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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1465: Bernd Riexinger über die Protestbewegung gegen S21


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Stuttgart 21
Die Proteste mit der sozialen Frage verbinden
Bernd Riexinger über die Protestbewegung gegen S21


In der veröffentlichten Meinung gilt der Protest gegen S21 als ein bürgerlicher, wenn nicht gar konservativer Protest. Der Eindruck lässt sich bei genauerem Hinsehen nicht halten. Die SoZ sprach mit Bernd Riexinger, Mitglied des Landesvorstands von DIE LINKE Baden-Württemberg und Geschäftsführer des Ver.di-Bezirks Stuttgart.


SOZ: Bist du Parkschützer?

BERND RIEXINGER: Ich bin nicht Parkschützer, aber ich bin regelmäßig bei den Demonstrationen, Sitzblockaden und sonstigen Aktionen dabei.

SOZ: Wodurch zeichnen sich die Parkschützer aus?

BERND RIEXINGER: Die Parkschützer sind eine große Bewegung, über 30.000 Menschen haben sich dafür eingetragen. Sie sind ein ganz wichtiger Motor für die außerparlamentarische Bewegung in Stuttgart. Sie verschieben die Grenzen des zivilen Ungehorsams im positiven Sinne.

SOZ: Wer ist denn da dabei?

BERND RIEXINGER: Ihre Zusammensetzung ist heterogen. Es sind deutlich mehr Jüngere dabei, und es sind auch Leute, die sich mit Übungen, regelmäßigen Treffen, Baumbesetzungen u.ä. über die Beteiligung an Demonstrationen hinaus organisieren.

SOZ: Die Parkschützer haben sich aus dem Schlichtungsverfahren ausgeklinkt und rufen stattdessen zu weiteren Mobilisierungen auf. Gibt es unterschiedliche Linien in der Bewegung oder gar unterschiedliche Interessen?

BERND RIEXINGER: Meines Erachtens gibt es eine Arbeitsteilung: Die Parkschützer nehmen bewusst, ihrer Eigenart entsprechend, nicht an den Verhandlungen teil und bilden sozusagen den außerparlamentarischen Flügel, während die anderen bei den Schlichtungsgesprächen mitmachen, aber trotzdem auch die außerparlamentarische Bewegung vorantreiben.

SOZ: Das hört sich sehr harmonisch an, ist das tatsächlich so oder gibt es da Argwohn?

BERND RIEXINGER: Es gibt schon unterschiedliche Strömungen in diesem Bündnis. Dieser Widerstand war am Anfang sehr bürgerlich, obwohl die Akteure gar nicht aus bürgerlichen Kreisen kommen, sondern eher linke Leute sind. Sie haben bestimmte Protestformen hervorgebracht, wie die Montagsdemonstrationen und hier und da auch größere Demos oder Festivals im Stadtpark. Dann sind die Parkschützer als zusätzliches Element dazugekommen, das gar nicht aus dieser Bewegung kommt. Meines Erachtens waren sie eine wirkliche Bereicherung, weil der Protest zu dem Zeitpunkt drohte, in Rituale zu verfallen. Da haben die Parkschützer mit einer größeren Militanz neuen Schwung reingebracht, neue Sichtweisen. Sie waren auch Demoveranstalter, haben die Besetzungen gegen den Abriss organisiert und neue Protestformen eingebracht. Das ging naturgemäß nicht ohne Spannungen ab.

Der Wendepunkt war der Abriss des Südflügels, da gab es eine spontane Besetzung, 40-50 Leute. Da gab es Differenzen mit den Altvorderen, ob sie das gut finden sollten oder nicht. Aber es zeigte sich, dass diese Grenzüberschreitung positiv bewertet wurde. Ein bisschen stand die Angst dahinter, dass womöglich der bürgerliche Teil des Protestes abspringen könnte. Das ist aber nicht passiert, im Gegenteil, es sind völlig neue Schichten und auch viele junge Leute dazugekommen.

Am Anfang waren da gar keine jungen Leute, nur ganz wenige. Jetzt ist da ein völlig neues Bild. Bei dem Übergriff der Polizei waren überwiegend junge Leute auf dem Platz und wurden Opfer der Polizeigewalt.

SOZ: Gibt es unterschiedliche Haltungen zur Schlichtung?

