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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1395: Der 16. Weltkongreß der IV. Internationale


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der 16. Weltkongress der IV. Internationale
Im Visier: Eine neue Internationale

Von Manuel Kellner


Rund 200 Delegierte und Gäste in der Nähe des belgischen Ostende klatschen stehend Beifall: Gerade ist die Aufnahme der russischen Sektion verkündet worden. Der Kongress hat Grund zu Freude und Genugtuung, denn die Mitglieder der 1938 gegründeten internationalen Organisation waren in der Sowjetunion unter Stalin verfolgt und buchstäblich ausgerottet worden - vor allem ihre russische Sektion. Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten ist die IV. Internationale wieder in Russland präsent - mit einer kleinen, aber ernsthaft und unsektiererisch arbeitenden Organisation. Zehn Jahre lang gab es Kontakt, Zusammenarbeit und Diskussionen mit der "Sozialistischen Bewegung Wperjod" (Vorwärts), bevor diese sich zum Eintritt entschloss.

Das war aber auch der einzige Moment auf diesem Kongress in der letzten Februarwoche des Jahres 2010, der einem breiteren linken Publikum einen Eindruck von der besonderen Geschichte der Internationale vermittelt hätte. Die hier verhandelten Entschließungstexte und Diskussionen zeigten eine revolutionäre Organisation, die zugleich für neue Entwicklungen, Erfahrungen, Generationen und andere linke Strömungen offen ist, die sich weiterentwickeln kann und sich in breitere politische Formierungsprozesse einbringen will.

Im Einklang mit dieser Orientierung beschloss der Kongress eine Resolution zu "Rolle und Aufgaben". Sie fordert eine Stärkung der IV. Internationale, um ein besseres Instrument für den Kampf um eine neue, breitere Internationale zu schaffen, die auch andere antikapitalistische Strömungen umfassen soll.

Ein Beispiel dafür, dass das ernst gemeint ist, hat vor einem Jahr die stärkste Sektion der IV. Internationale in Europa, die französische LCR, erbracht: Sie hat sich selbst aufgelöst, um zusammen mit anderen Organisationen und Strömungen die NPA, die Neue Antikapitalistische Partei, zu gründen. Der Weltkongress hat aber auch festgehalten, dass die konkreten Wege der politischen linken Neuformierung in den verschiedenen Ländern von den jeweils konkreten Bedingungen abhängig sind und das französische Beispiel nicht einfach kopiert werden kann.

Dasselbe gilt natürlich auch für die internationale Ebene selbst. Hier wird es eine Reihe weiterer Begegnungen, Diskussionen, Konferenzen auf kontinentaler und Weltebene - und auch neue Erfahrungen der Zusammenarbeit bei breiten internationalen Mobilisierungen - geben müssen, bis eine neue Internationale Gestalt annehmen kann.

Seit dem XV. Weltkongress im Februar 2003 ist die IV. Internationale gewachsen - trotz des Verlustes von rund 3000 Mitgliedern in Brasilien. Dieser war der Tatsache geschuldet, dass sich die Tendenz Democracia Socialista in der Arbeiterpartei (PT) in die Teilnahme an einer prokapitalistischen Regierung verstrickt hatte. Als brasilianische Sektion ist nun die Minderheit der früheren Sektion anerkannt. Sie nimmt am Aufbau der Partei des Sozialismus und der Freiheit (PSOL) teil, die deutlich links von der PT steht.

Einen anderen Weg als die Mehrheit der früheren brasilianischen Sektion haben die Italiener eingeschlagen: Nach dem Rauswurf eines Senators und eines Parlamentsabgeordneten aus Rifondazione Comunista, weil sie gegen den Kriegseinsatz in Afghanistan gestimmt hatten, baute die italienische Sektion die Strömung Sinistra Critica auf. Mit etwa 1000 Mitgliedern ist sie heute dreimal so stark wie die Mitglieder der Internationale in Italien. Nach eigenem Bekunden steht Sinistra Critica der IV. Internationale inzwischen nahe genug, um einen baldigen Eintritt zu erwägen.

Der organisatorische Schwerpunkt der IV. Internationale hat sich mit dem XVI. Weltkongress nach Asien verlagert. Die philippinische Sektion hatte auf dem Kongress 25 Mandate, die Mitglieder der IV. Internationale in der französischen NPA 20 Mandate. Anwesend war auch die Labour Party Pakistan, die mehr als doppelt so groß ist wie die philippinische Sektion. Vertreten durch Farooq Tariq, bekräftigte sie ihre Zugehörigkeit zur IV. Internationale, wenn sie auch aus formalen Gründen bislang nicht formell Sektion sein kann. Empört nahm der Kongress übrigens zur Kenntnis, dass der belgische Staat - Schengen lässt grüßen - fünf von sechs Mitgliedern der pakistanischen Delegation ohne jede Begründung die Einreise verweigert hat.

Das International Institute for Research and Education (IIRE) in Amsterdam, ein wichtiges, mit der IV. Internationale verbundenes, Forschungs- und Bildungszentrum, das internationale Seminare, Veranstaltungen und Begegnungen organisiert, bekommt Filialen: In Manila gibt es bereits ein Schwesterinstitut, in der weiteren Planung ist ein IIRE in Islamabad und eine ähnliche Einrichtung in Mexiko.

Neben der Debatte zur internationalen Lage, zur gegenwärtigen Zuspitzung der Krise der kapitalistischen Klassengesellschaft und zum Stand des Widerstands und der Gegenbewegungen von unten verabschiedete der Kongress auch eine Entschließung zum Klimawandel, in dem ökosozialistische Schlussfolgerungen gezogen werden, sowie eine Reihe von Entschließungen zu Einzelfragen.


Für weitere Berichte und Übersetzungen von Entschließungen siehe
Inprekorr ( http://inprekorr.de ) und www.islinke.de


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 25. Jg., April 2010, Seite 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2010