte Bonanza wie für diverse Forschungsinstitute, die direkt und eng mit der ersteren zusammenarbeiten. In den USA sollen 160 Millionen, in Deutschland 50 Millionen Menschen geimpft werden - ein Milliardengeschäft, die Impfstoffe sind schon bestellt.

Darüber hinaus werden Virustatika wie Oseltamivir (Handelsname: Tamiflu) in einem Ausmaß staatlicherseits gebunkert, dass die Pillenmaschinen heißlaufen. Die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen ist ebenso anzuzweifeln wie ihre Wirksamkeit.

Im Moment weiß niemand, ob der jetzt in Produktion befindliche Impfstoff überhaupt einen nennenswerten Schutz bieten wird. Genaues wird man bestenfalls im nächsten Jahr wissen. Hinzukommt, dass die Grippeimpfung gerade bei den Gruppen - Alte, Kinder, chronisch Kranke - denen sie bevorzugt angeboten wird, grundsätzlich ausgesprochen schlecht wirkt.

Und ungefährlich ist sie auch nicht unbedingt: 1976 kam es zu einem lokalen Ausbruch einer neuen Virusvariante bei US-Soldaten in Fort Dix, New Jersey. Die US-Gesundheitsbehörden starteten ein Impfstoffproduktionsprogramm und eine öffentliche Kampagne, bis Mitte Dezember 1976 waren 40 Millionen US-Amerikaner geimpft - damals die größte Impfkampagne der Geschichte. Anschließend wurde bekannt, dass einige Geimpfte ein sog. Guillain-Barré-Syndrom entwickelt hatten. Für diese ausgesprochen folgenreiche Erkrankung, bei der es sich um ein Autoimmunphänomen handelt, bei dem der Körper Antikörper gegen die eigenen Nervenzellen entwickelt, werden auch Impfstoffe verantwortlich gemacht; schon in den 50er Jahren wurde in den USA ein Impfstoff deswegen vom Markt genommen.

Was Tamiflu betrifft, waren nach den eigenen Untersuchungen der WHO über 90% der Erreger der herkömmlichen Influenza in der letzten Grippesaison gegen das Mittel resistent. Einmal abgesehen davon, dass bei diesem Medikament erhebliche Nebenwirkungen auftreten können, insbesondere bei Kindern: Oseltamivir (Tamiflu) kann bei ihnen Bewusstseinsstörungen und Wahnvorstellungen zur Folge haben.

Nach Prüfung von mehr als 100 Fällen von abnormem Verhalten, darunter drei mit tödlichen Folgen, haben sich Gesundheitsexperten in den USA dafür ausgesprochen, auf der Verpackung die Überwachung von Tamiflu-Patienten zu empfehlen. Aus Untersuchungen des Epidemiologen Tom Jefferson, der bei der industrieunabhängigen Cochrane Collaboration beschäftigt ist, geht hervor, dass Tamiflu allenfalls in der Lage ist - wenn es denn überhaupt wirkt - die Erkrankungsdauer um einen Tag (!) zu verkürzen.

Jefferson hat denn auch in einem Interview mit dem Spiegel deutlich Stellung bezogen: Als er gefragt wurde, warum trotz dieser Fakten so hysterisch reagiert werde, antwortete er trocken, diese Frage müsse man nicht ihm, sondern der Pharmaindustrie stellen.

Bei denen, die die Hysterie jetzt schüren, handelt es sich schlicht um Geschäftemacher: Für die 1,6 bis 3 Millionen Menschen, die jedes Jahr weltweit an Tuberkulose sterben, und die 1,5-2,7 Millionen, die an Malaria sterben - an Krankheiten also, die gut zu behandeln und zu verhindern wären, von den 8,8 Millionen, die jährlich Hungers sterben, ganz zu schweigen - gibt es keine gigantischen Sofortprogramme, keine Vorratshaltung an Medikamenten, keine kostenlosen Massenimpfungen, keine Forschungsgelder in annähernd vergleichbarer Höhe.

Aber an den Leuten ist ja auch nichts zu verdienen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 24.Jg., September 2009, Seite 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2009