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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1526: Wie die Hochschulreform die Universitäten verändert


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Hinter den Masken des Akademischen
Wie die Hochschulreform die Universitäten verändert

Von Carl Unwert


Eine kurze "Typisierung" der Akteure an deutschen Universitäten zwischen klassischen Hierarchisierungen und dem Versuch ihrer Umgestaltung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien.


In der Institution Universität liegt die klassische Dreiteilung von Forschung, Lehre und Verwaltung in der Natur der Sache. Angestellte im administrativen und technischen Bereich, wissenschaftliches Personal, gestaffelt nach Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Lehrbeauftragten, und Selbstverständlich Studierende sind die Akteure, die sich in dieser institutionellen Struktur verorten müssen. Mit den so genannten "Hochschulreformen" wird diese Institution von Grund auf umgekrempelt, es verändern sich Forschungs- und Lehrinhalte, das Verhältnis des "Personals" untereinander und zu den Studierenden, und insbesondere Funktion und Zielsetzungen von Universitäten - womit sich auch ihre "Beschäftigten" und die Studierenden ändern.

"Eure Spektabilität, sehr verehrte Herren Professoren" - die Anrede stammt aus einer vergangenen Zeit und scheint überwunden zu sein. Weit gefehlt, ein derartiger oder ähnlicher Beginn z. B. einer Disputation ist Ausdruck von zunehmend hierarchisierten Verhältnissen in einer zunehmend zum "Betrieb" verkommenden Lehr- und Forschungsanstalt.

An der Spitze dieser Hierarchisierung lassen sich zumindest vier Kategorien von Professoren identifizieren, die in "Reinform", aber auch in Mischformen vorkommen.


Oberbau...

Die Arrivierten: Sie lehnen sich nach ihrer Berufung zurück, versuchen sich aus allem herauszuhalten, machen nur das Nötigste, gestalten ihre Forschungsinhalte und teils auch ihre Pflichtlehrveranstaltungen womöglich nach individuellen Vorlieben. Warum trinken Frauen lieber ein Gläschen Wein und Männer lieber Bier? Aus solchen und ähnlichen Fragen wird dann ein soziologisches Seminar zur Kulinaristik. Es hat bei manchen dieser Professoren den Anschein, als sei ihre letzte wissenschaftliche Tätigkeit ihre Habilitation gewesen. Eine Gewichtung bzw. Differenzierung von Themen nach deren gesellschaftlicher Bedeutung ist einem Teil von ihnen verpönt. So kommt es, dass Themen und aktuelle Problemfelder wie die gegenwärtige Ernährungskrise, ökonomische Krisen oder der Klimawandel im Lehrangebot oftmals fehlen, während das zuvor genannte Thema der Getränkepriorität, teils noch kulturell überhöht, Gegenstand sozialwissenschaftlicher Kompetenzbildung in den Seminaren wird.

Die Fürsten: Sie bauen sich womöglich nach ihren Vorstellungen ihr "eigenes" Institut auf. Ihr Wort gilt, wer es des Öfteren in Frage stellt, stellt letztlich den eigenen Arbeitsplatz in Frage. Da sie z. T. die einzigen Professoren an ihrem für sie maßgeschneiderten Institut sind und über allen anderen stehen, entscheiden oder delegieren sie letztlich alles. Hieraus wächst Borniertheit, was häufig dazu führt, dass sie ihre Entscheidungsmacht mit Kompetenz und Leistungsfähigkeit gleichsetzen oder gar verwechseln. An ihnen scheinen die im Verlauf der "68er-Bewegung" erkämpften und vielfach wieder abgeschafften Reformen, die u. a. zu demokratischeren Strukturen an den Hochschulen führten, gänzlich vorbeigegangen zu sein.