BERND RIEXINGER: Jein. Die Parkschützer haben schon ganz deutlich erklärt, dass sie davon nichts halten. Die linkeren, entschlosseneren Teile haben Angst, dass die Schlichtung die Bewegung auseinander treibt, weil da inhaltlich ja gar nichts dabei herauskommen kann. Es gibt ja nichts zu schlichten, es können nur Fakten auf den Tisch gelegt werden. Ein Teil ist möglicherweise enttäuscht, dass man sich auf Verhandlungen einlässt, und ein anderer Teil denkt: Och, ich brauch' nicht mehr auf die Straße zu gehen, die reden ja jetzt. Im Moment sieht man aber, es gehen nach wie vor Zehntausende auf die Straße. Es gibt vielleicht bei den Grünen eine Tendenz, die Proteste zu drosseln, doch faktisch setzt sich der außerparlamentarische Protest durch.

SOZ: Wenn es keinen Kompromiss geben kann, worin besteht dann der Sinn einer solchen Schlichtung?

BERND RIEXINGER: Die Gegner erhoffen sich, dass ihre Argumente durch die mediale Verbreitung in Fernsehen und Internet und die öffentliche Diskussion auch über Stuttgart hinaus bekannt werden und die Leute sehen, dass sie die besseren Argumente haben.

SOZ: Wie sehen die Umfragewerte für Baden-Württemberg im Vergleich zu denen für Stuttgart aus?

BERND RIEXINGER: Es gibt zwei Umfragen. Bei einer haben die Gegner eine deutliche Mehrheit von 54%, bei der anderen haben die Befürworter eine leichte Mehrheit von 46% gegen 44%. Die anderen sind unentschieden. In Stuttgart sind zwei Drittel gegen S21.

SOZ: Und wieviele von den Befürwortern haben tatsächlich am Samstag demonstriert?

BERND RIEXINGER: Ich denke das waren so 5000-7000. Bei den Gegnern gab es aber schon des öfteren 50.000-100.000 Demonstranten. Ich glaube, jeder 4. Stuttgarter war schon einmal auf der Straße. Wenn jede Woche Demos sind, sind das immer andere Leute. So was habe ich in meiner ganzen Zeit politischer Aktivität noch nicht erlebt.

SOZ: Was hältst du von einem landesweiten Volksentscheid?

BERND RIEXINGER: Ich befürchte, dass das eine Falle sein kann. Durch die mediale Überlegenheit der Gegenseite könnte das auch nach hinten losgehen. Es ist ja ein Stück weit eine Entlastung für die SPD, unter Umständen auch für die Grünen. Es ist riskant, weil man nicht weiß, ob es so ausgehen wird wie in Stuttgart. Natürlich ist es ein baden-württembergisches Projekt, aber darunter leiden tun die Stuttgarter. Meiner Meinung nach sollten die abstimmen, die näher an der Sache sind; das gilt vor allem für den Bahnhof. Der Bahnhof liegt halt in Stuttgart; über die Strecke nach Ulm kann man anderer Meinung sein.

SOZ: Du hast gesagt, der außerparlamentarische Widerstand muss auch nach den Landtagswahlen weitergehen. Nun könnten die Grünen stärkste Partei werden und erstmals eine Koalition mit der SPD bilden im Landtag, die ist aber für Stuttgart 21.

BERND RIEXINGER: Sie werden sich mit der SPD einigen, wenn sie mit der CDU koalieren würden, hätten sie dasselbe Problem. Viel wird davon abhängen, ob DIE LINKE in den Landtag kommt. Dann wäre der Druck auf die Grünen, Kurs zu halten, größer. Die Linken sind verlässlich auf der Seite der Gegner, die Grünen haben bezüglich ihrer Verhandlungsbereitschaft schon manchmal rumgeeiert. Führende Grüne arbeiten schon seit Jahren auf eine schwarz-grüne Koalition hin.

Laut Umfragen steht die Linke bei 5%, damit wären wir drin, aber das ist knapp. Bei den Bundestagswahlen hatten wir 7,2%, und wenn wir ähnlich viele Stimmen verlieren wie bei den Landtagswahlen in NRW, wird es schwierig.

