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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1510: Der Blick auf die "ganze Frauenfrage"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der Internationale Frauentag wird 100 Jahre alt
Der Blick auf die "ganze Frauenfrage"

Von Gisela Notz


Bis zur Etablierung des 8. März als Internationaler Frauentag war es ein langer Weg.


"Genossinnen! Arbeitende Frauen und Mädchen! Der 19. März ist euer Tag. Er gilt eurem Recht. Hinter eurer Forderung steht die Sozialdemokratie, stehen die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Die sozialistischen Frauen aller Länder fühlen sich mit euch solidarisch. Der 19. März muss euer Ehrentag sein". So ist der Aufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Freien Gewerkschaften in der Zeitschrift Die Gleichheit vom 13. März 1911 überschrieben. Das Datum wurde gewählt, um an Ereignisse während der Revolution von 1848 in Berlin zu erinnern. Der Internationale Frauentag wurde zum internationalen Tag des Kampfes der Frauen für politische und ökonomische Rechte, gegen Krieg, Ausbeutung und Entrechung. Erst später sollte es der 8. März werden.


Wir brauchen einen Internationalen Frauentag!

Mehr als 100 Delegierte aus 17 Nationen, davon 12 aus Deutschland, nahmen am 27. August 1910 in Kopenhagen auf der II. Internationalen Konferenz Sozialistischer Frauen (SIW) einstimmig den Antrag von Clara Zetkin, Käte Duncker und Genossinnen an, künftig einen Internationalen Frauentag durchzuführen. Darin hieß es:

"Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. Die Forderung muss in ihrem Zusammenhang mit der ganzen Frauenfrage der sozialistischen Auffassung gemäß beleuchtet werden. Der Frauentag muss einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vorzubereiten."

Leicht hatten es die Frauen nicht, wenn sie für ihre Idee warben, denn "Frauenrechtlerei" war den männlichen Genossen verhasst. Durch den weltweiten Internationalen Frauentag hofften sie, den außerparlamentarischen Druck für die Durchsetzung von Frauenrechten zu erhöhen. Sie stellten die Forderung nach dem Frauenwahlrecht in den Zusammenhang mit der "ganzen Frauenfrage". Dazu gehörten Arbeiterinnenschutz, soziale Fürsorge für Mutter und Kind, die Gleichbehandlung von ledigen Müttern, die Bereitstellung von Kinderkrippen und Kindergärten, freie Schulmahlzeiten, Lehr- und Lernmittelfreiheit und die internationale Solidarität.


Hoffnung auf das kämpfende Proletariat

100 Jahre Frauentag, das heißt auch 100 Jahre Internationaler Kampf der sozialistischen Frauen gegen Militarismus und für die Erhaltung des Friedens. Bei der Kopenhagenener Konferenz wurde neben dem oft zitierten Antrag der deutschen Genossinnen auch eine "Resolution, die Erhaltung des Frieden betreffend" verabschiedet. Die deutsche und österreichische Frauendelegation und das britische Büro der SIW hatten sie eingebracht. Anlässlich des drohenden Ersten Weltkrieges erinnerten sie die sozialistischen Frauen und Mütter aller Länder an ihre Aufgabe, im Kampf gegen Militarismus und Krieg die Kinder im Geiste des Sozialismus zu erziehen und das "weibliche Proletariat" entsprechend zu agitieren. Die Frauen setzten damals große Hoffnung auf "das kämpfende Proletariat" als "Armee des Friedens", die sich immer weiter ausbreiten sollte.

Der erste Internationale Frauentag wurde ein voller Erfolg. Millionen Frauen in USA, Deutschland, Schweiz, Dänemark und Österreich gingen auf die Straße. Wie groß die Angst der Obrigkeit vor den aufmüpfigen Frauen war, geht aus einem Bericht der Gleichheit vom 27.3.1911 hervor: "Zahlreiche Polizeimannschaften in der Nachbarschaft der Versammlungslokale bewahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der Frauen." Allein in Groß-Berlin wurden 42 Veranstaltungen gezählt, die alle glänzend besucht waren. Außer in Deutschland wurde der Frauentag 1911 in den USA, in der Schweiz, in Dänemark und Österreich veranstaltet. Bis zum Ersten Weltkrieg kamen Frankreich, die Nieerlande, Schweden, Russland und Böhmen hinzu.

Dieser 19. März war eine Provokation - nicht nur für die Herrschenden. Auch die sozialdemokratische Führung entwickelte starken Widerstand gegen einen jährlichen Kampftag. Sie hatte Angst, dass die Emanzipationsbestrebungen der Frauen an einem "eigenen" Tag zur Aufsplitterung der Interessen der Arbeiterklasse führen könnten. Nicht alle glaubten den Worten Clara Zetkins, dass "der Emanzipationskampf der Proletarierinnen nicht ein Kampf gegen die Männer der eigenen Klasse (ist), sondern ein Kampf im Verein mit den Männern ihrer Klasse gegen die kapitalistische Ausbeutung".

In den folgenden Jahren erlebte die "Frauentags-Bewegung" Fortschritte, Rückschritte, Erfolge und Niederlagen. Je nachdem, wie es die herrschende politische Meinung wollte, wurde der Internationale Frauentag verboten, geduldet oder gar von oben verordnet.