Die Karrieristen - vermutlich in Zukunft die bedeutendste Fraktion innerhalb der ProfessorInnenschaft - schmücken sich mit Kontakten zu den Chefetagen der Unternehmen, betrachten Universitäten als Dienstleister für zahlungskräftige Nachfrager aus der "Wirtschaft" und leiden z. T. darunter, nicht selber in diesen Etagen zu sitzen. Sie hocken oftmals in vielen Gremien, "Gesellschaften" und in einer Reihe namhafter Institutionen und sind dort äußerst engagierte Männer und Frauen: Ihr Erfolg, teils von wissenschaftlichen Fähigkeiten entkoppelt, definiert sich wesentlich über ihr "social networking", die Summe eingeworbener Drittmittel und über die Anzahl von teils belanglosen, von Kritik befreiten Publikationen, insbesondere in sog. peer-reviewed Zeitschriften, Magazinen u. ä. Während die "Fürsten" ihre untergebenen Mitarbeiter verpflichten, derartige Texte zu verfassen, die sie dann zensieren und mit ihrem Namen versehen (der Mitarbeiter erscheint dabei als Co-Autor, wenn nicht sogar an erster Stelle stehend) - arbeiten die Karrieristen und ihre Mitarbeiter wie besessen, um so viel wie möglich zu veröffentlichen. Denn ein Kriterium, um in der Hierarchie aufsteigen zu können, ist die Anzahl, weniger die analytische Schärfe oder die Kritiktiefe der Veröffentlichungen.


Die Fossile: Sie sind eine gesellschaftskritische Minderheit an den Universitäten, die im Zuge der o.g. Reformen an die Hochschulen gespült wurden. Sie sind oftmals intern isoliert, werden zum Teil als Relikte oder Exoten belächelt und bleiben insbesondere mit ihren gesellschaftspolitischen Ansprüchen von Kollegen und Studenten zumeist unverstanden. Sie sind oftmals weder willens noch in der Lage, die von ihnen mitinitiierte Linie der kritischen Wissenschaften durch die Integration Jüngerer in die Hochschulen fortzusetzen, wodurch an den Universitäten insbesondere die Kritik an gesellschaftlichen Praxen als wissenschaftlicher Anspruch zunehmend verschwindet. Für jüngere kritische Intellektuelle bedeutet das ihren allmählichen "akademischen Genozid", da ihre berufliche Einbindung in den akademischen Betrieb in Zukunft nahezu ausgeschlossen sein wird - u. a. durch die Ausdehnung der Drittmittelforschung, d. h. der direkten und indirekten Umgestaltung der Forschung nach Erfordernissen und Vorgaben der Privatwirtschaft. Es sei denn, sie sind bereit, unbezahlt oder "fremdfinanziert" an den Hochschulen zu arbeiten.


...und Unterbau

Wissenschaftliche Mitarbeiter werden vielfach als Zuarbeiter für Professoren "verheizt" und haben dadurch nur wenige Möglichkeiten, ihre eigenständigen Forschungsinteressen - soweit diese überhaupt noch vorhanden sind -, zu verfolgen.

Lehrverpflichtungen von bis zu 16 Semesterwochenstunden überfrachten sie, und die permanente Angst, ihre zur Regel gewordenen befristeten Arbeitsverträge nicht verlängert zu bekommen, erzeugt nicht nur Druck. Selbst bei habilitierten Wissenschaftlern, die für eine Berufung zu fast allem bereit sind, werden Schlaflosigkeit und gesundheitliche Probleme - vom Erschöpfungssyndrom bis hin zum "Burn-out" - allmählich zur neuen Normalität, die sie jedoch bereit sind, in Kauf zu nehmen, denn die Angst vor "Hartz IV" ist inzwischen auch bei ihnen angekommen.