Wir profilieren uns über die soziale Frage. Wir sprechen auch Themen wie Kinderarmut und Bildung an - wo Auslese betrieben wird. Zudem entstehen um die Industriekerne herum immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse. Das und der Mindestlohn sind wichtige Themen.

Außerdem werden die Bürgerlichen vermutlich die Migrationsfrage aufbringen. Wir sind das Bundesland mit dem meisten Einwohnern mit Migrationshintergrund, da ist es wichtig, diese Leute zur Wahl zu motivieren.

SOZ: Wie bringt ihr Stuttgart 21 mit der sozialen Frage zusammen?

BERND RIEXINGER: DIE LINKE ist kein dominierender Faktor im Protest, im Bündnis ist sie aber als Gruppe mit Stimmrecht anerkannt. Das hat lange gedauert, weil die Grünen versucht haben, DIE LINKE auszugrenzen. In Stuttgart wissen das viele und es kommt gut an. Aber medial kommen die Grünen zu Wort, also weiß das außerhalb von Stuttgart kaum jemand. Das können wir nicht ändern.

Aber die Sensibilität für soziale Fragen ist sehr groß. Vorletzten Samstag hat Konstantin Wecker gesagt: Für das hier gibt man Milliarden aus und auf der anderen Seite streicht man Hartz-IV-Beziehern das Essengeld. Dafür hat er den meisten Beifall bekommen.

In dem Protest drückt sich auch der Frust über 20 Jahre neoliberale Politik aus. Da kann die Linke einsetzen.

SOZ: Gibt es eine Stimmung, die sagt, 60 Jahre CDU sind genug?

BERND RIEXINGER: Ja, momentan gibt es eine Wechselstimmung. Aber man muss vorsichtig sein, das Wahlsystem ist auf die CDU zugeschnitten, und die Wahlen werden auf dem Land entschieden, nicht in Stuttgart.

SOZ: Wie stehen die Gewerkschaften zu Stuttgart 21?

BERND RIEXINGER: Ver.di hat sich schon 2007 gegen das Projekt entschieden. Im DGB, bei der IG Metall und anderen Gewerkschaften gab es eine eindeutige Pro-Stimmung, der DBG-Landeschef war im Unterstützerkreis für Stuttgart 21, ähnlich der Bezirksleiter der IG Metall. Das ist gekippt, als auf Antrag von Ver.di die letzte Landesbezirkskonferenz des DGB eine klare Mehrheit gegen Stuttgart 21 ergeben hat. Auch bei der nachfolgenden Delegiertenversamlung der IG Metall in Stuttgart gab es dann eine Mehrheit dagegen.

Insgesamt setzt sich das aber nicht um. Zwar werden immer mehr Gewerkschafter als Redner eingeladen. Aber die Gewerkschaften suchen nicht wirklich die Verbindung. Wir haben jetzt den Konflikt, dass die Gegner von S21 angeboten hatten, am 13.11. auf eine eigene Demonstration zu verzichten, wenn sie einen Redner auf der Abschlusskundgebung des DGB bekommen. Das hat der DGB-Landesvorstand abgelehnt und sie auf die Auftaktkundgebung verwiesen. Jetzt wird es wahrscheinlich zwei Demonstrationen geben. Das ist unglücklich, denn in der Verbindung von S21 mit den Sozialprotesten würde eine ungeheure Stärke liegen und eine Chance für die Gewerkschaften, in Bereichen der Bevölkerung Sympathiepunkte zu sammeln, wo sie nicht gerade die träkste Verankerung haben.

SOZ: Geht die Spaltungslinie durch die Gewerkschaftsbasis oder sind es eher einige Funktionsträger?

BERND RIEXINGER: An der Basis, ist es, zumindest im Stuttgarter Raum, so wie in der Bevölkerung: eine deutliche Mehrheit ist gegen das Projekt. Ich glaube, das Problem liegt weniger an der Basis als eher bei der mittleren und höheren Führung, auch der ehrenamtlichen. Dadurch, dass die SPD dafür ist, gibt es eine ganze Reihe von Betriebsratsvorsitzenden, die ebenfalls entschieden dafür sind.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 25.Jg., November 2010, S. 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
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Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
(SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro)
(im Normalabo: 55 Euro)
(im Sozialabo: 26 Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2010