Trotz der gut besuchten Veranstaltungen und eindrucksvollen Straßendemonstrationen der folgenden Jahre schlugen Mitglieder des Parteivorstands der SPD oder die Spitzengremien der Gewerkschaften immer wieder vor, die Aktivitäten einzuschränken oder abzusagen. "Kriegsfrauentage" mussten in kleinem Rahmen und illegal stattfinden, sie wurden von der "Obrigkeit" untersagt. Durch die von der SPD und der ihr nahestehenden Generalkommission der Gewerkschaften mitgetragene "Burgfriedenspolitik" waren kritische Veranstaltungen auch von den Organisationen der Arbeiterbewegung selbst nicht mehr erwünscht. Auch sozialdemokratische Frauen folgten der Aufforderung, während des Ersten Weltkriegs beim "Nationalen Frauendienst" der bürgerlichen Frauen mitzuarbeiten, dafür ernteten sie harsche Kritik von denjenigen, die die Meinung vertraten, die erste und wichtigste Pflicht einer Sozialistin sei es, die Massen für den Kampf gegen den Krieg zu gewinnen.


Errungenschaften

Nach langen Kämpfen wurde den Frauen mit dem Ende des Kaiserreichs am 12.11.1918 durch die Erklärung des Rats der Volksbeauftragten das Wahlrecht zugesprochen. Sozialistinnen wussten, dass sich der Internationale Frauentag damit nicht erledigt hatte. Im Juni 1921 beschloss die zweite Internationale Konferenz der Kommunistinnen, dass künftig der Internationale Frauentag einheitlich in der ganzen Welt am 8.März stattfinden sollte. Nun marschierten die SPD-Frauen getrennt von den Kommunistinnen. Sie brauchten bis 1925, bis sie bereit war, wieder einen Internationalen Frauentag einzuberufen, der für den allgemeinen Weltfrieden und die Internationale Solidarität eintreten sollte.

Nach der Machtübernahme der Nazis trat an die Stelle des Internationalen Frauentags der Muttertag, der in Deutschland seit 1923 von den konservativen Frauenverbänden aus USA übernommen worden war und von Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen abgelehnt wurde. Sie verwiesen auf die Verlogenheit des Mutterkults angesichts der Realität der proletarischen Mütter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der sowjetischen Besatzungszone ab 1946 der Frauentag wieder offiziell, und nach der Gründung des Demokratischen Frauenbunds Deutschland (DFD) im März 1947 alljährlich als Kampftag der Frauen begangen. In der neugegründeten DDR wurde er in den Betrieben zum festen Ritual. Er entwickelte sich vor dem Hintergrund der These, dass die Gleichberechtigung mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung erreicht und die Rechte der Frauen weitgehend verwirklicht seien. Es gab Orden und Ehrenzeichen, rote Nelken, Kaffeetafeln und Reden über die "Errungenschaften des Sozialismus".

Bei Gewerkschafterinnen und Sozialdemokratinnen in der BRD ging Mitte der 50er und in den 60er Jahren das zentrale Anliegen des Internationalen Frauentages als politischer Tag verloren. An vielen Orten fanden überhaupt keine Veranstaltungen mehr statt.


Neu entdeckt

Erst mit der Herausbildung der "neuen Frauenbewegungen" zu Beginn der 70er Jahre wurde der Frauentag als weltweit politisch wichtiger Feiertag wieder "entdeckt". Nachdem die UNO 1977 beschloss, den 8.März anzuerkennen und sich 1978 auch die Sozialistische Fraueninternationale in Vancouver, Kanada, dem angeschlossen hatte, forderten auch ASF und DGB-Frauen, künftig wieder jedes Jahr am 8.März einen Internationalen Frauentag zu begehen. Der DGB wollte 1980 einen Beschluss durchsetzen, der den DGB-Frauen untersagte, eigene Veranstaltungen durchführen und sich an anderen Veranstaltungen zu beteiligen, das Prinzip der Einheitsgewerkschaft sollte gewahrt werden. Der Beschluss stieß jedoch auf harten Widerstand bei der DGB-Bundesfrauenkonferenz. Sie erreichte, dass der Internationale Frauentag Bestandteil der Arbeit des DGB und zur Plattform für frauenpolitische Themen wurde. Bald gab es Bündnisse zwischen Sozialdemokratinnen, Gewerkschafterinnen und autonomen Frauen.

Ein herausragendes Ereignis nach der Wiedervereinigung war der Internationale Frauentag 1994. Er wurde zum FrauenStreikTag, bei dem sich mehr als eine Million Frauen bundesweit gegen fortbestehende und verschärfte Diskriminierungen, Arbeitsplatzabbau, den Abbau von Sozialleistungen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten engagierten. Die Gewerkschaftsfrauen schlossen sich mit ihren Forderungen denen der autonomen Feministinnen an. Es kam zu vielen fantasievollen Aktionen im ganzen Land. Ein breites, bundesweites Frauenbündnis war wiederbelebt worden und sollte auch für die Zukunft beibehalten werden.

Dass der Internationale Frauentag von so vielen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, macht seine Stärke aus. Auch künftig gilt es weltweit für Frieden und Frauenrechte zu kämpfen, denn die Antwort auf die "ganze Frauenfrage", mit der die Forderung zum ersten Internationalen Frauentag verbunden werden sollte, steht auch heute noch aus.


ZUM WEITERLESEN: Gisela Notz, 100 Jahre Internationaler Frauentag, Ver.di Berlin, 2011. Zu bestellen bei Ver.di Bundesverwaltung, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin;
Gisela Notz, "'Unser Märzentag' - Zur hundertjährigen Geschichte des Internationalen Frauentags", Marxistische Blätter, Heft 1/2011, S. 39-48.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 26.Jg., März 2011, S. 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2011