Werden wissenschaftliche Mitarbeiter wenigstens während ihres befristeten Angestelltenstatus mit Gehältern bezahlt, die ein "durchschnittliches" Leben ermöglichen, sind Lehrbeauftragte praktisch die Paria der Wissenschaftler. Sie tragen zwar wesentlich zur thematischen Vielfalt in der Lehre bei, sichern z. T. in einigen Studienbereichen sogar das vorgesehene Grundangebot in der Lehre, beraten und prüfen darüber hinaus Studierende bis zu ihrem Studienabschluss, wodurch die sog. "Hauptamtlichen" erheblich entlastet werden. Sie haben aber keine Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Hochschule und keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Die "Bezahlung" von Lehraufträgen ist gesetzlich nicht geregelt. Es gibt lediglich empfehlende Richtlinien. So variiert selbst innerhalb einer Universität die Vergütung zwischen den einzelnen Instituten erheblich, wobei die überwiegende Mehrheit der Lehrbeauftragten oftmals gar nicht bezahlt oder mit Honoraren in Höhe von einigen Hundert Euro pro Semester abgespeist wird.

Sie bleiben trotzdem - oft in der Hoffnung, ihre Chancen auf eine Stelle als hauptamtlicher Mitarbeiter zu erhöhen - jahrelang in diesem unteren prekären Zustand, ohne dass für sie arbeitsrechtliche Mindestvorschriften wie Urlaub, Mutterschutz oder Kündigungsschutz existierten.


Die oftmals ignorierten Studierenden sind sich dieser Realitäten fast nie bewusst. Für die meisten von ihnen sind "die Lehrenden" Dienstleister, die die Vorgaben zu vermitteln haben" die für ein erfolgreiches Studium erforderlich sind. So sollen angestellte und auf Honorarbasis arbeitende Wissenschaftler gleichermaßen als Exekutivkräfte von Studienordnungen dem Anspruch vieler Studenten gerecht werden, sie arbeitsmarkttauglich zu machen.

Denn insbesondere mit der Bachelorisierung des Studiums wandelt sich das Anforderungsprofil. Studiengebühren, wachsende formale Anforderungen, zeitlich und inhaltlich restriktivere Studienordnungen erschweren eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Interesses und engen Freiräume für kreative und soziale Prozesse zunehmend ein. Ein Studium wird so zu einem von bestimmten politischen und ökonomischen Interessen zugeschnittenen Schnelldurchlauf, der darüber hinaus durch einen zunehmend ideologischen Filter gepresst wird. Das diszipliniert, richtet zu, führt zu verkürzten Verständnissen, und zu einer Kultur der Oberflächlichkeit. Kompetenzen sedimentieren durch so einen Apparat der Anpassung in die Form, die von den jeweiligen Arbeitgebern vorgegeben ist. Bildung wird reduziert auf Ausbildung, um auf dem sich schnell wandelnden Arbeitsmarkt konkurrenzfähig sein zu können. Solche Wissenschaft ist nicht Werkzeug der Erkenntnis bzw. dient nicht der Kritik von Gesellschaft und der Beförderung emanzipatorischer Praxen, sondern stellt sich zunehmend in den Dienst des Kapitals und der herrschenden Politik. Das kommt dem unausgesprochenen Motto vieler angepasster Studenten - "Creditpoints statt kritische Analysen" - entgegen.


Der Verlust der Forschung

Durch den Abbau von Personal auch in der Verwaltung müssen administrative Tätigkeiten vermehrt von Professoren, überwiegend aber vom akademischen Mittelbau übernommen werden, was zu einem Wandel im Verhältnis von Forschung, Lehre und Verwaltung führt. Das wissenschaftliche Personal muss immer mehr Zeit für diese Art von Arbeiten aufwenden, die dann für Forschungstätigkeit fehlt.

So entwickeln sich "Professoral-Universitäten", in denen die Qualität der Forschung und somit auch der Lehre sinkt, in der sich ein Denken in ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalküls breit macht, und in der undurchsichtige und undemokratische Entscheidungsprozesse - ob bei Berufungsverfahren (die einer "Black Box" gleichen) oder bei der Vergabe und Vergütung von Lehraufträgen - den Alltag der Akteure bestimmen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 26.Jg., April 2011, S. 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2011