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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1374: Die Kopf-ab-Pauschale


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Gesundheit
Die Kopf-ab-Pauschale
Schon der untere Mittelstand gehört zu den Verlieren

Von Thadeus Pato


Man stelle einen jungen, sympathischen Arzt als Gesundheitsminister an, lasse ihn mit seriösem Habitus hanebüchenen Unsinn verbreiten, und dann verpasse man der ungeliebten Solidarversicherung den Fangschuss: So hatten sich die FDP und die hinter ihr stehende, sattsam bekannte, Klientel die neue Gesundheitspolitik vorgestellt. Ob es so kommt?

Hinter dem Rösler'schen Manöver steckt Methode. Es sei daran erinnert, dass die Idee der Kopfpauschale vor ein paar Jahren von der CDU und ihrem willfährigen wissenschaftlichen Grüßaugust, dem Herrn Professor Rürup, vertreten und propagiert wurde, während die FDP mit dem inzwischen tief gefallenen Herrn Möllemann die Solidarversicherung schon Anfang der 90er Jahre ganz abschaffen und stattdessen eine Bodensatzversorgung für die Armen einführen und den Rest auf den freien Versicherungsmarkt schicken wollte. Jetzt versucht man es einmal anders herum: Die FDP fordert die Pauschale, und CDU/CSU präsentieren sich als Hüterin des Sozialstaats.


Billiger als Beitrag?

Auf den ersten Blick hört es sich für alle, die bisher in die AOK oder eine der anderen gesetzlichen Kassen einzahlen, verlockend an: Die Beiträge sinken durch die Kopfpauschale dramatisch. Aber das ist eine Milchmädchenrechnung. Wie wir schon 2004 beim damaligen Versuch der CDU, die Pauschale ins Gespräch zu bringen, nachwiesen, zeigen die Erfahrungen in der Schweiz, dass die Kopfpauschale exorbitanten Beitragserhöhungen Tür und Tor öffnet.

Die Rechnung ist einfach: Die Gesamtkosten des Systems werden durch die Art der Beiträge in keiner Weise beeinflusst. Zunächst einmal wird das System also, wie auch von Rösler angekündigt, mit Steuermitteln subventioniert werden müssen, um die Pauschale niedrig zu halten, respektive sie überhaupt einführen zu können. Unterdes steigen die Kosten weiter, und die Deregulierung schreitet voran.

In der Schweiz wurde die Pauschale 1996 eingeführt - die Beiträge stiegen danach innerhalb weniger Jahre um sage und schreibe 60%. 30% der Versicherten waren auf staatliche Zuschüsse angewiesen, und ein Schweizer Gesundheitsökonom stellte anschließend fest: "Die schweizerischen Erfahrungen zeigen, dass schon der untere Mittelstand - Familien mit Kindern - zu den Verlierern eines solchen Systems gehört." Denn, was häufig vergessen wird: Die Pauschale wird pro Kopf erhoben, d.h. die bisherige Familienmitversicherung entfällt - für jedes Familienmitglied muss einzeln geblecht werden.


Geschäft mit der Krankheit

Dass das deutsche Gesundheitssystem (oder besser: Krankheitsbehandlungssystem, denn in den seltensten Fällen geht es um Gesundheit) auch im internationalen Vergleich viel zu teuer ist, ist unbestreitbar. Aber das hat nichts mit dem Beitragssystem zu tun. Seit über dreißig Jahren haben alle Regierungen schrittweise das anfangs noch zumindest im Krankenhausbereich weitgehend öffentliche System für die private Kapitalverwertung zugerichtet. Seit der Einführung der Fallpauschalen kann man mit Krankenhäusern richtig gut Geld verdienen - auf Kosten der Qualität und auf dem Rücken der Beschäftigten.

Dementsprechend drängt Kapital in diesen Sektor: Bereits mehr als ein Drittel der Krankenhäuser, bis hin zu Universitätskliniken, sind von Klinikkonzernen aufgekauft. Gleichzeitig kaufen diese Ketten noch Arztsitze und gliedern ihren Krankenhäusern sog. Medizinische Versorgungszentren als Patientenzulieferbetriebe an.

Die Industrialisierung des Medizinbetriebs ist gewollt und die Kopfpauachale ist ein weiterer Schritt hin zu seiner endgültigen Zurichtung zu einem "normalen Geschäftszweig". Dabei stellt die Solidarversicherung eine Barriere dar, die fallen muss. Das Vorgehen ist simpel: Erst privatisiert und dereguliert man den Behandlungssektor, dann stellt man fest, dass das Ganze "nicht mehr bezahlbar" sei, macht das Prinzip der Solidarversicherung dafür verantwortlich und setzt auf die niedrigen Instinkte der Bevölkerung, indem man ihr das Zuckerbrot der (auf den ersten Blick für den Durchschnittsverdiener billigeren) Kopfpauschale vor die Nase hält. Die Peitsche der dann folgenden Beitragserhöhungen versteckt man solange hinter dem Rücken.

Die eigentlich Verantwortlichen für die absurden Kosten eines vom gesundheitswissenschaftlichen Standpunkt ineffizienten und inzwischen auch regelrecht gesundheitsgefährdenden Systems, nämlich die Pharma- und Medizinindustrie einschließlich der "Gesundheits"konzerne bleiben unbehelligt, sie werden die einzigen sein, die von einer Umstellung profitieren. Denn wenn das Prinzip der einkommensabhängigen Beitragsstaffelung wegfällt, dann kann man sich auch gleich in die Privatversicherung verabschieden. Die wartet schon darauf...


Schlichtmedizin

Billiger wird das Ganze nicht, denn auf der Kostenseite passiert nichts, sieht man einmal von den alle Jahre wieder verkündeten "Verpflichtungen" der Pharmaindustrie ab, die diese allerdings nicht so behindern, dass sie nicht alle Jahre wieder satte Gewinne verkünden könnte.

Aber irgendwer wird die Zeche bezahlen müssen. Die Arbeitgeber werden es nicht sein, die sollen ja gerade "entlastet" werden, sie zahlen inzwischen auch schon deutlich weniger als die ursprünglichen 50% der Beiträge. Die "sozial Schwachen" sollen nun laut Rösler aus Steuermitteln bezuschusst werden. Da lässt Herr Möllemann grüßen: Diesen Zuschuss kann man nach einer Schamfrist herunterfahren und dann endlich dahin kommen, wo man schon immer hinwollte: Zu einer Schlichtmedizin für Arme. Für die wird die Kopfpauschale dann zur Kopf-ab-Pauschale...

Eine weitere Folge in Bezug auf das Massenbewusstsein ist ebenfalls gewollt: Die Idee des Solidarausgleichs zwischen Reich und Arm, Alt und Jung soll endlich aus den Köpfen verschwinden, dazu müssen die letzten, noch so ärmlichen Relikte solch empörend unkapitalistischer Denkweise verschwinden.

Dass die CDU/CSU (noch) nicht mitmachen will, hat seinen Grund darin, dass sie die Umfragen kennt: Seit Jahren gibt es in der Bevölkerung eine stabile absolute Mehrheit für die Beibehaltung der Solidarversicherung. Der Herr Seehofer sagte das bereits 2004 in dankenswerter Deutlichkeit: Die Kopfpauschale sei ein "Sympathiekiller". Folglich wettert er jetzt auch werbewirksam gegen den netten Herrn Rösler.

Aber warten wir mal die nächsten Wahlen ab: Schließlich stammt die Idee der Kopfpauschale von der CDU selbst...


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 25. Jg., März 2010, Seite 9
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2010