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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1389: "Es ist unmöglich, unter den Regeln von Maastricht zu leben"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Es ist unmöglich, unter den Regeln von Maastricht zu leben"

Von Yannis Almpanis


Mit dem Eintritt in die Eurozone haben die griechischen Regierungen den Reedern und Kaufleuten geholfen, Anschluss an das europäische Finanzkapital zu finden - dafür wurden Bilanzen gefälscht und die Staatskasse geplündert. Jetzt ist das Debakel perfekt, und wieder bedient der sog. Rettungsplan nur die Interessen der Spekulanten und Banken.


Diesmal haben die radikale Linke und die sozialen Bewegungen die Zukunft richtig vorausgesehen. Als Griechenland mit triumphalen Feiern der Eurozone beitrat, warnten wir, die gewaltigen Ungleichheiten zwischen den entwickelten nördlicheren europäischen Wirtschaften (wie Deutschland) und dem relativ schwachen europäischen Süden (wie Griechenland) werde, in Anbetracht der Vorherrschaft der Konservativen, unvermeidlich zu einem gewaltigen Druck auf die Löhne führen. Die griechische Wirtschaft sei nicht mehr in der Lage, ihre Währung abzuwerten und stünde ohne einen europäischen Mechanismus zum Ausgleich der großen Differenzen zwischen den europäischen Ökonomien da. Damit werde jede Anstrengung zur ökonomischen Anpassung auf die einzig verbleibende Variable, nämlich die direkten und indirekten Lohnkosten, durchschlagen. Zehn Jahre später erwies sich unsere Voraussage (die damals als dogmatisch bezeichnet wurde) als vollkommen richtig.

Als Griechenland 2004 seinen glamourösen Traum der Olympischen Spiele lebte, waren wir wenige, die der Neuen Großen Idee von unserer glorreichen und historischen Nation widerstanden. Das Resultat dieser gewaltigen griechischen Fiesta war ein wirkliches Desaster: Zurück blieben Kosten zwischen 20 und 30 Mrd. Euro, (niemand kennt die genaue Zahl) für vollkommen kontraproduktive Investitionen. Athen ist jetzt voll von geschlossenen großen Sportanlagen, die niemand nutzt.


Als die Stunde der Wahrheit kam, erinnerte jedoch fast niemand an die Worte der neoliberalen Politiker und Massenmedien von damals. Die neue sozialdemokratische Regierung konnte deshalb leicht Sündenböcke für die in Schwierigkeiten geratenen öffentlichen Finanzen ausmachen: Einerseits stellte sie unsere wenige Jahre zuvor noch so mächtige Nation als schutzloses Opfer ausländischer Spekulanten dar. Andererseits behauptete sie, die Krise sei die Folge chronischer struktureller Probleme der griechischen Wirtschaft: ein zu großer öffentlicher Sektor mit zu vielen (und gut bezahlten) Angestellten. Der Bankrott sei unvermeidlich, wenn das Land im April und Mai nicht 24 Mrd. Euro auftreiben könne, um sein öffentliches Defizit zu refinanzieren, oder wenn es auf den internationalen Märkten weiter Anleihen zu einem Zinssatz von 6,3% aufnehmen müsse.

Um den Bankrott zu vermeiden und um weiter billiges Geld aufzutreiben, müsse das Land das Vertrauen der Europäischen Union und der internationalen Märkte wiedererlangen. Der beste Weg, das Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen, sind natürlich schmerzhafte Maßnahmen zulasten der eigenen Bevölkerung. Also werden wir regelrecht erpresst: Wenn die Arbeitenden die Sparmaßnahmen nicht akzeptieren, wird das Land bankrott gehen.

Das von der griechischen Regierung und der EU ausgearbeitete Stabilitäts- und Entwicklungsprogramm ist wirklich schmerzhaft: Den Beschäftigten im öffentlichen Sektor werden die Einkommen um 10% gekürzt, die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte heraufgesetzt, die öffentlichen Ausgaben um 10% gesenkt, das Renteneintrittsalter um zwei Jahre angehoben, bei der Bildung 100 Mio. Euro gestrichen. Die Regierung will damit 4 Mrd. Euro einsparen und an die EU und die internationalen Märkte eine Botschaft senden, die mit dem Dogma des neoliberalen Fundamentalismus konform geht.

Trotz seines unsozialen Charakters scheint der Plan die internationalen Märkte jedoch nicht zu überzeugen, die Zinsen für Griechenland sind immer noch zu hoch (über 6%). Deshalb wird an einem EU-Rettungsplan gearbeitet. Noch ist der exakte Inhalt dieses Plans nicht bekannt. Aber wir sind ziemlich sicher, dass die europäische Hilfe, zusätzlich zur Politik unserer Regierung, unweigerlich zum sozialen Bankrott führen wird.

Die Prognosen der Deutschen Bank sind erschreckend: ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 7,5% bis 2012, eine Erwerbslosenrate von 20% (das sind etwa eine Million Menschen). Das einzige, was dieses Stabilitäts- und Entwicklungsprogramm sicher retten wird, sind die Profite der internationalen Spekulanten und der griechischen Unternehmer - tatsächlich kommt dieses Programm der Durchsetzung all dessen gleich, was der griechische Unternehmerverband seit 20 Jahren fordert.


Selbstverständlich müsste ein anderer Weg eingeschlagen werden, und eine alternative Wirtschaftspolitik ist stets möglich. Zwar ist die griechische Staatsverschuldung (113% des BIP) größer als die Verschuldung der restlichen Euro-Gruppe, doch wenn wir die private Verschuldung hinzurechnen, kommen wir auf 173% des BIP das ist weniger als beim Rest der Eurogruppe. Ein sehr entwickeltes Land wie Japan hat eine öffentliche Verschuldung von 200% des BIP. 1993, vor der Einführung des Euro, verwandte Griechenland 14% seines BIP auf den Schuldendienst; jetzt sind es 6%. So groß ist Griechenlands Verschuldung also nicht. Das wirkliche Problem liegt darin, dass die Eurozone auf extrem rigiden neoliberalen Regeln basiert, die die Bedeutung der öffentlichen Schulden übertreiben und ihre Bedienung erschweren.


Die griechische Regierung könnte das nötige Geld auch anderswo auftreiben. Zum Beispiel erhalten die Reeder die Mehrwertsteuer für Güter, die sie in griechischen Häfen kaufen, zurück - Griechenland unterhält mit über 4000 Schiffen unter griechischer Flagge die größte Handelsflotte der Welt. So gehen dem Staat jährlich etwa 6 Mrd. Euro verloren - die Einsparungen aufgrund des Stabilitätsprogramms werden auf weniger als 5 Mrd. Euro geschätzt. Im vergangenen Jahr zahlten die griechischen Reeder weniger an Steuern als die Immigranten an Gebühren für den Erhalt von GreenCards.

Außerdem haben die Mehrzahl der griechischen Unternehmer ihre Vermögenswerte zu Offshore-Unternehmen nach Zypern transferiert, der Steuersatz beträgt dort 10%. Die griechisch-orthodoxe Kirche ist von jeder Steuer befreit, die Kirche ist die größte Immobilienbesitzerin des Landes, ihr gehören Wälder, Felder, Seen und Tausende von Gebäuden. Die griechischen Unternehmer führen nicht den Betrag an die Sozialversicherung ab, zu dem sie verpflichtet sind. Zu Beginn der Krise haben die griechischen Banken 28 Mrd. Euro aus Steuermitteln bekommen, jetzt spekulieren sie mit den Staatsschulden - die meisten internationalen Spekulanten sind Griechen, Deutsche und Franzosen. Jedes Jahr werden 4% des BIP für die Rüstung ausgegeben, allein 10 Mrd. Euro gehen an die Rüstungsindustrie in den USA und in der EU.

Die Regierung könnte das Geld, das sie braucht, leicht von den Reichen nehmen, sie nimmt es aber lieber von den Armen.

Schließlich dürfen wir die europäische Ebene nicht vergessen. Das soziale Desaster, das die griechische Bevölkerung derzeit erleidet, ist ein Ergebnis der neoliberalen Struktur der europäischen Finanz- und Währungsunion: Es gibt eine gemeinsame Währung ohne gemeinsamen Haushalt, einen europäischen Binnenmarkt ohne Mechanismen der Umverteilung, und einen Stabilitätspakt, der einzig die Profitinteressen im Auge hat. Die Krise zeigt, dass es unmöglich ist, weiter unter den Regeln von Maastricht zu leben.


Griechenland war stets ein Land mit großer sozialer Ungleichheit. Die griechische Kaufkraftparität beträgt 92% der Eurozone, die Löhne liegen bei etwa 70%. Vor diesem Hintergrund sind die neuen Sparmaßnahmen einfach nicht tragbar. Nicht nur kann die Bevölkerung mit einem derart reduzierten Einkommen nicht leben, wird der heimische Markt für viele Jahre eingefroren - es gibt auch überhaupt keine Hoffnung auf einen Ausweg aus dem Elend. Das Gefühl der Verzweiflung verschlimmert sich noch unter dem Eindruck, dass wir von den Europäern allein gelassen werden und die sog. EU-Hilfe eine Politik im Stil des IWF ist, die zu einer sozialen Krise führen wird, wie man sie von der Dritten Welt kennt. Zum ersten Mal seit dem Ende des Bürgerkriegs 1949 gibt es derart wenig Hoffnung in der griechischen Gesellschaft.

Natürlich führt Verzweiflung nicht automatisch zu Widerstand. Viele haben das Gefühl, dass man nichts tun kann. Es ist schon schwer, die eigene Regierung zu schlagen, doch gleichzeitig die griechische Regierung, die EU, den IWF, Deutschland, Frankreich, die mysteriösen internationalen Märkte, die ganze Welt, die sich alle gegen die griechischen Werktätigen verschworen haben, zu schlagen, das scheint wirklich unmöglich.

Andererseits wenden sich immer mehr Menschen gegen die Regierung und die Mobilisierungen werden zunehmend größer: Es gab zwei sehr erfolgreiche Generalstreiks, Großdemonstrationen in allen größeren Städten, Aktionen und Versammlungen, Basisgewerkschaften und örtliche Komitees koordinieren sich, es gibt mutigen Widerstand gegen Polizeiprovokationen. Die Werktätigen geraten in Bewegung, selbst gegen den Willen des gewerkschaftlichen Dachverbands GSEE, der dem IBFG angehört. Derzeit scheint es, dass der Widerstand stärker wird, je mehr die Menschen die Auswirkungen der neuen Maßnahmen zu spüren bekommen.

Der Autor Yannis Almpanis ist Mitglied des griechischen Netzwerks für politische und soziale Rechte.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 25. Jg., April 2010, Seite 11+13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2010